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1. »Schild und Schwert der Partei«
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Es glich einem bösen Omen, daß die erste Regierungsumbildung in der DDR genau vier Monate nach ihrer Gründung die Bildung eines Ministeriums für Staatssicherheit durch Gesetz vom 8. Februar 1950 vorsah4. Das Gesetz, in der Volkskammer einstimmig verabschiedet, enthielt keinerlei Bestimmungen zu Aufgaben und Zuständigkeiten des MfS.
Von einigen eher nebensächlichen Regelungen über partielle Befugnisse des MfS sowie über die Rechte und Pflichten seiner Angehörigen abgesehen, die in der Strafprozeßordnung, im Volkspolizeigesetz, im Wehrdienstgesetz sowie in der Geheimhaltungsverordnung enthalten waren, existierten keinerlei gesetzliche Bestimmungen, die speziell das MfS betrafen. Seine Tätigkeit wurde durch interne Richtlinien, Ordnungen, Dienstanweisungen, Befehle, Durchführungsbestimmungen und andere Festlegungen geregelt, die generell der Minister für Staatssicherheit selber erließ oder außer Kraft setzte. Ihre Zahl schätzen Experten zum Zeitpunkt der Auflösung des MfS auf rund 600. Im allgemeinen waren sie als Geheime Verschlußsachen klassifiziert.
Zwar galt das MfS formaliter als »ein Organ des Ministerrates«5, aber spätestens seit 1953, seit dem Sturz seines ersten Chefs Wilhelm Zaisser, war es realiter zum unverzichtbaren Herrschaftsinstrument der Parteiführung geworden, eine Entwicklung, die im Kontext zur Entwicklung der SED als Staatspartei gesehen werden muß. Auf ihrer 2. Parteikonferenz hatte die SED 1952 mit dem Beschluß, »daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist«, auch die »Verschärfung des Klassenkampfes« proklamiert und dekretiert: »Hauptinstrument bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus ist die Staatsmacht.«6 Die Instrumentalisierung speziell des MfS als »Schild und Schwert der Partei« erscheint unter dieser Voraussetzung als politische Konsequenz einer prinzipiellen ideologischen Orientierung. Sie entsprach stalinistischer Logik.
Anders als Zaisser, der sich dieser Entwicklung widersetzt zu haben scheint, haben sich Ernst Wollweber – der 1953 die Leitung der DDR-Staatssicherheit übertragen erhielt – und Erich Mielke – er folgte Wollweber 1957 im Amt des Ministers für Staatssicherheit und verblieb darin bis zu seinem Rücktritt 1989 – dem Führungsanspruch der SED jederzeit unterworfen und dies auch öffentlich immer wieder bekundet und bekräftigt. »Ein scharfes Schwert« sollte die DDR-Staatssicherheit sein, »mit dem unsere Partei den Feind unerbittlich schlägt«7, erklärte Wollweber 1954 auf dem IV. Parteitag der SED. »Unter der Führung unserer Partei«, versicherte Erich Mielke 1958 auf dem V. Parteitag der SED, »wollen wir den Kampf gegen die Feinde führen.«8
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Und bereits zu Ulbrichts Zeiten konnte Honecker, damals Sekretär des Zentralkomitees für Sicherheitsfragen, die vorbehaltlose Aufforderung an die Mitarbeiter der Staatssicherheit richten, »sich künftig noch gründlicher mit dem Marxismus-Leninismus zu beschäftigen und die Beschlüsse der Partei schöpferisch anzuwenden. Es gilt stets gründlich und sorgfältig von der Einschätzung der Situation im Klassenkampf durch unsere Partei auszugehen und die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen«9 – Schlußfolgerungen, versteht sich, für die »politisch-operative Arbeit« der Staatssicherheit.
Unter dem Regime der SED hatte das Wort der Partei gültige Maxime aller »Tschekisten« der DDR zu sein. Stets war »die gesamte Arbeit« im MfS »unter der bewährten Führung unserer marxistisch-leninistischen Partei und auf der Grundlage ihrer Beschlüsse«10 zu leisten. Seine Aufgabenstellung bestand darin, »die strategische Linie der Partei offensiv durchzusetzen. Die Beschlüsse der Partei sind der Maßstab unserer tschekistischen Arbeit«11 – so Mielke in unübertroffener Deutlichkeit. Und immer wieder erneuerte er sein Credo: »Die Staatssicherheit wird sich jederzeit als zuverlässiger Schild und scharfes Schwert der Partei und der Arbeiter-und-Bauern-Macht erweisen.«12 Es waren wahrhaftig nicht bloß verbale Pflichtübungen.
Nur Egon Krenz wollte sich ausbedingen, den unbedingten Führungsanspruch der SED gegenüber dem MfS zu leugnen. »In Wirklichkeit entwickelte sich das Ministerium für Staatssicherheit zunehmend zu einem nach außen hin abgeschirmten Staat im Staate, der selbst Mitglieder der Partei unter Kontrolle nahm.«13 Mit dieser Äußerung hat der Generalsekretär der SED für 47 Tage den untauglichen Versuch unternommen, eine Legende zu stiften, um die SED und mit ihr die Verantwortlichen in der Führung der Partei einschließlich seiner selbst von ihrer politischen Verantwortung für das Tun und Lassen der DDR-Staatssicherheit zu entlasten.
Immerhin war Krenz, daran ist in diesem Zusammenhang zu erinnern, von 1983 bis zum Sturz Honeckers der für die Militär- und Sicherheitspolitik der SED unmittelbar verantwortliche Sekretär des Zentralkomitees. In seine Zuständigkeit fiel auch die politische Kontrolle der Staatssicherheit. Daß gerade er den immer wieder erneuerten und bekräftigten Führungsanspruch der SED gegenüber dem MfS zu leugnen trachtete, erlaubt fatale Rückschlüsse auf seine politische Redlichkeit.
Dieser Führungsanspruch manifestierte sich natürlich nicht nur in den Bekenntnissen Wollwebers und Mielkes auf Parteitagen der SED. Vielmehr wurden deren Beschlüsse zur Generallinie und Politik der Partei in den Reihen der Staatssicherheit als verbindliche Richtschnur für die »politisch-operative Arbeit« aller Diensteinheiten propagiert. Nicht nur auf Parteiaktivtagungen, auch auf Dienstkonferenzen des MfS wurden die Ergebnisse von Parteitagen der SED »ausgewertet« und als »Klassenauftrag« verpflichtend weitergegeben.
»Für das MfS kommt es in Verwirklichung des Klassenauftrages des X. Parteitages vor allem darauf an, auch weiterhin nicht zuzulassen, daß die Feinde des Sozialismus die gesellschaftliche Ordnung in der DDR unterminieren und die Arbeiter-und-Bauern-Macht untergraben«, folgerte Mielke z.B. auf einer erweiterten Kollegiumssitzung des MfS am 19. Februar 1982.
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»Die Erfüllung des uns vom X. Parteitag übertragenen Klassenauftrages, vor allem die wesentliche Verschärfung der Klassenauseinandersetzung, fordern nachdrücklich, in allen Diensteinheiten die politisch-ideologische und parteierzieherische Arbeit auf ein höheres Niveau zu heben.«14
Die unabdingbare Treue zur Partei, die bedingungslosen Gehorsam einschloß, dauerte bis zuletzt an, bis zum demokratischen Umbruch in der DDR. Noch am 15. September 1989 beschwor Generalleutnant Dr. Wolfgang Schwanitz, damals einer der Vizeminister für Staatssicherheit, vor leitenden Mitarbeitern seines Verantwortungsbereiches »die Einheit, Reinheit und Geschlossenheit der Partei«, verbunden mit der Aufforderung: »Die weitere Stärkung der Kampfkraft der Partei erfordert, daß jeder einzelne Tschekist seinen Kampfposten in und außerhalb des Dienstes bezieht. Die Durchsetzung einer eisernen Parteidisziplin und tschekistischen Disziplin sowie die Gewährleistung der inneren Sicherheit sind Aufgaben, die Sie nicht aus dem Blickfeld verlieren dürfen. Entsprechend dem Statut unserer Partei darf etwaigen Aufweichungserscheinungen keinerlei Raum gegeben werden. In den Grundfragen kann es keine Abweichungen und Schwankungen geben.«15 Acht Wochen nach dieser Rede existierte das Ministerium für Staatssicherheit nicht mehr.
Die »führende Rolle« der SED im MfS
Für die Mitarbeiter der Staatssicherheit, die durchaus von elitärem Korpsgeist erfüllt waren, stand der Anspruch der SED auf ihre »führende Rolle« nie im Zweifel, im Gegenteil, sie schöpften aus ihrer Verbundenheit mit der Partei die Kraft, die sie im tristen Alltag der »politisch-operativen Arbeit« nötig hatten. Die ständige Konfrontation mit Andersdenkenden setzte einen »unerschütterlichen Klassenstandpunkt« voraus, sollten Schwankungen und Aufweichungserscheinungen in den eigenen Reihen vermieden werden. Diese politisch-ideologische Festigkeit konnte nur die Partei vermitteln.
Vor diesem Hintergrund war es nur folgerichtig, wenn auf die führende Rolle der SED auch in Richtlinien, Dienstanweisungen und Befehlen des MfS konkret verwiesen wurde, und zwar nicht erst unter der Ägide Honeckers. Schon zu Ulbrichts Zeiten fand die Verpflichtung des MfS auf die Politik der SED in internen Dienstbestimmungen ihren Niederschlag. In der 1958 erlassenen Richtlinie Nr. 1/58 über die politisch-operative Bedeutung der Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit mit inoffiziellen Mitarbeitern in der Deutschen Demokratischen Republik z. B. wird ausdrücklich hervorgehoben, daß das MfS seine Arbeit »auf der Grundlage der von Partei und Regierung gefaßten Beschlüsse und der vom Volke gegebenen Gesetze« leiste. »Das Ministerium für Staatssicherheit ist beauftragt, alle Versuche, den Sieg des Sozialismus aufzuhalten oder zu verhindern – mit welchen Mitteln und Methoden es auch sei –, vorbeugend und im Keime zu ersticken.«16 Diese Tendenz zieht sich einem roten Faden gleich durch unzählige dienstliche Bestimmungen des MfS.
Gefragt war ein Bekenntnis zur SED: »Die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit tragen für die Erfüllung der Sicherungsaufgaben eine hohe Verantwortung gegenüber der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik.«17
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Da die SED als Staatspartei ohnehin sämtliche Schlüsselpositionen der Regierung besetzt hatte, war es allenfalls von formaler Bedeutung, wenn in MfS-internen Dokumenten zwischen Beschlüssen einerseits der Partei, andererseits der Regierung differenziert wurde. Mit innerer Zwangsläufigkeit ergab sich aus der führenden Rolle der SED als Staatspartei der Schluß, daß jede Opposition gegen die Politik der SED zur staatsfeindlichen Aktion geriet. Für die Staatssicherheit waren Parteifeinde zugleich Staatsfeinde, die »mit spezifischen Mitteln« zu bekämpfen waren.
Ein Schreiben, das Mielke unter dem 22. Dezember 1976 den Leitern der zuständigen Diensteinheiten zugehen ließ, dokumentiert das geradezu exemplarisch. Ausgehend von der gegen die SED und ihren Kurs gerichteten Opposition von Robert Havemann, Reiner Kunze und anderen, begründete er die im MfS zu ergreifenden »politisch-operativen Maßnahmen« mit dem Argument: »Ziel aller subversiven Aktivitäten des Feindes war und ist es, in der DDR eine >innere Opposition< zu schaffen und Untergrundtätigkeit zu organisieren. Deshalb sollten mit der groß angelegten Hetzkampagne und den anderen subversiven Maßnahmen des Feindes feindlich-negative Kräfte zu antisozialistischen Verhaltensweisen und staatsfeindlichen Handlungen veranlaßt werden. Aber auch politisch noch nicht gefestigte, schwankende, demoralisierte und kriminelle Personenkreise sollten dazu aktiviert werden.«
Dieser für das politische Denken des Staatssicherheitsschefs aufschlußreichen Orientierung folgten konkrete Weisungen an die »operativen Diensteinheiten« zur Unterdrückung der DDR-Opposition. Ausdrücklich wurde ihnen dazu ein enges Zusammenwirken mit den Parteileitungen vorgeschrieben: »Die Maßnahmen der Bezirks- und Kreisleitungen der SED sowie der nachgeordneten Parteiorganisation zur politischen und politisch-ideologisch offensiven Auseinandersetzung mit feindlich-negativen sowie politisch schwankenden und unklaren Kräften sind umfassend zu unterstützen und durch eine qualifizierte Informationstätigkeit zielgerichtet zu fördern.«18
Der Instrumentalisierung des MfS zur Durchsetzung und Sicherung der Herrschaft der SED entsprach die Tabuisierung der Partei in der politischen Überwachung. Der Apparat der SED durfte von der Staatssicherheit nicht bespitzelt, nicht »operativ bearbeitet« werden, im Gegensatz zu den Blockparteien, die zielgerichtet bespitzelt wurden. Erst wenn die Führung der SED »Abweichler« oder »Parteifeinde« in ihren Reihen »entlarvt« hatte, konnte sich das MfS mit ihnen befassen. Paul Merker, einst Mitglied des Politbüros, wurde 1952 durch Büttel der Staatssicherheit erst verhaftet, nachdem das ZK der SED ihn verfemt hatte. Max Fechner, Mitglied des ZK und Minister der Justiz, wurde den Vernehmern der Staatssicherheit erst überantwortet, nachdem er 1953 aus der Partei verstoßen war. Die Stunde der Staatssicherheit kam, wo Genossen der SED ins Visier geraten waren, stets im nachhinein. Nie hat das MfS eigenmächtig gehandelt.
Es folgte aus der Natur ihrer Beziehungen, wenn das MfS die SED regelmäßig über seine Einschätzungen zur politischen Situation unterrichtet hat. Das geschah auf allen Ebenen, das heißt, sowohl der Generalsekretär der SED als auch die 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen der SED wurden regelmäßig durch die Staatssicherheit informiert.
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Nach einem Befehl aus dem Jahre 1974 über die Informationstätigkeit des MfS an die leitenden Partei- und Staatsfunktionäre'9 waren für den Inhalt der intern so genannten Parteiinformationen im MfS der Leiter der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG), in den Bezirksverwaltungen die dortigen Auswertungs- und Kontrollgruppen (AKG) sowie in den Kreis- und Objektdienststellen deren Leiter verantwortlich. Unmittelbare Empfänger der Parteiinformationen waren entsprechend der Berichtsebene der Erste Sekretär des ZK (ab 1976 Generalsekretär) sowie die 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen der SED. Erforderlichenfalls konnte der Kreis der Empfänger auf die Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, die Mitglieder und Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen sowie auf bestimmte Staats- und Wirtschaftsfunktionäre erweitert werden. Grundsätzlich sollte der Empfängerkreis jedoch so klein wie möglich gehalten werden, um die Parteiinformationen unter dem Gesichtspunkt des Quellenschutzes nicht unnötig breit zu streuen.
Eine andere, letztlich die entscheidende Frage besteht darin, wie die SED ihren Führungsanspruch gegenüber dem MfS überhaupt realisieren konnte. Sie ist einfach zu beantworten: durch die Besetzung aller Leitungsfunktionen in der Staatssicherheit mit zuverlässigen Parteikadern, durch personelle Verflechtung und institutionelle Vernetzung von Partei- und Sicherheitsapparat, durch politisch-administrative Kontrollmechanismen sowie durch die Etablierung ihrer Parteiorganisationen in allen Strukturen und auf allen Ebenen des MfS.
Personell waren Staatspartei und Staatssicherheit durch die Einbindung führender Kader des MfS in die Leitungen der SED miteinander verflochten. Der Minister für Staatssicherheit und sein Stellvertreter waren stets Mitglieder des Zentralkomitees der SED. Seit 1963 war auch der 1. Sekretär der Kreisleitung der SED im MfS Mitglied des ZK. Ebenso waren die Leiter der Bezirksverwaltungen und der Kreisdienststellen des MfS Mitglieder der jeweiligen Bezirks- bzw. Kreisleitungen der SED. Durch diese Personalunion waren entscheidende Führungskader des MfS in die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung der SED auf allen Ebenen einbezogen. Sie identifizierten sich mit der Partei. Von 1950 bis 1953 und von 1971 bis 1989 war der Minister für Staatssicherheit auch im Politbüro der SED präsent. Wilhelm Zaisser gehörte dem Politbüro als Mitglied von 1950 bis zum 15. Plenum des ZK 1953 an. Erich Mielke war 1971 zunächst zum Kandidaten, 1976 zum voll stimmberechtigten Mitglied »gewählt« worden. Erst auf dem 9. Plenum des ZK 1989 mußte er seinen Sessel im Politbüro räumen. Vier Tage später folgte sein Rücktritt als Minister.
Als Resümee ist festzuhalten, daß sowohl in den ersten Jahren der Ära Ulbricht als auch während der Ära Honecker der Minister für Staatssicherheit unmittelbar Zugriff auf Entscheidungen des Politbüros der SED hatte, ein Sachverhalt, der stalinistischen und poststalinistischen Gepflogenheiten in der UdSSR entsprach: Der Minister für Staatssicherheit setzte die Beschlüsse der Parteiführung, an deren Zustandekommen er selbst beteiligt gewesen war, in seinem Verantwortungsbereich unmittelbar um.
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Wenn sich Walter Ulbricht dieser Usance seit 1953 enthielt, so hatte das Gründe, die in der Person Zaissers zu suchen waren. Schlimmer als der Vorwurf, »daß die Leitung des Ministeriums für Staatssicherheit versagt hatte«, nämlich im Vorfeld des Aufstands vom 17. Juni, traf ihn das Verdikt, »daß in der Führung der Staatssicherheit die Unterschätzung der Parteiarbeit vorhanden war«. Selbst »Tendenzen der Überheblichkeit der Mitarbeiter der Staatssicherheit gegenüber der Partei«20 glaubte Ulbricht damals rügen zu sollen. Augenscheinlich hatte sich Zaisser der Führung und Kontrolle durch die Partei entziehen wollen. Ulbricht zog die Konsequenzen auf seine Weise: Solange er an der Spitze der SED stand, duldete er den Staatssicherheitschef niemals mehr im Politbüro. Erst Honecker holte den Minister für Staatssicherheit in die Führung der Partei zurück – vermutlich, um sich bei der Stabilisierung seines Regimes der Loyalität der Staatssicherheit vergewissern zu können.
Seine besondere Note erhielt dieser Sachverhalt durch die in den achtziger Jahren sich immer enger gestaltende persönliche Beziehung zwischen Honecker und Mielke. Nach jeder diensttäglichen Politbüro-Sitzung führten die beiden Vier-Augen-Gespräche, von denen die übrigen Genossen aus dem Politbüro ausgeschlossen blieben. Ähnlich hielten sie es nach den Sitzungen des Nationalen Verteidigungsrates21.
Parteiarbeit in der Staatssicherheit
Im Sekretariat des ZK der SED, dem laut Statut die Leitung der laufenden Arbeit »hauptsächlich zur Durchführung und Kontrolle der Parteibeschlüsse und zur Auswahl der Kader« oblag, war ein Mitglied für die Militär- und Sicherheitspolitik der Partei verantwortlich. Unter Ulbricht hat diese Funktion lange Zeit Honecker innegehabt. 1971 zum Parteichef aufgestiegen, überantwortete er die Aufgaben des ZK-Sekretärs für Militär- und Sicherheitspolitik Paul Verner, der 1983 durch Egon Krenz in dieser Funktion abgelöst wurde. Nachdem Krenz am 18. Oktober 1989 Honecker als Generalsekretär der SED ersetzt hatte, machte er einen seiner engsten Mitarbeiter zum Sicherheitssekretär des ZK: Dr. Wolfgang Herger. Es blieb eine Episode von wenigen Wochen.
Generell war dem für Sicherheit zuständigen ZK-Sekretär die politische Kontrolle der »bewaffneten Organe« übertragen, auch die der Staatssicherheit, ohne daß sein Einfluß allerdings überschätzt werden durfte. Krenz zumal ist von Mielke nie so recht ernst genommen worden.
Entsprechend begrenzt waren daher auch die Anleitungs- und Kontrollbefugnisse der Abteilung für Sicherheitsfragen im Apparat des Zentralkomitees, auf die sich der ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen stützte. In den siebziger Jahren und der ersten Hälfte der achtziger Jahre wurde sie von Generaloberst Herbert Scheibe geleitet. 1985 löste ihn ein Zivilist ab – der schon erwähnte Wolfgang Herger, ehe er nach Honeckers Sturz vorübergehend selber noch zum ZK-Sekretär für Sicherheit avanciert war. Für die Arbeit des MfS unmittelbar zuständig war in der Abteilung für Sicherheitsfragen der Sektor Staatssicherheit, zuletzt geleitet von Generalmajor Fritz Bengelsdorf.
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Bei der Umsetzung ihrer Anleitungs- und Kontrolltätigkeit bediente sich die Abteilung für Sicherheitsfragen der Parteiorganisation der SED in der Staatssicherheit. In ihr waren alle Mitarbeiter der Staatssicherheit erfaßt, die der Partei als Mitglieder oder Kandidaten angehörten. Mit Ausnahme des Wachregiments »Feliks Dzierzynski« und einiger wissenschaftlich-technischer Bereiche gab es im MfS keine Diensteinheiten, in denen die hauptamtlichen Mitarbeiter nicht ausnahmslos in der Partei gewesen waren. In keiner anderen Institution ist der Organisationsgrad der SED vermutlich so hoch wie im MfS gewesen.
Die Parteiorganisation der SED im MfS, die nach besonderen Instruktionen des ZK arbeitete, hatte den Status einer Kreisorganisation. Ihre Spitze bildete eine Kreisleitung mit Sekretariat, bestehend aus dem 1. Sekretär der Kreisleitung, dem 2. Sekretär und dem Sekretär für Agitation und Propaganda. Der Apparat der Kreisleitung, in dem zuletzt 158 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt waren, umfaßte das Büro des Sekretariats, eine spezielle Arbeitsgruppe des Leiters sowie die Abteilungen Parteiorgane und Agitation/Propaganda.
Außerdem existierte bei ihm eine MfS-interne Kreisparteikontrollkommission der SED. Der Kreisleitung war ferner die MfS-eigene Parteischule »Robert Mühlpforte« angeschlossen, benannt nach Generalmajor Robert Mühlpforte, einem »Aktivisten der ersten Stunde« im MfS. Die Gliederung der Parteiorganisation war horizontal und vertikal an der inneren Struktur des MfS orientiert. In der Zentrale, den Bezirksverwaltungen sowie den Kreis- und Objektdienststellen existierten Grundorganisationen, Abteilungsparteiorganisationen und Parteigruppen, die innerhalb der Staatssicherheit ein ähnliches »Parteileben« gestalteten, wie es die SED in anderen Ministerien und Verwaltungen exerzieren ließ.
Zweimal monatlich wurden Versammlungen der Parteigruppen bzw. Abteilungsparteiorganisationen durchgeführt, dazu kamen Seminare und Zirkel im Rahmen des sogenannten Parteilehrjahres, nach wichtigen Tagungen des Zentralkomitees sowie zur Eröffnung des Parteilehrjahres wurden Parteiaktivtagungen des MfS auf zentraler Ebene einberufen, um die Sekretäre der Grundorganisationen, die Parteigruppenorganisatoren und die Propagandisten der SED in der Staatssicherheit mit den sich aus der jeweiligen Beschlußlage ergebenden Schwerpunktaufgaben vertraut zu machen. Schließlich fanden in der Parteiorganisation auch regelmäßig sogenannte Parteiwahlen statt, in denen die Parteileitungen auf allen Ebenen überprüft und wieder- oder neu gewählt wurden, wobei der Begriff »Wahl« nur die Form der personell vorbestimmten Entscheidungen traf.
Die Steuerung der Parteiorganisation der SED im MfS durch die ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen erfolgte über die Kreisleitung der SED im MfS mit dem 1. Sekretär als politischer Schlüsselfigur. In den achtziger Jahren hat diese Funktion ununterbrochen Generalmajor Dr. Horst Felber ausgeübt, der wegen dieser Funktion zugleich Mitglied des ZK der SED gewesen ist. Die Kreisleitung war für die politische Arbeit mit den Genossen in der Staatssicherheit verantwortlich. »Sie hatte die Aufgabe, die Beschlüsse des ZK und seines Politbüros sowie die allgemeinen daraus abgeleiteten Orientierungen für die Arbeit des MfS zu erläutern, die Parteimitglieder zur Lösung ihrer Aufgaben politisch zu motivieren und zu mobilisieren sowie sich dabei zeigende Hemmnisse und Mängel in den eigenen Reihen eben >mit der Kraft der Partei< zu überwinden.«22 Felber selbst hat diese Funktionsbeschreibung zu Papier gebracht.
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Mit Recht bestreitet der Exgeneral eine Einmischung der Parteileitung in die operative Arbeit: »Im MfS in seiner Gesamtheit sowie in allen seinen Diensteinheiten und Bereichen gab es von jeher strenge Abgrenzung der operativen Führung sowie der operativen bzw. fachlichen Arbeit von der Verantwortung und Tätigkeit der Parteiorganisation. Das MfS und seine Diensteinheiten wurden ausschließlich vom Minister, seinem Stellvertreter und den eingesetzten Leitern geführt. Es versteht sich von selbst, daß das auch eine politische Führung war«23 – allerdings: denn sie alle waren schließlich Genossen, fanatische Kommunisten.
In anderem Zusammenhang hat Felber Einfluß und Zugriff der Partei auf die Staatssicherheit noch einmal resümierend präzisiert: »Nach meiner Auffassung war die Anleitung und Kontrolle des MfS durch die Parteiführung nur gegenüber der Parteiorganisation, aber niemals hinsichtlich der Arbeit der einzelnen Linien des MfS selbst gegeben. Ich glaube, daß das in der Praxis auch unmöglich war. Eine Ausnahme bildete da nur die Bestätigung von Führungskadern des MfS, die zur Nomenklatur des ZK und des Verteidigungsrates gehörten. Sie mußten über die Abteilung für Sicherheitsfragen eingereicht werden. Auch zur Klärung von an das ZK gerichteten Eingaben waren die Mitarbeiter dieser Abteilung zu tiefergehenden Recherchen befugt. In dienstlichen Belangen hatten sie jedoch keinerlei Weisungsrecht. Ihre Einblicke in operative Fragen waren gering.«24 Gefordert waren in der Tat Parteierziehung und Parteikontrolle im MfS: »Der Sektor Staatssicherheit der Abteilung für Sicherheitsfragen nahm auftragsgemäß auf den Inhalt der vom Sekretariat getroffenen Einschätzungen, der Referate von Kreisleitungssitzungen und der regelmäßig an den Apparat des ZK zu gebenden Informationen über die Stimmung und das innerparteiliche Leben in der Parteiorganisation Einfluß.«25
Ohne die ideologische Disziplinierung und politische Mobilisierung der hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS durch die Parteiorganisation der SED, ohne permanente Parteiarbeit wären Leistung und Zuverlässigkeit des MfS allerdings undenkbar gewesen. Die Erziehung zum »tschekistischen« Feindbilddenken, zu unbedingtem Gehorsam, zu elitärem Korpsgeist war wesentlich ihr Werk. Versuche der »Politruks«, sich aus ihrer Verantwortung herauszustehlen mit dem Argument, sie wären nicht unmittelbar operativ eingesetzt gewesen, sind insofern gänzlich abwegig.
Für die Bedeutung, die die ideologische Disziplinierung und die politische Erziehung durch die SED als Motiv der »politisch-operativen Arbeit« des MfS besessen haben, gibt es im übrigen auch einen negativen Beweis. In dem Augenblick, da der politisch-ideologische Verfall der SED so weit fortgeschritten war, daß sie ihre seit 1968 in der Verfassung der DDR verankerte »führende Rolle« als marxistisch-leninistische Staatspartei nicht nur de facto eingebüßt hatte, sondern auch de jure aufgeben mußte – eine diesbezügliche Verfassungsänderung beschloß die Volkskammer am 4. Dezember 1989 –, da brach sich die stimulierende Kraft, die die Partei der Staatssicherheit eingeflößt hatte. Mit der Krise der SED war auch das MfS in die Krise gedriftet. Und irgendein »tschekistischer« Nimbus war über Nacht verweht.
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Die Einsatzleitungen
Strukturell waren Staatspartei und Staatssicherheit der DDR zusätzlich durch die dem Nationalen Verteidigungsrat unterstellten Einsatzleitungen miteinander vernetzt — in der Zentralen Einsatzleitung, in den Bezirkseinsatzleitungen, in den Kreiseinsatzleitungen. Auf jeder Ebene führten die Einsatzleitungen Verwaltung, Staatssicherheit, Volkspolizei und Nationale Volksarmee unter Führung des jeweils zuständigen Parteichefs zusammen. Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates war mithin der Erste Sekretär/Generalsekretär des ZK der SED, Vorsitzender der Bezirkseinsatzleitung war jeweils der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Vorsitzender der Kreiseinsatzleitung war jeweils der 1. Sekretär der Kreisleitung der SED.
Die Tätigkeit der Einsatzleitungen waren keineswegs auf Ausnahmesituationen in Zeiten inneren Notstands oder internationaler Spannungen beschränkt. Vielmehr traten die Einsatzleitungen aller Ebenen auch in normalen Zeiten plan- und regelmäßig zusammen, um Fragen der militärischen, vor allem aber der inneren Sicherheit zu beraten und in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Entscheidungen zu treffen.
Für die Beziehungen von SED und MfS waren diese Zusammenhänge deshalb so erheblich, weil die Parteichefs jeweils auf ihrer Ebene als Vorsitzende der Einsatzleitungen durchaus weisungsbefugt auch gegenüber der Staatssicherheit waren, unabhängig davon, daß normalerweise der bürokratische Apparat der SED sich nicht in die »politisch-operative Arbeit« der Staatssicherheit einzumischen pflegte. Der Chef der Staatssicherheit, gleichviel auf welcher Ebene, war daher in wichtigen Entscheidungen – auch operativen Entscheidungen – an unmittelbare Weisungen des Parteichefs gebunden.
Von der Sache her ergab sich in den Einsatzleitungen ein besonders enges Zusammenwirken zwischen den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit und denjenigen des Ministeriums des Innern, aber es beschränkte sich nicht auf die Einsatzleitungen. Staatssicherheit und MdI waren im Gegenteil in vielfältiger Weise und auf allen Ebenen strukturell und personell eng aneinander gekoppelt. Ganz abgesehen davon, daß die Diensteinheiten der Linie VII im MfS für die Abschirmung und Überwachung der Volkspolizei und der anderen Dienstzweige des Innenministeriums unmittelbar zuständig waren, reichte ihre konkrete Zusammenarbeit von der Abstimmung von Aufgaben und Maßnahmen hei der Bekämpfung der Kriminalität bis zur Auskunftserteilung der Abteilungen Paß- und Meldewesen bei den Räten auf Kreis- und Bezirksebene zur Eindämmung von Übersiedlungsbegehren. Sie erstreckte sich auf die Sicherung von öffentlichen Veranstaltungen wie auf die Kooperation im Strafvollzug, für den m der DDR der Dienstzweig Strafvollzug im MdI zuständig war.
Spezielle Grundlage der Zusammenarbeit von MfS und MdI waren die Dienstanweisungen Nr. 2/79 des MfS über das politisch-operative Zusammenwirken der Dienststellen des MfS mit der DVP und den anderen Organen des MdI sowie die Dienstanweisung Nr. 2/87 einschließlich dreier Durchführungsbestimmungen über die politisch-operative Sicherung der DVP und der anderen Organe des MdI durch das MfS26.
Die verdeckte Überwachung der Volkspolizei durch Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit sowie durch Offiziere im besonderen Einsatz in der Kriminalpolizei ist damit noch gar nicht angesprochen.
Ein enges Zusammenwirken von MfS und MdI sah zudem die sogenannte Mobilmachungsplanung vor, in der Aufgaben und Maßnahmen für den Fall des Verteidigungszustands, aber auch des inneren Notstands festgelegt waren. Sie umfaßte im Rahmen der »spezifisch-operativen Vorbeugungsmaßnahmen« u.a. »die Internierung von Personen, die unter dem begründeten Verdacht stehen, staatsfeindliche Handlungen oder andere operative bedeutsame Straftaten zu begehen«, sowie »die Isolierung von Personen mit einer verfestigten feindlichnegativen Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung, zu denen der begründete Verdacht besteht, daß sie die staatliche Sicherheit und die Verteidigungsfähigkeit der DDR gefährden«.
Das Makabre dieser Planung: Sie entstammt einer »Studie zur weiteren Vervollkommnung und Effektivierung der spezifisch-operativen Vorbeugungsmaßnahmen in den Diensteinheiten des Ministeriums für Staatssicherheit«27, die die Arbeitsgruppe des Ministers unter dem 3. Oktober 1989 vorgelegt hat. Verwaltung und äußere Sicherung der Internierungs- und Isolierungsobjekte des MfS sollten der Volkspolizei überantwortet werden.
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