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2.3  Umweltverderbnis und Umweltschutz

Der Mensch ist Lärmerzeuger, Luftverpester, Wasser­verschmutzer, Wald­verschandler, Abfall­erzeuger en gros; alles durch sein eigenes Genie. (John B. Priestley)

 Umwelt ist gleich Natur 

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Produktion und Mehrproduktion hatten in den letzten 200 Jahren einen solchen Vorrang, wurden dermaßen zum »Fetisch«, daß alle mit ihnen verbundenen negativen Begleiterscheinungen unbeachtet blieben. Wo man sich nicht einmal über die eigentlichen Ursachen des zunehmenden Wohlstandes Gedanken gemacht hatte, war gegenüber seinen Nebenwirkungen kein anderes Verhalten zu erwarten. Allein das sichtbare und meßbare Ergebnis interessierte — nichts anderes.

Die Rohstoffvorräte in der Erde sind für das normale Auge unsichtbar, infolgedessen ist auch das Ausmaß ihrer Erschöpfung nicht unmittelbar zu verfolgen. Ähnlich verhält es sich bei der Inanspruchnahme der »Umwelt« durch den Menschen. Ein Teil der Umweltschäden bleibt den sechs Sinnen weitgehend verborgen oder zeigt sich erst Jahre, sogar Jahrzehnte später. Das Ausmaß der Belastung hängt von der Bevölkerungszahl und der Intensität der menschlichen Betätigung ab. Beide wachsen exponentiell und damit wiederum in einer Geschwindigkeit, die sich menschlichem Vorstellungsvermögen weitgehend entzieht.

Zunächst sei klar definiert, was wir unter »Umwelt« verstehen. Wir begrenzen diesen Begriff auf die »natürliche Umwelt«, lassen also alles das beiseite, was sich der Mensch an »künstlicher Umwelt« geschaffen hat, wie sie heute in den Industriestaaten seinen Alltag beherrscht. Damit hat sich der Mensch in den letzten Jahrhunderten - auch theoretisch - ohnehin übermäßig beschäftigt. Was jetzt not tut, ist eine Besinnung auf die Grundlagen.

Zur »Umwelt« gehört also die Oberfläche dieses Planeten als Raum und Ackerboden, dazu die Elemente Luft und Wasser, die Pflanzen- und Tierwelt. Aus dieser Aufzählung ergibt sich bei jeder näheren Überlegung, daß bei Fehlen auch nur eines dieser Elemente Leben weder möglich noch denkbar ist. Aus dem Zusammenspiel ergab sich die »Ökologie«, wörtlich: die Lehre vom Haushalt der Natur. Ernst Haeckel, der den Begriff vor 100 Jahren erstmals verwandte, definierte ihn als »Lehre vom Haushalt der Lebewesen«.2)

Diese »natürliche Umwelt« des Menschen ist auch ohne Menschen durchaus denkbar — und sie würde auch ohne Menschen fortbestehen. Wir bezeichneten sie als Faktor N: er bedingt den Menschen und alles Menschenwerk, ist seinerseits aber nicht durch den Menschen bedingt.

Die Rohstoffe der Erde (R) und die fossilen Brennstoffe (E) sind keine Bestandteile der natürlichen Umwelt; denn sie sind weder für diese noch für den Menschen lebensnotwendig. Darum müssen wir auf die scharfe Trennung der Faktoren N und (R+ E) Wert legen, wohingegen die weitere Unterteilung von R + E längst nicht solche Bedeutung hat. Erst durch Gewinnung und Verarbeitung der Grundstoffe durch den wirtschaftenden Menschen erfolgt eine ausgedehnte Einwirkung von R+E auf die Natur. (Die kleinen Mengen, die von den Pflanzen und Tieren im natürlichen Kreislauf verarbeitet werden, können hier vernachlässigt bleiben, auch die Vulkantätigkeit und wetterbedingte Einwirkungen.)

Allein der Mensch ist der Verursacher der Umweltschäden, von denen hier gesprochen wird, und damit der Schädiger seiner selbst.

Es geht im folgenden nicht um die Selbstzerstörung des künstlichen Produktionskreises infolge Aufzehrung der Grundstoffe, die ihn — wie oben beschrieben — tragen. Es geht um die Nebenwirkungen dieses Prozesses auf die Umwelt, die ungeheuerlich genug sind. Denn damit wird die weitergehende Gefahr eröffnet, daß sich die Menschheit nicht nur selbst zerstört, sondern die gesamte Natur in ihren Untergang mit hineinreißt.

Die Gefahr der Umweltzerstörung ist in den letzten Jahren erkennbar stärker ins Bewußtsein gerückt als die Gefahr der Erschöpfung der Bodenschätze. Dies ist nicht verwunderlich, da die Umweltschäden an vielen Stellen offen zutage traten und Reaktionen bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen auslösten. Besonders die hochentwickelte Medizin kam zu dem Ergebnis, daß die Gesundheit des Menschen unter Umweltgiften leidet und in einer wachsenden Zahl von Fällen ganz zerstört wird.

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Und das nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch bei Personen, die außerhalb des Produktionsbereiches stehen. Damit lagen auch wirtschaftliche Folgen auf der Hand. Die Arbeitsproduktivität litt unter gesundheit­lichen Schäden, und die Aufwendungen für die Heilung oder die Versorgung von Invaliden wurden immer höher, da der belastete Personenkreis sich immer stärker ausweitete. Im Dokument der UNO »Neue Bevölkerungs-Trends und Zukunftsperspektiven« zur Bukarester Weltbevölkerungs-Konferenz 1974 wird ausgeführt, daß in den entwickelten Ländern seit dem II. Weltkrieg nur geringe Fortschritte bei der Erhöhung der Lebenserwartung erreicht wurden und daß teilweise sogar umgekehrte Entwicklungen eingetreten sind. Etwa im Jahr 1965 schlug die Tendenz bei den Männern sogar um. Ursache ist die Zunahme von Herz- und Kreislauf- sowie Krebserkrankungen.

Das Japanische Amt für Umweltfragen veröffentlichte im Sommer 1974 eine offizielle Statistik, wonach zu diesem Zeitpunkt 20.000 Patienten in japanischen Krankenhäusern lagen, die »durch Luft- und Wasserver­giftung geschädigt« waren. »Mehrere 100 Menschen (sind) bereits in den vergangenen Jahren an den Folgen derartiger Vergiftungen gestorben«.3 Aber längst nicht alle Umweltkranken liegen in Krankenhäusern. Außerdem gehört es zur Natur der Sache, daß sich die Umweltverderbnis in ihren verschiedenen Auswirkungen nicht direkt und nicht sofort zeigt, vielmehr zur Verschlechterung anderer Krankheiten und des allgemeinen Wohlbefindens entscheidend beiträgt. Darüber wird es nie vollständige Statistiken geben.

Das ist in einer Zeit, die immer Zahlen sehen will, natürlich ein Nachteil. Es müssen schon Tote vorgezeigt werden, damit man — auch dann nichts tut. Es gibt jedoch kaum einen verborgeneren Tod als den Umwelttod — und auch keinen langfristiger sich anbahnenden. An den steinernen Denkmälern der Vergangenheit läßt dieser Tod sich ablesen. Jahrhunderte haben sie standgehalten, die drei Jahrzehnte nach dem letzten Weltkrieg aber haben ihnen den Garaus gemacht.

Sollten die Wachstumsfanatiker weiter die Oberhand behalten, dann stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung. An deren Ende wird man jede Menge Tote vorweisen können — nur wird dann eine Wiedergutmachung nicht mehr möglich sein.

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   Unser fehlerhaftes Wirtschaftssystem  

Auch hinsichtlich der Umwelt hat die Wirtschaftswissenschaft versagt. Kenneth Galbraith stellt in seinem neuesten Buch <Wirtschaft, Staat und Gesellschaft> (1974) fest: 

»Selbst die lautesten Verfechter der neoklassischen Nationalökonomie geben zu, nichts zur Vorbereitung der Öffentlichkeit auf die plötzlich entstandenen Umweltsorgen geleistet zu haben — wie man es von einer angesehenen Wissenschaft hätte erwarten müssen. Ein Nationalökonom würde daher klug daran tun, sich bei Empfehlungen von Gegenmaßnahmen ... Zurückhaltung aufzuerlegen.«4

Ein Vorläufer, der sich dieser Problematik immerhin 1950 angenommen hatte, fand erst nach 20 Jahren Beachtung. William Kapps Untersuchung »The Social Costs of Private Enterprise«, erst 1958 unter dem deutschen Titel »Volkswirtschaftliche Kosten der Privatwirtschaft« erschienen, läßt allerdings noch weniger als der englische Originaltitel das behandelte Problem erkennen. Kapp hatte nämlich aufgedeckt, daß die industrielle Produktion Kosten verursacht, die nicht in die Preise der hergestellten Güter eingehen, deren Last vielmehr die gesamte Gesellschaft in Form von Umweltschäden trägt. Diese Entwicklung ergab sich daraus, daß man die Umweltgüter als »freie Güter« angesehen hat, die beliebig und unberechnet benutzt werden können, »da der Mensch ihre Quantität nicht zu vermindern im Stande ist«, wie H. Pesch 1905 meinte.5)

Ein anderer klassischer Nationalökonom, E. v. Philippovich, formulierte 1911 den Trugschluß klassisch: »Freie Güter sind solche, die in einer für die praktischen Bedürfnisse der Menschen beliebig großen Menge vorhanden sind, deren Aneignung daher ohne Sorge um die Erhaltung der dauernden Verfügung vor sich gehen kann und die für die Befriedigung auch der voraussichtlich künftig entstehenden Bedürfnisse ausreichen. Luft, Licht, Wasser in wasserreicher Gegend, Holz im Urwald sind nicht Gegenstand der menschlichen Wirtschaft, das heißt dauernder Sorge um ihren Bedarf, sondern nur der Aneignung und des Verbrauchs.«6) Hier liegt die gleiche Vernachlässigung vor, die wir schon bei den Rohstoffen und Energieträgern fanden, die ja auch als freie Güter betrachtet wurden.

Soweit die Wirtschaftswissenschaft neuerdings die Frage der Umweltbelastung aufgreift, behandelt sie auch die drohende Erschöpfung der Rohstoff- und Energiequellen unter dem Gesichtspunkt der Umweltschädigung. Diese Gleichbehandlung ist unhaltbar, denn es geht um eine völlig andere Kategorie von Gefährdung.

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Sind die Rohstoffe des Planeten erst einmal erschöpft, wird der Schaden für die natürliche Umwelt gleich Null sein: gerade dann hört die Umweltschädigung schlicht auf; denn sie entsteht allein durch technische Verwertung, durch Abbau, Verarbeitung der Rohstoffe, sowie den dabei anfallenden Abfall. Über die in Gang gekommene Umweltdiskussion aber nahmen die meisten beteiligten Wissenschaftler endlich wieder die Bedeutung der Bodenschätze für die heutige Wirtschaft zur Kenntnis nach fast 200 Jahren. So haben die Untersuchungen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) alle diese Faktoren miteinbezogen, wenn auch ihre gegenseitige Einwirkung noch nicht genügend klar erfaßt werden konnte.

Dieser Erkenntnisvorgang zeigt, daß der unmittelbar erfahrene kurzfristige Schaden die Menschen eher zu einer Reaktion veranlaßt als die langfristige Zerstörung der Lebensmöglichkeiten der eigenen und aller künftigen Generationen auf unserem Planeten.

»Human environment protection« (Schutz der menschlichen Umwelt) hieß auch der Schlachtruf, der von den Vereinigten Staaten zu uns herüberkam — nicht etwa: Schutz der natürlichen Umwelt! Allerdings bekam der Begriff im Verlaufe der Diskussion der letzten Jahre eine immer umfassendere Bedeutung. Der deutsche Begriff »Umweltschutz« kann auch schon weitgehender verstanden werden. Dagegen wird die deutsche Übersetzung des Wortes »pollution« mit »Umweltverschmutzung« der Bedeutung des Problems in keiner Weise gerecht, da »Schmutz« im deutschen Wortsinn eine zwar unangenehme, aber im allgemeinen doch recht harmlose Sache ist, die man einfach abbürstet oder abwäscht.7 

Es fehlt das Merkmal der alles durchdringenden Giftigkeit, welches zur Bezeichnung der Vorgänge auch unumgänglich ist. »Umweltvergiftung« ist wiederum zu scharf, da man »Vergiftung« mit der Vorstellung des unmittelbar erfolgenden Todes verbindet. Darum schlage ich vor, von »Umweltverderbnis« zu sprechen. Wenn etwas verdirbt, dann führt das auch zu Auflösung und Tod, aber in einem langsamen Vorgang.

Wir erweitern also unsere Formel, indem wir auch den Faktor Umweltverderbnis (Uv) einsetzen, der vor allem durch die industrielle Tätigkeit der Menschen entsteht und mit ihr stark anwächst. Da jedes Anwachsen von Uv den Wert der Natur mindert, setzen wir N / Uv als Bruch. Betrachten wir den natürlichen Regelkreis, dann mindert dort die Umweltverderbnis das Produkt aus N + A nicht. Es bleibt also N = N, genau wie 1=1 oder bei der Darstellung als Bruch: N / 1. 

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Steigt jedoch nun der Faktor Uv beträchtlich, zum Beispiel auf 2, dann ist das Produkt nur noch die Hälfte wert: P = N/2. Ein so hoher Anstieg von Uv konnte im Zeitalter der Ackerbauer und Viehzüchter gar nicht eintreten, obwohl auch damals schon menschliche Arbeitskraft auf die Umwelt angesetzt wurde. Ein solcher Anstieg ergibt sich nur aus der industriellen Tätigkeit der Menschen, also aus:

   A  ( E / Z1 + R / Z2 + W )  

Diese Tätigkeit hat schädigende Rückwirkungen auf N durch die Erhöhung von Uv; sie bewirkt eine Minderung von N und damit letzten Endes auch des Produktionswertes (P). Diese Minderungen sind die »sozialen Kosten« im Sinne von Kapp. Die Quantität der Produkte steigt zwar immer weiter, die Qualität der Lebensumstände aber sinkt. Diese Senkung ist die Folge des Anwachsens der Umweltverderbnis.

Die Verschlechterung der Lebensbedingungen durch Minderung von N, die mit der Produktion zunimmt, hat Hans Christoph Binswanger in einer graphischen Darstellung zu erfassen versucht:

 

   

»Die Lebensqualität in Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Wachstum.«

Die mit dem ursprünglich vorhandenen Vorrat an Umweltleistungen verbundene maximale Lebensqualität (N ist unvermindert)
2  Kurve der mit dem jeweiligen Realeinkommen verbundenen Lebensqualität (quantitative Steigerung von P)
3  Kurve der mit den jeweils noch vorhandenen Umweltleistungen verbundenen Lebensqualität (N ist vermindert)
Kurve der gesamten Lebensqualität

Quelle: 3. St. Galler Symposium, 105.

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Die gesamte Lebensqualität (Kurve 4) ist gleich dem Teil der Lebensqualität, den man sich aufgrund seines Realeinkommens beschaffen kann (Kurve 2) — vermindert um die Abnahme der Lebensqualität, die sich aus der Verminderung der Umweltleistungen ergibt (Distanz zwischen Linie 1 und Kurve 3).

Man erkennt leicht: der Optimalzustand ist am Punkt OP erreicht. Jede weitere Steigerung des Realeinkommens bewirkt eine so starke Senkung von N, daß auch die echte Lebensqualität sehr schnell absinkt. Die Industrieländer haben heute den optimalen Punkt bereits überschritten. Dafür gibt es auch einen sehr deutlichen Indikator: die Lebenserwartung nimmt wieder ab, zumindest kommt die Zunahme zum Stillstand.

Die Verschlechterung der Lebensbedingungen durch Minderung von N hat im einzelnen folgende Ursachen:

  1. Luftverschlechterung, die von der Minderung des Wohlbefindens bis zur Erregung tödlicher Krankheiten reicht.

  2. Wasserverschlechterung, die bis zum Zusammenbruch der Trinkwasserversorgung führen kann.

  3. Lärm, der sich von der nervlichen Belastung bis zur physischen Krankheit steigern kann.

  4. Abnahme der Quantität des fruchtbaren Bodens durch Überbauung mit immer mehr und immer größeren Wohnungen sowie mit Bauten für Industrie, Verwaltung und Verkehr.

  5. Einbringen von chemischen und radioaktiven Stoffen sowie von Abfallmassen in den ökologischen Kreislauf.

  6. Infolge Zunahme der genannten Faktoren 1 bis 5 Abnahme der Pflanzen- und Tierarten bis zur Zerstörung ganzer Landschaften. Dabei ist schon einer der aufgeführten Faktoren im Stande, eine solche Zerstörung zu bewirken.

  7. Die Abwärme bei der Energieerzeugung hat schließlich Änderungen des Klimas und Störungen des ökologischen Gleichgewichts zur Folge.

  8. Verengungen des Raumes durch ständige Zunahme der Menschenzahl mit gleichzeitiger Abnahme der Freiheit.

Alle 8 Punkte verkleinern die Größe N. Die Lebensmöglichkeiten von immer mehr Arten entfallen, andere siechen dahin. Sollte die Umwelt N sich durch das Ansteigen von Uv immer mehr der Null nähern, dann entfiele die Voraussetzung für jedwedes Leben. Alle diese Faktoren werden vom Umfang der menschlichen Aktivitäten und damit auch von der Zahl der Menschen bestimmt.

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Von einer gewissen Dichte an dürften, entsprechend Punkt 8, die Lebensbedingungen allein von der drangvollen Enge her unerträglich werden. Je größer der materielle Lebensstandard, um so mehr Raum benötigt der Mensch für Wohnung, Verkehrsfläche, Anteil an öffentlichen Einrichtungen für Bildung, Sport, Gesundheit und Verwaltung. Damit wird nicht nur die Landschaft im allgemeinen, sondern auch die landwirtschaftlich nutzbare Fläche immer weiter verringert. Dies wurde schon in den Kurven über die verfügbare Fläche im Abschnitt »Die industrialisierte Landwirtschaft« dargestellt.

Wir haben die Umweltelemente in der obigen Aufstellung nach der Dringlichkeit geordnet:

  1. Fehlende Luft führt zum Tod nach Sekunden.

  2. Fehlendes Wasser führt zum Tod nach Tagen.

  3. Fehlende Nahrung führt zum Tod nach Wochen.

  4. Lärm führt zur Schlaflosigkeit und steigert sich bis zur Krankheit, möglicherweise zum Wahnsinn.

  5. Die chemische Vergiftung von Ökosystemen führt zum Tod nach Jahren. Radioaktive Vergiftung kann allerdings auch zur sofortigen Vernichtung des Lebens und der Natur führen.

  6. Die langsame Zerstörung der Natur entzieht allen Lebewesen die Lebensgrundlage in Jahrzehnten.

  7. Die Abwärme führt zu klimatischen Veränderungen des Planeten, zum Abschmelzen der polaren Eiskappen und damit zu einer Überflutung riesiger Landmassen.

  8. Die Raumüberfüllung kann nach der jetzigen Bevölkerungszunahme schon in wenigen Jahrzehnten eintreten.

Die Punkte 7 und 8 beinhalten Möglichkeiten, zu denen es wahrscheinlich gar nicht kommen wird, weil längst vorher die anderen Faktoren die Entwicklung stoppen werden.

 

Von größter Bedeutung ist die Einordnung der acht Faktoren nach reversibler und irreversibler Umweltverderbnis:

1. Irreversibel ist die Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten. Diese Bedrohung sagt einem heutigen Leser wahrscheinlich wenig, wenn er zur Natur und ihrer Vielfalt kaum eine Beziehung hat. Wir können aber an sein ökonomisches Denken appellieren: Aus den wildlebenden Tieren und Pflanzen sind unsere nutzbaren Arten gezüchtet worden und durch neue Kreuzungen finden immer weitere Verbesserungen statt. Ein Tagesordnungspunkt der Parlamentarierkonferenz über Umweltfragen in Nairobi war der Sorge gewidmet, wie diese Arten für künftige Züchtungen erhalten werden können. Außerdem wird jede stärkere Umweltverderbnis auch die Haustiere in Mitleidenschaft ziehen.

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2. Nahezu irreversibel ist die Betonierung des Bodens, fast immer fruchtbaren Bodens, durch Wohnbauten, öffentliche Gebäude. durch Industrieanlagen und Autostraßen. Diese Bauten lassen sich zwar auch wieder beseitigen, wenn sie ihren Zweck verloren haben. aber mit einem viel zu hohen Aufwand, als daß diese Chance Aussicht hätte, realisiert zu werden. Auch wäre meist nur die Raumfläche, in den seltensten Fällen noch der fruchtbare Boden darunter, wieder zu gewinnen. Nach Ernst Basler entspricht die Zunahme des Bauvolumens in Prozent fast genau der Zunahme des Bruttosozialprodukts in Prozent."

3. Irreversibel kann die Vergiftung von Binnenseen und sogar der Weltmeere werden. Vor allem, wenn diese weiterhin als Abladeplatz für giftigen und radioaktiven Müll dienen, mit Öl verseucht werden, und wenn durch die Flüsse statt Frischwasser nur noch Abwässer zugeführt werden. Eine Wiederbelebung wäre insbesondere bei stehenden Gewässern eine Jahrzehnte währende Angelegenheit.

4. Bei chemischer und radioaktiver Verseuchung des ökologischen Kreislaufs liegen die Verhältnisse ähnlich wie beim Wasser.

5. Am wenigsten nachhaltig wäre eine Vergiftung der Luft — es sei denn, sie wäre radioaktiv verseucht. Normalerweise wird sich die Luft erneuern, solange die Pflanzen-, insbesondere die Waldbestände der Erde in großem Ausmaß erhalten bleiben. Diese sind aber durch alle Faktoren, mit Ausnahme von Lärm, höchst gefährdet. Wie schwer einmal verkarstete Flächen wieder bewaldet werden können, das zeigen die vielen traurigen Beispiele der Geschichte. Auch eine so starke Verunreinigung der Weltmeere, daß ihre Sauerstoffproduktion zum Erliegen käme, wäre eine tödliche Gefahr für die Atmosphäre; denn die Weltmeere produzieren schätzungsweise 70% des Sauerstoffs.9)

6. Der Lärm hat den Vorteil, daß er notfalls auf der Stelle beendet werden kann. Dem steht allerdings der erhebliche finanzielle Aufwand entgegen, wenn Mopeds, Autos, Flugzeuge und lärmintensive Betriebe stillgelegt würden. Aber Lärm ist eben nur in den gesundheitlichen Schäden, die er hinterläßt, irreversibel; seine Quelle kann abgestellt oder fast immer herabgesetzt werden.

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Übrig bleiben schließlich die beiden Faktoren, die kaum eintreten werden, weil längst vorher die anderen Kräfte zur Katastrophe geführt haben. Die Abwärme wäre sicher dann irreversibel, wenn man die Energieproduktion rücksichtslos soweit vorantriebe, bis die praktischen Folgen nicht mehr zu stoppen wären. Der absolute Höhepunkt der Veränderung des Weltklimas würde nämlich erst mit einigen Jahren Verzögerung eintreten. Die unerträgliche Raumenge würde sich wahrscheinlich in unablässigen Ausrottungskriegen äußern und wäre damit prinzipiell reversibel. Mit größerer Wahrscheinlichkeit käme es aber längst vorher zu Zusammenbrüchen der Nahrungsversorgung als Folge der Punkte 1 und 2.

Der Mensch als Urheber der ganzen Entwicklung zum Untergang wird zunächst geneigt sein, die Uv-Faktoren einzudämmen, die ihm unmittelbar selbst schaden. Dieses Motiv führte schon lange zu »Umweltschutz«, wenn auch unter anderen Namen. So wird der Abfall, der in den mittelalterlichen Städten noch auf die Straße geworfen wurde, bereits seit Jahrhunderten abgefahren.

Auch treten ja nicht lediglich biologische Schäden auf, die auf den Bereich der natürlichen Umwelt (N) beschränkt bleiben. Auch die industrielle Produktion wird beeinträchtigt, wenn zum Beispiel kein sauberes Wasser mehr gefunden wird oder Maschinen und Anlagen durch chemisch angereicherte Luftvergiftung korrodieren.

Nach dem gegenwärtigen Stand der ökologischen Wissenschaften ist längst noch nicht geklärt, was alles schädliche Wirkungen hervorruft und wo überall sich das auswirkt. Bei einem großen Teil der Ursachen können die Wirkungen erst Jahre und Jahrzehnte später festgestellt werden. Vor allem die Fragen des Synergetismus (des Zusammenwirkens verschiedener Stoffe) sind noch sehr wenig aufgehellt. Doch liegt in vielen Fällen die unmittelbare Schädlichkeit von vornherein auf der Hand; in anderen ist sie inzwischen wissenschaftlich gesichert.

 

  Die Grenzen des Umweltschutzes  

Es gibt auch Techniken, die seit langem für den Umweltschutz eingesetzt werden: zum Beispiel die Klärung von Abwässern, die Lärmdämmung, die Abgasfilterung. Für diese Bekämpfung von technischen Umweltschäden durch noch mehr Technik hat sich der Begriff »technischer Umweltschutz« eingebürgert. Dafür stehen auch bereits Technologien zur Verfügung, die mittels neuer Produktions­verfahren, manchmal sogar vereinfachter, Umweltschäden weitgehend vermindern.

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Erfolgreicher Umweltschutz besteht ohnehin nur im Vermeiden von Schäden. Wenn jemand von »Beseitigung von Umweltschäden« spricht, dann liefert er den Beweis dafür, daß er von dem Problem noch nichts begriffen hat. Oder meint er die gesamte Lufthülle der Erde einmal durch Filter, die Ozeane durch Klärwerke leiten zu können? Am deutlichsten wird dieser Tatbestand beim Lärm; einmal entstanden, kann er nicht zurückgeholt werden. Er kann nur vermieden werden, bevor er entsteht. Umweltschutz kann meist nur so eingesetzt werden, daß er sozusagen den Nachschub an Schadstoffen unterbindet. Auch bei den festen Abfällen gibt es keine »Beseitigung«; nur Umwandlung in einen Zustand, der vielleicht weniger schädlich ist.

Umweltschäden können also in nahezu allen Fällen nur durch Vorsorge vermieden, selten nachträglich beseitigt werden. Die irreversiblen Schäden sind ihrer Definition nach ohnehin für immer eingetreten — und das sind nicht wenige, wie wir sahen. Die Umweltschutzmaßnahmen sind also Maßnahmen der Vorbeugung und nur als solche möglich und sinnvoll. Die erforderlichen Maßnahmen sind so vielfältig und schwierig, daß die gewaltigen Dimensionen dieser Aufgabe noch gar nicht ganz erkannt sind.

Nach dem — für die Marktwirtschaft wie für die Planwirtschaft — allein sinnvollen »Verursacherprinzip« muß der Umweltschutz in die Produktionsvorgänge eingebaut werden. Die dadurch entstehenden Mehrkosten gehören unstrittig zu den Gestehungskosten der Produkte. Nur wenn diese Kosten auf den Preis aufgeschlagen werden, entsteht ein echter Preis im Sinne einer durch Umwelt erweiterten Ökonomie. Wenn daraufhin ein Konsumverzicht gegenüber den Gütern eintritt, die sich stark verteuert haben (weil sie viel Umweltschutzmaßnahmen erforderlich machten), dann ist das eine durchaus erwünschte Folge. Erst dann sind auch die »social costs« von der ungerechten Verteilung auf die Gesamtheit dorthin verlagert, wo sie hingehören: auf den Nutznießer des Produkts, der es trotz der Verteuerung erwerben möchte. 

Bis jetzt fördern die Staaten durch vielfältige Maßnahmen die Ausbeutung der Erde und verbilligen damit auch die Umweltzerstörung, statt sie zu erschweren.

Rein rechnerisch werden die Umweltschutz-Kosten eine Erhöhung des Bruttosozialprodukts zur Folge haben, wie das bisher auch schon der Fall war. (In einer einwandfreien Statistik müßten diese Vermeidungskosten allerdings vom Ergebnis des Produkts abgezogen werden!)

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Für diese Kosten ist nur ein realer Wert teilweise zurückgekauft worden, der vor der industriellen Produktion vorhanden war: die unverdorbene Umwelt. Es ist nichts Neues damit geschaffen worden. Dieser Wert ist im starken Maße ein Zukunftswert; denn die volle Wucht der heute verursachten Schäden wird oft erst mit einer Verzögerung von Jahren oder Jahrzehnten eintreten. Demnach handelt es sich auch hier um das Ausmaß der Verantwortlichkeit, welche die heutige für zukünftige Generationen aufzubringen bereit ist.

Für unsere Formel heißt das: die Umweltverderbnis (Uv) wird durch Umweltschutz (Us) ausgeglichen — im Idealfall hundertprozentig. Das heißt, die Minderung der Qualität von P, die durch die Verminderung von N eintritt, weil Uv ständig steigt N / 1+Uv , muß durch einen zusätzlichen Aufwand wieder ausgeglichen werden, durch Us.

Der Wirtschaftsprozeß verläuft also nach der bisher entwickelten Produktionsformel wie folgt:

P  =  N / 1  +  Uv  +  A ( E/Z1 + R/Z2 + W ) Us

 

Daraus ist klar ersichtlich, daß nur dann keine Beeinträchtigung der Umwelt eintritt, wenn Us den Wert von Uv erreicht. Bei Anwendung dieser Formel ist auch sichergestellt, daß der Us-Aufwand den Wert von P keinesfalls erhöht, sondern eben bestenfalls nur die durch Uv verursachten Verluste ausgleicht.

Damit hätten wir alle Faktoren der Produktionsformel zusammengetragen und können ihre Entwicklung abschließen. Das Bestreben einer ökologisch fundierten Wirtschaft, die auf Dauer angelegt ist, muß es sein:
1. Die Faktoren E/Z1 + R/Z2 so klein wie möglich, 2. W so groß wie möglich, 3. Uv so klein wie möglich und Us wiederum so groß wie möglich zu halten.

Dieser Ausgleich erfordert mehr Arbeit, mehr Energie und auch etwas mehr Rohstoffe. So werden zum Beispiel für den Bau einer Kläranlage zunächst beträchtliche Mengen von Rohstoffen und Energien benötigt. Der laufende Betrieb erfordert später jahraus und jahrein Energien und Arbeitskräfte.

Auf die verschiedenen Bereiche der Industrie bezogen, schwankt das Ausmaß des nötigen Us-Aufwands je nach Branche und Produktionsverfahren beträchtlich. Meyer-Abich nannte auf dem 3.-St.-Galler-Symposium Meßzahlen, die von 2 bis 10 Prozent bei den verschiedenen Industrien schwanken.

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Es gibt auch Neuerungen der Technologie, bei denen der zusätzliche Aufwand durch produktionstechnische Vorteile mehr als aufgeholt wird. Doch das sind seltene Ausnahmen und es werden Ausnahmen bleiben. Im allgemeinen kann man sagen, daß in letzter Zeit errichtete Betriebe ihre Produktion bereits viel stärker auf den Umweltschutz abgestellt haben als ältere.

Soweit für den Umweltschutz Energien und Rohstoffe angesetzt werden müssen, verursachen diese Faktoren ihrerseits auch wieder mehr Umweltverderbnis. Diese größere Uv infolge Us ist vom Effektivergebnis des Umweltschutzes wieder abzuziehen. Schon aus dieser Überlegung ergibt sich, daß in der industriellen Welt kein hundertprozentiger Umweltschutz möglich ist. Es ist sehr wahrscheinlich, daß zum Beispiel die nahezu vollständige Klärung von Abwässern einen derartig hohen Energie- und Rohstoffeinsatz erfordern würde, daß die Umweltbeeinträchtigung, die bei deren Bereitstellung entstünde, größer wäre als die durch die Abwasserreinigung vermiedene.

Der Engländer Max Nicholson, der weltweite Erfahrungen im Umweltschutz sammelte, schreibt: »Man darf deshalb paradoxerweise behaupten, daß Beschränkungen, die der Industrie im Interesse des Umweltschutzes auferlegt werden und die von der Industrie meist als schweres Handikap bezeichnet wurden, sich oft als Anregung für neues Wachstum erweisen, während andererseits der Nettogewinn für den Umweltschutz oft viel geringer ist als erwartet, wenn er nicht sogar durch die von Ersatzstoffen oder Ersatzprozessen aufgeworfenen neuen Probleme aufgewogen wird.«10

Es müssen also für jeden Einzelfall Berechnungen darüber angestellt werden, auf welche Weise das Optimalergebnis des Umweltschutzes erreichbar ist. In diese Berechnungen sind als höchst bedeutende Faktoren künftig auch die Knappheits-indikatoren für Rohstoffe und Energien einzusetzen.

Im Normalfall wird es weder möglich noch wirtschaftlich sein, die Umweltverderbnis völlig zu vermeiden. Denn der Aufwand für Umweltschutz steigt progressiv.11 Man wird sich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit mit 70 bis 90% Wirksamkeit begnügen müssen, weil anderenfalls eine Produktion so teuer käme, daß man sie besser ganz unterläßt — was in immer mehr Fällen auch nötig sein wird.

Bei alledem ist immer zu berücksichtigen, daß es für einige Umweltschäden gar keinen Schutz gibt: Bebauung des Landes, Erzeugung von Abwärme, ein Mindestmaß von Lärmerzeugung, unerwünschte Verbreitung von kunstdüngenden Chemikalien, Abriebe durch Reifen und

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Bremsen, radioaktive Spuren der Kernindustrie. Diese nicht beeinflußbaren Faktoren drücken den überhaupt möglichen Gesamterfolg auf vielleicht 50% herab. (Meadows hält eine Reduktion der Uv auf 25%, also einen 75% wirksamen Us, für unrealistisch.)

Wenn man sich nun in den Fällen, in denen Umweltschutz überhaupt möglich ist, mit 70- bis 90prozentiger Wirksamkeit begnügen muß, dann wird so lange eine fortlaufende Verschlechterung der Umwelt eintreten, wie die Produktion weiter steigt. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Steigerung von einer wachsenden Zahl von Menschen bei gleichbleibendem Pro-Kopf-Verbrauch herrührt oder von einem wachsenden Verbrauch pro Kopf bei gleichbleibender Zahl der Verbraucher. Am schlimmsten ist natürlich beides — und genau das ist in der heutigen Welt der Fall.

Karl-Erik Ziemen von der Technischen Universität Berlin stellt in einem Artikel, »Der Wettlauf mit dem Wachstum«, fest, »daß die Umweltdegradierung (D) proportional ist der Bevölkerungszahl (P), dem Energieverbrauch per capita (C/P) und der Umweltschädigung pro Produktionseinheit (D/C)«. Da er davon ausgeht, daß Bevölkerungszahl und Energieverbrauch »noch für einige Zeit exponentiell anwachsen« werden, wird es um so wichtiger sein, die Umweltschädigung pro Produktionseinheit »drastisch zu verringern«.12) Daß dieser Wettlauf zwischen Umweltschutz und Wachstum vom Umweltschutz gewonnen werden kann, beurteilt Ziemen demgemäß sehr skeptisch. Bruno Fritsch kommt zu folgendem Schluß: 

»Es scheint ferner ziemlich sicher zu sein, daß der technologische Umweltschutz allein uns aus der Gefahren­zone der Zusammenbruchsanpassung so lange nicht herausführt, als (a) die jeweilige Umweltbelastung nicht auf Null herabgesetzt und/oder (b) das exponentielle Wachstum nicht in einen Nullwachstums­prozeß auf einem mit der Umwelt verträglichen Niveau überführt werden kann, was vorübergehend zumindest bei gewissen hochindustrialisierten Staaten sogar negative Wachstumsraten erforderlich machen würde.«13) 

Binswanger führte beim 3. St. Galler Symposium den Nachweis, daß bei fortwährend gesteigerter Produktion die Umweltverderbnis immer größer werden müsse — allem Umweltschutz zum Trotz. Die Umwelt­schutz­maßnahmen können nur bis zu einem beschränkten Wirkungsgrad getrieben werden, sonst übersteigen die Umweltschutzkosten den Nutzen des Produktionsergebnisses. Dieser logische Zusammenhang führt zu folgendem überraschenden Ergebnis:

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A  Zahl der Aktivitäten  
Us Wirkungsgrad des technischen Umweltschutzes in Prozent   
     Belastung pro Aktivität (zum Beispiel Verschmutzungsstoff/Liter-Abwasser) in Prozent der Anfangsbelastung

  A     Us     (100-Us)
 
100   0   100
 200   50   50
 400   75   25
 800   87,5  12,5
1600   93,75   6,25
3200   96,875     3,125

Quelle: 3. St. Galler Symposium, 112.

Es besagt: Wenn man die 100% Umweltverderbnis einer wirtschaftlichen Aktivität 100 ohne jede Gegenmaßnahme (Us) hinzunehmen bereit ist, diesen Zustand aber auch nicht weiter verschlechtern möchte, dann muß man bei einer Verdoppelung der wirtschaftlichen Aktivitäten (P) 50% der gesamten Uv durch Us beseitigen. Bei einer nochmaligen Verdoppelung jedoch 75% und bei der dritten Verdoppelung bereits 87,5%. Das heißt, bei der dritten Verdoppelung ist die wirtschaftlich überhaupt noch sinnvolle Obergrenze schon überschritten, zumindest erreicht. An dieser Stelle müßte also der Umweltschutz schon aus Gründen des Umweltschutzes stehen bleiben, weil jede weitere Us-Steigerung soviel mehr Energie und Rohstoffe erfordern würde, daß bestenfalls noch ein Leerlauf dabei herauskäme. (Binswanger legte auf dem 3. St. Galler Symposium eine Berechnung vor, wonach ein 50%iger technischer Umweltschutz 15% der Gesamtenergie benötigen würde, ein 87,5%iger bereits 45% und ein 99%iger sogar 90% der Gesamtenergiemenge.)

Wenn nun die Produktion ohne Rücksicht auf die Umwelt zum vierten Mal verdoppelt wird, dann schlägt diese Verdoppelung voll auf die Umwelt durch: die Belastung steigt von dem bisher gehaltenen Faktor 100 auf 200, obwohl der Umweltschutz gleich intensiv weiter betrieben wird (87,5%). Man ersieht aus dem Verlauf der Kurve, daß zunächst mit verhältnismäßig wenig Energie und Kosten ein hoher Effekt zu erreichen ist, der sich aber bald der Null nähert (s. nebenstehende Abbildung).

Die gegenwärtige Umweltbelastung in den Industrieländern dürfte (mit großen Schwankungen) bei Uv = 2 liegen: N / 1+2, wovon 50% durch Us beseitigt werden, was einen Wert  N / 1+1 = N / 2    ergibt, wonach unsere natürliche Umwelt im Durchschnitt nur noch die halbe Qualität besäße.

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Verhältnis zwischen dem Wirkungsgrad des technologischen Umweltschutzes (Us) und dem entsprechenden Aufwand. Quelle. 3. St. Galler Symposium, 112.

 

Die Minderung mag vielen als etwas hoch gegriffen erscheinen; dabei ist jedoch zu bedenken, daß auch schon verursachte Schäden, die noch nicht sichtbar geworden sind, einbezogen werden müssen. Ihre nicht mehr rückgängig zu machenden Auswirkungen treten erst noch ein.

Wenn sich die wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschheit weiterhin alle 15 Jahre verdoppeln, dann würde trotz intensivster Steigerung von Us auf 87,5 % Wirksamkeit nach dem Jahre 2000 der Rückschlag voll einsetzen. Und in der folgenden Verdoppelungszeit müßte eine unaufhaltsame Verdoppelung der Umweltverderbnis eintreten, die um 2020 voll wirksam würde. Selbst bei einer verminderten Produktionszunahme von 3 % jährlich und einer sofortigen Reduzierung aller Schadstoff­ausschüttungen um 80 % würde in 52 Jahren wieder die heutige Ausgangssituation erreicht sein; bei 6 % Zunahme aber schon in 26 Jahren.14

In dem Buch »Alternativen zur Umweltmisere« wird festgestellt, daß nach den Analysen vieler Zukunftsforscher das Umwelt­problem nur gemeistert werden kann, »wenn man in Zukunft auf materielles Wachstum weitgehend oder ganz verzichtet. Diese politisch unbequeme Schlußfolgerung wird von Politikern bisher nur zögernd akzeptiert; auf das Wachstum als politische Zielsetzung glaubt man auf keinen Fall verzichten zu können.«15

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  Die Reaktion  

Zur Zeit wählt man den bequemeren Weg: Bekämpfung der bisherigen Techniken mit neuen zusätzlichen Techniken. Dies ist systemkonform und hält die Mehrproduktion in Schwung. »Nachdem nun auch die Politiker verstanden haben, daß Wirtschafts­wachstum die Ökologie gefährdet, wird verstärkt an die Techniker appelliert, durch beschleunigten Fortschritt die Umweltgefahren <in den Griff zu bekommen>. Daß dies bald gelingen werde und die Wirtschaft sogar noch wirtschaftlicher machen werde, ist ein weitverbreiteter Glaube. Ihn zu erzeugen und zu nähren, gibt die Industrie sich große Mühe und findet dabei Unterstützung durch Wissenschaftler und Politiker.«16

Aber selbst der technisch mögliche Umweltschutz ist längst noch nicht durchgesetzt. Große Teile der Wirtschaft wehren sich überhaupt gegen den Umweltschutz, und zwar in zweifacher Hinsicht. Sie suchen einmal die Gesetze zu mildern und, wenn das nicht gelingt, deren Anwendung abzuschwächen. Zum anderen wissen sie, wie man Vorwürfe der Öffentlichkeit abwehrt. Kenneth Galbraith schreibt darüber: »Der Vorwurf, eine Kapitalgesellschaft verschmutze Wasser und Luft, vergeude natürliche Rohstoffe oder verstoße mit einem Produkt gegen die Gebote der Sicherheit, ruft fast automatisch einen Werbefeldzug auf den Plan, der versichert, die Firma sei ganz und gar dem Umweltschutz verpflichtet, dem sparsamen Umgang mit Rohstoffen und der öffentlichen Sicherheit. Gewöhnlich ist das ein wirkungsvoller Ersatz für kostspieligere Maßnahmen.«17

Die allerfixesten Unternehmen haben schon begriffen, daß man aus dem Umweltschutz ein neues Geschäft machen und ihn dabei unterlaufen kann. Erstens führt der technische Umweltschutz zu einer neuen Industrie und damit zu neuen Verdienstmöglichkeiten für einige Branchen. Damit werden auch noch weitere Arbeitsplätze geschaffen und das statistische Bruttosozialprodukt wird weiter erhöht. Zweitens kann man die wunderschöne Forderung aufstellen, daß eine allgemeine Steigerung der Produktion höchst nötig sei; denn man müsse nun auch noch die zusätzlichen Umweltkosten »erwirtschaften«. Dabei wird allerdings die Gegenfrage kaum jemals beantwortet: Wann diese Umweltschutzkosten denn nun eigentlich erwirtschaftet sein werden? Selbst die in der Produktion weit an der Spitze liegenden Vereinigten Staaten haben offensichtlich noch nicht entfernt genügend Geld für ihre Umwelt abzweigen können — und Japan schon gar nicht.

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Speziell aus amerikanischer Sicht stellt Galbraith fest: »Staatlicher Umweltschutz wird durch übergeordnete Zwecke des Planungssystems, insbesondere Wachstum und technische Weiter­entwicklung unterminiert. Die Vereinigung und die Symbiose zwischen Planungssystem und Staat werden auch bei den Diensten des Staates selbst zu einer höchst ungleichen Entwicklung führen. Jene Dienste, die den Erfordernissen des Planungs­systems entsprechen, für den Absatz seiner Produkte sorgen ... werden großzügig gefördert. Andere Dienste leiden Not.«"' Die Umweltschädigung ist aber keine Besonderheit des Planungssystems, auch das Marktsystem schädigt die Umwelt. »Außerdem verschanzen sich die Sünder hinter dem Schutz der Oberzeugung, nichts dürfe wirtschaftliches Wachstum beeinträchtigen.«19

 

Die bisher wohl größte Auseinandersetzung zwischen Umweltschutz und Industrie fand im Sommer 1972 in Kalifornien statt. Georg Hermann hat in der »Zeit« darüber berichtet.20 Er spricht von einem »Schulbeispiel für die Manipulation des Volkswillens durch übermächtige Interessengruppen«. Ein Volksbegehren forderte ein Umweltgesetz mit Vorschriften, die weitgehend mit der Bundes­gesetzgebung übereinstimmten, mit deren Durchführung aber endlich Ernst gemacht werden sollte; neu war nur eine fünfjährige Studienpause beim Bau von Atomkraftwerken. Gegen diese Bürgerinitiative bildete sich ein Komitee der größten Firmen, die für eine Propagandakampagne mehr als 1,5 Mill. Dollar aufbrachten (einzelne Firmen gaben über 50.000 Dollar), aber selbst im Hintergrund blieben. Für sie arbeitete eine Public-Relations-Firma, die einen Kampagneplan aufstellte. Zuerst »müßten geachtete Naturfreunde, Akademiker, Arbeiterführer und Politiker der Demokratischen Partei das Wort ergreifen, denen sich erst später Privatunternehmen, die Industrie, die Landwirtschaft und Führer der Republikanischen Partei anschließen sollten«.

Die Bürgerinitiative konnte nur 235.000 Dollar sammeln (höchster Einzelbetrag 600 Dollar). Das Fernsehen nahm nicht einmal bezahlte Werbe­sendungen der Bürger an, die Presse war gegen sie. Die Industrie arbeitete mit folgender Darstellung:

»Die Umweltinitiative ist die größte Gefahr, die dem Wohlstand Kaliforniens je drohte. Sollte die Vorlage Gesetz werden, so hieß es in den Zeitungen, im Radio und im Fernsehen, würde die gesamte Wirtschaft zum Stillstand kommen ... Die Kalifornier könnten nur solche Waren und dann nur zu horrenden Preisen kaufen, die mit Pferde­fuhrwerken transportiert werden: Not und Entbehrung wird das Schicksal eines jeden Bürgers. Die Bauindustriellen rechneten vor, daß allein in Los Angeles innerhalb von 30 Tagen nach Annahme des Gesetzes 120.000 Bauarbeiter auf die Straße gesetzt werden müßten.

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Und mit jedem entlassenen Bauarbeiter müßten weitere 10 Arbeiter entlassen werden, die das Baumaterial liefern, so daß allein im Gebiet von Los Angeles mehr als 1 Mill. Arbeitslose in der Bauindustrie zu erwarten wären. Aber nicht nur Massen­arbeitslosigkeit und Hungersnot, sondern noch weit Schlimmeres stünde bevor: die Häuser könnten nicht mehr vor Ameisen, Küchenschaben und anderen Ungeziefern geschützt werden, ja das Leben selber wäre in Gefahr — Seuchen wie Typhus, Malaria, gelbes Fieber und Gehirnentzündung würden wieder freie Bahn haben.«  

Broschüren mit derartiger Greuelpropaganda wurden an die Belegschaftsmitglieder der Betriebe verteilt, in denen auch Versammlungen die fürchterlichen Folgen einer Annahme des Volksbegehrens in bunten Farben schilderten. Die Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke legten ihren Rechnungen Flugschriften gegen die Initiative bei.

»In diesem Lärm der Gegenpropaganda ging die Stimme der Befürworter fast gänzlich unter. Sie schickten Zehntausende von Radfahrern — meist Studenten und junge Mädchen und Buben — in die Städte und Dörfer Kaliforniens, um für die Initiative zu werben und Geld zu sammeln ... Doch von all dem drang sehr wenig ins Bewußtsein der Öffentlichkeit.« In der Propaganda blieben die Vertreter der Umwelt hoffnungslos unterlegen. Ergebnis: Ihr Antrag wurde mit 3.839.208 Nein-Stimmen gegen immerhin 2.091.416 Ja-Stimmen verworfen.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland wäre der Umweltschutz schon in den Anfängen steckengeblieben, wenn nicht die Bürger hellhörig geworden wären und sich vielerorts zu Umweltaktionen zusammengetan hätten. Nur durch ihre lauten Proteste und durch die Anrufung von Gerichten hat die offizielle Umweltpolitik einigen Nachdruck erfahren. Denn auch hier besteht eine beträchtliche Verfilzung zwischen Industrie, Verwaltung und Politik. Minister und Regierungsbeamte aller Parteien agieren als oberste Aufsichts- und Genehmigungsbehörden und zugleich als Mitglieder von Aufsichtsräten der betroffenen Firmen. Die staatlichen Strukturen stammen aus einer Zeit, wo der jetzt offenkundig gewordene Konflikt zwischen wirtschaftlichen Aktivitäten und Umweltvorsorge noch nicht erkannt war.

Wenn sich nun auch der Mensch reichlich spät mit der Ökologie zu befassen begann und heute noch viele Zusammenhänge unerforscht sind, eines ist sicher: die Ökonomie muß der Ökologie den Vorrang lassen. Ökonomie für sich allein betreiben, heißt heute, eine Politik der verbrannten Erde, des Terracids in Kauf zu nehmen. Nur solange der Faktor N intakt ist, sind menschliche Aktivitäten auf die Dauer möglich.21

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»Das legt den Schluß nahe, daß wir den Wert des Kapitals im herkömmlichen Sinn, das in unserem Wirtschaftssystem angehäuft wird, überprüfen müssen. Die Auswirkungen des Wirtschaftssystems auf den Wert seines biologischen Kapitals müssen offensichtlich mitberücksichtigt werden, wenn man die Gesamtkapazität des Systems, Volksvermögen zu bilden, richtig einschätzen will.«22 Soweit Barry Commoner. Von der Wirtschaft wird zur Zeit immer mehr Kapital angehäuft und als sogenannter Wohlstand verteilt. Die Minderung des Wertes von N ist es, die in keiner Buchführung zu finden ist. Und dennoch wäre dieses ökologische Hauptbuch die einzige Grundlage, die wir zuerst haben müßten, bevor wir auf diesem Planeten all die vielen Unternehmungen überhaupt beginnen oder weiterführen.

 

Statt daß sie sich aber mit dem Hauptbuch des Lebens befassen, sind alle Sinne der Menschen auf ihre jeweilige Betriebsbuchhaltung fixiert. Die drohenden Folgen schildert Commoner:

»Tatsächlich könnte das biologische Kapital — wenn diese Entwicklung anhält — schließlich völlig zunichte werden. Da die Brauchbarkeit konventionellen Kapitals aber von der Existenz biologischen Kapitals — also des Ökosystems — abhängig ist, wird mit letzterem auch die Brauchbarkeit des ersteren zerstört. Trotz seiner scheinbaren Prosperität treibt dieses System mithin seinem Bankrott entgegen. Die Umweltzerrüttung stellt einen entscheidenden, potentiell verhängnisvollen, verborgenen Faktor für das Funktionieren des Wirtschaftssystems dar.«23

William Kapp kommt zu dem Schluß, daß unsere Wirtschaft eine der »unbezahlten Kosten« ist.24 Wir stellen uns ständig riesige Wechsel auf die Zukunft aus. Diese laufen zu einer Summe auf, die keine der folgenden Generationen mehr aufbringen kann.

In dieser Lage empfehlen die Wachstumsfanatiker der Wirtschaft folgendes Rezept: noch mehr Wechsel bei der Zukunft aufzunehmen, um mit diesen Wechseln für die Bezahlung der laufenden Wechsel gerüstet zu sein. Wissen sie wirklich nicht, welchen Unsinn sie hier empfehlen, weil ihnen der Zeithorizont fehlt

Auch unsere politischen und sozialen Institutionen sind »fast ausschließlich auf die Lösung gegenwärtiger und kurzfristiger Probleme spezialisiert«.25 Außerdem: Solange Bevölkerungs­wachstum und Produktions­steigerung fortlaufen, hebt der Faktor Zeit die Wirksamkeit der heute festgesetzten Grenzwerte für Schadstoff-Freisetzungen immer wieder auf, wobei die schädlichen Folgen wiederum erst Jahre später auftreten.

Damit stehen wir — wie bei dem Problem der Rohstoff- und Energievorräte — wieder vor der Frage, »welche Verpflichtungen die heutigen Bewohner des Planeten Erde gegenüber den Menschen haben, die in 20 oder 100 Jahren auf ihm leben müssen«.26

Als Ergebnis dieses Kapitels ist festzuhalten: Umweltschutz hat nur in einer stabilen Welt Aussicht auf Erfolg; in einer Welt der ständigen Mehr­produktion muß er bald scheitern. Damit ist — nach der Rohstoff- und Energiegrenze — noch eine dritte Grenze für die Steigerungsraten der Wirtschaft gezogen. 

Wenn die Menschheit ihr Verhalten nicht ändert, dann besteht die große Wahr­scheinlichkeit, daß alle drei Grenzen fast gleichzeitig erreicht werden.

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Herbert Gruhl   Ein Planet wird geplündert   Die Schreckensbilanz unserer Politik