Teil I Die »Operative Psychologie« und ihre Anwendung
Von Klaus Behnke
Lernziel: Zersetzung - Die »Operative Psychologie« in Ausbildung, Forschung und Anwendung
Zur Geschichte
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Was ich vorhabe, wird eine Konfrontation, ohne die Aufarbeitung unmöglich ist. Deshalb werde ich ausführlich aus den Materialien zitieren, auch wenn, so wie es mir beim Lesen der ca. vierzig Bände von Forschungsarbeiten und Lehrplänen erging, die Affekte außerordentlich groß sein werden. Mein Vorhaben, genau hinzusehen, aus einer Mischung aus wissenschaftlichem und persönlich-biographischem Interesse, das Geschehene aufzudecken, wurde in diesem Sumpf aus Brutalität, Engstirnigkeit und Banalität bald von massiver Abneigung überdeckt.
Aber welche praktische Effektivität besaß diese »Psychologie«? Was sich hier zeigte, ist eine der Formen der Banalität des Bösen. Es verbarg sich zwar in verharmlosenden Sprachregelungen, deren Bedeutung aber jedem klar war, und sie hatten in ihrer Ungenauigkeit überdies den Vorteil, daß niemand gezwungen war, sich den Charakter seines Tuns in vollem Umfang einzugestehen.
Der Ort des Geschehens: Die Juristische Hochschule in Potsdam-Eiche/Golm. Der Name führt in die Irre, denn er war konspirativ gewählt. Inoffiziell hieß es: Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Juristische Hochschule (JHS). Diese Stasi-eigene Hochschule war aufgegliedert in mehrere Fachbereiche, und einer davon war der der Psychologie, der »Operativen Psychologie«. Neben der flachen psychologischen Grundausbildung haben die Dozenten an den »operativen Vorgängen« führend mitgearbeitet.
Was das MfS unter einer Psychologie in »operativer« Absicht verstand, erhellen die folgenden Ausführungen aus dem Jahre 1968:
»Eine der vielen Wissenschaften, die sich mit der Erforschung der menschlichen Leistungen und Verhaltensweisen befaßt, ist die marxistisch-leninistische Psychologie. Der für einen längeren Zeitraum gültige gesellschaftliche Auftrag der Psychologie in der DDR besteht darin, verstärkt solche psychologischen Erkenntnisse zu erarbeiten und in die Praxis umzusetzen, die der Steigerung der Effektivität der Arbeit bei gleichzeitiger Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen dienen.«1)
In der Anwendung auf die Arbeit des MfS hieß das, »daß die Psychologie einen Beitrag zur weiteren Erhöhung des Nutzeffektes der tschekistischen Tätigkeit leisten« sollte, weshalb die Ausbildung in »Operativer Psychologie« als »unverzichtbarer Bestandteil« des Studiums an der Hochschule des MfS in Potsdam galt.
Dort erwarben die Stasi-Mitarbeiter durch »die Aneignung wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse über die menschlichen Leistungen, Verhaltensweisen und Eigenschaften, ihre Entstehungsbedingungen und Wirkungen in der tschekistischen Arbeit« die »wesentlichen Grundlagen« für diesen Aspekt ihrer Tätigkeit. Das Studium der »marxistisch-leninistischen Psychologie« sollte, bezogen auf die Arbeit des MfS, dazu beitragen, daß die Stasi-Mitarbeiter über ihre »persönlichen Erfahrungen hinaus den <Faktor Mensch> noch bewußter bei der Realisierung operativer Prozesse berücksichtigen und nutzen.«
Was schreckte, war offenbar die Tatsache, daß es im Menschen etwas gibt, das sich dem kontrollierenden Zugriff entzieht. Sinnvolles menschliches Handeln werde nämlich, wie es in der Studieneinführung heißt, »nicht durch das Wirken der einen oder anderen psychischen Erscheinung, sondern nur durch das komplexe Zusammenwirken vieler psychischer Erscheinungen ermöglicht.«
Die Studieneinführung gibt auch gleich ein Beispiel für »die Wirkung einzelner psychischer Erscheinungen in der praktischen Arbeit von Angehörigen einer Diensteinheit bei der Vorbereitung eines Einsatzes«: »Der Referatsleiter erhält einen schriftlichen Einsatzbefehl, seine Mitarbeiter zur Sicherung einer Großveranstaltung dem Leiter des Einsatzstabes zu unterstellen [...]. In einer Dienstbesprechung macht er die Genossen mit der Aufgabenstellung vertraut.«
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Dann wird erläutert, welche psychischen Erscheinungen sich nun in einer solchen Situation vollziehen: »Der Referatsleiter hält das Schriftstück in der Hand. Er sieht auf den Text, spricht zu den Genossen, die seine Worte hören. In jeder Situation werden dabei unaufhörlich vom einzelnen Einflüsse aus der unmittelbaren Umgebung mit Hilfe der Sinnesorgane aufgenommen.«
Die Situation wird weiter ausgeleuchtet: »Der Referatsleiter hat sich einige Formulierungen des Befehlstextes eingeprägt und gemerkt. Für seine Erläuterung muß er sich einzelner Worte und Festlegungen erinnern, muß sie reproduzieren. Nur wenn die entsprechenden Wahrnehmungsinhalte behalten werden, kann man mit ihnen auch arbeiten, sie im Gespräch wieder benutzen. Dafür sind die Gedächtnisprozesse notwendig. Um den Einsatz seiner Genossen richtig zu planen, muß der Referatsleiter auch die gegenwärtigen und die Einsatzbedingungen beachten, muß sie analysieren, vergleichen, seine Erfahrungen benutzen, für eine gewisse Zeit voraussehen, Schlußfolgerungen treffen.« Ich erspare uns weitere dieser Erstsemesterweisheiten.
Aber im Anschluß an diese Überlegungen wird im Anhang beispielhaft auf einige Stellenausschreibungen aus der Bundesrepublik für Diplom-Psychologen eingegangen. Demnach wurde also erkannt, daß die Psychologie im gesellschaftlichen Gefüge gebraucht und damit aufgewertet wurde. Beim »Klassenfeind« tat sich etwas, dem man nicht tatenlos zusehen konnte. Es erforderte eine Reaktion, die auch prompt erfolgte.
So ist im Jahre 1976, in der zweiten Phase der Entwicklung der »Operativen Psychologie«, der Ton schärfer geworden, die Sprache eindeutiger. Zwei Schwerpunkte lassen sich hier ablesen: der Einsatz von IM und die Bearbeitung »operativer Vorgänge« (OV). Die entsprechenden Aufgaben lauten: »Die Arbeit mit operativen Legenden und operativen Kombinationen« und: »Die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung«.2
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Die Etablierung
Die Notwendigkeit der »Operativen Psychologie« wird damit begründet, daß »psychologische Fragestellungen in immer mehr Bereichen der Arbeit des MfS an Bedeutung gewinnen und einer prinzipiellen Lösung durch die operative Psychologie bedürfen. Dabei muß beachtet werden, daß die weitere Qualifizierung der politisch-operativen Arbeit, ihrer Leitung und der Kaderarbeit ein komplexes Herangehen an den Menschen als Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis erfordert.
Die operative Psychologie muß deshalb in zunehmendem Maße interdisziplinär mit vielen anderen Wissenschaften, wie z.B. der Erziehungswissenschaft, der Arbeitswissenschaft, der Soziologie, der Medizin, der Rechtswissenschaft u.a. zusammenarbeiten und den ihr angemessenen Platz bei der Erforschung des Menschen in der Arbeit des MfS bestimmen.« Dabei war einerseits jede »Überbewertung der Psychologie, die sich als Psychologisierung der politisch-operativen Arbeit äußern kann, [...] zu vermeiden«, und andererseits »der teilweisen Unterschätzung dringender psychologischer Probleme in der Arbeit des MfS [...]) konstruktiv zu begegnen.«3
Die Begründung zeigt, daß eine psychologische Herangehensweise von Teilen des MfS abgelehnt oder für unwichtig gehalten wurde. Die alten Methoden des Hau-drauf und Kopf-ab waren auf der Führungsebene weit verbreitet, und die Richtlinie diente daher auch als Rechtfertigung der Beschäftigung mit Psychologie. Gleichzeitig gab es in dieser Zeit eine Diskussion im MfS, da der KGB seine Strategie des Umgangs mit Dissidenten dahingehend verändert hatte, daß er sie des Landes verwies.
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Die Stasi schloß sich zwar dieser Vorgehensweise an, gab aber zusätzlich die Order, daß die Ausgewiesenen im Westen auf keinen Fall erfolgreich sein dürften und verhindert werden sollte, daß sie weiter gegen die DDR arbeiteten.
Es werden zwei »Hauptrichtungen der Entwicklung der operativen Psychologie« jeweils mit ihren Zielstellungen und Methoden dargestellt. Anscheinend phraseologische, aber typische Formulierungen der MfS-Wissenschaftler geben einen ersten thematischen Einblick in die strategische Denkweise der »Operativen Psychologie«.
Hauptrichtung 1
Die erste Hauptrichtung umfaßt folgende Aufgabenbereiche (a-e):
(a): »Die Entwicklung und der Einsatz psychologischer Verfahren zur Feststellung der Eignung operativer Kräfte für spezielle Funktionen und Tätigkeiten.«
Die wesentlichen Gegenstände der Arbeit auf diesem Gebiet waren z.B.:
- »die Feststellung der Eignung von Kadern für operative Tätigkeiten«, die spezielle Leistungsvoraussetzungen erfordern,
- die Feststellung der Eignung von IM für die »Ausübung bestimmter Funktionen« bzw. für »weitere spezielle operative Tätigkeiten.«Anzuwenden waren dafür insbesondere Methoden der psychologischen Eignungsdiagnostik, »der Arbeitsmedizin und anderer medizinischer Richtungen (speziell in der Entwicklung objektiv sicherer Professiogramme und Methoden der Tauglichkeits- und Eignungsfeststellung im Bereich vorwiegend geistiger Tätigkeiten).«
(b): »Die Qualifizierung der Einschätzung der die politische Zuverlässigkeit operativer Kräfte und operativ interessierender Personen wesentlich bestimmenden politischideologischen Einstellungen und Überzeugungen und anderen Persönlichkeitseigenschaften.«
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Es ging dabei um die Mittel, mit denen sowohl Oppositionelle als auch eigene Mitarbeiter beurteilt werden konnten. Die wesentlichen Arbeitsgegenstände waren:
- »die Überprüfung der Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit von IM,
- die Überprüfung weiterer operativ interessierender Personen wie Anzeigeerstatter, Auskunftspersonen, Zeugen u.a.,
- die Einschätzung von Motivationen, Einstellungen und anderen operativ bedeutsamen Persönlichkeitseigenschaften von negativ und feindlich handelnden Personen.«
Um dies zu erreichen, sollten verstärkt die forensische Psychologie, die Persönlichkeitsdiagnostik, die klinische Psychologie und die Psychiatrie herangezogen werden.(c): »Die beständige Sicherung einer anforderungsgerechten Einschätzung von Motivationen, Überzeugungen und Einstellungen und anderen operativ bedeutsamen Persönlichkeitseigenschaften operativer Kräfte als solche das gegenwärtige und zukünftige Verhalten bestimmende Voraussetzungen.«
Um diese Aufgaben zu erfüllen, wurde eine »gezielte Auswahl und modifizierte Übernahme von Erkenntnissen und speziellen Analysemethoden der Soziologie, der Arbeitswissenschaften, der Persönlichkeitspsychologie (besonders der Motivationsforschung), der Militärpsychologie, der klinischen Psychologie und Medizin« empfohlen. Daneben sollten »durch interdisziplinäre wissenschaftliche Arbeit zu diesen Gegenständen interne Qualitätskriterien, Bedingungen und Mittel« erarbeitet und »eigene Analyseverfahren mit hoher Treffsicherheit« entwickelt werden.
(d): »Die Qualifizierung der Einschätzung des Entwicklungsstandes operativ bedeutsamer sozialer Beziehungen zwischen Personen bzw. in Gruppen.«
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Damit wandte sich die Richtlinie von der überwiegend internen psychologischen Durchleuchtung ab und eröffnete die Perspektive auf die Zielgruppe der Arbeit der psychologisch geschulten und als zuverlässig eingeschätzten Stasi-Mitarbeiter. Was jetzt ins Bild rückte, war das Beziehungsgefüge zwischen Oppositionellen, formellen und informellen Mitarbeitern sowie anderen Personen.
Als Arbeitsgegenstände wurden angeführt:
»Die Einschätzung der Bindungen und des Vertrauensverhältnisses des IM zum operativen Mitarbeiter, die Einschätzung der vertraulichen Beziehungen zwischen IM und operativ bearbeiteter Person,
die Einschätzung des Charakters der operativ bedeutsamen sozialen Beziehungen operativ bearbeiteter Personen zu Verwandten, Bekannten, Kollegen usw. (z.B. Einflußpersonen, Abhängigkeiten, soziale Isolierung, Wirkungsfeld u.a.),
die Einschätzung der sozialen Beziehungen in Gruppen, die in operativen Vorgängen bearbeitet werden (z.B. Funktionsstruktur, Beziehungsstruktur, Tendenzen der Festigung oder des Zerfalls, Gruppenatmosphäre u.a.).« (e): »Erfassen und Einschätzen psychischer Bedingungen als Bestandteil von Massenerscheinungen.«
Die zu diesem Punkt aufgelisteten Arbeitsschwerpunkte beschäftigen sich vor allem mit den psychischen Bedingungen innerhalb von Dissidentengruppen.
Hauptrichtung 2
Die Aufgaben der zweiten Hauptrichtung der Entwicklung der »Operativen Psychologie« umfassen folgende Themenbereiche (a-d):
(a): »Entwicklung und Einsatz effektiver Trainingsverfahren für die Mitarbeiter im operativen Einsatz.«
Wesentliche Arbeitsgegenstände waren z. B:
- die »Entwicklung von Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Denkfähigkeit bei operativen Beobachtern.«(b): »Die IM-Forschung«
Die IM-Forschung sollte sich mit der »Qualifizierung« von IM beschäftigen, um sie besser zu befähigen, vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Personen aufzubauen und sie einzuschätzen.
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(c): Erforschung der Möglichkeiten von »Einstellungs- und Verhaltensänderung bei IM und operativ interessierender Personen.«
Gegenstand dieser »Forschungen« waren die »verschiedenen [An-]Werbegrundlagen« sowie die Möglichkeiten der »direkten Beeinflussung von Personen, um sie von geplanten feindlichen Handlungen abzubringen (z.B. durch Vorbeugungsgespräche) und die Rückgewinnung irregeleiteter, schwankender Personen auf gesellschaftsgemäße Haltungen und Verhaltensweisen.«
Dazu sollten »Grundlagenerkenntnisse und empirische Forschungsergebnisse vor allem der Sozialpsychologie, der klinischen Psychologie (speziell der Psychotherapie und Psychohygiene), der Strafvollzugspsychologie und -pädagogik und zum Teil der Medizin nutzbar« gemacht werden: »Verfahren bzw. Methoden der Persönlichkeitsbeeinflussung, die in diesen Wissenschaftsdisziplinen entwickelt wurden, sind durch notwendige Anpassungs- und Übertragungsleistungen für den Einsatz in der operativen Arbeit aufzubereiten. Der Schwerpunkt liegt jedoch in der eigenständigen Entwicklung von Einflußverfahren.«
(d): »Mitwirkung an der Vorbereitung operativer Kräfte auf ihren Einsatz im Rahmen operativ bedeutsamer Massensituationen.«
Den Schwerpunkt bildete die Anwendung von Mitteln und Methoden der Massenkommunikation zur Lenkung der Bewegungen großer Menschenansammlungen (z.B. Beseitigung von Gefährdungssituationen bei Veranstaltungen, Demonstrationen u.a.). Hierzu gehört ebenfalls der große Bereich der OV-Bearbeitung, also der Vorbereitung, theoretischen Durchdringung und Durchführung von Maßnahmen gegen Oppositionelle.
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Forschung, Lehre und Anwendung
Forschung und Lehre der »Operativen Psychologie« waren stets praxisnah und anwendungsorientiert. Man war bemüht,
»aufbauend auf dem psychologischen Grundlagenwissen [...] im Sinne einer >Spezialausbildung operative Psychologie< im sachlichen Zusammenhang mit den in verschiedenen Lehrstühlen und Fachbereichen behandelten operativen Problemen und eingeordnet in die jeweiligen Lehrprogramme vertiefend durch Psychologen Spezialkenntnisse zu vermitteln, wie z.B. Fragen der Informationsaufnahme und -Verarbeitung als individuelle menschliche Leistung in der inoffiziellen und analytischen Arbeit (Fachbereich I und Fachbereich III), innere Bedingungen der Entstehung und Überwindung von Konflikten in Bewährungssituationen (Fachbereich III, Fachbereich V und Fachbereich VII), psychologische Möglichkeiten der Qualifizierung von Identifikationsleistungen in Kontrollprozessen (Fachbereich VIII), zur Analyse der Aussagefähigkeit und Stimulierung der Aussagebereitschaft von Personen in der Untersuchungsarbeit (Lehrstuhl Strafprozeßrecht/Untersuchungsarbeit), Möglichkeiten und Besonderheiten der Anwendung psychodiagnostischer Verfahren als Bestandteil gezielter Persönlichkeitseinschätzung von IM und IM-Kandidaten (Fachbereich I) u.a.«
Diese Lehrinhalte waren durchweg konkret ausgerichtet auf die für ihre Anwendung wichtigen Aspekte der
— »Bedingungen und Faktoren, die einzelne psychische Erscheinungen oder die ganze Persönlichkeit determinieren (z.B. gesellschaftliche Normen und Werte, berufliche Anforderungen, ideologische Einflüsse des Gegners, familiäre Situation, Freizeitbereich, eigene Interessen und Bedürfnisse, Einstellungen u.a. Eigenschaften, biologische Faktoren)«, und der
— operativ zu beachtenden und zu nutzenden Besonderheiten der Persönlichkeit von Angehörigen sozialer Gruppen (z.B. Künstler, Kulturschaffende, Angehörige der medizinischen Intelligenz, Jugendliche u.a.) bzw. anderer operativ bedeutsamer Personenkategorien (z.B. hartnäckige Antragsteller auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft, Haftentlassene, Demonstrativtäter).«
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Die Studenten waren in der Regel Offiziersschüler im Fachschulfernstudium oder in der Hochschulausbildung. Die Lehrveranstaltungen fanden sowohl in der MfS-Hochschule als auch in ihren Außenstellen statt. Seminare wurden zumeist in den Bezirksverwaltungen und Unterrichtstagungen mit Einführungsvorlesungen in Potsdam abgehalten. Neben der allgemeinen Einführung absolvierten die Studenten dann verschiedene Trainingsprogramme, die üblicherweise ein Verhaltens- und Gesprächstraining beinhalteten. Da sich die Studenten in der Regel in Abteilungen der Bezirksverwaltungen befanden, geschah dies alles höchst praxisnah. Dabei wurden ihnen z.B. Lektionen wie diese angeboten: »Bestimmung der Anforderungen an die Persönlichkeit des künftigen IM«, »Inhalte und Ziele der Aufklärung und Überprüfung des IM-Kandidaten«, »Durchführung der Werbung des IM-Kandidaten.«
In den Übungen wurden den Studenten, gelegentlich auch in Zusammenarbeit mit Institutionen anderer Universitäten, Methoden der Persönlichkeitseinschätzung, Gesprächsführung und Beeinflussung sowie Fertigkeiten in der Stimmen- und Sprachanalyse, in autogenem Training und in der Schrift- und Dokumentenanalyse vermittelt.
Die Forschung konzentrierte sich vor allem darauf, vorhandene Methoden wie psychodiagnostische Tests oder sozialpsychologische Trainingsverfahren den Erfordernissen der »politisch-operativen Arbeit« anzupassen. Dazu waren Forschungsarbeiten erforderlich, »die in enger Zusammenarbeit mit der operativen Praxis und vorwiegend durch Psychologen realisiert werden müssen«, wie es »z.B. in der Forschung >Eignungsuntersuchung von IM<« der Fall war.
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In den Jahren 1988/89 wurden, neben einem Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit, u.a. Forschungsarbeiten mit Titeln wie »Politisch-operative Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit« und »Früherkennung neurotischer Störungen« geschrieben.4
Die Forschungsarbeiten, in der Regel Diplom- bzw. Doktorarbeiten, beschäftigten sich mit drei Themenkreisen, und zwar erstens mit der IM-Forschung, also mit der Anwerbung, der Erkennung psychischer Eigenschaften und der Beeinflussung; zweitens mit der Schulung der eigenen Mitarbeiter und drittens mit der OV-Forschung, wobei in der Regel ein OV dargestellt wurde, der bei einer der Haupt- oder Bezirksverwaltungen anhängig war, der »Forschende« war damit gleichzeitig derjenige, der den OV in der Praxis bearbeitete.
Im Vordergrund stand dabei als Handlungsanweisung die »Zersetzung«. So schreibt ein Hauptmann Wagner in seiner Diplomarbeit über den OV »Inspirator« in Weimar zunächst einmal grundsätzlich:
»Die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung basiert auf vorhandenen oder durch politisch-operative Kombinationen erzeugten Widersprüchen und Differenzen innerhalb feindlich-negativer Gruppierungen bzw. Einzelpersonen. Sie zielt auf die >Beschäftigung mit sich selbst< ab, d. h. darauf, sie von der Verwirklichung feindlich-negativer Pläne und Absichten abzulenken und zu verunsichern.«5
Bei erfolgreichem Einwirken äußere sich dies
- »in Zweifeln an der Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der geplanten feindlich-negativen Handlungen,
- in unterschiedlichen Vorstellungen über das taktische Vorgehen bei der Durchführung subversiver Tätigkeit,
- in den sozialen Beziehungen innerhalb von Gruppen, die sich in Konkurrenzstreben, Intrigen, Mißgunst u.ä. zeigen.«An anderer Stelle heißt es weiter, »Verunglimpfung, Diskreditierung und die Schaffung von Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit« könnten »wesentlich dazu beitragen, das Zusammenwirken zu stören.« Die Zersetzung als »Methode der Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit« trage im übrigen »Prozeßcharakter [...].
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Die mit der Einflußnahme auf die inneren Bedingungen feindlich-negativer Kräfte verfolgte Zielstellung der Zersplitterung, Isolierung oder Desorganisation, das Hervorrufen bzw. Verstärken von Widersprüchen, Differenzen und Zweifeln in feindlich-negativen Gruppen und Gruppierungen soll deren feindliche Handlungen eindämmen bzw. verhindern. Deshalb müssen Maßnahmen der Zersetzung immer auf einer konzeptionellen Planung der Gesamtheit der Kombinationen basieren.« In deren Rahmen seien jedoch die individuellen Gegebenheiten zu berücksichtigen und »für jede einzelne Person ein Ziel festzulegen, welches der Gesamtzielstellung untergeordnet ist«. Da man es aber mit Personen zu tun habe, »die mit großem Aufwand, teilweise fanatisch ihre feindlich-negativen Zielstellungen verfolgen, müssen sich die Zielstellungen sachlich und konkret an den gegebenen Möglichkeiten orientieren«. Damit werde »gleichzeitig eine Voraussetzung geschaffen, um den Prozeß der Einwirkung auf Einstellungen und Verhaltensweisen planmäßig zu gestalten.«
Die »Einflußnahme« sollte bei den »operativ bearbeiteten Personen« bestimmte Gefühle und Befindlichkeiten auslösen:
die Einsicht, »daß bestehende Konfliktsituationen in politisch-ideologischer Hinsicht nur in einer gesellschaftsgemäßen Art und Weise zu lösen sind«;
Interesselosigkeit, und zwar »insbesondere bei politisch schwankenden und labilen Personen, die von einer feindlich-negativen Gruppe in ihre subversive Tätigkeit einbezogen werden sollen«;
Angst »vor einer weiteren Beteiligung an feindlich-negativen Handlungen, wenn eine weitere Mitwirkung der Personen mit strafrechtlichen Konsequenzen verbunden ist,
Enttäuschung, die hervorgerufen werde, »wenn der Nachweis eines Mißbrauchs von Gefühlen der Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Gutgläubigkeit dieser Personen im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung feindlich-negativer Handlungen gelingt«;
Panik und Bestürzung infolge des »zielgerichteten Wirksamwerdens der Schutz- und Sicherheitsorgane.«
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Ziel war die »Zersetzung« oppositioneller Bestrebungen, um »ein weiteres Wirksamwerden im Sinne politischer Untergrundtätigkeit zu unterbinden«. Die »Maßnahmen«, mit denen dies erreicht werden sollte, bestanden darin,
- »durch staatliche und gesellschaftliche Reaktionen auf ausgehende Aktivitäten den Personenkreis zu verunsichern,
- das öffentliche Ansehen, insbesondere des >aktiven Kerns<, zu diskreditieren,
- den >harten Kern< in seiner Ausstrahlung und Wirksamkeit zu isolieren,
- den gesamten Personenkreis durch staatliche und gesellschaftliche Einflußnahme zu disziplinieren,
- einen Mißbrauch der Kirche zur Inspirierung und Organisierung feindlich-negativer Handlungen auszuschließen und den Personenkreis von der Kirche zu isolieren,
- Voraussetzungen zu schaffen, die eine politisch-ideologische Beeinflussung mit dem Ziel der Einstellungsveränderung und Rückgewinnung ermöglichen.«Diese Zielsetzung spricht für sich selbst: Verunsicherung, Diskreditierung, Isolierung, Disziplinierung und die merkwürdige Hoffnung des MfS, nach all dem eine »gesellschaftsgemäße Einstellungsveränderung« bewirken und die Fehlgeleiteten »rückgewinnen« zu können.
Die »Erarbeitung operativer Ansatzpunkte für Maßnahmen der Zersetzung« trug laut Wagner ebenfalls »Prozeßcharakter«. Sie sollte »entsprechend dem vorbeugenden Charakter der Verhinderung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzen.«
Solche »wertvollen« Ansatzpunkte für »Maßnahmen der Zersetzung« seien z.B. gegeben, wenn....
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— »charakterliche und moralische Schwächen wie Neid, Mißgunst, außereheliche Beziehungen, Alkoholmißbrauch usw.«,
— finanzielle und materielle Abhängigkeiten und Schwächen,
— bedeutsame innere Bedingungen wie Angst oder ähnliches zu subversiven Tätigkeiten,
— deutliche Differenzen und Widersprüche zum taktischen Vorgehen bei der Realisierung der feindlich-negativen Tätigkeit,
— Erscheinungen, »die auf oppositionelle Haltungen und Bestrebungen zwischen dem oder den Anführern und den anderen Gruppenmitgliedern schließen lassen«, oder
— »Hinweise auf Dekonspiration oder Schwatzhaftigkeit, Prahlsucht oder Renommiergehabe« gegenüber Außenstehenden vorhanden wären.
In der Anwendung der Richtlinie 1/76 des MfS6 hatten sich bei der Bekämpfung »feindlich-negativer Gruppen« laut Wagner folgende konkrete Maßnahmen bewährt:
Die »zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten Idealen, Vorbildern usw. und die Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Perspektive,
das Erzeugen von Mißtrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von feindlich-negativen Gruppierungen,
das Erzeugen bzw. Ausnutzen von Rivalitäten innerhalb von Gruppen durch zielgerichtete Ausnutzung persönlicher Schwächen einzelner Mitglieder,
die Beschäftigung von Gruppen mit ihren internen Problemen mit dem Ziel der Einschränkung ihrer feindlich-negativen Handlungen,
die systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben,
die systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Mißerfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen,
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das örtliche und zeitliche Unterbinden bzw. Einschränken der gegenseitigen Beziehungen der Mitglieder einer Gruppe auf der Grundlage geltender gesetzlicher Bestimmungen z.B. durch Arbeitsplatzbindungen, Zuweisungen örtlich entfernt liegender Arbeitsplätze usw.«
Die Reaktionen, die man auf diese Weise auszulösen hoffte und die von Wagner gleichfalls aufgelistet wurden, entsprachen den gewünschten emotionalen Auswirkungen, die oben bereits angeführt worden sind:
- Fragen und Überlegungen, »warum nicht alle Mitglieder mit strafrechtlichen Sanktionen belegt wurden«,
- Unsicherheit darüber, »welche Kenntnisse das Sicherheitsorgan besitzt und welche Person was offenbart hat,
- gegenseitige Verdächtigungen und Beschuldigungen,
- Furcht einzelner Mitglieder vor strafrechtlichen Sanktionen« und »Zweifel an der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit [...] politischer Untergrundtätigkeit.«Diese Vorgehensweise wurde als »offensive Unterstützung der Politik von Partei und Regierung« verstanden und sollte »offene Konfrontationen feindlich-negativer Kräfte mit der Partei und staatlichen Organen« verhindern.
Zu den Zersetzungsmaßnahmen gehörten nicht zuletzt gezielte Übersiedlungen in die »BRD« und nach Westberlin, wie sie auch im Rahmen des OV »Inspirator« durchgeführt wurden.
Die Ziele dieser Methode bestanden in
- »der Auslösung eines Prozesses der Verwirrung, von gegenseitigen Verdächtigungen und Zwietracht,
- der Dezimierung des Personenkreises insbesondere aus dem harten Kern,
- der Verhinderung der Herausbildung einer sogenannten Führungsperson,
- der Verhinderung einer Formierung und Festigung der Organisationsstruktur.«7Am Beispiel des OV »Inspirator« läßt sich auch ablesen, mit welchem Erfolg derartige »Vorgänge« abgeschlossen wurden — sofern man der Selbsteinschätzung des beteiligten OV-Bearbeiters Wagner und der Stasi im allgemeinen
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Glauben schenken kann. Wagner jedenfalls brüstet sich damit, daß
— »eine offene Distanzierung der Kirche von derartigen mißbräuchlichen Handlungen« erfolgte,
— seitens der Kirche »eine weitere Nutzung kirchlicher Räumlichkeiten« durch den »Montagskreis«, um den es bei dem OV ging, untersagt wurde,
— der angestrebte Effekt der »Verunsicherung, Dezimierung und Disziplinierung« eintrat,
— der »Differenzierungsprozeß zwischen >hartem Kern< sowie Irregeleiteten und Mitläufern« weiter vorangetrieben wurde, und
— es außerdem zum »Entzug von Personalausweisen« kam.8
Zur Konkretisierung ein Einzelbeispiel: Der folgende Maßnahmeplan9, aufgestellt zur Zersetzung des Bürgerrechtlers Wolfgang Templin, zeigt besonders die enge Verzahnung zwischen verschiedenen Institutionen in der DDR, die, wenn nötig, auf allen Ebenen miteinbezogen wurden. So wird auch gleich der Sohn Templins miteinbezogen und die Zersetzungsmaßnahmen, die aufgrund dieser Planung folgten, waren von besonderer Perfidität. Das MfS antwortete auf ca. tausend fingierte Annoncen in wenigen Monaten. Im Ergebnis reisten mehrere hundert Personen an, um der Familie Templin mal lebende Tiere, mal einen Fernsehapparat, mal Autoreifen zu bringen oder abzuholen. Abgesehen von den Belastungen, die die Angereisten auf sich nahmen, war die Familie häufig mit ca. fünfzig Besuchern pro Tag, besonders am Wochenende, konfrontiert, was natürlich zu aggressiven Auseinandersetzungen führte. Denn erklärbar war das den Angereisten nicht. Und darauf kam es diesen »Psychologen« an. Der Einzelne sollte isoliert und sein Handlungsspielraum stark eingeengt werden. Die Beschäftigung mit sich selbst war zwar erreicht, wie sie es immer wieder – wie beschrieben – gefordert hatten; aber den Preis, den Hunderte dafür zahlen mußten, nahmen sie in Kauf, wenn nur einer seinen Weg gegen sie nicht weiter verfolgen konnte.
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Abbildungen
Stasi-Akten
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Ein anderes Beispiel: Mitarbeiter des MfS brachen, mit Nachschlüsseln ausgerüstet, in eine Wohnung ein, dort stahlen sie nur die einfarbigen Handtücher. Beim zweiten Mal stahlen sie nur die bunte Bettwäsche. Und so weiter, und so weiter. Wer mit solchen Zersetzungsmaßnahmen »bearbeitet« wurde, war nicht nur irritiert, sondern hier begann ein Prozeß der Realitätsdiffusion, der letztendlich eine Psychose auslösen konnte.
Die Dozenten, die solche Kenntnisse vermittelten und mit den entsprechenden Offizieren in der Hochschule ständig in Krisensitzungen diskutierten, kamen ausnahmslos von den Sektionen Psychologie der DDR-Universitäten, wo sie mit anderen Studenten zusammen das Diplom in Psychologie erwarben. So auch Oberstleutnant Dr. jur. Jochen Girke, einer der jüngeren unter den Dozenten. In einer Ergänzung zum Einstellungsvorschlag der KD Gera vom 28.6.1968 wird er als ein disziplinierter, intelligenter, wacher Mann geschildert.10
Die Universität Jena beschreibt ihn als einen Studenten, der »zu seinen Kommilitonen [...] ein kameradschaftliches Verhältnis [...]« hatte. Die Wahrheit war eine andere: Der Genosse Girke bespitzelte seine eigenen Kommilitonen und arbeitete an großen OVs wie »Pegasus« und »Revisionist« mit. 1987 wird er von seinen Vorgesetzten an der Stasi-Hochschule als hoch intelligent beschrieben, der der Aufgabenstellung überaus gerecht wird. Dazu zählten unter anderem die Durchführung von Trainingskursen und Seminaren zur Zersetzung. Girke bleibt bis heute der Einzige, der sich der öffentlichen Diskussion gestellt hat. Dabei beschönigt und simplifiziert er seine Tätigkeit, so daß seine Gesprächspartner, z.B. in Psychologie heute, den Eindruck von Offenheit gewinnen. Wie in anderen Bereichen der Stasi heute, nimmt Girke für die »Operativen Psychologen« die Position des Sprechers ein. Er scheint am besten geeignet, die Abteilung nach Außen zu vertreten. Der letzte Bericht aus seiner Kaderakte handelt von der Beförderung zum Oberstleutnant. Inzwischen arbeitet Girke als Wahlkampfmanager der PDS in Potsdam.
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Ein Ergebnis seiner heutigen Tätigkeit ist die Fastwahl von Rolf Kutzmutz, früheres Mitglied der SED-Kreisleitung, die immer auch Auftraggeber der Stasi war, zum Oberbürgermeister von Potsdam.
Ein zweiter der jüngeren Dozenten war Hans-Günther Kirmse, Dr. jur. und Major. Nach dem Abitur arbeitet er im Gefängnis und ist mit der »Erstellung von Führungsberichten für Strafgefangene« befaßt. Danach absolviert er von 1969 bis 1973 das Studium der klinischen Psychologie an der Humboldt-Universität, anschließend wieder Dozent in Potsdam.
Sein Vorgesetzter schreibt im Dezember 1978:
»Die Voraussetzungen für den Einsatz des Genossen Kirmse waren vor allem gegeben durch seine politisch klare Einstellung zur Arbeit im MfS und die mit seinem Studium im Bereich der klinischen Psychologie erworbene Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit [...]. Nach Beendigung der Schulbildung an der EOS wurde Genosse Kirmse 1962 Mitarbeiter des MfS und war bis 1969 in der Abteilung XVI zur Bearbeitung verfahrensrechtlicher Fragen des Strafvollzugs eingesetzt. Seine Bemühungen nach weiterer Ausbildung mündeten in die Delegierung zum Studium an die Humboldt-Universität Berlin, Fachrichtung klinische Psychologie, das er im Juli 1973 mit gutem Erfolg abschließen konnte. Verbunden mit seiner Versetzung zur Juristischen Hochschule war die Forderung, sich erste praktisch operative Erfahrungen durch eigene Tätigkeit in einer operativen Diensteinheit anzueignen. Genosse Kirmse ist zwischen 1973-1975 den mit seiner geplanten Einarbeitung verbundenen Anforderungen insgesamt [...] gerecht geworden. In vielfacher Weise konnte er sich durch seinen halbjährigen Einsatz als operativer Mitarbeiter in der KD Prenzlauer Berg (von Oktober 1973 - März 1974) mit Grundfragen der IM-Arbeit, der Aufklärung und Überprüfung von Personen, der Entwicklung operativen Ausgangsmaterials, der operativen Personenkontrolle und operativer Lageeinschätzung vertraut machen. Er hat sich dabei wie auch in den weiteren ihm in der KD übertragenen Aufgaben bewährt. Wissen und erste operative Erfahrungen erworben und in diesem Kollektiv Anerkennung erlangt«.11
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Abb
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Schwierigkeiten klingen an, Kirmse mußte noch einmal zu den Schmutzarbeiten der Zersetzung herangezogen werden, um Erfahrung zu sammeln: »Anfang 1977 übernahm er in Folge der Zuführung eines weiteren Mitarbeiters zum Fachbereich sein jetziges Arbeitsgebiet mit den Lehrgegenständen: - Beurteilung und Einschätzung von operativ tätigen und operativ interessierenden Personen, - Einschätzung psychischer Störungen und Verhaltensauffälligkeiten interessierender Personen.«
Dies blieb sein Arbeitsgebiet bis 1989.Heute ist er beruflich sehr erfolgreich in der Erwachsenenbildung in Potsdam tätig, bei dem Brandenburgischen Institut für Umschulung und Fortbildung (BIUF e.V.), das staatlich anerkannt, Sozialarbeiter und Erzieher ausbilden darf und mit Landesmitteln des Ministeriums für Arbeit finanziert wird. Die geschäftsführende Vorsitzende ist Frau Dr. Gabriele Girke. Dr. Kirmse unterrichtet dort Angewandte Psychologie mit den Inhalten: Ausbildung zum Supervisor, Kreatives Problem- und Konfliktlösen im Team, Seelenmassage - Psychoprophylaxe für jeden, Gekonnt Probleme und Konflikte meistern und Der Weg zum Verhandlungspartner.12
So hat sich Herr Kirmse mit seinem Verein darum bemüht, eine Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle aufzubauen, was aber durch öffentlichen Protest verhindert werden konnte. Und obwohl der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband nicht zuletzt über die entstandene Empörung weiß, wer die Dozenten am BIUF sind, kann der Verein weiterhin Verbandsmitglied sein. Über seine frühere Tätigkeit sagt Herr Kirmse heute, daß er damit abgeschlossen habe. Und dies schon nach so kurzer Zeit. Kirmse, etwas schlichter als Girke, bleibt im Hintergrund, eine Position, die ihm nicht unbekannt ist. Die letzte Seite seiner Kaderakte vermeldet: eine Auszeichnung.
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Abbildung
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Zusammenfassung
Die anhand von Originalmaterialien versuchte Einführung in den akademischen Aspekt der sogenannten »Operativen Psychologie« ist angesichts des gegenwärtigen Forschungsstandes als eine erste Annäherung zu verstehen. Die Aufarbeitung dieses eklatanten Wissenschaftsmißbrauchs steht derzeit noch am Anfang. Es bedarf einer intensiveren Beschäftigung über einen längeren Zeitraum, um die Fragen, die heute noch offenen Fragen zu klären. Dazu gehört u.a. eine eingehendere Untersuchung der vorhandenen Materialien zu Einzelfällen, der theoretischen Grundlagen und der inhaltlichen Ausrichtung der Trainingsprogramme. Ich habe auch Hinweise darauf gefunden, daß es bei der Schulung von leitenden Lehrkräften einen engen Zusammenhang zwischen den Lehrgebieten der MfS-Hochschule und der Pädagogischen Hochschule Potsdam gegeben hat. Als mögliche Forschungsstätte, die sich dieses Gegenstandes annehmen könnte, wäre die neugegründete Universität in Potsdam der geeignete Ort.
Die rhetorisch-programmatischen Absichtserklärungen der »Operativen Psychologie« enthüllen in ihrer Banalität einen merkwürdig übertriebenen Wissenschaftsglauben der MfS-Psychologen.
War vielleicht die »Operative Psychologie« eine bloße rhetorische Verkleidung vom Grundwissen (alltäglicher Menschenkenntnis) eines Geheimdienstes und aufgrund des Fehlens an praxisbezogener Erfolgskontrolle keine Wissenschaft – wie dies von Mitchell G. Ash nahegelegt wird? (vgl. den Beitrag in diesem Buch)
Die »Operative Psychologie« versuchte sich als eine Wissenschaft vom Menschen zu behaupten – nicht nur unter der Schirmherrschaft der marxistisch-leninistischen Psychologie, sondern offensichtlich als ein Konglomerat verschiedener psychologischer Teilgebiete. Und durch ihre eindeutig systematische Suche und Erforschung eines Gegenstands, durch ihre akademische Einbindung und interdisziplinäre Verknüpfungen schien sie in der Tat wie eine Wissenschaft.
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Ihre rhetorisch gewandte Selbstdarstellung zielte darauf, die Führungsetagen des MfS von der Nützlichkeit der Psychologie zu überzeugen, was natürlich nichts über die Wissenschaftlichkeit der »Operativen Psychologie« aussagt. Damit wäre jedoch eine nicht nur im Osten vorhandene, sondern eine im Westen häufig verdrängte Tatsache angesprochen: Die Legitimationsproblematik psychologischer Forschung und Wissenschaft befindet sich nicht nur im Spannungsfeld zwischen gesellschaftspolitischen Interessen der Geldgeber und einer Anpassungsleistung des Forschers oder Wissenschaftlers, sondern bezieht sich auch auf die Gretchenfrage, ab wann die Anhäufung einer Erkenntnis vom Menschen sich als Wissenschaft vom Menschen legitimiert, was nicht zuletzt vom jeweils herrschenden Diskurs abhängt.13
Ebenfalls zeigt der bis heute andauernde Streit um außeruniversitäre, therapeutisch-psychologische Disziplinen – wie etwa die Diskussion um die Wissenschaftlichkeit der Psychoanalyse14 – daß sich das Kriterium der Wissenschaft Psychologie nicht auf eine »Erfolgskontrolle« im Sinne der exakten Naturwissenschaften reduzieren läßt.
Ein unklarer Praxisbezug plagt die Wissenschaft Psychologie zwar schon lange, aber es ist der blanke Zynismus zu behaupten, daß die »Operative Psychologie« im Rahmen des Fehlens von (natur-)wissenschaftlicher Kontrolle praktiziert wurde, und ihre Wirkung deswegen nur Schall und Rauch gewesen wäre. Die »Operative Psychologie« kam vielfach nicht über schematische Auswertungen ihrer Forschungsergebnisse hinaus (vgl. den Beitrag von Helmut Müller-Enbergs in diesem Buch), war aber sehr effektiv. Psychologisches Wissen wurde ausgenutzt, bestenfalls zur Kollektivbildung, schlimmstenfalls zur »Zersetzung« der »operativ bearbeiteten« Personen und Gruppen.
Es ging jedoch ausschließlich um die Instrumentalisierung dieses Wissens, um eine sozialtechnologische Nutzbarkeit, die nur als hinterhältig und menschenfeindlich bezeichnet werden kann. Auf der Ebene einer derart pervertierten Anwendung psychologischer Erkenntnisse und Methoden war z.B. die Erzeugung von Psychosen nicht nur denkbar, sondern unter den gegebenen Bedingungen auch im Wortsinn >machbar<.
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In kaum einem anderen Staat wurden die >Störfaktoren< des sozialen Umfelds so stark kontrolliert und manipuliert wie in der DDR. Die Vorstellung einer »Operativen Psychologie« könnte als ein >Wunschkind< dieser Umstände und ethisch blinder Wissenschaftsfanatiker eines echten Experiments bezeichnet werden. Solche Wissenschaftler, die hinsichtlich der psychologischen und sozialpsychologischen Folgen eines solchen >Wechselbalgs< blind sind, gibt und gab es auch anderswo. Der >Fall< »Operative Psychologie« bietet jedoch ein Paradebeispiel für die Verbindung eines brutal repressiven Überwachungsapparats und akademisch tätiger Intellektueller (Wissenschaftler und Studenten), wobei die Kontrollfunktion der Erkenntnisse ihrer Wissenschaft auf das schamloseste gegen Menschen verwendet wurde — im Sinne des hier gemeinten >Mißbrauchs einer Wissenschaft<.
Dies steht in einem exemplarischen Gegensatz zur emanzipatorischen Ausrichtung der psychologischen Theorie und Praxis, von welcher etwa die im Osten verpönte Psychoanalyse oder die Entwicklung kritisch-psychologischer Ansätze im Westen charakterisiert sind. Das Psychologieverständnis des MfS stand im Zeichen eines reinen Zweckrationalismus, es ging ausschließlich um restriktive Prävention bzw. manipulative Intervention. Soziale Prozesse wurden allein zum Zweck der Manipulation des Forschungsobjektes untersucht, also (von den eigenen Mitarbeitern abgesehen) der Manipulation einzelner Oppositioneller oder »feindlich-negativer« Gruppen. So ist Mitchell G. Ash zuzustimmen, daß sich Psychologie einem gesellschaftspolitischen Mißbrauch erst dann entzieht, wenn sie sich als »Selbstverwirklichungswissenschaft« versteht, und die Wissenschaftler ihr eigenes Tun im Verhältnis zu gesellschaftspolitischen Anforderungen reflektieren.
Wenn nach dieser ersten Begegnung mit der Gegenstandsbestimmung der »Operativen Psychologie« diese auf Aspekte des ihr innewohnenden Menschenbildes untersucht wird, dann erscheint der ideale DDR-Bürger als ein wehrloses (da isoliert und verängstigt), gehorsames (da diszipliniert) und erpreßbares (diskreditierbares) Wesen ohne Individualität (da ohne Selbstvertrauen und aus eigener Kraft erfolglos), das in den Rastern »gesellschaftsgemäßer« Normen erstarrt und beliebig verfügbar war (für Arbeitsplatzzuweisungen, wenn eingliederungsfähig, oder für die Ausweisung, wenn nicht – oder wenn es im Rahmen zersetzender Maßnahmen für zweckmäßig gehalten wurde).
Der Handlungsraum innerhalb der gleichgeschalteten Gesellschaft war, zumal für Andersdenkende, äußerst eingeschränkt, das Bedürfnis nach Vertraulichkeit und gegenseitiger Sicherheit andererseits außerordentlich groß. Die Identität — das Andere — war oft (aber nicht immer) von einem regimekonformen, manipulierten Anderen abhängig, da der Staatsapparat ständig bestrebt war, je nach dem eingegebenen Input den Output mit größtmöglicher Sicherheit zu kalkulieren und zu steuern. Wo diese Manipulation möglich war, was häufig der Fall war, haben die Wächter der Partei wie im klassischen Ratten-Experiment gearbeitet und gedacht.
Sozialpsychologisch gesehen, wollten sie ein eingeengtes, isoliertes Operationsfeld schaffen, auf dem das MfS die innere psychische Dynamik der Einzelnen und der Gruppen in den Griff bekommen konnte. Die vorhandene oder nur vermutete und befürchtete Konspiration sollte mit psychologischen Mitteln in ihrem konstitutiven Kern getroffen werden — dem Vertrauen in sich selbst und in andere. Dies war nur in der isolierten Situation eines abgeschotteten totalitären Staates und in dem für diesen typischen Wechselspiel aus vereinnahmender Kollektivierung (Gleichschaltung) und Isolierung (dessen und derer, die nicht gleichzuschalten sind) möglich. In einer pluralen Gesellschaft wäre eine solche Steuerung kaum erreichbar gewesen.
Aber auch im eingeschränkten Handlungsraum der DDR funktionierte der Mechanismus der Manipulation nicht immer nach dem Wunsch des Staatssicherheitsdienstes. Die DDR-Bürger besaßen nämlich, wie es Menschen eigen ist, sehr wohl ihre Individualität und Wünsche nach Selbstbestimmung, die nicht grenzenlos zu unterdrücken waren. So hätte demnach die »Operative Psychologie« in ihren theoretischen Bemühungen ihren Gegenstand verfehlt, was jedoch nichts an der Tatsache der menschenfeindlichen Brutalität ihrer Praxis ändert.
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Anmerkungen
1 Studieneinführung Reg.-Nr. 106/68: »Gegenstand, Aufgaben und Arbeitsgebiete der Psychologie. Die Bedeutung psychologischer Erkenntnisse für die Praxis im MfS«; die folgenden Zitate ebenfalls daraus.
2 Geheime Verschlußsache Nr. 100/76 mit der Richtlinie Nr. 1/76: »Entwicklung und Bearbeitung operativer Vorgänge (OV)«.
3 Vertrauliche Verschlußsache des Ministerrats der DDR, Ministerium für Staatssicherheit, Juristische Hochschule Potsdam, Sektion Politisch-operative Spezialdisziplin, Fachbereich II: »Wissenschaftskonzeption zur weiteren Profilierung der operativen Psychologie an der Hochschule des MfS«, BSTU, MfS, Nr. 1129/80; die folgenden Zitate ebenfalls daraus.
4 Lehrplan, BSTU, MfS, JHS, 23280.
5 Diplomarbeit Hauptmann Reiner Wagner, »Der erfolgreiche Abschluß von OV durch die Maßnahmen der Zersetzung gegen feindlich-negative Gruppen/Gruppierungen, welche im Sinne der PUT aktiv wurden — untersucht am OV »Inspirator« der KD Weimar, BSTU, MfS, JHS, 20533; die folgenden Zitate ebenfalls daraus.
6 Siehe Anm. 2; die folgenden Zitate ebenfalls daraus.
7 Siehe Anm. 5.
8 Ebenda.
9 OV »Verräter«, BSTU, MfS, Reg.- Nr. XV/5575/81.
10 Kaderakte Jochen Girke, BSTU, MfS KS 8023/90; die folgenden Zitate ebenfalls daraus.
11 Kaderakte Hans-Günther Kirmse, BSTU, MfS KS 8371/90; das folgende Zitat ebenfalls daraus.
12 Informationsmaterial des Brandenburgischen Instituts für Umschulung und Fortbildung (BIUF e.V.).
13 Mattes, P./ Rexilius, G.: Über die Wissenschaft Psychologie und die, die sie betreiben, in: Rexilius, G./ Grubitzsch, S. (Hg.) Psychologie, Reinbek bei Hamburg 1986.
14 Mertens, W.: Einige Anmerkungen zur gegenwärtigen Situation der Psychoanalyse in Theorie, Forschung und Praxis, in: Klußmann, R./ Mertens, W./ Schwarz, F. (Hg.): Aktuelle Themen der Psychoanalyse, Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokio 1988.
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