Reiner Geulen
Jenseits
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2020 200 Seiten detopia |
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detopia-2023: Eine seriöse und genaue Zeitanalyse. Geulens "Polemik" im dritten Teil findet Dreitzel-2020 (zwar) "unerheblich"; für mich als Ostler gibt es aber noch Neues zu erfahren; auch Biografisches über den Autor.
Auf Seite 30 unten: "globeln" statt "globalen". Auf Seite 186 ist eine Jahreszahl falsch: "1989" statt "1889" (Nietzsche's Einlieferung).
2020-Video: Geulen zum Buch: Kleinvideo/deto oder auf youtube.com/watch?v=IiHufYLQIFo
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Inhalt-2020
Teil 1 - Die Vernichtung des Lebens (11-58) I. Die Spaltung des Atoms und der Nuklearkrieg (12)
II. Die thermische Zerstörung der Biosphäre (39)
III. Der Triumph der Vernichtung über die Evolution — der Physiker Stephen Hawking (47)
Teil 2 - Historical Sites (59-100) I. Trinity Point - die Vishnu-Gestalt Robert Oppenheimer und die Einheit von Kernspaltung und Menschheitsvernichtung (60)
II. Leben in der toten Zone
Teil 3 - Dumpfes Verstummen - die deutsche Philosophie in der Endzeit - Eine Polemik (101-179) I Vom tausendjährigen Reich zur nuklearen »Weltnacht« - Martin Heidegger, der erste Philosoph der Endzeit (102)
II Die Sprache der Apathie (133)
III Pilgerfahrt ins Morgenland - die deutsche Intelligenz und der Buddhismus
IV Die apokalyptischen Reiter
V Typologie des Sloterdijk-Lesers
VI Das klägliche Ende der deutschen Philosophie (172) VII Der letzte deutsche Philosoph - Jürgen Habermas und das »unvollendete Projekt der Moderne« (176-179)
Teil 4 -
»Also sprach Zarathustra« - I Friedrich Nietzsches Abschied von der Welt (182) II Der Herold des Führers (192) III »Oh Mensch! Gieb Acht!« (196-198) |
Lesebericht von Dreitzel-2020
Richtig deutlich wird nun aber Reiner Geulen in seinem Buch <Jenseits der Hoffnung> (2020). Geulen war jahrzehntelang der wichtigste und erfolgreichste juristische Kämpfer gegen die Macht der deutschen und der internationalen Atom-Industrie. Und deshalb weiß er auch mehr über die Technologie bzw. über unseren grundlegenden Sündenfall: unserer Technik mehr zuzutrauen als uns Menschen selbst.
Geulen weiß alles über die fortschreitende atomare Hochrüstung und über zunehmende Verstrahlung der Welt. Seine klare präzise Analyse reicht von der Entwicklung von Raketen mit atomarem Sprengstoffen, die inzwischen das 24.000 fache Zerstörungspotential der Hiroshima-Bombe mit sich führen (was unvorstellbar aber wahr ist), über die Illusion eines "Gleichgewichts des Schreckens" bis zu den gegenwärtigen Bemühungen der Militärs, eine künstlich Intelligenz (KI) zu entwickeln, die auch atomare Entscheidungen aus eigener „Rationalität“ treffen können soll.
Kaum weniger entschieden fallen Geulens Analysen zur Klimaktastrophe aus.
Geulens Szenarien sind so kenntnisreich und zwingend dargelegt, das dem Leser kaum ein anderer Ausweg bleibt, als seiner Empfehlung zu folgen, das universale Gesetz der Entropie jetzt schon zu akzeptieren. Das ist worauf offenbar sein neues Buch hinaus will.
Demgegenüber ist die Frage nach der Berechtigung seiner "Polemik", wie er sie selbst nennt, gegen das "dumpfe Verstummen" der deutschen Philosophie, die den Schlussteil dieses makaberen Buches ausmacht, unerheblich.
Aber für Geulen folgt aus dem zwingenden Schluss, das Gesetz der Entropie auch für die Menschheit zu akzeptieren - und zwar als ein Geschehen in unserer Gegenwart - nicht eine resignative Haltung, kein Nihilismus, sondern der aufrechte Gang des Menschen, der sein unausweichliches Ende kennt und ihm gelassen, ja mit Freude über das klare Licht dieser Erkenntnis, entgegen sieht; der ohne es zu akzeptieren seinem Schicksal offen entgegen schaut: das ist Camus' Mensch in der Revolte, den er am Schluss seines Buches so zitiert: "Am Ende folgen wir dem großen Albert Camus: Wir entscheiden uns für Ithaka, die treue Erde, das kühne und einfache Denken, die klare Tat, die Großzügigkeit des wissenden Menschen. Im Lichte bleibt unsere Welt unsere erste und letzte Liebe."
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Verlagstext
Der Autor beschreibt aufgrund seiner jahrzehntelangen internationalen Erfahrungen in atom- und umweltrechtlichen Prozessen die jüngsten Entwicklungen der nuklearen Kriegsführung und das zunehmende Risiko eines Atomkriegs durch den militärischen Einsatz der neuen, autonomen Künstlichen Intelligenzen. Er untersucht ferner die fortschreitende Zerstörung der Biosphäre, die in der Öffentlichkeit als »Klimakatastrophe« bezeichnet wird.
Im Zuge seiner umfangreichen Recherchen für die juristischen Auseinandersetzungen gelangt der Autor zu dem Ergebnis, dass nach zweihundert Jahren Industrialisierung die nuklearen und thermischen Vernichtungspotenziale die Aussicht auf zukünftiges irdisches Leben unumkehrbar beendet haben: »Bemisst man die Geschichte der Menschheit mit dem Maß eines Meters, so leben wir gegenwärtig innerhalb des letzten Millimeters.«
Der Autor kritisiert sowohl die Versuche der meisten Sachbuchautoren, den Realitäten nur Hoffnungen entgegenzusetzen, als auch die nihilistische Sicht von Physikern wie Stephen Hawking, der zwar auch der Erde die zeitnahe Unbewohnbarkeit diagnostiziert, aber ernsthaft der Menschheit die Flucht auf andere Planeten empfiehlt.
In einem zweiten Teil berichtet der Autor von seinen Erfahrungen an Orten der nuklearen Extermination: Einer früheren sowjetischen Raketenabschussstation in Pervomaisk, von der – je nach Bestückung – innerhalb von drei Stunden oder nur zwanzig Minuten strategische wie zivile Ziele in Westeuropa und in den USA durch nukleare Angriffe vernichtet werden konnten; dem Ort der ersten nuklearen Kettenreaktion in New Mexico und der Bedeutung des Kernphysikers Robert Oppenheimer; und schließlich von der verlassenen Stadt Prijpiat im Sperrgebiet der Reaktoren von Tscher-nobyl und ihren letzten Bewohnern.
Im dritten Teil, einer Polemik, analysiert der Autor am Beispiel des Philosophen Peter Sloterdijk die Realitätsferne der deutschen Philosophie der Nachkriegszeit seit Martin Heideggers Verharmlosung der Shoa und der »viel beredeten Atombombe«. Auf der Grundlage schwer zugänglicher, z.T. unveröffentlichter Dokumente aus dem Umfeld Sloterdijks belegt der Autor, dass dessen Denk- und Sprachweise eine systematische Verharmlosung (»Galvanisierung«) von nuklearen Kriegen und Völkermorden darstellt und den aktuellen Popularisierern Legitimationen liefert. Der Autor bezeichnet Sloterdijk als einen empathielosen Blender, der nur in dem apathisierten akademischen Philosophiebetrieb des Nachkriegs-Deutschlands zum Modephilosophen avancieren konnte. Ferner untersucht der Autor Sloterdijks autobiografische Berichte zu seinen langen Aufenthalten im Ashram Oshos in Indien sowie dessen Bild von weiblicher Sexualität. Der Autor beschreibt Sloterdijk als einen Intellektuellen, der die Beschädigung seines persönlichen und akademischen Selbstwertgefühls mit inhaltsloser Sprache zu überspielen versucht.
Trotz seiner grundsätzlichen Bedenken gegen die Tradition der deutschen Aufklärungsphilosophie würdigt der Autor Jürgen Habermas als »letzten deutschen Philosophen«.
Lesebericht eines
Juristen-Kollegen:
liebert-roeth.de/de/rechtsgebiete/berufsrecht/180-lesetipp-reiner-geulens-buch-jenseits-der-hoffnung
Lesebericht von Liebert-Roth in PDF