Wolfgang Harich 

Ahnenpaß

Versuch einer Autobiographie

Herausgegeben von Thomas Grimm

 

1999 by : Schwarzkopf & Schwarzkopf  
ISBN-10: 3896021680  
ISBN-13: 978-3896021687

  

1999  383 Seiten 

DNB.Buch

Goog.Buch  

 

Rez von Dr. Peter Feist, Berlin
marxismus-online.eu / ahnenpass   

Rez von Hans-Georg Soldat
hgsoldat.de/st-1999-06-13.pdf 

 

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Harich Start

Peter Feist zum Buch  

 

Vorwort des Herausgebers 

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Im Frühjahr 1972 begann Wolfgang Harich, im Gespräch mit Marlies Menge sein Memoirenwerk vorzubereiten. Fragen und Antworten wurden mit einem Tonbandgerät aufgenommen, und Marlies Menge schrieb die Gespräche auf. 

Die beiden stritten sich, Harich setzte die Arbeit allein fort. Er brach sie jedoch im Sommer desselben Jahres ab. Zurückgeblieben sind zwei Fragmente, A und B. Auf der Innenseite des Heftumschlages von Teil A steht folgende handgeschriebene Anmerkung: »Die widerliche Präsensform macht die Sache ungenießbar! Bei Veröffentlichung nach meinem Tode unbedingt vermerken, daß ich vorhatte, die Memoiren durchweg im Imperfekt zu schreiben.«

Auf der letzten Manuskriptseite ist zu lesen: »Aufgezeichnet als Stichworte für Memoirenwerk 1972, Orginal bei Wibke Bruhns mit zwei ergänzenden Briefen.« Laut Wibke Bruhns sind die Unterlagen leider nicht mehr vorhanden. Beide Teile sind von Harich korrigiert. Teil A endet mit den Ausführungen zur Opposition von 1956. Teil B ist im Imperfekt geschrieben. Die Überschrift lautet: »Kommentar zu meinem Ahnenpaß« und darüber steht mit einem Bleistift notiert: »Torso des ersten ausgearbeiteten Kapitels«.

Ausführlich, leicht plaudernd, eingebettet in die historischen Begebenheiten, beginnt Wolfgang Harichs Ahnengeschichte. Sie hört nach 41 Seiten auf, gerade da, als Harich sich anschickt, vergnüglich die vornehme Herkunft der Wynekens zu schildern. Es war eine seiner Lieblingsgeschichten, die Harich immer wieder gern, im leicht ironischem Ton, genußvoll und phantasiegeladen, zu erzählen wußte. Der letzte Abschnitt ist im vorliegendem Buch nicht enthalten. Er soll seinen Platz an dieser Stelle haben.

»Vornehm ist an den Wyneken im Grunde bereits, daß sie Hannovraner sind. Denn abgesehen davon, daß das Deutsche außer der Mundart der einstigen Barone im Baltikum nur noch einen vornehm klingenden Dialekt kennt, nämlich den, der in der Umgebung von Celle oder Hildesheim selbst von den ärmsten Landarbeitern gesprochen wird, handelt es sich bei den Hannovranern ja eigentlich um Engländer, historisch noch genauer: um die Beherrscher Englands, somit des britischen Weltreiches, durch mehr als 120 Jahre, von 1714 an.« 

1972 konnte Wolfgang Harich, der im Dezember 1965 aus der Haftanstalt in Bautzen entlassen worden war, auf eine relativ umfangreiche literarische Arbeit zurückblicken. Aus der intensiven Jean-Paul-Forschung waren zwei Bücher entstanden: »Jean Pauls Kritik des philosophischen Egoismus« (Leipzig und Frankfurt/Main 1968) und »Jean Pauls Revolutionsdichtung« (Berlin 1975) sowie »Kritik der revolutionären Ungeduld«, eine Schrift zur 68er Bewegung, 1971 in der Schweiz und 1972 in Italien erschienen; daneben Essays und philosophische Notizen.

Nach der Haft durfte Wolfgang Harich in eine öffentliche Lehrtätigkeit nicht mehr zurückkehren. Doch von 1970-1972 unterhielt er einen von »oben« geduldeten kleinen philosophischen Privatzirkel in der Dachkammer von Gisela May. Als eine Studentin die DDR gen Westen verließ, brach er den Zirkel sofort ab. 

Harich konnte sich keinen Aufregungen mehr aussetzen. Er war krank. Eine Herzinsuffizienz, die Folge eines in der Haft erlittenen Herzinfarktes, nahm zeitweise lebensbedrohliche Ausmaße an.

Was veranlaßte Wolfgang Harich, mit 49 Jahren, seine Erinnerungen aufzuschreiben, sich Rechenschaft abzulegen? War es die Angst vor dem Tod, oder spürte er sich deutlich ausgegrenzt vom kultur-politischen Leben? Die Phase der Rückschau und Selbstreflexion dauerte nicht lange an. 

Die Erkenntnisse des <Club of Rome> alarmierten Harich derart, daß er noch Ende 1972 mit Freimut Duve zusammenkam, um mit ihm gemeinsam die Vorarbeiten für das Buch <Kommunismus ohne Wachstum> (1975) zu beginnen. Mit letzter Kraft gelang es ihm, seine Kassandra-Rufe nieder­zuschreiben. Anschließend fuhr er schwer krank, begleitet von Jürgen Manthey, in die Schweiz, um sich dort einer Herzoperation zu unterziehen. Die Kosten dafür übernahmen Rudolf Augstein und der Rowohlt-Verlag. 

 

An seine Memoiren hat sich Wolfgang Harich nie wieder gesetzt. Angenehmer fand er in den späteren Jahren die Interview-Form. Die machte es ihm möglich, über seinen Lebensweg hinaus politische und philosophische Themen, die ihm besonders am Herzen lagen, aufzugreifen und darüber zu sprechen. Er war beruhigt, alles Gesagte festgehalten zu wissen.

So kam es im Herbst 1989 zwischen Wolfgang Harich und Thomas Grimm zu stundenlangen Video- und Tonbandaufnahmen. Anlaß war der spektakuläre Angriff von Walter Janka auf Wolfgang Harich und andere in seinem Buch <Schwierigkeiten mit der Wahrheit>.

In dieser Situation vertraute Harich Grimm seine unvollendeten Lebenserinnerungen an. Er war damit einverstanden, beide Schriften aus dem Jahre 1972 und den neu entstandenen Text der Tonbandaufnahmen durch Grimm als einen autobiographischen Versuch zu veröffentlichen. Der Siedler Verlag zeigte sich interessiert.

Als aber Harich den abgeschriebenen Text las, platzte das Unternehmen. Mit dem Argument »Eine Rede ist keine Schreibe!« fand das Projekt sein vorläufiges Ende.

Thomas Grimm hat nun den Versuch unternommen, die beiden Torsi und »Rede« in Einklang zu bringen, dabei bemüht, den Lesefluß zu erhalten, den Text »genießbar« zu machen, um somit den Ansprüchen Wolfgang Harichs nach dessen Tode annähernd gerecht zu werden. Wiederholungen, die sich aus dem Teil A, den eigenen Aufzeichnungen, und dem gesprochenen Wort ergeben, waren schwer zu vermeiden, da sonst wichtige Details verlorengegangen wären.

Der Titel »Ahnenpaß« wurde bewußt übernommen. In der NS-Zeit mißbraucht, zeugt er von jenem Zeitgeist, dem die Generation Wolfgang Harichs in ihrer Kindheit ausgesetzt gewesen war.

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Anne Harich, Thomas Grimm 
Berlin, im Februar 1999  

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Wolfgang Harich (1999) Ahnenpaß Versuch einer Autobiographie Herausgegeben von Thomas Grimm