Stigma deutsch
2000 im Haag+Herchen-Verlag 101 Seiten Widmung: Für die vielen Unbekannten, die sich um die Wiedervereinigung Deutschlands verdient gemacht haben
Mit "Stigma deutsch" hat nicht nur ein junger Wissenschaftler zur Feder gegriffen, sondern auch ein Landsmann, der sich um die Zukunft seines Landes sorgt. Die Bewältigung einer beschädigten nationalen Identität ist ihm die Voraussetzung, um die Zukunft Deutschlands besser bewältigen zu können. -- »Wir Deutschen gelten ja zu Recht als Meister der Exaltation — entweder zu stolz oder zu demütig!« (Gerd Albrecht, Leiter des Jungen Forums beim Deutschen Pavillon auf der Expo 2000)
Rezension Stigma deutsch Google.Buch
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detopia
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Inhalt
Vorwort (11)
Drucknachweise (98) Namenverzeichnis (100)
Identitäten Anno 1997 (17)
Linke Lebenslügen: Über das geistige Klima: Kostproben aus dem Alltag des Jahres 1999 (19)
Dialektik der Vergangenheitsbewältigung Zeugnisse aus dem Alltag des Jahres 2000 (23)
2. Aus der Personalienwelt (27)
Juhnke for President: Zur Autobiographie des Schauspielers (29)
»Wo ist der Rechtsruck?«: Zu den Gesprächen mit Martin Walser (36)
Frischer Wind: Georg Simmel und die Entstehung eines neuen geistigen Klimas (41)
Der Philosoph und die Politik: Über Martin Heidegger (45)
Angst-Blockaden durchbrechen: Zum 60. Todestag von Sigmund Freud (49)
»Auf Denkmäler verzichten«: Über Günther Anders' Beitrag zur Mahnmal-Debatte (52)
Vater der Kollektivschuldthese: Zum 125. Geburtstag von C. G. Jung (55)
3. Aus der Gutenberggalaxis (59)
Opferkult: Zur politisch-religösen Bewältigung eines deutschen Traumas (61)
Lebenswirklichkeit und Geistesgeschichte: Zur Tagungsdokumentation Grenzen-los? (65)
Abschied von unseren Lebenslügen: Über Arnulf Barings Bucherfolg (68)
Zaungäste und Kinder: Postachtundsechziger melden sich zu Wort (71)
Die Abtreibung Deutschlands: Zur Brisanz der demographischen Entwicklung (76)
Antideutsch: Eine Realsatire (80)
Mit Tabus agitieren: Über Selbstgerechtigkeit in politischen Auseinandersetzungen (82)
4. Summa Summarum (85)
Stigma deutsch: Zur Bewältigung einer beschädigten Identität (87)
Vorwort (2000)
11
Wer mit offenen Augen durchs Leben läuft, kann nicht selten die Schrift an der Wand lesen, welche <Deutschland verrecke> lautet. Dabei sollte Deutschland doch leben! Oder hat irgend jemand etwas von einem verreckenden Deutschland?
Die besagte Schrift an der Wand ist sicher nur die verbale Spitze eines Eisberges. Darunter verbirgt sich bis in unscheinbare Tiefen hinein das Gefühl, deutsch sei als Schande zu empfinden. In diesem Sinne meint der vorliegende Titel <Stigma deutsch> eine Etikettierung der Deutschen, die sie als böse Menschen ausweist. Die Zuschreibung geht vor allem von Deutschen selbst aus. Aber auch langjährig hier lebende Ausländer haben sich dieser Wertung bemächtigt, weshalb allein schon man ihnen den deutschen Doppelpaß verleihen sollte.
Wie auch immer: Gut ist, wer genug mahnt und die richtige Gesinnung bekundet. Böse ist, wer nicht mitspielt und es wagt, selber zu denken. Ja, der gute Mensch denkt nicht, sondern wittert nur noch: freundlich oder feindlich, gut oder böse. Und am liebsten würde er all das, was er derart aufspürt, auch noch mit einem entsprechenden Etikett, also einem Stigma versehen.
Der Buchtitel Stigma deutsch kommt jenem von Erving Goffman, welcher schlicht Stigma lautet, sehr nahe. Dies ist kein Zufall. Vielmehr stellt Goffman selbst fest, daß neben körperlichen und geistigen »Defekten« auch die Zugehörigkeit zu einer Nation als Stigma gelten kann. Die »Normalen« verhalten sich dann so, als ob stigmatisierte Personen nicht ganz menschlich seien. Die Angehörigen der deutschen Nation — nicht ganz menschlich? Bewußt oder unbewußt werden die Stigmatisierten einer Vielzahl von Diskriminierungen ausgesetzt. Die Deutschen — diskriminiert? Diskriminierte werden in ihren Lebenschancen beeinträchtigt und scheitern. Scheitert Deutschland?
<Stigma deutsch> ist ein Titel, der die Früchte zur Beantwortung der eben aufgeworfenen Fragen versammelt, welche ich als Vagabund durch den Zeitgeist in Deutschland habe von den Bäumen pflücken können. Also eher wie ein Tourist denn ein Systematiker betrachte ich mit den unabhängig voneinander entstandenen Texten die deutsche Seelen- und Geisteslandschaft und bestaune all die vielen Augenfälligkeiten.
Aber nicht nur als Tourist laufe ich durch die Geisteslandschaft von Deutschland und seiner eigentümlichen Alltagswelt, Personalienwelt und den dazugehörigen Druckerzeugnissen, sondern auch als Landsmann. Als solcher habe ich, was der Untertitel anzeigen möge, ein Interesse an der Bewältigung einer beschädigten nationalen Identität, welche in die Zeit von 1933 bis 1945 zurückweist. Dabei nutze ich wissenschaftliche Sachlichkeit leidenschaftlich als Methode des Denkens und der Hilfe zur Klarheit.
Am Ende steht die Entstehung eines neuen geistigen Klimas am Horizont. Das war auch der erste geplante Titel dieser Textsammlung. Wenig später wurde daraus, mit einem Fragezeichen versehen: Die Entstehung eines neuen geistigen Klimas? Auch wenn keine dieser beiden Titelvarianten nun zum Zuge kam, so waren sie doch nicht ohne Grund von mir erwogen worden. Gegen Ende des Jahres 1998 war die Walser-Bubis-Kontroverse an ihrem Höhepunkt angelangt und machte Hoffnung, Bewegung in alte Denkgewohnheiten zu bringen. Doch je mehr die Zeit fortschritt, desto mehr kamen mir auch wieder Zweifel, ob die Hoffnung berechtigt war. Der konformistische Druck der Tugendwächter ist in Deutschland beträchtlich.
Diese hoffnungsvolle Aufbruchstimmung einerseits und die Desillusionierung andererseits trennt und bezieht einzelne Texte aufeinander. Frohlockte ich beim Verfassen des Aufsatzes Zaungäste und Kinder noch mit Norbert Bolz, daß mit dem Spielzeug Computer die geistigen Verknotungen eines wissenschaftlichen Sozialismus der 68er-Bewegung selbst zum Spielzeug degradiert werden, so ging mir später in der Alltagsbeobachtung auf, daß Linke Lebenslügen nur besonders kinderleicht zu konsumieren dargeboten und auch ausgelebt werden. Wolfgang Schüssel aus dem benachbarten Österreich trifft jedenfalls den Nagel auf den Kopf, wenn er im Februar 2000 die Altlinken, 68er und die Internet-Generation in einem Atemzug erwähnt, weil sie sich in Wien gemeinsam gegen eine nicht politisch links gesinnte Regierung ordentlich austoben.
Bleiben wir beim Austoben, so gehen die entsprechenden Wutanfälle mit einem inflationären Hinweis auf die NS-Vergangenheit einher. Doch wenn jeder und alles leichtfertig mit der Hitlerdiktatur in Verbindung gebracht wird, dann heißt das logischerweise, daß Hitler so schlimm nicht gewesen sein konnte. Denn die, die dieses Stigma angeheftet bekommen, sind doch eigentlich gar keine so schlechten Menschen, haben niemanden beleidigt oder gar körperlich verletzt. So schlägt die moralische Erhabenheit selbst in das Gegenteil des gut Gemeinten um. Man könnte sich genüßlich zurücklehnen, würde dieser Zirkus nicht in bitteren Ernst umschlagen. So aber habe ich mich dann doch immer wieder genötigt gesehen, zur Feder zu greifen beziehungsweise auf die Tastatur zu hämmern.
Was hier vorliegt, kann in der Summe all meiner Eindrücke und Überlegungen aus der Begehung der deutschen Seelen- und Geisteslandschaft nur darauf hinauslaufen: daß wir ein gesundes Nationalbewußtsein brauchen, wenn Deutschland selbst kein identitätsgestörter Patient bleiben, sondern blühen und gedeihen soll. Hierzu gilt es, die Polarität aus einem hitzköpfigen Nationalismus einerseits und der latenten bis militanten Ablehnung aller deutsch-nationalen Gefühle andererseits zu durchbrechen.
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