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3.10  Die Ausgeburten des Wahns

Unsere menschliche Spezies selbst ist eine "Elitespezies", der die Fülle ihres überlegenen Könnens so zu Kopf gestiegen ist, daß sie sich jetzt am Taumel der Machtentfaltung bis zur  Besinn­ungslosigkeit berauscht.
Der deutsche Biologe Hubert Markl 

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Das Motto zu diesem Kapitel hätte auch schon Oswald Spengler liefern können; denn er schrieb 1931 in 'Der Mensch und die Technik': "Ob es einen Sinn hat oder nicht, das technische Denken will Verwirklichung" [121] und er sprach schon in seinem Hauptwerk [UdA] von einer "Orgie des technischen Denkens".122

Und der Mathematiker Johann von Neumann meinte, daß technische Möglichkeiten für den Menschen unwiderstehlich sind.123 Nicht nur im technischen, im ganzen naturwissen­schaftlichen Bereich einschließlich der Medizin fördert die unüberwindbare Neugier der Forschung die Mißachtung jedes Maßes bis hin zur Sinnlosigkeit.124  [ wikipedia  John_von_Neumann 1903-1957]

Die Köpfe begabter Menschen stecken voller Utopien. Wir beschränken uns hier mehr oder weniger auf die technischen und naturwissenschaftlichen und lassen die ökonomischen und gesellschaftlichen beiseite. 

Heute besteht Anlaß zu betonen, daß Utopien Wunschträume und Hirngespinste sind, die nirgendwo (so die griechische Bedeutung des Wortes) existieren. Denn in den letzten Jahren ist — wie vieler andere Unsinn auch — das Wort "Realutopie" in Umlauf gebracht worden. Dieser Begriff enthält zwei einander entgegen­gesetzte Bestandteile; denn was real sein kann, ist nicht utopisch, und was utopisch ist, kann nicht real sein und auch nicht werden. 

Darum bleiben wir bei dem schönen Wort Idee. Eine Idee kann realisierbar sein und dennoch sinnlos bleiben, sie kann aber auch sinnlos und unrealisierbar zugleich sein. Wir befassen uns hier vorzugsweise mit den Ideen, die sinnlos sind. Das schließt nicht aus, daß manche Leute sie für sinnvoll halten werden. (Dichtung hat ja auch ihren Sinn.) Sinnlose Projekte können durchaus triumphal sein; denn ihre Beurteilung hängt von der jeweiligen Kultur ab.

Für die Ägypter waren die Pyramiden triumphal, für die Franzosen und Deutschen die gotischen Dome. Für die Menschen im gegenwärtigen technischen Zeitalter sind demgemäß die technischen Höchstleistungen triumphal; sie erhöhen ihr Selbstwertgefühl, auch wenn die Mondfähre nur einige Pfund Gestein zurück­bringt.

Aus dem Jahr 1869 wird folgende Unterhaltung aus dem Pariser Restaurant "A Magny" überliefert: Berthelot habe vorausgesagt, daß man nach hundert Jahren der Wissenschaft wissen werde, was das Atom sei, und daß der Mensch in der Lage sein werde, die Sonne nach Belieben zu dämpfen, auszulöschen oder wieder anzuzünden; daß Claude Bernard seinerseits ankündigte, daß man in hundert Jahren der physiologischen Wissenschaft das organische Gesetz verkünden und die Schöpfung des Menschen werde bewerkstelligen können.125 Damit verglichen liegen die vor wenigen Jahren von Robert Prehoda in seinem Buch <Designing the Future> vorausgesagten Triumphe trotz ihrer Phantastik noch weit darunter: 

"Die Raumschiffe werden 1998 [welch präzise Zeitangaben!] mit Lichtgeschwindigkeit fliegen, die auf der Erde erzeugte Energie wird 1994 größer sein als die Sonneneinstrahlung, die Lebenserwartung nähert sich um das Jahr 2000 der Unsterblichkeit ..."126

Die Raumschiffe werden weder 1998 noch jemals mit Lichtgeschwindigkeit fliegen. Die Höhe der Sonnen­ein­strahlung, die auf der Erde ankommt, liegt bei 44 Billionen Kilowatt, während die von Menschen erzeugte zusätzliche Energie 6,6 Milliarden Kilowatt, also 0,015 Prozent der Sonneneinstrahlung, beträgt; doch das ist bereits zuviel, wie die derzeitige Diskussion um die Klima­veränderung beweist. 

Um diese Erwärmung einzudämmen, hatte der Schweizer Ingenieur Walter Seifritz eine Idee. Er schlug vor, einen Sonnenschirm, halb so groß wie die USA, im Weltraum aufzuspannen, der als Satellit 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt stationiert werden sollte. Dazu müßten nach seiner Berechnung 45 Millionen Tonnen Material dorthin befördert werden, wozu die Energie von 30 Atomkraftwerken 20 Jahre lang nötig wäre.127 Einen entgegengesetzten Vorschlag unterbreiteten amerikanische Forscher 1982. Sie wollten riesige Spiegel auf die Erdumlaufbahn bringen, um hier die Städte nachts zu erhellen.128

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Das Wettermachen ist ein beliebtes Spekulationsobjekt der Gegenwart. Doch wenn das technisch machbar werden sollte, würde die Frage auftauchen, wer darüber zu befinden hätte. Da jedes Land das optimale Wetter für sich fordern würde, könnte es zum Beispiel zu einem Krieg um den kostbaren Regen kommen. Bisher galt das Wort "der Herr läßt seine Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte". Damit konnten die "Gerechten" zum Beispiel den "Ungerechten" weder Sonne noch Regen entziehen. Künftig würde dann gelten, wer das Wetter in der Hand hat, der besitzt die Macht über die Welt. Die Wetterforschung in der Sowjetunion gehörte zu den militärischen Geheimnissen. Ein Weiser, wie es Leonardo da Vinci war, hat schon die verheerenden Folgen der Wetterwaffe vorausbeschrieben: Dann hätte der Mensch die Fähigkeit, 

"Gewitter und Sturm zu erzeugen, mit schrecklichen Donnerschlägen und Blitzen, die durch die Finsternis rasen, mit wilden Orkanen, die große Bauwerke umwerfen, Wälder entwurzeln, ganze Armeen zerschlagen und vernichten; schlimmer noch, verheerende Unwetter zu machen und damit dem Landmann die Früchte seiner Arbeit zu rauben... Wahrlich, wer über solch unwiderstehliche Kräfte gebietet, wäre Herr über alle Völker, und keine menschliche Kunst wäre imstande, seiner Zerstörungsgewalt zu trotzen... Was kann es denn geben, das von solch einem Mechaniker nicht vollbracht werden könnte? Nahezu nichts, außer dem Tod zu entrinnen."129

Einige der großen Triumphe erzielte der Mensch in der Medizin. Der Körper wurde immer genauer erforscht und kann heute im wahrsten Sinne des Wortes durchleuchtet werden. Erprobte Mittel gegen alle möglichen Krankheiten, die man zum großen Teil früher gar nicht definieren konnte, stehen zur Verfügung. Der zahlenmäßig größte Erfolg bestand in der Abschaffung der ansteckenden Epidemien, ebenso in der Verringerung der Babysterblichkeit. Diesen zwei Positionen ist es hauptsächlich zu verdanken, daß sich die Lebenserwartung eines Neugeborenen etwa verdoppelt hat. Wer die ersten Lebensjahre überstand und von Seuchen verschont blieb, der hatte auch früher die Chance, ein biblisches Alter zu erreichen. Heute scheint jedoch für die Lebenserwartung die Grenze erreicht zu sein; denn die Verlängerung des Siechtums erweist sich als ein zweifelhafter Gewinn. Außerdem konnte gegen den Krebs trotz jahrzehntelanger Milliarden­ausgaben noch immer kein durchschlagendes Mittel gefunden werden.

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Die ärztlichen Künste erhalten den Menschen das Leben und schaffen damit das Problem ihrer künftigen Unterbringung. (Ihre Versorgung klammern wir zunächst aus.) Dies veranlaßt Ingenieure aller Art, spektakuläre Vorschläge über Aufenthaltsorte der zunehmenden Menschenmassen anzubieten.

Wohnungen unter die Erde zu verlegen, schlug schon vor 20 Jahren unter anderem der holländische Architekt Cornelius Roddersen vor. Da er auf den Energieverbrauch keine Rücksicht nimmt, kann er die unter­irdischen Städte sonnenhell erleuchten und auch die viele Energie für die Unterhöhlung der Erde in Tiefen bis zu 150 Meter unberücksichtigt lassen. Außerdem würden riesige Abraumhalden in die Landschaft gesetzt, deren totes Gestein unfruchtbar wäre. Mit Nahrung von der Oberfläche würde man aber die Bewohner der Unterwelt versorgen müssen. Die gesundheitlichen und psychischen Probleme eines Maulwurf-Lebens sind wohl erst gar nicht untersucht worden, ebensowenig wie die des Lebens unter Wasser.

Für das Wohnen auf dem Wasser unterbreitete wohl der amerikanische Architekt Buckminster Fuller die meisten "konkreten Utopien". Er wollte schwimmende Tetraeder von 3,2 x 3,2 x 3,2 Kilometer bauen, in denen 300.000 Familien mit rund einer Millionen Menschen wohnen könnten. Die in der Welt nach Belieben umherschwimmende Pyramide würde natürlich durch ein darin enthaltenes Kernkraftwerk mit jeder Menge Energie versorgt. Überdies stünden Flugmaschinen für jeweils 10.000 Menschen zur Verfügung, die Fuller als horizontale Empire-State-Buildings bezeichnet, die vertikal starten und überall in der Welt landen könnten, dort werden sie dann "hochkant gestellt". 130)

Auch Fuller sagt wenig über den Energieverbrauch seiner schwimmenden Groß- und fliegenden Kleinstädte. Noch weniger verlautbarte er darüber, welche persönlichen Vorteile die Menschen von einem Leben in solch abgeschlossenen Ameisenhaufen hätten. Weder die Natur des Menschen noch die der Umwelt spielt in diesen Plänen eine Rolle. Darum schlug er auch überdachte Kuppelstädte vor, "um die Arktis und die Antarktis zu bewohnen und dort zugleich die Rohstoffe zu fördern, aber man werde die Kuppeln auch in der Wüste errichten, um "Pflanzenwuchs vor der Sonne zu schützen" [!].131 Über allem werden noch geodätische Kugeln von 800 Metern Durchmesser mit vielen tausend Passagieren als "schwebende Wolken" fliegen und ab und zu "an Berggipfeln vor Anker gehen".132

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Der Clou unter den Utopien Fullers ist eine "kleine 500-Pfund-black-box". Sie enthält sozusagen die gesamte Umwelt, die der Mensch zum Leben braucht. In ihr sind "die umweltbedingten und metabolischen Regener­ations­verhältnisse des Menschen ... zum Zwecke des wirtschaftlichen Raketentransports" in Verpackungsform gebracht. Mit ihr werden die Menschen "bequem im Weltraum leben", ja "überall im Universum — was natürlich auch das Gebiet ›auf der Erde‹ einschließt".133 Die kleine black-box, die der Mensch immer bei sich haben werde, liefert ihm alles: Luft, Wasser, Nahrung und recycliert auch den Abfall, wo immer er im Universum herumfliegen wird.

Die rein körperlichen Bedürfnisse des Menschen spielen bei Fuller keine Rolle, so daß er sich nicht einmal darüber ärgert, daß solche seine Pläne behindern könnten, geschweige seine seelischen Bedürfnisse. Der Mensch ist nur ein funktionelles, beliebig verfügbares Teilchen, wie es sich ein Diktator, aber auch der Sozialismus nur wünschen kann. Fuller interessieren nur "schnellere Techniken, die alle Meere und den ganzen Himmel für den Erfolg und den Genuß (!) des Menschen öffnen werden", womit er dann "weitere Bereiche des Universums für sich in Anspruch zu nehmen" in der Lage ist.134 Ein Ereignis ist geradezu symbolisch für den 1989 gestorbenen Buckminster Fuller. Er hatte für die Weltausstellung 1967 in Montreal den USA-Pavillon in Form einer 18 Meter hohen Kugel für 30 Millionen DM gebaut. Infolge Funkenflugs verglühte 1976 die Außenhaut aus Plastik einschließlich des Aluminiumgerippes in wenigen Minuten, weil er feuergefährliches Material verwendet hatte.

 

Die amerikanische Universität Princeton veröffentlichte 1976 ein "berechnetes" Projekt mit der Überschrift "Umzug ins All — 1988 verlassen die ersten 10.000 Bürger die Erde".135 Kostenpunkt: 10 Millionen Dollar pro Person. Im Jahre 1996 sollten dann schon 150.000 im Weltraum wohnen, im Jahre 2002 eine Million und 2008 schon 10 Millionen. Pro Jahr würden also rund 1,5 Millionen Menschen in den Weltraum geschossen, um dort ihre Wohnungen zu beziehen, während sie von der Erde versorgt werden müßten. Warum versorgt man sie da nicht gleich hier? Warum sollen sie wie Affen in der Schwere­losigkeit herumturnen und sich Knochenerweichung und Gehirnschwund zuziehen?

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Das Raumschiff für eine Million Bewohner soll eine Länge von zehn Kilometern und einen Durchmesser von zwei Kilometern haben. Darin gibt es erstaunlicher­weise Eigenheime mit Gärten; und auch für Flüsse, Berge und Wolken ist noch Platz genug, wo doch für einen Bewohner nur 31.400 Kubikmeter Raum zur Verfügung stehen. Das heißt, wenn er sich bei einer Höhe über seinem Kopf von 30 Metern begnügt, dann verbleibt ihm eine Grundfläche von 30 mal 30 Meter für sein gesamtes Dasein. 1988 residierte bekanntlich noch kein einziger Bürger in der Erdumlaufbahn. 1990 flog erstmalig ein zahlender Passagier in einem sowjetischen Raumschiff mit, aber nicht um dort zu bleiben; der japanische Journalist zahlte dafür 12 Millionen Dollar. Die Materialversorgung der Weltraumstädte sollte weitgehend vom Mond her geschehen, wozu dort erst einmal eine Siedlung errichtet werden müßte. Eine solche wollte Wernher von Braun auch bereits im Jahre 1983 stehen sehen, aber schon zwei Jahre früher wollte er Menschen auf den Mars schicken.

Die ersten Pioniere der Raketentechnik dachten daran, bald weit ins Universum vorzustoßen. Eugen Sänger

"Der Beginn der Raumfahrt ist der gewaltigste historische Vorgang in der halbmillionenjährigen Menschheits­geschichte, den wir als vielleicht zwanzig­tausendste Generation mitzuerleben das unwahrscheinliche Glück haben: Der Aufbruch des Menschen aus der kleinlichen irdischen Enge in die Größe und Weite des Weltraums."136

Gerade Sänger hätte wissen müssen, daß dies nur ein Aufbruch in die absolut lebensfeindliche Leere ergeben könnte; doch er wollte darin eine Möglichkeit sehen, die zunehmende Weltbevölkerung auszusiedeln. Innerhalb der nächsten 150 Jahre sollte dafür die Erforschung der sonnennahen Fixstern­systeme abgeschlossen sein, damit "größere Menschenkontingente auf diese in neuen Lebensraum auswandern können, anstatt durch Geburten­beschränkungen oder Atombomben ausgerottet zu werden".137) 

Geburten müssen also sein! Selbst wenn nachher nichts anderes übrig bleibt, als sie durch Atombomben auszurotten oder in den Weltraum zu schießen! Könnte aber irgendein Planet im Weltraum erobert werden, dann würden sämtliche Ressourcen der Erde nicht ausreichen, daß Projekt zu verwirklichen.

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Die Auswanderung in das Universum betrachtete auch der New Yorker "Futurologe" Herman Kahn dennoch als Ausweg. Er behauptete, über die Zeit nach dem Jahre 2176 besser Bescheid zu wissen als über die bevorstehenden zwei Jahrhunderte. Er sah dann "voll entwickelte postindustrielle Institutionen und Kulturen fast überall auf der Erde. Der Mensch beginnt seine Aufmerksamkeit auf die Schaffung solcher Gesellschaften im ganzen Sonnensystem und eventuell sogar in anderen Sonnensystemen zu richten."138) 

Die "Kolonisation des Sonnensystems" war eine Standardwendung dieses Mannes, die er nicht näher erklärt, von der er aber behauptete, daß sie zu einem "unbegrenzten Lebensraum" führen würde. "Begrünung der Galaxis" lautete ein anderes seiner bombastischen Schlagworte. Immerhin konzedierte er, "daß die große Mehrzahl der Erdbewohner in den nächsten 200 Jahren weiterhin die Erde bewohnen wird".139 Demnach werden es "nur" einige hundert Millionen sein, die ihre Sachen packen müssen.

Aber auch ein viel nüchternerer Wissenschaftler wie der russische Atomphysiker Andrej Sacharow, der die Fusionsbombe entwickelt hatte und später Politiker wurde, geriet ins Schwärmen. Schrieb er doch in seinem 1968 im Westen veröffentlichten Büchlein <Wie ich mir die Zukunft vorstelle>, daß künftig Menschen "auf Asteroiden, deren Bahnen durch Atomexplosionen verändert worden sind, arbeiten und ununterbrochen leben müssen".140

 

Der uns nach der Venus nächstgelegene Planet im eigenen Sonnensystem ist der Mars. Schon zu ihm würde die Hin- und Rückreise zwei Jahre dauern. Ob Menschen diese lange Isolation im schwerelosen Zustand überstehen würden, ist noch nicht absehbar. Bei den sowjetischen Kosmonauten, die 185 Tage im All blieben, kam es zur Knochenerweichung (Kalkverlust), und die kosmische Strahlung führte zu einem geringen Verlust an Gehirnmasse.141 Bisher gibt es auch noch keine Rakete, welche die Schubkraft aufbringt, um ein Raumschiff mit genügend Treibstoff, Nahrung, Atemluft und den nötigen Instrumenten aus der Schwerkraft der Erde zu schießen. Trotzdem planen die Sowjets nach mehreren unbemannten Flügen zwischen 2010 und 2015 einen bemannten Flug, wenn sie nicht näherliegende Sorgen zur freiwilligen Aufgabe zwingen werden. Die Amerikaner haben 1988 errechnet, daß der Besuch auf dem Mars rund 100 Milliarden Dollar kosten würde.142) 

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Der Kongreß kürzte 1990 die Mittel, obwohl Präsident George Bush das Sternenbanner spätestens 2020 auf dem Mars flattern sehen möchte. Inzwischen spricht man von 400 bis 500 Milliarden Dollar, denn es müßte zunächst ein atomarer Raketenantrieb entwickelt werden.143

Ein Flug nach dem erdfernsten Planeten Pluto würde dann schon 200 Jahre benötigen.144 Das heißt, daß erst die Urenkel der gestarteten Raumfahrer zurück­kommen könnten. Man müßte also mindestens zwei Ehepaare auf die Reise schicken und dennoch Inzucht in Kauf nehmen. Ob aber Fortpflanzung unter solchen Bedingungen überhaupt möglich ist, wäre erst zu klären. Wer wird aber eine solche Reise antreten wollen mit der einzig sicheren Aussicht, daß die eigene Leiche früher oder später in den Weltraum "entsorgt" werden würde. Was für eine Erde würden die Rückkehrer 200 Jahre später vorfinden? Da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt.

Der anspruchsvolle menschliche Körper verursacht einige höchst ärgerliche Erschwernisse bei seinen Ausflügen ins Weltall. Darum "wäre der Gipfel des Fortschritts erreicht, wenn es uns gelänge, menschliche Gehirne in einer Lösung schwimmend am Leben zu erhalten, den in diesen Gehirnen vorausgesetzten Subjekten durch elektrische Ströme permanent euphorische Empfindungen zu induzieren und das Leben abzuschalten, sobald sich Anzeichen des Nachlassens der Euphorie zeigen." Soweit der Philosoph Robert Spaemann, der dies keineswegs empfiehlt.145 Ein solches Gehirn könnte man auf eine Jahrhunderte währende Reise schicken.

Doch hier fragen wir schon heftigst nach dem Sinn des Unternehmens: was kann eigentlich damit noch erreicht werden? Hier stoßen wir wieder auf die schon erörterte Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt, die nur dahingehend beantwortet werden konnte, daß das Leben um des Lebens willen existiere — aber sicher nicht um eines Gehirns in der Nährlösung willen. Darum schließt Robert Spaemann: "Wo immer der Fortschritt die durch die natürliche Organisation des Menschen vorgezeichneten Grenzen sprengt, hört er auf, Fortschritt zu sein."

In gleicher Richtung bewegen sich die Versuche, den Computer soweit zu entwickeln, daß er selbständig denkt und handelt. Bei der ersten Konferenz über Künstliche Intelligenz 1989 in Hamburg dachte der amerikanische Journalist Hans Moravec über "fortpflanzungsfähige" Maschinen nach, die als Nachfolger des Menschen dann die "Krone der Schöpfung" bilden würden.146

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Noch viel weiter ging Earl Joseph bei der 6. Generalversammlung der <World Future Society> im Sommer 1989 in Washington. Über diese als "größte intellektuelle Schau der Welt" angekündigte Veranstaltung berichtete Robert Jungk Erstaunliches: 

"Basierend auf den Arbeiten von Eric Drexler und seiner Gruppe am MIT wurde geschildert, wie eine Technik aussehen könnte, die individuelle Atome und Moleküle für die Konstruktion neuer Artefakte mit zielgerichteter Genauigkeit nützt. Auf dieser Stufe soll eine neue Generation von ›Nanomaschinen‹ entstehen, die sogenannten ›assemblers‹, die aus den kleinsten Bausteinen der Materie und des Lebens eigene Schöpfungen zusammenbauen: Mikrocomputer, die hunderttausendmal schneller sein sollen als die heutigen, aber auch ›Bäume, Wale, künstlich zusammengestellte Samen‹. Diese ›Maschinen des Überflusses‹, die als ›planetmending machines‹ angeblich imstande sein sollten, die zerstörte Umwelt wiederherzustellen und als ›engines of healing‹ durch in den Körper eingeführte künstliche ›Bakterien‹ und ›Viren‹ der Medizin ganz neue Perspektiven eröffnen, sind aber auch als ›Maschinen der Zerstörung‹ zu programmieren ›wirkungsvoller als Atomwaffen‹."147

Das heißt nicht mehr und nicht weniger: Menschen werden Maschinen bauen, die eigens neuartige Lebewesen erzeugen können, so wie das Jahwe in der Genesis getan hat. Aber im Unterschied zum Gott der Bibel wird sich der Mensch nicht selber die Finger schmutzig machen; die Arbeit überläßt er der von ihm konstruierten "Schöpfungsmaschine". Es sind Naturwissenschaftler, die solche Wahnideen verkünden! Darum hatte schon Sören Kierkegaard geschrieben, daß alles Verderben von den Natur­wissenschaften kommen werde.  [Kierkegard bei detopia]

Dabei ist zu unterscheiden, von welchen Naturwissenschaften die Entwürfe kommen; ob von den organischen, die sich mit den Lebens­vorgängen auf dieser Erde beschäftigen, oder von den mechanischen, die unsere technische Superzivilisation errichtet haben.148 Wenn man deren Verfechter wie Fuller, Kahn, Sänger, McLuhan und Clark hört, dann muß es zu einem Seitenwechsel gekommen sein. Clark: "Mögen die Spießer auf der gemütlichen Erde bleiben, der wahre Genius wird nur im Weltraum gedeihen — im Reich der Maschine, nicht im Reich von Fleisch und Blut."149

Das sind romantische Verklärungen, dem Reiche der Phantasie entsprungen, welches eigentlich die Domäne der Dichter ist. Aber diese sehen heute die Welt nüchterner, obwohl manchmal sie wie Ernst Jünger eingestehen: "Dennoch bemächtigen sich unser zuweilen üppige Vorstellungen, etwa derart, daß wir mit unseren Maschinen das Universum zu melken imstande seien."150

Es ist die Hybris, mit der "sich der Mensch selbst zum Gott gemacht hat, da er inzwischen die technischen Fähigkeiten zu einer ›zweiten Erschaffung‹ der Welt besitzt, die an die Stelle der ersten Schöpfung des Gottes der traditionellen Religion getreten ist ... Wir haben die Maschine zur Gottheit erhoben und werden selbst Gott gleich, indem wir sie bedienen." - Doch: "Wir sind nicht länger Herren der Technik, sondern werden zu ihren Sklaven — und die Technik, einst ein wichtiges schöpferisches Element, zeigt uns ihr anderes Gesicht als Göttin der Zerstörung."151

Es ist zu fragen, worin sich eigentlich diese technischen Allmachts­phantasien von den Mythen der frühesten Kulturvölker unterscheiden. Auch jene bewiesen schon die Fähigkeit, sich mit Göttern bevölkerte Himmels­welten auszumalen. Die Menschen wollten offensichtlich zu allen Zeiten utopische Vorstellungen haben, um sich im Glauben daran zu erheben. Wird ihnen eine Utopie genommen, so entwickeln sie sofort eine neue. So werden selbst die Hirngespinste von der im Universum herumfliegenden, besser herum­geisternden Menschheit gläubig angenommen. 

Ob als Religionsersatz oder nicht, solche Allmachts­phantasien entsprechen offensichtlich den metaphysischen Bedürfnissen des Menschen. Er bildet sich immerzu — seit er das Stadium der Tiere hinter sich gelassen hat — Wahnvorstellungen (ohne jeden abwertenden Beiklang sei das Wort hier verwendet). Es gibt auch den "Wahn, der glücklich macht", sagt Nietzsche, und der "ist verderblicher als der, welcher direkt schlimme Folgen hat".152

Nietzsche bezeichnet den Menschen wiederholt als "das wahnsinnig gewordene Tier".153 Einiger Menschen Machbarkeitswahn will letzte Triumphe feiern, selbst künstliche Wesen schaffen, die dem Menschen an Intelligenz überlegen sind. Sie sollen also verständiger sein als ihr Schöpfer!

Ist das vielleicht die logische Folge des Wahns, daß sich der Mensch inzwischen auch für klüger hält, als es irgendein Schöpfer gewesen sein mag?

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Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992