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  Teil 6     Das zwangsläufige Ende 

6.1   Unaufhaltsam rollt die Maschinerie

Die Menschheit ist zu weit vorwärts gegangen, um noch umkehren,
und sie bewegt sich zu rasch, um anhalten zu können.  Der britische
Staatsmann Winston Churchill (1932) 

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Alle Völker der Erde befinden sich weiter auf dem Wachstumstrip. Die unterentwickelten fallen in dem Wett­rennen zwar immer weiter zurück, aber sie laufen auch, während die entwickelten davonziehen. Es ist ein Wettrennen zwischen Sprintern und Schild­kröten.

Die Kurven in Abbildung 4 entlarven auch gelegentliche Heucheleien der Industrienationen, ihre Wirtschaft müßte zugunsten der Entwicklungsländer wachsen. Ziel des EG-Binnenmarktes ist ein Wachstums­wett­rennen mit den USA, das laut Prognos-Institut die EG mit +34 Prozent vor den USA mit +30 Prozent bis zum Jahr 2000 gewinnt, während Japan mit +53 Prozent alle über­flügelt! Die weitere Zukunft und die Umwelt inter­essieren nicht!

Eigenartigerweise reichen gerade den höchstentwickelten Völkern ihre Reichtümer nie! Ihre Staatshaushalte weisen die höchsten Verschuldungen auf: In Deutschland überstiegen sie 1990 bei Bund, Ländern und Gemeinden eine Billion DM, in Japan liegen sie entsprechend hoch. In den USA beträgt allein die Bundes­schuld 350 Milliarden Dollar. Sämtliche Entwicklungsländer tragen einen Schuldenberg von 1,3 Billionen Dollar. Die Rüstungs­ausgaben beanspruchen zwar einen hohen Anteil, aber die Haupt­ursache liegt in den nie zu stillenden Forderungen nach immer noch höherem Wohlstand seitens der Einwohner dieser Länder. Viele Bereiche dieses Wohlstandes werden durch die Staatshaushalte finanziert und subventioniert.1

Kostendeckende Fahrpreise müßten bei sämt­lichen Verkehrsmitteln weit höher liegen. Und wollte man die Umwelt­schäden einbeziehen, dann müßte jede Fahrt das Vielfache des jetzigen Preises kosten. Überall wird die Energie billig angeboten, weil sie als Antriebsmotor für weitere Steig­erungen wirken soll. Allein schon ihre Verschuldung zwingt die Staaten zu einer Politik des "wirtschaftlichen Wachstums", weil sie höhere Steuer­einnahmen für die Zinsen und zur Abzahlung der Schulden brauchen. 

Doch diese Politik ist längst unökonomisch geworden, denn der Grenznutzen wird immer geringer und der Nutzen für die Menschen sinkt noch rapider. Eben darum, weil sich der Nutzen nicht mehr "auszahlt", muß der Staat immer mehr zuschießen. So "lohnt" es sich nicht mehr, in Europa Nahrungsmittel zu produzieren! Ist das nicht Wahnsinn? Der Grund: Die Menschen wollen nicht einmal für das Lebenswichtigste den Preis zahlen, der die Kosten deckt, weil sie ihr Geld lieber für Unwichtiges ausgeben. Die deutsche Durchschnittsfamilie gab 1960 noch 45% ihres Einkommens für die Ernährung aus, 1970 waren es 35%, 1982 schließlich 27% und 1990 nur noch 24%. (1927 waren es 52 Prozent.)

Das ist sogar schon ein Problem der Entwicklungsländer geworden; denn auch dort erhalten die Bauern keinen angemessenen Preis, der sie veranlassen könnte, ihren Anbau zu erhöhen. Und die Vereinigten Staaten unterbieten die Preise, weil sie mit ökologisch schändlichen Methoden produzieren und überdies noch die Preise subventionieren. Und durch die völlige Freigabe des Handels (GATT) wollen sie die Europäer zwingen, ihre eigene Landwirtschaft dem Ruin auszuliefern!

Die Behandlung der Landwirtschaft in fast allen Ländern der Welt ist allein schon Selbstmord­politik! Welches Tier würde nicht zu allererst an seine Nahrung denken? Aber die Lebens­grundlagen interessieren offenbar nicht! 

Alles Interesse gehört neuen technischen Spitzenleistungen, die ebenfalls mit Milliarden aus den Staatshaushalten hochgepäppelt werden. In der Bundes­republik Deutschland wurden die Forschungs­ausgaben alle zehn Jahre verdoppelt und betrugen 1989 nach Schätzungen des Batelle-Instituts seitens Staat und Wirtschaft 61 Milliarden DM.2 Diese Hochtechnologien sollen Arbeitsplätze schaffen, haben aber gerade die hervorstechende Eigenschaft, den Menschen vollends überflüssig zu machen.

 

 

Abb. 4 
Entwicklung des realen Bruttosozialprodukts
Hauptquelle: World Economic Outlook.

 

Dargestellt ist die Entwicklung in den drei Haupt-Wirtschaftsblöcken von 1965-1990.

Darin ist die Gesamtleistung der Wirtschaft zugrunde gelegt,
nicht das Durchschnittseinkommen pro Kopf.

Dieses hängt von der jeweiligen Bevölkerungs­zunahme ab. 

Da sich die Kopfzahl in den Entwicklungsländern fast verdoppelte,

konnte ihnen das nahezu verdreifachte wirtschaftliche Ergebnis nur einen
durchschnittlichen Zuwachs von 50 % bringen, was für viele Völker eine Verminderung bedeutet. 

Der ohnehin riesige Abstand zwischen den Entwicklungsländern und den Industrieländern
hat sich in den vergangenen 25 Jahren mehr als verdoppelt.

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Im III. Teil dieses Buches wurde geschildert, welch gewaltige Ausdehnung solche Tätigkeiten des Menschen gefunden haben, die zum bloßen Leben nicht nötig sind. In den entsprechenden Berufen arbeiten in den hoch­industrialisierten Ländern der OECD um die 90 Prozent aller Beschäftigten, also auch der Wähler. 

Noch schwerer fällt ins Gewicht, daß hier die entscheidenden Gruppen der Bevölkerung versammelt sind.

Dazu gehören die Techniker und die Naturwissenschaftler, die, in den Hochschulen ohnehin vom Staat finanziert, die wissenschaftlich-technische Entwicklung vorantreiben. Ihr Ehrgeiz und ihre Befriedigung ist mit den Erfolgen ihrer gewiß hochqualifizierten Arbeit verknüpft. Deren fast immer zweischneidige Ergebnisse haben wir besprochen. Vor allem die verheerenden Folgen bis hin zu den Atomwaffen sind offenkundig. Darum gab es schon radikale Vorschläge, der Mensch solle die naturwissenschaftliche Forschung einstellen. 

Einen entsprechenden Vorstoß unternahm zum Beispiel der Professor für Zell-Biologie an der New Yorker Rockefeller-Universität, Philip Siekevitz, 1970 bei der Jahrestagung der amerikanischen Biophysikalischen Gesellschaft: "Heute sind die Wissenschaftler obenauf; Forschung und Technik setzen die Ziele, und die übrige Welt gehorcht. Können die Wissenschaftler unter diesen Umständen auf ihrer Nicht-Verantwortlichkeit beharren?" Seine Antwort: "Die wissenschaftliche Forschung muß vorerst aufhören."3 Doch gültig bleibt weltweit, was der britische Maschinen­bauer Dennis Gabor so formulierte: "Wir können mit dem Erfinden nicht aufhören, denn wir sitzen nun einmal auf einem Tiger."4

Ich bin wiederholt dafür eingetreten, die Wissenschaften unbehindert forschen zu lassen, jedoch ihre Ergebnisse vor der Anwendung einer gründlichen Prüfung bezüglich der Folgen zu unterwerfen. Das wäre praktisch möglich, da jede Aufnahme einer Produktion so viel Aufwand erfordert, daß sie im Geheimen kaum erfolgen kann, die Gentechnologie ausgenommen. Doch wer soll die Prüfung vornehmen? Das heißt, wo bekommt man erstens völlig unabhängige Prüfer her, und woher sollen die zweitens ihre Maßstäbe für Zulassung oder Ablehnung nehmen oder wer soll ihnen die Maßstäbe geben? Und drittens wird die Sachlage selten eindeutig sein. Denn irgendwelche Nachteile für das Ökosystem birgt jedes Projekt — umgekehrt in den Augen der Menschen auch einige Vorteile.

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Um also die Umwelt hundertprozentig zu schützen, dürfte kein Projekt mehr zugelassen werden. Wenn aber von vornherein keines zugelassen würde, erübrigte sich die Überprüfung aller. In den USA wurde im Jahre 1972 ein Office of Technology Assessment eingerichtet, das die Folgen neuer Techniken abschätzen soll. Man hat nicht gehört, daß sich seitdem bei der Realisierung technischer Vorhaben etwas geändert hätte. 

In Bonn forderte in den siebziger Jahren die damalige Opposition die Einrichtung einer entsprechenden Institution; doch erst im August 1990 begann ein solcher Ausschuß mit der Arbeit. All diese guten Absichten scheitern an vielerlei Schwierigkeiten und letztlich daran, daß es nie zu einem gemeinsamen Vorgehen aller Länder kommen wird. Carl Friedrich von Weizsäcker sagte sehr deutlich: "Verzicht auf die fortschreitende Technik ist, auch wo er heilsam wäre, in einer unerleuchteten Menschheit wie der heutigen politisch und ökonomisch nicht durchsetzbar."5 Aber wann war die Menschheit jemals "erleuchtet"?

 

Die Naturwissenschaftler und Techniker werden auch künftig ihre Projekte stets durchsetzen, denn sie haben einen mächtigen Verbündeten, die Unternehmer. Sobald sich diese einen Gewinn versprechen, werden sie jede Neuheit aufgreifen — ohne Rücksicht auf die Folgen. "Wenn es der Produktion nutzt, muß ein Unternehmer die Umwelt verschmutzen, soweit es ihm gesetzlich erlaubt ist. Das ist nicht nur sein Recht, sondern auch seine Pflicht, Besitzern und Belegschaft gegenüber. Tut er es nicht, schadet er dem Werk, hilft er der Konkurrenz, soll er als Unternehmer abtreten und Pfarrer oder Juso werden."6  

Man sieht, wir leben in einem Rechtsstaat, in dem die restlose Ausschöpfung aller Rechte sogar Pflicht ist. Recht behielt Oswald Spengler

"Die privaten Mächte der Wirtschaft wollen freie Bahn für ihre Eroberung großer Vermögen. Keine Gesetzgebung soll ihnen im Wege stehen. Sie wollen die Gesetze machen, in ihrem Interesse, und sie bedienen sich dazu ihres selbstgeschaffenen Werkzeugs, der Demokratie, der bezahlten Partei."7

In der Tat, vor dieser kapitalkräftigsten und damit mächtigsten Gruppe unserer technischen Zivilisation gehen auch Regierungen in die Knie. Das festzustellen, bedeutet noch keine Kapitalismuskritik; denn wodurch sind denn die Unternehmungen so mächtig geworden? Durch die Konsumenten, die ihnen noch jeden Tand abgekauft haben.

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Da sagen dann die Linken: Der arme Konsument werde manipuliert, gegängelt, ja unmündig gehalten. Aber zum Teufel, wenn er so unmündig ist, wieso hat er dann das Recht, bei jeder Wahl seine unmündige Stimme in die Waagschale zu werfen? Das tut er, und — um die Ironie voll zu machen — er gibt dabei in "überwältigender Mehrheit" den Parteien die Stimme, die ihm einen noch höheren Konsumrausch versprechen!

Aber das ist noch nicht alles. 

Um bei der Verteilung des immer größer werdenden Kuchens nicht zu kurz zu kommen, haben sich die Arbeitnehmer in Gewerkschaften zusammen­geschlossen. Bei den alljährlichen Lohnkämpfen eilen ihre Forderungen oft der Entwicklung voraus, was wiederum die Arbeitgeber veranlaßt, durch höhere Produktionen mit größerem Energie- und Maschineneinsatz die Gewinnlücke zu schließen.* Auch darin kann man eine Fortsetzung der Evolution und des Kampfes um das Dasein auf der Erde mit technischen Mitteln sehen. Auch das ist ein Kreislaufsystem, welches eskaliert. Bei dieser neuen Art von Wettbewerb möchten alle gewinnen.

Arbeitsplätze schaffen lautet das Dauerthema unserer Zeit. Das Verlangen nach Arbeitsplätzen wird jedoch infolge der Massen von Geburten immer unerfüllbarer. Jährlich 100 Millionen Geburten über die Sterberate hinaus bedeuten 20 Jahre später Jahr für Jahr etwa 50 Millionen Arbeitssuchende mehr, selbst wenn wir nur von einem arbeitswilligen Ehepartner ausgehen. Es müßten also innerhalb von jeweils zehn Jahren 500 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich geschaffen werden. Selbstredend möglichst "moderne" Arbeitsplätze, das heißt mit hohem Energie- und Rohstoffverbrauch. Der Bedarf an Arbeitsplätzen muß heute dafür herhalten, um die Begründung für den totalen Krieg zu liefern, den die Menschen gegen die Natur führen. Doch der Versuch, für eine Erdbevölkerung Arbeit zu schaffen, die sich in weniger als 100 Jahren zweimal verdoppelt, ist aussichtslos. Dennoch rufen Regierungen, Parteien und Interessen­verbände die Völker auf, ihre Anstreng­ungen zu erhöhen!

Als die Welt im 19. Jahrhundert industrialisiert wurde, waren Arbeitskräfte gesucht. Einige 100 Millionen ließen sich damals leicht unterbringen. Als dann das Industrie­zeitalter im 20. Jahrhundert auf vollen Touren lief, entdeckte man, daß auch Konsumenten nötig seien. 

*detopia-2013: Solche Sätze ärgern die Öko-Linken wie Jutta Dit., Bergmann, usw. -- Überhaupt ist das Anti-Gruhl und Anti-Bahro auch heilsam für unsereinen, weil klar wird, wie weit der Mainstream von der Wahrheit sich entfernt.

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Und diese beiden Komponenten schaukeln sich seitdem immer noch gegenseitig höher. Allein schon die Menschen­massen verändern die Erde nicht mehr nur quantitativ, sondern auch qualitativ in Richtung Entropie. Und man weiß schon jetzt nicht mehr, wo man die Menschen unterbringen soll, nicht nur in bezug auf Arbeit, ebenso auf Wohnungen und schlicht und einfach wo überhaupt auf der Landkarte. 

Das einzige, was man zur Zeit noch einigermaßen schafft, ist, sie zu füttern. Aber ein Lebewesen ohne eigene Betätigung jahraus, jahrein nur zu füttern, bedeutet, es der physischen und psychischen Degeneration auszuliefern. Wahrscheinlich werden diese Massen in revolutionäre Aktionen ausbrechen. Da wird Nietzsche mit seinem lapidaren Schlußsatz <Zur Genealogie der Moral> recht bekommen: "lieber will noch der Mensch das Nichts wollen, als nicht wollen." 8) 

Nun ist aber der Planet längst voll bestückt mit naturschädlichen Projekten. Schon ihr weiterer Betrieb genügt, um die Natur in spätestens 100 Jahren vollends zu zerstören. Erich Fromm prophezeite 1976, "daß es innerhalb von weniger als hundert Jahren zu einer Katastrophe kommen wird, wenn wir nicht aufhören, die Naturschätze der Erde zu verschwenden und die ökologischen Grundlagen für das Überleben des Menschen zu zerstören."9)  

Ich selbst schrieb im Jahre 1984: 

"Um <Arbeit zu schaffen> stellt man unter anderem Waffen her und exportiert sie. Gewerkschaften fordern das sogar, denn damit werden Arbeits­plätze <gesichert>. Werden die Waffen eingesetzt, dann kommt nicht nur deren Produktion erst richtig in Schwung (der II. Weltkrieg brachte die letzte Epoche ohne Arbeitslosigkeit), dann müssen auch zerstörte Länder wieder aufgebaut werden. Der Wechsel von Zerstörung und Aufbau würde offensichtlich für Vollbeschäftigung sorgen ..."10

Aber nicht nur die Arbeitskräfte, welche Waffen produzieren, arbeiten für den Krieg, auch die übrigen Beschäftigten der technischen Zivilisationen bedienen einen riesigen Kriegsschauplatz, der sich über den ganzen Planeten ausgedehnt hat; denn allüberall wird der Krieg des Menschen gegen die Natur geführt. Die Infanteristen dieses Krieges waren im 19. Jahrhundert die Proletarier, da sie die Dreckarbeit an der Front leisteten. In unserem Jahrhundert sind sie jedoch mit immer besseren und wirksameren Waffen ausgestattet worden. 

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Damit wurde ihre Arbeit sauberer, weniger anstrengend, und die Verdienste stiegen. Der Bagger ersetzte die Schaufel — die Motorsäge die Handsäge — der Preßlufthammer die Hacke — der Kran den Lastenträger — der Traktor das Pferd — der Mähdrescher die Sense und eine Fülle von weiteren Handarbeiten auf einen Schlag — die Melkmaschine den Melker.

 

Um die genannten Maschinen und unzählige weitere zu erfinden, zu erproben, zu verbessern, instand zu halten, sind ganze Armeen von Wissenschaftlern und Technikern rastlos tätig. Und hier herrscht wie im Krieg zwischen den streitenden Parteien ein Wettkampf um die bessere Technik. Und noch größere Armeen befinden sich im Einsatz, um all diese Maschinen und ihre Erzeugnisse zu transportieren, zu lagern, zu verwalten, darüber Buch zu führen, die Abläufe zu kontrollieren und die Nachrichten­netze aufzubauen. Sie alle bringen eigentlich nichts Produktives zustande, und dennoch braucht man sie und bezahlt sie gut. Ihr "hoher Lebensstandard" hängt vom reibungslosen Funktionieren des ganzen Räderwerks ab, sie sind ihm damit ausgeliefert. 

Zum Urzustand zurückzukehren ist unmöglich. Aber gerade das beweist,

"daß das Unglück schon geschehen ist, daß unsere Knechtschaft in allem Ernst begonnen hat, daß wir ein Geschlecht von Wesen [Maschinen] aufgezogen haben, das zu vernichten nicht mehr in unserer Macht liegt, und daß wir nicht nur versklavt sind, sondern uns auch gänzlich mit unserer Sklaverei abgefunden haben."

Das schrieb der Satiriker Samuel Butler, Verfasser von <Gullivers Reisen>, schon 1853.11  Genau einhundert Jahre später mußte Alfred Weber feststellen: 

"Die Maschinerie, die wir in unserem heutigen Daseinsgehäuse verwenden, bildet sich eben nach eigenen Gesetzen unaufhörlich weiter, die auf dem von uns nicht lenkbaren und nicht hemmbaren wissenschaftlichen Fortschritt ruhen ... Seine Weiterbildung legt, generell gesehen, nicht mehr in unseren Händen; eine Umkehr oder ein Heraus ist ausgeschlossen, solange die Wissenschaft eigenevolutiv weiterarbeitet wie jetzt."12

Demgemäß haben 1955 schon 18 Nobelpreisträger ihre Ratlosigkeit hinsichtlich der Folgen der Wissenschaft eingestanden und sich in die blinde Hoffnung geflüchtet, daß die Nationen freiwillig auf den Einsatz der Atombomben verzichten würden, die sie ihnen zuvor entwickelt hatten. 

Die bittere Wahrheit am Ende des Jahrhunderts ist aber die, daß immer mehr Länder nach der Atombombe streben, darunter solche, die von bedenkenlosen Gewalt­herrschern regiert werden. Darum schloß der Philosoph Karl Löwith: "Eine unheimliche Koinzidenz von Fatalismus und Fortschritts­wille kennzeichnet jetzt alles Denken über den Fortgang der Geschichte. Der Fortschritt ist nun über uns verhängt, er ist zum Verhängnis geworden."13

Das Ganze ging von den christlichen Völkern dieses Planeten aus. Sie haben allen anderen Völkern damit ihre völlig neue Lebensgestaltung aufgezwungen, geraten aber nun damit selbst in die Krise. Das erkannte der französ­ische Schriftsteller und Politiker Alexis de Tocqueville schon vor anderthalb Jahrhunderten. "Die christlichen Völker scheinen mir heute", so schrieb er,

"ein erschreckendes Schauspiel zu bieten; die Bewegung, die sie davonträgt, ist schon zu stark, als daß man sie aufhalten könnte; doch sie ist noch nicht so reißend, daß man darüber verzweifeln müßte, sie zu lenken: Die christlichen Völker halten ihr Schicksal in ihren Händen, aber bald wird es ihnen entgleiten... Aber daran denken wir kaum. Von einem rasch fließenden Strom dahingetrieben, heften wir den Blick hartnäckig auf einige Trümmer, die man noch am Ufer wahrnimmt, während die Strömung uns mit sich führt und rücklings dem Abgrund zuträgt."(14)

Die Bewegung war seinerzeit längst nicht so reißend wie heute, doch lenkbar war sie nie! Heute gleicht die Menschheit einem mächtigen Stau loser Stämme auf einem breiten Strom, kurz vor dem senkrechten Absturz. Noch geht es träge dahin, kurz vor dem Abgrund scheint der Strom noch zu zögern, die Stämme werden auch von schroffen Klippen noch einige Momente aufgehalten, um dann plötzlich in die Tiefe zu donnern.

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  Himmelfahrt ins Nichts von Herbert Gruhl 1992