Zum 90. Geburtstag von Robert Havemann - Morgen im Land Utopia
- von Marko Ferst ( Umweltdebatte.de ) - Neues Deutschland am 11.03.2000
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Der Vollstreckung seines Todesurteils im Nazideutschland entging er nur durch den Glücksfall, daß er kriegswichtige Forschung im Gefängnis übernehmen durfte. Jeweils für zwei Monate wurde das Urteil aufgeschoben. Havemann hatte sich in der Wiederstandsgruppe "Europäische Union" engagiert zusammen mit Freunden. Sie überlebten die Urteile des Volksgerichtshofes nicht.
Seit 1932 war er Mitglied der KPD. Der 20. Parteitag der KPdSU bedeutete für ihn auch eine persönliche Wende im Denken. Er begann sich mit der Hauptabteilung "Ewige Wahrheiten", den Bescheidwissenden im sozialistischen Osten auseinanderzusetzen. Noch 1959 erhielt er den Nationalpreis der DDR.
Durch seine Vorlesungen "Dialektik ohne Dogma" 1963/64 verlor er die Anstellung an der Humboldt-Universität und die SED-Parteimitgliedschaft. Wie die Akademie der Wissenschaft sich seiner entledigte, ist inzwischen detailliert in dem Band "Die Entlassung" von Silvia Müller und Bernd Florath dokumentiert.
Havemann blieb Sozialist, blieb in der DDR und veröffentlichte unzählige Artikel im westlichen Ausland zum Ärger der Genossen im Politbüro. Die setzten ihn 1976 kurzer Hand für mehr als zwei Jahre unter Hausarrest. In Grünheide war der gesamte Straßenzug, in dem er wohnte, hermetisch abgeriegelt. Zeitweise ließen die DDR-Oberen ihn mit mehr als 200 Personen operativ beschatten und bewachen. Noch heute sind die Gerichte damit befaßt, das Schnellverfahren zur Aufenthaltsbeschränkung und ein angebliches Devisenvergehen zu bewerten. DDR-Richter und Staatanwälte wurden angeklagt. Der Bundesgerichthof hob kürzlich die 1997 ergangenen Freisprüche auf, weil die Gerichtsentscheidungen in der DDR im Fall Havemann im Rahmen seiner Verfolgung als politischer Gegner stattfanden. Es muß neu verhandelt werden. Man kann nur hoffen, daß nicht erneut das Signal davon ausgeht, Havemann würde zum zweiten mal verurteilt, diesmal nach bundesdeutschem Recht.
Gewiß ist es nicht in Ordnung nur den Richtern und Staatsanwälten die Verantwortung aufzubürden und zudem ist zu fragen, wieviel Sinn die Prozesse noch machen, da das worum es eigentlich ging - eine tiefgreifend reformierte DDR - nicht mehr zur Debatte steht.
Über den widerständigen Menschen Robert Havemann, der in der heutige Öffentlichkeit präsent ist, gerät leider immer stärker in Vergessenheit, daß er sich in den letzten Jahren seines Lebens ganz zentral mit der Frage beschäftigte, wie eine zukünftige Gesellschaft aussehen könnte.
Sein Buch "Morgen. Die Industriegesellschaft am Scheideweg" dürfte neben dem Werk "Die Alternative" von Rudolf Bahro zu dem interessantesten politischen Buch gehören, das in der DDR entstanden ist. Den verschiedenen Weltmächten empfahl Havemann, einseitig mit militärischer Abrüstung zu beginnen, wie Gorbatschow es wenige Jahre darauf dann in die Tat umsetzte. Er hielt in dem Band weder die östlichen noch die westlichen Systeme für fähig, auf Dauer eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz zu sichern.
Wie Rudolf Bahro oder auch Wolfgang Harich hatte er gesehen, daß die ökologische Krise sich längerfristig über Jahrzehnte hin zu einem zentralen gesellschaftlichen Konfliktstoff heranentwickelt. So nimmt er uns mit auf eine Reise in das Land "Utopia", eine zukünftige kommunistische Gesellschaft. Dort angekommen, vermissen wir sofort die Autolawinen, man lebt viel bescheidener, aber man lebt gut, beschaulicher. Nur noch 10 % des einstigen Energiebedarfs werden benötigt. Die Produkte wechseln nicht mit der nächsten Mode ihr Gesicht und halten viel länger als unsere analogen Güter. Sie sind auf extreme Langlebigkeit getrimmt, undenkbar in der heutigen Zeit, wo eine Computergeneration die nächste überholt. Rüstungsindustrie und Werbung gibt es in Havemanns Zukunftsland nicht mehr.
In all diesen Vorstellungen ähnelt er einer Zukunftsreportage aus den USA von Ernest Callenbach unter dem Titel "Ökotopia". Die Sichten ergänzen sich an vielen Stellen und provozieren manche Nachfrage.
Robert Havemann hielt den Wachstumszwang der kapitalistischen Gesellschaften für ein sehr zentrales Problem und machte darauf aufmerksam, eine ökologische Perspektive würde Rück-Bauten verlangen. In Wettbewerbsökonomien droht dieses Ansinnen in eine totalitäre Zwangsherrschaft zu münden.
Lebenslanges Lernen und selbst ausgeübte Kultur und Kunst spielen in seinem Zeitsprung in die Zukunft eine viel größere Rolle als heute. Dabei geht es nicht, um das allbekannte Zensurenlernen oder das Lernen für den Arbeitsmenschen. Es geht um das Aneignen freier Bildung. Das braucht keine Zensuren, Diplome und andere Titel. Da ist der emanzipierte Mensch gefragt und emanzipierte Lernräume.
Havemann nimmt sehr weitgehende Änderungen in den Sozialstrukturen an. So spricht er zum Beispiel davon, Frauen nehmen in Utopia wieder eine stärkere Rolle wahr, von einem neuen Matriarchat ist die Rede, das in vieler Hinsicht keine einfache Wiederholung des historischen sei.
In der kommunistischen Zukunft sei Nicht-Haben der Reichtum. Das Leben ist nicht mehr ein Kampf um das Haben von Sachen und Menschen. Ziel ist es auch sich selbst zu verändern, stärker das hohe Leben ohne Handeln und ohne Absicht in sich aufzunehmen. Genügsamkeit und Verzicht wären keine Tugenden, sondern die Voraussetzung aller Lebensfreude.
Havemann verstand die Utopie als eine kritische Auseinandersetzung mit der Welt in der wir leben und er hatte eine Bitte. Man möge mithelfen, das an der Skizze, die er versuchte aufzuzeichnen, andere weiterdenken, damit ein vielfarbigeres Bild entstehen kann, neue Ideen hinzukämen. Diese Zukunftsforschung fortzuführen, läge wohl mehr in Robert Havemanns Sinn, als in Prozessen nachträglich festzustellen, daß bestimmte Repressionen gegen ihn wirklich Unrecht waren.
Hatte einst die Politbürokratie für das Nichterscheinen seiner Schriften in der DDR gesorgt, so erledigt dies heute die Rationalität des Büchermarktes. Mit etwas Glück und Geduld bekommt man aber den "Morgen" und andere vergriffene Bücher von ihm noch im Zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher im Internet unter www.zvab.de .