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9  Am "Ende" des Klimawandels: Eine neue Erde

16. Februar 2020 - Von Jörg Phil Friedrich   Was kommt nach dem Klimawandel - Teil 9

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Mit fortschreitendem Klimawandel wird der menschliche Einfluss auf das Klima zurückgehen. Dies wird nicht etwa durch Einsicht geschehen, vermutlich werden die Menschen mit ihren Versuchen, sich die alltäglichen Lebens­bedingungen so erträglich wie möglich zu gestalten, sogar klimaschädlicher handeln, als wir es heute gerade anzustreben beginnen. Wir werden auf Techniken zurückgreifen, die einen schlechteren Wirkungsgrad haben und mehr Schadstoffe ausstoßen als unsere modernen Werkzeuge, einfach, weil diese nicht mehr funktionieren und ältere, schlichtere Techniken zwar umweltschädlicher, aber weniger störanfällig und komplex sind. Ein Kohle- oder Holzfeuer wärmt weniger und stößt mehr CO2, Ruß und Schadstoffe aus als eine Niedrigtemperatur-Ölheizung - aber es funktioniert auch ohne Steuerungselektronik, die einen konstanten und zuverlässigen Strom­anschluss braucht.

Aber dennoch werden wir das Klima ganz allmählich weniger belasten. Zum einen, weil wir weniger Menschen sein werden, vor allem aber, weil wir immer weniger fossile Energieträger verbrennen werden. Das liegt schon daran, dass die Versorgung mit diesen Energieträgern selbst auf funktionierende technische Infrastrukturen, von Ölpipelines über die Straßennetze, auf denen Tanklastwagen fahren, das Tankstellennetz und überall und immer auf funktionierende Stromversorgung angewiesen sind. Wir werden zudem eine Vielzahl von Geräten nicht mehr nutzen können, die Strom verbrauchen, wie etwa Computer und ihre Netzwerke, Fernseher und Radios. Es wird keine funktionierenden Internetserver mehr geben und keine Fernsehsender und Rundfunkstationen, einfach, weil all das nicht mehr mit vertretbarem Aufwand betrieben und am Leben erhalten werden kann.

Mit den Einschränkungen und schließlich dem Zusammenbruch der Treibstoff- und Energie-Versorgungsnetze werden wir alle benzin- und strombetriebenen Fahrzeuge und Haushaltsgeräte, vom Auto über den Rasenmäher, das E-Bike und den Geschirrspüler bis hin zum Kuchenrührgerät nur noch selten oder gar nicht mehr nutzen können. Überall werden wir uns wieder auf unsere Muskelkraft besinnen. Das wird zu Einsparungen im Energie­verbrauch führen, die wir uns heute gar nicht vorstellen können. Für die Geräte, die wir weiterhin mit Strom betreiben wollen, werden wir uns lokale Generatoren einrichten, zuerst werden wir da sicher noch den letzten Diesel verbrennen, der aus den Tankstellen zu holen ist, aber spätestens, wenn auch das Holz knapp wird, werden wir auf Sonnen- und Windenergie setzen.

Somit wird die menschlich verursachte Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre innerhalb einer recht kurzen Zeit nicht mehr weiter anwachsen. Bei welchem Wert diese Konzentration schließlich stehen bleiben wird, ist zwar wichtig, aber überhaupt nicht einzuschätzen. Klar ist aber, dass das Klima danach dennoch nie wieder so sein wird, wie zuvor. Die Treibhausgase werden ja aus der Atmosphäre nicht wieder "ausgewaschen" wie es etwa mit Ruß und anderen Schadstoffen geschieht. Sie verbleiben dauerhaft in der Atmosphäre. Die globale Erwärmung, die wir derzeit verursachen, wird in Jahrtausenden nicht rückgängig gemacht, weil das CO2 allenfalls in Jahrmillionen wieder in Erdöl oder Kohle zurückverwandelt werden kann.

   Am Ende ist der Klimawandel längst nicht zu Ende 

Der Klimawandel ist auch nicht zu Ende, wenn wir aufhören, CO2 in die Luft zu blasen. Viele Prozesse des Klimawandels sind langfristig. Sie reagieren träge auf die Zunahme des CO2, aber sie reagieren eben auch sehr träge auf das Ende des Anstiegs der CO2-Konzentration. Die antarktischen Eismassen werden über Jahrhunderte weiter schmelzen, damit verbunden werden die Meeresspiegel weiter ansteigen und viele Klimaprozesse, die von der Land-Meer-Verteilung abhängig sind, werden sich dadurch weiter verändern.

Aber es wird allmählich eine Zeit der Beruhigung beginnen, eine Zeit, in der der Wandel sich verlangsamt, weil der wichtigste Treiber der Beschleunigung, der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, verschwindet. Wann es dazu kommt, ist ungewiss. Heute geht die Wissenschaft davon aus, dass Treibhausgase auch durch Prozesse in die Atmosphäre entweichen, die durch den Menschen zwar verursacht werden, die aber nicht von ihm gestoppt werden können. So werden etwa auch aus den schmelzenden Permafrostböden Treibhausgase entweichen. Wenn die alten Wälder sterben und die organischen Reste der Bäume zerfallen, wird CO2 in die Atmosphäre gelangen, welches lange in diesen Wäldern gespeichert wurde. Ob diese zusätzlichen Prozesse noch lange andauern werden, nachdem der letzte Verbrennungsmotor stillgelegt und das letzte Kohle­kraftwerk abgeschaltet ist, ist ungewiss.

Dennoch: Es wird zu einer Verlangsamung des Klimawandels kommen. Die klimatischen Veränderungen werden wieder in einem Zeitmaßstab stattfinden, in dem die Menschen und auch die Natur sich daran anpassen können. Es wird wieder so etwas wie Normalität geben.

Diese Normalität wird sich radikal von der unterscheiden, die wir aus den letzten Jahrhunderten kennen. Die Klimazonen, die in den Lehrbüchern des 20. Jahrhunderts beschrieben sind, wird es nicht mehr geben. Die Strömungs­muster der Atmosphäre und der Ozeane, für die die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts Namen wie Jet Stream und Golfstrom gefunden hat, werden durch andere ersetzt werden.

Und die alten Muster der Normalität werden nicht zurückkehren, denn das Klima wird auf Dauer einem neuen Normalzustand zustreben, es wird neue normale Jahreszeiten, neue Ausnahme-Witterungen und neue Extremwetter geben. Unter diesen neuen Bedingungen werden sich neue Biotope und neue Ökosysteme bilden, Pflanzen und Tiere werden sich neu auf der Erde verteilen.

  Wir werden uns neu einrichten 

Und die Menschen, die das Klimachaos überlebt haben, werden sich auf dieser neuen Erde einrichten. Sie werden nicht vergessen haben, wie es zu diesen neuen Bedingungen gekommen ist, und sie werden vor allem wissen, dass ihre Lebensbedingungen unsicher bleiben, weil der Wandel eben auf Jahrhunderte noch nicht vorbei ist. Das, was als kleine Hilfe während der Zeit des Klimachaos gewirkt hat, nämlich, dass das Eis der Antarktis erst allmählich abschmilzt, wird nun zur langfristigen Bedrohung für die folgenden Generationen.

Auf der insgesamt wärmeren Erde wird es nicht möglich sein, dass der südliche Kontinent [Antarktis] von Eis bedeckt bleibt, und so wird, auf lange Sicht, all das Land von Wasser überschwemmt werden, welches heute ein paar Dutzend Meter über dem Meeresspiegel liegt. Und mit diesem Prozess wird sich das Klima und werden sich die Ökosysteme weiter wandeln. Darauf werden die Menschen sich einzurichten haben. Nach dem radikalen Klimawandel kommt der langsamere, stetige Wandel, schneller als alles, was in den letzten Jahrhunderten geschah, aber doch langsam genug, damit erfinderische und aktive Menschen mit ihm zurechtkommen werden.

Die Erde wird von Menschen insgesamt viel dünner besiedelt sein als heute, da die Zahl der Menschen insgesamt zurückgegangen sein wird. Wir hatten oben die Vermutung geäußert, dass die Menschen in Zeiten der Unsicherheit weniger Kinder bekommen werden. Zu hoffen bleibt, dass sie nicht ganz auf Kinder verzichten. Eine Gesellschaft, die auf Nachwuchs ganz verzichtet, stirbt binnen eines Jahrhunderts aus - diese Einsicht ist trivial. Hoffen wir, dass genügend Menschen im Klimachaos Möglichkeiten finden werden, Kinder zu haben und aufwachsen lassen zu können - wenn das nicht gelänge, wären alle weiteren Überlegungen sinnlos.

Die Menschen auf der neuen Erde werden aus den Fehlern ihre Vorfahren einige Tabus gemacht haben. Sie werden, kurz gesagt, keine Kohle und kein Erdöl mehr verbrennen. Vermutlich werden sie vielen Technologien ein großes Misstrauen entgegenbringen, bei denen Nebenprodukte entstehen und die von Wirkungen begleitet werden, deren Konsequenzen man nicht kennt.

Der Mythos des Fortschritts und des wissbegierigen Menschen, der die Welt erobert und in Besitz nimmt, wird begraben sein. Wenn sich die Menschen überhaupt auf frühere Kulturen besinnen, dann auf jene, die über Jahrhunderte stabil, wenn auch in Unsicherheit und abhängig von den Schwankungen der Natur, gelebt haben und die sich über lange Zeiten kaum verändert hatten, bis aus Europa eine Kultur über sie kam, die Fortschritt und Wohlstand verhieß und am Ende in die großen Katastrophen bis zum Ende der Menschheit geführt hat. Von solchen Verheißungen und Segnungen durch technischen Fortschritt werden die Menschen genug haben, Ideen und Versprechungen dieser Art werden auf Ablehnung und tiefes Misstrauen stoßen.

Und dennoch wird den Menschen nichts anderes übrigbleiben, als erfinderisch zu sein und der eigenen Kreativität und der Hoffnung auf die Möglichkeiten der eigenen Kraft zu vertrauen. Die Bedingungen des Lebens wandeln sich weiter, die Meeresspiegel steigen, die Klimazonen wandeln sich und mit ihnen die Lebensbedingungen. Da wird die Erfinderkraft des menschlichen Geistes gebraucht, und mit den Erfolgen der neuen Techniken wird das Selbstbewusstsein in die Möglichkeiten der eigenen Schöpferkraft wieder steigen.

Es wird ein Dilemma sein: Die Menschen werden sich selbst aus gutem Grund und in Erinnerung an die selbst verursachten Katastrophen misstrauen und werden doch ihr Vertrauen in ihre Fähigkeiten brauchen, um zurecht zu kommen - und sie werden sich in diesem Vertrauen bestärkt sehen, je besser es ihnen gelingt, auf dieser neuen Erde gesund und glücklich ein neues Leben zu gestalten. Es bleibt ihnen zu wünschen, dass sie darüber das Scheitern ihrer Vorfahren nicht vergessen.

 

 

 

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