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2.  Wetter ist nicht Klima - Das Gesprächsthema Nummer eins

 

 

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Über nichts redet der Mensch lieber als über das Wetter. Kaum ein Thema ist ergiebiger, denn erfahrungsgemäß ändert sich das Wetter ständig — oder es bleibt wie es ist. Beide Varianten bergen Inhalte für endlose Diskuss­ionen. Und zwar nicht nur an Stammtischen. Ganze Branchen, wie die Landwirtschaft und die Fischerei, die Bauindustrie oder der Luftverkehr, interessieren sich brennend für das Wettergeschehen, und für die Tourismus­industrie gilt das Wetter (solange es gut ist) als wichtigstes Kapital. 

Der Winter 1988/89 beispielsweise bot einen willkommenen Gesprächsstoff. Im größten Teil der Alpen gab es erst Ende Februar richtigen Schnee, und als er kam, war es für die meisten Wintersportler zu spät. Einige Skigebiete hatten schon den Notstand ausgerufen, weil die enttäuschten Touristen wegen der kahlen Hänge gar nicht erst angereist waren. Die Sportgeschäfte blieben auf ihren schreiend bunten Kollektionen sitzen, die Autohäuser auf ihren M&S-Reifen. Katastrophenstimmung herrschte auch in den Büros der Kurdirektoren: So drohte der Verkehrsverband Berner Oberland dem Schweizer Fernsehen mit einer Schadensersatzklage, sollte es weiterhin grausige Bilder von grasigen Abfahrten zeigen.

Während der Schnee in den Bergen endlich fiel, welkten im Norden der Republik, zwischen Geest und Marsch, längst die Schneeglöckchen. Der Rapserdfloh, der Schrecken aller Landwirte, fraß und paarte sich, und die Bauern mochten sich kaum darüber freuen, daß Weizen und Gerste bald kniehoch wuchsen und auf den Wiesen schon das Gras sproß. Der Frühling, gewissermaßen als Ersatzwinter, stand kopf.

Schuld an der seltsam milden Wetterlage war ein immer wieder neu aufgefrischtes Azorenhoch, das sich bis in den Alpenbereich erstreckte. Wochen-, ja monatelang hatte sich nichts an dieser Luftdruckverteilung geändert, die eigentlich charakteristisch für einen idealen Feriensommer ist.

Bei höherem Sonnenstand wäre es in den Januar- und Februarwochen des Jahres 1989 dreißig Grad und wärmer geworden. So hatten die atlantischen Tiefausläufer, die sonst das typische abwechselnd milde und naßkalte Winterwetter über Mitteleuropa prägen, keine Chance. Das stabile Azorenhoch blockierte die Niederschlagsfronten. Doch so ungewöhnlich den Bundesdeutschen der milde Jahresbeginn 1989 vorkam, einen noch wärmeren Januar hatte es bereits im Jahr zuvor gegeben. Nach den Zahlen der Statistiker lagen die mittleren Temperaturen 1988 um etwa vier Grad über der Norm und damit wesentlich höher als 1989. Auch das darauffolgende Jahr begann sehr warm. Im Januar 1990 stiegen die Durchschnittswerte um 2,5 Grad über den langjährigen Mittelwert. 

Dennoch: Drei schneearme Winter in Folge sagen wenig über das Klima aus. Eine sechswöchige milde und trockene Periode im Winter bedeutet nichts als sechs Wochen »warmes Wetter ohne Niederschläge«. Es mag immer wieder Wochen mit fast konstanter Wetterlage geben, irgendwann wird sie sich dennoch ändern. Von einem entsprechenden, neuen Klimatyp würden die Meteorologen erst sprechen, wenn dieses Wetter in der fraglichen Jahreszeit zur Norm würde.

Doch das Wetter zeigt sich vermutlich in der kommenden Woche oder im nächsten Jahr schon wieder ganz anders. Entsprechend hat die Wettervorhersage ihre Tücken. Das weiß jeder, der schon einmal auf die Wetter­prognose vertraut hat und dann ohne Schirm im Regen stand. Eine solche Falschmeldung liegt im allgemeinen nicht an der Unfähigkeit der Wissenschaftler, sondern an der Komplexität der Erdatmosphäre, die sich nur schwer in mathematischen Modellen simulieren läßt. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Wetterprognosen ein ziemlich subjektives Geschäft. Bis in die sechziger Jahre beruhte eine Vorhersage auf dem Geschick eines einzelnen Meteorologen, dem die Wolken-, Temperatur- und Luftdruckbeobachtungen einer Region wie etwa Europa zur Verfügung standen. Erst seit rund 20 Jahren nutzen die Forscher bei ihrer Arbeit Computer.

Für eine einigermaßen verläßliche Vorhersage müssen die Meteorologen, wie sie es nennen, »ein System gekoppelter, streng nichtlinearer, partieller Differentialgleichungen als Anfangswertproblem lösen, wobei die Lösung nach jedem Zeitschritt die Randbedingungen für den nächsten Schritt verändert«. Das ist ungefähr so kompliziert, wie es klingt. 

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Auf Deutsch gesagt bedeutet es folgendes: Ein winziger Fehler bei der aktuellen Wetterbeobachtung kann sich zu größeren Fehlern in der kurzfristigen Vorhersage hochschaukeln und zu einer völligen Falschprognose nach zehn Tagen führen. Zwar sind die heutigen Wetterberichte — entgegen gängiger Laienauffassung — erstaunlich zuverlässig und treffen für die 24-Stunden-Prognose in über 85 Prozent aller Fälle zu. Auch eine Vorhersage für drei Tage hat noch einen gewissen Wahrheitsgehalt. Aber selbst mit räumlich hochauflösenden Computermodellen können die Meteorologen nicht abschätzen, wie das Wetter in zwei Wochen aussehen, ob es Dauerregen oder eine Trockenperiode geben wird. So lange jedenfalls nicht, wie die für eine Prognose notwendigen Beobachtungsdaten nicht wesentlich genauer werden. Eine noch längerfristige Vorhersage zu einem gewünschten Zeitpunkt für einen bestimmten Ort ist sogar aus prinzipiellen Gründen ausgeschlossen.

Der amerikanische Meteorologe Edward Lorenz vom Massachusetts Institute of Technology im Cambridge bei Boston begann 1960, mit einem Computer einfache Wettermodelle zu simulieren. Er erkannte dabei, daß sich bei einer Vorhersage ein Anfangsfehler im Laufe der Berechnungen geradezu unberechenbar potenzierte. Lorenz hatte das Chaos entdeckt. Nur periodisch wiederkehrende Ereignisse ließen sich vorausbestimmen: Etwa, daß ein Sommer generell wärmer sein würde als ein Winter, was sich einzig und allein aus dem Sonnenstand erklärt, und der ist ein regelmäßiges, astronomisches Ereignis. Das Wetter hingegen, der Durchzug von Wolkenfeldern oder die Verlagerung von Hoch- und Tiefdruckgebieten, hält sich an keine Periodizität. Es kann an beliebig vielen Verzweigungspunkten beliebig viele Wege einschlagen. Weder folgt auf den Regen grundsätzlich die Sonne, noch auf die Ruhe der Sturm oder auf einen harten Winter ein warmer Sommer.

Um zu beschreiben, wie unkalkulierbar das physikalische System Erdatmosphäre ist, hat Edward Lorenz den Begriff »Schmetterlingseffekt« geprägt. Am 29. Dezember 1972 veröffentlichte der Meteorologe eine Arbeit mit folgendem Titel: »Kann das Schlagen eines Schmetterlingsflügels in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?« Mit anderen Worten — kann ein einzelnes Insekt eine meteorologische Lawine lostreten, die irgendwann irgendwo große Folgen nach sich zieht?

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Lorenz kam zu dem Schluß, daß dies sehr wohl möglich ist, daß sich dieses Verhalten aber nicht berechnen läßt. Da eine solche »sensitive Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen« nie vollständig erfaßt werden kann und kein Computer der Welt jemals imstande sein wird, diese Daten genau genug zu verarbeiten, muß eine längerfristige Prognose des chaotischen Systems Wetter scheitern.

Auf Bauernregeln ist deshalb so wenig Verlaß wie auf den Hundertjährigen Kalender. Selbst die berüchtigten Eisheiligen halten sich — statistisch gesehen — an kein spezielles Datum: Bei genauer Betrachtung bleibt nur die Feststellung, daß es in Mitteleuropa irgendwann im Mai die meist letzten Nachtfröste des Winterhalbjahres geben kann, und das ist angesichts der Jahreszeit und bei klarem Wetter nicht einmal verwunderlich. Über das ganze Jahr verteilt, haben in unseren Breiten gerade zwei mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrende Wetterereignisse eine Bedeutung:

# Erstens die sogenannte Schafskälte im Juni: Mit dem Sonnenstand sollten in unseren Breiten die Temperaturen zwischen Februar und Juli kontinuierlich ansteigen. Mitte Juni allerdings weist diese Kurve in Mitteleuropa einen leichten Knick auf. Anfang Juni noch liegt über dem Kontinent meist ein flaches Hoch, das für schönes Wetter sorgt. Gegen Mitte des Monats hat sich der Kontinent soweit erwärmt und der Luftdruck dadurch erniedrigt, daß die feuchten und kühlen Luftmassen des Atlantiks nach Mitteleuropa ziehen. Auf die schöne Periode folgt eine Phase mit wechselhaftem, regnerischem Wetter — eben die »Schafskälte«, die diesen Namen trägt, weil dann die frischgeschorenen Schafe frieren. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Die Schafskälte kann auch ausbleiben, wie beispielsweise in dem speziell für Norddeutschland etwas zu warmen und relativ trockenen Sommer 1989.

Zweitens das sogenannte Weihnachts-Tauwetter: Es besagt, daß auf einen massiven Kälteeinbruch Mitte Dezember normalerweise eine Warmphase folgt. Der Grund für diese Klima-Anomalie ist den Meteorologen unbekannt, denn eigentlich sollten (ähnlich wie auf dem asiatischen Kontinent) die Temperaturen um diese Jahreszeit wegen des niedrigen Sonnenstandes kontinuierlich fallen und sich die Hochdruckgebiete im Inneren der Kontinente verstärken.

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Die einzige längerfristige Schwingung, die aus allen Wetterstatistiken herausragt, ist die sogenannte quasi-zweijährige Oszillation, eine etwa alle 26 Monate wiederkehrende Welle in den Wetteraufzeichnungen, gewissermaßen eine Gezeit der Erdatmosphäre. Was sie antreibt, ist ebenfalls unbekannt. Sie ragt jedoch nicht weit genug aus dem natürlichen Auf und Ab des Wetters heraus, um sich für eine Vorhersage nutzen zu lassen. Was aber bedeutet im Gegensatz zu dem langfristig unvorhersagbaren, chaotischen Wettergeschehen das Klima? Und warum wagen die Klimatologen eine Prognose für das nächste Jahrtausend, wo doch die Meteorologen nicht einmal eine zweiwöchige Wettervorhersage zustande bringen?

Ein Klima läßt sich erst durch eine langjährige Beobachtung des Wetters beschreiben. Da es — wie das Wetter — ständigen, natürlichen Schwankungen unterliegt, darf der Beobachtungszeitraum für eine solche Beschreibung nicht zu kurz, aber auch nicht zu lang sein. Zwar ließe sich prinzipiell aus dem Wettergeschehen der letzten fünf Millionen Jahre das Klima dieser Periode als Mittelwert bestimmen. Dieser Wert charakterisiert das Klima aber denkbar schlecht, da es in diesem Zeitraum meist kälter oder wärmer war. Entweder gab es Intensivphasen der Eiszeiten oder Wärmeperioden, in denen selbst Grönland kaum von Inlandeis bedeckt war. »Durchschnittsklima« herrschte so gut wie nie.

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hat daher einen Abschnitt von 30 Jahren als typische Grundeinheit für das Klima eingeführt. Alles, was sich beispielsweise zwischen den Jahren 1931 und 1960 in der Erdatmosphäre abspielte, wird als Klima dieser Epoche bezeichnet. Während die Wettervorhersage den genauen Ort und Zeitpunkt einer Kaltfront angeben muß, interessiert für eine Klimabeschreibung lediglich die mittlere Anzahl der Kaltfronten beispielsweise im Juni über einen Zeitraum von 30 Jahren. Also: Für die Klimaforscher ist es gleichgültig, ob es am 19. Juni nachmittags in Zürich regnen wird; wichtig ist, ob es in Mitteleuropa zu dieser Zeit des Frühsommers mehr oder weniger Niederschläge als gewöhnlich gibt, ob die Temperaturen höher oder tiefer liegen und wie wahrscheinlich diese Abweichungen sind.

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Einen guten Vergleich bietet der Ablauf eines Fußballspiels. Das Ganze ist eine 90-minütige Folge von Abstößen, Freistößen, Pässen, Fehlpässen, Fouls oder Einwürfen, und hin und wieder fällt ein Tor. Es ist unmöglich, vor dem Spiel vorauszubestimmen, daß der linke Außenstürmer von Bayern München in der 58. Minute einen Kopfball gegen den rechten Pfosten von Borussia Dortmund lenken wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hingegen läßt sich voraussagen, daß Bayern München am Ende der kommenden Saison im oberen Drittel der Bundesliga stehen wird. Entsprechend dürfen Modelle zur Wettervorhersage selbst dann zur Klimavorhersage genutzt werden, wenn sie den gegenwärtigen Wetterablauf nur annähernd korrekt beschreiben. 

Daraus lassen sich folgende, pauschale Aussagen ableiten:

 

Aus der einfachen Vorgabe, »mehr Treibhausgase in der Atmosphäre«, läßt sich also mit Sicherheit auf eine künftige Klimaveränderung schließen. Interessanter noch als die Tatsache, daß sich unser Klima verändern wird, ist die Frage, wie das Wetter unter den neuen Bedingungen sein wird. 

Mit anderen Worten:

Derzeit steigen nicht nur die Temperaturen weltweit an, es liegen auch erste Anzeichen vor, daß extreme Ereignisse zunehmen. So mehren sich beispielsweise in einigen Regionen die tropischen Wirbelstürme und sie werden intensiver. Außerdem ziehen sie auf veränderten Bahnen. Natürlich hat sich das Wetter auf der Erde seit Jahrmillionen verändert. Selbstverständlich unterliegt auch das Klima natürlichen Schwankungen, die meist auf äußeren Faktoren beruhen: auf der veränderlichen Helligkeit der Sonne und auf der sich ständig ändernden Bahn der Erde um diesen Stern. Aber noch wesentlicher hängt das Klima auf unserem Planeten von der Zusammensetzung der Atmosphäre ab. Und gerade diese dünne, schützende Gashülle verändert der Mensch derzeit auf dramatische Weise. 

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Graßl-1990