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Blutige Fußnote der Zeitgeschichte

 

 

 

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Goldfasansamen zu Reichsfrauenei.  Sie hatte keinen Orgasmus, als Du kamst, als ich kam. Sie hatte nie hohe Gefühle, wenn Du auf ihr lagst, feist wie Du warst, als Du mich damals zeugtest. Du wußtest das nicht, ich weiß es von Tante Margot. »Was Männer nur daran finden!«, staunte Mutter, gebar zigfach und zigfach daneben — warst immer Du der Vater? —, gebar mich Dir, dem Reichsminister ohne Portefeuille, dem Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht, dem Generalgouverneur von Polen, heute blutige Fußnote der Zeitgeschichte, gehenkt Gott sei Dank, verbrannt und verschüttet im Konwentzbach zu Solln bei München; Deine Asche verpappt mit der von Göring, Streicher und Ribbentrop, von Jodl und Kaltenbrunner, von Frick, Keitel, Seyß-Inquart, von Sauckel und Rosenberg — wie eklig dieses Gebräu, Du wasserlöslicher Nazi-Nes.

Dein Foto liegt vor mir, wie Du, noch frisch im Tod, auf der Decke ruhst mit kaputtem Genick, die Augen geschlossen, den Mund halb geöffnet, die vollen Lippen eine Idee zu blaß vielleicht — hast Du Dir auf die Lippen gebissen unter der schwarzen Haube beim freien Fall?

Schön Deine Hände, die Finger so lang, man sieht ihnen Mazurken, Etüden an; und so graziös in der Haltung, als hättest Du, als die Falltür sich öffnete, beim Ober nach der Rechnung geschnippt.

Dabei weiß ich, daß Du beim Sterben gefesselt warst, auf dem Rücken die Hände, auch die Knöchel der Füße zusammen, der Anzug steht Dir, in dem Du Dein Leben ausgebaumelt — oder zog man ihn Dir erst hinterher an und wusch Dir das Blut von den Lippen, weil Du beim Abwärts mit dem Kinn gegen den hölzernen Klappenrand knalltest? Schade, wenn Du dabei k. o. gegangen wärst. 

Ich finde, auch den letzten Zentimeter Seil bis zum Ruck hast Du verdient, bewußt zu erleben. Ja, ich gebe Dir recht, US-Henker Woods, das war ein mieser Henker. Ohne Sinn für Details wie das richtige Maß der Falltür.

Wie freute sich Mutter, als sie von seinem Ende hörte. Mutter und ich, wir tranken zur Feier Bohnenkaffee. Beim Ausprobieren eines Elektrischen Stuhls! »Wenn das kein Zeichen des Himmels ist!« beschwor Mutter den Herrn zum Rächer der Nazis.

Als ich Dein Totenfoto zum erstenmal sah, war ich benommen. Jetzt kotzt es mich nur noch an, Dein totes Gesicht, auf dem Deine Lügen nicht mitstarben.

Erinnerst Du Dich? Zehn Tage vor Deinem letzten Fototermin, am 16. Oktober 1946, saß ich Dir gegenüber im Nürnberger Gefängnis, auf Mutters Schoß, Du neben dem Ami mit dem weißgelackten Helm, die Scheibe aus Glas zwischen uns. Ich wußte, daß Du bald tot bist. Doch Du mußtest lügen! Du sagtest, daß wir bald Weihnachten feiern würden, fröhlich beisammen im Schoberhof, unserem Haus am Schliersee. Und ich dachte: Warum lügt er? Er weiß doch, daß er gehenkt wird. Warum lügt er. Einen blöden Scherz machtest Du hinter mir drein, als ich vom Schoß stieg und ging: »Und dann kommt auch der Huber Toni und scheißt im Wald umeinand...« Das reicht nicht fürs Leben, sag ich Dir. Warum sagtest Du nicht: »Junge, Du bist sieben Jahre alt. Du weißt, daß ich sterbe. Wir sehen uns nie wieder. Ich bin verurteilt zum Tod durch den Strang. Zu Recht. Doch, Junge, ich hab furchtbare Angst vor dem Sterben.« Und dann vielleicht noch eine Regel fürs Leben hinterdrein, zum Beispiel: »Und wirf nie Büroklammern weg!« Oder: »Vergiß bloß die erste Strophe des Deutschland-Liedes!«

Statt dessen hast Du den Huber Toni umeinandscheißen lassen, der — Deine einzige lustige Geschichte — im Wald so furchtbar Angst vor den Räubern hatte, obwohl er selbst ein Räuber war. Dazu hörten wir die Platte mit Aubers Ouvertüre zu »Fra Diavolo«.

Der weißlackierte Amisoldat hielt aber kein Grammophon auf dem Schoß.

Ich hab mir als Kind Deinen Tod zu eigen gemacht.

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Vor allem die Nächte zum 16. Oktober waren mir heilig. Ich mochte Dein Sterben. Ich legte mich nackt hin, auf das stinkende Linoleum der großen Toilette, die Beine gespreizt, die Linke am schlaffen Glied, und mit einer leichten Rubbelbewegung fing ich an Dich zu sehen, wie Du auf und ab gehst in Deiner Zelle, die Fäuste gegen die Augäpfel gepreßt, stöhnst, zum hundertsten Mal blöde Soldatenregeln vom aufrechten Sterben vor Dich hin murmelst, Dich wieder hinsetzt, lauschst, ob sie kommen, Du kennst alle Geräusche, Du sitzt ja lang genug im vergitterten Raum, Dein Puls schlägt schnell. Du zwingst Dich, auf die letzten Briefe zu schauen an Deine Lieben daheim, merkst vielleicht, wie hohl und falsch und frömmelnd sie klingen, stehst wieder auf, verschränkst Deine Hände, knuddelst die Finger gegeneinander, löst sie, öffnest Dein Hosentürl, mußt wieder bieseln, nur ein paar Tröpfchen kommen, Du weißt, daß man pißt und scheißt, wenn man stirbt, Du willst wenigstens untenrum sauber im Tod sein, ich fühl Deine Todesangst, jetzt, wo sich Schritte nähern, Du weichst zurück zur Wand, starrst unter flatternden Augenlidern zur Tür, hechelst leise ein »Nein«. Die Riegel. 

Die Schlösser. Die Tür wird aufgerissen, Wachsoldaten stürzen sich auf Dich, fesseln Dir Hände und Füße, Du tippelst zwischen der Wachmannschaft den langen Gang zur Turnhalle - was für eine Streckübung steht Dir bevor -, der Schweiß läuft Dir zwischen den Schultern runter, hinein in die Arschfalte, die Fußfesseln machen Deinen Gang lächerlich, auch halten sie Dich rechts und links am Oberarm, wie sie es in aller Welt für alle Zeiten tun, so, als ob man schon bei der Verhaftung das Gehen verlernt, die Tür zur Turnhalle öffnet sich. 

Du siehst die hohe Plattform, darauf die drei Galgen, darunter die schwarzen Tücher, ist es das rechte, das linke, das mittlere Tuch, das Deinen Fall vor den Zeugen verdecken wird? Du siehst sie, erkennst vielleicht die deutschen Zeugen, Hoegner zum Beispiel, den bayrischen Ministerpräsidenten, oh, er wurde gehaßt in der Sippe der Franks seitdem, ein Verräter sei er, weil er »dabei« war, vielleicht hast Du mir jetzt noch etwas zu sagen. Du hast eine Chance, denn auch bei Dir läßt man nicht vom blöden Brauch, läßt Dich furchtbaren Schwätzer letzte Worte sagen, na los, letzte

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