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Einleitung von Jay Forrester 

Ein Weltsystem (15)  Der Übergang zum Gleichgewicht (20)   Das Computer-Modell und die Lebensqualität (24)   Denkmodelle von Gesellschaftssystemen (29)   Computer-Modelle von Gesellschaftssystemen (30) 

 

   Ein Weltsystem  

15-31

Was verstehen wir unter einem gleichzeitig alles und nichts sagenden Begriff eines Weltsystems? Es ist ein System, dessen Elemente die Menschen selbst, ihre Sozialordnung, ihre Technologie und ihre natürliche Umwelt sind. Alle diese Elemente wirken zusammen. Daraus resultieren Wachstum, ständige Veränderungen und Belastungen. Das ist an sich nicht neu. 

Aber erst in letzter Zeit wird immer deutlicher, daß in diesem System Kräfte frei werden, die nicht mehr mit den einst so wirkungsvollen Mitteln der Bevölkerungs­verschiebung (Aus- und Einwanderung), der Expansion durch wirtschaftliches Wachstum und neue technische Entwicklungen niederzuhalten sind. Steigende Belastungen zeigen sich in rapider Bevölkerungszunahme, wachsender Umweltverschmutzung und ungleichem Lebensstandard. Sind dies Ursachen oder Wirkungen? Können diese Erscheinungen direkt bekämpft werden, oder liegen ihnen andere Ursachen innerhalb des Weltsystems zugrunde?

Es wird immer offensichtlicher, daß oftmals in der Vergangenheit Bemühungen zur Beseitigung manifest gewordener Belastungen darauf abzielten, Symptome zu kurieren, statt deren Ursachen zu beseitigen. Die gegenseitigen Verflechtungen in unserem Weltsystem werden immer dichter. Eine Maßnahme auf einem Gebiet kann Folgen in einem ganz anderen Sektor des Gesamtsystems nach sich ziehen. Oftmals sind diese Folgeerscheinungen nicht nur unerwartet, sondern auch unerwünscht. Wir müssen wesentlich besser verstehen lernen, wie sich die wichtigsten Elemente in unserem System weltweit beeinflussen, wenn wir darauf vertrauen wollen, daß unsere Handlungen zu echten Verbesserungen führen und nicht im Endeffekt die Zustände nur noch schlimmer machen.

Unsere Kenntnisse und unsere Annahmen über die Komponenten eines Systems, das selbst so komplex sein mag, wie es Sozialsysteme sind, können heute durch Methoden überprüft werden, die erst in den letzten Jahr­zehnten entwickelt wurden. Man faßt hierzu die einzelnen Vorstellungen und Begriffe systematisch zu einem Modell zusammen, das nicht nur die Folgerungen aufzeigt, die sich aus unseren Annahmen und fragmentarischen Kenntnissen ergeben, sondern auch die inneren Widersprüche unserer Vorstellungen. Eine derartige Untersuchung kann zu einem wesentlich besseren Verständnis des Gesamtsystems führen, in dem wir leben.

Dieses Buch stellt ein solches dynamisches weltweites Modell vor, in dem die Auswirkungen des Bevölkerungswachstums, der Kapitalinvestitionen, des geographischen Lebensraums, der Rohstoffvorräte, der Umwelt­ver­schmutzung und der Nahrungsmittelproduktion miteinander in Beziehung gesetzt sind: die Hauptfaktoren, deren gegenseitige Wirkungen die Dynamik unseres Weltsystems offensichtlich bestimmen. Der Bevölk­erungs­zuwachs erzeugt den Drang zu verstärkter Industrialisierung, erhöhter Nahrungsmittelproduktion, Besiedlung von mehr Bodenfläche. 

Aber mehr Nahrung, mehr Industriegüter und mehr Siedlungsland begünstigen eine weitere Bevölkerungszunahme. Die Bevölkerungszunahme und ihre Begleit­erscheinungen Industrialisierung und Umweltbelastung sind die Ergebnisse aus Kreisprozessen, wobei jeder Sektor das Wachstum aller anderen hervorruft und unterstützt. Allmählich nähert sich das Wachstum den von der Natur gesetzten Grenzen. Es gibt nicht mehr genügend unbesiedeltes Land, die Rohstoffquellen sind begrenzt und gehen zur Neige, das biochemisch-physikalische System, das die Abfallstoffe wieder abbaut, wird überlastet.

Der Konflikt zwischen den Kräften des Wachstums und den naturgegebenen Beschränkungen kann zu sehr verschiedenen Ergebnissen führen. Sofern die Menschen genügend Einsicht aufbringen und auch vernünftig handeln, können sie einen Weg einschlagen, der aus den Bedrängnissen mit wesentlich besseren Ergebnissen herausführt, als sie die gegenwärtig noch üblichen Maßnahmen, Verhaltensweisen und politischen Vorstellungen zeitigen. Es geht darum, den bestmöglichen Übergang vom dynamischen Wachstum zu einem günstigen Zustand zu finden, in dem ein weltweites Gleichgewicht herrscht.

Seit Malthus vor rund 150 Jahren den Zusammenhang zwischen Bevölkerungszahl und Ernährung aufgezeigt hat, wird darüber debattiert, ob seine Annahme, Nahrungsmangel setze der Bevölkerungszunahme schließlich eine endgültige Grenze, richtig oder falsch ist. Das ständige Wachstum der Weltbevölkerung und die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität werden gern zitiert, um Malthus zu widerlegen. Daß aber Malthus eine dem ständigen Bevölkerungswachstum gezogene absolute Grenze aufgezeigt hat, kann nicht bestritten werden. 

Seine Thesen sind nicht irrig, sie sind nur unvollständig. Nahrungsmittelmangel muß nicht der Faktor sein, der vor allem anderen weiteres Bevölkerungs­wachstum schließlich begrenzt. Andere Faktoren innerhalb des soziologisch-technologischen Systems unserer Erde können weiteres Wachstum eher verhindern als schließlich der Hunger. 

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Seitdem es überhaupt eine geschriebene Geschichte gibt, sind die Bevölkerungszahlen, die Kapitalinvestitionen, der Nahrungsverbrauch, der Lebensstandard und damit auch die entstehenden Abfallmengen ständig und exponentiell gestiegen. Die Menschheit hat sich an ein ständiges Wachstum so gewöhnt, daß sie es als eine natürliche und selbstverständliche menschliche Verhaltensweise betrachtet und es kurzerhand mit »Fortschritt« gleichsetzt. Wir sprechen von der prozentualen jährlichen Zunahme der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts und der Bevölkerung. Alle Größen, die um einen bestimmten jährlichen Prozentsatz zunehmen, zeigen exponentielles Wachstum. Aber niemals kann ein exponentielles Wachstum unendlich weitergehen.

Charakteristisch für rein exponentielles Wachstum ist die Existenz einer »Verdopplungszeit«: Jeweils in einer bestimmten gleichbleibenden Zeitspanne verdoppelt sich die wachsende Größe. Dies ist irreführend und täuschend. Viele Verdopplungszeiten können verstreichen, ohne daß die wachsende Größe einen Wert erreicht, der Aufmerksamkeit verdient. Dann aber, innerhalb einer oder zwei weiterer Verdopplungszeitspannen, ufert sie aus, obwohl sie mathematisch exakt noch immer demselben exponentiellen Wachstumsgesetz folgt. Selten wird der psychologische Schock, zu dem exponentielles Wachstum führen kann, richtig eingeschätzt. Irgendeine physikalische Gegebenheit bildet die endgültige Grenze, die fortdauerndem exponentiellem Wachstum entgegensteht. Die wachsende Größe bleibt lange Zeit sehr viel kleiner als dieser Grenzwert. Möglicherweise wird gar nicht offensichtlich, daß überhaupt ein solcher Grenzwert existiert. 

Es zeigt sich scheinbar kein Widerspruch zwischen dem Wachstum und einer vorgegebenen Wachstumsgrenze; nichts deutet die möglichen Gegen­wirkungen an, die entstehen, wenn das Wachstum den Grenzwert erreicht. Aber innerhalb einer einzigen Verdopplungs­zeitspanne wächst die Größe dann vom halben Grenzwert bis zur endgültigen Wachstumsgrenze. Jetzt erst wird der Druck der übermäßigen Expansion so klar erkennbar, daß er nicht mehr zu übersehen ist. Wenn die Gegenwirkungen, die sich bei einer Annäherung an den Grenzwert einstellen, nicht rasch so groß werden, daß sie jedes weitere Wachstum unterdrücken, überschreitet die wachsende Größe den Grenzwert und löst Gegenwirkungen aus, die rasch jedes weitere Wachstum abwürgen.

Nur im Zusammenhang mit einer bestimmten Grenzgröße zeigt das exponentielle Wachstum seine wahre Natur. Sie kann am einfachsten anhand eines Beispiels verdeutlicht werden. Wir wollen - ganz willkürlich - von einer Bevölkerung mit einer Million Köpfen ausgehen, die sich jeweils in 50 Jahren verdoppelt. Die Tabelle in Abbildung 3 zeigt die Bevölkerungszunahme: Nach 700 Jahren ist sie von einer Million auf 16384 Millionen gestiegen — die Hälfte davon, also 8192 Millionen, wachsen aber allein in den letzten 50 Jahren dieser sieben Jahrhunderte hinzu.

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Abbildung 3 gibt die Werte der Wachstumstabelle als die ausgezogene Kurve grafisch wieder. Nun wird willkürlich eine Bevölkerungszahl von acht Milliarden als kritische Größe angenommen, oberhalb der weiteres Wachstum so viel Gegenkräfte auslöst und Belastungen erzeugt, daß es zu sehr schweren Konflikten kommt. In einer Darstellung wie auf Abbildung 3 ist es günstig, wenn man den vertikalen Maßstab so wählt, daß die kritische Größe etwa auf halber Höhe liegt. Diese Wahl des Maßstabs und nicht etwa irgendeine Änderung der Wachstumsrate ist die Ursache dafür, daß die Wachstumskurve ab einer bestimmten Bevölkerungszahl plötzlich so steil erscheint. 

Es läßt sich zeigen, daß das exponentielle Wachstum völlig unabhängig von der gewählten Ausgangsgröße in stets gleicher Form zu einem Grenzwert tendiert. Wir brauchen zum Beispiel nur anzunehmen, die kritische Größe werde schon bei 800 Millionen Menschen statt erst bei acht Milliarden erreicht. Für diese Voraussetzung besitzt die Darstellung 3 eine zweite vertikale Skala rechts der ersten, deren Zahlenwerte um jeweils eine Zehnerpotenz niedriger sind als die der äußeren Skala. Eine zweite gestrichelte Kurve ist eingezeichnet, die sich auf die innere Skala bezieht. Die Größen, auf denen diese gestrichelte Kurve beruht, sind der Wachstumstabelle entnommen, aber eben entsprechend der zehnfach vergrößerten inneren Vertikalskala eingetragen. Es zeigt sich, daß eine zehnmal niedrigere kritische Größe nur 170 Jahre früher erreicht würde. Aber die Kurvenformen und ihr plötzlicher Anstieg sind sich sonst völlig gleich. 

Die Schockwirkung, die das exponentielle Wachstum schließlich hervorruft, kommt keineswegs etwa von einer plötzlichen Änderung der Wachstumsrate, sondern von der plötzlich einsetzenden, unerwartet raschen Annäherung an die Wachstumsgrenze. Dies zwingt dazu, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die es zwar schon immer gab, die man aber einfach ignorieren konnte, weil sie bedeutungslos erschienen. Wie Abbildung 3 zeigt, erreichte die Kopfzahl unserer Bevölkerung in unserem Anschauungsbeispiel erst nach 600 Jahren die Hälfte der kritischen Größe. Während dieser sechs Jahrhunderte war eine Bevölkerungszunahme sehr wünschenswert; es schien keine Wachstumsgrenzen zu geben. 

Aber dann erreicht innerhalb von 50 Jahren, einer geschichtlich fast bedeutungslosen Zeitspanne, die Bevölkerung die kritische Kopfzahl, die Kurve schneidet die Linie der kritischen Größe. In weniger als einem Menschenalter verlieren alle Traditionen und gewohnten Erwartungen ihre Gültigkeit — obwohl sich nichts an dem naturgesetzlichen Ablauf der Bevölkerungszunahme geändert hat. In sechs Jahrhunderten hat sich die Bevölkerung zwölfmal verdoppelt. Zwischen dem 600. und dem 700. Jahr verdoppelt sie sich nur zweimal, aber in diesem einen Jahrhundert zeigt sich mit Nachdruck, daß das bisherige Wachstumsgesetz seine Gültigkeit verloren hat.

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Abb. 4: 
Den Mechanismus
zusammen­wirkender 
Einflüsse bei einer 
Überlastung der Umwelt 
zeigen ein überreiches 
Nahrungs­mittelangebot 
ebenso wie die 
Umwelt­verschmutzung.

 

 

    

19


Innerhalb eines Menschenalters können bislang schlafende Kräfte in dem System unserer Welt erwachen, um dann entscheidend die weitere Entwicklung zu bestimmen. Geringer werdende Nahrungsmittelversorgung, steigende Umweltverschmutzung und abnehmender Lebensraum pro Kopf können, sich gegenseitig ergänzend, bald so schwerwiegende Belastungen hervorrufen, daß die Geburtenziffer fällt und die Sterbeziffer steigt. Wenn Grenzwerte erreicht werden, verstärken sich die negativen Einflüsse so lange, bis die gewohnten Wachstumsprozesse zum Erliegen kommen. 

In einer kurzen Zeitspanne wird der Menschheit die Erkenntnis aufgezwungen, daß die so offensichtlichen Gesetze exponentiellen Wachstums keine gültige Beschreibung des Naturgeschehens darstellen. Andere fundamentale Gesetze in Natur und Gesellschaft schlummern im Hintergrund, bis die Zeit für sie reif ist. Die Gegenkräfte in unserem Weltsystem werden mit Sicherheit derartige Größen erreichen, daß sie das weitere Wachstum unterdrücken.

 

    Der Übergang zum Gleichgewicht   

 

In diesem Buch werden einige der Einflüsse analysiert, die ein zu weitgehendes Wachstum beschränken können. Wir werden untersuchen, welche Veränderungen eintreten können, um das exponentielle Wachstum zu unterbinden, indem wir mit einer Analyse des Übergangs von einer Welt des Wachstums zu einer im Gleichgewicht befindlichen beginnen.

Es ist zwar erstaunlich, wie rasch, entsprechend Abbildung 3, das exponentielle Wachstum zuvor nicht weiter relevante Grenzwerte erreichen kann. Aber Belastungen entstehen in dynamischen Systemen noch rascher, als es die exponentiellen Kurven in Abbildung 3 veranschaulichen. Sehr oft findet eine exponentielle Expansion in einem schrumpfenden Raum statt. Man kann sich eine Bevölkerung vorstellen, die innerhalb eines bestimmten geographischen Gebietes anwächst. 

Wir nehmen an, daß jede Person als »Siedlungsraum« eine Flächeneinheit beansprucht. Siedlungsraum in diesem Sinn ist die von Hausbau, von Sport und Freizeit, von Industrie und Handel, von Verkehr, von der Müllbeseitigung beanspruchte Fläche. Für eine angemessene Ernährung braucht jede Person ferner zwei weitere Flächeneinheiten, die zur Nahrungsmittelproduktion genutzt werden. Daß es Grund und Boden verschiedener Qualität und Unterschiede bei der landwirtschaftlichen Produktivität gibt, wollen wir hier vernachlässigen, um das Beispiel nicht zu komplizieren. Wenn der Siedlungsraum von der gesamten Landfläche abgezogen wird, bleibt der Rest für die landwirtschaftliche Nutzung. Auf Abbildung 5 ist der Zusammenhang zwischen landwirtschaftlich genutzten Flächeneinheiten/Kopf und entsprechendem pro Person zur Verfügung stehenden Nahrungsmittelangebot dargestellt. 

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Horizontal sind die Flächeneinheiten/Kopf eingetragen, die nach Abzug des Wohnraums übrigbleiben. Die vertikale Achse ist in die Kennziffern für die Nahrungsmittel/Kopf unterteilt. Wenn zum Beispiel auf jede Person zwei Flächeneinheiten entfallen, so gibt die Kurve eine Nahrungsmittelziffer von eins an, die einer gerade ausreichenden Ernährung entspricht. Vier Flächeneinheiten pro Person entsprechen einer Nahrungsmittelziffer von 1,3. Die auf jede Person entfallenden Nahrungsmittelmengen steigen nicht linear mit dem jeder Person für die Nahrungsmittelerzeugung zur Verfügung stehenden Land; denn mehr als übersatt kann man nicht werden. Überflüssige Nahrung wird nicht gebraucht, und es gibt auch keine Arbeitskräfte, die sie erzeugt. Aber nach links, mit abnehmender Landfläche pro Person, fällt die zur Verfügung stehende Nahrungsmittelmenge rapide und erreicht den Wert null, wenn kein landwirtschaftlich genutztes Land mehr vorhanden ist.

Abbildung 5 zeigt den Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelerzeugung/Kopf und landwirtschaftlich genutzter Fläche/Kopf Nur der allgemeine Verlauf der Kurve ist hier von Interesse. Sie zeigt links die Binsenwahrheit, daß auf gar keinem Land auch keine Nahrung wächst; ihr Verlauf nach rechts illustriert aber, daß die Verwertbarkeit von Nahrungsmitteln rasch fällt, wenn die Bedürfnisse jedes einzelnen befriedigt sind. Das Diagramm verknüpft eine physikalisch veränderliche Größe (Landfläche/Kopf) mit einer Kennziffer für die Befriedigung eines Lebensbedürfnisses — oder anders ausgedrückt einer Lebensqualität (Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln). In einem umfassenderen System wäre die Größe Nahrungsmittel/Kopf ein Faktor, der die Geburtenziffer und die mittlere Lebensdauer bestimmt. Prinzipiell macht die Kurve klar, wie verschiedenartige Faktoren in einem vielfältigen System miteinander verknüpft sind. Im folgenden Kapitel werden noch viele solcher Beziehungen zwischen demographischen, industriellen, landwirtschaftlichen und anderen Faktoren erläutert, besonders solche, die aus dem steigenden Verbrauch der Rohstoffe und der Umweltverschmutzung resultieren.

Auf der Tabelle 6 sind wieder die Wachstumszahlen der Bevölkerung wie auf Tabelle 3 aufgeführt (Spalte 2). Diese Bevölkerung verteilt sich nach unserer Annahme auf ein Landgebiet mit 24 Millionen Flächeneinheiten. In der dritten Spalte sind die Flächeneinheiten aufgeführt, die von der wachsenden Bevölkerung jeweils als Siedlungsraum beansprucht werden, wenn jede Person eine Einheit dafür nutzt. Was dann jeweils von den 24 Millionen Flächeneinheiten für die landwirtschaftliche Nutzung übrigbleibt, zeigt Spalte 4; wieviel davon auf jede Person entfällt, ist in Spalte 5 aufgeführt. In der sechsten Spalte steht jeweils die Nahrungsmittelziffer, die sich entsprechend dem Diagramm 6 ergibt. In den ersten 600 Jahren ist Land im Überfluß vorhanden. Obwohl die Bevölkerung in dieser Zeit auf das Viertausendfache steigt, fällt die landwirtschaftlich genutzte Gesamtfläche nur um 17 Prozent (Spalte 4). Die Nahrungsmittelziffer bleibt praktisch konstant auf dem Maximalwert, der die Nahrungsmittelmenge kennzeichnet, die der einzelne verbrauchen kann. 

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Abb. 5:  Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche/Kopf ist mit der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln verknüpft. 

 

Während der nächsten 100 Jahre vervierfacht sich die Bevölkerung nur noch, aber die landwirtschaftlich nutzbare Fläche fällt nunmehr um weitere 62 Prozent. Jetzt gehen die als Siedlungsraum notwendigen Landflächen auf Kosten der Kulturlandflächen, die man unbedingt zur Nahrungsmittelerzeugung braucht. Nahe der kritischen Größe beginnt die landwirtschaftlich nutzbare Fläche pro Person rapide abzusinken. Aber erst in den letzten 40 Jahren der ganzen 700jährigen Epoche sinkt die Nahrungsmittelziffer unter eins, die eine ausreichende Ernährung kennzeichnet, erst dann beginnt der Hunger. Das wird in dem Diagramm Abbildung 7 grafisch dargestellt. 

600 Jahre lang gibt es Nahrungsmittel im Überfluß. Dann sinkt die Ernährung plötzlich so stark, daß der Hunger jedes weitere Wachstum verhindert. Nicht nur in den Vereinigten Staaten dehnen sich die Städte immer rascher über ehemaliges Kulturland aus. Alle landwirtschaftlich nutzbaren Bodenflächen sind fast vollständig kultiviert. Es gibt kaum noch ungenutztes Ackerland. Tausende von Hektar Kulturboden verschwinden monatlich in New Jersey und Kalifornien unter Wohnsiedlungen und Industriebauten. Seit 1945 wurde die Hälfte alles bebaubaren Bodens in New Jersey, dem »Gartenstaat«, der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Der Verlust an Kulturland tritt zwar noch nicht in Erscheinung, weil durch Mechanisierung der Landarbeit, Bewässerungsmaßnahmen, Schädlingsbekämpfung und hochgezüchtete Nutzpflanzen der Pro-Hektar-Ertrag der noch genutzten Flächen verbessert wurde. Aber auch dies geht nicht unendlich lange so weiter. Sobald die auf den Abbildungen 6 und 7 grundsätzlich skizzierten Prozesse wirksam werden, fällt der Exportüberschuß an landwirtschaftlichen Produkten. Wenn dann dieser Exportanteil der Produktion voll dem internen Verbrauch zugeführt wird, zeigt sich erst die volle Bedeutung der Kurve auf Abbildung 7. Jahrzehntelang hatten die USA mit dem Problem der landwirtschaftlichen Überschüsse zu kämpfen. 

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Jahre

Bevölkerung in Millionen

Flächeneinheiten für Siedlungsraum in Millionen

Flächeneinheiten für landwirtschaftl. Nutzung

Flächeneinheiten für landwirtschaftl. Nutzung/Kopf

Nahrungsmittel-
erzeugung
/ Kopf

Abb. (Tabelle) 6:  
Nahe der kritischen Größe 
nimmt die landwirtschaftlich nutzbare Fläche 
rapide ab.

 

0

1

1

23.999

23.999

1,35

50

2

2

23.998

11.999

1,35

100

4

4

23.996

5.999

1,35

150

8

8

23.992

2.999

1,35

200

16

16

23.984

1.499

1,35

250

32

32

23.968

749

1,35

300

64

64

23.936

374

1,35

350

128

128

23.872

187

1,35

400

256

256

23.744

93

1,35

450

512

512

23.488

46

1,35

500

1.024

1.024

22.976

22

1,35

550

2.048

2.048

21.952

10,72

1,35

600

4.096

4.096

19.904

4,86

1,34

620

5.405

5.405

18.595

3,44

1,26

640

7.132

7.132

16.868

2,37

1,09

660

9.410

9.410

14.590

1,55

0,85

680

12.417

12.417

11.583

0,93

0,57

700

16.384

16.384

7.616

0,46

0,30

 

      

Abb. 7: 
600 Jahre gibt es Nahrungsmittel im Überfluß. 
Dann sinkt die Ernährung plötzlich so stark, 
daß der Hunger jedes weitere Wachstum verhindert.

 

Das traditionelle Denken mit Überschußziffern kann sehr wohl dazu führen, daß eine drohende Verknappung der Nahrungsmittel nicht erkannt wird, bis es zu spät ist, aus der zu Ende gehenden Wachstumsphase in einen erträglichen langfristigen Gleichgewichtszustand umzusteuern. In der Praxis verläuft sehr wahrscheinlich die Kurve der Nahrungsmittelziffer nicht ganz so steil nach unten wie auf dem Diagramm 7, da es landwirtschaftliche Nutzflächen verschiedener Qualität gibt und unter dem Druck des Hungers auch minderwertiges Land optimal genutzt wird. Der Bevölkerungszuwachs würde sich allmählich verlangsamen. Die Kurve würde nicht so weit fallen wie in dem Diagramm, bei dessen Aufstellung kurzerhand angenommen wurde, die Bevölkerung wachse unkontrolliert bis zum Verhungern aller weiter. So weit kommt es in der Praxis nicht.

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Aber das Zusammenwirken von Bevölkerungszunahme bei abnehmendem Lebensraum ist eine allgemeine Erscheinung: Sie hat noch weitergehende Folgen als eine Verknappung der Nahrungsmittel. Mit steigender Bevölkerung wächst auch der Verbrauch der Rohstoffvorräte. Die noch verbleibenden Vorratsmengen werden immer kleiner bei zunehmender Nachfrage. Mit verstärkter Industrialisierung werden entsprechend größere Abfallmengen produziert. Dies kann die natürlichen Abbauprozesse mehr und mehr zum Erliegen bringen. Dann trifft verringerte Abbaufähigkeit unseres Lebensraumes mit immer weiter steigenden Abfallmengen zusammen. 

In diesem Buch wird der Mechanismus der zusammenwirkenden Einflüsse bei Überlastung der Umwelt auf weltweiter Basis analysiert. Für die Zukunft der Erde zeigen sich verschiedene Alternativen, abhängig davon, ob das Bevölkerungswachstum schließlich durch einen Mangel an Rohstoffen, durch Umweltverschmutzung, Bevölkerungsdruck und dadurch verursachte schwere soziale Kämpfe oder durch Hunger abgewürgt wird. Malthus beschäftigte sich nur mit der zuletzt angeführten Möglichkeit, aber es ist sehr wohl möglich, daß die Zivilisation das Opfer anderer Gegenkräfte schon vor Eintritt einer Hungersnot wird. Wenn wir nicht bald lernen zu handeln, werden wir von unserem sozialen und ökonomischen System überrannt, das wir zwar geschaffen haben, dann aber nicht beherrschen konnten.

 

    Das Computermodell und die Lebensqualität   

 

Aufgrund von Tatsachen, Beobachtungen und Annahmen über das Weltsystem können wir — wie später ausführlich dargestellt wird — vorsichtige Schlüsse aus dem Verhalten des Computermodells ziehen. Es stellt das Zusammenwirken demographischer, wirtschaftlicher, landwirtschaftlicher und technologischer Faktoren dar und weist eine Fülle verschiedenartig möglicher Wirkungsweisen auf. Welche dieser Vorgänge in Zukunft die wahrscheinlichsten sein werden, hängt von den Maßnahmen ab, die wir ergreifen. Noch gibt es frei wählbare Möglichkeiten.

Das Weltsystem zeigt sehr verschiedenartige Verhaltensweisen, je nach den Maßnahmen, die der Mensch ergreift, um das Bevölkerungswachstum, die Kapitalinvestition, Verbrauchstempo der Rohstoffe, die Umweltverschmutzung und die Erzeugung landwirtschaftlicher Güter zu steuern. Das Diagramm 8 zeigt eine mögliche Zukunftsentwicklung: Bevölkerung und Kapitalinvestition steigen so lange, bis die Abnahme der Rohstoffe ein weiteres Wachstum zum Erliegen bringt; die Abnahme führt dazu, daß die höchste erreichte Bevölkerungszahl nicht gehalten werden kann; Bevölkerung und Kapitalinvestition nehmen wieder ab. Der Index für die Qualität des Lebens, dessen zeitlicher Verlauf auch im Diagramm 8 wiedergegeben ist, hängt ab vom materiellen Lebensstandard, der Nahrungsmittelversorgung, dem Ballungsgrad der Bevölkerung und der Umweltverschmutzung. Diese Lebensqualität, ein Begriff, der bei unseren Untersuchungen eine entscheidende Rolle spielt und dem wir noch oft begegnen werden, fällt dann ebenfalls als indirekte Auswirkung des zunehmenden Mangels an Rohstoffen. Dies wird später eingehend erläutert werden.

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Aber die Knappheit an Rohstoffen braucht keineswegs die wichtigste und wahrscheinlichste Belastung zu sein, die das weitere Wachstum der Menschheit zum Erliegen bringt. Die Erde steuert offensichtlich auf einen Zustand zu, in dem jeder der genannten einzelnen Faktoren, die das weitere Wachstum unterdrücken könnten, gleichzeitig starke Belastungen freisetzen könnte. Es läßt sich zwar noch nicht sagen, welcher dieser Faktoren schließlich dominieren wird, wenn die Menschheit sich wie gegenwärtig weiterentwickelt, aber das anfängliche Wachstum und die dann folgende allmähliche Abnahme der Bevölkerung wirken weitaus weniger bedrückend als eine durch das Systemverhalten erzwungene Wachstumsreduzierung.

Die Wissenschaft könnte zum Beispiel Wege finden, sich heute noch weitgehend ungenutzte Metallarten nutzbar zu machen und neue Energiequellen zu erschließen, so daß sich eine Abnahme der natürlichen Rohstoffvorräte nicht auswirkt. Tritt das ein, geht das Wachstum weiter, bis andere Belastungen innerhalb des Systems wirksam werden. Wie das Diagramm verläuft, wenn die Menschheit den Mangel an natürlichen Bodenschätzen voraussieht und ihn vermeidet, zeigt Abbildung 9. Gegenüber Abbildung 8 wurde im Computermodell lediglich das Rohstoffverbrauchstempo nach 1970 geändert. Es wurde vorausgesetzt, daß nach diesem Jahr die Verbrauchsrate um 75 Prozent gekürzt ist. Wir wollten sehen, ob sich ein positiveres Zukunftsbild ergibt, wenn man davon ausgeht, daß die Technik den Lebensstandard aufrechterhalten kann, ohne die nicht mehr ersetzbaren Rohstoffe so rasch wie bisher auszubeuten.

Aber das Bild wird noch unerfreulicher. Wenn die Rohstoffe keine Rolle mehr spielen, wachsen Bevölkerung und Kapitalinvestition so lange, bis eine Krise durch die Umweltverschmutzung eintritt. Die rapid ansteigende Belastung führt dann, wie im Diagramm 9, unmittelbar zu einer Senkung der Geburtenzahl, erhöhter Sterbezahl und zu verminderter Nahrungsmittelerzeugung. 

In diesem einfachen Modell ergibt sich ein Bevölkerungsanstieg bis zum Jahre 2030, dann fällt die Weltbevölkerung innerhalb von 20 Jahren auf ein Sechstel ihres Höchststandes. Ein derartiger Bevölkerungskollaps wäre eine Menschheitskatastrophe. Vorausgesetzt, daß es so weit kommt, ist es kaum fraglich, welche Teile der Weltbevölkerung davon am stärksten betroffen würden. Sehr wahrscheinlich wären die Industriestaaten, aus denen die Verschmutzung stammt, am wenigsten in der Lage, diese rapide Änderung ihrer Umwelt und Nahrungsmittelversorgung zu überstehen. Sie hätten die Hauptlast des Zusammenbruchs zu tragen. 

Gegenwärtig entwickeln sich unterschwellig starke Zweifel, ob die Technik ein Segen der Menschheit ist. Das Beispiel des Diagramms 9 zeigt, wie ein einziger technologischer Erfolg (die Verminderung der Abhängigkeit von den Rohstoffreserven) uns zwar von einem Übel bewahren, dafür aber zu Opfern eines sehr viel schlimmeren Schicksals machen kann.

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Die folgenden Feststellungen beruhen auf dem dynamischen Verhalten der in unserem Weltmodell wirksamen Kräfte. Es sind vorläufige Feststellungen; sie müssen noch gründlicher untersucht und durch weitere Forschungen über die angenommene Struktur und die Details dieses Systems bestätigt werden. Weitere Arbeiten können das sich gegenwärtig abzeichnende Bild erheblich verändern; auf jeden Fall werden sie zu neuen und tieferen Einsichten in das zukünftige Verhalten des Weltsystems führen.

 

  

Abb. 8:
Der Mangel an Rohstoffen 
bringt das weitere Wachstum 
der Menschheit zum Erliegen.

 

26


 

    

Abb. 9:  
Die Änderung des 
Rohstoff­verbrauchstempos nach 1970 
führt zu einer Krise 
durch Umwelt­verschmutzung.

 

 

1. Die Industrialisierung kann einen weitaus stärkeren Störfaktor für das Gleichgewicht darstellen als die Bevölkerung. Tatsächlich läßt sich die Bevölkerungsexplosion am besten als eine Auswirkung von Technologie und Industrialisierung interpretieren. Medizin und öffentliches Gesundheitswesen gehören in diesem Sinn zur Industrialisierung.

2. Innerhalb des nächsten Jahrhunderts kann sich die Menschheit vor das Problem gestellt sehen, zwischen vier Übeln zu wählen: Unterdrückung der Industriegesellschaft durch einen zunehmenden Mangel an natürlichen Rohstoffen; Abnahme der Weltbevölkerung durch die Umweltverschmutzung (Bevölkerungsdruck); Begrenzung der Bevölkerungszahl durch den Nahrungsmittelmangel oder Bevölkerungskollaps durch Krankheiten, Kriege und sozialen Druck, hervorgerufen durch physischen und psychischen Bevölkerungsdruck.

3. Wir leben wahrscheinlich in einem »goldenen Zeitalter«, da trotz eines weltweit verbreiteten Gefühls des Unbehagens die durchschnittliche Lebensqualität niemals so hoch war wie heute und in der Zukunft nicht auf dieser Höhe gehalten werden kann.

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4. Die Ermahnungen und Maßnahmen zur Geburten- und Bevölkerungsbeschränkung können sich selbst in ihren Wirkungen neutralisieren. Wenn die Bevölkerungskontrolle wirksam wird und, wie erhofft, zu einer höheren Ernährungsrate pro Kopf und zu einem höheren Lebensstandard führt, würden diese Erfolge sofort wieder den Druck mindern, der die Bevölkerungsbeschränkung auslöste, und dadurch Wirkungskräfte freisetzen, die erneut zu einer Bevölkerungszunahme führen.

5. Der hohe Lebensstandard in der modernen Industriegesellschaft rührt offensichtlich davon her, daß die Zunahme der Nahrungsmittel- und Güterproduktion die Bevölkerungszunahme übertrifft. Wenn jedoch die Landwirtschaft eine Flächengrenze und die Industrialisierung eine Grenze bei der Ausbeutung der Bodenschätze und beide zusammen eine bestimmte Grenze der Umweltverschmutzung erreichen, holt die Bevölkerung auf. Sie wächst dann nur noch so weit, bis die Lebensqualität so stark fällt, daß die weitere Bevölkerungszunahme unterdrückt wird.

6. Es zeigt sich keine reale Hoffnung für die unterentwickelten Gebiete, den gegenwärtigen Lebensstandard der Industrienationen zu erreichen. Jeder in einer Industrienation lebende Mensch belastet seine Umwelt durch Schadstoffabgabe und Verbrauch an Rohstoffen etwa 20- bis 50mal stärker als eine Person in einem unterentwickelten Land. Es gibt viermal mehr Menschen in unterentwickelten als in hochindustrialisierten Gebieten. Erhöht man den Standard der unterentwickelten Länder auf den der Industriestaaten, würde dies etwa einen zehnfachen Verbrauch der natürlichen Rohstoffe und eine ebenso stark vermehrte Umweltbelastung bedeuten. In Anbetracht der bereits erkennbaren destruktiven Erscheinungen auf dem Festland, in der Luft und besonders in den Ozeanen besteht auf der Erde für eine derartige Lebensstandarderhöhung heute schon nicht mehr genügend Kapazität. Tatsächlich könnte die gegenwärtig bestehende Ungleichheit zwischen den unterentwickelten und den industrialisierten Staaten eher durch eine Entwicklungshilfe statt durch einen Wachstumshalt ausgeglichen werden.

7. Es kann sich erweisen, daß eine Gesellschaft auf einer hohen Industrialisierungsstufe dieses Stadium nicht aufrechterhalten kann. Sie kann sich selbst auslöschen, wenn sie die Rohstoffquellen erschöpft, von denen sie abhängig ist. Wenn sie sich aber für die abnehmenden Rohstoffvorräte einen vollen Ersatz zu schaffen vermag, können die entstehenden internationalen Bestrebungen zum Schutz des Lebensraumes den durchschnittlichen Lebensstandard weltweit auf den vor einem Jahrhundert erreichten Stand zurückholen.

8. Langfristig, für das nächste Jahrhundert gesehen, erscheinen die gegenwärtigen Anstrengungen der unterentwickelten Länder für eine Industrialisierung sehr unklug; denn die unterentwickelten Gebiete sind möglicherweise dem Zustand des zu erstrebenden Gleichgewichts mit der Umwelt näher als die Industrienationen. Sie befinden sich dann in einer günstigeren Ausgangslage, um den zu erwartenden weltweiten Belastungen durch die Umwelteinflüsse und die bedrängte Wirtschaftslage zu begegnen, als die sogenannten fortschrittlichen Länder. Wenn irgendeiner der verschiedenen Faktoren, die einen Bevölkerungskollaps herbeiführen können, tatsächlich wirksam wird, werden die unterentwickelten Gebiete weit weniger Opfer zu bringen haben als der Rest der Menschheit. Die weniger organisierten und integrierten Wirtschaftssysteme mit einem geringeren Grad an Spezialisierung werden sehr wahrscheinlich auch weniger störungsanfällig sein.

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 Denkmodelle von Gesellschaftssystemen 

 

Der Gebrauch von Modellen zur Darstellung von Gesellschaftssystemen ist keineswegs neu. Jeder Mensch benutzt Modelle, um Entschlüsse fassen zu können. Das geistige Bild, das jeder einzelne sich von seiner Welt macht, ist stets ein Modell; denn man hat weder eine Familie noch ein Geschäft, keine Stadt, keine Regierung und kein Land im Kopf, sondern nur Gedanken, ausgewählte Vorstellungen von der Umwelt und der in ihr wirkenden Beziehungen, welche die Wirklichkeit darstellen. Unsere Entschlüsse beruhen auf Modellvorstellungen, ebenso alle erlassenen Gesetze und alle geschäftlichen Handlungen. Es steht nicht zur Debatte, ob man Modelle gebrauchen will oder nicht. Man hat lediglich die Wahl zwischen verschiedenartigen Modellen. 

Unsere gedanklichen Vorstellungen, Denkmodelle, sind verschwommen, unvollständig und unpräzise. Sie verändern sich, auch bei jedem einzelnen, mit der Zeit, ja schon im Lauf einer Unterhaltung. Die Vorstellungskraft erfaßt einige Beziehungen, um daraus die Grundlage eines Gesprächs zu bilden. Selbst bei der Diskussion über ein einzelnes bestimmtes Thema benutzt jeder der Teilnehmer ein etwas anderes Modell, mit dem er sein Gespräch führt. Grundlegende Vorstellungen unterscheiden sich bei den einzelnen Gesprächspartnern, aber sie werden nicht ausgesprochen. Die erwünschten Ziele und Ergebnisse unterscheiden sich, aber das bleibt ungesagt. Es überrascht nicht, daß Kompromisse oft so schwer zustande kommen und die Übereinstimmung oft zu Aktionen führt, die völlig unbeabsichtigte und unerwünschte Folgen haben.

Das menschliche Gehirn ist zwar mit der großartigen Fähigkeit ausgestattet, die grundlegenden Kräfte und Wirkungen eines Systems abstrahierend zu erfassen; es ist zwar in hohem Maß geeignet, die Struktur einer komplexen Situation analytisch zu erkennen, aber es wird im täglichen Leben nur äußerst dürftig darauf trainiert, die Konsequenzen klar durchzudenken, die sich ständig neu ergeben, wenn die verschiedenen Teile eines Systems miteinander in Wechselwirkung treten und sich vielfältig gegenseitig beeinflussen. 

Bis vor kurzem gab es keine Möglichkeit, das wahrscheinliche Verhalten eines Gesellschaftssystems anders als durch Nachdenken, Diskussion, Einwände und Vermutungen abzuschätzen.

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   Computermodelle von Gesellschaftssystemen 

 

Unsere Methode, Weltsysteme zu beurteilen, vereinigt die Fähigkeiten des menschlichen Geistes mit den Möglichkeiten moderner Computer. Der menschliche Geist kann sehr gut die Bedrängnis, Ängste, die Wünsche und Gewohnheiten, Vorurteile, das Zaudern, die Abneigung gegen Veränderungen, guten Willen, Zuneigungen, Habgier und andere menschliche Charakterzüge erfassen, welche die Teilstrukturen unseres Gesellschaftssystems bestimmen.

Nur der menschliche Geist ist gegenwärtig fähig, eine Gesamtstruktur zu erkennen, der sich einzelne Teilinformationen widerspruchslos zuordnen. Aber wenn erst einmal das System aus den Einzelstrukturen aufgebaut ist, zeigt sich der menschliche Geist fast völlig unfähig, das dynamische Verhalten dieses Systems zu erfassen.

In dieser Hinsicht ist der Computer unschlagbar. Er verfolgt die Wechselwirkungen in jedem gegebenen System mit gegenseitigen Beziehungen, ohne sich zu irren und ohne Zweifeln Raum zu lassen. 

Der Computer wird programmiert, indem man ihm ein Modell einspeist, das beschreibt, wie sich jeder Teil des Systems grundsätzlich verhält. Wir sind heute in der Lage, wirklichkeitsgetreue Modelle sozialer Systeme aufzustellen. Es sind Vereinfachungen realer Gesellschaftssysteme, die aber weitaus umfassender sein können als die Vorstellungen, die wir heute gewöhnlich zur Diskussion über sozialpolitische Fragen haben.

Das Computermodell stellt die Theorie einer Systemstruktur dar und enthält Annahmen über dieses System. Das Modell ist nur so gut wie die ihm zugrundeliegende Theorie. Ein gutes Computermodell unterscheidet sich von einem schlechten dadurch, daß es mehr über die wesentlichen Eigenschaften eines Systems aussagt. Bei der Aufstellung eines Computermodells müssen die Annahmen, auf denen unsere Vorstellungen beruhen, sehr klar und exakt formuliert sein. Diese klar formulierten Annahmen vertiefen die Diskussion und führen zu einer besseren Auswahlmöglichkeit unter den zahlreichen Details, die in unseren Vorstellungen enthalten sind.

Zwar tragen alle bis heute aufgestellten Computermodelle gesellschaftlicher Systeme nur vorläufigen Charakter, zeigen aber durchaus charakteristische Verhaltensweisen tatsächlicher Systeme. Sie erklären nicht nur unsere gegenwärtigen Schwierigkeiten, sondern machen auch verständlich, warum so viele Bemühungen, soziale Probleme zu lösen, scheitern mußten. Man kann heute schon Modelle aufstellen, die trotz ihrer Mängel den intuitiven Modellen weit überlegen sind, auf denen gegenwärtig noch unser zukünftiges Schicksal aufgebaut wird.

Nachdem die Annahmen über die Wechselwirkungen, denen die einzelnen Teile eines komplexen Systems unterliegen, eingegeben sind, kann der Computer diese Vorgänge innerhalb des Systems im Zeitablauf exakt verfolgen. Er führt die Rechenarbeit aus und folgt dabei den Verhaltensregeln, die im Modell niedergelegt sind. Der Computer zeigt die exakten Folgen auf, die sich aus den Annahmen ergeben, und nutzt die hervorragendste Fähigkeit des menschlichen Gehirns, die Umwelt in ihrem Momentanzustand genau zu erfassen, und eliminiert seine größte Schwäche, die daraus sich ergebenden Konsequenzen auch exakt zu bestimmen.

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