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Das Disziplinarverfahren

Aus dem DDR-Hochschulalltag  /  Die Sektion Mathematik an der Hochschule

 

 

Unbehagen breitete sich in ihrem Körper schon aus, als sie die Hochschule sah. Dabei waren die Gebäude, in der die Sektion Mathematik saß, ganz ansehnlich. Es waren ehemalige Studentenwohnheime, die aber als Dienstgebäude für Mitarbeiter freigegeben worden waren. Das war zur Zeit des überdimensionalen Anwachsens der Studentenzahlen an der Hochschule, wobei die Sektion Mathematik ihre Kapazität planmäßig um das Fünffache vergrößerte.

 

Alte Textilfachschule Chemnitz, TH Karl-Marx-Stadt

Die Gebäude der Sektion Mathematik waren moderner und schöner als die anderer Hochschulinstitute, die teilweise in alten verbauten Technikumsgebäuden der ehemaligen Chemnitzer Textilfachschule untergebracht worden waren. In einer übergreifenden Maßnahme waren die Fachschulen in der DDR abgebaut und die Hochschulen ausgebaut worden. Später fehlten der Wirtschaft dadurch die mittleren Kader, und die Hochschulabsolventen wurden in zweitklassigen Stellen untergebracht, aber zum Zeitpunkt unserer Betrachtung war das Hochschulwesen in einer seiner Blütezeiten, kurz nach der sogenannten Hochschulreform, die manchen ehrwürdigen Professor aus der alten Zeit, der diese Reform in die Praxis umsetzen sollte, in die frühzeitige Pension getrieben hatte.

Vor den Gebäuden der Sektion Mathematik gab es auch eine Rasenfläche und auf dieser ein Kunstwerk: Ein studentisches Liebespaar, auf das man auch hätte verzichten können. Manchmal spazierten Amseln über den Rasen und die Hochschule bot ein Bild vollkommenen Friedens. Büsche am Weg, sogar Rosenrabatten. Aber der Schein trügt.

Nehmen wir zunächst die Rosenrabatten. Diese mußten, ebenso wie die vielen sonstigen Büsche, von den Mitarbeitern der Hochschule, in diesem Falle also von den Mitarbeitern der Sektion Mathematik, gepflegt werden. Da gab es Frühjahrs- und Herbstaktionen, bei denen die Mitarbeiter innerhalb ihrer Dienstzeiten - und möglichst auch noch danach - versuchten, diese Büsche zu bändigen und das Unkraut zu vernichten. Diese Aktionen waren Einsätze der einzelnen Gewerkschaftsgruppen, die miteinander im Wettbewerb standen und auch bei der Rabattenpflege Wettbewerbspunkte sammelten.

In der Sektion Mathematik der Technischen Hochschule, an der Franziska als Oberassistent angestellt war, gab es nämlich verschiedene Lehrstühle (Bereiche - die Bezeichnungen wechselten je nach den großen zentralen Umprofilierungsplänen), deren Mitarbeiter dann auch jeweils eine Gewerkschaftsgruppe bildeten. Jeder Mitarbeiter der Hochschule war selbstverständlich Mitglied der Gewerkschaft FDGB, sonst wäre er nicht Mitarbeiter geworden. Jeder junge Mitarbeiter war auch Mitglied der Partei, nur die Älteren waren noch ohne ausgewiesene Parteimitgliedschaft Assistenten geworden.

Zu der Zeit, als das noch möglich war, war auch noch nicht jeder Professor Genosse, und man hielt überhaupt auch noch die Parteilosen für wertvolle Mitglieder der Gesellschaft, sofern sie das nötige wissenschaftliche Profil besaßen, das dem wissenschaftlichen Mitarbeiter einer Hochschule oder Universität gebührte.

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Das hatte sich verändert. Ein parteiloser Professor war selbst nur ein bestenfalls geduldeter Mitarbeiter, der zu keiner Verteidigung eines anderen Parteilosen fähig gewesen wäre, der aber, sozusagen positiv im Sinne der führenden Kräfte, als Sündenbock benützt werden konnte, wenn z.B. die Forschung nicht die Ergebnisse zeigte, die sie sollte, wenn die nötigen Prozentzahlen bei sogenannten freiwilligen Einsätzen aller Art nicht gebracht wurden, und der bei Prämien­zahlungen vernachlässigt werden konnte.

Später, dachte Franziska auf ihrem Weg zu ihrem Arbeitszimmer, wenn alle Mitarbeiter Genossen sein werden und die Gewerkschaftsgruppe gleich der Parteigruppe des Institutes sein wird, dann wird alles anders sein. Dann wird es nur noch innerparteiliche Streitigkeiten geben, auszuhandeln auf den montäglichen Parteiversammlungen.

Bislang war man aber noch stolz auf die Gewerkschaft - FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) - und froh, wenn man noch ein Nichtparteimitglied in der Gewerkschaftsgruppe fand, das Gewerkschaftsgruppenvorsitzender werden konnte. Alles sollte ja seinen Schein bewahren.

Franziska schaute auf die Uhr. Sie hatte sich wieder verspätet. Seit der letzten Dienstbesprechung wußte sie, daß der neue Rektor strikte Dienstzeiten­einhaltung verkündet hatte. Der Rektor hatte die Institutsfenster am frühen Morgen fotografieren lassen, um anhand der erleuchteten Fenster festzustellen, welche Mitarbeiter anwesend waren. Allerdings unterzog er sich nicht der Mühe, die Fenster auch am Abend zu fotografieren, um festzuhalten, welche Mitarbeiter auch noch nach der offiziellen Dienstzeit anwesend waren.

Gleitende Arbeitszeit war unbekannt, Dienstbeginn war 7.15 Uhr. Man wollte den Produktionsbetrieben nicht nachstehen, und der Rektor beabsichtigte, die Arbeitsproduktivität an der Hochschule durch Einhaltung der Arbeitszeit zu erhöhen.

Franziska dachte an ihre Kinder. Sie hätte sie in den Frühhort der Schule schicken können, der bereits eine Stunde vor Schulbeginn, also um 6 Uhr, öffnete. Die Schulhortkinder dösten ab 6 Uhr in dem Zimmer vor sich hin, das ab 7 Uhr als Klassenzimmer fungierte und nachmittags wieder als Schulhortzimmer, in dem es ewig nach Schule, nach ungelüfteten Turnsachen und nach Essen roch. Sogar Putzmittel würden besser riechen, dachte Franziska. Aber mit der Reinigung der Zimmer stand es nicht zum Besten.

Die Schüler der Klasse waren eingeteilt worden, jeweils zu zweit das Klassenzimmer nach Schulende zu fegen, den Papierkorb hinun-

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