Kurt W. Fleming Ein Schwejk in der NVA
2005 im Max-Stirner-Archiv Leipzig edition unica |
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2005 *1953 144 Seiten Bing.Buch Goog.Buch detopia: |
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Die 18 Monate, die Kurt W. Fleming (Jahrgang 1953) als Antistalinist und Che-Guevara-Anhänger in den siebziger Jahren bei der Nationalen Volksarmee auf der Insel Rügen diente, waren seine eigentliche Lehrzeit. Daß er dort den Schikanen der Ausbilder und Offiziere standhielt, verdankte er auch einer besonderen Motivation: er hatte nämlich vor - in revolutionär-romantischer Verklärung -, als Guerillero nach Lateinamerika zu gehen, um den Tod des Ches zu rächen und gegen den Yankee-Imperialismus zu kämpfen. In Kuba wollte er sich zum Guerillero ausbilden lassen und dann auf den lateinamerikanischen Kontinent gehen. Eine andere Identifikationsfigur war für ihn – wie er im Nachhinein erkannt hat - der brave Soldat Schwejk Er hat sich wie dieser einiges einfallen lassen, um gegen den abverlangten Drill und Kadavergehorsam beim Kampf gegen den kapitalistischen Klassenfeind anzugehen, was den Leser nicht selten Tränen lachen läßt, wenn er dem Alarmverhinderer und Waffenverlierer bei seinen Schwejkiaden folgt. In erster Linie stützt sich Fleming dabei auf sein Gedächtnis, denn er führte damals nur stichpunktartig Tagebuch. Wie Günter Wallraff in seinen Bundeswehrerinnerungen geht es dem ostdeutschen Pendant um das „freiwillig auf sich genommene nicht ernst genommen werden im großen Spiel des Lebens“. Fleming bezeichnet sich selbst als „Nachkriegsgeborenen, der sehr früh schon die Nutzlosigkeit von tradierten Unsinnigkeiten wie Ehre, Moral, Stolz, Autorität und geschlechtsspezifisches Rollendenken und -verhalten erkannt hat“: „Zur gleichen Zeit machten wir mit den älteren Dienstjahrgängen Bekanntschaft. Eines Tages kam ein solcher in unser Zimmer und fragte nach mir. Als ich mich zu erkennen gab, sagte er: Du bist mein Ladehugo!‘ So wurden jene genannt, die im Panzer dafür verantwortlich waren, daß der eregierte Penis des Panzers immer mit stahlharten Spermien geladen wurde. Ich konnte mir schon lebhaft vorstellen, was da auf mich zukommen sollte. Solche Granaten waren ja nicht gerade leicht und ich war eher das, was man einen Schwächling zu nennen pflegte. Schon bald malte ich mir bildreich aus, wie oft wohl eine solche Granate meinen Händen entglitt und hinabfiel – immer verbunden mit der Horrorvision, daß ich dadurch wohl jeden Panzer von allein in die Luft sprengen, also unserem Klassenfeind manche Arbeit abnehmen würde. Zum meinem Glück kam es aber nie zu solch einer fundamentalistischen Selbstvernichtung.“ Beim Lesen dieses amüsanten Buches wundert man sich, daß die DDR nicht schon viel früher untergegangen ist, da ja bekanntlich die Armee das Spiegelbild der Gesellschaft sein soll. Kurt W. Fleming leistet in den 70ern seinen Dienst bei der NVA. Im Folgenden - ein Auszug aus seinem gleichnamigen Buch - beschreibt er seine Selbstbeförderung zum Major (für zehn Minuten), selbstverständlich ganz nach schwejkscher Art... Es gibt keinen Grund, es zu leugnen: Ich war ein guter Soldat, weil ich kein guter Soldat war! Das ist ein Paradoxon, ich weiß! Und für diaklektisch* ungeschulte Wesen dieser Erde, denen es an philosophischem Bewusstsein mangelt, ist dies selbstredend unverständlich! Aber das Paradoxon löst sich leicht auf: Weil ich ein schlechter Soldat war, wurde ich nie befördert. Es war in der NVA Usus, ab dem dritten Diensthalbjahr zum Gefreiten befördert zu werden, was auch mehr Geld bedeutete. Und weil ich ein nie beförderter, weil ich also ein schlechter Soldat war, mit dem unsere Armee keinen Krieg gewonnen hätte, war ich eben ein – guter Soldat. Dennoch hatte ich das Vergnügen, eine höhere militärische Position einzunehmen, ja, selbst ein Beförderer zu werden. Die genauen Umstände, wie es dazu kam, dass ich, ein Soldat, der nie, zumindest nicht in dieser Zeit, ein Gefreiter wurde, einen Soldaten zum Gefreiten beförderte, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Aber dass es so war, wie es war – es war so! Vielleicht hing es damit zusammen, dass man als Soldat weniger Geld bekommt, als wenn man Gefreiter ist. Da muss es wohl einen Soldaten gegeben haben, der mehr Geld brauchte, obwohl es sich bestimmt nur um 30 Mark pro Monat mehr handelte. Kurzum: ich schrieb einen Antrag auf Beförderung des Soldaten in den Rang eines Gefreiten und gab diesen im Regimentsstab ab. Ich unterzeichnete diesen Antrag sogar mit meinem Namen, denn hier mit dem Namen eines der beiden Majore G... oder E... zu unterschreiben, wäre tatsächlich lebensgefährlich gewesen. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen.
Ein Schwejk in der NVA - Illustrationen von Michael Blümel Der Hammer an dieser Sache war: dem Antrag auf Beförderung wurde stattgegeben. Keiner der Offiziere, woher sollten sie es auch wissen, prüfte nach, wer da unterschrieben hatte. Einen Offizier Fleming kannte niemand, wie sollte man auch. Es gab ja so viele Offiziere im Regiment. Aber irgendwann muss doch jemand stutzig geworden sein. Wer, weiß ich nicht mehr. Wie dem auch war: die Beförderung wurde rückgängig gemacht, und so bewährt sich auch der Spruch: "Nichts währt ewig!" Dass mir nichts passierte, lag wohl daran, dass man sich der Lächerlichkeit ausgesetzt hätte, wäre dies publik geworden. Mindestens einer der beiden Majore, G... oder E..., hätte diese Suppe auslöffeln müssen, und das war meistens verbunden mit einer Degradierung. Den Regimentskommandeur hätte dann ein ähnliches Schicksal ereilt, da man ihm vorgehalten hätte, seinen Laden nicht im Griff zu haben. Da es also meinerseits dauerhaft nicht klappte, andere zu befördern, entschied ich mich eines Tages für eine Selbstbeförderung, eine Selbstbeförderung der besonderen Art. Es konnte keine für die Ewigkeit sein, denn das wäre auch dem dümmsten Offizier meines Bataillons aufgefallen. Also blieb mir nur eine kurzfristige Beförderung meiner Person. Diese ergab sich ganz spontan, war also in keinster Weise von mir geplant. Kurt W. Fleming in Uniform wie es sich gehört Dass ich mich selbst zu einer Selbstbeförderung für wenige Minuten in die Lage versetzen konnte, lag daran, dass ich in der Bataillonsschreibstube in einem Schubkasten Schulterstücke für die Felddienstuniform (ein Strich, kein Strich) eines Majors fand. Vielleicht nistete sich in diesem Augenblick in meinem Unterbewusstsein der Gedanke ein, diese später auch einmal zu benutzen. Als sie nun zu uns in die Kompanie kamen, wurden sie erst einmal gemeinsam in einem Zimmer untergebracht. Sie sahen schon irgendwie ulkig aus in ihren nagelneuen Uniformen und mit ihren ängstlichen Augen. Und da trat ich auf! Statt ihnen in dieser dramatischen Situation beizuwohnen, ihnen das Händchen zu halten und Trost zu spenden, kam ich, der gute schlechte Soldat, auf die gemeine Idee, ihnen zu zeigen, wo es hier tatsächlich langging. In Anwendung kamen diese Schulterstücke auf meinen schmalen Schultern an jenem Tage, als neue Unteroffiziere und Unterfeldwebel zu uns stießen, frischgebacken in einer Unteroffiziersschule. Da wir immer Probleme mit solchen Leuten hatten, die sich mehr oder weniger freiwillig dazu breitschlagen ließen, länger als nötig zu dienen, wollten wir diesen auch zeigen, dass sie zwar rein formal unsere Vorgesetzten waren, aber dennoch uns nichts zu sagen hatten. Andererseits hätten diese Leute uns eher leid tun müssen. Denn diese bedauernswerten Idioten, und Idioten waren sie ja, wurden von allen Seiten getreten. Sie hatten keine Autorität bei den Soldaten, und sie genossen keinen Respekt, keine Rückendeckung durch ihre Offiziere, von denen sie ebenso getreten wurden, weil sie, die Unteroffiziere, nicht fähig waren, uns Soldaten erfolgreich zu treten. Aber das interessierte uns nicht.
Ein Schwejk in der NVA - Illustrationen von Michael Blümel Wäre ich nur als der Soldat des zweiten Diensthalbjahres ins Zimmer reingegangen, hätte ich auf sie keinen Eindruck machen können. Und dass ich der Schreiber war, hätte sie in dem Moment auch nicht sonderlich beeindruckt. Also machte ich es anders: kurz entschlossen sagte ich den wenigen, die sich in der Kompanie unweit des Tisches vom UvD aufhielten: "Jungs, mit den Neuen machen wir mal unseren Spaß! Ich werde mich denen als Major präsentieren!" Gesagt, getan! Alle feixten sich eins, denn laut lachen wollten sie nicht, um mich nicht schon vorher zu verraten. Nachdem ich also die Majorschulterstücke angebracht hatte, ließ ich mir vom UvD eine sehr laute Meldung machen: "Genosse Major, Kompanie X mit soundsoviel Soldaten...!" usw. usw. Ich erwiderte darauf ebenso laut wie der UVD – die Neuankömmlinge sollten ja hören, dass ein Vorgesetzter aufgetaucht war: "Danke! Sind die neuen Rekruten schon anwesend?" "Ja!" schrie der UvD. "Und wo sind sie?" schrie ich laut zurück. "Im Zimmer 0-8-15!" lautete seine Antwort (ein solches Zimmer gab es natürlich nicht, aber die genaue Zimmernummer kenne ich natürlich nicht mehr; und außerdem: 0-8-15 passt doch ganz gut zu dem Inhalt dieses Raumes!). "Aha!" sagte ich laut mit gespieltem Erstaunen, als hätte ich den Stein der Weisen gefunden und damit den Beginn alles Philosophierens an mir selbst erlebt. Mit lauten Schritten, meine Stiefel knallten auf dem Steinfußboden, ging ich zur Tür des Zimmers 0-8-15, schlug mit meiner Hand wuchtig auf die Klinke und riss die Tür auf. Die darin befindlichen unschuldigen Wesen, unverdorben wie sie waren, standen dann tatsächlich vor mir stramm, weil ein Unterfeldwebel, der in diesem Zimmer höchste Dienstgrad, meine Majors-Person wahrnahm und laut schrie: "Achtung!" Diese armen, jungen, bedauernswerten Rekruten, die partout mindestens drei Jahre und mehr dienen wollten, standen mit herausgepresster Brust vor mir. Ich ging auf sie zu, überlegend, was ich denn jetzt machen und sagen sollte. Mir fiel nichts weiter ein als: "Na, Genossen, schon eingelebt?" Das war eine saublöde Frage, waren sie doch gerade mal fünf Minuten in dieser Kompanie. Die kannten ja nicht einmal die Luxusausgabe unserer Toilette, wo jeder jeden beim Scheißen und Pinkeln beobachten konnte, um dabei zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln zu können. Kurt W. Fleming - da blitzt der Schalk aus allen Poren "Danke, Genosse Major, prima!" erwiderte ein Unteroffizier, wobei er mit "prima" das schnelle Einleben gemeint haben müsste. "Gut so, Jungs!" sagte ich daraufhin. Ich bemerkte wohl, wie sie mich ansahen: ungläubig bis nachdenklich, letzteres eine Eigenschaft, die man bei drei- und mehrjährig Dienenden selten feststellen konnte. Was mögen sie gedacht haben? "Was für ein wunderlicher Kauz!", "Für einen Major noch ganz schön jung und unverbraucht." So skeptisch mancher Blick mir in die Augen stach, wagte doch keiner von ihnen, ihrem Eindruck sprachlichen Ausdruck zu verleihen. Einige mochten den Braten gerochen haben, dass ich kein Offizier war, andererseits wollten sie nicht das Risiko eingehen, das zu hinterfragen. Denn es hätte ja sein können, dass ich tatsächlich, jung und gut aussehend, wie ich damals war, Major unserer sozialistischen nationalen Volksarmee war. Die Jungs wollten sich nicht gleich an ihrem ersten Tag mit einem möglichen Vorgesetzten anlegen, also schwiegen sie und dachten sich ihren Teil. Da ich nichts weiter zu fragen wusste, sagte ich, um sie aus der Erstarrung des Strammstehens zu befreien, man ist ja Mensch: "Rühren!" Ich machte akkurat kehrt und verließ den Raum. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, den Flur wieder betreten, sah ich die anderen, die sich um die offene Tür herum versammelt hatten und dieses Schauspiel beobachteten, wie sie wegrannten, um den 0-8-15-Insassen durch ihr dann wie ein Gewitter ausbrechendes Lachen nichts zu verraten. Sie brüllten wie am Spieß des Spaßes, ihnen flossen die Tränen herunter. Schnell befreite ich mich von den Schulterstücken, brachte die des ewigen Soldaten wieder an und ging schmunzelnd davon. Interessant ist, dass keiner der Drei- und Vieljährigen, zumindest jene, die in unserer Kompanie verblieben, später Meldung machte, als sie mich sahen, aber mit dem mickrigen Dienstgrad eines einfachen Soldaten. Danke, meine Herren, dachte ich später. Es kann aber auch sein, dass es deshalb zu keinem Anzinken kam, weil sie zwar eine Ähnlichkeit zwischen mir und diesem seltsamen Major entdeckten, aber sich wohl doch nicht vorstellen konnten, dass ein Soldat dieser ruhmlosen Armee es wagen würde, so etwas zu tun. Wie dem auch sei: mir war es eh wurscht, war ich doch Schreiber und die wichtigste Person nicht nur in der Kompanie, sondern im ganzen Bataillon, trotz mancher Scheiße, die ich als Ei den Offizieren auf den Schreibtisch gelegt hatte. Kurt W. Fleming heute Der Autor Kurt W. Fleming ist Jahrgang 1953. Der Diplom-Philosoph ist tätig als Verleger, Autor und Dozent für Web-Design, Grafik- und Layoutgestaltung. Der obenstehende Text ist ein Auszug aus dem Buch "Ein SCHWEJK in der NVA", mit 21 Zeichnungen von Michael Blümel, ISBN 3-933287-68-5, Preis: 12,90 Euro, Verlag Max-Stirner-Archiv Leipzig, Reihe: edition unica. Er widmete das Buch "seinem damaligen Freund FIPS, der kurz vor seiner Entlassung aus der NVA verstarb. Außerdem all jenen, die jede Unart von Armee ohne körperliche und/oder psychische Schäden überstanden haben und hoffentlich in Gegenwart wie in Zukunft davor gefeit sind, sich erneut diesem Irrsinn hinzugeben und MAX STIRNER, dem Zerstörer aller fixen Ideen, seien sie schwachsinnig, d.h. moralisch, ethisch, religiös, politisch oder wie auch immer verbrämt!" Quelle: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK |
SCHWEJK oder "SCHWEJK" 2005 Von Ein Kunde bei Amazon
Zu den weitverbreiteten bundesrepublikanischen Stammtischweisheiten gehörte einst diese: Die Bundeswehr ist ein schlapper Sauhaufen, der bei einem Krieg mit dem „Osten" keine fünf Minuten gegen die Truppen aus der „Zone" standhalten würde. O ja, die „Nationale Volksarmee" galt weithin als letzter Hort „preußischer Zucht und Ordnung". Daher denn auch gewisse Buchversandhäuser am rechten (!) Rand bis heute Videos und CDs mit Bild- und Tonaufnahmen der stechschreitenden, zapfenstreichelnden DDR-Armee „seligen" Angedenkens als Devotionalien für Ewiggestrige feilbieten - dabei wacker verdrängend, daß Anbieter wie Klientel vor 1990 die DDR allenfalls als bolschewistischen Gänsefüßchenstaat und terra irredenta zu kennen pflegten.
Nun, uns kann es gleichgültig sein, welcher der diversen Swingerclubs für Uniformfetischisten denn der disziplinierteste, schlagkräftigste oder was auch immer war oder ist - sind sie doch alle nichts weiter als der beredtste Ausdruck dessen, was alle Politterrorsysteme alias „Staaten" ausmacht: die Entmündigung und Opferung des Individuums im Namen irgendwelcher vorgeblicher „Kollektivinteressen", die von einer mehr oder minder großen Clique sogenannter „Politiker" in deren höchsteigenem Interesse (wenn auch mit heuchlerischen Etiketten wie „Gemeinwohl" versehen) für „heilig" erklärt werden. Umso willkommener soll uns jeder Versuch sein, den Staats- und ganz besonders den Armeeunfug zu „entheiligen" und so lächerlich zu machen, wie er das verdient. Diesem Zweck will auch ein neues Büchlein aus dem (nach wie vor rührigen und keineswegs vor der „Pleite" stehenden) „Max-Stirner-Archiv" in Leipzig dienen, das heuer am „Weltfriedenstag" (1. September) erschienen ist.
„Stirner-Archivar" Kurt W. Fleming selbst hat unter dem Titel „Ein 'Schwejk' in der NVA" Erinnerungen an seine achtzehnmonatige Wehrdienstzeit zwischen 1974 und 1976 zu Papier gebracht - und damit ein aufschlußreiches Portrait nicht nur von sich selbst, sondern erst recht von dem einstigen ostdeutschen Armeebetrieb gezeichnet. Ein „entheiligendes" Buch fürwahr, das aus dem Erfahrungsschatz eines Insiders und aus anarchischem Blickwinkel mit manchem Mythos rund um den ach so preußisch-disziplinierten Stechschritt-Automatismus der NVA aufräumt. Was bleibt, ist die Erinnerung an so vieles, was wohl jede Armee (unsere „freiheitlich-demokratische" Bundeswehr eingeschlossen) ausmacht: an „Radfahrerei", Intrigen, Schikanen, Mobbing, an dümmlich-sinnlose Rituale, stupideste etatistische Indoktrination und mentale Zermürbung, an Drückebergerei, Gammelei und Desorganisation hinter der „diszipliniert"-aktionistischen Fassade, an das ungenießbare Standardgericht „Tote Oma" in der Rekrutenkantine und an Aborthallen mit Toilettensitzen ohne Türen und Trennwände.
Und nicht zuletzt: die Erinnerung daran, daß es sogar in der Armee einer „Diktatur" eigentlich nur etwas Schlitzohrigkeit, Findigkeit und Zivilcourage braucht, um den Armeeapparat mit seiner überspannten „Gehorsams"- und „Disziplin"-Hysterie ad absurdum zu führen, nicht alles mitmachen zu müssen und sich selbst sowie seinen Kameraden zu etwas mehr Freiheit und menschlicher Behandlung zu verhelfen. Es wird kaum überraschen, daß auch in Flemings Buch deutlich wird, wie sich immer nur wenige zur „Empörung" aufraffen, während die meisten noch in geläufiger „Was soll man denn dagegen tun"-Manier artig-resigniert in der Kolonne „mitlaufen". Hat dann einer etwas getan und erreicht, flüchten freilich alle dankbar unter die Fittiche des vorangehenden „Hannemanns". Schöne Grüße von S. E. Parker, kann man da nur sagen. Etwas zu hoch greift für mein Empfinden der Buchtitel. So befreiend sich Flemings Erinnerungen auch lesen: den Vergleich mit dem naiv-hinterfotzigen Schwejk und seinem „Vater" Jaroslav Hasek halten der Soldat wie der Autor Fleming doch nicht so ganz aus. Doch mögen auch einige etwas „bemüht" oder selbstgefällig wirkende Formulierungen - vielleicht eine „Berufskrankheit" eines studierten Philosophen - nicht jedermanns Sache sein, so bietet Flemings Büchlein gleichwohl alles in allem einen lesenswerten Einblick in das Innenleben einer untergegangenen Armee - die dahingeschiedene ostdeutsch-sozialistische Spielart des leider noch sehr lebendigen Militarismus aller Zeiten und Staaten. Paul Jordens (Deutschland) Helfen Sie anderen Kunden bei der Suche nach den hilfreichsten Rezensionen War diese Rezension für Sie hilfreich? Ja Nein Missbrauch melden | Kommentar als Link Kommentar Kommentar
Fred Langenscheidt, 9. August 2005 Von Ein Kunde
(nach der lektüre des buches „ein schwejk in der nva" von kurt w. fleming) wenn man kurt w. fleming heute gegenübersteht- oder sitzt, würde man nicht unbedingt sofort auf den gedanken kommen, daß dieser mensch während seines militärdienstes bei der (seinerzeitigen) nva gleich mehrere magazine dreistigkeiten schwejkschen kalibers verschoß, sein habitus läßt zwar mitunter einen schelmischen charakter zum vorschein kommen, mehrheitlich jedoch benimmt er sich wie ein zerstreuter professor mit ausgeprägtem gerechtigkeitssinn.
da kann es schon mal passieren, daß fleming einen befreundeten anrufer aufgrund seiner stimme nicht gleich erkennt, auch wenn dieser anrufer sich mit seinem namen vorstellt, in weiser voraussicht gerade dadurch solch einer situation zu entgehen. menschen, die fleming noch nicht lange kennen, könnten durchaus der ansicht verfallen, auf diese art und weise hinters licht geführt zu werden. dem ist aber bestimmt nicht so. was bzw. wer dagegen mit authentischer sicherheit so eigenwillig wie zerstreut ist, steht fest: kurt w. fleming.
und genau diese tatsache macht das buch „ein schwejk in der nva" - unter anderem - lesenswert, niemand glaubt auf anhieb, daß da jemand, in diesem fall ein gemeiner soldat, mitte der siebziger jahre, inmitten der straffsten ddr und diplomatischer beziehungen der beiden geteilten deutschen staaten, die eher an vollautomatisierte gefrierkühlsysteme, als an außenpolitik erinnerten, die courage besaß, sich für seine kameraden einzusetzen, den gehorsam gegenüber offizieren zu verweigern, ja sie sogar vor manch einem braven soldaten lächerlich zu machen und bloßzustellen, ferner seine ohnehin mager ausfallenden urlaubstage um ein vielfaches zu erweitern [von 18 auf 72 tage], sich selbst für zehn minuten zum major zu befördern, kopfschütteln zu verbreiten, annähernd chaosähnliche zustände bis reine verzweiflung bei seinen vorgesetzten auszulösen, seine frau, will schreiben, seine waffe zu verlieren, und und und. derartige dreiste abenteuer und überraschungen wollen so gar kein ende nehmen.
viele der hier nur angedeuteten vorfälle bzw. ereignisse mögen den leser mitunter zum schmunzeln bringen, doch bei all den - ohne zweifel - witzigen, besser aberwitzigen situationen und begebenheiten, darf man eines nicht vergessen, nämlich den bitterernsten und oftmals gefährlichen hintergrund, denn fleming war nicht immer nach schwejkschen einlagen zumute, zu einzelnen abenteuern trieb ihn oftmals auch wut, enttäuschung, unverständnis und der sinn für gerechtigkeit, allein dies alles zu hinterfragen paßte so gar nicht in die ddr-denkstrukturen - geschweige denn zum militär. damals mußte er sich desöfteren fragen, was dieser ganze aus schwachsinnigen, aber auch sadistischen methoden, stupiden verordnungen, dumpfen befehlen, blindem gehorsam sowie staatspflichtgesättigtem abfall angehäufte martialische kram überhaupt für einen sinn hatte. was zu viel des schlechten, unerträglich oder schlichtweg inakzeptabel war, mußte „bekämpft" werden und zwar mit hintersinnigen sowie einfallsreichen, zuweilen auch kriminellen methoden - wenn man's aus damaliger militär- und staatverordneter sicht betrachtet. doch die entsprach wohl eher dem gesichtsfeld, das man durch einen verkehrt herum aufgesetzen helm einsehen konnte. was das betrifft, sind alle armeen der welt ähnlich strukturiert, auch wenn sich bei vielen mit der zeit „humanere" umgangsformen und dienstvorschriften durchgesetzt haben. am grundtenor der blindgehorsamen ausbilder, unzeitgemäßer verpflichtungs-phrasen, eingeübter und gedrillter daseinsformen der z.t. morbidesten art und disziplinärer malträtierungsprogramme ändert das nicht allzuviel.
die titelfotografie diese buches zeigt auf den ersten blick einen grinsenden soldaten in schwejkscher manier, doch dem darauf abgebildeten soldaten war seinerzeit alles andere als lustig zumute. es ist eine makabre situation: fleming „stranguliert" sich vor kameraden selbst mit dem maßband, daß jeder soldat bei sich führte, um jeden (in der regel) verfluchten tag, den man weniger abzuleisten hatte, abzuschneiden. doch auch hier, wie sollte es anders sein, tanzte soldat fleming kurzzeitig aus der reihe, denn er verlor sein maßband, konnte sich aber wieder eines besorgen. abgesehen davon war es den soldaten strengstens untersagt, innerhalb kasernen und militäranlagen zu fotografieren. allein bei dieser szene stand man schon mit einem bein in schwedt, einem seinerzeit berüchtigten militärgefängnis. nicht nur mit einem, sondern gleich mit mehreren - wäre der soldat fleming von der natur mit derlei anatomischer raffinesse ausgestattet worden - stand derselbige nahe dem eingangstor von schwedt. doch seine fähigkeiten in der schreibstube machten ihn für den ein oder anderen der offiziere unentbehrlich, schließlich hatte er keine beinprothese, wie einer der „neuen" rekruten, was der soldat fleming tatsächlich miterlebte, erstaunlicherweise aber nicht lange, denn diese kuriosität mußte selbst dem dümmsten und blindesten offizier auffallen.
wer hochliterarische ergüsse erwartet, wird nicht auf seine kosten kommen, andererseits mangelt es dem text bestimmt nicht an hintersinng formulierten pointen und bilderreichen bzw. plastischen schilderungen. fleming gelang mit seiner unvorbelasteten herangehensweise ein glaub-würdiges, authentisches und durchaus unterhaltsames, aber auch zum nachdenken herausforderndes buch, gestattet er uns leser doch einen blick hinter die - einmal salopp formuliert -, ddr-kulissen, dem alltag, nicht nur aus der sicht eines soldaten, sondern später auch eines kritischen ddr-bürgers, der selbst nach dem armeedienst nicht aufhörte, anzuecken.
für all diejenigen, die mehr über die ddr und ihren alltag aus der sicht eines eigenwilligen menschen erfahren und dennoch nicht auf unterhaltung verzichten wollen, ist dieses buch empfehlenswert. dabei denke ich im besonderen auch an die jüngere generation.