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3.2   Der Traum von der Gleichheit aller

Der Begriff der Gleichheit ist dem 
Leben fremd.  Maurice Blin.

107-116

Der Traum von der Gleichheit der Menschen könnte nicht immer wieder geträumt werden, wenn es die Gleichheit wirklich gäbe. Nirgends in der Natur gibt es eine solche Gleichheit. Einander gleich sind dagegen die Massenartikel der technischen Produktion. Da diese immer mehr die Umwelt des Menschen beherrschen, bezieht die Gleichheitsidee von der Technik und vom mechan­istischen Denken her immer wieder neue Nahrung.

Das Leben war darauf bedacht, die Arten und Individuen »vor allen Dingen verschieden zu gestalten. Müßte man für das Leben um jeden Preis eine Motivation finden, so fiele sie wohl eher in ästhetischem Sinne aus.«162 Hugo Kükelhaus, bildender Künstler und Soziologe, legt dar, daß es den »Menschen an sich« nicht gibt, und darum kann es auch keine konstanten Bedürfnisse geben.163

Die heutige Massengesellschaft ließe sich allerdings viel besser organisieren und lenken und der Fortschritt würde noch schneller galoppieren, wenn jeder die gleichen Bedürfnisse hätte und auch zu den gleichen Leistungen fähig wäre. 

»Dem kapitalistischen Großproduzenten wie dem sowjetischen Funktionär muß gleicherweise daran gelegen sein, die Menschen zu möglichst uniformen, ideal widerstandslosen Untertanen zu konditionieren, gar nicht viel anders als es Aldous Huxley in seinem so schauerlichen Zukunftsroman <Brave New World> dargestellt hat.«164

Wären alle gleich, dann stünden der Wirtschaft allzeit verläßliche Daten zur Verfügung, und ein jeder Mensch wäre beliebig austauschbar, an jeder Stelle einsetzbar. Wie dringend man diese Kalkulations­grund­lagen nötig zu haben glaubt, beweisen die vielen Statistiken, die heute im Umlauf sind. Diese unterstellen bereits einen fiktiven Durchschnittsbürger, der leider nicht zuverlässig genug ist und sich mit der schnellebigen Zeit selbst fortwährend wandelt.

Den gleichen fiktiven »Normalbürger« suchen die Politiker in ständigen Meinungs­umfragen, die ihnen das eigene Denken abnehmen. Politiker mit Ideen sind nicht gefragt, die Anpassungs­fähigkeit wird gewünscht, der geistige Durchschnitt genügt in solchen Zeiten allemal. Vielen ist sogar der geistige Vorsprung verdächtig.

Der heutige zwangsgeschulte Normalbürger hat auf der Schulbank gelernt, mit quantitativen Größen umzugehen — und er kennt die naturwissen­schaftlichen Grundbegriffe, die für seine technische Lebens­gestalt­ung nötig sind. Ein Beispiel: er weiß über nichts so gut Bescheid wie über das Auto, einen mechanischen Apparat, der ihn während seiner besten Lebensjahre am intensivsten beschäftigt. 

Beruflich arbeiten die meisten in Werkstätten und Fabriken oder am Fließband der Bürokratie — überall nach Vorschrift und System. Was Wunder, wenn diese Menschen dann auch in der Gesellschaft für »klare Verhältnisse« sind. Sie können einfach nicht verstehen, warum der Staat nicht genauso funktioniert wie die Maschinenwelt. Insofern sind sie zur Egalität disponiert, die sich leicht mit einer Leidenschaft zur »Gerechtigkeit« verbindet. Niemand soll einen Nachteil haben, alle sollen gleich sein. Daß dann auch niemand einen Vorteil für sich haben dürfte, wird bewußt oder unbewußt übersehen. 

Eine Welt, in der alle gleich sind, darauf richtet sich eine rational nicht mehr fassbare Erlösungssehnsucht.

Die Eskalation der Gleichheitsforderung in der Geschichte durchlief verschiedene Stufen.

1. Stufe
Christus verkündete: Alle Menschen sind vor Gott gleich.

2. Stufe
Die französische Revolution verkündete: Alle Menschen haben gleiche Rechte (Das bedeutete politisch: Wahlrecht für alle).

3. Stufe
Der Kommunismus verkündete: Alle Menschen sollen das gleiche besitzen; alle sollen das gleiche Einkommen haben.

4. Stufe
Im 20. Jahrhundert verkündigen einige: Alle Menschen sollen gleich gebildet sein.

5. Stufe
Als Zukunftsutopie wird verkündet: Alle Menschen sollen im ständigen Wechsel jede Tätigkeit verrichten.

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Nur die immateriellen Güter der Stufen 1 und 2 konnten weitgehend erreicht werden. Schon die dritte Stufe blieb unerfüllt. Das hindert aber die Verfechter der Gleichheit nicht daran, sofort die 4. und 5. Stufe zu fordern. Das geschieht auf Grund der an sich richtigen Erkenntnis, daß die Erfüllung der 3. Stufe so lange gar nicht möglich ist, wie es Bildungs- und Wissensunterschiede gibt, und daß die Gleichheit so lange nicht hergestellt ist, wie einige Menschen privilegierte Tätigkeiten ausüben (selbst wenn sie dafür keine bessere Bezahlung bekämen). Damit aber alle, ob Mann oder Frau, jede Tätigkeit im Wechsel wenigstens vorübergehend ausüben können, müßte der Bildungsstand notwendigerweise egalisiert werden. Dies alles war in der Utopie des Thomas Morus schon enthalten, der allerdings wußte, daß es seinen Staat niemals geben werde.165

 

Wir brauchen uns zunächst nur mit der 4. Forderung zu befassen. Ist sie unerfüllbar, dann entfällt die 5. ohnehin. Wir sind einig mit vielen Pädagogen, daß der Anspruch auf Gleichheit heute auf das Wissen hinzielt und das Schulwesen vor unerfüllbare Forderungen stellt. Die gleichmäßige Verteilung materieller Güter erscheint wenigstens noch durchführbar, aber was kann getan werden, um die Menschen geistig zu egalisieren? 

Hier werden alle Experimente in Zukunft genauso scheitern, wie sie in der Vergangenheit gescheitert sind. Ungeachtet aller Erfahrungen wird heute von einigen Gruppen ganz souverän unterstellt, daß der gleiche Wissensstand vorhanden sei. Wie könnten sonst junge Leute jede Autorität ablehnen und sich mit ihrem beschränkten Wissen ein unduldsames Urteil über alles und jeden anmaßen? Worin sie allerdings von geschickten Demagogen stets bestärkt werden.166

Welche Anstrengungen auch immer unternommen werden, die Unterschiede zwischen den Menschen werden extrem bleiben. Da man niemals alle Menschen oder auch nur die eines Volkes auf den gleichen Bildungsstand heben kann, bliebe nur der Weg, alle gleich dumm zu machen; denn ein allen gemeinsamer Nenner kann stets nur auf dem untersten Niveau liegen. Franz Vonessen hat recht:

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»Die Gesellschaft, die wir bilden, krankt an einer Gleichmacherei, die zwanghafte Züge besitzt; sie hat den unüberwindlichen Drang, alle Dinge auf den untersten, den gemeinsamen Nenner zu bringen. Zwar will sie das Beste ... aber sie tut es immer nur derart, daß sie <nach unten planiert>.«167

Es ist wie in einem Geleitzug, wo auch das langsamste Schiff das Tempo bestimmt.

 

Die heutigen <Emanzipationsbewegungen> dienen bewußt oder unbewußt dem mechanistisch-materialist­ischen Zeitgeist und damit den mechanist­ischen Zwängen. Die Konsequenz ihrer Bemühungen auf »Gleichheit und Gerechtigkeit« wären ebenfalls genormte Menschen oder, da wir von Menschen dann kaum mehr sprechen können, genormte Figuren, die erstrebten Rechen­einheiten des mechanistischen Zeitalters.

Dazu gehört deutlich jene Tendenz in der Frauenbewegung, welche die ärgerliche Geschlechtsdifferenz als das Grundübel bekämpft. Gertrud Höhler hat in ihrem Buch das eigentliche Dilemma treffend dargelegt:

»Was in den Traumentwürfen der Befreierinnen aufleuchtet, ist ja die Befreiung von der Geschlechts­zugehörigkeit überhaupt, es ist also mehr als die Eroberung der männlichen Domänen, mehr als die Verachtung der Brutpflege, mehr als die Verweigerung der Zuwendung zum vielgestaltigen Leben. — Was im Kampf um eine chemisch reine Zukunfts­hoffnung offenbar wird, ist das unaussprech­liche Leiden an den Konditionen der menschlichen Natur selbst. Gespalten zu sein in Männer und Frauen, dies verwehrt der Menschheit nicht nur Wege in die Gleichheit aller; schon von Geburt an mit Verschiedenheiten gebrandmarkt zu sein, dies, so fühlen die Träumer einer humanen Zukunft, birgt die Prophezeiung des Scheiterns für alles Bemühen, aus Menschen nur einfach Menschen zu machen ... Schon die Aufteilung der Menschheit in Mann und Frau legt den Keim jenes ewig unausweichlichen Zwiespaltes in die Seele der Menschen selbst.«168

In der Verschiedenartigkeit der Menschen glauben viele den Kern aller Übel dieser Welt ausgemacht zu haben. Wenn hier der Hobel ganze Arbeit leisten könnte, dann würde ihr Traum wahr!

»Die Leidenschaft der Kämpferinnen für eine Rollenaufhebung von Mann und Frau hat hier ihre geheimste Wurzel: Mit der Lösung der Konflikte zwischen Mann und Frau will man eigentlich den Menschen selbst heilen von seiner unseligen Zweiheit, die jeden Konflikt auf Erden vorzeichnet ...

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Von hier aus verstanden, zeugt der Frauenaufstand von dem charakteristischen Versuch unserer Epoche, die Grundeinschränkungen des menschlichen Daseins abzuweisen. Wie wir uns seit über hundert Jahren in dem Glauben versuchen, alle Menschen seien nicht erst von Gott, sondern schon auf Erden gleich zu machen, so nehmen die Frauenbefreierinnen die kühne Hoffnung ernst, der Mensch könne sich aus der Last seiner Zweigeschlechtlichkeit lösen und einen Zustand überlegener Gleichheit erreichen ...«169 

»Was die Frauenbewegung als <Selbst-verwirklichung> propagiert, das ist im Grunde eine Verabschiedung von der eigenen Identität, nicht deren Verwirklichung.«170

Was den Männern hier entgegengeschleudert wird, ist genau das, was diese selbst als ihr Ideal propagieren: die kalte Sach­lichkeit, die Berechnung, die mechanische Gleichheit aller Teile, das Streben nach der Perfektion der Gerätewelt.  

»Zu einer Zeit, in der die Unterschiede in der Architektur, in der Sprache, in der Kleidung und in den Manieren und Sitten überall der Eintönigkeit von Mode und Zweckdienlichkeit weichen, mag es unvermeidbar erscheinen, daß auch Geschlechts­unterschiede verwischt und sogar geleugnet werden, bis die Apostel der Emanzipation die Neigung zu körperlicher Intimität mit dem eigenen Geschlecht im Zeichen der Aufklärung begrüßen. Es ist aber kaum anzunehmen, daß solche <Durchbrüche>, die den Glauben an die gegenseitige Abhängigkeit der Geschlechter zerstören, nicht auch deren gegenseitige Anziehungs­kraft schwächen werden.«171

Die Prinzipien des mechanistischen Alltags erfüllen das Bewußtsein der Frauen wie das der Männer. Eine militante Minderheit der Frauen bezieht ihre Argumentation aus der mechanistischen Denkweise, wie sie von der männlichen Techniker-Kaste gepflegt wird

»Der materielle Profit, das Gesetz der Arbeitswelt, wird in diesem Kampf der Frauen ernster genommen als jeder immaterielle Wert. In einer Welt, der nur materielle Rechengrößen etwas gelten, kann nicht eine Mehrzahl der Frauen die Kraft finden, die gültigen Maximen zu verachten. Welche tristen Lebensräume sie stürmen, dies können die Neidgeplagten einstweilen nicht erkennen.«172  

Die Emanzipation wird zumindest zeitweilig unterstützt von Anhängern der liberalen Wirtschaftsordnung, sie dehnt aus ökonomischen Motiven die kapitalistische Ethik auf die Frauen aus und »lockt diese aus ihren Häusern in das Getümmel des Marktes«.173

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Um in der mechanistischen Weltordnung als geschlechtslose Figur funktionieren zu können, muß sich die Frau einer einschneidenderen Veränderung unterwerfen als der Mann. Darum sind es nach wie vor wenige Frauen, die voll in die mechanistische Daseinsweise eingetreten sind. Und es liegt in der Natur der Sache, daß sie mit ihrem Auftritt einen zwiespältigen Eindruck hervorrufen — am stärksten bei jenen Frauen, die sich an der Geschlechter-Schlacht um die mathematische Gleichheit nicht beteiligen. 

Wie immer in solchen Fällen sind die dem mechanistischen Ideal nacheifernden Frauen radikaler als die darin schon länger beheimateten Männer; sie bekennen sich zu einem konsequenten Rationalismus, der vorbereitet ist, alle natürlichen Einwände totzuschlagen. Darum mögen die auf organischen Auffassungen vom Leben beharrenden Frauen die »männlichen« Frauen gar nicht so sehr. Alle Wahlergebnisse beweisen, daß sie selten ihre militanten Geschlechts­genossinen wählen, obgleich diese durchaus zur Wahl stehen.

»Gründlich angefaßt verlangt die Problemlösung, so fanden die Frauen, die Verabschiedung nicht nur von einer Rolle, sondern die Eliminierung der Natur. Der sexuellen Freizügigkeit folgte logisch die Entwicklung der <Pille>.  ..... Die Fortschrittlichsten unter den Feministinnen wollen auch noch die Produktion der wenigen eventuell erwünschten Nachkommen an die Wissenschaft delegieren. Anzeichen für entsprechende Bedürfnislagen sind bereits vorhanden: Die Forschung ist tätig.«174  

In Australien verkündeten 1981 Ärzte, daß sie für möglich hielten, Männer die Kinder austragen zu lassen.

Im März 1981 fand in Berlin der dritte »Weltkongreß für Human-Reproduktion« statt. Den »Manipulationen an menschlichen Keimen scheinen weder technische noch ethische Grenzen gesetzt. Die meisten Wissen­schaftler und Ärzte bekannten sich in Berlin jedenfalls zur Nutzung aller Möglichkeiten«, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Auf ethische Fragen ging man erst gar nicht ein, die eine Sitzung darüber stieß auf wenig Interesse, »denn das Gewissen der Wissenschaftler war sicherlich noch nie besser als das der sie umgebenden Gesellschaft, die all diese Veränderungen toleriert.«175

Für ganz »modern« Eingestellte kann die Zeugung auch ohne solche Umwege ein technischer Vorgang sein: Zwei »Typen« begegnen einander, kopulieren und gehen wieder auseinander.

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Es braucht nicht mehr viel vorauszugehen, und es soll auch nichts nachbleiben — kein Gefühl, keine innere Bindung und schon gar nicht irgendeine Verpflichtung.176 Ist dennoch etwas geblieben, dann gilt dies als »Betriebsunfall«, dessen Folgen auszuräumen sind.

Wenn schon ein Kind, dann nicht mehr als Geschenk der Natur oder gar der Liebe, sondern bewußt an der Stelle des programmierten Lebenslaufes eingeplant, wo materieller Besitzstand und Freizügigkeit keine Einschränkung zu erfahren brauchen. Ganz streng sind da die Sitten; auch hier ist der Terminkalender ausschlaggebend, und die buchhalterische Kalkulation entscheidet. 

Wird die Geburt schließlich unvermeidlich, dann muß das Kind auf Grund modischer Erziehungstheorien sofort der Mutter entrissen werden; denn es könnte ja sonst »die Milch der frommen Denkungsart« einsaugen. Das soll heißen: In der organischen Entwicklung hätte es erst viele Phasen bei der Mutter durchlaufen. Eine solche Vorstellung vom Werden und Wachsen widerspricht jedoch der mechanistischen Auffassung. Für sie ist eine Figur da oder nicht da; ist sie da, dann kann sie nicht Mann oder Frau und auch nicht Kind sein, sondern ist sofort »Mensch« — die neutrale Rechengröße x. 

Die Mathematik kann nicht unterscheiden, weder nach Geschlechtern noch nach dem Grad der Reife. Das heißt, ein Kind ist sofort als gleiche Größe zu behandeln. Demgemäß ist es völlig sich selbst zu überlassen und in keiner Weise zu beeinflussen. »Antiautoritäre Erziehung« nennt man das; Verzicht auf Erziehung würde die Sache viel richtiger bezeichnen. Die distanzierte Gleichbehandlung der Figur Kind versetzt dieses in eine Art luftleeren Raum der Freizügigkeit, worin es die emotionale Fürsorge der Mutter wie der Familie entbehren muß.

Wenn der Unterschied zwischen Kind und Erwachsenem nivelliert wird, dann entsteht das erwachsene Kind und der kindische Ältere — wie auch der Ausgleich der Geschlechter zu weibischen Männern und männlichen Frauen führt. »Der Ausgleich macht den Dialog spannungslos und inhaltsleer, keiner kann dem anderen etwas wirklich Neues geben. Wenn dann aber die darin sich verfestigende stabile Langeweile unerträglich wird, geschieht die explosive Revolte«.177

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»Die überzeugende Vermittlerrolle von lebendigen Autoritäten wird in aller Regel durch die Institutionen und durch die Vergesellschaftung aller Lebens­vorgänge vereitelt. Animositäten gegen persönliche Autoritäten werden überdies früh gesät; die antiautoritäre Woge im Erziehungs­wesen hat eine breite Spur der Unter­kühlung durch die jugendliche Generation gezogen, so daß der schmerzlich empfundene Mangel an menschlichen Begegnungen und Vorbildern zusammentrifft mit einer entschlossenen Ablehnung jeder Hingabe an Autoritäten.

Junge Menschen entwickeln aus dieser seelischen Notlage utopische Ziele ihrer Autoritäts­bedürfnisse, im politischen wie im religiösen Raum, und strafen die erwachsenen Verweigerer bergender Zuflüchte durch aggressiven Idealismus, der den pluralistischen Götzen, die Toleranz, verachtet.« 178) 

Die Autoritätsgegner fordern den von Kindesbeinen an autonomen Menschen, der seine Lust und Beglückung in der stufenlosen Egalität findet. Das Ziel der Autoritätsstürmer wird aber nie erreicht; denn ohne Autoritäten zu leben, bedeutet Schutzlosigkeit und endet in einem Dasein ohne Hoffnung.179

Konrad Lorenz schreibt in seinem Buch <Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit>: 

»Es ist eines der größten Verbrechen der pseudo-demokratischen Doktrin, das Bestehen einer natürlichen Rangordnung zwischen zwei Menschen als frustrierendes Hindernis für alle wärmeren Gefühle zu erklären: Ohne sie gibt es nicht einmal die natürlichste Form von Menschenliebe, die normalerweise die Mitglieder einer Familie miteinander verbindet; tausende von Kindern sind durch die bekannte <Non-frustration>-Erziehung zu unglücklichen Neurotikern gemacht worden«180

Wo dies so ist, bindet auch die Mitglieder der Familie nichts mehr aneinander, und die Familie verfällt.

Obwohl diese neuartigen totalen Gleichheitsforderungen viel Wirbel erzeugen, bleibt in unserer Wirtschafts­gesellschaft die Forderung nach materieller Gleichheit im Vordergrund der Auseinander­setzungen. Hier werden nach wie vor die größten Illusionen geweckt und die meisten Patentrezepte angeboten. Die Vorkämpfer behaupten, es sei eine Frage der »sozialen Gerechtigkeit«, andere halten es für einen Ausfluß von »Neid«. 

Die »Revolution der Erwartungen« verwandelte sich in eine »Revolution zunehmender Ansprüche«, die in der Forderung gipfelt, »daß der Staat alles, was unzufriedene Mehrheiten oder gekränkte Minderheiten für richtig erachten«, zu sichern und zu beschaffen habe.181 Der britische Ökonom Mishan meint weiter, daß, wenn Politiker sich mit einem Problem befassen, »nichts besseres als Neid und Ressentiment« dabei herauskommen könne.

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In der Tat wendet sich gerade jede Opposition an diese Eigenschaften der Menschen, um mit deren Hilfe an die Macht zu kommen. Zugleich versprechen Politiker aller Richtungen, daß sich mit fortgesetztem wirtschaftlichen Wachstum Gleichheit und Gerechtigkeit erreichen lasse. Daß dies eine politische Lüge ist, kann leicht nachgewiesen werden. Da wir es in allen Wachstumsländern mit prozentualen Steigerungen zu tun haben, woraus sich Exponentialkurven ergeben, wächst die Differenz zwischen Armen und Reichen ebenfalls exponentiell.

Der amerikanische Ökonom Samuelson zeigt das in einer Graphik:

 

Die ärmere Hälfte der Bevölkerung konnte steigende Realeinkommen verzeichnen, wie aus der Kurve AA' ersichtlich ist. 

Die Prophezeiung einer Verelendung der Arbeiter bei Punkt Z hat sich als falsch herausgestellt. 

Aber eine utopische Gleichheit, die bei Punkt E erreicht wäre, ist ebensowenig Wirklichkeit geworden

 

Die zunehmende Differenz innerhalb der Völker wiederholt sich im wachsenden Abstand zwischen reichen und armen Völkern. Der Bericht <Global 2000> sagt für die Jahrhundertwende voraus: 

»Die Kluft zwischen den Reichsten und den Ärmsten wird sich vertieft haben. Jeder Maßstab für materiellen Wohlstand, den die Studie zur Verfügung stellt — Pro-Kopf-BSP und Verbrauch von Nahrungsmitteln, Energie und mineralischen Rohstoffen — deutet daraufhin, daß diese Kluft zunehmen wird.«182

Somit führt die materielle Expansion der Wirtschaft nicht einmal auf diesem Gebiet zu mehr Gleichheit, sondern zu einem sich ständig vergrößernden Abstand zwischen Armen und Reichen, der schließlich unerträgliche Formen annimmtDie Radikalisierung des Problems führt dann zu einer Radikalisierung der Gleichheits-Utopien. 

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