1. Das goldene Gleichgewicht Heinz Haber 1989
Die Wirkungen des berüchtigten Treibhauseffektes kommen unaufhaltsam auf die Menschheit zu. Die gasförmige Asche der industriellen Verbrennung von Kohle und Öl, das Kohlendioxid, wird in stets steigendem Maße in die Atmosphäre geblasen, wo es zu einer fortschreitenden Erwärmung der gesamten Erde führt — etwa um ein Grad Celsius pro Jahrzehnt. Die Folgen während der kommenden 50 Jahre werden verheerend sein: Verlagerung der Klimazonen, Gefährdung der Welternährung, Abschmelzen des arktischen Treibeises, Ansteigen des Meeresspiegels und Häufung von Wetterkatastrophen und Sturmfluten.
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In jüngster Zeit ist das Wort »Treibhauseffekt« in aller Munde. Darunter versteht man eine bedrohliche langsame Erwärmung der Erde als ganzer. Wissenschaftler haben abgeschätzt, daß die mittlere Temperatur der gesamten Erde in den nächsten 20 bis 30 Jahren sich um zwei bis fünf Grad erhöhen wird. Das klingt nicht besonders bedrohlich, aber für die Erde als ganze gesehen stellt es doch ein erhebliches Problem dar. Diese Klimaveränderung wird unsere Kinder schon in naher Zukunft direkt betreffen und sie vor große Schwierigkeiten stellen.
Der Begriff »Treibhauseffekt« ist vom Wärmehaushalt unserer Gewächshäuser abgeleitet. Wir alle wissen ja, daß die Luft im Inneren eines Treibhauses wesentlich wärmer sein kann als die Außenluft. Woher kommt das? Nun, bei prallem Sonnenschein dringt die ganze Energie des Sonnenlichtes durch die durchsichtigen Glasscheiben in das Innere des Treibhauses, erwärmt dort den Boden und die Luft. Diese Energie kann nur dadurch verlorengehen, daß sie in der Form von Wärmestrahlung wieder an die Außenwelt abgegeben wird. Da sind aber die Scheiben dazwischen. Glas hat die Eigenschaft, langwellige, sogenannte infrarote Wärmestrahlung zu absorbieren, so daß diese nur schwer entweichen kann. Die Folge ist eine Erwärmung im Inneren des Treibhauses.
Jetzt verstehen wir auch den Begriff »Treibhauseffekt«. Die Glasscheiben eines Treibhauses werden bei unserer Erde durch die Atmosphäre unseres Planeten gebildet; wir sitzen also so oder so schon im Treibhaus, es kommt nur darauf an, wie hoch die Temperatur ist.
Die Erdatmosphäre hat die schöne Eigenschaft, daß sie - wie das Glas - für das sichtbare Sonnenlicht praktisch durchlässig ist. Die Energie der Sonne kann also den Erdboden erreichen, erwärmt dort den Boden, das Wasser und auch die Atmosphäre. Des Nachts dann muß die Erde diese Wärmeenergie wieder abstrahlen, aber zum Teil wird die Abstrahlung durch die atmosphärischen Gase gehemmt, und in welchem Umfang, das ist hier die Frage.
Die Wirkungen des Treibhauseffektes sind uns allen wohlbekannt aus Erscheinungen, die wir gelegentlich in den ersten Wintermonaten gut beobachten können. Es gibt da bestimmte Wetterlagen, die im Wetterbericht als »neblig-trüb« angekündigt werden. Dabei bilden sich am späten Nachmittag, oft auch schon früher, Nebel und eine niedrig hängende Wolkendecke. Am nächsten Tag kommt erst gegen Mittag die Sonne durch. Die Nebelschicht und die Wolkendecke sind jedoch sehr niedrig; sie haben eine maximale Höhe von 500 m, vielleicht auch 1000 m. Dann heißt es im Wetterbericht, daß in Höhen über 500 oder 1000 m die Sonne scheint und auch, daß es nachts dort klar ist. Jetzt haben wir den Treibhauseffekt in natura vor uns — wir können ihn am Temperaturverlauf während 24 Stunden sehr schön ablesen.
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Nehmen wir einmal die nebelbedeckten Niederungen. Da ist die Temperatur vielleicht fünf Grad über Null. Des Nachts findet wenig Abstrahlung statt, weil ja Nebel und die niedrige Wolkendecke die Abstrahlung verhindern. Dadurch sinkt die Temperatur höchstens in die Gegend des Gefrierpunktes, selten darunter.
Umgekehrt, in klaren Bereichen und in den Höhen, haben wir es am Tag recht schön warm, weil ja die Sonne scheint. Es können dabei Temperaturen bis zu zehn Grad erreicht werden. Nach Sonnenuntergang jedoch nimmt die Ausstrahlung ihren Lauf. Ungehemmt von irgendwelcher Bewölkung, von Dunst oder von Nebel in der Atmosphäre kann die Strahlung frei in den Weltenraum entweichen. Dadurch wird schon in den frühen Nachtstunden die Nullgrenze unterschritten, und gegen Morgen herrschen Temperaturen von vier bis sechs oder gar zehn Grad unter Null.
Das sollte allerdings nur ein Beispiel sein, um uns die Wirkung des Treibhauseffektes lokal bei uns zu Hause vorzuführen. Jetzt wollen wir aber die ganze Erde betrachten, damit wir den Begriff »Treibhauseffekt«, so wie er heute verstanden wird, richtig in den Blick bekommen. Das heißt, wir müssen uns von unserem provinziellen Standpunkt lösen, dürfen nicht lokal denken, sondern wir müssen die Erde global betrachten. Da hat sich nun herausgestellt, daß die mittlere Temperatur der Erde ziemlich genau 15 Grad beträgt. Diese Temperatur ist gemittelt über alle Klimazonen der Erde, über die Tropen, die Subtropen, die gemäßigten Zonen, bis zu den Polarkappen. Wie kommt es nun zu dieser für die ganze Erde gültigen, gleichbleibenden Temperatur?
Die Sonne bestrahlt die Erde ja aus einer Entfernung von etwa 150 Millionen Kilometer. Die Sonnenstrahlen treffen also unsere Erde wie das fast parallele Strahlenbündel eines Scheinwerfers. Nun müssen wir bedenken, daß die Erde ja eine Kugel ist, das heißt, genau die Hälfte der Erdoberfläche wird täglich zwölf Stunden lang von der Sonne bestrahlt. Das ist freilich ein über das ganze Jahr hinweg gerechneter Mittelwert, und die Jahreszeiten und die Erdrotation spielen dabei keine Rolle. Genauso, im gleichen Sinne — da die Erde ja eine Kugel ist — haben wir die Hälfte der Erde auf der Nachtseite. Alle Flächen, die während des Tages bestrahlt wurden, haben dann zwölf Stunden Gelegenheit, die überschüssige, aufgenommene Wärme wieder in den Weltenraum auszustrahlen, und zwar über die infrarote Wärmestrahlung.
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Es ist nun eine sehr schöne Einrichtung in der Natur unseres blauen Planeten, daß genau die Wärmeenergie, die am Tage aufgenommen wurde, während der Nacht wieder abgestrahlt wird. Dadurch bleibt im Schnitt die Temperatur unserer Erde bei 15 Grad erhalten. Es ist just die Tatsache, die man sehr schön als das »goldene Gleichgewicht« bezeichnen kann.
Die Strahlung der Sonne ist immer dieselbe. Seit die Sonne ihren Reifezustand erreicht hat, vor vielen Milliarden von Jahren, hat auch sie sich in einem goldenen Gleichgewicht eingependelt. In jeder Sekunde erzeugt sie genauso viel Energie, wie sie abstrahlt. Die Wissenschaftler haben sich natürlich Gedanken darüber gemacht, ob die Sonne sich irgendwann einmal in ihrer Leuchtstärke, in ihrer Strahlungsdichte geändert haben kann. Es gibt aber sehr wenig Hinweise dafür, so daß wir getrost von der Annahme ausgehen können: Die Sonne bleibt immer dieselbe. Das gilt natürlich nur für den Betrag der Sonnenenergie, der bei der Erde außerhalb der Lufthülle ankommt.
Nun müssen die Sonnenstrahlen ja noch die ganze Erdatmosphäre durchwandern, um den Boden und das Meer zu treffen und diese zu erwärmen. Da können Hindernisse im Wege sein, beispielsweise Wolken oder auch eine Verstaubung der Atmosphäre. Erst die modernen Wettersatelliten haben uns gezeigt, wieviel Prozent der Erdoberfläche im Schnitt von Wolken bedeckt sind. Es sind zwischen 50 und 60 Prozent. Lokal oder über ganze Kontinente hinweg kann sich das natürlich von Tag zu Tag sehr stark ändern; das sehen wir ja auf den schönen Wolkenfotos aus dem All, die wir täglich im Wetterdienst im Fernsehen zu sehen bekommen. Hier aber kommt es uns auf Mittelwerte an. Die erstaunliche und zugleich erfreuliche Konstanz der mittleren Erdtemperatur von 15 Grad zeigt uns, daß sich das im Schnitt immer wieder sehr schön ausgleicht.
Dann müssen wir auch die Kehrseite betrachten. Unsere Erdatmosphäre ist ja auch dafür verantwortlich, daß ein bestimmter Betrag — und zwar genau der gleiche Betrag, der am Tage eingestrahlt wird — nachts wieder ausgestrahlt wird. Auch das scheint sehr schön konstant zu bleiben, wie uns die Einhaltung der mittleren Temperatur des gesamten Planeten in Höhe von 15 Grad zeigt. Natürlich wird auch die nächtliche Abstrahlung der Wärmeenergie der Erde durch Nebel, Dunst und Wolken beeinträchtigt. Wenn das auch lokal sehr stark schwanken kann, so ergibt sich dort ebenfalls über die ganze Erde hinweg über längere Zeiten ein immer gleichbleibendes Maß.
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Der berüchtigte Treibhauseffekt, über den wir zu Beginn ja gesprochen haben, kann also nicht von den Wolken und von dem Dunst abhängen. Der Hauptübeltäter ist das in der Luft vorkommende Kohlendioxid, chemisch kurz CO2 genannt. Seine überaus starke Einwirkung auf den Wärmehaushalt unseres Planeten übt das Kohlendioxid aus, obwohl es nur in winzigen Spuren vorkommt. Nur 0,035 Prozent der gesamten Masse der Erdatmosphäre bestehen aus CO2, das ist weniger als 3,5 Zehntausendstel.
CO2 hat nämlich die hervorstechende Eigenschaft, daß es die unsichtbare infrarote Wärmestrahlung, die die Erde loswerden möchte, sehr stark absorbiert, also nicht in das Weltall entweichen läßt. Die Hauptenergie der Sonnenstrahlung jedoch liegt im sichtbaren Bereich, und da ist CO2 völlig durchlässig. Es ist ja ein farbloses, unsichtbares Gas. Das ist der Grund, warum schon relativ geringe Änderungen des CO2-Gehaltes der Luft einen so starken Einfluß auf die Erdtemperatur haben.
CO2 wird durch natürliche Vorgänge laufend auf der Erde neu geschaffen. Es wird bei allen Verbrennungsvorgängen als gasförmige Asche erzeugt und in die Luft abgegeben. Denken wir einmal an die weitflächigen Steppen- und Waldbrände, die es immer schon gegeben hat. Hinzu kommt, daß auch die Vulkane auf der ganzen Erde laufend Kohlendioxid abblasen. Die Erdatmosphäre wird allerdings damit fertig und kann den Kohlendioxidgehalt in der Luft immer schön in der Waage halten. Ein großer Teil wird vom Meer aufgesaugt und sodann — vielleicht das wichtigste — durch unsere Pflanzen. Diese haben doch den wunderbaren Prozeß der Photosynthese erfunden, und damit nehmen sie Kohlendioxid aus der Luft heraus, spalten es in die Bestandteile Kohlenstoff und Sauerstoff. Den Kohlenstoff benutzen die Pflanzen, um damit organische Substanzen, Eiweiße, Stärke, Fette, Öle usw., herzustellen; den freien Sauerstoff geben sie in die Atmosphäre ab, den wir dann einatmen können. Dadurch wird das alles im Gleichgewicht gehalten — es ist jenes goldene Gleichgewicht, von dem wir gesprochen haben.
Wie aber steht es mit den Eiszeiten, von denen unser Planet während der letzten Million Jahre viermal heimgesucht worden ist? Und wie steht es mit dem tropischen Klima, das vor rund 300 Millionen Jahren während der Steinkohlezeit über weite Bereiche unserer Erde geherrscht haben muß? Bei der Betrachtung dieser Erscheinungen müssen wir allerdings bedenken, daß sie sehr langfristig sind. Eiszeiten dauern etwa 100.000 bis 200.000 Jahre, getrennt von Zwischeneiszeiten von fast ebensolanger Dauer.
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Die Steinkohlezeit hat etwa 80 Millionen Jahre gedauert, wobei überhaupt nicht auszuschließen ist, ob es während dieses langen Zeitlaufes auch Perioden gegeben hat, bei denen das Klima wieder etwas kühler war. Grundsätzlich aber sind diese Klimaschwankungen nur die großen Atemzüge in der Geschichte unserer Erde, wobei allerdings auch zu bedenken ist, daß während dieser langen Perioden die Erde sich als ganze wiederum in einem Gleichgewichtszustand zwischen Wärmeeinstrahlung und Wärmeabstrahlung befand.
Wir kurzlebigen Menschen haben ja eine sehr eingeengte zeitliche Perspektive, und von diesem provinziellen Standpunkt aus würden wir vielleicht sagen, daß während einer Eiszeit oder während einer tropischen Periode wie in der Steinkohlezeit das sogenannte goldene Gleichgewicht gestört sei. Das ist aber nur eine Frage des Standpunktes. Lebewesen, die während der Steinkohlezeit oder während der Eiszeiten gelebt haben, werden vielleicht die Empfindung gehabt haben, daß das Klima sehr in Ordnung ist, und wenn es damals schon denkende Menschen gegeben hätte, hätten sie vielleicht auch vom goldenen Gleichgewicht gesprochen. Auf das Gleichgewicht kommt es doch an.
Jetzt verstehen wir auch, weshalb wir im Titel dieser Schrift von »Eiskeller oder Treibhaus« gesprochen haben. Wodurch diese großen Atemzüge in der Klimageschichte verursacht werden, darüber sind sich die Wissenschaftler noch lange nicht einig. Es gibt eine ganze Reihe von zum Teil sehr originellen und zum Teil auch sehr glaubhaften Theorien, die man allerdings gegeneinander abwägen muß. Obwohl die Klimakunde während der letzten Jahrzehnte erhebliche Fortschritte gemacht hat, sind wir noch lange nicht soweit, daß wir eine bündige Erklärung für den Wechsel zwischen Warmperioden und Eiszeiten abgeben können. In diesem Zusammenhang hat man natürlich auch Betrachtungen angestellt, ob nicht vielleicht langfristige Schwankungen im CO2-Gehalt unserer Atmosphäre eine wichtige Rolle spielen.
Außer diesen langzeitperiodischen großen Klimaschwankungen wie Warm- und Eiszeiten gibt es auch noch mildere Klimaschwankungen von wesentlich kürzerer Dauer, die nicht so extrem sind. In der kurzen Kulturgeschichte der Menschheit, seit etwa 5000 Jahren, hat man bereits einige solcher milden Klimaschwankungen verzeichnet. Sie hatten eine Dauer von einigen hundert Jahren bis herunter zu 50 oder gar nur 20 Jahren. Da sie ihrer Länge nach etwa in Jahrhunderten zu bemessen sind, nennt man sie »säkulare« Klimaschwankungen. So herrschte im Mittelmeerraum während der Zeit der Antike ein feuchteres und auch fruchtbareres Klima als heute. Inzwischen sind die großen Halbinseln des Mittelmeeres und auch der Norden Afrikas zum Teil verwüstet, zumindest aber auch verkarstet.
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Auch die großen Wälder aus dem Altertum sind mittlerweile verschwunden. Umgekehrt herrschte zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert in Mitteleuropa ein wesentlich kühleres Klima. Die Klimatologen sprechen sogar gerne von der »kleinen Eiszeit«.
Der Treibhauseffekt, von dem wir heute alle sprechen, wird unweigerlich zu einer Erwärmung der gesamten Erde führen. Dieser Erwärmungsprozeß hat bereits begonnen und bildet ein neues Kapitel in der jüngsten Geschichte des Klimas unserer Erde. Diese Veränderung des Klimas, die wir heute schon bemerken, zählt auch zu den säkularen Klimaschwankungen. Wissenschaftler schätzen ihre Dauer auf mindestens 50, vielleicht sogar 200 bis 300 Jahre. Die Gründe für die säkularen Klimaschwankungen in der Vergangenheit müssen wir in dem Kräftespiel auf der Oberfläche unseres Planeten suchen. Eines jedoch steht fest: Die jetzt zu erwartende neue Klimaphase wurde von uns Menschen selbst verursacht. Das können wir aus dem wachsenden CO2-Gehalt unserer Atmosphäre während der letzten 130 Jahre unmittelbar ablesen.
Der Grund, weshalb wir Menschen in den ausgewogenen CO2-Haushalt der Atmosphäre so entscheidend eingreifen, liegt natürlich in unserer industriellen Tätigkeit. Jedes Jahr verbrennen wir ungeheure Mengen an fossilen Brennstoffen — Kohle, Öl und Erdgas. Die gasförmige Asche ist CO2, und diese blasen wir ungehemmt in die Luft ab. Wollen wir einmal eine Bilanz aufstellen: Die gesamte Masse der Atmosphäre läßt sich leicht berechnen, wenn wir bedenken, daß auf jedem Quadratzentimeter der Erdoberfläche, d.h. Land und Meer zusammengenommen, ein Luftgewicht von einem Kilogramm lastet. Das können wir an unserem Barometer ablesen. Da unser Planet ja so riesengroß ist, kommt als Gesamtmasse ein erheblicher Betrag heraus. Die gesamte Atmosphäre der Luft wiegt etwa fünf Trillionen Tonnen. Obwohl der Anteil an CO2 in der Atmosphäre nur 0,035 Prozent beträgt, so kommt dennoch eine erhebliche Masse zusammen: In der Atmosphäre befinden sich insgesamt 1,6 Billiarden Tonnen CO2.
Bereits im Jahre 1970 — also schon fast historisch — haben Klimatologen eine Statistik über die Entwicklung des CO2-Gehaltes der irdischen Atmosphäre zusammengestellt. Die oberste Kurve der abgebildeten Graphik zeigt den Anstieg des CO2-Gehaltes in der Atmosphäre zwischen den Jahren 1870 und 1950, das heißt etwa seit Beginn der technischen Revolution. Zuvor hat die Menschheit praktisch nur Holz verbrannt. Dann aber begann man Kohle und später auch Öl zu verbrennen, und zwar in einem stets wachsenden Ausmaß.
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Auch heute noch wird der Löwenanteil unseres Energiebedarfs von diesen fossilen Brennstoffen gedeckt, entsprechend viel Kohlendioxid wird in die Atmosphäre abgeblasen. An der oberen Kurve der abgebildeten Graphik können wir ablesen, daß im Jahre 1870 der prozentuale Gehalt des CO2 in der Atmosphäre noch 0,028 Prozent betrug. Im Jahre 1950 waren es bereits 0,033 Prozent. Im unteren Teil der Graphik sind Temperaturkurven abgebildet. Sie bedeuten die Zunahme der mittleren Jahrestemperatur an sechs europäischen Beobachtungsstationen. Der auffallend parallele Gang der Zunahme der Konzentration von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre und der mittleren Temperatur an diesen Stationen läßt einen kausalen Zusammenhang erkennen.
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Oben:
Unten:
Der auffallend parallele Gang der Zunahme der Konzentration von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre und der mittleren Temperaturen an diesen Stationen läßt einen kausalen Zusammenhang vermuten. |
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Diese Untersuchung umfaßt den Zeitraum zwischen 1870 und 1950. Wir haben die Ergebnisse hier auch graphisch dargestellt, um zu zeigen, daß sich der Treibhauseffekt in diesen 80 Jahren zumindest in den Randgebieten des Nordatlantiks schon andeutungsweise bemerkbar gemacht hat. Es ist kein Zufall, daß die ersten, noch sehr mäßigen Temperatursteigerungen in diesem Gebiet mit dem Beginn der technischen Revolution zusammenfallen, das heißt mit jener Epoche, in der die stets steigende Ausschüttung der gasförmigen Asche CO2 der Verbrennungsprozesse ihren Anfang nahm. Die Wirkung des Treibhauseffektes war in diesen 80 Jahren noch nicht auffallend, und man mußte den langsamen Temperaturanstieg mühsam aus den natürlichen Jahresschwankungen herausschälen. Inzwischen freilich ist der jährliche Ausstoß von CO2 gewaltig angestiegen, vor allem in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Das Problem des Treibhauseffektes ist schon bald von Fachleuten der Meteorologie und Klimatologie in seiner ganzen Potenz erkannt worden. Man versuchte nun mit zahlreichen Prognosen, diese Erscheinung zu erfassen. Das Resultat waren gemittelte Kurven, die zum Teil einige Jahrzehnte, ja sogar bis zu zwei Jahrhunderte umfaßten. Man errechnete die mutmaßliche weitere Zunahme des CO2-Gehalts unserer Atmosphäre und die damit verbundene mutmaßliche Steigerung der mittleren Temperatur der gesamten Erde. Von diesen Prognosen möchten wir zwei Beispiele geben:
Zunächst einmal eine kurvenmäßige Darstellung (s. Graphik S. 18) der Zunahme des CO2-Anteils unserer Atmosphäre, wie sie bis für das Jahr 2050 vorausgesagt wird. Die Kurve ist mit einem darüberliegenden, gestrichelten Ast versehen, der die Wirkung auch anderer vom Menschen erzeugter und in die Luft abgegebener Spurengase - Stickoxide, Methan, Schwefeldioxid - wiedergibt. Auch diese Spurengase üben eine für den Treibhauseffekt typische Wärmehemmung aus; bei der Kurve wurde deren Wirkung so umgerechnet, daß sie zum CO2-Anteil hinzugezählt werden müssen. Man spricht vom »äquivalenten CO2-Anstieg«.
In der zweiten Graphik zeigen wir nun die Zunahme der mittleren Temperatur der gesamten Erde, wie sie wohl bis in die Anfänge des 22. Jahrhunderts zu erwarten ist. Da wir nur grob abschätzen können, wie wohl der CO2-Ausstoß im Maßstabe des zukünftigen Energiebedarfs der Menschheit ansteigen wird, sind drei Annahmen gemacht: Die linke Kurve errechnet sich aus der Annahme einer Steigerungsrate im Verbrauch fossiler Brennstoffe von vier Prozent pro Jahr, der mittleren Kurve entspricht eine Steigerungsrate von drei Prozent und der rechten Kurve eine Steigerungsrate von zwei Prozent.
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Zunahme des CO2-Anteils in der Atmosphäre, wie sie bis zum Jahre 2050 hochgerechnet wurde. Der gestrichelte Teil entspricht der Wirkung von weiteren wärmehemmenden Spurengasen (Stickoxide, Methan, Schwefeldioxid u. a.), die auf die Wirkung des CO2 umgerechnet und zur CO2-Konzentration hinzugezählt wurden. |
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Mutmaßlicher
Temperaturanstieg
Die
drei Kurven entsprechen
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Diese Prognose ist besonders lehrreich, da sie uns vor Augen führt, wie wichtig eine Beschränkung unserer Energieerzeugung mit fossilen Brennstoffen für die Zukunft des Weltklimas sein wird. Bei einer jährlichen Steigerung von vier Prozent wird die mittlere Erdtemperatur bereits im Jahre 2060 um sieben Grad angestiegen sein, während dieser Zustand bei einer Zuwachsrate von drei Prozent erst im Jahre 2090 und bei nur zwei Prozent erst im Jahre 2120 Wirklichkeit sein wird. Wie dem auch sei — alle drei Kurven weisen den Weg in die Klimakatastrophe für uns, für die Menschheit.
Diese erschreckenden Zukunftsaussichten sind naturgemäß nur die Ergebnisse von theoretischen Betrachtungen. Inzwischen jedoch ist der Treibhauseffekt zu einem Kernproblem der Klimatologie der letzten drei Jahrzehnte geworden. Die Methoden der Erforschung zukünftiger Verhältnisse haben große Fortschritte gemacht, vor allem weil man sich — wie in vielen anderen Gebieten der modernen Wissenschaft — der Computertechnik bedient hat. Bei einer Voraussagung zukünftiger Klimaänderungen spielen eine große Zahl von Faktoren eine Rolle, die oft eine verstärkende oder auch eine hemmende Wirkung haben. Um das in allen nur denkbaren Fällen zu erfassen, hat man sogenannte »Computermodelle« des zukünftigen Klimas erstellt, deren Verläßlichkeit man freilich von Fall zu Fall kritisch abschätzen muß. Andererseits kann man die verschiedenen Modelle auch auf die Vergangenheit anwenden und die Stichhaltigkeit ihrer Ergebnisse und Voraussagungen an der Wetterentwicklung ablesen, die sich ja ereignet hat und die wir deshalb kennen. Heute dürfen wir sagen, daß wir solchen Computermodellen über die zukünftige Entwicklung des Klimas immer mehr Vertrauen schenken können.
Hierfür wollen wir ein Beispiel geben: In der Graphik auf Seite 20 zeigen wir die historische Entwicklung der mittleren Temperatur der gesamten Erde seit Anfang dieses Jahrhunderts. Naturgemäß sind das nicht errechnete, sondern Beobachtungsdaten, welche die bisherige Klimageschichte unseres Jahrhunderts kennzeichnen. Obwohl die Kurve von Jahr zu Jahr und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt einen recht wirren Verlauf in Höhen und Tiefen aufweist, so ist dennoch eine mittlere, typische Tendenz festzustellen, welche durch die gewellte Mittelwertkurve dargestellt ist. Der Kurve können wir entnehmen, daß die mittlere Temperatur der Erde in den ersten Jahrzehnten langsam, aber stetig angestiegen ist, was den bereits zuvor erwähnten Anfängen des Treibhauseffektes entspricht. Im Jahre 1945 wurde mit 15,1°C ein Zwischenmaximum erreicht, um dann bis zum Jahre 1965 wieder auf 14,9°C abzusinken. Seit 1965 und bis 1988 erfolgte eine erneute Steigerung bis auf 15,4°C heute.
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Mittlerer
Temperaturverlauf
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Jeder wird sagen: Das sind doch nur Unterschiede von ein paar Zehntel Grad — das kann doch nichts ausmachen. Das Gegenteil ist richtig. Wir dürfen nicht vergessen, daß diese Werte die Erde in ihrer Gesamtheit betreffen, und jeder Klimaforscher muß darin bereits ernst zu nehmende Störungen des goldenen Gleichgewichts entdecken. Besonders interessant ist die kleine Senke zwischen 1945 und 1980. Diese 35 Jahre einer — wenn auch nur geringen — Abkühlung hat in den Köpfen vieler Menschen große Verwirrung angerichtet.
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Die Klimaforscher kennen den Treibhauseffekt schon seit mehr als 100 Jahren. Es wurde in Fachkreisen darüber diskutiert, und die Öffentlichkeit erfuhr eigentlich wenig davon. Aber bereits in den fünfziger Jahren haben einige besonders weitschauende Wissenschaftler vor dem kommenden Treibhauseffekt gewarnt. Damals schon sagten sie voraus, daß sich der Treibhauseffekt Ende der achtziger Jahre deutlich bemerkbar machen würde. Sie haben recht gehabt, obwohl die Senke zwischen 1945 und 1980 sie Lügen zu strafen schien. Selbst unter Fachleuten wurden sie vielfach als Pessimisten angesehen. Die Verursachung dieser Senke ist auch heute noch nicht völlig klar.
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Zwei Gründe könnten dafür verantwortlich sein: eine Zunahme der Versteppung weiter Landstriche auf der Erde mit einer entsprechenden Anreicherung des Staubes in der Luft — wissenschaftlich »Aerosol« genannt. Dieser Staub verhindert, daß die Sonnenenergie den Erdboden nicht in gewohnter Stärke erreicht, sondern Teile davon in das Weltall zurückgeworfen werden. Sodann könnte eine langjährige Zunahme der mittleren Bewölkung der Erde — die ebenfalls Schwankungen unterworfen ist — eine Rolle gespielt haben. In den fünfziger Jahren gab es ja noch keine Wettersatelliten, so daß man die mittlere Bewölkung der gesamten Erde in ihrer Summe schlecht ermitteln konnte. Heute kann man das glücklicherweise, da genügend Wettersatelliten eingesetzt sind und täglich Tausende von Bewölkungsbildern der gesamten Erde entstehen.
Das einzige, was die Öffentlichkeit von dieser flachen Temperatursenke zwischen 1945 und 1980 mitbekommen hat, war eine fühlbare Charakterveränderung der Jahreszeiten im Vergleich zu den ersten vier Jahrzehnten dieses Jahrhunderts. Unsere Eltern und Großeltern erinnern sich an zwar kurze, aber auch recht kalte Winter, in denen unsere Flüsse und Ströme vielfach zugefroren waren. Dann kam Ende März, Anfang April sehr bald der schöne, milde Frühling, gefolgt von einem meist schönen Sommer, in dem die Kinder häufig Hitzeferien bekamen. Während der Zeit der Senke wurden die Winter länger, aber auch milder und schneereicher. Der Frühling ließ lange auf sich warten und im gerühmten Mai nur noch zögernd sein blaues Band fliegen. Dann kam, vielfach bereits im Juni, eine kurze Hitzewelle, gefolgt von einem oft verregneten Juli und August. Nur am Herbst hat sich wenig geändert.
Ja, es war sogar so, daß in der voreiligen Medienlandschaft von einer neuen Eiszeit gesprochen wurde. »Eiskeller oder Treibhaus« wurde zum Schlagwort.
Diese Senke war wohl auch verantwortlich dafür, daß die Öffentlichkeit und die Politiker die Mahnungen der ernsthaften Klimaforschung vor dem Treibhauseffekt nicht wahrnahmen und vor allen Dingen auch nicht ernst nahmen. Wie konnte man in den fünfziger und sechziger Jahren vom Treibhauseffekt reden, wenn die Natur uns das Gegenteil vor Augen führte? Aber die Klimaforscher hatten damals schon vorausgesagt, daß diese weltweite Abkühlung nur vorübergehend sei und von dem dann einsetzenden Treibhauseffekt Ende der achtziger Jahre überrollt werden wird. Man muß freilich verstehen, daß solchen Prognosen selbst in Fachkreisen gelegentlich widersprochen wurde.
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Die Öffentlichkeit — soweit sie sich um diese langfristigen Prophezeiungen überhaupt kümmerte — sah die Folgen eines Treibhauseffektes überhaupt nicht auf sich zukommen. Dazu kommt, daß sich die gewellte Kurve der Mittelwerte der Erdtemperatur auch im Verhalten der Gletscher, des schwimmenden Polareises und der mittleren Schneebedeckung der Erde widerspiegelt. Im Jahre 1965 wurde festgestellt, daß die Temperatur des Nordatlantiks um 1/2 Grad gesunken war. Umgekehrt hat sich die Eisgrenze des schwimmenden Polareises um einige hundert Kilometer nach Süden verlagert, und auch die Eisberge stießen wieder weiter nach Süden vor, nachdem bei der Temperaturspitze Ende des Zweiten Weltkrieges kaum mehr von Eisbergen die Rede war. Schließlich war der Schiffsverkehr im Nordatlantik durch die zahlreichen Geleitzüge von Amerika nach Murmansk überaus lebhaft, und von Eisbergen wurde dort nie etwas gehört.
Sodann sind seit Anfang des Jahrhunderts bis Anfang der sechziger Jahre die Gletscher in den Hochgebirgen auf der ganzen Erde weggeschmolzen, um dann in der Tiefe der Senke wieder zuzunehmen. Diese Zunahme war besonders auffallend, da zum Beispiel die Alpengletscher in den Jahrzehnten bis in die fünfziger Jahre hinein sehr stark abgeschmolzen waren und häßliche, schmutzige Moränen hinterließen. Dann fingen sie wieder an zu wachsen. Gleichzeitig war die Ära der Satelliten angebrochen, und man hat in der Tiefe der Senke festgestellt, daß die mittlere Schneebedeckung der Erde um fast 15 Prozent zugenommen hatte.
Alle diese Beobachtungen mußten natürlich Verwirrung stiften und die Glaubwürdigkeit der Treibhauseffekt-Propheten in Frage stellen. Und das ist wohl auch der Grund, weshalb sich die Politiker mit diesem Problem überhaupt nicht beschäftigt haben. Es ist nun das Handicap der Klimaforscher, daß die von ihnen prophezeiten Klimaänderungen so langsam und langfristig vonstatten gehen. Um das Problem zu kennzeichnen, müssen sie immer von Jahrzehnten sprechen, und solche langen Zeiträume interessieren Politiker überhaupt nicht. Wenn ein Präsident oder Kanzler gewählt wird, denkt er schon am Tage seines Amtsantritts an die nächste Wahl und nicht an ein Problem, das 20 oder noch mehr Jahre in der Zukunft liegt. Das schiebt er zur Seite und sagt sich, daß sich darüber sein Nachfolger dereinst den Kopf zerbrechen soll, der vielleicht sogar von der anderen Partei sein könnte.
Heute wissen wir, daß diese »Eiskellerzeit« — wie vorausgesagt — nur von kurzer Dauer war. Schon vor 40 Jahren haben die Klimatologen prognostiziert, daß diese kurze säkulare Klimaschwankung in Richtung auf niedrige Temperaturen Ende der achtziger Jahre vom Treibhauseffekt überrollt werden wird.
So ist es dann auch gekommen.
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Der Treibhauseffekt ist heute ein Lieblingsthema der Medien. Zeitungen, Zeitschriften und das Fernsehen lieben Katastrophen, denn nach einem alten amerikanischen Spruch sind schlechte Nachrichten »gute« Nachrichten für die Presse. Damit lassen sich Aufmerksamkeit erregen, Schlagzeilen machen und Zeitungen verkaufen. Leider wird im Zuge dieser Gewohnheiten der Treibhauseffekt — zumindest stellenweise — übertrieben und die Bevölkerung ungebührlich verängstigt. Immerhin sind auch würdige Diskussionen über den Treibhauseffekt zustande gekommen, wie etwa ein Kongreß über dieses Problem, der Anfang November 1988 in Hamburg stattfand und an dem führende Politiker wie Willy Brandt und Bundesminister Riesenhuber teilnahmen. Darüber wurde in der Presse sinngemäß berichtet. Freilich diente auch dieser Kongreß einigen Journalisten zu sensationellen Übertreibungen. Ein klassisches Beispiel hierfür war ein großer Artikel mit dicken Schlagzeilen: »Venus — eine Warnung für die Erde« und »Die Venus — vom Leben verlassen«. Der Verfasser dieses Artikels wollte wohl die Wichtigkeit des Kongreßthemas unterstreichen — freilich mit einem völlig abwegigen Vergleich.
Der Planet Venus, der innere Nachbar der Erde im Planetensystem, ist in Größe und Aufbau eine echte Schwester der Erde. Nur die Atmosphäre der beiden Schwesterwelten sind völlig verschieden. Die Atmosphäre und das Klima der Erde brauchen wir hier nicht zu beschreiben, die fast gleich große Venus dagegen hat eine hundertmal dichtere Atmosphäre und eine Oberflächentemperatur von fast 500 Grad. Die Astrophysiker sind sich darüber einig, daß dieser Zustand der Venusatmosphäre schon seit Beginn des Sonnensystems geherrscht haben muß. Die Venus kann also nicht vom Leben verlassen worden sein, da es auf ihr niemals Leben gegeben hat. Der Autor des Artikels unterstellt, daß sich die Erde — wenn wir dem Treibhauseffekt keinen Einhalt geböten — in eine Venus verwandeln könnte. Nachdem er die Temperatur- und Druckverhältnisse auf unserer Schwesterwelt beschrieben hat, sagt er: »Die Venus ist ein Menetekel für das Schicksal der Erde.«
Das ist natürlich maßlos übertrieben und astrophysikalisch blanker Unsinn. Die Venus ist ein völlig ungeeignetes Beispiel, vor den Wirkungen des Treibhauseffektes zu warnen. Der gewaltige Unterschied in der Atmosphäre der beiden Schwesterwelten erklärt sich aus einer einzigen Tatsache: Venus umkreist die Sonne in einem Abstand, der nur zwei Drittel der Entfernung zwischen Erde und Sonne beträgt. Dementsprechend ist die Energie der Sonnenstrahlung dort fast doppelt so groß.
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Dadurch allein mußte die Temperatur der Venus über dem Siedepunkt des Wassers liegen, es konnte sich kein Leben entwickeln und damit keine Pflanzen, welche das Kohlendioxid, das in der Uratmosphäre beider Planeten reichlich vorhanden war, hätten herausschaffen können. Auch konnte sich kein Ozean bilden, da alles Wasser, das aus dem Innern der Venus entwich, sofort verdampfte. Die Geschichte der beiden in der Größe so ähnlichen Schwesterwelten verlief aus diesen Gründen in völlig verschiedenen Bahnen, und aus der Erde könnte nie eine Venus werden — oder doch?
Das wäre nur möglich, wenn durch einen Akt Gottes die beiden Planeten, so wie sie heute geschaffen sind, ihre Plätze tauschen würden. Unsere Erde würde sich dann durch die doppelte Sonnenbestrahlung sehr schnell erhitzen, die Ozeane würden verdampfen, alles Leben würde zerstört werden, die Dichte der Atmosphäre würde sich verhundertfachen, und das Kohlendioxid würde sich ungehemmt anreichern. Unsere Erde wäre zur Venus geworden. Umgekehrt, die jetzige Venus in der Erdbahn würde sich schnell abkühlen, der Wasserdampf würde herabregnen und Ozeane bilden, die Luft würde sich auf ein Hundertstel verdünnen, und wenn wir ein paar hundert Millionen Jahre warten, würde auch Leben entstehen, und die Pflanzen würden das Kohlendioxid aus der Atmosphäre herausschaffen. Unsere arme Erde in der Venusbahn würde bei 500 Grad Oberflächentemperatur verkochen, und die glückliche Venus würde sich von der Pechmarie in die Goldmarie verwandeln und so werden, wie die Erde heute ist. Bei uns auf der Erde ist im Grunde genommen alles so schön in Ordnung, weil unser Planet den Logenplatz im Theater des Planetensystems einnimmt.
So grausam und erschreckend die Aussichten des Treibhauseffektes und der bevorstehenden säkularen Klimaschwankungen in Richtung auf Erwärmung sind, so werden sie von der Natur doch nur als eine relativ »kleine« Störung des goldenen Gleichgewichts angesehen werden. Schwankungen ähnlicher Art — wenn auch nicht vom Menschen verursacht — hat die Erde in ihrer langen Geschichte schon öfters durchgemacht. Unser blauer Planet wird das mit links verkraften — nur wir Menschen schaden uns selbst.
Der Treibhauseffekt und seine Folgen sind ein sehr verwickeltes Sachgebiet. Ursache und Wirkung vertauschen oft ihre Plätze. Hinzu kommt, daß Meteorologie und Klimatologie zu den jüngsten der Naturwissenschaften gehören — die wissenschaftliche Atmosphärenforschung ist erst knapp hundert Jahre alt. Aber auch ihrer Natur nach sind die in der Atmosphäre wirksamen Kräfte sehr verwirrend und nur sehr schwer zu beschreiben. Darauf beruht auch die sprichwörtliche »Unzuverlässigkeit« der täglichen Wetterprognosen, obwohl sie im Zeitalter der Wettersatelliten eine Trefferquote von über 90 Prozent erzielen.
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Damit freilich können die Meteorologen nicht mit den Astronomen konkurrieren, die sich z.B. der erfolgreichen Mühe unterzogen haben, in einem jüngsten Sammelwerk zukünftige Sonnenfinsternisse bis in das Jahr 2504 vorauszuberechnen. In diesem bemerkenswerten Werk ist zum Beispiel zu lesen, daß am 11. August 1999 nach über 200 Jahren der Kernschatten des Mondes Deutschland wieder besuchen wird. An diesem Tag wird sich eine totale Sonnenfinsternis im Streifen Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, München und Salzburg ereignen, die allerdings nur knapp zwei Minuten ihre totale Phase erreichen wird. Auch die Zeiten sind vorausberechnet: In Stuttgart wird die Sonne um 10.48 Uhr total verfinstert sein. Sollten Sie dort sein, können Sie Ihre Uhr danach stellen.
Vielleicht war das Beispiel mit unserem Schwesterplaneten ein bißchen extrem. Dennoch aber sind vielfach übertriebene Darstellungen des durchaus bedrohlichen Treibhauseffektes in der Medienlandschaft zu bedauern. Obwohl sehr ernst zu nehmende Prognosen über die zu erwartenden Folgen des Treibhauseffektes — Verschiebung der Klimazonen, Gefährdung der Anbaugebiete der wichtigsten Nahrungsmittel für die Menschheit, Überschwemmungen küstennaher Gebiete und Häufung von Wetterkatastrophen — der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, können sensationell übertriebene Berichte den Ernst der Lage verfälschen.
Man kann sich gut vorstellen, wie solche Zeitungsartikel mit marktschreierischen Schlagzeilen zustande kommen — jeder Fachmann kann ein Lied davon singen. Er spricht eine Warnung aus, indem er ein Zukunftsproblem wissenschaftlich beschreibt, seine Aussagen sind dabei verantwortungsvoll abgewogen. Bei einem Interview versucht der Journalist dann noch eine für ihn geeignete Aussage aus dem Fachmann herauszukitzeln. Diese bauscht er dann auf und versieht sie mit einer bombigen Schlagzeile. Dabei wird natürlich der Fachmann mit allen seinen akademischen Titeln als Quelle zitiert. Wenn dann der übertölpelte Wissenschaftler das Ergebnis seines Interviews in der Zeitung liest, stehen ihm die Haare zu Berge.
Früher hatten die Wissenschaftler es gut: Sie lebten unter sich im Elfenbeinturm. Da die Ergebnisse ihrer Forschung in der Öffentlichkeit heute völlig neue Bewertungen erfahren müssen, kommt es oft zu einem Dilemma, das die Wissenschaftler in ihrer ganzen Schärfe selbst noch gar nicht richtig erkannt haben. Hierzu soll ein Beispiel aus der Novemberausgabe des »ZEIT-Magazin« (Nr. 45, 1988) zitiert werden:
»... Am 23. Juni, dem Tag, als 45 Städte zwischen Boston und Los Angeles eine Temperatur von über hundert Grad Fahrenheit meldeten, stieg ein Physiker namens James Hansen zum Rednerpult am Capitol Hill in Washington und schleuderte einer Kommission des amerikanischen Senats eine schockierende Nachricht entgegen: <Was dort draußen geschieht>, erklärte beschwörend der Professor des Goddard-Institutes von der Weltraumbehörde NASA, <ist mit 99prozentiger Sicherheit genau das, was wir vorausgesagt haben. Das ist der Treibhauseffekt.> Hansens Kollegen hielten die Luft an, als der Atmosphärenexperte fortfuhr: <Wenn unsere Berechnungen einigermaßen stimmen, wird es in Zukunft mehr dieser heißen Sommer geben — und die heißesten werden heißer sein als dieser.> Kein renommierter Wissenschaftler hatte es bisher gewagt, so etwas in der Öffentlichkeit zu sagen...«
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In der vorliegenden Schrift haben wir uns die Aufgabe gestellt, das Wesen der säkularen Klimaschwankungen - so gut es geht - zu erläutern. Nun hatten wir zuvor schon darauf hingewiesen, daß die Geologie und die Meteorologie in der Familie der Naturwissenschaften einen besonderen Platz einnehmen.
Wenn man von Naturwissenschaft spricht, denkt man meist zunächst an die Astronomie, die Physik und die Chemie. Im Bereich dieser Fachgebiete ist man an äußerste Präzision gewöhnt, und die Resultate dieser Fachwissenschaftler besitzen einen hohen Grad an Verläßlichkeit. Das trifft vor allem für Prognosen zu — für die Vorausberechnungen astronomischer Ereignisse in der Zukunft gaben wir zuvor ja schon ein eklatantes Beispiel. Ohne echt gesicherte Kenntnisse in der Physik und der Chemie könnte man ja keine Instrumente, Apparaturen und Maschinen bauen, und es gäbe keine Technik. In unserer modernen technischen Umwelt vertrauen wir unser Leben laufend dieser bewährten Präzision an.
Ganz anders steht es nun mit der Wetter- und Klimakunde — mit der Meteorologie und Klimatologie. Bei den zahlreichen Erscheinungen in unserem rastlosen Luftmeer dreht es sich meist um die Beschreibung von verwickelten Abläufen im Spiel der atmosphärischen Kräfte. Das Wesen des Wetters und des Klimas ist vielfach nicht so klar und durchsichtig wie die Gesetze und Erscheinungen in der Welt der Astronomie, Physik und Chemie. Wenn wir uns also anschicken, über die Frage »Eiskeller oder Treibhaus« zu reden, so können wir nicht unvermittelt in die Diskussion einsteigen, ohne daß wir uns zuvor einen ausreichenden Überblick über die Phänomene »Wetter und Klima« verschafft haben.
Das soll in den nun folgenden Kapiteln geschehen. Vor allem — im täglichen Leben sind Wetter und Klima für uns lediglich vorübergehende lokale Erscheinungen; zum rechten Verständnis unseres eigentlichen Themas müssen wir global denken, die ganze Erde ins Auge fassen. Erst wenn wir uns mit dem weltweiten <Normal>-Zustand unserer Lufthülle vertraut gemacht haben, können wir uns am Ende dieser Schrift ein befriedigendes und einleuchtendes Bild vom Wesen und den Gefahren des Treibhauseffektes machen.
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Haber 1989