Fuchs

Die Geschichte eines Verdachts

Zur Aufklärung der vermuteten vorsätzlichen Strahlenschädigung von Stasi-Verfolgten

Von Michael Beleites (2000)

 

Und ‘Fototermin’ im Knast? ‘Sitzbäder’ im Haftkrankenhaus? Strahlen aus leisen Kanonen? Radioaktive Sächelchen im Essen, im Trinken? Spinne? Mielkes ‘revolutionäre Verurteilungen’ auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik? Diese Möglichkeiten ausblenden, verdrängen? Wie denn?   Jürgen Fuchs, in "Magdalena", 1998

 

Als Jürgen Fuchs am 9. Mai 1999 an Blutkrebs starb, platzte ein Verdacht in die Öffentlichkeit, den er selbst seit geraumer Zeit hegte: Die Stasi könnte einige ihrer politischen Gegner in der Haft heimlich verstrahlt und somit Krebserkrankungen gezielt ausgelöst haben. Seit nunmehr fast zehn Jahren kursierte diese erdrückende Vermutung als ein unaufgeklärter, schwelender Verdacht unter den politisch Verfolgten der DDR. Ihren Ausgang nahm die Geschichte im Revolutionsjahr 1989, einen Tag nach Weihnachten – als wir zu fünft in meiner Geraer Wohnung saßen.

Der Nasi-Chef erwartete uns um 14 Uhr im Untersuchungsgefängnis. Zum ersten Mal sollte das Bürgerkomitee in das Innere der Geraer Stasi-Bezirkszentrale vorgelassen werden. Jörn Mothes und Markus Heckert aus Jena, Roland Geipel aus Gera-Lusan und Arnold Vaatz aus Dresden waren gekommen, um eine gemeinsame Strategie für den Nachmittag zu finden. So richtig sachlich und konzeptionell wurde die Atmosphäre unseres Vorgesprächs nicht. Mit den Gedanken waren wir in Rumänien. Die Nachricht von der rumänischen "Blutweihnacht" steckte uns tief in den Knochen. Waren derartige Gefahren hierzulande wirklich schon überstanden?

Markus Heckert erzählte uns von Berichten aus Rumänien, wonach Beteiligte an dem Aufstand von Kronstadt/Brasov im November 1987 von der Securitate im Februar 1988 überraschend aus der Haft entlassen worden waren und wenige Wochen bzw. Monate darauf unter Symptomen einer Strahlenkrankheit verstorben seien. Auf dem Wege zum Stasi-Gefängnis am Geraer Amthor-Durchgang diskutierten wir noch darüber, wie es möglich sein kann, Häftlinge zu bestrahlen, ohne daß diese das merken.

 

Der Fund im Fotoraum

Unter dem Eindruck dieser Überlegungen standen wir, als wir bei der Führung durch das Stasi-Untersuchungsgefängnis in der sogenannten Effektenkammer in einem Regal ein Filmdosimeter liegen sahen. Auf die Frage, was es mit diesem (sonst nur vom medizinischem Röntgenpersonal her bekannten) Dosimeter auf sich habe, antwortete der Leiter der Stasi-Untersuchungs­haftanstalt, Herr Kürschner, dies gehöre zum Röntgengerät im Nebenraum. Dort, im Fotoraum, der für die Anfertigung von Häftlingsfotos und Fingerabdrücken genutzt wurde, sahen wir zunächst keine Röntgentechnik. Erst als der Vorhang hinter dem in der Mitte des Raumes befindlichen drehbaren Fotostuhl aufgezogen wurde, kam eine merkwürdige Anlage zum Vorschein, ein, so sagte man uns, Gerät zum Durchleuchten von Paketen. Wir sahen auf einem gemauerten Sockel einen Blechkasten mit einer Scheibe an der linken Stirnseite und einen links daneben stehenden Schaltgenerator. An der Vorderseite des Kastens befanden sich links eine Schiebetür und über dem Boden des Kastens eine waagerechte, mechanisch von außen drehbare, runde Scheibe als Objektträger für zu durchleuchtende Gegenstände. Rechts, im umschlossenen Teil des Kastens, stand ein Röntgenstrahler, so (nach links) positioniert, daß sein Strahlenkegel über den Objektträger auf die Bleiglasscheibe an der linken Stirnseite traf, die von innen mit Fluoreszenzpapier beschichtet war und somit als Leuchtschirm funktionierte.

Da sich die Öffnung (mit Schiebetür) des fest installierten Röntgenkastens genau in Kopfhöhe nur einen Meter hinter dem ebenfalls fest installierten Fotostuhl befand, stellte sich die Frage, ob sich der (im rechten Teil des Gehäuses befindliche und quer zur Öffnung justierte) Strahler auch direkt hinter die Öffnung stellen und in den Raum hinein - und damit möglicherweise auch auf eine auf dem Fotostuhl sitzende Person – richten ließ? Nach kurzer Absprache entschlossen wir uns, eine entsprechende Positionsveränderung des Strahlers im Kasten zu probieren. Daraufhin wurde der Strahler samt Holzunterlage nach links auf den Objektträger gestellt und dort um 90 Grad nach vorn gedreht. Es zeigte sich, daß der Strahler mit der Holzunterlage nicht im Gehäuse befestigt und zudem genügend freies Kabel vorhanden war, so daß eine derartige Positionsänderung des betriebsbereiten Strahlers mit zwei Handgriffen möglich war. Jetzt stimmten sowohl die Höhe des Strahlers als auch seine seitliche Ausrichtung exakt mit der Position des Kopf- und Nackenbereiches einer auf dem Fotostuhl sitzenden Person überein.

Die unmittelbar vor der Gefängnis-Begehung von uns diskutierte Frage, wie Menschen in der Haft unbemerkt bestrahlt werden können, schien durch den unerwarteten Fund im Fotoraum in fataler Weise beantwortbar. Dem sofort ausgesprochenen Verdacht, daß hier Häftlinge durch den Vorhang hindurch aus nächster Nähe heimlich bestrahlt worden sein könnten, setzte Michael Trostorff, der neue Chef der gerade in "Bezirksamt für Nationale Sicherheit" umbenannten Stasi-Bezirksverwaltung, das ebenso einfache wie plausibel erscheinende Argument entgegen: "Wenn wir damit wirklich Leute bestrahlt hätten, hätten wir das doch weggeräumt bevor wir ihnen diese Räume zeigen."

 

Erste Ermittlungen

Auf die schriftliche Anfrage des Bürgerkomitees vom 3. Januar 1990 erhielten wir eine Woche später eine Antwort vom "Bezirksamt Gera". Darin wurde dem Bürgerkomitee mitgeteilt, daß das Röntgengerät mit den Zusatzteilen serienmäßig hergestellt worden sei und daß damit "aus dem Ausland für inhaftierte Beschuldigte eingehende Pakete sowie des weiteren Bekleidungsgegenstände von Untersuchungsgefangenen geröntgt" wurden.

Am 23. Januar 1990 begutachtete der vom Bürgerkomitee beauftragte Röntgentechniker Andreas Wolf (Gera) die Röntgenanlage an Ort und Stelle. Wolf kam u.a. zu dem Schluß, daß es sich bei dieser Anlage "augenscheinlich nicht um ein industrielles Produkt, sondern um eine Zusammenstellung von Komponenten anderer Geräte und Anlagen" handelt und eine Bestrahlung in den Raum hinein, beispielsweise auf eine auf dem Stuhl sitzende Person, nur dann möglich ist, wenn 1. die Endschalter an der Schiebetür fixiert oder kurzgeschlossen sind und 2. der nichtrastende Fußschalter fixiert oder betätigt wurde. Das heißt, normalerweise konnte der Strahler nur bei geschlossener Schiebetür und nur, solange auf den Fußschalter getreten wurde, eingeschaltet werden. Allerdings hätte man die Sicherungsschalter ei beöffneter Schiebetür sehr einfach mit einem Bindfaden manipulieren können, ebenso wie man auf den nichtrastenden Fußschalter nur einen Ziegelstein zu legen brauchte, damit er auch in Abwesenheit des Bedienungspersonals eingeschaltet blieb. Außerdem urteilte der Gutachter, daß, wenn der Primärstrahl unter den genannten Voraussetzungen auf eine Person, gerichtet wird, "in Abhängigkeit von der Bestrahlungsdauer und Fraktionierung ernsthafte gesundheitliche Schädigungen zu erwarten" sind. Ungeklärt blieb bei diesem Gutachten von 1990, ob der Strahler DE 36 hinsichtlich seiner Strahlenqualität und möglichen Bestrahlungsdauer überhaupt diese Kriterien erfüllt hätte und er damit geeignet gewesen wäre, mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit Spätschäden, also Krebs, auszulösen.

Die Frage nach der räumlichen Beziehung zwischen Röntgenanlage und Fotostuhl blieb seitens der Stasi-Vertreter unbeantwortet, und deren Behauptung der "serienmäßigen Herstellung" des "Röntgengerätes mit den Zusatzteilen" stellte sich als unzutreffend heraus. So entschloß sich die Koordinierungsgruppe des Geraer Bürgerkomitees am 1. Februar 1990, die Unterlagen zur Röntgenanlage der Geraer Bezirksstaatsanwaltschaft zu übergeben. Diese überließ die Angelegenheit der Militärstaatsanwaltschaft Erfurt.

Erst Monate später wurde dem Geraer Bürgerkomitee von der Militärstaatsanwaltschaft eine Antwort auf die Anfrage des Bürgerkomitees vom 3. Januar 1990 übergeben, die undatiert und mit "gez. Wilhelm (ehem. U-Haft)" unterzeichnet war. In diesem Papier erklärte einer der früheren Bediener der Röntgenanlage, daß das Gerät "1982 durch einen Fachmonteur (MfS Berlin) installiert" wurde, aber insgesamt nur "ca. 5 Std. in Betrieb" war. "Durch einen Defekt des Schaltgenerators (Monteur wurde bestellt, kam bis zur Auflösung des MfS nicht) wurde die Anlage außer Betrieb gesetzt. Die letzte Benutzung des Gerätes war 1983." Hier tat sich ein weiterer Widerspruch auf: Röntgentechniker Wolf vermerkte zwar in seinem Gutachten zum Schaltgenerator "die Röhrenheizung war offensichtlich nicht richtig eingestellt", stellte aber keinen "Defekt des Schaltgenerators" fest. Die Anlage hat bei der Begutachtung am 23. Januar 1990 auch im Sinne einer Durchleuchtung von Gegenständen funktioniert!

Die entscheidende Frage nach dem räumlichen Zusammenhang zwischen Röntgenanlage und Fotostuhl hatte der Stasi-Mann folgendermaßen beantwortet: "Aufgrund der räumlichen Gestaltung des F.-Raumes sowie aus Platzgründen wurde das Gerät an diesem Platz aufgestellt. Damit die Schiebetür des Gerätes hinter dem Fotostuhl ist - ist rein zufällig." Für die Erfurter Militärstaatsanwaltschaft war der Fall damit offenbar abgeschlossen.

Die Mitglieder des Bürgerkomitees waren der Meinung, daß die bisherigen Untersuchungsergebnisse den Verdacht einer mißbräuchlichen Anwendung der Röntgenanlage nicht erhärteten, aber auch noch keine plausible Erklärung für die verdächtige räumliche Zuordnung von Röntgenanlage und Fotostuhl vorlag.

 

Verunsicherung durch BILD-Zeitung und Staatsanwaltschaft

Inwieweit die in Gera vorgefundene räumliche Anordnung der Geräteöffnung hinter dem Fotostuhl tatsächlich "rein zufällig" war, ließ sich am ehesten durch die Frage klären, ob auch in anderen Stasi-Gefängnissen entsprechende Gerätekonstellationen vorhanden waren oder nicht. Also fragte das Geraer Bürgerkomitee nach. In den meisten Stasi-Bezirksverwaltungen waren die entsprechenden Räumlichkeiten bereits leer, und die Bürgerkomitee-Mitglieder konnten sich an derartige Anlagen nicht erinnern. Allein Vertreter des Magdeburger Komitees wußten noch vage, irgendwo in der dortigen Untersuchungshaftanstalt ein Röntgengerät gesehen zu haben. Daraufhin erhielt Bernd Schullke vom Magdeburger Bürgerkomitee eine Kopie des Wolf-Gutachtens zugeschickt, um beurteilen zu können, ob die Magdeburger Anlage der Geraer entsprach. Von Schullke hörten wir dann nur indirekt wieder - er hatte die Sache (und zwar ausschließlich die Geraer Angelegenheit) der BILD-Zeitung überbracht.

"Stasi folterte mit Strahlen" - so titelte BILD am 7. Mai 1990. Auf der Innenseite fand sich ein Artikel von Günther Trittel unter dem Titel "Wer schwieg mußte vor die Strahlen-Kanone". Darin hieß es u.a.: "Die Kanone war in Richtung Geschlechtsteile der Häftlinge justiert. Sie war schwenkbar, so daß jeder Körperteil bestrahlt werden konnte." Es "berichteten dem Bürgerkomitee zwei Ex-Gefangene: ‘Weil wir bei Verhören den Mund gehalten hatten, wurden wir in den Erkennungsdienstraum gebracht, wo man uns die Strahlenkanone zeigte. Wir wurden an den Foto-Stuhl gefesselt, und zwei Stasi-Leute machten sich dort zu schaffen, wo die Kanone stand. Danach blieben wir etwa eine Stunde allein im Raum. Aus Angst vor weiteren Behandlungen haben wir dann gesagt, was man von uns hören wollte.’" Bernd Schullke wurde zitiert: "Wir sind absolut sicher, daß auch die Stasi die Geräte einsetzte, um Tumore und Krebs zu erzeugen."

An diesen Aussagen war – auch aus der Sicht vom Mai 1990 – nahezu alles falsch: Die "Kanone" war nicht auf die Geschlechtsteile der Häftlinge justiert, sondern auf den Leuchtschirm an der Stirnseite des Kastens. Sie hätte auf den Kopf und Nacken der Häftlinge justiert werden können. Beim Geraer Bürgerkomitee hatte sich kein Ex-Gefangener gemeldet, der berichtet hätte, daß man ihm in Haft "die Strahlenkanone zeigte" und ihn dann "an den Foto-Stuhl gefesselt" hätte. Und zu keiner Zeit war sich irgend ein Mitglied des Geraer Bürgerkomitees "absolut sicher", daß die Stasi Röntgenstrahler einsetzte, um Tumore und Krebs zu erzeugen. Die öffentliche Wirkung dieses BILD-Artikels war verheerend. Zahlreiche ehemalige Stasi-Häftlinge, insbesondere solche, die in Gera in Untersuchungshaft waren, wurden extrem verunsichert und verängstigt. Sie beschäftigten sich nun ununterbrochen mit der Frage, ob auch sie einer heimlichen "Strahlenbehandlung" unterzogen worden waren und nun faktisch Todeskandidaten seien.

Einige frühere Stasi-Häftlinge erstatteten Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Sie wollten, oft ohne konkrete Anhaltspunkte benennen zu können, Klarheit und erwarteten von einem Ermittlungsverfahren eine seriöse Aufklärung. Die entsprechenden Verfahren wurden jedoch bis Mitte der 90er Jahre wieder eingestellt, ohne den Verdacht aus Sicht der ehemaligen Häftlinge plausibel ausgeschlossen zu haben. Bei vielen, die sich um Aufklärung bemühten, entstand der Eindruck, daß die Staatsanwaltschaft nicht alle Ermittlungs­möglichkeiten ausgeschöpft hatte. Auch dies förderte die Verunsicherung potentiell Betroffener.

So erstattete am 5. Juni 1997 der stellvertretende Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern, Jörn Mothes, Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verdacht auf Körperverletzung, Verdacht auf mißbräuchliche Anwendung von Röntgengeräten durch das MfS der DDR an den Chef der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungs­kriminalität (ZERV), Manfred Kittlaus. Das Verfahren wurde der Erfurter Staatsanwaltschaft übergeben – und dort bis zum Frühjahr 1998 nicht weiter bearbeitet.

 

Der dritte Todesfall

Mit dem Erscheinen von Jürgen Fuchs’ Roman "Magdalena" Anfang 1998 kamen neben der Geraer Röntgenanlage weitere Indizien für den Stasi-Strahlenverdacht ins Gespräch: So die von der Stasi in Auftrag gegebene Studie "TOXDAT" der Sektion Kriminalistik der Ostberliner Humboldt-Universität von 1987 und 88, in der für Untersuchungsführer Vergiftungsfälle und -möglichkeiten aufgelistet sind. Dort wird die Stasi über die Möglichkeit einer "Schädigung durch Beibringung radioaktiver Stoffe" unterrichtet. Es sind hier Radionuklide besonderer Gefährlichkeit genannt, die "beispielsweise in Speisen und Getränken" beigebracht "zu Siechtum führende Blut-/ Knochenmarkschäden und Krebs" auslösen können.

Über die Möglichkeit von "Morden mit Zeitverzögerung" sprach dann erstmals Jürgen Serke in einem Beitrag in der Zeitung DIE WELT vom 16./17. Mai 1998: "Der ‘Staatsfeind’ Rudolf Bahro, von 1977 bis 1979 in Haft und dann in den Westen freigelassen, starb am 5. Dezember 1997 an Blutkrebs. Der ‘Staatsfeind’ Gerulf Pannach, unbequemster Rockdichter der DDR, 1977 inhaftiert und dann in den Westen abgeschoben, starb am 3. Mai dieses Jahres an Nierenkrebs. Jürgen Fuchs erkrankte 1994 an Blutkrebs und überlebte durch eine Knochenmarktransplantation."

Als Jürgen Fuchs am 9. Mai 1999 in Berlin den Folgen der Blutkrebsform Plasmozytom erlag, erhielt der Verdacht eine enorme Brisanz und Aktualität. Nachdem am 12. Mai die BILD-Zeitung und am 17. Mai 1999 DER SPIEGEL die Todesfälle von Rudolf Bahro, Gerulf Pannach und Jürgen Fuchs mit den Indizien der TOXDAT-Studie und der Geraer Röntgenanlage in Verbindung brachten, war der Stasi-Strahlenverdacht nahezu drei Monate lang in den Medien präsent. Doch auch dies brachte nur einen sehr geringen Erkenntniszuwachs.

Der Tod von Jürgen Fuchs bewirkte allerdings weit mehr, als nur eine Presse-Welle. Aus dem seit knapp zehn Jahren schwelenden Verdacht war über Nacht ein öffentlicher Verdacht geworden – und der erforderte Aufklärung. Zahlreiche Aufarbeitungs­initiativen, Bürgerkomitees, die ostdeutschen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Mitarbeiter des Bundes­beauftragten für die Stasi-Unterlagen – viele von ihnen haben Jürgen Fuchs persönlich gekannt – waren jetzt fest entschlossen, den Strahlen-Verdacht gründlich und möglichst eindeutig aufzuklären. Auch Staatsanwaltschaften intensivierten das Erfurter Verfahren und leiteten neue ein.

In der Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ist noch im Mai 1999 eine besondere Arbeitsgruppe eingerichtet worden, um gezielt nach Unterlagen zu suchen, die Informationen über Strahlenanwendungen der Stasi und deren möglichen Mißbrauch enthalten. Für die Bereiche der Aufklärung, die über die Auswertung von Stasi-Unterlagen hinausgehen und unabhängig von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen recherchiert werden können, hat die Konferenz der Landes­beauftragten für die Stasi-Unterlagen eigene Initiativen angeregt. Die Landesbeauftragten haben dann mich beauftragt, entsprechende Recherchen vorzunehmen. Nun zu den Ergebnissen:

 

Fahrlässige oder vorsätzliche Strahlenschädigung?

Wichtig ist zunächst die Unterscheidung zwischen fahrlässiger Strahlenanwendung und vorsätzlicher Strahlenschädigung.

Fahrlässige Strahlenanwendungen der Stasi sind solche, bei denen das Ziel die geheimdienstliche Informationsgewinnung war (Radioaktive Markierungen von Personen, Kleidung, Schriftstücken und Gegenständen; Strahlenschranken und Durchleuchtungen von Personen und Gegenständen) und eine eventuell damit verbundene Schädigung der "Zielpersonen" (und der eigenen Mitarbeiter) billigend in Kauf genommen wurde. (Im strafrechtlichen Sinne könnte man bestimmte Fälle fahrlässiger Strahlen­anwendung auch als bedingt vorsätzliche Strahlenschädigung ansehen).

Vorsätzliche Strahlenschädigungen der Stasi wären solche Strahlenanwendungen, die absichtlich zu einer Schädigung der "Zielpersonen" führen sollten, bzw. deren direktes Ziel eine Schädigung der Betreffenden wäre.

Während fahrlässige Strahlenanwendungen durch die Stasi in größerem Umfang nachgewiesen werden können, gibt es für vorsätzliche Strahlenschädigungen bisher keine Beweise, sondern nur Vermutungen, Verdachtsmomente und Hypothesen - welche heute überwiegend entkräftet werden können.

Der Gegenstand des hier vorgestellten Berichtes ist allein die Aufklärung der vermuteten vorsätzlichen Strahlenschädigungen durch den Staatssicherheitsdienst der DDR. Über die bisherigen Erkenntnisse zu den fahrlässigen Strahlenanwendungen der Staatssicherheit wird die bereits erwähnte Arbeitsgruppe der Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin einen eigenen Bericht vorlegen.

Der Anfangsverdacht vorsätzlicher Strahlenschädigungen durch den Staatssicherheitsdienst der DDR stützte sich auf drei Hauptindizien. Diese seien hier in Erinnerung gebracht:

 

  1. Das Röntgen-Durchleuchtungsgerät im Fotoraum der Geraer Stasi-Untersuchungshaftanstalt.

  2. Die von der Stasi in Auftrag gegebenen Studie "TOXDAT" und

  3. die Krebs-Todesfälle der früheren Gegner des SED-Staates Rudolf Bahro, Gerulf Pannach und Jürgen Fuchs – alle drei waren 1976/77 in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert.

Zu diesen Indizien konnten bisher die im folgenden zusammengefaßten Klärungen erreicht werden:

 

Zur Röntgenanlage im Fotoraum der Geraer MfS-Untersuchungshaftanstalt

Der Röntgenstrahler war im vorgefundenen Zustand nicht in Richtung Fotostuhl, sondern auf den Leuchtschirm der Anlage, quer zur Öffnung, positioniert. Die in verschiedenen Medien veröffentlichten Fotos von einem zum Fotostuhl gerichteten Strahler waren entstanden, nachdem Mitglieder des Geraer Bürgerkomitees bei der Begehung am 27. Dezember 1989 den Strahler hinter die Öffnung gestellt und in Richtung Fotostuhl gedreht hatten, um zu demonstrieren, daß eine entsprechende Positionierung des betriebsbereiten Strahlers möglich war.

Die Anlage hat bei ihrer Begutachtung durch einen vom Bürgerkomitee beauftragten Röntgentechniker im Januar 1990 im Sinne einer Durchleuchtung von Gegenständen funktioniert.

Die räumliche Beziehung zwischen der Öffnung des Durchleuchtungskastens und der Kopfhöhe des Fotostuhles läßt sich nach einer Rekonstruktion der räumlichen Gegebenheiten und anhand der Abmessungen des Gerätes relativ logisch erklären: Primär sollten ja nicht Westpakete, sondern die persönlichen Sachen (Effekten) der Inhaftierten durchleuchtet werden. Da in der Effektenkammer selbst kein Platz mehr war, bot sich der benachbarte Fotoraum als Standort für das Durchleuchtungsgerät an. Der Fotostuhl befand sich bereits in der Mitte des nur 2,50 Meter breiten Raumes. Damit an der Seite des Gerätes, wo sich der Leuchtschirm befand, noch genügend Platz für Schaltgenerator und Betrachter blieb, mußte das Gerät mit der gegenüber­liegenden Seite direkt an die Wand gestellt werden. Aufgrund der vorgegebenen Abmessungen des Gerätes kam damit seine Öffnung (Schiebetür) in die Mitte des Raumes, also hinter den Fotostuhl. Die Position der Röntgenanlage in Kopfhöhe einer auf dem Fotostuhl sitzenden Person resultiert daraus, daß das Gerät mit seinem Leuchtschirm in Augenhöhe eines auf einem Stuhl sitzenden Betrachters aufgebaut wurde.

Auch der Vorhang zwischen Fotostuhl und Röntgenanlage muß nicht als Indiz für eine konspirative Häftlingsbestrahlung gewertet werden. Die Erklärung des Vorhangs als "Sichtblende" erscheint auch bei der ausschließlichen Verwendung als Durchleuchtungsgerät plausibel. Es war für ein Stasi-Gefängnis normal, daß den Häftlingen (alle wurden im Fotoraum fotografiert) nicht die Geräte zur heimlichen Durchleuchtung ihrer persönlichen Sachen gezeigt wurden. Außerdem konnte man auf dem Leuchtschirm nur etwas erkennen, wenn die Umgebung abgedunkelt war.

Unter Bezugnahme auf ein vom Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern in Auftrag gegebenes aktuelles Gutachten des Röntgentechnikers Dipl.-Ing. Andreas Wolf (Gera) kann folgendes geschlußfolgert werden: Der in der Durchleuchtungsanlage befindliche Röntgenstrahler DE 36 war bei gleichzeitiger Berücksichtigung seiner Strahlungsintensität (der maximal möglichen Strahlendosis von 1,1 Gray/Stunde in 1 m Entfernung), seiner Strahlenqualität ("weiche" Strahlung, die größtenteils in der Haut absorbiert wird) und seiner relativ geringen thermischen Belastbarkeit (mögliche Dauerbelastung von maximal 30 Minuten) für eine unauffällige Auslösung von mit hoher oder mittlerer Wahrscheinlichkeit eintretenden Spätschäden ungeeignet.

Auch unter Verwendung einer anderen Strahlenquelle wäre in dieser Konstellation (zeitlich begrenzte äußere Bestrahlung), bei einer Unterschreitung der Dosis für akute, sofort sichtbare Strahlenschäden (z.B. Hautrötungen), die Induktions­wahrscheinlichkeit für Spätschäden sehr gering gewesen – oder man hätte eine kurzzeitige Bestrahlung sehr oft wiederholen müssen, wofür es keine Anhaltspunkte gibt. Das gilt für den Verdacht mißbräuchlicher Strahlenanwendungen im Fotoraum anderer MfS-Untersuchungshaftanstalten ebenso – jedenfalls solange nicht Berichte über Symptome akuter Strahlenschäden auf höhere Strahlendosen hindeuten.

Vor dem Abriß der früheren Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Gera im Herbst 1999 hat die Erfurter Staatsanwaltschaft beim Institut für Strahlenschutz beim GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit Neuherberg ein ortsdosimetrische Gutachten für den Fotoraum der Geraer MfS-Untersuchungshaftanstalt in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten, das seit Dezember 1999 vorliegt, kommt zu einem eindeutig negativen Befund: Anhand einer Thermolumineszenz-Analyse des dortigen ca. 30 Jahre alten Waschbeckens konnten keine Spuren einer erhöhten Strahlenbelastung in dem Raum nachgewiesen werden. Eine Bestrahlung mit dem vorgefundenen Strahler DE 36 (bei einer angenommenen maximal eingestellten Strahlendosis) in den Raum hinein kann ab einer Dauer von insgesamt einer Stunde (in 30 Jahren) ausgeschlossen werden. Damit ist selbst eine einmalige mißbräuchliche Strahlenanwendung in mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit gesundheitsschädigenden Dosen auszuschließen.

Mit den vorliegenden Befunden kann der Verdacht einer mißbräuchlichen Strahlenanwendung im Sinne einer vorsätzlichen Strahlenschädigung von Häftlingen für die nichtmedizinische Röntgenanlage im Fotoraum der Geraer MfS-Untersuchungs­haftanstalt mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Tatsache, daß die Anlage gegen die Strahlenschutzvorschriften der DDR verstoßen hat (Kennzeichnungspflicht des Raumes als Strahlenschutzbereich bei gleichzeitiger Ausschließung anderer Nutzungsformen), ändert nichts an diesem Befund.

 

Die TOXDAT-Studie

Die Formulierungen im Text des vorliegenden Teil I der TOXDAT-Studie ("vorsätzliche Giftbeibringung" wird generell als "ein durch Heimtücke und Hinterhältigkeit charakterisiertes Verbrechen" bezeichnet) und die niedrige Geheimhaltungsstufe ("Dienstsache") sprechen dagegen, daß die Aufklärungspektive nur als "Legende" vorgeschoben war, um der Stasi eine extra "Anleitung zum Mord" in die Hand zu geben.

Etliche der als mögliche Krebsauslöser genannten Radionuklide wären auch viele Jahre später noch im Körper der Betroffenen nachweisbar. Eine "Mordanleitung" hätte genauer auf das erwähnte "Verschleierungspotential" radioaktiver Vergiftungen eingehen müssen.

Auch wenn eine gezielte Beibringung radioaktiver Stoffe mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit eine unbemerkte Auslösung von Spätschäden bewirken könnte als eine zeitlich begrenzte äußere Bestrahlung, sprechen – bei einer Unterstellung des Motivs einer Auslösung tödlicher Krankheiten – die sehr langen Latenzzeiten (5 - 30 Jahre), die fehlende Sicherheit eines tatsächlichen Eintritts, ebenso wie die fehlende Sicherheit eines tödlichen Ausgangs einer Krebserkrankung eher dagegen, daß eine gezielte Induktion von Krebs (z.B. durch eine Beibringung radioaktiver Stoffe) als Methode für einen "Mord mit Zeitverzögerung" ausgewählt worden wäre. Der vorliegende Teil I der TOXDAT-Studie ist ein Beleg dafür, daß man bei der Stasi über Möglichkeiten einer Auslösung von Spätschäden durch Beibringung radioaktiver Stoffe informiert war. Mehr nicht.

 

Der Krebstod von Rudolf Bahro, Gerulf Pannach und Jürgen Fuchs

Sowohl Nierenkrebs, an dem Gerulf Pannach 1998 verstarb, als auch die Blutkrebsform Plasmozytom, der Jürgen Fuchs 1999 erlag, und die Blutkrebsform Non-Hodgkin-Lymphom, die bei Rudolf Bahro 1997 zum Tode führte, können ebenso durch radioaktive Strahlung wie auch durch andere kanzerogene Faktoren verursacht werden.

Im Einzelfall kann man nie mit Sicherheit nachweisen, wodurch eine Krebserkrankung ausgelöst wurde. Gesicherte Zuordnungen bestimmter Krebsformen zu bestimmten Ursachen lassen sich nur statistisch ermitteln. Im konkreten Fall lassen sich allerdings deutliche Anhaltspunkte für die auslösenden Faktoren einer Krebserkrankung finden, wenn Spuren krebsauslösender Faktoren (z.B. Strahlen) nachgewiesen werden können.

Bei Gerulf Pannach und Jürgen Fuchs bestand nach deren medizinischer Strahlentherapie die Möglichkeit einer personen­dosimetrischen Untersuchung auf Spuren einer äußeren Bestrahlung nicht mehr. Die in allen drei Fällen noch bestehende Möglichkeit einer Untersuchung von Nuklidkonzentrationen im Körper als mögliches Indiz für eine eventuell vorangegangene Inkorporation radioaktiver Substanzen ist weder vor noch nach ihrem Tod genutzt worden.

Im Fall des Todes von Rudolf Bahro, Gerulf Pannach und Jürgen Fuchs fanden sich für den Verdacht, die Stasi habe ihre tödlichen Erkrankungen absichtlich und gezielt induziert, bisher weder Belege, noch ergab sich eine Verdichtung der Indizien. Die Vermutung einer absichtlichen (direkt vorsätzlichen) konspirativen Strahlenschädigung von Verfolgten des Staatssicher­heitsdienstes der DDR kann nach dem heutigen Kenntnisstand insgesamt als wenig wahrscheinlich angesehen werden.

Demgegenüber muß die Möglichkeit einer fahrlässigen (oder bedingt vorsätzlichen) Strahlenschädigung von Zielpersonen der Stasi, z.B. durch radioaktive Markierungen bei konspirativen Ermittlungen, als durchaus wahrscheinlich angesehen werden. Dies ist eine Grundlage für weitere Recherchen.

 

Wie weit ging die Stasi?

Der Verdacht absichtlicher Strahlenschädigungen ist nur sekundär eine Frage nach den technischen Mitteln der von der Staatssicherheit organisierten "Feindbekämpfung". In erster Linie ist dieser Strahlen-Verdacht ein Teilaspekt der zentralen Frage, ob eine gezielte und konspirative Körperverletzung mit Todesfolge zum Maßnahmerepertoire der Stasi zählte oder nicht. Schließlich beschränkt sich die Frage, ob zu der von der Staatssicherheit organisierten "Bekämpfung des Feindes" auch eine gezielte Herbeiführung tödlicher Krankheiten gehörte, nicht auf Krebskrankheiten als mögliches Ziel, nicht auf Strahlen als mögliche Krankheitsauslöser und auch nicht auf Häftlinge als mögliche Opfer. Es geht um die Frage: Wie weit ging die Staatssicherheit? Eine auf die verschiedenen Zeitabschnitte, Arbeitsbereiche und Dienstrangebenen bezogene und nach Planung und Ausführung unterschiedene Aufklärung der äußersten Grenzen der staatlich organisierten Zerstörung von Lebensläufen in der DDR steht noch aus.

Aus der Perspektive der ehemaligen Stasi-Offiziere erscheint der Verdacht einer direkt vorsätzlichen Strahlenschädigung als eine "Ungeheuerlichkeit". Dennoch ist es zu einem erheblichen Teil ihnen selbst zuzuschreiben, daß dieser Verdacht aufkam, bzw. nicht sofort entkräftet wurde: Es gehörte zum Stasi-Konzept der Verunsicherung und Einschüchterung, daß die jeweils äußersten Grenzen ihrer Repressions­maßnahmen nicht bekanntgemacht wurden. Auch wenn die Stasi-Mitarbeiter immer Wert auf die Feststellung legten, daß Stasi-Methoden keine Gestapo-Methoden seien, haben sie nie bekanntgegeben, wo die Grenzen lagen, die die Stasi nicht überschreiten wollte. Die Tatsache, daß diese Grenzen auch nach der Stasi-Auflösung von den früher leitenden Stasi-Offizieren nicht nachprüfbar offengelegt wurden, hat dazu beigetragen, daß bei den Verfolgten bis heute eine tiefe Verunsicherung herrscht, die zu – möglicherweise auch unrealistischen – Ängsten und Verdächtigungen führt.

 

Entlastung durch Klarheit

Aus der Perspektive derjenigen, die zu den potentiellen Opfern der vermuteten vorsätzlichen Strahlenschädigung durch die Stasi gehören, ist heute vor allem ein hohes Maß an Aufklärung und Klarheit notwendig. All jene, die auf dem Geraer Fotostuhl gesessen haben und durch die Veröffentlichung der Fotoraum-Variante des Stasi-Strahlenverdachts erheblich verunsichert wurden, können die jetzt vorliegenden Befunde als eine Entlastung betrachten. Dennoch bleibt eine gewisse Restunsicherheit. Sie bleibt nicht nur deswegen, weil ein hundertprozentiger Ausschluß des Verdachtes prinzipiell unmöglich ist, sondern auch, weil noch nicht alle in Frage kommenden Stasi-Unterlagen erschlossen sind und weil bisher kein potentielles Opfer personen­dosimetrisch auf Spuren äußerer Bestrahlungen oder auf erhöhte Nuklidkonzentrationen im Körper untersucht wurde.

Für potentiell Betroffene ist es in diesem Zusammenhang allerdings auch wichtig zu wissen, daß es sich bei einer möglichen Induzierung von Krebskrankheiten grundsätzlich um statistische Effekte handelt. Bei einer Gruppe bestrahlter Personen bestimmt die Höhe der Strahlendosis die Zahl (den relativen Anteil) der induzierten Krebsfälle, nicht aber, wer erkranken wird. Da es Induktions­wahrscheinlichkeiten von 100 Prozent praktisch nicht gibt, kann man einen Krebs nicht direkt "erzeugen", sondern nur – in Abhängigkeit von der Dosis – das Krebsrisiko erhöhen. Es gäbe also im Falle einer vermuteten "Strahlenbehandlung" (auch wenn diese individuell nachgewiesen wäre) für den einzelnen Betroffenen keine absolut zwangsläufige Entwicklung einer Krebserkrankung, sondern immer noch eine reale Chance, daß sich bei ihm die Krankheit nicht entwickelt.

 

Und es besteht für jeden die Möglichkeit regelmäßiger Krebsvorsorgeuntersuchungen. Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind die Aussichten für eine erfolgreiche Behandlung und Heilung. Außerdem besteht – unter bestimmten Voraussetzungen – die Möglichkeit einer individuellen Feststellung stattgefundener überdurchschnittlicher Strahlenbelastungen über personendosimetrische Untersuchungen. Die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen bieten Interessierten Beratung und Hilfestellung an.

Ich selbst war, was die Geraer Röntgenanlage betrifft, mir fast zehn Jahre lang unsicher. Sind Häftlinge im Fotoraum bestrahlt worden? Sollten Häftlinge dort bestrahlt werden? Oder war die in Gera vorgefundene Gerätekonstellation wirklich nur zufällig in verdächtiger Weise angeordnet? Wenn ich heute die zu der Geraer Röntgenanlage vorliegenden Stasi-Unterlagen, Dokumente und aktuellen Gutachten betrachte, glaube ich, daß dieser Verdacht, der auch mein Verdacht war, als weitestgehend erledigt angesehen werden kann. Mein Ziel war und ist eine unvoreingenommene und möglichst gründliche Aufklärung. Der Konferenz der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen bin ich sehr dankbar, daß ich dazu einen Beitrag leisten konnte.

 

(Gerbergasse 18, I/2000, S. 2-7.)

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