33. 2084 — Die Kohlenstoff-Diktatur?
Paul Crutzen – zweifacher Retter der Welt? - Drei Möglichkeiten, wohin der Klimawandel führen könnte. - Wie Umweltverschmutzer ein wirklich starkes Regime fördern: Die Welt-Kommission für Thermostatsteuerung. - Gewinner und Verlierer. Ein Orwell’scher Albtraum. Die Lektion der Gründerväter
Wenn ... der Mensch so weit in Gaias Machtbereich eindringt, dass sie nicht mehr funktioniert, wird er eines Tages aufwachen und feststellen, dass er jetzt die permanente, lebenslange Aufgabe hat, den Planeten technisch zu warten ... Dann müssen schließlich wir diesen merkwürdigen Mechanismus steuern, dieses <Raumschiff Erde>, und was immer dann an gezähmter und domestizierter Biosphäre noch übrig ist, es wäre in der Tat unser »Lebenserhaltungssystem«. (James Lovelock, Gaia, 1979)
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Paul Crutzen hatte mitgeholfen, die Welt vor der Ozonzerstörung durch CFKs zu retten, und dafür bekam er den Nobelpreis. Angesichts des drohenden Klimawandels hat sich Crutzen erneut in die Debatte eingemischt, und er denkt bereits weit voraus. »In der Zukunft wird es vielleicht international genehmigte geotechnische Großprojekte geben ... um das Klima zu optimieren«, meinte er 2002 in <Nature>.
Das ist ein Gedanke, der eine Überlegung wert ist, und dafür müssen wir zunächst schauen, wohin das große menschengemachte Spiel der Klimaveränderung führen mag. Ich sehe drei Möglichkeiten:
detopia-2010: Könnte man so bezeichnen: 1=schlecht, 2=gut, 3=mittel
1. Wir reagieren bei der Begrenzung von Emissionen zu langsam oder zu wenig koordiniert und können große Klimaveränderungen nicht mehr abwenden, die die Lebenserhaltungssysteme der Erde zerstören und unsere Zivilisation destabilisieren. Infolgedessen wird die Menschheit in lang anhaltende finstere Zeiten zurückgeworfen, die bitterer sein werden als alle zuvor, denn es wird noch immer die zerstörerischsten je erfundenen Waffen geben, aber die Mittel zu ihrer Kontrolle und zur Friedenserhaltung werden verschwunden sein. Solche Veränderungen könnten schon 2050 ihren Anfang nehmen.
2. Die Menschheit reagiert prompt — auf individueller, nationaler und wirtschaftlicher Ebene —, reduziert die Emissionen und vermeidet so ernsthafte Klimafolgen. Von den momentanen Trends ausgehend, werden wir spätestens um 2030 damit begonnen haben müssen, unsere Netzstromversorgung in erheblichem Maß kohlenstofffrei zu bekommen, und Transport und Verkehr müssen bis 2050 substanziell umgestellt sein. Haben wir damit Erfolg, werden bis 2150 die Treibhausgas-Niveaus so weit gesunken sein, dass Gaia wieder die Steuerung des irdischen Thermostats übernehmen kann.
3. Die Emissionen werden genügend reduziert, um eine regelrechte Katastrophe zu vermeiden, die Ökosysteme der Erde werden aber trotzdem schwer geschädigt. Wenn das Klima auf des Messers Schneide steht, wird Crutzens Vision international vereinbarter geo-technischer Projekte zwingend nötig. Die Zivilisation wird Jahrzehnte oder Jahrhunderte am Rand des Abgrunds stehen, und in dieser Zeit muss der Kohlenstoffzyklus streng kontrolliert werden, wozu große wie kleine geotechnische Projekte nötig sind.
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Bei diesem letzten Szenario hätte die Menschheit keine andere Wahl, als eine <Welt-Kommission für Thermostatsteuerung> einzusetzen, und so etwas könnte leicht aus dem Kyoto-Protokoll hervorgehen. Lassen Sie uns zu Anfang überlegen, was die Kommission wegen des CO2 unternehmen könnte — des wichtigsten der gut 30 Treibhausgase, mit denen sie sich beschäftigen müsste. Zu den bedeutendsten ersten Aufgaben — und das war schon in Kyoto von Belang — würde gehören, den Wert des Kohlenstoff-Dollars aufrecht zu erhalten, indem sie eingreift, wo immer der Kohlenstoff-Emissionshandel nicht funktioniert und wo eingelagerter Kohlenstoff freigesetzt wird. Weil Projekte wie Aufforstungen und der Bau von Endlagern sehr zeitraubend sind, müsste die Kommission die 2005 gemünzten Kohlenstoff-Dollar jahrhundertelang überwachen.27
Wahrscheinlich müsste die Kommission die Ozeane zur Regulierung des irdischen Thermostats heranziehen. Dies würde eine neuartige internationale Zusammenarbeit bei der Nutzung dieses globalen ozeanischen Gemeinschaftsbesitzes erfordern, und es ist möglich, dass auch die Arktis und die Antarktis in diese neuen Vereinbarungen mit einbezogen würden, womit unsere letzten globalen Allmenden von Belang reglementiert würden.
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Wegen der Bedeutung der Böden als Kohlenstofflager müsste sich die Kommission weltweit tief in die Landwirtschaft und den Landverbrauch einmischen, und man kann sich weitreichende Reglementierungen vorstellen, was die Land- und Forstwirtschaft und andere Arten der Bodennutzung angeht.
Wenn sich die Klimakrise verschlimmert, muss die Kommission vielleicht auch angerufen werden, um Fälle zu schlichten, in denen ein Land aufgrund des Klimawandels stark benachteiligt ist, während es anderen gut geht. Australien beispielsweise könnte sich am Rand des Zusammenbruchs wiederfinden, weil in seinen Bevölkerungs- und Landwirtschaftszentren die Regenfälle ausbleiben, während Kanada möglicherweise aufgrund derselben klimatischen Veränderungen Rekordernten einfährt und sich milder Winter erfreut.
Wenn eine solche Kommission Fuß fasst, würde sie ihre Macht und ihren Einfluss mit der Verschärfung der Klimakrise ausweiten, und schließlich würde sie sich aus schierer Notwendigkeit in alles einmischen, was bis dahin die Aufgabe souveräner Staaten war.
Man kann sich nur schwer vorstellen, dass eine solche Entwicklung, wie notwendig sie zur Stabilisierung des globalen Klimas auch sein mag, nicht von einigen Ländern hinterfragt würde. Täuschungsmanöver und Schleifenlassen sollte man erwarten, aber es könnte auch möglich sein, dass ein Land der Kommission einfach nicht Folge leistet. Wie müsste die Kommission beispielsweise mit »Trittbrettfahrern« umgehen, die globale Vorschriften zum Schaden aller anderen missachten?
Die hinter der Kommission stehenden Länder müssten eine Reihe von Maßnahmen, darunter auch Sanktionen, vorsehen, die sich schon in der Vergangenheit als unverzichtbar erwiesen haben, wenn sichergestellt werden sollte, dass kein Land aus einem internationalen Vertragswerk ungerechtfertigte Vorteile zieht. Und damit solche Strafmaßnahmen auch maximale Wirkung zeigen, brauchte man einen internationalen Gerichtshof sowie — als letztes Mittel — internationale Streitkräfte, die gegen die Übeltäter eingesetzt werden könnten. Vielleicht würden sie grüne Helme tragen statt blauer, aber die UN-Friedenstruppen wären ein gutes Vorbild, wie dieser bewaffnete Arm der Kommission sich entwickeln könnte.
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Unsere Atmosphäre ist so empfindlich, und wir Menschen haben ihr jetzt so viele Lasten aufgebürdet, dass die Arbeit der Kommission wohl nicht bei den Treibhausgasen endet: Auch die Wasserstoffwirtschaft könnte zu ihrem Aufgabenbereich werden. Molekularer Wasserstoff ist ein atmosphärisches Spurengas, dessen Anteil momentan nur ein halbes Teil pro einer Million beträgt und dessen Lebensspanne nur zwei Jahre währt. Die zukünftige Wasserstoffwirtschaft erfordert den jährlichen Transport eines Mehrfachen der Gesamtmenge des heute in der Atmosphäre befindlichen Wasserstoffs, und wie wir erfahren haben, tritt Wasserstoff leicht durch Lecks aus.28 Wenn wir die Hälfte der heute benutzten fossilen Energieträger durch Wasserstoff ersetzen, riskieren wir eine Verdoppelung seiner Konzentration in der Atmosphäre.
Zu den wichtigsten unerwünschten Eigenschaften von Wasserstoff zählt seine Fähigkeit, den Methangehalt um bis zu vier Prozent zu erhöhen. Da die Gaswirtschaft als Übergang zur Wasserstoffwirtschaft betrachtet wird, könnte dies schwere Treibhauskonsequenzen für eine Welt haben, die bereits mit flüchtigen Methan-Emissionen überlastet ist. Darüber hinaus sind die Hauptlagerstätten für molekularen atmosphärischen Stickstoff die Böden, in denen Mikroorganismen den Stickstoff binden, und welche Folgen eine Vermehrung des molekularen Wasserstoffs für diese hätte, ist unbekannt.29
Wenn wir Wasserstoff in solchem Umfang einsetzen, dass wir die Transportflotten der gesamten Welt damit betreiben, bestünde sogar die Möglichkeit, dass er sich auf den Wasserdampf in der Stratosphäre, auf die planetarischen Temperaturen und das Ozon auswirkt. Auf diesem Gebiet führende Forscher haben kürzlich festgestellt: »Eine Bewertung der Klimafolgen im Falle einer [Wasserstoffwirtschaft] hat gerade erst begonnen.«30
Da die Chemiker immer trickreichere Verbindungen basteln und wir uns der Folgen für die Atmosphäre immer bewusster werden, ist zu erwarten, dass immer mehr planetarische Prozesse unsere Kommission interessieren werden. Und da sie mit so vielen Problemen konfrontiert ist, könnten sich einige Kommissare möglicherweise bald in der Situation des Jungen wiederfinden, der das Loch im Deich mit dem Finger zuhält, nur um mitzuerleben, wie das Wasser überall um ihn herum durchbricht. Bald wird ihnen aufgehen, dass der Strom neuer, die Stabilität des Klimas gefährdender Probleme nicht abreißt, solange das Bevölkerungswachstum anhält.
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Unvermeidlicherweise wird eines Tages ein Kommissar erklären, die Arbeit der Kommission wäre wesentlich effizienter, wenn man sich auf die Wurzel des Übels konzentrierte: die Gesamtzahl der Menschen auf der Erde.
Und mit diesem Schachzug wird sich die Welt-Kommission für Thermostatkontrolle zu einer Orwell'schen Weltregierung gewandelt haben, die eine eigene Währung, eine eigene Armee und die Kontrolle über jede Person und jeden Quadratzentimeter auf unserem Planeten hat.
So albtraumhaft ein solches Endergebnis auch wäre, wenn wir den Kampf gegen die Klimakrise nicht umgehend aufnehmen, könnte die Kohlenstoff-Diktatur für uns lebenswichtig werden.
Es ist noch keine 250 Jahre her, dass wilde Kerle aus dem schottischen Hochland, die nichts von der englischen Sprache, von Geld oder von Hosen wussten, ihr Vieh, das ihr einziges Vermögen war, auf die Märkte englischer Städte trieben, um sich ein paar Luxusgüter wie Schießpulver und Salz zu kaufen. Heutzutage führt kein Bürger irgendeiner entwickelten Nation ein so selbstbestimmtes Leben wie jene rauen Hochlandburschen, denn wir sind die Nachfahren derer, die diese »Freiheit« für eine stabile Regierung, drei anständige Mahlzeiten am Tag, bequeme Transportmöglichkeiten und die trickreichen Maschinen eintauschten, die uns etwas über den Klimawandel verraten.
Und zu gegebener Zeit haben Menschen weitere Freiheiten aufgegeben, um mit entsetzlichen Bedrohungen fertig zu werden. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika haben die großartigste Nation erschaffen, die die Welt bis jetzt gesehen hat, und sie taten das, weil sie sich vor einer überwältigenden äußeren Gefahr fürchteten — der britischen Krone. Die Vereinigten Staaten zu erschaffen war nicht leicht, denn die Gentlemen im Süden, die Pferderennen, Theater und ihre Sklavenplantagen liebten, mussten sich irgendwie mit den puritanischen Neuengländern zusammenraufen, die solche Dinge für Teufelswerk hielten. Aber irgendwie einigte man sich, und damit hatte jeder der dreizehn Unterzeichnerstaaten einen erheblichen Teil seiner Souveränität abgetreten. Die Gründerväter schufen — mit großem Erfolg — eine politische Entität, die genügend Masse hat, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen, aber auch genügend Sicherheitsvorkehrungen, um die Freiheit zu bewahren.
Die Menschheit hat in so kurzer Zeit einen so weiten Weg zurückgelegt, dass unsere Vorstellungskraft hoffnungslos in der Vergangenheit stecken geblieben ist. Vielleicht ist sie wie im Fall vieler amerikanischer Neokonservativer im Wilden Westen oder im letzten Weltkrieg gefangen. Bei anderen hängt sie an obsoleten nationalen Identitäten oder Ideologien.
Und weil unsere Phantasie noch immer in diesen verschwundenen Landschaften schwelgt, mag unsere Reaktion auf den Klimawandel so unsinnig scheinen. Dieser Umstand, glaube ich, hat einige Konservative dazu verleitet, die Gefahren des Klimawandels zu ignorieren und gleichzeitig so eifersüchtig unsere »Freiheit« zu verteidigen.
Wenn das große Geschäft mit Kohle und Öl und die damit zusammenhängenden Interessen weiterhin die Welt daran hindern, den Kampf gegen den Klimawandel aufzunehmen, bekommen wir vielleicht bald eine Welt-Kommission für Thermostatkontrolle. Die einzige Möglichkeit, sowohl die Tyrannei als auch die Vernichtung abzuwenden, besteht darin, wie die amerikanischen Gründerväter zu agieren, nämlich dem Aufruf zum Handeln rasch zu folgen und gerade ausreichend Macht an eine übergeordnete Autorität abzutreten, um der Gefahr die Stirn bieten zu können.
Und das wird nur funktionieren, wenn wir jetzt handeln, noch ehe die Krise in vollem Umfang da ist.
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