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12. Fünf Minuten nach Zwölf

Von Heinz Haber, vor Februar 1989

  Lauterburg - Fünf nach Zwölf  

Eine Abschätzung der zu erwartenden Folgen des Treibhauseffektes ist unrealistisch, wenn man den steilen Zuwachs der Weltbevölkerung — selbst in der näheren Zukunft  außer acht ließe. Da der Treibhauseffekt Folgen menschlichen Tuns widerspiegelt, kann er — im Hinblick auf die stets wachsende Zahl der Besatzung auf dem Raumschiff Erde — nur schlimmer werden.

 

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Bei der Abfassung dieses letzten Kapitels habe ich mich zu einem Stilbruch entschlossen. In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Kräfte unseres rastlosen Luftmeeres in einem wissenschaftlichen, gelegentlich auch erzählerischen Stil geschildert. Diese Form möchte ich nun durchbrechen, da das nun folgende Thema einen mehr naturphilosophischen Charakter hat und auch vielfach persönliche Meinungen und Ansichten wiedergibt. Die nun folgenden Gedanken sind daher stellenweise subjektiv gefärbt, obwohl die vorgetragenen Ideen von vielen meiner Kollegen geteilt werden und auch schon oft an anderen Orten von ihnen geäußert worden sind. Für die Darstellung der nun folgenden Ideen erscheint mir daher die Ich-Form besser geeignet zu sein.

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Ich gehöre zu der Zunft der Astronomen, Weltraum- und Erdwissenschaftler. Als solcher werde ich oft gefragt, welche Zukunftsgefahren für die Menschheit mir wohl am schlimmsten erscheinen. Als Antwort nenne ich zwei Bedrohungen: Sehr schlimm scheint mir der Treibhauseffekt zu sein, dem ja das Hauptthema dieser Schrift galt. An erster Stelle jedoch rangiert bei mir als größte Zukunftsbedrohung die Überbevölkerung der Erde. 

Wir alle wissen ja, daß die Zahl der Menschen auf dem »bemannten Raumschiff« Erde heute schon viel zu groß ist. Wir sitzen heute schon auf einer Weltbevölkerung von mehr als fünf Milliarden Menschen. Alle Prognosen für die zukünftige Entwicklung sind katastrophal: Wir können geradezu von einer menschlichen Zeitbombe sprechen.

Eine brechende Welle am Strand unserer Weltmeere scheint mir ein passendes Symbol für dieses Thema zu sein. Das offene Weltmeer ist nur selten ganz still. Sowie jedoch ein größeres Sturmtief vorbeizieht, entsteht eine ausgeprägte Dünung. Die besteht aus einzelnen, riesigen Wogen, bis über 20 Meter hoch. Eine solche Woge im offenen Weltmeer nähert sich nach stundenlanger Reise dem Land. Die gewaltige Bewegungsenergie, die sie enthält, wird nur langsam abgebaut, da eine typische Dünung eine Bewegungsform des Wassers darstellt, bei der nur wenig Reibung auftritt. Im offenen, tiefen Weltmeer haben wir es bei einer Dünung mit einer walzenförmigen, rhythmischen Drehung zu tun. 

Das Bild ändert sich jedoch entscheidend, wenn die Welle sich der Küste nähert. Dann rollt eine große Welle an die Strände von Südkalifornien, Australien und Hawaii, wo sich die Surfer tummeln. Nicht umsonst sind die Bewohner des Pazifiks die Erfinder dieses schönen Sports, da die riesige Größe gerade des Pazifiks für eine verläßliche Brandung an seinen Stränden sorgt. Jetzt nähert sich die Welle der Küste; sie faßt plötzlich Grund an, da die Meerestiefe jetzt weniger als zehn Meter beträgt. 

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Langsam beginnt die kilometerlange Welle sich zu erheben, und die Reibung am Meeresboden hemmt ihren Fortschritt. Sie beginnt sich aufzutürmen, ihr Kamm wird steiler und spitzer. Wenn das Wasser immer flacher wird, stolpert schließlich die Welle — sie bricht sich. Hunderttausende von Tonnen Wasser stürzen in einem gewaltigen Kreisbogen nach vorne, und der Donner der brechenden Welle ist kilometerweit zu hören. 

Nach einer langen relativ friedlichen Existenz der Welle können wir geradezu von einem katastrophalen Ende reden. Die drohende Katastrophe der Überbe­völkerung gleicht einer brechenden Welle.

Vor rund 30 Jahren gehörte ich zur Fakultät der Universität von Kalifornien in Los Angeles, und einer meiner Kollegen war der berühmte, geistreiche Schriftsteller und Forscher Aldous Huxley, der Autor des berühmten Zukunftsromans <Schöne neue Welt>, den er 1931 schrieb. Im Jahre 1958 — wir kannten uns damals gut, und er erzählte mir von seinen Plänen — griff er das Thema <Zukunft der Menschheit> in einem neuen Buche auf. Er sagte mir, daß sein Zukunftsroman aus dem Jahre 1931 aus der damaligen Sicht viel zu optimistisch war, und er hätte die großen Probleme und eine mögliche Lösung der Überbevölkerung in eine ferne Zukunft von mehreren Jahrtausenden verlegt. 

Unter dem Druck der sich in den fünfziger Jahren schon auftürmenden Problematik entschloß er sich, das Thema noch einmal aufzugreifen, und zwar in der Form eines Sachbuches und nicht etwa eines Romans wie das Vorbild aus dem Jahre 1931. Als Titel dieses neuen Buches wählte er: <Brave New World Revisited> (Wiederbesuch bei der schönen neuen Welt). Darin steht auf Seite sieben ein einziger, kurzer Satz, der mein Denken in den letzten 30 Jahren ganz entscheidend geprägt hat: »Ungelöst wird dieses Problem alle unsere anderen Probleme unlösbar machen.« 

Um uns die Wucht dieses Problems vor Augen zu führen, wollen wir uns einmal die Entwicklung der Erdbevölkerung im Verlauf der Menschheits­geschichte in Zahlen ansehen.

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Zur Zeit vor Christi Geburt lebten etwa 250 Millionen Menschen auf der Welt. Es hat fast zwei Millionen Jahre gedauert, bis diese Bevölkerungsdichte erreicht war. Am Anfang ist die Menschheit der Anzahl nach nur sehr langsam vorangekommen, da die Zahl der Geburten der Zahl der Todesfälle praktisch fast immer die Waage hielt. Dann hat es ungefähr 1650 Jahre gedauert, das heißt bis zum Jahr 1650, bis sich die Weltbevölkerung auf 500 Millionen verdoppelt hatte. Schon zu Christi Geburt gab es recht viele Menschen auf der Erde, und damals kam alle vier Sekunden ein neues Kind zur Welt. 

* A.Huxley bei detopia 

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Das läßt sich leicht berechnen, wenn man bedenkt, daß die Geburtenzahl etwa drei Prozent der Bevölkerung ausmachte. Allerdings war damals die Sterblich­keitsrate, besonders die Kindersterblichkeit, noch sehr hoch, so daß im Schnitt etwa auch alle vier Sekunden ein Mensch starb. Der Zeitunterschied zwischen Geburten und Todesfällen war so klein, daß es etwa sechs Minuten gedauert hat, bis die ganze Menschheit um eine Person zugenommen hatte. Man kann abschätzen, daß sich damals die Menschheit etwa um hunderttausend Individuen pro Jahr vermehrte. Diese Zahl ist dann im Lauf der Jahrhunderte etwas angestiegen, so daß es schließlich im Jahr 1650 etwa 500 Millionen Menschen auf der Welt gab. 

Im Jahr 1830 waren es jedoch schon eine Milliarde Menschen, die gleichzeitig auf der Erde lebten. Die Verdoppelungszeit hat sich also von 1650 bis 1830 auf 180 Jahre verkürzt. Bereits hundert Jahre später, das heißt im Jahr 1930, waren es zwei Milliarden. Ich erinnere mich noch gut — ich war damals in der Unterprima —, als die Zwei-Milliarden-Grenze der Weltbevölkerung überschritten wurde. Bereits 45 Jahre später, im Jahre 1975, wurde das viermilliardste Kind geboren. Das ist ungeheuerlich — Verdoppelung bereits während meiner Lebenszeit!

Heute werden im Schnitt in jeder Sekunde drei Menschen geboren, und nur einer stirbt, das heißt, daß sich die Menschheit in jeder Sekunde etwa um zwei Personen vermehrt. Da ein Jahr 31,5 Millionen Sekunden lang ist, bedeutet das, daß die Menschheit zur Zeit pro Jahr um über 70 Millionen wächst. Das entspricht etwa der Bevölkerung der Bundesrepublik. Außerdem heißt das, daß sich die Menschheit alle drei Jahre um die gesamte Bevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika vermehrt. Und mit diesen erschreckenden Zahlen stehen wir, was die nächsten Jahrzehnte angeht, nur am Anfang. Seit Christi Geburt hat sich die Verdoppelungszeit der Menschheit laufend verkürzt: von 1650 über 180 und dann 100 schließlich auf 45 Jahre.

Das Teuflische an dieser Statistik besteht darin, daß sich die Verdoppelungszeit der Weltbevölkerung dauernd verkürzt. Aus der Verdoppelungszeit von 45 Jahren in der Mitte unseres Jahrhunderts wird bald eine Verdoppelungszeit von 40 oder gar noch weniger Jahren werden. So muß man erwarten, daß die Weltbevölkerung im Jahre 2000 rund 6,2 Milliarden betragen und in der ersten Hälfte des nächsten Jahrhunderts auf 15 oder sogar 20 Milliarden anwachsen wird. Es liegt auf der Hand, daß bei einer derartigen Bevölkerungsexplosion die Gattung homo sapiens sehr bald unter unvorstellbaren katastrophalen Umständen gegen eine Mauer rennen muß. Die Welle bricht sich.

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Wollen wir einmal diese Bevölkerungsstatistik bis zu einem ganz grotesken Ergebnis hochrechnen. Während der ersten anderthalb Jahrtausende lebten auf der Erde fast 50 Generationen, bis sich die Menschenzahl verdoppelte. Im letzten Jahrhundert allerdings verdoppelte sie sich bereits innerhalb von drei Generationen, ja sogar noch etwas schneller. Setzen wir unsere Hochrechnung einmal für die nächsten 900 Jahre an — und dabei sind 900 Jahre doch keine so lange Zeit! Karl der Große hat ja schon vor mehr als 900 Jahren gelebt. Im Jahre 2800 wird es demnach 100 Menschen auf dem Quadratmeter geben. Wir würden dann, wie Sardinen dicht gepackt, die gesamte Oberfläche der Kontinente der Erde bis zu einer Höhe von 40 Metern hoch bedecken. Diese groteske Hochrechnung soll uns zeigen, daß sich lange vor dem Jahre 2800 die Rate der Bevölkerungszunahme wohl ändern muß. 

Die Berechnung des makabren Zustandes im Jahre 2800 mit einer auf der Gesamtfläche der Erde 40 Meter hoch gestapelten Menschheit ist freilich eine mathematische Fiktion und mit ihrem Ergebnis ein kompletter Unsinn. Ich konnte mir jedoch nicht verkneifen, diesen Alptraum zu berechnen, um zu zeigen, daß es mit der Fortpflanzung der Menschheit nicht so weitergehen kann — nein, viel einfacher noch: daß es nicht so weitergehen wird. 

Das Problem, das uns heute, zum Ende des zweiten Jahrtausends unserer Zeitrechnung, ins Gesicht starrt, ist mit Abstand die größte Krise, die die Mensch­heit seit ihrem Ursprung je erlebt hat. Alle anderen geschichtlichen Ereignisse verblassen gegenüber diesem Problem zur historischen Bedeutungs­losigkeit. Dazu gehört auch die lebensbedrohende Umweltverschmutzung durch unsere moderne Industriegesellschaft. Das kann sich alles nur noch verschlimmern. Die Bevölkerungszahl der Menschen auf dem Planeten Erde ist aus dem natürlichen Gleichgewicht geraten. Nicht jene Katastrophen­meldungen, die wir laufend für die nächsten 20 oder 30 Jahre in der Zeitung entgegennehmen müssen, haben das Hauptgewicht, nein, die stets wachsende Zahl der Menschen auf unserer Erde.

Jeder nachdenkliche Mensch heute ist erstaunt darüber, daß dieses wichtigste Problem der Menschheit immer wieder unter den Teppich gekehrt wird. Gegenüber Umweltverschmutzung, Strahlenverseuchung, Klimaänderungen und zunehmender Verwüstung unseres Planeten nimmt das Faktum der Überbevölkerung im Bewußtsein der Öffentlichkeit und unserer Politiker erst den dritten, vierten oder fünften Platz ein. Kann man überhaupt verstehen, daß dieses wichtigste Problem für unsere Zukunft einen so niedrigen Rang einnimmt?

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Gewiß, nicht alle Politiker, Soziologen und Philosophen haben dieses Problem aus dem Auge gelassen. Es wurden Mittel und Wege gesucht, der ungehemmten Zunahme der Weltbevölkerung vielleicht heute schon Einhalt zu gebieten. Die klassischen Mittel, auf die man Vertrauen gesetzt hat, haben jedoch versagt.

In den Gebieten mit der größten relativen Bevölkerungszunahme — Indien, Afrika und Südamerika — hat die Pille überhaupt nicht funktioniert. Der Grund dafür ist natürlich, daß die Frauen dieser Länder den Rhythmus der Pille einfach nicht verstehen, und Unfruchtbarkeit gilt dort für eine Frau immer noch als Schande. So steigt die Kurve der Weltbevölkerung immer weiter und weiter an. Die uralte Überzeugung der Menschheit, daß Kinder ein Segen sind, ist immer noch voll wirksam. In den armen Ländern kann ja schon ein dreijähriges Kind durch Betteln zum Erhalt der Familie beitragen. Ja, es wurde sogar von erschütternden Fällen berichtet, daß Eltern ihre Kinder vorsätzlich verstümmelt haben. Sie sollten damit beim Spender Mitleid erregen, um den Bettelertrag zu steigern. 

Hinzu kommt die Vorstellung, daß ein echter Mann sich durch die Zeugung eines männlichen Nachkommens erst richtig beweist. Wenn eine Mutter das Pech hat, vier Töchter hintereinander zu haben, erblickt sie ihre unausweichliche Pflicht darin, nun endlich einen Sohn zur Welt zu bringen, um den Stolz und die Eitelkeit ihres Mannes nicht zu verletzen. Und die Philosophie der klassischen Religionen tut bei diesem Problem das ihrige.

In unserer engeren Heimat jedoch spüren wir kaum den Bevölkerungsdruck. Die jüngste Volkszählung in Deutschland hat gezeigt, daß sich bei uns speziell die Bevölkerungszunahme durchweg in erträglichen Grenzen hält. Das freilich gilt nur für die wenigen hochentwickelten Industriestaaten, die weniger als ein Viertel der Weltbevölkerung ausmachen.

Schon vor mehr als 20 Jahren hat der deutsche Physiker Professor Wilhelm Fucks in einer geistreichen Schrift geltend gemacht, daß nur der materielle Wohlstand eine wirkungsvolle Geburtenbremse darstellt.

 wikipedia  Wilhelm_Fucks  *1902 in Leverkusen bis 1990    dnb.Fucks 

Wenn nämlich der Umstieg von einem Volkswagen auf einen Mercedes für ein reiferes Ehepaar wichtiger ist als ein drittes Kind, dann wird dieses Kind auch nicht geboren. Hinzu kommt, daß in den Industrieländern die finanzielle Belastung und Abhängigkeit eines Kindes immer teurer wird. So stellen wir fest, daß der Geburtenüberschuß in den hochentwickelten Ländern schon so weit abgesunken ist, daß — wie etwa in der Bundesrepublik — die Bevölkerungszahl abnimmt. Professor Fucks hat daraus den Schluß gezogen, daß diese einzige bewährte Geburtenbremse bei den Entwicklungsländern angewendet werden müsse. 

Dieser Zug jedoch ist abgefahren.

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Angesichts dieser erschütternden Prognosen müssen wir uns als Ökologen die Frage stellen, wieviel Menschen die Erde wohl tragen kann. Zur Beantwortung dieser Frage kann man natürlich eine große Zahl von Argumenten anführen, die aus der Energiewirtschaft, der Welternährung, den noch vorhandenen Boden­schätzen und aus sonstigen, überlappenden Problemen der Ökologie abgeleitet werden können. Ein etwas ausgefallener Gedankengang kann uns ein Ergebnis liefern — Überlegungen, die auf einem fundamentalen Gesetz des Lebens überhaupt beruhen. 

 

Wir wissen ja, daß wir Menschen, zusammen mit den Tieren, unsere Existenz den Pflanzen verdanken. Die Fauna genießt nur ein sekundäres Lebensrecht auf unserem blauen Planeten. Die Pflanzen nämlich, und nur sie allein, sind imstande, den Energiestrom der Sonne zu nutzen, um daraus biologische Substanzen aufzubauen. Der Prozeß der Photosynthese ist demnach die Urformel des Lebens. 

Alle Mitglieder der Fauna, einschließlich der Menschen, machen von dieser zauberhaften Fähigkeit der Pflanzen Gebrauch, Sonnenenergie einzufangen und in energiegeladenen, organischen Substanzen zu speichern. Selbst ein Raubtier, das nur Fleisch frißt, lebt letzten Endes von der Pflanze, da auch seine Beutetiere — entlang einer mehr oder minder komplexen Ernährungskette — der Pflanze ihr Leben verdanken. Wenn man so will, sind alle Tiere und Menschen auf unserer Erde Parasiten der Pflanzenwelt. Wir benutzen den Sonnenschein lediglich dazu, um uns aufzuwärmen oder um uns zu bräunen. Diese bescheidenen Fähigkeiten der Fauna, die Energie der Sonne zu nutzen, würden uns allerdings überhaupt nicht zum Leben genügen. 

Diese Überlegungen nun geben uns die Möglichkeit, die Toleranzgrenze unseres blauen Planeten für eine sinnvolle Größe der Menschenzahl auf der Erde zu berechnen.

In der Ökologie, soweit es die Umweltverschmutzung betrifft, gilt eine Faustregel: Der Verschmutzungsgrad der Umwelt — Boden, Wasser und Luft — sollte das Verhältnis 1 Gramm pro Tonne nicht überschreiten. Bei der Abhängigkeit der Fauna von der Flora können auch wir Menschen uns als eine Art Verschmutzung des irdischen Lebens ansehen, und diese Faustregel der Ökologie wollen wir einmal auf die Menschheit anwenden. Da wir Parasiten der Pflanzenwelt sind, dürfen wir mit unserer Masse das Gewicht der Pflanzenwelt nur höchstens bis zu einem Millionstel erreichen, sonst überschreiten wir die kritische Grenze. Diese Überlegungen geben uns eine Handhabe zur Berechnung, wie viele Menschen es auf der Erde eigentlich überhaupt geben darf.

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Es gibt, wenn auch nur grob geschätzt, Berechnungen über das Gesamtgewicht der Pflanzenwelt, die ja als einzige Photosynthese betreibt. Es gibt auf der Erde eine riesige Masse von Algen, Gräsern, Farnen, Sträuchern und Bäumen, die eine ungeheure Masse pflanzlichen Körpermaterials darstellen. 

Ihre Gesamtmasse wurde auf 20 Billionen Tonnen geschätzt. Wenn wir die Faustregel des erlaubten Verschmutzungsgrades anwenden, so dürfen nach dieser Regel nur 20 Millionen Tonnen Menschen existieren, damit diese Toleranzgrenze nicht überschritten wird. Das Durchschnittsgewicht des Menschen können wir mit 25 Kilogramm ansetzen, da ja ein gutes Drittel der Menschheit aus Kindern besteht. 

Eine einfache Rechnung zeigt sodann, daß die natürliche Toleranzgrenze unseres blauen Planeten — die Zahl der jeweils lebenden Menschen — etwa 500 Millionen beträgt. Das etwa war die Bevölkerung der Menschheit in der Renaissance, und damals war ja auch von Überbevölkerung überhaupt noch nicht die Rede. Damals hat man auch von einem Druck der Menschenzahl auf unseren Planeten noch überhaupt nichts gehört. Heute haben wir diese Toleranzgrenze bereits um mehr als das Achtfache überschritten.

 

Wie soll das nun weitergehen? 

Was ist für das Jahr 2000 zu erwarten, das ja schon vor der Haustür steht? Heute sitzen wir schon auf über fünf Milliarden Menschen — bis zum Jahre 2000 wird bei einem jährlichen Zuwachs von fast 100 Millionen Menschen eine Weltbevölkerung von sechs bis 6,5 Milliarden unausweichlich sein. Es gibt Prognosen für das Jahr 2020 von 15 bis 20 Milliarden.

Kürzlich erschien eine interessante Schrift über die mutmaßliche Zunahme der Bevölkerungszahl in den Großstädten der Erde. Bis zum Jahre 2025 wird sich eine deutliche Umschichtung in der Verteilung der Großstädte ereignen. Bei dem Wort Großstadt denkt man an New York und Los Angeles. In der nächsten Generation wird die Einwohnerzahl dieser Städte etwa auf 10 bis 15 Millionen anwachsen. Sie werden jedoch weit überholt von den rapid wachsenden Großstädten der Dritten Welt. An erster Stelle wird Mexiko City mit über 30 Millionen Einwohnern stehen, ihr folgen mit Bevölkerungszahlen zwischen 20 und 30 Millionen die Städte Sao Paulo, Kairo, Lahore, Bombay, Delhi, Kalkutta, Dacca, Djarkarta (Indonesien) und Shanghai. 

Die Zustände in diesen Städten sind dann unvorstellbar. Eine Ahnung bekommt man heute schon in Kalkutta und in Mexiko City; in einem kürzlichen Bericht wurden diese beiden Städte mit ihrer heutigen Einwohnerzahl von mehr als 10 Millionen schon als unregierbar bezeichnet, da sich die urbanen Probleme schon heute nicht mehr lösen lassen. Mexiko City erstickt im Smog mit einem gewaltigen Anstieg von Krankheiten der Atemwege, und in Kalkutta leben Millionen von Menschen buchstäblich in der Gosse.

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Die Gefahren des Treibhauseffektes und die wachsende Gefahr einer fortschreitenden Erwärmung unseres Planeten laufen natürlich mit der Zunahme der Weltbevölkerung parallel. Je mehr Menschen auf der Erde leben, um so höher werden die Ansprüche an Energie, um so mehr fossile Brennstoffe werden verbrannt, und eine noch schneller zunehmende Steigerung des CO2 wird die Folge sein. In einem vorangegangenen Kapitel habe ich das schon angedeutet. Auf S. 18 haben wir den Anstieg der Erdtemperatur während der nächsten rund 200 Jahre graphisch dargestellt und dabei drei Kurven abgebildet. Sie entsprachen einem Zuwachs der CO2-Produktion durch weitere Energieerzeugung in Höhen von vier, drei und zwei Prozent. Der zu erwartende Treibhauseffekt nimmt mit größerer Energieerzeugung erschreckend schnell zu. 

Es ist sinnlos, den Gefährdungsgrad durch den Treibhauseffekt abschätzen zu wollen, wenn man die Zunahme der Weltbevölkerung außer acht läßt. Wenn wir den Treibhauseffekt möglichst bald bremsen wollen, ist es oberstes Gebot, von der Verbrennung fossiler Energiequellen wie Kohle, Öl und Erdgas Abstand zu nehmen. Die steigende Bevölkerungszahl erfordert dringend eine Umstellung auf Energiequellen, welche unsere Atmosphäre nicht weiter mit wärme­hemmenden Abgasen verseuchen. 

Wir haben doch die Atomenergie, welche die Atmosphäre überhaupt nicht angreift. Und wir müssen uns überlegen, weshalb gerade diese Energieform so verteufelt wird. Das hängt natürlich damit zusammen, daß uns die Strahlengefahr so unheimlich und unverständlich erscheint. Auch bei der Nutzung klassischer Energiequellen hat es immer schon Unfälle gegeben, die in Kohlebergwerken, bei Bränden auf Ölfeldern, Explosionen und Tankerhavarien Tausende von Menschenleben gefordert haben.

Alle diese Gefahren, auch wenn sie bei Unglücksfällen tödlich enden, sind uns, wenn auch nicht bis zur letzten Konsequenz, irgendwie vertraut und dadurch vorstellbar. Natürliche, das heißt mit unseren Sinnesorganen faßliche Gefahren erscheinen uns eben als natürlich. Demgegenüber ist die Strahlengefahr unheimlich, weil sie sinnlich nicht faßbar ist. Die Natur hielt es nicht für nötig, bei der überaus geringen radioaktiven Wirkung der Erdkruste und der Höhenstrahlung, uns mit Sinnesorganen auszustatten, die uns diese Strahlenarten wahrnehmen lassen. Radioaktive Verstrahlung tut nicht weh, man sieht sie nicht, man hört sie nicht. Man hat nur vor ihrer Anwesenheit Angst, weil für ihre Wirkung jeder Maßstab fehlt. 

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Was die Gefahr von radioaktiver Belastung angeht, so sind wir Menschen nicht imstande, ein brennendes Streichholz von einem Hotelbrand zu unterscheiden. Für Hitze und Verbrennungen haben wir die eindringliche Warnung des Verbrennungsschmerzes. Da uns jede Sinnesempfindung für radioaktive Strahlungsgefahr fehlt, ist sie uns so unheimlich, und deshalb wird ihr auch alles mögliche angelastet.

Unternehmen wir einmal ein teuflisches Gedankenexperiment. 

Wir führen einen Menschen in eine Klinik und setzen ihn vor eine Röntgenmaschine, die zur Diagnose von Krankheiten schon seit langem verwendet wird. Wir wollen aber nicht etwa seinen Brustkorb mit einer Belichtungszeit von einer Hundertstelsekunde durchleuchten, sondern wir lassen ihn fünf Minuten vor dem vollen Rohr sitzen. Das Opfer dieses Gedankenexperiments merkt dabei überhaupt nicht, daß es gerade umgebracht wird. Es kann dabei ungestört die Zeitung lesen. Erst eine Woche später stirbt es nach dieser massiven Strahlenüberbelastung den Strahlentod. Kein Sinnesorgan hat es davor gewarnt.

Kohle, Öl, Gas und Wasserkraft haben stets ihren nicht unbeträchtlichen Tribut an Menschenleben pro Kilowattstunde gefordert. Dem Gemüt des Menschen erscheint das jedoch nicht ganz so schlimm und eher verzeihlich, da es sich ja um »natürliche« Energiequellen handelt. Wir sind eben gewohnt, mit der Handhabung »natürlicher« Energiequellen umzugehen, und nehmen damit verbundene Opfer schlechthin in Kauf. Ein Opfer der Kerntechnik jedoch ist unnatürlich und wird demnach sehr viel härter beurteilt und bewertet. Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Öffentlichkeit mit ihrem naturphilosophischen Instinkt das so sieht. Und damit hat sie auch recht. Um so größer ist die Verantwortung von Wissenschaftlern und Kerntechnikern, die phantastische Kernenergie mit äußerster Verantwortung und Sorgfalt wirklich zu der sichersten Energiequelle zu machen, die sie sein kann und bisher auch war.

Dabei müssen wir die Kernenergie als potentiell sauberste Energieform nur richtig hüten und verwalten. Es sind immer nur menschliches Versagen und menschliche Unzulänglichkeit gewesen, welche die bisher noch durchaus in Grenzen gebliebenen Unsauberkeiten der friedlichen Anwendung von Kernenergie in Frage stellten — die Software also und nicht die Hardware. Die Gegner der Kernenergie haben offenbar sehr wenig Vertrauen in die Lernfähigkeit des Menschen.

Vielleicht haben sie damit sogar recht. Man könnte tatsächlich — wie soeben wieder der jüngste Atomskandal in der Bundesrepublik nahelegte — an der Vernunft der Menschen zweifeln. Aber was brächte das ein? 

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Ich jedenfalls bin nicht bereit, die Dummheit und Lernunfähigkeit der Menschen als vorgegebenes Schicksal zu akzeptieren. Und deshalb bin ich noch lange nicht so weit wie die Kernkraftgegner, die die Flinte jetzt schon ins Korn werfen und auf den potentiellen Segen der friedlichen Nutzung der Kernenergie voller Kleinmut verzichten wollen, das heißt, gegen die Interessen der Gesellschaft handeln. 

Denn was bleibt uns angesichts des katastrophalen Anstiegs der Weltbevölkerung denn anderes übrig, als auf die Kernenergie zu setzen?

Sollen wir weiter Kohle und Öl verbrennen, um damit die Umwelt noch nachhaltiger zu verderben und unseren Enkeln einen überhitzten und völlig geplünderten Planeten zu vererben? Emotionale, wenn auch psychologisch absolut verständliche Forderungen der Öffentlichkeit sind keine Leitlinien zur Bewältigung von zukünftigen Energieproblemen der Menschheit.

Die Atomenergie hat den unschätzbaren Vorteil, daß sie mit ihren unvermeidlichen Abfällen die Atmosphäre überhaupt nicht angreift. Auf der anderen Seite kann man die Atomenergie und sogar eine wohl notwendige Steigerung ihrer Nutzung nicht befürworten, wenn nicht das Problem des Atommülls sinnvoll gelöst wird. Das ist ein schweres Problem, und Wackersdorf ist ein klassisches Beispiel. Die Atomtechniker, sich ihrer Verantwortung voll bewußt, stehen vor der Frage: Wohin mit dem gefährlichen Atommüll?

So hat man schon seit längerer Zeit Pläne erwogen, diesen Atommüll mit Hilfe von Raketen zur Sonne zu schießen. Das Material würde dann in der Sonne verdampfen und in ihrem riesigen Leib spurlos verschwinden. Eine ideale Lösung — wenn nur der Transport nicht so unsicher wäre. Die Weltraumtechnik ist zwar schon sehr ausgreift, aber eine Reihe von spektakulären Startunfällen hat gezeigt, daß gerade diese Operationen nicht hundertprozentig funktionieren. Würde eine mit radioaktivem Müll beladene Rakete auf dem Weg zur Sonne bereits in der Erdatmosphäre explodieren, würden weite Landstriche verseucht werden. Das gerade wollen wir aber verhindern.

So habe ich schon vor mehr als 20 Jahren den Vorschlag gemacht, alle atomaren Nationen sollten sich zusammenfinden und darauf einigen, ihre radioaktiven Abfälle an dem hierfür besonders geeigneten Ort der Erde zu deponieren: Dieser Ort ist der sechste Kontinent, die Antarktis.

Die Antarktis hat gegenüber allen anderen Lagerungsorten eine Reihe von einzigartigen Vorzügen. Sie ist immerhin um 25 Prozent größer als Europa. Es gibt auf diesem Kontinent keine permanente Siedlung des Menschen. 

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Vor allem geologisch wäre die Antarktis dafür besonders gut geeignet, weil sie schon seit langer Zeit der stabilste Kontinent unter allen anderen ist. Die Kontinente schwimmen wie beladene Schiffe auf dem plastischen Untergrund des Erdmantels. Im Lauf der Jahrmillionen brechen sie zum Teil auseinander, entfernen sich voneinander oder stoßen miteinander zusammen.

In diesem unerhört langsamen Tanz der Kontinente auf der Erdhalbkugel nimmt die Antarktis eine Sonderstellung ein. Nachdem sie sich vor Millionen von Jahren am Südpol eingefunden hat, ist sie zur Ruhe gekommen. Auch gibt es auf diesem Kontinent keine Erdbeben, und die Antarktis hat nur einen recht müde tätigen Vulkan, den Mt. Erebus. Er liegt auf der Insel im Rossmeer. Die Antarktis ist zu 90 Prozent mit einer gewaltigen Eisschicht bedeckt. Man hat diese Eisdecke an verschiedenen Stellen bis zum Fels herunter durchbohrt und ganz altes Eis aus den Tiefen hervorgeholt. Die Altersbestimmungen dieses Eises ergaben einen mittleren Wert von 170.000 Jahren. 

Nun haben Naturschützer immer wieder geltend gemacht, daß tiefe Bergwerke, Salzstöcke oder andere stabile geologische Formationen für die Aufbewahrung des Atommülls vielleicht doch nicht so sicher wären. Plutonium hat eine Halbwertzeit von rund 28.000 Jahren, so daß die Ansprüche an die geologische Dauerhaftigkeit einer Deponie in die Hunderttausende von Jahren gehen. Die Antarktis aber bietet uns diese Garantie. Selbst das Eis auf ihr ist schon so alt. Das Felsgestein darunter ist noch viel älter, und als Kontinentalscholle nimmt die Antarktis nicht mehr an der Kontinentenverschiebung teil.

Einem solchen Plan jedoch, die Antarktis als Deponie für den Atommüll zu wählen, stehen zwei bedeutende Hindernisse entgegen: Im »Antarktischen Vertrag« heißt es: Auf der Antarktis dürfen keine Atombombenversuche unternommen und keine Atommüll-Deponien angelegt werden. Der Vertrag wurde 1961 ratifiziert und für 30 Jahre abgeschlossen. Im Dezember 1991 lief er aus. Das erste Hindernis — das Verbot, Atommüll abzulagern — würde demnach bereits 1991 nicht mehr bestehen. Das zweite Hindernis ist, daß die Anliegernationen der Antarktis — Argentinien, Chile, Australien, Neuseeland — schon in den Startlöchern liegen, um sich die Antarktis aufzuteilen. Auch die anderen Signatarmächte des Antarktis-Vertrages — darunter die USA, England, Norwegen und die Sowjetunion — melden Ansprüche an.

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Wie andere Versuche, internationale Einigungen zu erzielen, bisher zeigen, ist so etwas sehr schwierig. Dennoch sollten die Atomwirtschaftsmächte, die sämtlich an einer Lösung des Atommüll-Problems interessiert sind, und da sie ja bereits erhebliche Schwierigkeiten damit haben, ernsthaft eine Einigung anstreben. An diesem geologisch sicheren Ort unseren gesamten Atommüll unterzubringen, hat im Hinblick auf die Zukunft noch einen anderen großen Vorteil. Wir wissen nämlich gar nicht, welche ungeahnten Fortschritte in der Wissenschaft von unseren Kindern und Enkeln noch zustande gebracht werden. Unsere Nachkommen werden vielleicht in dem »Atommüll« einen sehr wertvollen Schatz erblicken, mit dem sie sinnvolle wissenschaftliche Projekte durchführen können, von denen wir heute noch gar keine Ahnung haben. In der Antarktis wären diese Schätze hervorragend aufbewahrt.

Wohlmeinende Umweltschützer haben diese Idee scharf kritisiert und mir vorgeworfen, ich wolle auch noch den letzten unberührten Kontinent verderben. Das Gegenteil ist der Fall. Nach menschlichem Ermessen ist der Atommüll im stabilen Fels in der Antarktis besser aufgehoben als in Hunderten, über die ganze Welt verstreuten, weit weniger sicheren Deponien.

Ohne Kernkraft werden wir keine Aussichten haben, den Treibhauseffekt zu bannen. Was die uns bisher zugängliche Kernenergie in der Form von industrieller Kernkraft angeht, so liegt es wohl an uns Menschen selbst, sie sinnvoll zu nutzen. Es liegt an der Überwindung unserer Eigensucht und unserer politischen Vorurteile, die »unnatürliche« Atomenergie zu dem zu machen, was sie sein kann und zum Wohl unserer Nachkommen unbedingt werden muß: die sauberste, sicherste Energieform, die der Mensch je erfunden hat.

Bei dieser Betrachtung gehört noch ein kurzes Wort zu den berühmten »Alternativquellen«, wie Sonnenkraft, Wind und Erdwärme. Gewiß, diese Energiequellen kosten nichts, aber das Einsammeln ist unglaublich teuer. Auch sehr optimistische Schätzungen sagen aus, daß ohne eine völlig revolutionäre Umstellung der gesamten Weltwirtschaft bis zur Jahrtausendwende mit diesen gerühmten Alternativquellen maximal nur zehn Prozent des steil ansteigenden Energiebedarfs der Menschheit gedeckt werden können, vor allem im Hinblick auf die bevorstehende Bevölkerungsexplosion.

Unsere Zukunftsaussichten als Menschheit sind düster, ja sogar erschreckend und erschütternd. Im Hinblick auf diese grausamen Tatsachen, die uns, unseren Kindern und Enkelkindern ins Gesicht starren, habe ich mir schon vor 15 Jahren in meinem Buch Stirbt unser blauer Planet überlegt, welche Möglichkeiten überhaupt bestehen, den Bevölkerungszuwachs der Erde zu stoppen und vielleicht sogar die Anzahl der Menschen auf unserem Planeten zu reduzieren. 

Was nun folgt, klingt unmenschlich — indessen habe ich als Vorbilder Beispiele aus der Geschichte und jene oft grausamen Mittel herangezogen, welche die Natur immer schon angewendet hat, um überschäumende Gattungen mit ihrer Überbevölkerung in die Schranken zu weisen.

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An dieser Stelle erinnere ich mich der vor 15 Jahren zusammengestellten Möglichkeiten, wie die Überbevölkerung denn je ihr Ende finden kann und wohl auch unausweichlich finden muß. Alle denkbaren Lösungen des Problems der Überbevölkerung habe ich dann nochmals Anfang 1987 in einem Artikel zusammengestellt und ihn einer führenden deutschen Tageszeitung zur Veröffentlichung angeboten. Das Blatt lehnte die Veröffentlichung ab, mit einem bedauernden Schreiben des Feuilleton-Redakteurs, aus dem ich die Begründung zitieren möchte:

»... vielen Dank für Ihren Aufsatz, den ich Ihnen aber leider zurückgeben muß. Ich selbst stimme ihm in fast allen Punkten zu, aber der Konsens hier in der Redaktion läuft darauf hinaus, daß wir uns einen solchen Aufsatz <einfach nicht leisten> könnten. Man würde uns <Zynismus> vorwerfen.«

Auch hier scheue ich mich, die nun folgenden Schlüsse und Prognosen hinzuschreiben, weil auch meine Leser mir Zynismus vorwerfen könnten. Hoffentlich wissen einige Leser andere, hoffnungsvollere Lösungen des Überbevölkerungsproblems. Ich wäre sehr dankbar, diese zu erfahren, um mich von den drückenden Zukunftssorgen zu befreien. Denn von den Prophezeiungen, die ich Ihnen jetzt vortragen muß, ist eine erschreckender als die andere...

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Wir bekämpfen uns dauernd selbst. Allerdings müssen wir feststellen, daß die bisherigen altmodischen Kriege nach dem Rezept des Erfinders des Schießpulvers bei weitem nicht imstande sind, dem Zuwachs der Menschenzahl auf der Erde Einhalt zu gebieten. Während der sechs Jahre von 1939 bis 1945 — während des Zweiten Weltkrieges — sind 50 Millionen Menschen vorzeitig umgekommen. In der gleichen Zeit jedoch betrug die Zuwachsrate der Weltbevölkerung pro Jahr etwa 50 Millionen. Wie wir sehen, ist dieser schreckliche Verlust der Kriegsopfer in der Weltbevölkerung glatt wieder wettgemacht worden. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war die Weltbevölkerung nämlich um etwa 300 Millionen größer als zu Beginn des Krieges. In einer Kurve der Weltbevölkerungs­zunahme ist das überhaupt nicht darstellbar. Mit einem weltweiten Atomkrieg allerdings könnte ein Drittel, die Hälfte, ja sogar 90 Prozent der Menschheit ihr Ende finden.

Auch das nächste Thema betrifft wiederum eine sehr erschreckende Aussicht. Trotz aller medizinischen Fortschritte und der überaus wirksamen und tüchtigen Wachsamkeit der Weltgesundheitsbehörde könnte eine Seuche ausbrechen.

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Vielleicht sogar eine völlig neue Seuche, die wir eben wegen ihrer ausgefallenen Mutation nicht schnell genug beherrschen können. Eine Superpest, der heutigen Superpopulation angemessen, könnte vielleicht 50, 60, 80 oder vielleicht sogar auch 90 Prozent der Menschheit innerhalb weniger Monate dahinraffen.

Als Vorbilder haben wir in der Geschichte nur klassische Epidemien wie die Pest und die Cholera, die innerhalb von Wochen und Monaten echt epidemisch werden können, das heißt wirklich katastrophal. Die moderne Biochemie hat uns in den letzten Jahrzehnten überaus wertvolle Einsichten in das Wesen und die Funktion von Bakterien und Viren beschert. 

Um die möglichen Gefahren einer Superpest sinnvoll abschätzen zu können, muß ich an dieser Stelle etwas ausholen. Vor allem denke ich hier an AIDS. Das AIDS-Virus arbeitet mit der typischen Raffmesse der Viren, die mit ihren zahlreichen Mutationen dauernd neue Erfindungen machen. Das AIDS-Virus ist wirklich eine Neuerfindung, mit der Viren höhere Lebewesen angreifen. AIDS hat uns gelehrt, welche völlig neuen Tricks sich die Viren mit ihren Mutationen noch einfallen lassen können. Dazu gehört die neue Langzeitwirkung von Jahren und Jahrzehnten, während die Wirkungsweise der klassischen Epidemien so beschaffen war, daß die befallenen Menschen binnen Wochen dahingerafft wurden. Das AIDS-Virus befällt einen Menschen, er wird dadurch — wie es heißt — »AIDS-positiv«, aber es ist noch gar nicht sicher, daß der Betroffene nun die volle Wirksamkeit dieser Infektion erleiden muß. 

Was heißt eigentlich AIDS? »AIDS« ist die Abkürzung der englischen Bezeichnung »Acquired Immunity Deficiency Syndrom«, auf deutsch heißt das »Erworbene Immunitätsschwäche«. Keiner von uns würde überleben, wenn in seinem Körper nicht ein System vorhanden sein würde, das alle Infektionen automatisch bekämpft. Das ist der Grund, weshalb wir nicht an jedem Schnupfen oder an einer kleinen Lungenentzündung sterben müssen.

Ein AIDS-positiver Mensch muß nicht notwendigerweise auch die Immunitätsschwäche entwickeln. Eine Mehrheit von Forschern ist allerdings der Ansicht, daß mindestens 70 Prozent der AIDS-Träger auch AIDS-Patienten werden. Und AIDS tötet unerbittlich.

Man kann bei den AIDS-Viren von einer wirklich neuen Erfindung sprechen, welche den Viren mit ihren unglaublichen Wandlungsfähigkeiten gelungen ist. Sie wirken nicht, wie die klassischen Epidemien Pest und Cholera, innerhalb weniger Wochen, sondern sie lassen sich Jahre Zeit, um einen Befallenen schließlich umzubringen. 

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Und dann haben sich diese Viren mit ihrem Übertragungsmechanismus just in jenem biologischen Prozeß angesiedelt, den wir Menschen grundsätzlich nie vermeiden können: den Geschlechtsverkehr.

Wenn die Natur eine neue Gattung schafft, möchte sie auch dafür sorgen, daß das neue Modell erfolgreich ist: Es muß sich vermehren, das heißt, es muß zur Paarung und Befruchtung kommen. Der Paarungsvorgang liegt nun nicht einfach so auf der Hand, und sein Vollzug muß sichergestellt werden. Deshalb hat die Natur den Lebewesen den Paarungsvorgang so reizvoll wie möglich gestaltet und seinen Vollzug mit dem Wollustgefühl belohnt. Diese Belohnung ist für jedes Individuum ein so ungeheuer positives Erlebnis, daß die Paarung immer wieder gesucht und vollzogen wird. 

Wenn also die AIDS-Viren ihrerseits erfolgreich sein wollen, dann haben sie größte Aussicht auf Erfolg, wenn sie sich just im Sexualbereich ansiedeln. Alle bisherigen Versuche der Mediziner und Virologen haben noch keine Gegenmittel gegen AIDS gefunden. So schrieben jüngst die Professoren Elke Brigitte Heim und Wolfgang Stille von der Frankfurter Universitätsklinik warnend: »In großer Sorge möchten wir auf die schnelle Ausbreitung der Infektionen in unserer Bevölkerung hinweisen. Wir sind als Ärzte und Wissenschaftler zutiefst erschüttert über den dramatischen, offenbar nicht zu stoppenden Anstieg der AIDS-Fälle.«

Nun will ich die Tüchtigkeit und die Forschungskräfte unserer Mediziner, Biologen und Virologen nicht unterschätzen. Ich traue ihnen durchaus noch zu, daß es ihnen in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten gelingen wird, dieser Jahrhundertseuche Herr zu werden und ein Gegenmittel zu finden. Vielleicht sogar auch einen Impfstoff, wie gegen Pest, Cholera und spinale Kinderlähmung. Erschwert wird diese Aufgabe freilich durch die Tatsache, daß die raffinierten AIDS-Viren schon mehrere Typen entwickelt haben, wobei ein wirksamer Impfstoff gegenüber dem ersten Typus bei dem zweiten Typus überhaupt nicht anschlägt. Es ist dies ohne Zweifel die wohl größte Aufgabe der medizinischen und biologischen Wissenschaft, die sich in unserem Jahrhundert gestellt hat.

Ganz anders steht es jedoch mit anderen Möglichkeiten, welche den Viren in der Zukunft noch zur Verfügung stehen. Dabei denke ich schon seit langer Zeit darüber nach, daß wir in unserer modernen Gen-Technologie immer tiefer in die geheimnisvollen Lebensvorgänge experimentell eingreifen. Ein Virus ist eine merkwürdige Schöpfung der Natur, die zwischen der belebten und der unbelebten Natur steht.

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Ein Virus besteht aus einer Außenhaut, welche die Fähigkeit hat, Kristalle zu bilden. Das ist eine typische Eigenschaft der unbelebten Materie, wie etwa Steinsalz, Quarz oder Diamant. Im Innern dieser Kristallinstrukturen jedoch beherbergt ein Virus das klassische Fadenmolekül des Lebens — die DNS, die Erbsubstanz. Viren können sich nicht von selbst vermehren. Sie müssen eine Wirtszelle befallen, um diese biologisch umzufunktionieren, so daß neue Viren entstehen. Viren sind also die gemeinsten Parasiten, die man sich denken kann.

Man kann sich nun leicht vorstellen, daß die Biologen und Biochemiker sich auf diese primitivsten Lebensformen gestürzt haben. Gerade weil sie so relativ einfach gebaut sind und weil sie an der Grenze zwischen der unbelebten und der belebten Schöpfung stehen, bieten sie die beste Aussicht, dem Wesen des Lebendigen auf die Spur zu kommen. So ist es einem amerikanischen Virologen gelungen, die Eingeweide eines Virus von seiner Außenhaut zu trennen. Er hat dann zwei leblose Stücke in der Hand gehabt, genauso als ob ein Schlachter ein Schwein ausgeweidet hätte. Keine Kunst der Welt jedoch würde es dem Schlächter ermöglichen, ein ausgeweidetes Schwein wieder so zusammenzubauen, daß es hinterher quicklebendig von der Schlachtbank hüpfen könnte. Anders so bei dem Virus. Als der kalifornische Forscher das Fadenmolekül wieder in die Hülle hineinstopfte, wurde das Virus sofort wieder lebendig, als ob nichts mit ihm geschehen wäre. Mit diesem sensationellen Versuch ist der Mensch dicht an jene Grenze gedrungen, an der er selbst künstliches Leben in der Retorte herstellen könnte.

Wer soll denn sagen, daß in irgendeinem Labor auf der Welt einmal künstlich ein Virus hergestellt wird, das wirklich im klassischen Sinne »virulent« ist? Das Virus, künstlich hergestellt und aus dem Labor entwichen, könnte ähnlich wie die Pest und die Cholera die Menschen innerhalb von wenigen Wochen wie ein Lauffeuer befallen und in Milliardenzahl dahinraffen. Wir wissen es nicht. 

Die erfindungsreichen Viren brauchen jedoch nicht darauf zu warten, bis sie vielleicht mal einem Labor entwischen können. Es ist durchaus möglich, daß irgendwann einmal ein neues Virus auftaucht, das wirklich wie eine Superpest wirkt. Es klingt besonders sarkastisch und zynisch, wenn man sagen muß, daß das AIDS-Virus wohl nicht geeignet ist, die menschliche Zeitbombe zu entschärfen. Dazu müßten schon Viren entstehen, bei denen der Krankheitsverlauf so schnell erfolgt, daß den Biochemikern keine Zeit bleibt zur Erfindung eines Gegenmittels und dessen weltweiter Massenproduktion als Impfstoff.

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Es ist nun sehr wahrscheinlich, daß die Natur schließlich zu einem Mittel greifen wird, um Gattungen von Lebensformen, die in ihrer Bevölkerung überschäumen, in die Schranken zu weisen. Dieses bewährte Mittel besteht darin, daß die überschüssigen Nachkommen verhungern. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele.

Die bitterböse Situation der drohenden Überbevölkerung unseres blauen Planeten ist dadurch entstanden, daß wir als Gattung eine so unerhört erfolgreiche Schöpfung der Natur sind. Die Entwicklungsgeschichte des Lebens auf der Erde ist gekennzeichnet durch Erfolg und Versagen verschiedenster Gattungen, die einander dauernd bekämpfen, einander besiegen, ablösen und mit der Weiterentwicklung die globale Umwelt beherrschen. In diesem Lebenskampf der Arten untereinander ist die Geschichte der Gattung homo sapiens eine echte Erfolgsstory. In den letzten tausend Jahren, ja eigentlich erst im letzten Jahrhundert, haben wir uns so richtig durchgesetzt. 

Einige Konkurrenten um die endgültige Herrschaft dieses Planeten haben wir allerdings noch: Es sind dies andere Gattungen, die gleich uns hervorragende Vermehrungs- und Überlebenskünstler sind. Dazu gehören die Mikroben und die Algen, die Küchenschaben und die Löwenzähne, Ameisen und Schimmel­pilze, Ratten und vor allem die Heuschrecken. Nicht umsonst bildeten die Heuschrecken ja eine der berühmten biblischen Plagen. 

Das Rennen zwischen dieser gewiß nicht ganz vollständigen Sammlung von Gattungen und uns ist noch nicht gelaufen, obwohl wir seit einigen Jahrzehnten deutlich an Vorsprung gewonnen haben. Die Aufzählung unserer Konkurrenten — die man vielleicht noch einmal durchlesen sollte — besteht aus Gattungen von Tieren und Pflanzen, die uns nicht sonderlich sympathisch sind. Das darf uns auch überhaupt nicht verwundern, denn wir fühlen eben eine deutliche Konkurrenz. Es sind genau jene Gattungen, welche sich in ihrer Zählebigkeit mit der anderen vergleichen lassen. Dadurch machen sie uns die Herrschaft über unseren blauen Planeten streitig.

Die Gefahren einer weltweiten Hungersnot, welche die Menschheit heute schon bitter empfindet, können nur noch schlimmer werden. Wir haben ja zuvor schon daraufhingewiesen, daß der Treibhauseffekt eine Verschiebung der Klimazonen verursachen wird, und zwar mit verheerenden Folgen für die zukünftige Welternährung. Das ist vielleicht der teuflische Zusammenhang zwischen Treibhauseffekt und Überbevölkerung — jenen beiden schlimmsten Zukunftssorgen für die Menschheit, von denen ich zuvor schon gesprochen habe.

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Nun gibt es eine Reihe von blauäugigen Träumern, die immer wieder eine Lösung des Überbevölkerungsproblems vorschlagen, indem sie auf die Geschichte hinweisen. Noch vor 400 Jahren standen den Europäern die menschenleeren Kontinente der beiden Amerikas und Australiens als Auswanderungs­gebiete zur Verfügung. Könnten wir heute die Geschichte nicht mit der Eroberung der anderen Planeten wiederholen und unseren Geburtenüberschuß auf dem Mond und auf den Planeten Venus und Mars ansiedeln? In einem vorangegangenen Kapitel hatten wir ja schon die unwirtliche Natur der Schwesterplaneten in unserem Sonnensystem besprochen. Dort können keine Menschen leben. Sodann muß man bedenken, daß wir zur Zeit noch Milliarden ausgeben, um pro Jahr vielleicht sechs oder zehn Astronauten in das Weltall zu befördern. Wie soll es dann möglich sein, auch in ferner Zukunft, jedes Jahr an die 100 Millionen Menschen auf andere Planeten zu befördern? Dieser schöne, friedliche Ausweg ist eine blanke Utopie.

 

Zuvor erwähnte ich das bedeutende Buch von Aldous Huxley. Der Hauptteil dieses großartigen Werkes besteht darin, die Bedrohungen der Freiheit des einzelnen Menschen zu schildern, die aus der zunehmenden Bevölkerungsdichte erwachsen. Er befürchtet, daß die drückenden Umstände, die uns durch die Bevölkerungsdichte unweigerlich ins Haus stehen werden, die menschlichen Gesellschaftsformen mit steigendem Verlust der persönlichen Freiheit verändern werden. Wachsende Bevölkerungsdichte ist nach seiner Meinung der Nährboden für Diktaturen. Selbst in unseren Demokratien fühlen wir uns durch notwendige Anordnungen der Behörden, wie etwa im Straßenverkehr, immer mehr eingeengt. Der fundamentale Urtrieb der natürlichen Fortpflanzung läßt sich wohl nur durch harte Eingriffe in die persönlichen Freiheiten der einzelnen Menschen bewerkstelligen. Das Beispiel des modernen Chinas zeigt, wie recht Aldous Huxley schon vor 30 Jahren hatte.

In China wird schon seit Jahren eine ganz massive Bevölkerungspolitik betrieben, obwohl die Details dieser revolutionären Familienpolitik noch nie so richtig bekannt geworden sind. So hört man, daß junge Chinesen erst mit 25 Jahren heiraten dürfen, und daß nach dem ersten Kind das zweite Kind mit staatlichen Maßnahmen — wie etwa die Entziehung der Unterstützung — verhindert werden soll. Bei dem traditionell ausgeprägten Familiensinn der Chinesen sind das sehr brutale Eingriffe.

Bisher konnte ich meinen Lesern nur sehr wenig Tröstliches sagen — jedoch möchte ich sie nicht ohne jede Hoffnung lassen. Vielleicht sehen wir eine Hoffnung, die in der Natur des Menschen selbst liegt. Die Geschichte hat uns gelehrt, daß wir Menschen nur unter großem Druck zur Besinnung kommen. Die Atombombe ist dafür vielleicht ein gutes Beispiel. 

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Die Folgen eines weltweiten Atomkrieges wären so furchtbar und sind deshalb heute Allgemeingut im Bewußtsein der Menschen. Moderne Historiker haben schon vielfach die Meinung geäußert, daß uns just die Atombombe vor einem dritten Weltkrieg bewahrt hat. Diese historische Tatsache des gesunden Menschenverstandes ist der einzige Lichtblick und die einzige Hoffnung in der heutigen Situation mit den schrecklichen Zukunftsaussichten der Überbevölkerung.

 

Zum Schluß allerdings wollen und müssen wir noch einen Schritt weitergehen. 

Der große schwedische Naturforscher Karl von Linné (1707-1778) hat den Biologen einen Hinweis gegeben, wie sie in der unübersehbaren Fülle der Lebensformen von Fauna und Flora eine Übersicht gewinnen können. Er gab jeder Art und Gattung der Lebewesen einen lateinischen Doppelnamen, der ganz knapp die wesentlichen und charakteristischen Eigenschaften aller Geschöpfe kennzeichnen soll. Dem Menschen gab er den Namen »homo sapiens«.

Mir will scheinen, daß Linné uns voreilig einen zu schmeichelhaften Namen gegeben hat, denn eine andere Bezeichnung wäre für uns Menschen viel treffender: »homo bellicosus« — das heißt: der kriegführende Mensch. Von allen anderen Geschöpfen unterscheidet uns offenbar weniger unsere Klugheit, sondern vielmehr unser unbezwinglicher Hang, uns unaufhörlich gegenseitig zu bekämpfen. Die Lösung unserer schweren Zukunftsprobleme kann nur darin liegen, daß wir uns der voreiligen Bezeichnung von Linné wirklich würdig erweisen.

Die Natur wird so oder so das goldene Gleichgewicht wieder herstellen, das wir zu zerstören begonnen haben. Die Mittel der Natur gegen die Katastrophe der Überbevölkerung und auch des Treibhauseffektes mit seinen Wirkungen sind ebenfalls, wie wir gesehen haben, alle katastrophal. Wir müssen als Menschheit weltweit zur Besinnung kommen.

Jüngste Berichte aus der Medizin vermelden, daß es gelungen ist, für Männer und Frauen eine Unfruchtbarkeitsspritze zu entwickeln, die ohne jeden Eingriff in die Gesundheit und das Wohlbefinden für ein Jahr lang unfruchtbar machen. Freilich müssen wir dazu kommen, daß die Menschheit sich eines solchen Mittels freiwillig bedient und daß es nicht, wie nach dem chinesischen Vorbild, unter einem weltweiten Zwang erfolgen müßte. Spätestens in der nächsten Generation — nein, lieber früher noch — muß die Menschheit sich zu solchen Eingriffen freiwillig entschließen. 

Vielleicht kommt es dann dazu, daß die Menschheit sich dazu durchringt, freiwillig auf das dritte Kind zu verzichten. Wenn jedes Elternpaar nur zwei Kinder bekommt, pflanzt es sich in der Zahl nur selbst fort, und die Weltbevölkerung würde endlich stagnieren. Ja, es ist sogar so, daß durch die unvermeidliche, wenn auch geringer werdende Kindersterblichkeit die Zahl der Menschen langsam abnähme, und das muß auch das Ziel sein.

Wir müssen uns von dem biblischen Wert lossagen: »Seid fruchtbar und mehret Euch.« Dieses Gebot haben wir längst übererfüllt. Denken wir statt dessen lieber an das Wort aus der Bergpredigt: »Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.« An dieser göttlichen Weisung gibt es noch viel zu erfüllen.

Mir will scheinen, daß die einzige Zukunftshoffnung darin besteht, daß wir weltweit die Moral ändern. Die Geschichte zeigt uns, daß der Mensch auf Gebote und Verbote vielfach nur trotzig reagiert und vielfach doch so handelt, wie er will. Etwas anderes ist es, wenn er mit seinem Ansehen und seiner Ehre in der Gesellschaft bestehen will. Dann kann der Mensch plötzlich sehr diszipliniert sein.

Es muß in naher Zukunft dazu kommen, daß das dritte Kind als ein Verbrechen an der Menschheit angesehen wird. Es muß eine Schande für jedes Elternpaar sein, mehr als zwei Kinder zu haben. 

Die Menschheit hat bisher einen vergeblichen Traum geträumt, der dann vielleicht auch endlich Wirklichkeit werden kann: der weltweite Frieden.

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Ende

 

 

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Prof. Heinz Haber 1989