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Vorwort 

 

von Horst Hiller 1994

 

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Seit es Menschen auf der Erde gibt, sind sie den Gewalten der Natur ausgesetzt. Stürme, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Hochwasser brachten sie um Eigentum, Gesundheit und Leben. Dürren ließen die Familien hungern und verhungern. Lebte der Mensch an den Küsten der Meere, bedrohten ihn Sturmfluten und seismische Wogen — hatte er sich in den Tälern der Hochgebirge niedergelassen, konnte er in Lawinen umkommen. Dann waren da noch die wilden Tiere, die für den Menschen oft Gefahr bedeuteten. In Massen auftretende kleine Tiere verwüsteten seine Felder.

Die Gefahren der Natur bestehen für den Menschen auch weiterhin. Die Zahl der Opfer nimmt sogar zu, denn die Weltbevölkerung wächst, und die Menschen können gefährlichen Regionen längst nicht mehr ausweichen. Sie leben überall auf der bewohnbaren Erde: an den Hängen der Vulkane und in erdbeben­gefährdeten Zonen ebenso wie an gefährdeten Küsten und Strömen, in Gebirgen, Steppen und Halbsteppen. 

Neben den uralten Gefahren der Natur aber sehen sich die Menschen unserer Zeit Gefahren ausgesetzt, die sie selbst verursachen.

Wir Menschen gingen schon immer davon aus, daß die Erde eigens für unser Leben und Wohlergehen geschaffen wurde. Christentum und Islam verkünden diese Meinung seit ihrer Existenz. Der Mensch entnahm der Natur also bedenkenlos, was er brauchen konnte, und überließ der Natur, was ihm lästig war, nämlich seine Abfälle.

Zu Zeiten als der Mensch in weit voneinander entfernten Gruppen lebte, war dieses Verhalten unbedenklich. Dieses Verhalten war vielleicht auch noch tolerierbar bei einer Bevölkerung von einigen hundert Millionen Menschen mit bescheidenem Handwerk. 

Mit der 1994 erreichten Bevölkerungszahl von 5,7 Milliarden und weltweit verbreiteten gigantischen Industrien sind die Menschen allerdings längst dabei, diesen Planeten nachhaltig zu schädigen. Auf einem geschädigten Planeten wird es sich aber nur schlecht leben lassen. Der Mensch ist also zunächst Verursacher der Schädigung, um danach deren Opfer zu werden. 

Die Lage ist dramatisch. Wir müssen uns fragen, ob in absehbarer Zeit die Schädigung des Planeten nicht in seine Vernichtung übergehen könnte, ob also intelligentes Leben überhaupt noch Zukunft hat.

Die uralten Sünden gegen die natürliche Umwelt wie Waldvernichtung, Desertifikation und Ausrottung von Tierarten haben sich um Größenordnungen verstärkt. In der jüngsten Zeit aber haben sich ganz neue Gefahren hinzugesellt. Die heutige Lage ist gekennzeichnet durch Begriffe wie Ozonloch, Treibhauseffekt, Radioaktivität, Müll oder Dioxin. 

Die Ursachen und Zusammenhänge, die einzeln oder in ihrem Zusammenwirken zur Gefährdung der Menschheit führen könnten, sind nicht immer einfach zu durchschauen. Es ist anzunehmen, daß einzelne Auswirkungen noch folgenschwerer sind, als wir gegenwärtig glauben oder erkennen. Viele Zeitgenossen sind sich dessen auch durchaus bewußt, die Folgerungen, die insgesamt aus dieser Erkenntnis gezogen werden, sind jedoch völlig unzureichend.  

Auch heute noch werden technischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum ökologisch kaum gebremst. Da soll einerseits der Schadstoff­ausstoß der Kraftwerke bis zum Jahr 2000 um einige Prozente vermindert werden. Dafür wächst er andererseits durch neue Industrialisierung für eine schon wieder vermehrte Bevölkerung in Entwicklungsländern, die sich die kostspieligen Schutzmaßnahmen nicht leisten können, viel stärker an. Oder mächtige Staaten lehnen eine Schadstoffbegrenzung bei ihren Kohlekraftwerken rigoros ab, weil das Geld kostet, das Land hochverschuldet ist und in einer Wirtschaftskrise steckt, die Bürger weit über ihre Verhältnisse leben und im übrigen eine Wahl bevorsteht. 

Wenn jemand wüßte, wie eine Verringerung der Erdbevölkerung bei Milliarden von gebärfähigen Menschen verwirklicht werden sollte — welches Land erhielte dann welches Menschenkontingent? Schließlich darf der Nachbar nicht stärker, er muß eher schwächer sein. 

Außerdem birgt ein hypothetischer Plan der weltweiten Verringerung der Bevölkerungszahl durchaus Risiken. Denn dann trüge die Erde zunächst immer mehr alte, aber immer weniger junge Menschen. Wer weiß denn, was dann geschähe? Diese Situation könnte erneut zu Auseinandersetzungen führen. 

Vorerst, das steht zweifelsfrei fest, wächst die Zahl der Menschen um weitere Milliarden. 

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Mit den Menschen wachsen Industrie und Landwirtschaft. In den armen Ländern muß beides wachsen, um die zunehmende Zahl der Menschen zu ernähren und mit dem zu versorgen, was als lebensnotwendig gilt. In den reichen Ländern steigt die Bevölkerungszahl kaum noch an, und Nahrung wird längst genug erzeugt. Aber die Industrie muß dennoch immer weiter wachsen. 

Als Folge fortschreitender Erkenntnisse in den Naturwissenschaften und verbesserter Technik bedarf es immer weniger Menschen, um eine bestimmte Menge Waren zu produzieren. Das führt zu Arbeitslosigkeit, wenn nicht immer neue Arbeits­plätze durch Produktions­steigerung geschaffen werden. Längst reicht die Ausweitung der Produktion in den Industriestaaten aber nicht mehr aus, um die frei werdenden Arbeitskräfte aufzufangen. Arbeitslosigkeit wurde so zur Dauererscheinung.

Die Wirtschaft des Industriezeitalters ist äußerst verwundbar. Sie stellt mathematisch ein instabiles System dar; geringe Störungen können sich ausweiten und verstärken. Wirtschaftskrisen aber sind längst nicht mehr lokal, sie sind immer global und schaffen weltweit zusätzliche Arbeitslosigkeit. Es ist damit zu rechnen, daß Arbeitslosigkeit ein wesentliches Merkmal der Wirtschaft während eines von uns überschaubaren Zeitraums bleiben wird. Arbeitslosigkeit aber schafft soziale Spannungen. 

Eines der Merkmale unserer Zeit ist die wachsende Kriminalität. Darüber hinaus erleben wir überall auf der Erde Krieg und Bürgerkrieg. Die Ursachen dafür sind zwar komplex, unzweifelhaft aber spielen Übervölkerung und Technisierung der Gesellschaft eine ganz wesentliche Rolle bei Nationalismus, Radikalismus und Rassismus. Was aber wird geschehen, wenn sich nach einigen Jahrzehnten die Ölvorräte der Erde ihrem Ende nähern? Schließlich würde das restliche Öl um so länger reichen, je weniger Menschen es verbrauchen! 

Die Menschen erkennen die wachsenden Schwierigkeiten auf der Erde durchaus. Dennoch sind sie aus Bequemlichkeit optimistisch. Sie betrachten sich als Herren der Erde und glauben noch immer, die Zukunft zu beherrschen. Sie sehen sich nur bedingt als Teil der Natur. Sie glauben, ihr Intellekt und die damit geschaffene Technik hätten die einstmals auch für sie geltenden Naturgesetze außer Kraft gesetzt, zumindest aber wesentlich eingeschränkt. 

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Es soll hier nicht bestritten werden, daß dies in Teilbereichen tatsächlich gelungen ist. Das Bevölkerungswachstum wird nicht mehr wie in vergangenen normalen Zeiten durch Regelungsgrößen wie Pest und Cholera gesteuert. Frauen sterben auch nur noch selten im Wochenbett, jedenfalls nicht in den Ländern der Ersten Welt.

In der Natur führt ungebremste Population stets in die Katastrophe. Heuschrecken können sich zu riesigen Schwärmen vermehren und große Schäden in begrenzten Gebieten verursachen. Irgendwann aber gehen die Tiere zugrunde, und die Natur erholt sich vom angerichteten Schaden. Kybernetische Grundgesetze begrenzen die Zahl der Individuen überall in der Natur und verringern sie drastisch, wenn sie zu groß wird. 

Wir können diese wesentlichen Fragen derzeit nicht beantworten. 

Wir wollen nicht glauben, daß die schreckliche Immunschwäche Aids ein Regulator der Zahl der Menschen sein könnte. Bevor es allerdings gelungen sein wird, erfolgreiche Impfstoffe und Medikamente zu entwickeln, werden im armen Teil der Welt viele Millionen Menschen sterben. 

Was aber sind Millionen Tote gegenüber Milliarden Lebenden?

Offen bleibt vorerst auch die Frage, ob die künftige Gentechnik eine Gefahr für die Menschheit sein könnte. Die Wissenschaft ist nicht aufzuhalten; das zeigen uns die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Mancher Zeitgenosse ist der Meinung, die Kernspaltung wäre besser nicht entdeckt worden. Aber was immer gemacht werden kann, wird auch gemacht. 

Die Gentechnik, so wird offiziell gehofft, werde im Dasein der Menschen manches verbessern. Die der Ernährung dienenden Pflanzen und Tiere könnten noch ertragreicher, Heilmittel noch billiger hergestellt werden. Das soll auch nicht bestritten werden. Die Gefahr liegt nicht in der gentechnischen Veränderung von Pflanzen und höheren Tieren. Hier lassen sich falsche Entwicklungen leicht korrigieren. 

Kritiker, die je nach Standpunkt Pessimisten oder Realisten genannt werden, sehen die Gefahr in manipulierten Bakterien und Viren, die sich der Kontrolle des Forschers entziehen und entweichen könnten. Hundertprozentige Sicherheit könne es hier ebensowenig geben wie bei den Atom­kraft­werken, wird gesagt. Eine neue, genetisch veränderte Art Bakterium innerhalb der vorgegebenen Natur könnte das biologische Gleichgewicht auf der Erde aber erheblich durch­einander­bringen. Im schlimmsten Fall würden die Menschen von gefährlichen alten oder neuen Krankheiten befallen.

Wir wissen nicht, was in den kommenden Jahrzehnten auf uns zukommt. Niemand vermag zu sagen, wie der Planet um 2050 oder 2100 aussehen wird. Wir sollten aber sehr beunruhigt sein.

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Dr. Horst Hiller 1994  Der gequälte Planet  Die Bestandsaufnahme eines Wissenschaftlers