Nachbemerkung von Ulrich Grober 1998
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Am Ende meiner Reise zwischen Oder und Bodensee habe ich an einem kaum noch Zweifel: Die Versuchsfelder für ein neues Denken — gemeint ist ein Denken, das die Abhängigkeit der menschlichen Existenz von ihren natürlichen Lebensgrundlagen wieder ernst nimmt — werden jetzt am Ende des Jahrhunderts zahlreicher.
Sie sind vielgestaltig und attraktiv. Die Menschen, die heute schon auf diesen Feldern arbeiten und experimentieren, können über einen ungemein reichhaltigen Schatz an Weisheit, an guten Traditionen, praktischen Erfahrungen und theoretischen Erkenntnissen verfügen.
Die alte Idee der Nachhaltigkeit hat innerhalb kurzer Zeit wieder einen neuen Gebrauchswert bekommen. Sie ist fruchtbar und könnte als Katalysator wirken. Ganz unterschiedliche Menschen und Gruppen greifen sie auf und benutzen sie als Kompaß für ihre fundamentale Orientierung. Was sie produzieren, seien es Lebensmittel, Kleidungsstücke oder Behausungen, aber auch die zwischenmenschlichen Beziehungen in einem Gemeinwesen, hat eine hohe Qualität. Eine Kultur der Nachhaltigkeit, auch wenn sie sich erst embryonal entwickelt hat, ist lebensfähig.
Allerdings habe ich auch eine Ahnung davon bekommen, wieviel Mühsal, was für einen enormen Aufwand an menschlicher Energie und Phantasie diese Umstellung kostet. Selbst wenn sie nur in kleinen Gruppen und auf kleinstem Raum in Angriff genommen wird. Noch sind es nur schmale Pfade in die Zukunft, die in Projekten wie dem Ökospeicher in Wulkow oder der Schäfereigenossenschaft Finkhof, den Elektrizitätswerken in Schönau oder dem neuen Ökodorf in der Altmark und von all den anderen Initiativen angelegt werden. Wie weit sie führen werden und ob sie sich zu einem dichtgeknüpften, für alle gangbaren Wegenetz ausbauen lassen, ist noch offen.
Die Erde sei nicht mehr zu retten, wenn nicht jetzt, in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, der Umbau beginne. Das schien Konsens noch vor wenigen Jahren, beim Erdgipfel 1992 in Rio. Auch die Gewißheit, daß ökologisches Wirtschaften-und-Leben zentraler Punkt jeder zukünftigen Entwicklung werden müßten, war scheinbar fest verankert. Inzwischen hat das alte Denken neue Triumphe gefeiert. Der "Wettlauf der Besessenen" um die Ausbeutung der noch vorhandenen Ressourcen des Planeten hat sich enorm beschleunigt und globalisiert.
Mit Fug und Recht kann man fragen:
Was nutzt die Umstellung eines Ackers auf organischen Landbau, wenn gleichzeitig riesige Flächen durch Intensivstlandwirtschaft verkarsten und in den Labors der global players das gentechnisch manipulierte Saatgut patentreif gemacht wird?
Was bringt der Umstieg aufs Fahrrad oder die Gründung einer Car-Sharing-Initiative, wenn sich in den neuen Automobilfabriken die Fließbänder und Taktstraßen für die weltweite Modelloffensive in Gang setzen?
Was nutzt die Umrüstung eines Hauses auf Solarenergie, wenn neue Kraftwerkskapazitäten auf fossiler oder nuklearer Basis für den wachsenden Energiehunger der wachsenden Menschheit errichtet werden?
Was soll der Aufbau einer sich selbst versorgenden Gemeinschaft, wenn gleichzeitig die Globalisierung die Subsistenzgrundlage von Millionen Menschen zerstört und die Beziehungen zwischen den Menschen auf die bare Zahlung reduziert?
"Für mich persönlich ist es einfach ein besseres Leben." Oder: "Wir müssen die Option für eine andere Lebensweise offenhalten."
Das waren einige der Antworten, die ich auf meiner Reise bekam. Am eindringlichsten aber ist mir eine leise, feste Stimme in Erinnerung, die ich Anfang Mai 1997 in Pommritz, dem kleinen kommunitären Gemeinwesen in der Oberlausitz, gehört hatte: "Es muß dahin kommen, daß ein <Bündnis für die Wiederbelebung der menschlichen Wesenskräfte> entsteht."
Rudolf Bahro saß auf der Wiese des Lebensgutes Pommritz und genoß die Sonnenstrahlen, als er noch einmal von seiner Vision erzählte. Sein Zuhörerkreis war klein. Das Seminar mit dem Thema <Ökologische Krise und ganzheitliche Bewegung> war einer seiner letzten Auftritte in der Öffentlichkeit.
Keine Gesellschaftsform habe sich so völlig von der Ökonomie und der Technik beherrschen lassen wie die gegenwärtige westliche Zivilisation. Eine Erhebung des Geistes, eine Berichtigung der Werte sei jetzt die Aufgabe. Die Liebe zur Schöpfung, zu allem, was zum Kosmos gehöre, müsse neu eingerichtet werden.
Bahro litt seit zwei Jahren an Blutkrebs. Er sprach leise, hustete viel. Er war abgemagert, hatte das Haar kurzgeschoren und eine Geschwulst am Kinn. Aber er dachte in langen Zeiträumen und großen Dimensionen.
Das Urchristentum habe in einem jahrhundertelangen Prozeß seine neue Dimension von Spiritualität in das Vakuum der untergehenden Weltordnung der Antike hineingetragen. Heute brauchten die Menschen, die das Grundverkehrte des Ganzen erkannt hätten, wiederum eine Sezession, um die Weltzerstörung abzuwenden und eine gute Macht zu setzen. wikipedia / Sezession Abspaltung
Bahro hatte noch ziemlich genau sieben Monate zu leben. Er starb am 5.12.1997 in Berlin. Kurz vor seinem Tod gab er der <taz> ein Interview, in dem er seine Vorstellung von der Transformation noch ein letztes Mal darlegte: "Es grummelt unter der Erde", sagte er auf die Frage, ob nicht in einer Zeit, da Cash-flow und Rendite zum großen Evangelium geworden seien, die Ökologen abdanken müßten:
"Die Verdrängung der Ökologie ist ja keine Lösung. Wir brauchen unbestreitbar den Ausbruch aus der Akkumulationslogik, die darauf hinausläuft, auf einer endlichen Erde unendlich wachsen zu wollen. Das kann nicht gehen, das versteht auch jeder sofort. Der Mensch begrenzt sich, oder er wird begrenzt. Und das wird fürchterlich.
Die Veränderung dieser Festlegung des Menschen auf das Anhäufen, auf das <Immer mehr> bedeutet allerdings eine Herausforderung, wie sie die Menschheit bisher nicht erlebt hat. Das Kennzeichen solcher schweren Krisen ist aber auch, daß sich Neues formiert. Ich glaube nicht, daß wir das Recht haben, auf den Versuch zu verzichten, dieses Neue vorzubereiten."
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Ende der Reise
Grober-1998