Georg FranckMentaler Kapitalismus
Eine
politische
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2005 285 Seiten detopia |
Verlag zum Buch: Der Werbung und den Medien können wir nicht mehr entkommen. Aber was bedeutet das für uns? Der öffentliche Raum verwandelt sich zunehmend in eine gigantische Werbefläche für Produkte aller Art. Die ästhetischen und politischen Konsequenzen sind überhaupt noch nicht abzusehen. Georg Franck beschreibt zum ersten Mal die Welt unter der Herrschaft dieses mentalen Kapitalismus.
Presse:
"Georg Franck ist ein selten anregendes Buch gelungen, das alle Achtung und Aufmerksamkeit verdient." Focus, 07.11.05
"Der spannende, aktuelle und elegante Essay von Georg Franck jedenfalls verdient: alle Achtung! ...Ein rundum kluges Buch. Eines, nach dessen Lektüre man die Welt anders sieht." -Hendrik Werner, Die Welt, 10.12.05
"Francks Großessay strotz nur von solchen hellsichtigen Beobachtungen, beispielsweise über die Funktionsweise von Werbung und kommerziellen Medien ... extrem lesenswert." -Robert Misik, Falter, 42/05
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Inhalt
Vorwort (7) Einleitung (11) Die These (14)
1 Denkökonomie. Rückblick auf die Mechanisierung der geistigen Produktion (31)
2 Kulturelles und soziales Kapital (69)
3 Die Wissensindustrie (105)
4 Massengeschäft und Hochfinanz 133
5 Funktionalismus der Auffälligkeit (173)
6 Marken und Cameras. Ausbeutung und Konflikt (219)
7 Die ontologische Differenz (241)
Anmerkungen 261 Literatur 267 Bildnachweis 277 Register 279 |
https://www.perlentaucher.de/buch/georg-franck/mentaler-kapitalismus.html
Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.12.2005
Als "Erweiterung und Vertiefung" seiner "Ökonomie der Aufmerksamkeit" versteht Georg Franck das vorliegende Buch, erklärt der Rezensent Hans-Peter Kunisch eingangs und kommt kurz auf Francks These zurück, nach der Aufmerksamkeit die "neue Währung" der Marktwirtschaft darstellt. Doch während Franck diese These durch die Entwicklung bestätigt sieht, und sie eher noch radikalisieren möchte, befallen den Rezensent Zweifel ob ihrer Gültigkeit, hat doch zwischenzeitlich die traditionelle Wirtschaft einer der Aufmerksamkeitsherrschaft entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Franck seinerseits reagiere auf neue Entwicklungen mit einem nur wenig veränderten Tonfall. Was aber hat dieses Buch über die trotz großer und ständiger Aufmerksamkeit anhaltende Arbeitslosigkeit zu sagen, fragt der Rezensent und erklärt es für legitim, diese Frage an ein Buch zu richten, das sich der Aktualität und dem Zeitgeist verpflichtet sieht. Am Ende entsteht beim Rezensenten der Eindruck, dass sich das Buch "in der Vertiefung seines fruchtbaren Ansatzes festbohrt, statt sich über ein paar notwendige Erweiterungen Gedanken zu machen."
Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.12.2005
Den von Georg Franck geprägten Begriff der "Aufmerksamkeitsökonomie" zählt Rezensent Martin Hartmann zu den Schlagworten wie "Risikogesellschaft" oder "neue Unübersichtlichkeit", die man verwenden kann, ohne Bezug auf den Inhalt der Bücher zu nehmen, in denen sie erstmals auftauchten. Mit vorliegendem Buch über den "mentalen Kapitalismus" knüpft Frank nach Ansicht Hartmanns ausdrücklich an diese Studie an. Wie er darlegt, geht es Franck um die Beschreibung eines immateriellen Kapitalismus, dessen Hauptwährung die Kategorien Aufmerksamkeit und Beachtung sind, die wie Geld funktionieren. Franck zeige, dass keine tieferen Gründe für die Aufmerksamkeit nötig seien. Beachtet werde, der schon Beachtung habe, nicht der, der Beachtung auch verdiene. Hartmann erwähnt, dass Franck diese Mechanismen am Beispiel der Wissenschaften und insbesondere der Massenmedien verdeutlicht - wie bereits in seinem Vorgängerbuch. Für substanziell neu hält er dagegen die Kritik am an Bourdieus Kapitalbegriff und die ausführliche Behandlung der Architektur. Dass Franck allerdings sachlich in allen Punkten recht hat, bezweifelt Hartmann, und moniert in diesem Zusammenhang vor allem dessen oberflächliche Psychologie.
Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 19.10.2005
"Extrem lesenswert" findet Robert Misik zwei Neuerscheinungen, die sich mit der Kultur als Triebfeder der Ökonomie befassen: Joseph Heath' und Andrew Potters "Konsumrebellen" sowie Georg Francks "Mentaler Kapitalismus". Francks These lautet, dass wir an einer ökonomischen Epochenwende stehen: Die viel beschworene "Verdinglichung der Kultur" schlägt in ihr Gegenteil um, erläutert Misik, in die "Kulturalisierung aller Dinge", in eine Ökonomie der Aufmerksamkeit. Reich ist demnach derjenige, erklärt Misik die neuen Akkumulationsgesetze, der viel Beachtung erfährt, vornehmlich in den Medien. Deren Rolle ist auch deshalb so bedeutsam geworden, weil sie laut Franck nicht nur "Werbeumfeld" sind, sondern - etwa im Fall des Anchorman - die Aufmerksamkeit der Zuschauer stabilisieren. Viele "hübsche" Beobachtungen hat Misik in diesem Buch gefunden, gut gefallen hat ihm auch Francks Befund, dass die Aufmerksamkeitsökonomie "abweichendes Verhalten" sanktioniert: "Leute", übersetzt Misik dies, "die früher in die Klapsmühle gewandert wären, kommen heute ins Fernsehen."
Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2005
Wie der Rezensent Ludger Heidbrink feststellt, spinnt Georg Franck die von ihm in seinem letzten Buch entwickelte These des "mentalen Kapitalismus" hier fort. Franck gehe davon aus, dass es zunehmend die einem Produkt zuteil werdende Aufmerksamkeit sei, die dessen Wert (sprich: Marktwert) bestimme - eine Dynamik, aus der sich "neue Formen der Entfremdung, Ausgrenzung und Ungleichheit" ergeben. Dies gelte laut Franck vornehmlich für den Kulturbetrieb, der sich getreu den kulturkritischen Prophezeiungen von Adorno und Horkheimer in eine "Mischung aus Sensationslust und Gleichgültigkeit" entwickelt habe. Angesichts der Kränkung, die bei der Marginalisierung wertvoller Kulturprodukte entsteht, und der daraus hervorgehenden Aggressivität, so der Rezensent, möchte Franck eine "Ethik einer wechselseitigen Anerkennung" entwickeln. Doch stellt sich für den Rezensenten die Frage, ob die These des mentalen Kapitalismus nicht einfach als das Produkt einer "Analogiebildung" zwischen geistigen und kommerziellen Waren gelten könne. Hier scheint Franck dem Rezensenten "in seiner Radikalität das Opfer seiner eigenen Theorie zu werden", insofern, als er außer Acht lasse, dass unsere Handlungen zu allererst für uns selbst einen Wert besitzen, und dass Aufmerksamkeit sich auch tatsächlich der Tat verdanken könne.
Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 18.10.2005
Jens Bisky versichert, Georg Francks Essay "Mentaler Kapitalismus" gern gelesen zu haben. Gleichwohl ist ihm nicht recht klar geworden, was die Gewinne der Franck'schen Untersuchungen sind. Der Professor aus Wien argumentiert, das konzediert Bisky ohne Umschweife, "einfallsreich und schlau im besten Sinne", verlässt sich auf die "bewährten Kategorien der politischen Ökonomie und die Verfahren der Kulturanalyse". Die im Stadtbild allgegenwärtigen Kameras hat er als Aufmerksamkeitsrelais ebenso im Blick wie die Kanäle des Privatfernsehens. Doch das macht die "Schwäche des Buches" nicht wett, und diese beschreibt der Rezensent bündig in einem Satz: "Es behauptet viel und verzichtet zu oft auf Beschreibung." So sind während der Lektüre des Werkes auch im Kopf des Rezensenten Fragen über Fragen entstanden, die Bisky nun vor dem Leser ausbreitet. Doch dem Kernproblem - ob nämlich die Aufmerksamkeit tatsächlich eine Ware ist und ob sie denselben Prozessen unterworfen ist wie jede andere Ware - vermochte Bisky sich nach eigener Aussage noch nicht substanziell anzunähern, allen klugen Anregungen Francks zum Trotz.
Aus dem Buch (2005)
Geben wir Acht auf das, worauf wir Wert legen, oder legen wir Wert auf das, worauf wir achten? Die Frage erinnert an jene nach Henne und Ei. Wertlegen kommt nicht ohne Achtgeben, Achtgeben nicht ohne Wertlegen vor. Alles Werten geht auf die angenehmen oder unangenehmen Gefühle zurück, die unser Achten färben. Und alles Achten ist, wie blaß und verschwommen auch immer, emotional gefärbt.
Trotzdem ist es nicht gleichgültig, was vorher kommt, das Wertlegen oder das Achtgeben. Wenn das Wertlegen dem Achten vorausgeht, dann ist es der Wert, der entscheidet, was wichtig und relevant ist. Wenn hingegen der Wert, den wir legen, der Beachtung folgt, die die Sache findet, dann wird wichtig und erheblich, was Aufsehen erregt.
Versteht es sich nicht von selbst, daß der erste Fall der rationale und maßgebliche ist? Darf es denn sein, daß eine Sache wertvoll wird nur, weil sie auffällt? Gegenfrage: Ist es nicht so, daß sich der Wert, den wir legen, mit der Acht, die wir geben, verändert? Folgt das Werten nicht gerade dort der Beachtung, wo die Wertschätzung sich um Bildung und Verfeinerung bemüht? Und lernen wir vieles nicht erst dadurch schätzen, daß wir darauf achten, worauf die andern achten? Sagt uns der Rückblick auf die Acht, die wir gegeben haben, nicht mehr über den Wert, den wir eigentlich legen, als die vorausblickende Einschätzung der Relevanz es hätte können?
Und war schließlich nicht, was so viel Beachtung einnahm, auch besonders wichtig? Wir sind zurück bei Henne und Ei. Es scheint hoffnungslos zu fragen, was vorher kommt, das Wertlegen oder das Achtgeben. Wäre es nun aber müßig, über den Vorrang zu streiten, dann gerieten Grundannahmen ins Gleiten. Es wäre dann unsinnig, über den Wert von Kulturgütern zu debattieren. Wenn nicht zu entscheiden ist, ob die Beachtung dem Wert oder der Wert der Beachtung folgt, dann ist es gleichgültig, ob eine Sache Beachtung findet, weil sie wertvoll ist, oder wertvoll wird, weil sie Beachtung findet.
Wunschdenken wäre es dann, auf eine Objektivierung kultureller Werte und künstlerischen Rangs zu hoffen. Die Unterscheidung zwischen Urteilskraft und Herdentrieb wäre gegenstandslos. Kulturelle Relevanz und künstlerische Qualität wären dann nicht mehr zu unterscheiden von zufällig aufgeschaukelter Beachtung. Keine Kultur, die nicht von – und in – der Beachtung ihrer Mitglieder leben würde. Kein Betrieb der Kultur aber auch, der nicht Unterschiede des Werts und Stufen der Verbindlichkeit etablieren würde. Wie objektiv sind diese Unterschiede, wie gültig die Grade? Ist immer Macht im Spiel, wenn Unterschiede durchgesetzt werden? Ist immer Gewohnheit die Macht, die das Gefälle aufrecht erhält? Oder hat die Verbindlichkeit tiefere, im Wesen der Sachen liegende Gründe? Gibt es objektive, dem subjektiven Dafürhalten entzogene Bestimmungsgründe des Werts?
Mit diesen Fragen schlagen sich die Kulturwissenschaften seit ihren Anfängen herum. Die Antworten schwanken. Sie schwanken aber nicht wirr, sondern in Wellen. Sie schwanken im Rhythmus gewisser Konjunkturen. Wenn wir nicht annehmen wollen, daß diese Konjunkturen den Launen zufällig aufgeschaukelter Beachtung folgen, dann müssen Erfahrungen hinter den schwankenden Antworten stecken. Es müssen Erfahrungen mit eben dem Prozeß sprechen, der Werte ermittelt und Geltung etabliert. Eine scharfe Wende hat die Auffassung von der Verbindlichkeit kultureller Werte mit der Ankunft der Postmoderne genommen. Die Annahme, es gebe so etwas wie objektiven Wert und universelle Verbindlichkeit verfiel der Kritik. Die Kritik hatte sich den Glauben an Wesensunterschiede vorgenommen, aus denen ein für allemal folgt, was unter den Sachen, über die wir reden, zu verstehen ist.
Die Wesen, die wir in die Welt setzen, wenn wir uns darüber verständigen, was wir von den Sachen, über die wir reden, beanspruchen zu sein, wurden zum Opfer der Dekonstruktion. Die Dekonstruktion ist keine Kritik an Geltungsansprüchen, wie sie schon immer geübt wurde. Die Dekonstruktion setzt bei der Machart der Ansprüche an, aus denen die Wesen entspringen. Auf diese Machart kommen wir zurück. Bemerkenswert an der Dekonstruktion ist der kritische Impuls aber nicht nur für sich. Bemerkenswert ist auch, daß der Impuls praktisch wurde. Die Botschaft von der Hinfälligkeit der Wesen drang weit über die Philosophie hinaus. Die Entstabilisierung wesentlicher Unterschiede wurde zu einer Strategie der kulturellen Produktion. Sie wurde zum Ferment des Zeitstils.
Der Universalismus, den die Moderne mit Pathos hochgehalten hatte, wurde zu einer Kategorie der Kritik. An die Stelle des Bilds der Kultur als der die Menschheit verbindenden Einheit trat das Bild einer zersplitterten Vielfalt der Kulturen, deren jede einzelne eine eigene Wirklichkeit konstruiert. Ein solches Umschlagen der Grundstimmung kommt nicht von ungefähr. Er ist auch von keiner bloß theoretischen Revolution zu erwarten. Das Ausmaß des Bebens spricht für eine Diskontinuität in den grundlegenden Produktions- und Rezeptionsbedingungen der Kultur. Da müssen Grundlagen nachgegeben haben, auf die gebaut worden war. Da ging eine Epoche zu Ende. Allerdings gab es keinen Zusammenbruch der Produktion. Der Betrieb ging weiter. Man lernte, ohne feste Verankerung zu leben, richtete sich ein auf dem wankenden Boden, genoß den neuen Spielraum. Das Auflösen und Verflüssigen führte nicht in die Katastrophe. Ein dynamischer Wechsel trat ein. Das Aufgelöste und Aufgewirbelte konfigurierte sich neu. Was also hatte sich da getan?
Die These
Die These dieses Buchs ist, daß tatsächlich etwas Grundlegendes in Bewegung geraten ist. In das Verhältnis von Wertlegen und Achtgeben ist eine neue Dynamik eingekehrt. Das Hin und Her ist in einem größeren Zusammenhang aufgegangen. Es ist in einem Zusammenhang aufgegangen, der zwar schon lange spürbar gewesen sein mußte, der aber latent blieb, weil ihn niemand für möglich hielt. Das Wechselspiel von Achtgeben und Wertlegen hat zu einem Gesellschaftsspiel zusammengefunden. Zu einem Spiel, in dem Acht eingesetzt wird, um Beachtung einzunehmen. Das Achten, worauf andere achten, ist in einen Kreislauf des Gebens und Nehmens übergegangen.
Mehr noch: Der Kreislauf hat sich zu einem System hoch differenzierter und hoch integrierter Märkte entwickelt. Das Achten der Individuen aufeinander verkettet sich zu einem kollektiven Resultat. Die Summe der getauschten Beachtung tritt als Sozialprodukt in Erscheinung. Dem Mengensystem der getauschten Beachtung ist ein System bewertender Tauschrelationen eingezogen.
Die These ist, daß dieses System der Bewertung die objektivierende Funktion übernommen hat, die so lange in Gründen jenseits des subjektiven Wertens und Achtens gesucht wurde.
Diese These ist stark.
Sie läuft auf die Hypothese hinaus, daß der Epochenbruch den Durchbruch einer immateriellen Ökonomie markiert. Die These besagt, daß die Ökonomie der Aufmerksamkeit ein Maß an Rückkopplung und Selbstregulierung angenommen hat, welches externe Stabilisatoren überflüssig, wenn nicht dysfunktional macht. Aus dem Kreislauf des Acht-Gebens, um Beachtung einzunehmen, ist ein System horizontal und vertikal differenzierter Märkte hervorgegangen.
Diese Entwicklung hat sich im Hintergrund, ohne Plan vollzogen. Sie hat sich selbst organisiert. Auch die ökonomische Form, die wir nun von der Warte des entwickelten Systems aus erkennen, war nicht vorgegeben. Sie hat sich herausgebildet in einem Prozeß der Selbstorganisation, der blind ist und sich hinter dem Rücken der Beteiligten vollzieht. So wird auch jetzt erst sichtbar, daß die so lange latent gebliebene Entwicklung eine Vorgeschichte war. Sie war die Vorgeschichte eines dynamischen Regimes des Tauschwerts, das nun die Regie über die kulturelle Wertschöpfung übernommen hat.
Horizontale Differenzierung heißt, daß sachlich differenzierte Märkte nebeneinander entstehen. Differenzierung in der Vertikalen meint, daß Märkte entstehen, deren Funktion es ist, das Geschehen auf den anderen Märkten zu koordinieren. Die Stufe zur Differenzierung in diese beiden Richtungen ist erreicht, wenn kapitalistische Verhältnisse Einzug halten. Die These, daß ein dynamisches Regime des Tauschwerts die Regie über die kulturelle Wertschöpfung übernommen hat, meint, daß die Ökonomie der Aufmerksamkeit in die Statur eines kapitalistischen Systems hineingewachsen ist.