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12. «Morgen, morgen, nur nicht heute!»

Heinz Haber 1973

 

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In den vorangegangenen Kapiteln haben wir Probleme in der Naturgeschichte unseres Planeten und unserer Selbst besprochen, die im Laufe der nächsten 100 Jahre zu schweren Menschheitssorgen heran­wachsen werden. Es liegt auf der Hand, daß diese Probleme gelöst werden müssen, wenn die Menschheit nicht im Chaos versinken will. Diese Probleme müssen mit all unserem Wissen heute, und nicht erst morgen angepackt werden. Viele von uns, vor allem unsere kurzlebigen und daher beruflich myopischen* Regierungen, sagen gerade das Gegenteil: Morgen, morgen, nur nicht heute.  * (d-2010:)  Kurzsichtigkeit

Im letzten Kapitel nun wollen wir unsere ohnehin schon gewagte Vorausschau um eine Größenordnung erweitern und nach den nächsten 1000 Jahren fragen. Es zeigt sich nämlich, daß wir mit unserem Tun und Lassen heute schon für das Schicksal unserer Gattung auch im nächsten Jahrtausend eine ziemliche Verantwortung tragen. 

Wenn wir die Probleme treiben lassen, werden unsere Nachfahren in unserer Generation keineswegs die gloriosen Begründer des wissen­schaftlichen Fortschritts und die Architekten einer himmelstürmenden Technik erblicken — eine Rolle, in der wir uns vielfach gefallen; in ihren Augen sind wir dann vielmehr verantwortungslose Schänder eines Planeten, auf dem sie selbst einst leben müssen. 

Wir haben ja gesehen, wie wir mit unserer Technik und Wissenschaft das Gleichgewicht auf unserem Planeten bereits ins Wanken gebracht haben. Es sollten daher auch Techniker und Wissenschaftler heute auf Entscheidungen für Maßnahmen dringen, die von den Generationen nach uns oder besser von uns selbst noch unmittelbar ergriffen werden müssen.

Wie zuvor kommen mir auch bei diesem Thema einige persönliche Erinnerungen. 

Zu meinen größten Eindrücken als Wissenschaftler zählt hierbei der klassische Prozeß gegen den amerikanischen Atomphysiker Robert Oppenheimer, der am 12. April 1954 begann und etwa drei Wochen dauerte. Wenn der Ausdruck Prozeß gebraucht wird, so ist das falsch, da es sich nur um ein «Hearing» handelte, ein Ermittlungsverfahren. Ein ähnlicher Vorgang ist bekannt geworden in der Geschichte vor etwa 300 Jahren unter der Bezeichnung «Galilei-Prozeß». 

Galilei und Oppenheimer verbindet ein Vorgang: Die Menschheit war zutiefst beunruhigt durch die Ergebnisse der Wissenschaft. Weil sie sie nicht so recht verstand, suchte sie nach bewährtem Rezept einen Schuldigen.


Oppenheimer, im Jahr 1904 geboren, kennzeichnet eine Generation von Wissenschaftlern, zu denen auch ich, wenn auch neun Jahre jünger, gehöre. Sein Schicksal hat viel dazu beigetragen, daß ich mir über den Sinn unserer Tätigkeit als Wissenschaftler völlig neue Gedanken gemacht habe. Zuvor schon habe ich geschildert, wie positiv, wie optimistisch ich immer war und daß ich für die Zukunft der Menschheit auf Grund der Kraft unserer Erkenntnisse, unserer Erfindungen und unserer Fortschritte nur das Beste erwartete. 

Inzwischen sehen wir, daß sich durch unsere Superleistungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft, der Technik und der Energieversorgung die Menschheit explosionsartig vergrößert hat und in vorausschaubarer Zeit einer schweren Katastrophe entgegeneilt. Es wäre müßig, die Schuld für diese bevorstehende, fast unvermeidlich erscheinende Katastrophe dem einen oder anderen zuzuschieben. Der unerhörte Erfolg von uns Technikern und Wissenschaftlern hat allerdings einen entscheidenden Anteil an dieser «Schuld».

Die Ursachen eines Problems und die Möglichkeiten seiner Lösung sind glücklicherweise jedoch vielfach nur die beiden Seiten einer Münze. Wenn unsere Generation und die unserer Väter die Voraussetzungen für diese galoppierende Katastrophe zwar geschaffen haben, so müssen wir die Münze nur herum­drehen, um dort Ansätze für mögliche Lösungen zu finden. Man kann unserer Generation vielleicht den Vorwurf machen, daß wir nicht mit der nötigen Voraussicht gehandelt haben. Nicht vielleicht bei unseren Entdeckungen und Erfindungen, sondern wohl nur bei der Überwachung und der Fürsorge bei ihren Anwendungen. 

Darum drehte es sich bei diesen beiden großen wissenschaftlichen Prozessen in unserer Geschichte. Galilei hat in der großen Begeisterung über seine Erkenntnis mit offenen Armen der Welt lauthals verkündet, daß die Erde sich um die Sonne dreht. Er hat dabei nicht bedacht, daß die Anwendung dieser Erkenntnis als Waffe zum Angriff auf die geistigen Grundlagen seiner Zeit dienen konnte. Ähnlich erging es Oppenheimer. Als «Vater der Atombombe» wurde er zum mad scientist verteufelt, der an allen technischen und wissenschaftlichen Übeln unserer Zeit schuld war.

Vor der heutigen Jugend haben wir als Wissenschaftler der Oppenheimer-Generation offenbar eine ziemlich schlechte Position. Mit einem gewissen Recht weisen viele auf die schlimmen Folgen in der Anwendung unserer Erkenntnisse und Erfindungen hin: Weltverschmutzung, Vietnam-Krieg als Typus unseres Erbes, eine drohende Weltvernichtung durch einen nuklearen Krieg und eine im ganzen doch recht trostlose Zukunft für die Menschheit. 

Wie sollen wir Wissenschaftler unserer Generation, die wir im zweiten Drittel dieses Jahrhunderts gewirkt haben, uns dagegen verteidigen? Wenn wir die Leistungen unserer Väter und jüngeren Großväter noch dazuzählen, so kommt auf unser Konto die Gestaltung des heutigen Lebens der Menschheit mit vielen, immerhin recht segensreichen Ergebnissen. 

In unsere Periode fällt die Nutzung der Dampfkraft, die Entdeckung der Gesetze des Elektromagnetismus und die Entwicklung der elektrischen Energie; die Erfindung des Verbrennungs- und Dieselmotors und die Revolution des Personen- und Gütertransportes; die Entdeckung der elektro­magnetischen Wellen mit dem Radio und dem Fernsehen in ihrem Gefolge; die Entwicklung der wichtigsten Düngemittel und der erfolgreichen Schädlingsbekämpfung; die Fortschritte der Chemie und damit die Grundlagen der weltweiten Industrie; die Erfindung des Flugzeugs und der Weltraumfahrt; die Schaffung der Computertechnik; die segensreichen Fortschritte in der Medizin von Penicillin bis zur Organverpflanzung. 

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Das ist eine stolze Liste, die freilich in den Augen der jüngeren Generation im Hinblick auf die ungelösten Probleme der Zukunft verblaßt. In Wirklichkeit jedoch besteht die andere Seite der Münze — und das ist das Erbe unserer Generation an die nächste — aus einer Fülle von Erkenntnissen, mit denen man die Probleme der Zukunft selbst bei allem Pessimismus dennoch wird lösen können und müssen. Das einzige große Problem, das wir unseren Kindern noch nicht völlig gelöst in die Hand geben können, ist eine technisch nutzbare Form der Kernverschmelzung als Energiequelle. Die Lösung dieses für die Zukunft der Menschheit wichtigsten Problems müssen wir allerdings unseren Kindern noch überlassen. Es zeigt sich nämlich bei näherer Betrachtung, daß die Zukunft der Menschheit sich nur auf der Basis des vielleicht wichtigsten Gesetzes der Physik garantieren läßt: des Gesetzes von der Erhaltung der Energie.

 

Im folgenden wollen wir nämlich versuchen, einen Blick in die Zukunft der Menschheit zu werfen, und zwar ein Stück weiter als bis zu jener Grenze, die vielen von uns wie ein Alptraum bevorsteht. Wir wollen uns überlegen, wie es einer Menschheit ergehen kann und was sie für ihre Existenz tun muß, die nach dem Jahr 2050 oder nach dem Jahr 2100 unseren Planeten noch bevölkern soll. Es dreht sich also um die Welt nicht unserer Enkel und Kinder, sondern unserer Ururenkel. Eigentlich ist ein solcher Sprung in die Zukunft gar nicht so groß, wenn wir bedenken, daß wir damit eine kleinere Strecke in die Zukunft schauen müssen wie es einem Rückblick bis zur Französischen Revolution entspricht: die Zeit von Napoleon und Beethoven.

Die meisten von uns Wissenschaftlern, die über die Zukunft nachgedacht haben, wagen es eigentlich gar nicht so recht, über die Zeitspanne von 2000 bis 2075 hinweg zu blicken. Dort nämlich türmt sich in unserer Phantasie jene unüberschaubare und vielleicht wirklich unvermeidbare Menschheits­katastrophe auf. Bei allem Optimismus können wir uns nicht so recht vorstellen, wie 12, 15 oder sogar 20 Milliarden Menschen auf dieser Erde miteinander auskommen sollen, da wir heute mit noch nicht einmal vier Milliarden schon so viele Sorgen haben. 

Wie dem auch sei, wir wollen einen Blick jenseits dieser kritischen Zeitspanne werfen, in der sich die Woge der Menschheit, so wie wir es in einem voran­gegangenen Kapitel beschrieben haben, brechen wird oder sich vielleicht schon gebrochen hat.

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Wirkungsweise der <Pille> 

Links: 
Der normale weibliche Monatszyklus von 28 Tagen ist als Kreis dargestellt, mit den ersten Anzeichen der Menses am 1. und 2. Tag. 
Die Hypophyse steuert durch ihre Hormonausschüttung den Eisprung (15. bis 16. Tag) und bei Befruchtung die Einnistung des Eis in die Gebärmutterschleimhaut. 

Rechts: 
Bei Einnahme der «Pille» zwischen dem 6. und 25. Tag des Zyklus unterbleibt die Hormonausschüttung der Hypophyse. Es kommt nicht zum Eisprung.

 

Wenn ich eine Prophezeiung über das Schicksal der Menschheit in der Zukunft des nächsten Jahrtausends wage, so möchte ich eben die nächsten 100 Jahre ausklammern. So merkwürdig es klingen mag: Es ist schwieriger, etwas über das Schicksal der Menschheit während der nächsten 100 Jahre auszusagen, als über ihr Schicksal jenseits dieser Grenze. 

Um zum Lauf der Dinge während des kritischen Jahrhunderts, das uns zwischen heute und dem Jahr 2075 ins Haus steht, etwas Bündiges sagen zu wollen, müßte man Fachmann auf so vielen Gebieten sein, daß ein einziger so etwas nicht meistern kann. Was gehört denn da alles dazu: Politik, die Wirtschafts­wissenschaften, Geologie und Physik, Technik und Industrie, Transportwesen und Metallurgie, Landwirtschaft und Biologie, Ozeanographie und Klimatologie, Weltraumfahrt und Völkerpsychologie. Nur dann hätte man mit Hilfe von Computern eine Chance, hier zu einer einigermaßen sinnvollen Voraussage zu kommen. 

Wenn ich mir anmaße, etwas über das Schicksal der Menschheit jenseits des 1. Januar 2075 auszusagen, dann nur deshalb, weil ich alle Überlegungen dieser komplexen Wissenschaftsgebiete beiseite lassen kann. Das Schicksal der Menschen etwa von jenem Tag an in die Zukunft läßt sich allein durch die Tatsache abschätzen, daß es dem Energieprinzip entsprechen muß.

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In einem vorangegangenen Kapitel hatten wir ja über die Energievorräte unseres blauen Planeten gesprochen, ebenso darüber, welche weiteren Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, zusätzliche Energiequellen zu erschließen. Die modernen Erkenntnisse unserer heutigen Naturwissenschaft machen uns Hoffnung; sie zeigen allerdings auch, daß es noch viel Schwierigkeiten machen wird, der Natur das Geheimnis der Kernverschmelzung zu entreißen. Die wichtigste Erkenntnis jedoch für uns heute besteht eben darin, daß uns dieser letzte und entscheidende Durchbruch in unserer Technik gelingen muß. 

Andernfalls bleibt der Menschheit lediglich das Schicksal, sich nach einer unaussprechlichen Katastrophe voller Tod, Leid und Chaos wieder zu einer frühgeschichtlichen Menschheit zurückzuentwickeln — zurück zu einer Zeit, als wir unser Leben noch mühsam als Jäger, Früchtesammler und primitive Ackerbauer fristeten.

 

Sollten wir jedoch Zugang zu den praktisch unerschöpflichen Energiequellen des Deuteriums finden, dann brauchen wir uns weiter keine Gedanken zu machen. In dem Kapitel über Energie hatten wir ja gesehen, daß die Deuteriummenge in unserem Weltmeer uns auch bis in die fernste Zukunft versorgen kann. Dabei brauchen wir uns auch über alle anderen Probleme der Menschheit keine Gedanken zu machen, da ein ausreichender Energievorrat es uns ermöglicht, unser Leben, unsere Zivilisation und unsere Kultur völlig zu bestreiten. 

Selbst den ganzen Komplex der Landwirtschaft für die Ernährung können wir an dieser Stelle außer acht lassen. Wenn genügend verschmutzungsfreie Energie zur Verfügung steht, dann kann sich der Mensch jedes Nahrungsmittel auch künstlich herstellen. Unser Schicksal als Menschheit hängt daher davon ab, ob es uns gelingt, für die nächsten Jahrtausende — oder wenn man so will — für die nächsten Jahrmillionen die nötige Energie pro Kopf unserer Bevölkerung bereitzustellen und zu nutzen. Der Witz ist leider, daß wir den Schlüssel zu dieser Energieschatz­kammer noch nicht gefunden haben.

An dieser Stelle wird vielleicht auch klar, weshalb ich bei der Betrachtung dieses Themas so sehr an die Oppenheimer-Affäre erinnert worden bin. Oppenheimer hat für uns Wissenschaftler eigentlich nur geltend gemacht, daß man uns nicht die Motivierung für unser Tun vorschreiben solle. Nun hatten wir uns ja gerade überlegt, daß der Fortbestand der Menschheit in den nächsten Jahrtausenden nur durch die Bereitstellung einer sauberen Energiequelle möglich ist. So muß man uns Wissenschaftler und Techniker denn auch an der Entwicklung einer solchen Energiequelle arbeiten lassen. 

Wir müssen es ablehnen, daß uns Wirtschaftsbosse aus Düsseldorf und Detroit, ökonomische Apparatschiks in den Zentralkomitees in Moskau und Ostberlin und ehrgeizige Präsidenten von erst kürzlich selbständig gewordenen Entwicklungsländern in den Arm fallen. Diese Auftraggeber sind nämlich insgesamt zu kurzsichtig. Abgesehen davon, daß sie sich wegen kleiner, kurzfristiger Vorteile dauernd in den Haaren liegen, fehlt ihnen ein Verantwortungs­gefühl, das auch nur über ihre mußmaßliche Regierungszeit, das heißt etwa für die Länge eines Jahrzehnts, hinausgeht.

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Dieser Mangel an Verantwortung für die Zukunft bei unseren modernen Regierungsstrukturen ist sogar noch viel schlimmer als in der klassischen Familie. Einem Regierungschef, dem Vorsitzenden eines Zentralkomitees oder dem Präsidenten eines afrikanischen oder südamerikanischen Staates ist es ziemlich gleichgültig, wie die Welt zehn Jahre später aussehen wird. Die Wahrscheinlichkeit, daß er dann noch an der Regierung sein wird, ist ja viel zu klein. 

In der Familie reicht die Fürsorge für die Zukunft schon etwas weiter. Für das Wohl seiner Kinder bringt jedes Elternpaar große Opfer; auch sorgt man als Großeltern noch dafür, daß das Familienvermögen unter den Enkelkindern gerecht aufgeteilt wird. Nur wenige von uns begegnen ihren eigenen Urenkeln. Auch wenn das geschieht, so hat man die Verantwortung für ihr zukünftiges Wohlergehen doch schon fast völlig deren Eltern und Großeltern übertragen. 

Ururenkel sind eine Fiktion, die es in unserem Bewußtsein eigentlich gar nicht mehr so recht gibt. Sollen wir als Menschheit uns heute denn bei dem Raubbau der fossilen Energievorräte nur deshalb die Zügel anlegen, weil unsere Urenkel auch vielleicht noch bitter auf sie angewiesen sein werden?

Das vermögen wir bei Zeiträumen von einem Jahrhundert und mehr eben nicht mehr so recht zu überschauen, und jeder huldigt der Philosophie «Nach uns die Sintflut».

Nun gibt es freilich viele Menschen — nicht nur Wissenschaftler —, die sich für das Schicksal unserer Urenkel brennend interessieren. Sie tun dies nicht deshalb, weil sie persönlich ihre Urenkel kennen, sondern weil sie die Geschichte und damit auch die Zukunft der Gattung homo sapiens intellektuell als etwas sehr Spannendes empfinden. Die Philosophen, die Physiker, die Astronomen und die Biologen unter ihnen folgen in ihrem Denken dabei den Prämissen von Oppenheimer. Auch wenn sie ihren Urenkeln niemals persönlich gegenübertreten werden, so wollen sie doch vor ihnen bestehen können.

Da unsere Generationen die ersten sind, welche einen Einblick in die Naturgeschichte unseres blauen Planeten gewonnen haben, so erhoffen sie von ihren Urenkeln — ja vielleicht sogar von der Menschheit in 1000 Jahren — einen gewissen Respekt. Zuvor schon haben wir mehrfach darauf hingewiesen, daß der Zeitraum zwischen 1850 und vermutlich bis ungefähr 2075 eine echte Schicksalswende in der Geschichte der Menschheit kennzeichnet. 

In diese Zeit fallen zwei große Ereignisse: die sehr starke, einer Katastrophe sich zuwendende, Bevölkerungszunahme und der fast völlige Verbrauch der fossilen Energieschätze unseres Planeten durch den Menschen. Diese beiden Dinge können in ihrer weiteren Fortentwicklung und in ihrem Ablauf nicht den klassischen Machthabern — wie zuvor in der Geschichte der Menschheit — überlassen bleiben. Uns Wissenschaftlern von heute und spätestens von morgen kommt es zu, immer wieder auf diese dringende Problematik hinzuweisen. 

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Da Kohle, Öl und Erdgas heute noch so billig sind, möchte jeder politische Machthaber für die paar Jahre seiner Macht diese Energiequellen ohne jede Rücksicht auf die Zukunft ausschlachten. Sodann gibt es in vielen Ländern noch Regierungsmaßnahmen, welche die Bevölkerung zu einer möglichst schnellen Vermehrung anspornen. Diese völlig unzeitgemäßen Einstellungen und Bestrebungen sind zerstörerisch.

Worauf es ankommt, und darauf müssen wir Wissenschaftler der Generation von Oppenheimer unerbittlich drängen: 

1. Der ungehemmten Bevölkerungs­zunahme muß Einhalt geboten werden. 
2. Wir müssen spätestens heute beginnen, die ausreichende Energieversorgung für unsere Urenkel vorzubereiten. Die Philosophie praktisch aller Regierungen in Ost und West und in der dritten Welt jedoch lautet: Morgen, morgen, nur nicht heute.

 

Nun gibt es freilich in der Welt solche Dinge wie nationalen Egoismus, Sturheit politischer Ideologie, Machthunger, Grausamkeit und unverzeihlichen politischen Rachedurst. Man kann nur wenig Hoffnung haben, daß die Menschheit den einzigen Weg für ihr Überleben auch in eine fernere Zukunft von Jahrhunderten und Jahrtausenden so schnell einschlagen kann, wie es nötig sein wird. Zuvor hatten wir uns ja klargemacht, daß die Menschheit in 300 oder 3000 Jahren nur mit einer praktisch unerschöpflichen Energiequelle wird leben können. 

Die Sonnenenergie, die Energie der Wasserkraft und die Energie der Erdwärme sind in ihrer Kapazität vermutlich nicht ausreichend, um auch eine in ihrer Zahl sehr stark reduzierte Menschheit über die nächsten Jahrtausende hinwegzubringen. Die Verschmelzungsenergie des schweren Wassers, von dem es glücklicherweise ein überreiches Angebot in unserem Weltmeer gibt, muß uns zur Verfügung stehen, bevor die klassischen fossilen Energie­quellen versiegen. 

Zur Erreichung dieses Ziels müssen wir uns als Gattung homo sapiens auf diesem Planeten in der allernächsten Zeit — und zwar heute und nicht morgen — zusammenschließen. Nur wenige Fachleute können heute abschätzen, wie schwierig es sein wird, den Schlüssel für diese unabdingbare Energiequelle zu finden, und dazu wird es noch der allergrößten Anstrengungen und unseres ganzen Wissens und unserer ganzen bisherigen Beherrschung der Naturkräfte bedürfen.

Wenn man die Dinge so betrachtet, so möchte man in den fossilen Energieschätzen in unserer Erdkruste geradezu eine Art von Vorsehung in der Natur­geschichte unseres blauen Planeten erblicken. Ohne Kohle, Öl und Erdgas in der Vergangenheit und in der nächsten Zukunft, ohne Uran und Lithium für die nächsten paar 100 Jahre hätte eine technische und wissenschaftliche Revolution der Menschheit nicht stattfinden können. Einen schon zu großen Teil dieser unwiederbringlichen Naturschätze haben wir ausgebeutet und weggebrannt, um unsere moderne Zivilisation aufzubauen. 

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Unser blauer Planet kann durch eine uneinsichtige Menschheit nur zeitweilig so vergiftet werden, daß wir selbst umkommen könnten. 

 

Die kosmischen Kräfte, in die die Erde im All eingebettet ist, werden sie dann wieder neu beleben. 

 

Nein — der größte Teil dieser unwiederbringlichen Schätze wurde schon verfeuert, nur um unsere Zahl während dieser 100 Jahre so unsinnig zu vermehren. Gewiß, es bedurfte einer technisch-wissenschaftlichen Revolution und Zivilisation, um unsere Position als Menschheit in der Geschichte unseres Heimatplaneten überhaupt zu begreifen. Heute sind wir so weit, daß wir die Gesetze in ihrem Wesen erkannt haben. Auch wissen wir, daß uns mit den Resten der fossilen Energieschätze, die wir bisher noch nicht verschleudert haben, eine Chance gegeben ist. Wir können damit unsere technisch und wissenschaftlich orientierte Kultur noch für eine Weile unter Vermeidung einer Katastrophe fortsetzen.

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Während dieser Zeit allerdings müssen wir als Menschheit den Schlüssel finden, der uns die Energie für den weiteren Fortbestand sichert. Wenn wir uns die nächsten 100 Jahre noch weiterhin so streiten wie bisher, werden wir diese Chance verspielen. Wir müssen uns — heute beginnend — in unserer Zahl beschränken, damit uns mehr Energie übrigbleibt zur wissenschaftlichen Vorbereitung unseres Überlebens als Gattung. 

Wenn es uns nicht gelingen sollte, diese beiden Probleme eher heute als morgen zu lösen, gibt es für uns als fortschreitende Menschheit auf diesem Planeten keine Chance. 

Dann werden sich vielleicht höchstens 50 oder 100 Millionen von uns — wie einst — zu kleinen Gruppen von Jägern und Sammlern zurückentwickeln müssen, deren Energiebedarf dann diesen Urzuständen angemessen ist. 

Wir müssen für unsere Kinder an fossilen Energien einen ausreichenden Betrag reservieren, mit einer genügend großen wissenschaftlichen Zivilisation die entscheidenden, noch ausstehenden Erfindungen machen, um den Energiebedarf der Zukunft sicherstellen zu können. 

 

An dieser Stelle kann man wieder den klassischen Einwand machen, der bei allen technischen und wissenschaftlichen Prognosen auf der Hand liegt: Wiederum beurteilen wir die Zukunft auf der Basis dessen, was uns Wissenschaftlern heute als sicher bekannt erscheint. Wir haben Propheten aus dem 19. oder aus dem 18. Jahrhundert belächeln können, weil sie weder von der Elektrotechnik noch von der Atomphysik eine Ahnung hatten. Dieses Risiko müssen wir aber bei diesen Betrachtungen eingehen. Noch vor 30 Jahren erschienen uns der Mikrokosmos und der Makrokosmos so recht verständlich, und man glaubte, daß es nur noch einiger Erfahrungen in unserer Erkenntnis bedürfe, um das Welträtsel zu begreifen. 

Inzwischen hat die sogenannte Hochenergiephysik eine verwirrende Fülle von neuen Atomteilchen entdeckt, die mit ihrer Existenz und mit ihren Umwandlungen völlig neue Dimensionen im Bereich der Materie eröffnet haben. So hat man Atomteilchen entdeckt, von denen man eigentlich nicht viel mehr weiß als den Namen, den man ihnen gegeben hat: Quarks. Umgekehrt, im Makrokosmos hat man Himmelskörper erforscht, bei denen es sich ebenfalls um Energiequellen handelt, die wir heute auch nur am Rande begreifen. Es sind dies die berühmten Quasare. Die Grenzen in der Erforschung unserer Welt sind in den letzten 15 bis 20 Jahren wieder völlig ins Fließen geraten. Wer weiß, ob nicht schon bald — in den nächsten 10, 50 oder 200 Jahren — ein völlig neuer Energiebegriff uns diese neuen Grenzen verständlich machen wird? 

Da die Bezeichnungen dieser beiden Neuerscheinungen am Horizont unseres derzeitigen Wissens im Kleinsten und im Größten jeweils mit «Q» beginnen, wollen wir von der Möglichkeit einer «Q-Energie» sprechen. Vielleicht entdecken unsere Ururenkel diese uns heute völlig unvorstellbaren Energiearten und können sie für den Fortbestand der Menschheit auch für die Jahrtausende oder sogar Jahrmillionen in der Zukunft nutzen. Dann freilich sind unsere Prophezeiungen genauso müßig, als wenn der Entdecker des Energieprinzips, Julius Robert von Mayer, vor 150 Jahren den Fortbestand der Menschheit daran hätte voraussagen wollen, wie viele Energien sich aus der Verbrennung des Holzes aller Bäume auf dieser Erde gewinnen ließe.

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Wenn wir davon gesprochen haben, daß es für das Überleben der Zivilisation der Menschheit bis in die Jahrtausende der Zukunft hinein nur der Energie bedürfe, so stimmt das nicht ganz. Die technische Zivilisation benötigt auch Rohstoffe, und zwar in der Hauptsache Metalle, die in unserer Erdkruste auch nicht unerschöpflich vorhanden sind. Jedesmal, wenn bei einem Neubau ein Installateur das Ende eines Kupferdrahtes abknipst und nachlässig fallen läßt, verschwendet er ein unersetzliches Stück Material, das unsere Urenkel in 100, 10.000 oder in einer Million Jahre bitter nötig brauchten. Die moderne Industrie benötigt Stoffe wie Aluminium, Chrom, Kobalt, Kadmium, Kupfer, Blei, Quecksilber, Molybdän, Nickel, Titan, Zinn, Zink, Wolfram, Silber, Gold, Osmium, Platin und alle anderen. 

Obwohl unsere Erde doch so groß ist, hat sie nur einen bescheidenen Vorrat an diesen überaus seltenen Stoffen in der Natur. Heute schon wird es mit diesen Metallen knapp. Wie soll das in 100, in 1000, wie soll das in 10.000 Jahren werden? 

Dabei kann man uns als heutige Generation über den Verbrauch dieser Metalle noch nicht einmal einen besonderen Vorwurf machen. Eine Industrie­gesell­schaft von der Größe der unsrigen benötigt diese Stoffe. Gewiß, einen großen Teil von ihnen kann man wiedergewinnen und zweimal, zehnmal oder hundertmal wiederverwenden. Immer jedoch entstehen Verluste an diesen wertvollen Metallen, die sich nie wieder rückgängig machen lassen. Vielleicht hilft unseren Urenkeln da die Weltraumfahrt, die wir heute mit einer gewaltigen Energieverschwendung eigentlich nur als Hobby betreiben. 

Der Mond ist unglücklicherweise zu klein, als daß er als eine besonders ergiebige Quelle von Metallen dienen könnte. Aber auch hier wieder hat uns die Natur eine großartige Chance angeboten. Zwischen den Planeten Mars und Jupiter kreist eine große Zahl von Kleinstkörpern, die ihren Ursprung vermutlich einer katastrophalen Zerlegung eines größeren Planeten verdanken. In der Form von kleinen Asteroiden und Planetoiden umkreisen sie dort die Sonne, und sie sind in ihren Bahnen um unser Zentralgestirn noch für viele Jahrmilliarden sicher aufgehoben. Unsere Urenkel mit einer von uns ererbten und in ihrer Weise weiterentwickelten Weltraumtechnik können sich dann die wertvollen Metalle dort abholen, wenn die Erdkruste erschöpft sein sollte.

Jede Generation freilich muß das Beste tun, was sie auf der Basis ihres Wissens für die Zukunft als richtig ansieht. Für uns wäre es töricht, etwa auf die mystische Existenz einer «Q-Energie» zu vertrauen und unsere Urenkel dem unsicheren Schicksal zu überlassen, daß sie sie — hoffentlich — rechtzeitig entdecken. Die Wahrscheinlichkeit, daß es so etwas gibt, ist zwar nicht sehr groß. Indessen, schon viele Wissenschaftler sind bei Voraussagen ziemlich hereingefallen, wenn sie behaupteten, daß es «so etwas niemals geben könne»

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Mit dem Wachstum unseres Wissens über das Wesen der Natur jedoch ist auch die Sicherheit unserer Voraussagen für die Zukunft gewachsen. Jedenfalls sollten wir unsere Urenkel nicht einem ungewissen Schicksal überlassen, indem wir sie durch rücksichtslosen Verbrauch der fossilen Energiequellen jeder Möglichkeit berauben, ihrerseits eine wissenschaftliche Zivilisation fortzuführen. Das dürfen wir nur tun, wenn wir ihnen den Schlüssel für eine Energiequelle vererben, die den Fortbestand der Menschheit wenigstens für die nächsten Jahrtausende sichert.

Wie dem auch sei, wir müssen die Naturgeschichte unseres blauen Planeten und uns selbst auf ihm in den richtigen kosmischen Maßstäben sehen. Der Titel dieses Buches lautet <Stirbt unser blauer Planet?> Die Antwort darauf lautet «Nein!»

Alles, was wir mit unserer schon einschneidenden Tätigkeit bewirken können, ist eine kurzfristige Zerstörung unserer Umwelt, die für uns gefährlich oder sogar tödlich werden könnte. Das Alter der Menschheit, verglichen mit dem Alter der Erde, ist geradezu grotesk klein: Knapp zwei Millionen Jahre gegenüber mehr als vier Milliarden Jahren. Erst in den letzten 100 Jahren haben wir unserer Erde ein wenig weh getan.

 

Was würde denn sein, wenn wir durch die Vernichtung der für uns heute noch so günstigen Umweltbedingungen, durch Vergiftung der Atmosphäre, des Weltmeeres und durch einen rücksichtslosen Verbrauch der uns noch verbleibenden fossilen Energiequellen uns selbst die Lebensbasis entzögen? 

Die großartigen Kräfte der Natur würden vielleicht 1000 Jahre benötigen, um die Luft wieder zu reinigen.

In 10.000 Jahren wären die letzten Spuren von DDT zerfallen und in dem Reinigungskreislauf der Atmosphäre und des Meeres verschwunden: Nach spätestens 100.000 Jahren wäre auch die letzte Radioaktivität unserer unglückseligen Spielereien mit dem Atom abgeklungen, und nach einer Million Jahren wären vielleicht ein oder zwei Eiszeiten gekommen, welche die verschmutzten Seen wie mit einem Bulldozer überfahren und völlig gereinigt hätten. Gewiß, ein fauler Schlamm liegt heute auf dem Grund der großen Seen dieser Welt, beraubt sie ihres Sauerstoffs und hat sie in stinkende Kloaken verwandelt. Was aber soll denn eine Faulschicht von zwei oder drei Meter Dicke gegenüber einem Gletscher mit einer Mächtigkeit von etwa einem Kilometer, der sämtliche Vertiefungen bis herunter auf 45 oder 40 Grad Breite ausfegt und bis zur Unkenntlichkeit wegschafft und zerdrückt? 

In einer Million Jahren dann schließlich wenn in einer nächsten Zwischeneiszeit die Gletscher schmelzen — wird kristallklares Wasser diese Niederungen von neuem füllen, und blitzblanke Seen werden die Landschaft eines wieder völlig neu entstandenen blauen Planeten schmücken. Quecksilber und DDT, radioaktives Strontium und Bleitetraäthyl werden von diesen ewigen Kräften ohne jede Spur fortgeschafft sein. 

Nein, unser blauer Planet stirbt nicht; wenn wir nicht klug genug sind, schaden wir uns nur selbst. 

So dürfen wir es auch nicht dazu kommen lassen, daß vielleicht in zwei Millionen Jahren unser Mond die Erde wie folgt anspricht: «Entschuldigen Sie, gnädige Frau, geht es Ihnen heute wieder besser?» Darauf antwortet die Erde: «Wieso denn? Ach, Sie meinen wohl diese kleine Infektion, die ich vor zwei Millionen Jahren hatte?» Darauf der Mond: «Genau — mich hat es ja auch ein bißchen angepackt, allerdings lange nicht so schlimm wie Sie.» — «Ach», sagt die Erde, «das habe ich eigentlich schon längst vergessen. Seit mehr als anderthalb Millionen Jahren geht es mir wieder so gut wie eh.» 

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Ende

 

 

(d-2008:)  Auch Ch. Lauterburg hat 1998 sein Buch mit dieser Anekdote aus der Planeten-Zukunft beendet.
Ebenso wagt auch H. Haber die -lange- Voraussage, daß der Planet Erde wieder neu belebt wird - nach der Menschheit.

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