5 Apokalypse Fuller-1994
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Der Verlust des Glaubens an die Kraft des Utopischen hinterläßt ein Vakuum, das apokalyptische Stimmungen füllen. Nur wenige zeitgenössische Künstler zeigen Interesse an einer irgendwie gearteten Utopie. Ein Futurismus des Jahres 1995 wäre undenkbar. Die Kunst am Jahrtausendende gibt sich vor allem tragisch und existentiell.
Das affirmative Pendant - denn keine Epoche ist einheitlich - weist einen heiteren, leichtherzig-spöttischen Charakter auf, der die Sinnkrise lächelnd überspielt; man denke etwa an die Kunst des niederländisch-flämischen Sprachraums. Die Künstler hingegen, um die es hier geht, stellen sich unmittelbar den Konsequenzen des Scheiterns der Moderne. wikipedia Pendant
Wenn es wahr ist, daß die Kunst ihre Zeit in Bildern konzentriert und zugleich ästhetisch überhöht, und wenn man die Kunst ernst nimmt als Stimmungsbarometer, kann die Lebenskrise zum Jahrtausendende als gravierend bezeichnet werden.
Sie geht über die kunstimmanente Legitimationskrise hinaus. Daß die Kunst sozialpolitisch nichts bewirken könne und ihren Kontakt mit dem <Man on the street> längst verloren habe, ist heute ein Gemeinplatz. Die zeitgenössische Kunst zweifelt an sich selbst und - bedeutsamer - an der Fähigkeit des Menschen, Krisen zu meistern.
Die Funktionskrise von Staat und Gesellschaft und die ökologisch sich ankündigende Endzeit werden seit Auschwitz ergänzt von einer tiefen Krise des Vertrauens in den Menschen überhaupt. Den Glauben an dessen »guten Kern« noch aufzubringen erfordert auch von Künstlern übermenschliche Langmut. Daß die Liebesmüh nicht mehr fruchten will, offenbart dieses Kapitel: Die Fassaden des Fortschritts sind zu Staub zerfallen, künstlerische Horrorvisionen übertreffen einander. Das Scheitern der Moderne mit ihren kühnen Entwürfen und übersteigerten Hoffnungen bedeutet im Grunde genommen das Scheitern der Aufklärung und der Humanität unserer Tage.
Der apokalyptische Gedanke hat begonnen, den utopischen zu ersetzen. Freilich hat die Menschheit stets die Apokalypse gefürchtet. Die angstbesetzte Vorstellung des Jüngsten Gerichts und der Hölle, die Johannesapokalypse inspirierten Künstler seit dem Frühmittelalter zu in vielerlei Hinsicht phantastischen Leistungen; man denke an den herrlichen Teppichzyklus der Apokalypse von Angers, an Dürers Holzschnittfolge zur Johannesoffenbarung, an Boschs Höllenvisionen, verwandt den tausendfach variierten Bildern des Jüngsten Gerichts, so etwa von Giotto, Signorelli, Lochner.
Die Apokalypse des Jahres 2000 bestimmt sich nicht mehr religiös. Die Vorstellung des Jüngsten Gerichts erfuhr ihre Säkularisierung durch die Tatsache, daß der Mensch im Begriff ist, sich selbst zu vernichten. Die möglich gewordene atomar oder ökologisch verursachte Apokalypse ist freilich nicht darstellbar, schon gar nicht mit dem Kanon der traditionellen religiös geprägten Ikonographie. Daher kann man nur künstlerische Annäherungen erwarten, Visionen einer zerstörten Welt, Schreckensvisionen überhaupt, die auf die Apokalypse als Endpunkt hinweisen, diesen jedoch niemals mimetisch zu illustrieren vermögen.
Ernst Blochs Theorie des ästhetischen Vor-Scheins wird auf ironische Weise wieder aktuell. Es geht nicht mehr etwa um das Liebesglück wie bei Watteaus Einschiffung nach Kythera, nicht mehr um die »realmögliche Wunschlandschaft«, dargestellt mit »tendenzhaft-utopischem Realismus«. Es geht um den künstlerisch evozierten, realmöglichen Schrecken. Auch das letzte Reservat des utopischen Gedankens, das ästhetische Refugium, entschwindet. Der Vor-Schein einer besseren Welt verkehrt sich zum Vor-Schein einer noch übleren, unerlösten, vernichteten Welt, in der Schönheit, Glück, Liebe und Erfüllung Fremdwörter sind.
Cindy Sherman zeigt eine posthumane Gesellschaft voll zerstückelter, toter Körper. Den Kern des antiutopischen Vor-Scheins bildet die Metapher der sterbenden Natur von Alice Stepanek und Steven Maslin. In Karin Kneffels Angstvisionen brennen die Wälder. Tim Head führt eine ökologisch verseuchte Welt vor Augen, während Laurie Hogin den Betrachter einen genetisch pervertierten Tierkosmos besichtigen läßt. Die Gruppe »Survival Research Laboratories« hetzt in einer Kriegssimulation Maschinen aufeinander. Helmut Schweizer schließlich steigert den technologischen Amoklauf ins Visionäre. Um Bloch kritisch zu paraphrasieren: Non incipit vita nova, sed apocalypsis.
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Cindy Sherman, 1954 geboren, präsentiert die Urheber und Helden des Endzeitszenariums als nicht mehr menschliche Wesen. In ihren frühen Filmstandbildern ab 1977 verkleidete sich Sherman für jede inszenierte Aufnahme neu. Sie machte sich zu einer anderen und wurde selbst unentdeckbar. Ihre Verkleidungen ließen das Ende der Individualität sinnfällig werden.
Während Sherman in den Filmstandbildern Typen der bürgerlichen Normalität vorführte — die brave Tochter, die Studentin, die frustrierte Hausfrau, das Flittchen —, inszenierte sie in den über dreißig Historischen Portraits von 1988-90 künstliche Wesen aus dem kunstgeschichtlichen Fundus. Ihre neuesten Arbeiten treiben die Künstlichkeit auf die Spitze.
102 Cindy Sherman, ohne Titel, 1992
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Es sind vorwiegend medizinische Lehrpuppen, schrill bemalt, zerlegt und arrangiert, die das Fürchten lehren (Farbtafeln 7, 8). Thomas Kellein schrieb daher, Shermans Werk von 1977 bis 1990 stelle sich dar als »ein Gang durch die Wüsten des Menschseins ... von einer fast frommen Normalität und Durchschnittlichkeit zur grotesken Exzentrik und satanischen Entgleisung«.
Die Puppentorsi eröffnen sich verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten. Die oberflächlichste Deutung möchte Sherman dem Feminismus zuordnen. Der in sich verknotete Penis wird dergestalt zum witzigen Symbol männlicher Unfähigkeit (Abb. 102). So berechtigt diese Deutung sein mag, so wenig erfaßt sie die Vielschichtigkeit von Shermans Werk. Da ist etwa der übertrieben sexuelle Aspekt der Torsi. Die Künstlerin entlarvt sexuelle Posen der Begehrlichkeit, falsche Träume von Weiblichkeit und Männlichkeit.
103 Cindy Sherman, ohne Titel, 1987
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104 Cindy Sherman, ohne Titel, 1992
Ein aufgeblähter männlicher Torso bringt nur ein winziges Tröpfchen Sperma zustande (Abb. 103). Frauen rekeln sich, bleiben jedoch lediglich Kunstwesen mit dezidiert unerotischen Geschlechtsteilen (Abb. 104). Der Kot, der sich aus der Scheide preßt, ergänzt auf ekelerregende Weise die lüsterne Altersfratze (Farbtafel 8). Sherman decouvriert die Armseligkeit der menschlichen Reproduktion. Der sexualisierten Gesellschaft wird der Spiegel vorgehalten: Hier habt ihr eure eigentliche Welt, erkennt sie wohl. Andere Deutungen betonen den androgynen Charakter der Torsi. Weibliche und männliche Körper verschmelzen zu einem einzigen Leib, zusammengehalten von einer bunten Schleife (Farbtafel 7). In einem gleichen sie sich: in der Widerwärtigkeit ihrer Geschlechtsteile. Gleiches zu Gleichem, Scheusal zu Scheusal.
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105 Cindy Sherman, ohne Titel, 1987
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106 Cindy Sherman, ohne Titel, 1987
Diese Interpretation der Androgynität führt zu einer tieferen Aussage über den Menschen. Shermans intensive Nutzung der Prothesen verleugnet die Lebendigkeit des Körpers und die Körperlichkeit des Menschen überhaupt. Sherman verweist auf die biologische Entfremdung des Menschen von sich und seiner natürlichen Sexualität. Die künstlichen Torsi vergrößern die menschlichen Körperteile ins Groteske. Das Stilmittel der Satire würde fehlinterpretiert, sähe man hier eine nur oberflächliche Kritik am menschlichen Geschlechtsverhalten. Läßt man die ganze Groteskenparade auf sich wirken, ergibt sich wiederum ein neues Bild: Man steht vor einer genau durchgestalteten Horrorbühne, die nichts Menschliches mehr vorführt. Zerstückelte Kunststoffleiber bevölkern Shermans Höllenwelt. Köpfe wurden vom Rumpf mit seinen dysfunktionalen, pochenden Geschlechtsteilen getrennt.
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Alles ist fragmentiert, abstoßend, dahingeworfen. Einzig die Geschlechtsteile haben ihre Sprache nicht verloren. Die Ausdrucksfähigkeit hat sich weitgehend vom Gesicht auf das Geschlecht verlagert. Das Reproduktionsorgan zeigt sich ungeniert, hat doch der Mensch, diese Botschaft meint man zu vernehmen, nichts anderes vorzuweisen. Er ist ein Wesen, dessen Ganzheit und Individualität abhanden kamen. Abgeschnitten von der Menschlichkeit und allen natürlichen Bezügen, treibt er dem Chaos zu.
Zwei andere Arbeiten Shermans bestätigen dies. Resigniert betrachtet der postmoderne Poet das Rattengewühl in seiner Matratze (Abb. 105) — ein endzeitliches Meditationsbild, eine ironische Zuspitzung der stillen Kontemplationshaltung. Das chinesische meditative Landschaftsbild etwa sollte durch die Schönheit und Einheit der Gegensätze eine innere Harmonie beim Menschen stiften. Bei Sherman bleibt die Natur ausgespart, die Harmonie ein Buch mit sieben Siegeln. Der Mensch irrt in einer unwirtlichen Welt voller Schmutz, Kot und Abfall umher (Abb. 106). Das Universum als Kehrichthaufen. Wenn sich das Wesen namens Mensch definiert, dann nur durch seine Geschlechtsteile. Deren Dysfunktionalität weist auf das Ende der Fruchtbarkeit hin. Die Gliederpuppen sind im Grunde steril, was vom schrillen Angebot der Geschlechtsteile kaum kaschiert wird. Der Tod des ganzheitlichen Menschen bedeutet den Tod der Liebe, und dies wiederum impliziert das Ende des menschlichen Lebens.
Alice Stepanek aus Berlin, 1954 geboren, und Steven Maslin, geboren 1959 in London (die beiden arbeiten seit 1983 zusammen und leben in Köln), schlagen einen verhalteneren Ton an als Cindy Sherman. Im Gegensatz zu Shermans wilder Kakophonie beherrscht in ihren Arbeiten die Stille das apokalyptische Drama, die Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur.
Alice Stepanek wertet ihre apokalyptischen Bilder von 1984 bis 1989 als ein Durchgangsstadium. Den vorläufigen Ruhepunkt nach dieser Phase bildet der unspektakuläre Stil, den man am ehesten mit Naturalismus bezeichnen könnte. In den Naturbildern der beiden Künstler gewinnen die Bäume eine ungeheure Präsenz. Man meint, die letzten Denkmäler einer sterbenden Natur zu sehen. Die Symbolik ist ganz zurückgenommen. Es geht um das Werden und Vergehen in der Natur, etwa beim Kölner Jahreszeitenzyklus von 1993. Der Tod wird in den Rhythmus alles Organischen eingebunden.
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107 Alice Stepanek, Steven Maslin, ohne Titel, 1988
108 Alice Stepanek, Steven Maslin, ohne Titel, 1986
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In den Werken der achtziger Jahre dagegen wurde das Symbolhafte noch in den Vordergrund gestellt. Der Lebenszyklus von 1989 (Farbtafel 5), altmeisterlich gemalt, erinnert an Runges Werdensmetaphysik. In der romantischen Ideallandschaft thronte das Schloß über friedlichen Tälern. Hier jedoch wird das Ordnung schenkende Schloß durch das Braunkohlekraftwerk Eschweiler ersetzt, das die Felder und Wälder zu verpesten beginnt. Ahnungslos spielt das Kind, Symbol der Zukunft, am Rande seines eigenen, bereits ausgehobenen Grabes.
Eine andere Arbeit, ein »traditionelles Bild«, wie die Künstlerin sagt, gewinnt heute, angesichts des realen Waldsterbens, eine neue Qualität (Abb. 107). Der blattlose Baum auf kahlem Feld scheint sich aufzulösen, zu sterben; die Stare fliegen davon. Anders als beim ironischen Umweg des Lebenszyklus wird in diesem Bild das Moment des Sterbens unmittelbar ausgedrückt. Die unwirtliche Landschaft verheißt den Tod. Die Künstler spielen hier auch auf van Goghs angeblich letztes, düsteres Bild Krähen über dem Weizenfeld (1890) an. Bei Stepanek und Maslin blüht jedoch nichts mehr.
Wohin die Naturvernichtung führt, macht ein weiteres Gemälde deutlich (Abb. 108). Die Erde explodiert. Die klassische Weltlandschaft — man denke etwa an Altdorfers Alexanderschlacht — existiert nicht mehr. Altdorfer rundet seine Welt ab, Mond und Sonne halten einander, in stetem Lauf, die Waage. Stepanek und Maslin hingegen zeigen die Disharmonie des nuklearen Zeitalters: Der vom Menschen gemachte Feuerball überstrahlt die Sonne.
Vernichtung der Natur, des Natürlichen auch bei der Chicagoerin Laurie Hogin, geboren 1963. Sie verbildlicht Visionen einer durch Gentechnik und Umweltverschmutzung pervertierten Tierwelt; eines schönen neuen Tierreichs, das Wirklichkeit werden könnte.
Hogins historische Manier erinnert an das niederländische 17. Jahrhundert. In diesem goldenen Jahrhundert des siegreichen Bürgertums gründete die Schönheitsnorm der Kunst in einer in sich ausgeglichenen Natur und in einer stillen Häuslichkeit. Hogins Bilder, oft Ölfarben auf Holz, lassen an die Arbeiten von Aelbert Cuyp (1620-1691), Jan Weenix (um 1640-1719) oder Melchior de Honde-coeter (1636-1695) denken. Dessen Friede auf dem Hühnerhof Von 1668 (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe) vermittelt beispielhafte patriarchalische Ordnung: Der Hahn stolziert unangefochten umher, umgeben von kotauenden Hennen und braven Küken. Hogins Häusliches Stilleben I von 1992 (Abb. 109) kontrastiert ironisch mit der scheinbar ehernen Statik, die das 17. Jahrhundert vermittelt. Die aufgeregte Henne zerstört ihr eigenes Gelege.
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109 Laurie Hogin, Domestic Still Life I (Häusliches Stilleben I), 1992
110 Laurie Hogin, Domestic Still Life II (Häusliches Stilleben II), 1992
Während die Pastoralen des 17. Jahrhunderts die Kontinuität der natürlich-reproduktiven Ordnung bekräftigten, führt Hogin eine überzüchtete Menagerie vor Augen, die nicht mehr natürlich reagiert. Die Henne, die ihre Nachkommenschaft vernichtet — ein Verweis auf die Menschheit, die ihre Kinder und Kindeskinder umzubringen droht.
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111 Laurie Hogin, Posse (Suchtrupp), 1991
Auf den ersten Blick wirken Hogins Gemälde in ihrer altmeisterlich perfekten Ausführung bestrickend schön. Aber man hinterfragt diese Schönheit, die auf das 17. Jahrhundert zu verweisen scheint, wenn sich dem Betrachter die korrumpierten Sujets aufdrängen. Diese ironische Spannung durchzieht alle Werke Hogins. Die Sujets, wie über ihre Arbeiten geschrieben wurde, schlagen zurück, indem sie die Nostalgie des schönen Scheins entlarven. Nichts ist an seinem Platz. Eine natürliche Ordnung existiert nicht mehr. In der mutierten und chemisch verseuchten Welt haben sich alle einstmals gegebenen Muster aufgelöst. Harmlose Häschen haben sich in Tiger und Leoparden verwandelt, aus Pflanzenfressern wurden Beutejäger (Abb. 111). Der Wald ist nur noch ein Ort der Gefahr. Der tote Hase im Häuslichen Stilleben //(Abb. 110), in das Hogin auch ein Sinnbild der Vergänglichkeit, den Kürbis, integriert hat, läßt an ein traditionelles Jagdstilleben denken; der lebendige Hase, degeneriert, fletscht die gefährlichen Reißzähne. Am Ende der Tiermutationen steht der Krieg aller gegen alle (Farbtafel 11).
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Hogins entartete Tierwelt prophezeit das Resultat der Gentechnik und der chemischen Verseuchung. Mit vielleicht ein wenig zu offenkundiger Didaktik gelingt es der Künstlerin, ein glaubwürdig-ironisches Bild der Zukunft zu skizzieren: eine Welt außer Rand und Band, weil der Mensch Gott gespielt hat. Verhaltensweise und äußere Gestalt der Tiere wurden, gewollt oder ungewollt, radikal verändert. In ironischer Äffung ihrer zweibeinigen Schöpfer strahlen diese Hasen nicht Gutartigkeit, sondern extreme Boshaftigkeit und Gefahr aus. Das menschliche Modell verwirklichte sich im tötungsbereiten Tier.
Tim Head beschäftigt sich ebenso wie Hogin mit dem fahrlässigen menschlichen Spiel mit der natürlichen Ordnung, wie der Kritiker Marco Livingstone schrieb. Head wurde 1946 in London geboren und lebt heute dort. Wie Hogin untersucht der englische Medienkünstler die Dialektik von Natürlichkeit und Unnatürlichkeit sowie das Resultat des menschlichen Eingriffs in die Natur. Sein thematisches und mediales Spektrum geht weit über die traditionellen Darstellungen hinaus. Head greift Aspekte der bunten Warenwelt in verfremdenden Installationen, Fotos, Fotocollagen und Werbetafeln auf, um die geheimen Verführer bloßzustellen. Seine Vorgehensweise zielt auf den Brechtschen V-Effekt ab: Vertrautes wird fremd gemacht, um Anlaß zum Nachdenken zu geben. Heads steter Wechsel von Medium und Perspektive geht mit der gesellschaftlichen Dynamik parallel. Die Genetik, die Lebensmittelchemie, die nukleare und chemische Verseuchung wandeln ständig ihre Fratzen; analog dazu die Maske des engagierten Detektivs Tim Head.
Head beleuchtet das Thema »neue menschliche Schöpfung«, indem er die immer mehr verschwimmende Grenze zwischen Natürlichem und Unnatürlichem thematisiert. Das preisgekrönte Werk Kuhmutationen (Abb. 112) macht diesen beängstigenden Übergang deutlich. Tim Head veranstaltet hier ein visuelles Spiel mit dem Signet der Sainsbury-Lebensmittelkette. Er löst das vertraute Bild auf, verzerrt es, läßt es in der tapetenmusterartigen Wiederholung wie einen beinahe maschinellen Code erscheinen. Das betrachtende Subjekt muß sich die Kuh sozusagen selbst erschaffen, sie ist nicht unmittelbar gegeben. Die Objektivität hat sich aufgelöst, objektive Wahrheiten haben sich verflüchtigt, Beurteilungskriterien lassen sich nicht länger festschreiben. Die neu geschaffenen und geklonten und mutierten Objekte, die die fleißige Menschheit ad infinitum erfindet, können nicht mehr in die natürlichen Lebensabläufe eingeordnet werden. Sie entziehen sich der Kontrolle, sie sind zum radikal anderen geworden, zu Aliens, wie in Heads Fremdartiger Landschaft (Abb. 113).
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112 Tim Head, Cow Mutations (Kuhmutationen), 1986
113 Tim Head, Alien Landscape (Fremdartige Landschaft), 1985
114 Tim Head, Petrochemicaland 2 (Petrochemieland 2), 1991
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Das Ende der romantischen Landschaft, das sich bei Stepanek und Maslin andeutete, ist bei Head unwiderruflich besiegelt. Die schöne neue Welt des Großschöpfers Mensch heißt Petrochemieland (Abb. 114, Farbtafel 15).
Ohne in ermüdende Programmatik zu verfallen, weist Head, wie er sagt, auf die Dinge, die uns betreffen. Es sind vom Menschen geschaffene und doch ihm völlig entfremdete, künstliche Plastikwelten. Wie Hogin mit dem schönen Schein der Kunst des 17. Jahrhunderts, so spielt Head mit dem optischen Reiz der Gegenwartsbuntheit. Das Grün der Petrochemielandschaften suggeriert Gras und Laub und zieht das Auge an. Aber nichts ist echt. Der Tod der Landschaft und damit der natürlichen Mitwelt kulminiert folgerichtig in einer verseuchten, überquellenden Müllkippe. Die farbenfrohe Toxische Lagune (Farbtafel 16) will das Endresultat vorstellen. Das bunte Gewand der Welt als Abfall ist zum einen real dank der technischen Möglichkeiten der chemischen Industrie. Zum anderen verweist gerade der Widerspruch zwischen greller Unbeschwertheit und gravierendem Resultat auf das Verbrechen, das hier begangen wurde. Der Mensch hat seine Mitwelt in eine verseuchte Umwelt verwandelt. Und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen.
Auch bei den Waldbränden von Karin Kneffel, 1957 in Marl geboren, war man dabei. Zur Frage der künstlerischen Umsetzung meint die Künstlerin, expressive Bilder entstünden zu sehr »aus dem Bauch heraus«, Fotos besäßen eine zu große Distanz. Kneffel bemüht sich sozusagen um die mittlere Entfernung.
Sie stellt ein traditionelles Sujet mit traditionellen Mitteln — Öl auf Leinwand — dar, jedoch so, daß die Tradition zerbricht, ebenso wie bei Stepanek und Maslin. Im Wald, sagt die Künstlerin, stecke viel — »Schrecken, Faszination, Bewegung«. Die Einheit von Statik und Bewegung gelte es einzufangen. Feuer VII (Abb. 115) liefert dafür ein eindrucksvolles Beispiel.
Kneffels brennende Wälder erlauben verschiedene Interpretationen: als gelungenes Einfangen purer Dynamik; als Wiedergabe periodisch auftretender, natürlicher Geschehnisse; oder als Metaphern, als Metaphern für die Zerstörungswut des Menschen. Die brennenden Wälder läuten das Ende der Natur und somit das Ende des Menschen ein. Der Brand fängt klein und spannungsgeladen an, wie in Feuer X (Farbtafel 17), und weitet sich schnell aus, wie in FeuerI (Farbtafel 18).
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115 Karin Kneffel, Feuer VII, 1992
Die Künstlerin ließ sich, wie sie Anfang 1993 betonte, von Waldbränden, dem Waldsterben und insbesondere den brennenden Ölquellen im Golfkrieg inspirieren. Kneffels Wälder muß man im Kontext der Zerstörung natürlicher Ressourcen sehen, sie verweisen auf die Vernichtung der Lebensgrundlagen überhaupt. Der Anziehungskraft und Faszination der beinahe schönen Bilder Kneffels wohnt dieselbe Thanatoslatenz inne wie etwa Heads Toxischer Lagune. Der schöne Schein der bunten Farben, bei Kneffel das Orange des Feuers im Kontrast zum satten Grün, weist auf die Vergänglichkeit der Natur hin. Diese Spannung von Eros und Thanatos, von Schönheit und Vernichtung läßt sich in vielen Feuerbildern aufzeigen. In Feuer IX (Abb. 116) wird sogar die exakte Grenze sichtbar, an der sich das Feuer in die Landschaft hineinfrißt. Das grüne Land scheint bereits verloren.
Der Blick auf andere Arbeiten Kneffels stützt die metaphorische Interpretation der Waldbrandbilder. In Kneffels Tierbildern sind die Haustiere unterworfene, brave, kastrierte Wesen. Hühner drehen den Menschen den Rücken zu, Kühe werden durch schwere Halsglocken unweigerlich an den Menschen gebunden, Hunde entmachtet man mit Maulkörben. Falls wilde Tiere vorkommen, wie das Känguruh, befinden sie sich auf der Flucht. Gefährlich sind diese Tiere nicht. Sie sind unsere Opfer.
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116 Karin Kneffel, Feuer IX, 1992
Das Moment des Untergangs verbindet Kneffels Darstellung der ausgepowerten Tierwelt mit ihrem Bild der Flora: Die Tiere fliehen, die Wälder brennen. Tier- und Pflanzenwelt scheinen als Opfer des Menschen unrettbar verloren. Wie ein Krake, dessen Tentakeln überallhin greifen — so saugen sich die Flammen in Feuer X am noch gesunden, todgeweihten Gras fest.
In keinem der Feuerbilder tritt der Mensch auf. Aber er ist, wie die Künstlerin betont, »latent« da. Warum brennt der Wald? Gerade diese Unbestimmtheit der Brandursache, die Vieldeutigkeit des Wald- und Weltenbrandes als kühles Statement, läßt den Betrachter Sinistres ahnen. Die Suche nach dem Schuldigen, meint die Künstlerin, sei wie die moderne Welt überhaupt »ein undurchschaubares System«.
Die Künstler Stepanek und Maslin, Hogin, Head und Kneffel haben das apokalyptische Potential sozusagen von der Opferrolle her behandelt. Ihre Perspektive akzentuierte das Sterben der Natur. Obwohl es nicht Aufgabe der Kunst sein kann, das Phänomen, mit Hegel gesprochen, auf den Begriff zu bringen, läßt sich die Täterseite der Naturvernichtung dennoch von der Kunst beleuchten. Der Täter ist der Mensch mit seinem westlich-cartesischen Herrschaftsverhältnis zur Natur, und sein verlängerter Arm ist die Maschine.
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Die 1978 von Mark Pauline gegründete zwanzigköpfige Gruppe Survival Research Laboratories (kurz SRL) aus Kalifornien inszeniert ein maschinelles »Ballett des Schreckens«. In jeder Performance werden eigens konstruierte Maschinen, genau choreographiert, aufeinandergehetzt, bis sie sich gegenseitig zerstören. Etwa 80-90% der Performance verlaufen wie geplant, der Rest balanciert zwischen Ordnung und Chaos. Die meist nur einmal verwendbaren Maschinen heißen »Running Machine«, »Big Arm«, »Tesla-Coil«, »Shaker«, »Red Bomb« und »V-1«.
In dieser »düsteren Parallele zu realen Kriegen«, wie ein Kritiker schrieb, nimmt etwa V-1 - ein rekonstruierter V-1-Raketenantrieb - eine Fensterfront mit ihren kleinbürgerlichen Blumentöpfen unter Feuer. Dann wendet sie sich anderen Maschinen zu und nimmt den Kampf mit ihnen auf (Abb. 117). »Wir wollen zeigen«, heißt es bei Pauline, »wie pervers die militärische Technologie ist.« Die ohrenbetäubende, real-gewalttätige, apokalyptische Show erschüttert jeden Zuschauer. Die Performance Die beabsichtigte Entstehung einer Kriegszone während des »Steirischen Herbstes« von 1992 verwies unmittelbar auf den geographisch nahen Völkermord in Bosnien; Medusa verbrennt alles (Abb. 118).
Insbesondere vor diesem allzu wirklichen Hintergrund versteht sich die SRL-Show, mit den Worten Paulines, als »eine Satire auf die Tötungstechnologie, eine absurde Parodie auf den Komplex der Militärindustrie, ... als ein zynischer Kommentar, eine Demonstration der Absurdität des Krieges«. Die Choreographie der SRL-Performance äfft auf bitterböse Weise die Strategie der Generäle nach.
Die endzeitliche Kriegs- und Techniksatire, die mit denselben Mitteln arbeitet wie die Wirklichkeit, wirft mehrere Probleme auf. Die bekannte ästhetische Faszination des Schreckens, der berückend-schauerliche Schein, der die Bedeutung zuschüttet, ist eines der Grundprobleme der zeitgenössischen Kunst. Besonders virulent stellt sich die Frage der Überästhetisierung des Grauens bei Mapplethorpe, in geringerem Maß bei Sherman, Kneffel und Head. Bei Mapplethorpe ist noch der Totenschädel schön.
Die Problematik der SRL-Performances kann man folgendermaßen umreißen: Mißlingt die Satire, weil die hedonistische Faszination durch die Zerstörung überwiegt? Entstammt die Erschütterung des Zuschauers eher dem Genuß der zelebrierten Zerstörung anstatt dem moralisch-ästhetischen Schock? Wenn Paulines Ziel in der Satire liegt, dürfte die apokalyptische Simulation nicht zum Spektakel verkommen. Zumindest müßte das Spektakel aufrütteln. Ebenso mißlingen muß die Performance, wenn das »Spiel mit dem Untergang«, wie es einmal genannt wurde, in der Halle zu harmlos wirkt.
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117 Survival Research Laboratories, The Deliberate Evolution of a Warzone (Die beabsichtigte Entstehung einer Kriegszone), 1992
118 Survival Research Laboratories, A Carnival of Misplaced Devotion (Ein Karneval fehlgeleiteter Anbetung), 1990
Die Choreographie darf für den Zuschauer nicht zu kalkulierbar werden, was die Performance zur Spielerei degradieren würde, zum riesigen Spielplatz von zwanzig erwachsenen Männern, denen die elektrische Eisenbahn nicht mehr genügt. Die SRL müssen sich mit anderen Worten zwischen der Scylla der Faszination durch den Schrecken und der Charybdis der Harmlosigkeit hindurchlavieren.
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Die konträren Zuschauerreaktionen deuten auf die ästhetische Offenheit der Performances hin, was das Problem allerdings nicht löst. Vielleicht kann man es nicht lösen, wenn man mit engen moralischen Kriterien an ein Kunstprodukt herangeht und »political correctness« als Endresultat fordert. Sieht man dergestalt von scharfer Kritik auf der einen Seite und blinder Zustimmung auf der anderen ab, ist die Existenz der SRL-Performances überhaupt von Interesse. Daß es sie gibt, macht auf den apokalyptischen Zustand der Welt aufmerksam.
Helmut Schweizer, 1946 in Stuttgart geboren und heute in Düsseldorf lebend, steigert die Kakophonie zum abschließenden Furioso. Der Künstler, der alle tradierten Formen ablehnt, setzt sich mit der vernichtenden Ausübung von Macht auseinander. Er synthetisiere, schrieb Jifi Svestka, das Dämonische unserer Zeit mit der apokalyptischen Vision vom Ende der Welt. Die Malerei, die seine Fotografien überlagert, trägt die Stimmungen. Das Foto legt Zeugnis ab vom Schrecken der Gegenwart.
Schweizers frühe Aktionen von 1969/70 dienten als Mittel, um mit dem Publikum zu kommunizieren. 1970 begann Schweizer zu fotografieren. Seine Dreiersequenzen, »Handlungen«, wie der Künstler sie nennt, zeigen den Eingriff des Menschen in die Natur. Bei diesen kühlen Bestandsaufnahmen ging dem Künstler die Emotion immer mehr verloren, wie er 1993 bestätigte. Ende der siebziger Jahre fing er mit Fotomontagen an. Ein Stipendium von 1981 an der Villa Massimo in Rom bedeutete den Wendepunkt: Der Künstler überwand die Perspektive der »straight« Fotografie und bearbeitete ab 1982 das Foto mit Chemikalien (Kupfersulfat oder eine Eisenverbindung), um es schließlich mit Pinsel und Schwamm zu übermalen.
Sein Leben, heißt es bei Schweizer, habe mit dem Atombombenabwurf von Hiroschima begonnen. Die Gefahr, die vom atomaren Komplex ausgeht, stellte der Künstler ins Zentrum seines Werks. Später (Abb. 119) verquickt Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer mit dem Waldsterben und einer unterirdischen Atomexplosion in der Wüste von Nevada. Das romantische Landschaftsbild zu Beginn des 19. Jahrhunderts drückte die innige Beziehung von Mensch und Natur aus.
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119 Helmut Schweizer, Später, 1985 120 Helmut Schweizer, 1946, 1985
Schweizer benützt romantische Elemente oft in seinen Montagen, um die fortgeschrittene Zerstörung aufzuzeigen, um die Distanz der Romantik zum Fin de siecle unserer Zeit zu unterstreichen. Noch deutlicher wird das Verfahren in 1946 (Abb. 120). In Friedrichs Gemälde Mondaufgang am Meer von 1821 (Eremitage, St. Petersburg) betrachten zwei Männer den Mondaufgang als Zeugen eines sakralen Vorgangs. Schweizer kombiniert die beiden Gestalten mit dem Foto einer atomaren Unterwasserexplosion auf dem Bikiniatoll.
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Die beiden Männer scheinen in einer Höhle zu stehen und ins Nichts hinauszuschauen. Für Schweizer birgt das Bild etwas »sehr Endzeitliches. Wenn es irgendwelche letzten Momente gibt, dann werden sie wohl so aussehen«, meinte der Künstler. Die gottbeseelte Landschaft der Romantik wurde vom atomaren Komplex mit Stumpf und Stiel ausgerottet.
Und was bleibt?
Technoide, geierartige Monstren wie in Gravelines (Abb. 121). Die drei Reaktoren am Pas de Calais - im letzten Jahrhundert ein Ort, an dem Seurat malte - wurden von Schweizer im Bild um die Achse gedreht und verdoppelt. Auch das Foto eines schnellen Brüters in Creys bei Grenoble wurde achsensymmetrisch gespiegelt, um ein futuristisch-realistisches Bild abzugeben (Abb. 122). Die Mitte des Bildes erinnert an eine Guillotine. Die einzelnen Titel dieser Serie Französische Landschaften (1987-89) evozieren die schönsten französischen Kulturlandschaften: Loire, Dordogne, Provence, doch die schöne neue Welt gebiert moderne Dämonen mit Fratzen, die aus den todbringenden modernen Hochrisikosystemen hervorschauen und deren Vernichtungspotential entlarven.
Die Komplexität von Schweizers Verfahren mit seiner multidimen-sionalen Botschaft läßt sich auch an der Serie Deutschlandschaft zeigen.
Deutschlandschaft 3 (Farbtafel 19) etwa weist viele Schichten und Bearbeitungen auf. Schweizers Fotografie einer Landschaft bei Greifswald wird mit einem Nürnberger Christuskopf aus dem 18. Jahrhundert in Verbindung gebracht, der auf ironische Weise den Mond ersetzt. Der Christuskopf wiederum wird von Otto Hahns Paraffinblock, mit dessen Hilfe Uran zerschlagen wurde, überlagert. Christi Heil weicht dem Un-Heil des Paraffinblocks. Nur er thront über einer Welt, die in düster-grellen Farben unterzugehen droht.
In der Deutschlandschaft 11 schließlich (Farbtafel 20) ist die Apokalypse wahr geworden. Das Atomkraftwerk Ohu bei Landshut taucht hier gespiegelt, das heißt verdoppelt auf. Wie ein schwarzer Roboter scheint es auf den Betrachter zuzuwanken. Gestalten aus Stefan Lochners Weltgericht treiben ihr Wesen, über der Reaktorkuppel tanzt der Dämon. Das Feuerrot des Untergangs entlieh sich Schweizer von Hieronymus Bosch, das satanische Grün bei Odilon Redon.
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121 Helmut Schweizer, Gravelines, 1987/88
Schweizers komplexe Überlagerungen wirken deshalb so überzeugend, weil sie die fotografierte Realität zum Weltenbrand steigern. Insbesondere die Bilder der Serie Deutschlandschaft (worin auch »Deutschland schafft« enthalten ist) scheinen über ihre Begrenzungen hinauszuwachsen, zu explodieren und alles in einen Todesstrudel aufzusaugen. Diese real-apokalyptischen Arbeiten sind in vielerlei Hinsicht nicht zu übertreffen. Sie legen Zeugnis ab vom Vernichtungskönnen des Menschen. Durch ihre große Evokativkraft lassen diese Bilder die entsetzlichsten Alpträume des Menschen leibhaftig werden. Traum und Wirklichkeit verschmelzen zu einem noch nie gesehenen, hier aber geschauten Exitus.
Dabei liegt die Aufgabe der Kunst nicht darin, Analysen vorzulegen, sondern ästhetische Erlebnisse zu ermöglichen. Unsere schlimmsten Befürchtungen werden kreativ und vieldimensional umgesetzt, auf daß der Mensch des Jahres 2000 neue Wege suche. Sherman, Kneffel, Head und Schweizer, um nur einige zu nennen, konfrontieren den Betrachter mit der Phantasieapokalypse, damit diese nicht wirklich werde.
122 Helmut Schweizer, Creys II, 1987/88
Das Todesgefühl in der zeitgenössischen Kunst hat reale Ursachen. Die zeitgenössische Kunst schwelgt nicht, wie ihr manche Kritiker vorwerfen, mit bizarr-morbider Freude im Untergangsgefühl, obwohl es auch solche Künstler gibt.
Statt dessen stellen sich viele Künstler couragiert den Sujets Gewalt, Tod, Leid und Untergang, um die noch verbliebene Humanität und somit das Leben zu betonen.
Die Technologie der Pragmatiker vernichtet die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, und die Kunst stellt sich, beherzt und mit unzureichenden Mitteln, dem Scheitern entgegen. Insofern ist allein positiv die Kunst.
Gegen die Vernichtung artikuliert sich das Wort der Literatur. Gegen das Nichts behauptet sich — vielleicht nur noch für kurze Zeit — das Kunstwerk.
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Ende
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