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(1) "Eine revolutionäre Zelle"

 

Gespräch

 

11-59

Zwei Männer machen in L.A. einen Nachmittagsspaziergang — in Santa Monica an den Pacific Palisades. Sie gehen in einer Richtung, die die Kalifornier immer Norden nennen, weil sie auf der Landkarte die Richtung längs der Küstenlinie «nach oben» ist; in Wirklichkeit biegt die Küste hier aber scharf ab, und sie gehen genau nach Westen. Dies ist nur deshalb erwähnenswert, weil es genau eines jener Details ist, die diese Männer interessieren, und wenn es ihnen auffallen würde, würden sie darüber sprechen, diesen Umstand ausführlich erörtern und ihm sogar erhebliche Bedeutung beimessen — teils einfach so zum Spaß, teils, weil sie eben so sind.

Die beiden Männer haben ihren Spaziergang am Santa Monica-Pier mit seiner abgeschlafften Karnevals-Atmosphäre begonnen, wo sich wohlhabendes und obdachloses Volk ein Stelldichein gibt — Lateinamerikaner aus den östlichen Vierteln von Los Angeles und den neuen mittelamerikanischen Ghettos, Schwarze aus South Central, Asiaten aus Chinatown, Koreatown und den japanischen Enklaven, blasse Weiße aus Culver City und North Hollywood, braungebrannte, vornehme Weiße aus West-L.A., Alte jeglicher Herkunft und Sprache und Touristen aus der ganzen Welt. 

Die Armen angeln sich am Pier etwas zum Essen, den Schildern in Englisch und Spanisch zum Trotz, die vor dem Genuß des Fangs warnen. Der Strand ist oft wegen Verschmutzung durch Abwässer gesperrt. Dem Meer ist der Dreck nicht anzusehen — es sieht so schön aus wie immer, und auf alle Fälle ist es am Pazifik 5 bis 10 Grad kühler als nur einige Meilen weiter im Inland, und so strömt alles hierher.

Die beiden Männer sind die stetige Steigung zu den Palisades hinaufgegangen, an den über dem Pacific Coast Highway und dem Meer aufragenden Felsen vorbei, und haben sich am anderen Ende des Parks, wo die Felsen am höchsten sind und die Menschen weniger werden, auf einer Bank niedergelassen. 

Die beiden Männer sind James Hillman und Michael Ventura.  

Hillman, groß und schlank, steht in der Mitte seines siebten Lebensjahrzehnts. Obwohl er gebürtiger Jude aus Atlantic City ist, gibt er sich wie einer jener altmodischen Neuengländer, mit der yankeehaften Attitüde einer toleranten, aber keinen Unsinn duldenden Autorität, die etwas durch sein lebhaftes Interesse an allen Dingen — und meist auch Menschen — in seiner Umgebung gemildert wird. 

Ventura ist ein Mittvierziger, kleiner, dunkler und schlampiger als Hillman. Er trägt einen Hut, wie man ihn in den Filmen der vierziger Jahre sah, und ein gutes, aber schon etwas mitgenommenes Paar Cowboy-Stiefel, und er macht den Eindruck, als müsse er das Gleichgewicht zwischen diesen Unverträglichkeiten erst finden. 

Hillman ist Psychoanalytiker, Buchautor und Dozent; Ventura ist Kolumnist, Romancier und Drehbuchautor.

Ventura hat einen kleinen Kassettenrecorder dabei, und wenn er in diesen Tagen mit Hillman zusammen ist, läuft das Gerät fast ständig, auch wenn sie gehen oder fahren. Ihr Gespräch hat ein Thema: die Psychotherapie. Und es hat so etwas wie eine Form: Jeder soll dem anderen den Ansporn liefern, nicht etwas Kluges von sich zu geben, sondern in seinem Denken weiterzukommen. 

Und ihre Unterhaltung hat ein Ziel:  

Aus ihren Gesprächen und später ihren Briefen soll ein Buch entstehen, eine locker geschriebene, aber, wie sie hoffen, scharfe Polemik, die die Psychotherapie erschüttern soll. Denn es ist ihre gemeinsame Überzeugung, daß die Psychotherapie dringend über die Grenzen ihrer akzeptierten Denkschemata hinausgelangen muß; sie braucht eine neue Ursprünglichkeit, bevor sie endgültig als ein Mittel von vielen, die die Menschen in eine erzwungene und falsche Normalität pressen, vereinnahmt wird. Sie sitzen auf der Bank, Ventura stellt den Kassettenrecorder zwischen sie, und Hillman nimmt das Thema auf, mit dem er sich heute vor allem beschäftigt.

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Hillman: 
 
Wir haben einhundert Jahre Psychoanalyse hinter uns, und die Menschen werden immer sensibler, und der Welt geht es immer schlechter. Es könnte an der Zeit sein, sich hiermit auseinander­zusetzen. Wir sehen die Seele immer noch innerhalb der Haut. Man geht nach innen, um die Seele zu finden; man erkundet seine Gefühle und seine Träume; sie gehören zu einem selbst. Oder man befaßt sich mit den zwischenseelischen Vorgängen zwischen Ihrer Seele und meiner Seele. Man hat dies ein wenig ausgedehnt, auf Familiensysteme und Bürogruppen — aber die Seele, die Psyche, ist nach wie vor nur in und zwischen den Menschen. Wir arbeiten unaufhörlich an unseren Beziehungen, an unseren Gefühlen und Reaktionen, aber dabei übergehen wir etwas.

Hillman macht eine ausladende Geste, die den Öltanker am Horizont, das Graffiti auf einem Schild im Park und die dicke Obdachlose mit den geschwollenen Knöcheln und der rissigen Haut umfaßt, die etwa 15 m von ihnen entfernt im Gras schläft.

Was übergangen wird, ist der immer schlechter werdende Zustand der Welt.

Warum hat die Psychotherapie dies nicht bemerkt? Weil die Psychotherapie sich nur mit jener «inneren» Seele beschäftigt. Indem sie die Seele aus der Welt herausnimmt und nicht erkennt, daß die Seele auch in der Welt ist, kann die Psychotherapie nicht mehr funktionieren. Die Gebäude sind krank, die Institutionen sind krank, das Geldsystem ist krank, die Schulen, die Straßen — die Krankheit ist draußen.

Über die Pathologie wird die Seele immer wieder neu entdeckt. Im 19. Jahrhundert redeten die Menschen nicht von der Seele, bis Freud kam und die Psycho­pathologie entdeckte. Und heute fangen wir an zu sagen: «In den Möbeln ist ein Zeug, das uns vergiftet; vom Mikrowellenherd geht eine gefährliche Strahlung aus.» Die Welt ist giftig geworden.

Die beiden Männer beobachten das Glitzern der Sonne auf dem Meer.  Sie scheinen dasselbe zu denken.

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Ventura: Das Meer da draußen ist krank, der Fisch ungenießbar.

Hillman: Die Welt ist heute voller Symptome. Ist dies nicht der Anfang der Anerkennung dessen, was man früher Animismus nannte? Die Welt ist lebendig — weiß der Himmel! Sie hat Wirkungen auf uns, «Ich muß diese FCKW-Spraydosen loswerden.» - «Ich muß diese Möbel loswerden, weil sie Formaldehyd enthalten.» - «Ich muß auf dieses und jenes und jenes achten.» Die Welt ist also krank, und dadurch beginnen wir, die Welt wieder mit mehr Hochachtung zu behandeln.

Ventura: Wie wenn wir den Geist in den Dingen geleugnet hätten und der beleidigte Geist als Bedrohung zurückkommt. Weil wir die Seele in den Dingen geleugnet haben, zu den Dingen — mit Descartes — gesagt haben: «Ihr habt keine Seele», haben sich die Dinge umgedreht und gesagt: «Paßt nur auf, was für eine Seele ich habe, ihr Idioten.»

Hillman: «Paß nur auf, was ich fertigbringe, Mann! Du wirst diese scheußliche Lampe in deinem Zimmer haben, diese Lampe, die dich Tag für Tag, so oft du sie ansiehst, leiden läßt. Sie erzeugt Neonlicht, und sie wird dich in deinem Büro schön langsam wahnsinnig machen. Dann gehst du zu deinem Psychotherapeuten, und du wirst versuchen, deine Beziehungen in Ordnung zu bringen, aber du weißt nicht, daß ich dasjenige bin, was dich fertigmacht. Es ist diese Neonröhre über dir den ganzen Tag, die auf deinen Schädel herabkommt wie ein KGB-Mann und ein Licht auf dich richtet, genau auf dich herab — schattenlos, gnadenlos, grausam.»

Ventura: Dabei spüren wir dies in allem, was wir jetzt tun und sagen, wir alle, aber wir stecken in einer zweifachen Klemme: Einerseits ist dies der «Fortschritt», ein Wert, der uns eingeprägt ist, und wer glaubt, daß er dem Menschen nicht eingeprägt ist, braucht nur nach Mexiko hinunterzufahren und sich zu fragen, ob selbst arme Amerikaner so leben wollten, wie die meisten Menschen dort leben (die amerikanischen Armen sind für sie reiche Menschen; deshalb kommen sie nach wie vor); andererseits wissen wir zwar, daß die Art, wie wir leben, uns immer mehr schadet, aber uns ist noch nicht die Erleuchtung gekommen, was wir tun sollen. Unsere Auffassung von Politik ist zu jenem Kasperltheater verkommen, das sich bei Präsidentschaftswahlen abspielt.

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Hillman: Die politische Gesinnung ist verkümmert. Es fehlt das Empfinden für die wirklichen Probleme. Warum sind die intelligenten Menschen, zumindest in der weißen Mittelschicht, heute so passiv? Warum? Weil die empfindsamen, intelligenten Menschen eine Therapie machen! Sie sind in den Vereinigten Staaten seit 30, 40 Jahren in psychotherapeutischer Behandlung, und seit dieser Zeit gibt es in diesem Land einen ungeheuren politischen Niedergang.

Ventura: Sie meinen, es gibt hier einen Zusammenhang...

Hillman: Sooft wir versuchen, mit unserer Wut über die Autobahn, mit unserem Ärger wegen des Büros und der Lampen und der beschissenen Möbel, über die Gewalt auf den Straßen und was auch immer fertig zu werden, sooft wir versuchen, damit fertig zu werden, indem wir in Therapie gehen, nehmen wir der politischen Welt etwas

Und die Psychotherapie unterstützt in ihrer verrückten Art den Niedergang der Welt, indem sie die innere Seele betont und die äußere Seele ignoriert. Aber die Psycho­therapie beharrt blind auf ihrem Glauben, daß sie die äußere Welt heilt, indem sie die Menschen bessert. Wir kennen dies seit Jahren und Jahren: «Wenn jeder in Therapie ginge, hätten wir bessere Gebäude, bessere Menschen, mehr Bewußtheit.»  

Es stimmt aber nicht.

Ventura: Ich bin mir nicht sicher, ob hier ein ursächlicher Zusammenhang besteht, aber jedenfalls liegen die Dinge so. Unser inneres Wissen ist subtiler geworden, während unsere Fähigkeit zum Umgang mit der uns umgebenden Welt schlechter geworden ist — das ist wohl zu harmlos ausgedrückt: sich besser gesagt aufgelöst hat.

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Hillman: Die Mode ist doch heute in der Psychotherapie das «innere Kind». Das ist der Renner in der Therapie — man geht zurück zu seiner Kindheit. Wenn man aber rückwärts schaut, schaut man nicht um sich herum. Diese Reise nach rückwärts konstelliert das, was Jung den «Kindarchetypus» nannte. 

Der Kindarchetypus ist aber seiner Natur nach apolitisch und machtlos; er hat keinen Zusammenhang mit der politischen Welt. Dann sagt der Erwachsene: «Was kann ich denn an der Welt ändern? Damit bin ich überfordert.» So redet der Kindarchetypus. «Alles, was ich tun kann, ist, in mich zu gehen, an meinem Wachstum, meiner Entwicklung zu arbeiten, gute Unterstützungsgruppen zu finden.» Dies ist eine Katastrophe für unsere politische Welt, für unsere Demokratie. Demokratie braucht sehr aktive Bürger, keine Kinder.

Indem wir den Kindarchetypus betonen, indem wir unsere Therapiesitzungen zu Ritualen machen, in denen wir die Kindheit wachrufen und rekonstruieren, Schotten wir uns gegenüber dem politischen Leben ab. Zwanzig oder dreißig Jahre Psychotherapie haben die sensibelsten und intelligentesten und einige der wohlhabendsten Menschen in unserer Gesellschaft in den Kindeskult getrieben. Dies setzt sich schleichend fort, in der ganzen Therapie, im ganzen Land. Es ist ganz klar, daß unsere Politik aus den Fugen ist und niemand zu den Wahlen geht — wir machen uns durch die Therapie selbst machtlos.

Ventura: Die Menschen gehen davon aus, daß inneres Wachstum zu äußerer Macht wird, und viele sind sich gar nicht darüber im klaren, daß sie mit dieser Annahme in die Therapie gehen.

Hillman: Wenn persönliches Wachstum eine Hinwendung zur Welt bewirken würde, wäre dann nicht unsere politische Situation heute eine andere, wenn doch so viele intelligente Menschen eine Therapie gemacht haben? Was man in der Therapie lernt, sind hauptsächlich Empfindungsfertigkeiten: wie man sich wirklich erinnert, wie man die Phantasie erweckt, wie man Worte für unsichtbare Dinge findet, wie man in die Tiefe geht und sich Dingen gegenüberstellt... 

Ventura: ...was doch alles sehr nützlich ist...

Hillman: ...ja, aber man lernt keine politischen Fähigkeiten und erfährt nichts darüber, wie die Welt funktioniert. Persönliches Wachstum führt keineswegs automatisch zu politischen Ergebnissen. Sehen Sie Osteuropa und die Sowjetunion an. Jahrzehntelang wurde dort die Psychoanalyse unterdrückt, und sehen Sie, welche politischen Veränderungen eingetreten sind und die Welt verblüfft haben. Diese Revolutionen sind kein Ergebnis der Therapie.

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Ventura: Sie sehen also eine Art Widerspruch zwischen Macht, politischer Macht oder politischer Intelligenz, und therapeutischer Intelligenz. Viele Menschen, die therapeutisch sensibel sind, sind gleichzeitig politisch unbedarft und verdorben; und wenn man sich die Menschen ansieht, die in praktisch allen Lebensbereichen die meiste Macht haben, dann sind es oft Menschen, deren inneres Wachstum schwer gehemmt ist.

Hillman: Sie meinen, die Menschen machen eine Therapie, um zu wachsen?

Ventura: Ist denn nicht Wachstum weitgehend das Ziel der Therapie? Jeder führt das Wort im Munde, Therapeuten und Patienten gleichermaßen.

Hillman: Aber das Wort wachsen ist doch ein Wort, das auf Kinder paßt. Nach einem bestimmten Alter wächst man nicht mehr. Es wachsen keine Zähne mehr, es wachsen keine Muskeln mehr. Wenn nach einem bestimmten Alter etwas wächst, dann ist es Krebs.

Ventura: Aber Jim, kann ich denn nicht im Inneren mein ganzes Leben wachsen?

Hillman: Was soll wachsen? Weizen, Tomaten? Neue Archetypen? Was wächst in mir, was wächst in Ihnen ? Die therapeutische Standardantwort lautet: Was wächst, hat man selber angebaut.

Ventura: Der Philosoph Kierkegaard sagt: «Die tiefere Natur ändert sich nicht: sie wird mehr und mehr sie selbst.»

Hillman: Jung zufolge bedeutet Individuation, immer mehr sich selbst zu werden.

Ventura: Mehr und mehr sich selbst zu werden, bringt eine Mengen Unannehmlichkeiten mit sich. Wie Jung ebenfalls sagt, ist es das Schrecklichste, sich selbst zu erkennen.

Hillman: Und die eigentliche Erfahrung des Sichselbstwerdens ist ein Schrumpfen, weil oft eine Eintrocknung auftritt, ein Verlust von Inflationen, ein Verlust von Illusionen.

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Ventura: Das klingt nicht sehr gemütlich. Warum sollte irgend jemand Lust dazu haben?

Hillman: Weil es so schön ist, etwas loszuwerden. Dies ist natürlich nicht das, was der Konsumterror von einem fordert, aber etwas loszuwerden ist ein gutes Gefühl. Es ist eine Erleichterung.

Ventura: Was loszuwerden?

Hillman: Pseudo-Häute, Verkrustungen, die man angesetzt hat. Totes Holz. Das ist eine der großen Erleichterungen. Dinge, die nicht mehr funktionieren, Dinge, die einen nicht mehr halten, am Leben halten. Ideen, denen man zu lange anhing. Menschen, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben möchte. Denkgewohnheiten, sexuelle Gewohnheiten. Letzteres ist besonders wichtig, denn wenn man mit vierzig noch so liebt wie mit achtzehn, fehlt einem etwas, und wenn man mit sechzig noch so liebt wie mit vierzig, fehlt einem ebenfalls etwas. All dies ändert sich. Die Phantasie ändert sich.

Oder, um es anders auszudrücken: Wachstum ist immer Verlust. Sooft man wächst, verliert man etwas. Man verliert etwas, an dem man hängt, um in Sicherheit zu bleiben. Man verliert Gewohnheiten, bei denen man sich wohlfühlt, man verliert Vertrautheit. Dies ist ein gewaltiges Erlebnis, wenn man sich in das Unvertraute begibt.

Wenn in der organischen Welt irgend etwas zu wachsen beginnt, wächst es fortwährend in unbekannte Bewegungen und unbekannte Dinge hinein. Schauen Sie an, wie Vögel wachsen — sie fallen herunter, sie schaffen es nicht ganz. Ihr Wachstum ist lauter Unbeholfenheit. Schauen Sie es an, wie ein Vierzehnjähriger über seine eigenen Füße stolpert.

 

Ventura: In der Wachstumsphantasie, die man in der Therapie und auch im New-Age-Denken findet, kommt dieser unerfreuliche Zustand nicht vor, der schrecklich sein kann und jahrelang anhalten kann. Und wenn wir uns Menschen ansehen, die dies durchleben, sagen wir meist nicht, daß sie wachsen; wir sagen eher, daß sie dies gerade nicht tun. Während einer solchen Zeit fühlt man sich natürlich in der Welt nicht besonders stark.

Hillman: Die Wachstumsphantasie ist die romantische, harmonische Phantasie einer unaufhörlich sich ausdehnenden, unaufhörlich sich entwickelnden, schöpferischen und immer größer werdenden und sich integrierenden Person, bei der sieh alles harmonisch zusammenrügt.

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Ventura: Und wenn man diese Phantasie nicht verwirklicht, erlebt man dies als Versagen.

Hillman: Ganz genau.

Ventura: Durch diese Idee des Wachstums kann man also in einen fortwährenden Zustand des Versagens geraten!

Hillman: «Ich müßte das jetzt eigentlich überwunden haben, ich bin nicht integriert, ich kriege es nicht zusammen, und wenn ich wirklich wachsen würde, hätte ich meine Schwierigkeiten längst überwunden.»

Ventura: Das Scheitern ist also programmiert. Feine Sache! 

Hillman: Die Idealisierung programmiert das Scheitern.

Ventura: Weil man sich beständig an der Phantasievorstellung mißt, wo man auf irgendeiner idealen Wachstumsskala sein sollte.

Hillman: Es entsteht noch etwas Schlimmeres. Es entsteht nicht nur die Vorstellung des Scheiterns, sondern auch die Vorstellung der Anomalie: «Ich bin nicht normal.» Und dies kommt daher, daß das Element der Beständigkeit, der Konsistenz im Menschen mißachtet wird. Beständigkeit ist ein sehr wesentlicher Bestandteil des Lebens — Beständigkeit in gewissen Bereichen, die sich nicht ändern, die nicht wachsen.

Jemand war sechs Jahre in therapeutischer Behandlung und kommt am Thanksgiving-Day nach Hause. Er öffnet die Haustür, sieht seine Familie, und er ist da, wo er immer war. Er fühlt sich so, wie er sich immer fühlte! Oder man ist seit Jahren geschieden, hat seine Frau nicht gesehen, auch wenn man gelegentlich miteinander telefoniert hat, aber man geht in dasselbe Zimmer, und innerhalb von Minuten keift man sich wieder an, genau so, wie man sich vor langer Zeit angekeift hatte.

Manche Dinge bleiben immer gleich. Sie sind wie Felsen. Es gibt Felsen in der Psyche. Es gibt Kristalle, es gibt Eisenerz, es gibt eine metallische Ebene, auf der sich einige Dinge nicht ändern.

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Ventura: Und wenn sich diese Dinge ändern würden, ändern könnten, wäre man so wächsern, daß man nicht sich selbst wäre, nicht sich selbst sein könnte. Man wäre in einem gefährlich weichen Zustand. Wo wäre das, was man selber ist, wenn sich die Seele nicht auf etwas stützen könnte, was sich nicht verändert. Und dieses Ruhen im Unveränderlichen ist weit unterhalb der Ebene, die der Steuerung oder Billigung des Ichs unterliegt.

Hillman: In der ganzen Philosophie, wenn man noch vor Aristoteles zurückgeht, wurde dieser unveränderliche Aspekt das Sein genannt. «Das wahre Sein ändert sich nicht.» Dies war die eine Phantasie. Andere würden sagen: « Das wahre Sein ändert sich unaufhörlich.» Ich sage nicht, daß die einen oder die anderen recht hätten; ich sage vielmehr, daß beides grundlegende Kategorien des Lebens, des Daseins sind. Man kann sein Leben mit den Augen der Unveränderlichkeit betrachten und sagen: « Mein Gott, es hat sich im Grunde überhaupt nichts geändert.» Dann kann man es mit anderen Augen betrachten und sagen: « Mein Gott, welch ein Unterschied. Vor zwei Jahren, vor neun Jahren war ich so und so, aber das ist jetzt alles vorbei, es hat sich völlig geändert!»

Dies ist eines der großen Rätsel, von denen Laotse sprach — das Wandelbare und das Unwandelbare. Die Aufgabe der Therapie liegt darin, nicht das Unveränderliche ändern zu wollen, sondern das eine vom anderen zu trennen. Wenn man an einer sogenannten Charakterneurose arbeiten will, wenn man versucht, mit jemandem zu arbeiten, der immer sehr tief emotioneil ist, versucht, ihn in einen anderen Menschen zu verwandeln, was tut man dann ? Es gibt Teile der Seele, die unveränderlich sind.

Ventura: Und dies muß respektiert werden.

Hillman: Es muß respektiert werden, weil die Psyche besser weiß, warum sie sich gegen Veränderungen sperrt, als man selbst. Jeder Komplex, jede psychische Gestalt in den Träumen weiß mehr über sich selbst und über ihr Tun und wozu sie da ist, als man selbst. Man kann dies also ebensogut respektieren.

Ventura: Und wenn man dies als Therapeut nicht respektiert, respektiert man den Menschen nicht.

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Hillman: Und dies hat nichts damit zu tun, ob man sich ändern will. Wie in dem Witz: «Wie viele Psychiater braucht man, um eine Glühlampe zu wechseln? Man braucht nur einen, aber die Lampe muß sich erst wechseln lassen wollen.» Eine Lampe, die sich wirklich ändern will, kann aber jene Bereiche der Unwandelbarkeit dennoch nicht ändern.

Ventura: Die Phantasie des Wachstums, die Phantasie der unaufhörlich sich ausdehnenden, unaufhörlich sich entwickelnden Person — gerade heute eine sehr starke Phantasie, vor allem unter den Gebildeten und bei all den Käufern von Lebenshilfebüchern — berücksichtigt aber diese Unveränderlichkeit überhaupt nicht, läßt die Dialektik zwischen Veränderung und Unveränderlichkeit außer acht. Damit (um wieder auf den Zusammenhang zwischen Therapie und Politik zu kommen) muß diese Phantasie, die von vielen Arten von Therapien genährt wird, zwangsläufig den Menschen das Gefühl geben, daß sie Versager sind. Dies wiederum muß zwangsläufig das allgemeine Gefühl der Machtlosigkeit verschärfen. Also ein ausgesprochener Teufelskreis.

 

Hillman: Die Therapie tut aber noch etwas anderes, das ich für teuflisch halte. Sie treibt Emotionen nach innen.

Hillman sieht auf den Pacific Coast Highway hinunter. Er ist voll mit Autos, die sich Stoßstange an Stoßstange vorwärts quälen.

Nach der Fahrt zu meinem Therapeuten über die Autobahn bin ich wütend. Die idiotischen Lkws haben mich fast von der Straße gedrängt. Ich habe einen ziemlichen Schrecken bekommen, ich in meinem kleinen Wagen, und ich gehe zu meinem Therapeuten und zittere. Mein Therapeut sagt: «Wir müssen darüber sprechen.»

Also sprechen wir darüber. Und wir entdecken, daß mein Vater ein Vieh war, und diese ganze Geschichte mit den Lkws erinnert mich an ihn. Oder wir entdecken, daß ich mich immer schwach und verletzlich gefühlt habe, daß es immer größere Burschen mit größeren Zipfeln gab, weshalb das Auto, in dem ich bin, ein typisches Beispiel für meine Dünnhäutigkeit, für meine Schwachheit und Verletzlichkeit ist. Oder wir sprechen über meinen Machttrieb, daß ich eigentlich ein Lkw-Fahrer sein möchte.

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Wir verwandeln meine Furcht in Angst — einen inneren Zustand. Wir verwandeln die Gegenwart in die Vergangenheit, in eine Diskussion über meinen Vater und meine Kindheit. Und wir verwandeln meinen Zorn — über die Umweltverschmutzung oder das Chaos oder was immer mich ärgert — in Wut und Haß. Wiederum ein innerer Zustand, der mit Zorn beginnt, einer Emotion. Emotionen sind hauptsächlich sozial. Das Wort kommt vom lateinischen e-movere, hinausbewegen. Emotionen verbinden mit der Welt. Die Therapie lenkt die Emotionen nach innen, nennt Furcht« Angst». Man nimmt sie zurück, und man arbeitet in sich selbst an ihr. Man arbeitet nicht psychologisch an dem, was uns dieser Zorn über Schlaglöcher, über Lastwagen, über Erdbeeren aus Florida in Vermont im März, über den Ölverbrauch, über die Energiepolitik, über nukleare Abfälle, über jene Obdachlose dort drüben mit den wunden Füßen sagt, und so weiter.

Ventura: Sie meinen aber nicht, daß man keine Introspektion braucht, ein introspektiver Typ wie Sie?

Hillman: Setzen Sie dies in Kursivschrift, damit es niemand übersieht: Damit soll nicht gesagt werden, daß man nicht in sich gehen müsse — aber wir müssen wissen, was wir tun, wenn wir dies tun. Indem wir nach innen gehen, bleiben wir bei der kartesischen Auffassung, daß die äußere Welt tote Materie ist, und die innere Welt lebt.

Ventura: Ein Therapeut hat mir gesagt, daß mein Mitleid mit einem Obdachlosen in meinem Alter in Wirklichkeit ein Mitleid mit mir selbst ist.

Hillman: Und sich damit auseinanderzusetzen bedeutet, nach Hause zu gehen und darüber zu reflektieren. Das bedeutet heute, sich damit auseinanderzusetzen. Und inzwischen ist man an dem Obdachlosen auf der Straße vorbeigegangen.

Ventura: Damit schneidet man teilweise auch das ab, was man Eros nennen würde, denjenigen Teil meines Herzens, der andere berühren möchte. Theoretisch ist dies etwas, was die Therapie freisetzen möchte, aber hier gibt es einen Menschen auf der Straße, für den ich etwas empfinde, und ich soll mit diesem Gefühl so umgehen, als wenn es nichts mit einem anderen Menschen zu tun hätte.

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Hillman: Könnte es sein, daß das, von dem wir alle am meisten überzeugt sind, daß nämlich die Psychologie das einzige Gute ist, was es in einer scheinheiligen Welt noch gibt, daß dies nicht wahr ist? Daß die Psychologie, die Arbeit an sich selbst, ein Teil der Krankheit wäre, nicht ein Teil der Heilung? Ich glaube, daß die Therapie einen philosophischen Fehler gemacht hat, der darin besteht, daß die cognitio dem conatus, daß die Erkenntnis dem Handeln vorangeht. Ich glaube nicht, daß dies so ist. Ich glaube, daß die Reflexion immer dem Ereignis nachgeht.

Sie reflektieren hierüber ein wenig.

Hillman: Was die Therapie in den Vordergrund rückt, ist die Beziehung, aber die Arbeit kann eine ebenso große Rolle spielen. Man glaubt umzukommen, wenn man keine gute Beziehung hat. Man hat das Gefühl, zum Krüppel zu werden oder verrückt oder neurotisch oder irgend etwas, wenn man nicht in einer bedeutungsvollen, beständigen, tiefen Beziehung steht. Man bekommt intensive Anfälle von Sehnsucht und Einsamkeit. Aber diese Gefühle hängen nicht nur mit schlechten Beziehungen zusammen; sie entstehen auch dadurch, weil man in keiner politischen Gemeinschaft steht, die einen Sinn hat, die etwas bedeutet. Die Therapie rückt das Beziehungsproblem in den Vordergrund, aber was diese Probleme verschärft ist, daß wir (a) keine befriedigende Arbeit, oder (b) was vielleicht noch wichtiger ist, keine befriedigende politische Gemeinde haben.

Es ist einfach nicht möglich, das Fehlen von Begeisterung und Sinn in der täglichen Arbeit durch eine Intensivierung der persönlichen Beziehungen auszugleichen. Ich glaube, daß wir deshalb so viel über inneres Wachstum und Entwicklung reden, weil wir so sehr in den kleinlichen, privaten Interessen unserer Arbeit befangen sind.

Ventura: In einer Welt, in der die meisten Menschen eine Arbeit haben, die nicht nur unbefriedigend, sondern mit ihren Zwängen auch ungeheuer aufreibend ist, und in einer Welt, in der nichts seltener ist als ein Ort, den man eine Gemeinde nennen könnte, bürden wir alle unsere Bedürfnisse einer Beziehung auf oder erwarten, daß unsere Familie sie befriedigt. Und dann wundern wir uns, wenn unsere Beziehungen und unsere Familie unter der Last zusammenbrechen.

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Hillman: Es ist ein Phänomen, daß die Psychotherapie, die von jenen Spinnern aus Wien und Zürich, aus den Irrenhäusern Europas kam, heute bezüglich der Vorzüge der Familie dieselbe Sprache spricht wie der rechte Flügel der Republikaner. Die Regierung und die Psychotherapie verkündigen bezüglich der Familie in symbiotischer, seliger Eintracht dieselbe Propaganda, die wir jahrelang von Ronald Reagan hörten. Soziologisch wissen wir aber, daß es die Familie nicht mehr gibt. Die Statistiken sprechen eine überdeutliche Sprache. Die Strukturen des Familienlebens, das Empfinden und Handeln der Menschen in den Familien, die es noch gibt, haben sich radikal geändert. Die Menschen leben nicht mehr in derselben Weise in Familien. Die Menschen wollen nicht in Familien leben. Es gibt zerbrochene Familien, Halbfamilien, Mehrfachfamilien, alle möglichen Arten von verrückten Familien. Die Idee der Familie ist nur noch in der bürgerlichen Patientenpopulation, die der Psychotherapie dient. Die Familie ist heute weitgehend das Phantasiegebilde des weißen Therapeuten.

Warum brauchen wir diese Norman-Rockwell-Familie, dieses Scheinideal, das heute in der Politik und in der Therapie allgegenwärtig ist? Ich weiß nicht, was es für die Politik leistet, aber ich weiß, was es für die Therapie leistet. Für die Therapie erhält es ein Ideal aufrecht, damit wir darauf verweisen können, wie sehr unsere Beziehungen gestört sind. Dann läuft der Laden weiter; dies wäre Ivan Illichs Auffassung. Wir brauchen Klienten.*

 

Ventura: Aber das Norman Rockwell-Ideal der glücklichen, unabhängigen Familie ist auch ein Zerrbild dessen, was Familien Tausende, wahrscheinlich Zehntausende von Jahren waren. In dieser Zeit war keine Familie unabhängig. Jede Familie war ein Funktionselement, das Teil des größeren Funktionselements war, das die Gemeinschaft bildete, des Stammes oder des Dorfs. Stämme und Dörfer waren unabhängig, nicht Familien. Nicht nur, daß alle miteinander zusammenarbeiteten; alle spielten und beteten auch miteinander, so daß die Last der Beziehung und der Sinngebung nicht auf die Familie beschränkt war, viel weniger noch auf eine Liebesbeziehung, sondern auf die Gemeinschaft verteilt wurde. Bis zur industriellen Revolution standen Familien immer in diesem Kontext.

*  Illich ist ein herrlich radikaler Denker. Ich finde seinen Gedanken großartig, daß die Therapie eine Industrie ist, die neue Minen braucht, die sie ausbeuten kann. Gewöhnliche Neurotiker würden die Praxen nicht füllen, weshalb die Therapie in neuen «Minen» schürfen muß — geriatrische Fälle, Firmenbüros, kleine Kinder, ganze Familien.

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Hillman: Und die Familie existierte immer im Kontext der Vorfahren. Wir sind nicht aus diesem Boden. Heute tragen unsere Familien ihre Vorfahren nicht mehr mit sich. Zum einen haben wir Amerikaner unsere Heimatländer verlassen und sind hierher gekommen, und wir haben die Vorfahren zurückgelassen. Zweitens sind wir heute ein Volk von Vornamen. Ich war gerade auf einem Psychologenkongreß mit 7000 Teilnehmern, und jeder hatte ein Namensschildchen. Der Vorname war immer in Großbuchstaben angegeben, der Familienname in kleinen Buchstaben darunter.

Ventura: Und im Familiennamen sind die Vorfahren, das Land, der Nachhall der Vergangenheit.

Hillman: Alles liegt im Familiennamen. Der Vorname ist eine Mode, ein gesellschaftlicher Trend. In der einen Generation gibt es viele Fritze, Karl-Heinze, Giselas und Veronikas, in der anderen viele Olivers, Julias und Stephanies. Man hat seine Vorfahren bei sich in seiner Seele, wenn man seinen Familiennamen benutzt. Man hat seine Brüder und Schwestern bei sich, die denselben Namen haben. Wenn man mich Jim nennt, bin ich einfach Jim, und dies ist nichts Besonderes.

Nur einen Vornamen zu haben, ist das Merkmal der Leibeigenen, der Sklaven, der Unterdrückten. In der ganzen Geschichte hatten die Sklaven nur Vornamen. Jetzt hat unsere ganze Nation nur Vornamen. Die einzigen, die bei diesem Kongreß Familiennamen hatten, waren die Vortragenden — jene 25 Leute, die zu sehen und zu hören die restlichen 7000 gekommen waren. Unsere Familiennamen waren großgedruckt, unsere Vornamen kleingedruckt. Ich fragte, warum dies so sei, und man sagte mir: «Wir wollen nicht, daß Sie James oder Jim oder Bob oder Bill genannt werden, wir wollen, daß Sie als Mr. Hillman angesprochen werden.»

Die Psychotherapie macht hier keine Ausnahmen; auch sie richtet sich nach der Konvention. Die ersten psychoanalytischen Fälle, die Patienten von Freud und Jung, hatten nur Vornamen — Anna, Babette. Dies soll Vertrautheit und Gleichheit zeigen...

Ventura: ...und Anonymität...

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Hillman: ... in Wirklichkeit wird man dadurch aber seiner Würde beraubt, der Wurzeln seiner Individualität, weil damit die Vorfahren überdeckt werden, die ebenfalls im Sprechzimmer sind. Schlimmer noch: Diese Art zu reden lenkt alle Aufmerksamkeit auf mich, Jim, und läßt die ganze Komplexität meines sozialen Zusammenhangs außer acht, meine rassischen Wurzeln. Wir müßten drei oder vier Familiennamen haben, die alle mit Bindestrich verbunden sind, wie in der Schweiz oder in Spanien, in denen auch der Familienname meiner Mutter erscheint, derjenige meiner Frau und meiner geschiedenen Frau und so weiter und so weiter. Niemand ist einfach Jim. ^

Ventura: Hierfür bin ich zu amerikanisch — mir ist es sehr recht, daß ich einen Teil davon hinter mir lassen kann. Trotzdem sollten wir wenigstens die Namen beider Eltern tragen — aber ohne Bindestrich.

Apropos Sklaven: Chefs und Besitzer werden immer mit « Mister » angesprochen, aber sie haben die Freiheit, ihre Untergebenen beim Vornamen zu nennen. Und unter Arbeitern, die gleichen oder vermutlich gleichen Status haben, ist es nicht ungewöhnlich, daß ein Mann bei seinem Familiennamen genannt wird, während Frauen fast immer bei ihrem Vornamen genannt werden, sofern sie nicht einen wirklich wichtigen Job haben. Es geht also auch um Macht, wenn wir Namen benutzen. Wir verstärken bestimmte Arten von Autorität und Ungleichheit.

Aber ich möchte auf etwas zurückkommen: Die aufdringliche Propagierung der idealen Familie macht uns funktionsuntüchtig, weil wegen dieses Ideals alles, was ihm nicht entspricht, per definitionem nicht ideal ist, das heißt funktionsuntüchtig. Ohne dieses Ideal wären wir einfach die, die wir sind.

Hillman: Das Ideal des Wachstums gibt uns das Gefühl, daß wir verkümmert sind; die ideale Familie gibt uns das Gefühl, daß wir verrückt sind.

Ventura: Wir haben diese Idealisierungen, die uns das Gefühl geben, verrückt zu sein, obwohl wir diese Ideale im Leben überhaupt nicht sehen. Ich fühle mich verrückt, weil ich es nicht schaffe, eine einzige Beziehung mein ganzes Leben lang durchzuhalten, obwohl ich, wenn ich mich umsehe, niemanden sehe, der sein ganzes Leben nur eine Beziehung hat.

Hillman: Ich kenne Menschen, die 50 Jahre und länger verheiratet sind.

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Ventura: Ich auch, und ein Partner ist Alkoholiker, oder einer hat sich viel herumgetrieben oder war viel weg, sie haben sich jahrzehntelang (buchstäblich) nicht mehr geliebt, oder einer wartet vor der Herrentoilette auf Kundschaft. Dies sind keine abstrakten Beispiele; dies sind Menschen, die ich kenne. Die meisten Feiern zum fünfzigsten Hochzeitstag würden sehr viel anders aussehen, wenn man wüßte, was jeder verbirgt. Und trotzdem messen wir uns nach wie vor an diesen Idealen.

Hillman: Und die Psychologie idealisiert die Familie in einer anderen, vielleicht noch verheerenderen Weise: Die Psychologie geht davon aus, daß die Persönlichkeit und das Verhalten von den familiären Beziehungen während der Kindheit festgelegt wird.

Ventura: Aber die Menschen wachsen doch irgendwie in einer ganz bestimmten Weise auf, und wie sie aufwachsen, prägt doch ihr Leben?

 

Es herrscht ein langes, unbehagliches Schweigen zwischen den beiden. Der Öltanker ist hinter dem Horizont verschwunden, aber der Verkehr staut sich noch immer auf dem Pacific Coast Highway. Ein einmotoriges Flugzeug, das tief über dem Santa Monica-Pier fliegt, schleppt ein gelbes Spruchband mit einem Geburts­tagsgruß an jemanden. Weiter unten an der Küste hebt eine 747 nach der anderen vom Flughafen ab und zieht weit draußen am Meer eine lange Schleife. Die Obdachlose ist aufgewacht (ihre Augen sind geöffnet), aber sie hat sich noch nicht bewegt. Hillman räuspert sich.

 

Hillman: Der hauptsächliche Inhalt der amerikanischen Psychologie ist die Entwicklungspsychologie: Was dir früher zugestoßen ist, ist die Ursache dessen, was dir später zugestoßen ist. Dies ist die grundlegende Theorie: Unsere Geschichte ist unsere Kausalität. Wir machen nicht einmal einen Unterschied zwischen Geschichte als Erzählung und Geschichte als Ursache. Deshalb muß man auf die Kindheit zurückgehen, um herauszubekommen, warum man so ist, wie man ist. Wenn also die Menschen durchgedreht oder verwirrt oder einfach fertig oder was auch immer sind, gehen wir in unserer Kultur, in unserer psychotherapeutischen Welt, zurück zu unseren Müttern und unseren Vätern und in unsere Kindheit.

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Keine andere Kultur würde so etwas tun. Wenn man in einer anderen Kultur verwirrt oder ganz durcheinander oder impotent oder freßsüchtig ist, prüft man nach, was man gegessen hat, wer einen verzaubert hat, gegen welches Tabu man verstoßen hat, was man falsch gemacht hat, wann man zuletzt vergessen hat, den Göttern Ehrerbietung zu erweisen oder wann man nicht am Tanz teilgenommen hat, gegen eine Stammessitte verstoßen hat. Was auch immer. Es könnten Tausende anderer Dinge sein — die Pflanzen, das Wasser, die Flüche, die Dämonen, die Götter, der Verlust des Kontakts mit dem Großen Geist. Niemals, niemals würde es an dem liegen, was einem vor vierzig Jahren mit seiner Mutter und seinem Vater zugestoßen ist. Nur unsere Kultur benutzt dieses Modell, diesen Mythos.

Ventura: (entgeistert): Aber warum sollte dies nicht stimmen ? Man würde doch sagen... okay, ich würde sagen: «Deshalb bin ich, wie ich bin.»

Hillman: Weil dies der Mythos ist, an den man glaubt.
Ventura: Welchen anderen Mythos könnte es geben? Dies ist kein Mythos, dies ist einfach geschehen!

Hillman: «Dies ist kein Mythos, dies ist einfach geschehen.» In dem Augenblick, in dem wir sagen, daß etwas «geschehen ist», verkünden wir: « Dies ist der Mythos, der für mich kein Mythos mehr ist. Dies ist der Mythos, den ich nicht mehr durchhalten kann.» «Dies ist kein Mythos, dies ist geschehen » besagt doch nur, daß Mythen das sind, woran wir nicht glauben. Die Mythen, an die wir glauben und in deren Mitte wir stehen, nennen wir «Tatsache», «Wirklichkeit», «Wissenschaft».

Nehmen wir aber einmal an, daß jemand dies anders sieht. Nehmen wir an, daß nur wichtig ist, daß man einen Keim in sich hat, daß man eine bestimmte Person ist, und diese Person beginnt sich schon früh im Leben abzuzeichnen, aber der ganze Weg liegt noch vor einem. Winston Churchill zum Beispiel hatte als Schüler erhebliche Schwierigkeiten mit der Sprache und konnte nicht gut sprechen. Er mußte für das Lesen den Förderunterricht besuchen, wie wir heute sagen würden. Er hatte Probleme mit Schreiben, Sprechen und Rechtschreibung. Natürlich hatte er diese Probleme! Dieser kleine Junge war Träger des Nobelpreises für Literatur und mußte die westliche Welt durch seine Sprache erretten. Natürlich hatte er einen Sprachfehler, natürlich konnte er nicht flüssig sprechen, als er elf oder vierzehn war — die Last war einfach zu groß.

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Oder nehmen wir Manolete, der als Neunjähriger angeblich ein sehr ängstlicher, magerer Junge war, der in der Küche am Rockzipfel seiner Mutter hing. Er wird auf diese Art der größte Stierkämpfer unserer Zeit. Die Psychologie wird sagen: «Ja, er wurde ein großer Stierkämpfer, weil er ein so schwächliches Bürschchen war, daß er dies dadurch kompensierte, daß er ein Macho-Held wurde.» Dies wäre die Adlersche Psychologie — man verwandelt seine Schwäche, seine Minderwertigkeit in Überlegenheit.

 

Ventura: Diese Auffassung ist überall eingesickert — der Feminismus und die Männerbewegung stützen sich mehr darauf, als sie wissen.

Hillman: Aber nehmen wir einmal an, wir fassen die Sache umgekehrt auf und lesen das Leben eines Menschen rückwärts. Dann müßten wir sagen, daß Manolete der größte Stierkämpfer war und daß er dies wußte. Seine Seele wußte im Inneren im Alter von neun Jahren, daß es sein Schicksal war, sich mit zentnerschweren schwarzen Stieren mit mächtigen Hörnern auseinanderzusetzen. Selbstverständlich klammerte er sich an seine Mutter! Dieses Potential war noch zu viel für ihn — mit neun Jahren ist das ganze Schicksal vorhanden, und man kann damit einfach noch nicht umgehen. Es ist zu gewaltig. Er war eben nicht minderwertig: Er hatte ein großes Schicksal.

Nehmen wir nun an, daß wir alle unsere Patienten in dieser Weise betrachten. Nehmen wir an, daß wir die Kinder so betrachten, die stottern oder ängstlich oder irgendwie auffällig sind, und daß wir hierin keine Entwicklungsprobleme sehen, sondern das Vorliegen von irgend etwas Großem in ihnen, eines Schicksals, mit dem sie noch nicht umgehen können. Es ist mächtiger als sie, und ihre Seele weiß das. Dies ist also eine Möglichkeit, das eigene Leben anders zu sehen. Statt das Leben heute als die Folge einer miesen Kindheit zu sehen, deutet man die Kindheit als Miniaturausgabe des Lebens — und erkennt, daß man sein ganzes Leben erst dann wirklich kennt, wenn man etwa achtzig ist — und dann ist man zu alt, um es in den Griff zu bekommen, oder es ist einem überhaupt gleichgültig!

Ventura: Aber das ist verrückt. Wie kann ein Kind wissen, was sein wird?

Hillman: Unsere Kinder können nicht wissen, was sein wird, weil wir uns unsere Kinder nicht als platonische Kinder vorstellen, die in dieser Welt geboren werden und schon alles wissen. « Die Seele weiß von Anfang an, wer wir sind», sagen andere Theorien der Kindheit. Wir sind in unserer eigenen speziellen Theorie der Kindheit befangen. Nach unserer Auffassung kommt ein Baby mit einigen wenigen angeborenen Mechanismen zur Welt, aber ohne Schicksal.

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Ventura: Dies erinnert mich an etwas. Es gibt einen Bildband mit dem Titel Wie sie waren von berühmten Menschen in ihrer Kindheit. Es ist erstaunlich, daß Abbie Hoffman, J. Edgar Hoover und Franz Kafka, Joan Baez und Adolf Hitler als Vierjährige, Sechsjährige oder Neunjährige genau so aussahen wie — wie eben ihr Schicksal.

Hillman: Und warum denn nicht? Ein Baum ist die ganze Zeit ein Baum. Ein Zebra ist vom ersten Tag an ein Zebra.

Ventura: Ja, ja, das ist alles prima, ich finde es sehr gut, aber — Hillman, woher weiß ein Kind, was geschehen wird ?

Hillman: Ventura — ich glaube nicht, daß ein Kind weiß, was geschehen wird; dies ist zu buchstäblich aufgefaßt. Ich glaube, ein Kind fühlt —  Nein, es gibt Kinder, die wissen, was sein wird. Es gab eine große Cellistin, eine Frau, die vor kurzem verstarb — sie war noch ganz jung. Jaqueline du Pre. Ich weiß nicht, woran sie starb, doch war sie eine der größten Cellistinnen der Welt. Als Fünfjährige hörte sie ein Cello im Radio und sagte: «Ich möchte solche Geräusche» oder «solche Klänge machen.» Sie wußte es. Es war da. Und dies ist manchmal bei genialen Musikern der Fall. Sie wissen es oft.

Ventura: Überhaupt, wenn ich mir dies jetzt überlege, ist dies bei Künstlern nicht so ungewöhnlich. Ich bin zwar kein Genie, aber ich wußte schon als Neunjähriger, daß ich Schriftsteller werden würde, und ich habe mich niemals im geringsten bemüht, etwas anderes zu werden.

Hillman: Aber lassen wir diese Beispiele; sie sind zu deutlich. Die meisten Menschen haben nicht dieses Gefühl; noch als Zwanzigjährige tasten sie. Ich glaube aber, daß es Ahnungen gibt, wie kleine Vegetationskegel an den Triebspitzen eines Baumes. Wenn der Baum wächst — ein junger Baum, sagen wir eine kleine Buche —, bildet er einen kleinen Höcker, und diese Höcker werden zu Zweigen und schließlich zu großen Ästen. Ich glaube, daß ein Kind solche kleinen Höcker hat. Es weiß nicht, was sein wird, aber es hat seine Ahnungen, es hat seine Neigungen, es hat seine kleinen Antriebe, seine kleinen Obsessionen.

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Ventura: Und diese Obsessionen werden üblicherweise nicht nur nicht gewürdigt, sondern viele Eltern nehmen sie sogar als bedrohlich wahr. «Er sollte öfter weggehen, er hat überhaupt keine Freunde.» «Sie sollte nicht so ernsthaft sein.» «Wie soll er einmal seinen Unterhalt verdienen, wenn er nichts tut als zeichnen ?» «Dieses Kind ist nicht normal» — was meist bedeutet: «Dieses Kind ist nicht einfach.»

Ich kenne eine Frau, die auf der Highschool fast nie zu ihren Kursen ging, wegen ihrer Noten eigentlich kaum hätte versetzt werden dürfen und nur dank der Kraft ihrer Persönlichkeit vorrücken durfte, und weil sie eine so unglaublich gute Führerin und Organisatorin war. Im letzten Jahr wurde sie Vorsitzende des Schülerrats, organisierte fast alles, was in der Schule ablief. Die erste Arbeit, die sie nach der Highschool bekam, war als Kellnerin in einem Restaurant. Ein Jahr später war sie Geschäftsführerin des Restaurants, wieder ein Jahr später Mitbesitzerin. Als Dreißigjährige produzierte sie zwei Filme und bekam eine leitende Stellung in einem der großen Filmstudios. Die Ausbildung, die sie auf der Highschool bekam, war für sie nutzlos; sie holte sich dort ihre eigene Ausbildung, indem sie ihre geschäftlichen und politischen Fähigkeiten als Führerin und Organisatorin erprobte. Es sind also nicht nur die Künstler.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr scheint es mir, daß solche Dinge sehr oft geschehen.

Hillman: Unsere Kultur sieht dies nicht, weil wir nicht nur keine Theorien haben, durch die wir dies sehen könnten, sondern auch deshalb, weil diese Erscheinungen (die, wie Sie sagen, nicht selten sind) die Theorien untergraben, die wir haben — Theorien, aus denen wir eine recht gewinnträchtige Industrie gemacht haben und die Teil unseres religiösen Glaubens an die Geschichte sind.

Ventura: Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich, daß man sehr wohl ein Bild davon hat, wie das eigene Gesicht aussehen wird. Man spürt andere Menschen in sich, die älter sind, und sie sprechen zu uns — jedenfalls sprechen sie zu mir. Ich habe einen viel älteren Menschen in mir, der jeden Tag zu mir spricht, ruhig, meist freundlich, duldsam, manchmal auch streng, wenn ich wirklich Mist baue, aber immer mit Humor. Ich mag ihn ungeheuer; er scheint der bessere Teil von mir zu sein. Ich habe ihn bisher nicht in diesem Licht betrachtet.

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Hillman möchte etwas sagen.

Ventura: Nein, lassen Sie mich noch etwas sagen, während ich darüber nachdenke, einen andern Aspekt dessen, worauf Sie vielleicht hinauswollen. Ich kenne mehrere Männer, die wie ich Mittvierziger sind, und sie spüren körperlich, daß sie im mittleren Lebensalter stehen, und sie sagen: «Mein Körper läßt mich im Stich.» Sie beginnen, ihre Haare zu färben und lügen, wenn sie nach ihrem Alter gefragt werden. Und ich kenne Frauen im selben Alter, nicht die Hausfrauen von Beverly Hills oder Filmstars, sondern Frauen, von denen ich dies nie gedacht hätte, die sich Brustprothesen einsetzen lassen, Fältchen wegoperieren, solche Dinge — und es ist mir angst um sie, weil sie die älteren Menschen in ihnen schwer beleidigen.
Wenn sie dann 65 werden, wenn es für sie an der Zeit ist, 65 zu sein, dann ist diese 65jährige innere Frau so sehr verletzt und geschwächt, daß sie ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen kann.

Hillman: Sie sagen, daß es nicht nur Vegetationskegel sind, daß vielmehr bestimmte Gestalten vorgegeben sind. Ich bin auch dieser Meinung. Ich habe eine Zeichnung gesehen, die eine etwa 44-jährige Frau darstellte. Es war eine Bleistiftzeichnung, sehr anrührend. Sie mochte das Bild nicht, weil es sie älter machte. Ich sagte zu ihr: «Diese Zeichnung ist die alte Frau, die am Ende des Korridors auf Sie wartet.» Sie sind da. Diese Gestalten sind unsere Begleiter, sie sind immer in unserer Nähe, und sie müssen auf unserem ganzen Weg gekräftigt werden.
Michelangelo nannte dies das «Bildnis im Herzen».
Ich meine, wie können wir 35 werden, wenn wir 25 sind? Es muß die Gestalt eines 35jährigen geben, in die wir uns kleiden.

Ventura: Wir sagen also: «Man weiß nicht, was geschehen wird, aber man spürt die Menschen in sich. So sind wir angelegt, wenn die Kultur oder die Familie nicht diese Art zu empfinden schon in frühester Jugend erstickt hat.»

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Hillman: Die Form dieser Menschen, die Gestalten, sind schon da. Man möchte sie auf seinem Lebensweg kräftigen.

Hillman macht eine Pause.

Es besteht eine so große Furcht, daß niemand da sein könnte. Ich glaube, daß dies eine der großen Ängste ist, die hinter dem Färben der Haare oder dem Glätten der Krähenfüße stecken. «Wenn ich fünfzig werde, werde ich leer sein, es wird niemand da sein.» Warum gibt es diese Empfindung der Leere? Weil niemand da ist.

Ventura: Und wenn wir die älteren Menschen in uns genügend beleidigt und angegriffen haben, sooft wir, sagen wir, einen älteren Autofahrer verwünscht haben...

Hillman: ... oder die Frau vor uns im Supermarkt, die an der Kasse so lange braucht, um zu bezahlen...

Ventura:  ... sooft wir dies getan haben, haben wir die Alten in uns erschreckt und verkleinert, und diese Gestalten schrumpfen, bis tatsächlich niemand mehr da ist.

Hillman: Wir tun dies noch in einer anderen Weise. Sooft wir sagen: «Ich habe keine Zeit für den Schmerz», sooft wir eine Krankheit unterdrücken. Unsere Krankheiten sind zum Teil Möglichkeiten, die älteren Menschen zu entwickeln. Sie sind Möglichkeiten, das Wissen von unserem eigenen Körper zu entwickeln. Die Krankheiten sagen uns ungeheuer wichtige Dinge darüber, was man essen kann und wann man es essen kann, was in den Eingeweiden vor sich geht, was in den Hoden vor sich geht, was in der Haut vor sich geht. Die Krankheiten sind unsere Lehrer, insbesondere, was das Altern betrifft. Eine Entwertung der Krankheiten und ihre Unterdrückung trennt uns von diesen Gestalten. Wir beleidigen die inneren Menschen durch die Art und Weise, wie wir mit unseren eigenen Schwächen umgehen.

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Ventura: Und wenn wir älter werden, drehen wir das Ganze um und mögen die Jungen nicht mehr.

Hillman: O ja.

Ventura: Und wenn wir junge Leute in derselben ungeduldigen Art angreifen, wie wir alte Leute angegriffen haben, dann schwächen wir unser junges Selbst, das noch in uns ist, wie unser altes Selbst in uns war, als wir jung waren.

Hillman: Genau. Wir greifen die jungen Leute in uns an. Wie Sie sagen, die Jungen, die uns Antriebe geben, die uns Phantasien schicken. Deshalb erlauben wir es uns nicht mehr, Sexualität zu empfinden oder sie uns vorzustellen, wir erlauben es uns nicht mehr, uns ein Risiko vorzustellen - die unglaublichen Risiken, die junge Leute eingehen! Sie tun es einfach! Wir leisten uns kein Risiko mehr im Sinne des Aufgebens, des Loslassens.

Die großen alten Menschen, die man kennt, waren einst Meister des Loslassens, des ungeheuren Muts - und manche gibt es noch, die furchtlos die Straße überqueren, nachts auf die Straße gehen.

Ventura: Vor allem lehnen wir die Heranwachsenden ab und greifen sie an, wir halten es in ihrer Nähe nicht aus, weil unsere eigene Adoleszenz so schmerzhaft ist.

Hillman: Das Verliebtsein, die Schwärmereien, die Selbstmordphantasien der Jugend...

Ventura: Und alle diese Träume hat man nicht verwirklicht. Und man kann einem Menschen nichts Schlimmeres sagen als: «Sie sind pubertär.»

Hillman: Versuchen Sie es mit «Sie werden allmählich alt.»

Ventura: Wenn man im fünften Lebens Jahrzehnt steht und die sogenannte Midlife-Crisis kommt, wenn man wieder einmal eine Art Pubertät durchmacht, weil man Verkrustungen aufbricht — dies ist zu harmlos ausgedrückt. «Was ist los mit dir, hast du deine Midlife-Crisis?»

Hillman: Es kommt nochmal eine mit 60.

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Ventura: Und wenn man sich umdreht und sagt: «Teufel auch, du hast recht, und du gehst ihr besser aus dem Wege», dann gilt man als Spinner: « Mannomann, Ventura dreht durch.» Aber was man in Wirklichkeit sagt, ist: «Ich mausere mich.»

Hillman: «Ich mausere mich, und ich stehe am Anfang von etwas, und wenn ich am Anfang von etwas stehe, bin ich ein unwissender Narr.»

Ventura: «Das Unveränderliche in mir ruht still in der Mitte von allem, was sich ändert, und vieles fällt ab.»

Sie schweigen einen Augenblick. Die Menschen, die an ihrer Bank vorbeispazieren, die Autofahrer, die sich langsam über den Pacific Coast Highway schieben, die Leute im Wasser und am Strand, die Besatzung eines anderen Öltankers, der jetzt in Sicht ist, und die Wochenendsegler draußen in ihren kleinen Booten sind außerhalb des kleinen Kreises ihrer Stille. Die beiden Männer nehmen in diesem Augenblick ihre Umwelt nicht wahr.

Ventura: Also: Die Entwicklungspsychologie, die Idee, daß alles, was ich jetzt bin, in meiner Kindheit verursacht wurde, läßt zumindest viel zuviel unberücksichtigt und kann völlig in die Irre führen. Gut, aber warum habe ich dann soviel Zeit und Geld für die Therapie wegen sexueller Belästigung und so weiter ausgegeben ? Es schien mir damals wichtig zu sein!

Hillman (lacht): Ja, natürlich scheint es zu dieser Zeit wichtig zu sein. Nun, wie verhält es sich damit? Wenn wir bösartig sein wollten, müßten wir mit Ivan Illich sagen, daß damit das Gewerbe der Psychotherapie am Leben gehalten wird, das ein großes Geschäft ist und neues Rohmaterial braucht wie Mißbrauch, Trauma, Belästigungen in der Kindheit usw. Und wenn man — was wir alle unbewußt tun - an den Mythos der Entwicklung und nicht an Eicheln und Höckerchen glaubt, an Struktur oder Essenz, dann muß dasjenige, was damals geschah, eine ungeheure Bedeutung haben. Wie steht es aber nun mit der Tatsache, daß Kinder jahrhundertelang im Stich gelassen, belästigt und mißbraucht wurden - und niemand hielt das für wichtig?

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Ventura: Wie das? Waren diese Kulturen nicht ebenso fortgeschritten wie die unsere ?

Hillman: Aber aber, das glauben Sie nicht.

Ventura: Sie haben recht, ich glaube es nicht, aber viele Menschen glauben es, und sie sagen darüber hinaus, daß die Erklärung für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Plünderung des Planeten, den wir bewohnen, weitgehend im jahrhundertelangen Mißbrauch von Kindern zu suchen ist. (Was übrigens historisch nicht stichhaltig ist: Sexuelle Gewalt gab es seit Anbeginn der Zeiten, wenn wir den alten Mythen und Märchen glauben können, während die Plünderung der Erde erst mit dem industriellen Zeitalter vor zweihundert Jahren begonnen hat.)

Hillman: Die Tatsache, daß jeder wegen der Kinder empört ist, schließt sich nahtlos an das an, was ich eben sagte, daß der Kindarchetypus das therapeutische Denken unserer Kultur beherrscht. Die Behauptung, daß Mißbrauch das Wichtigste in unserer Kultur ist, daß unser Volk wegen des Mißbrauchs vor die Hunde geht, oder daß dies der Grund dafür ist, warum wir die Erde ausbeuten und schänden, wie manche behaupten, dies ist der Standpunkt des Kindes.

Ventura: Und es kann sich von diesem Standpunkt nicht lösen.

Hillman: Ich sage nicht, daß Kinder nicht belästigt oder mißbraucht werden. Sie werden belästigt, und sie werden mißbraucht, und in vielen Fällen ist es absolut verheerend. Die Therapie aber macht es durch die Art, wie sie darüber denkt, noch verheerender. Nicht das Trauma richtet den Schaden an, sondern die traumatische Erinnerung.

Ventura: Durch die Art, wie die Therapie über den Mißbrauch denkt, verschlimmert sie ihn und profitiert davon. Aber was bedeutet das, «traumatisches Erinnern »?

Hillman: Sagen wir, daß mein Vater mich mit dem Riemen oder dem Besen schlug, daß er mich vergewaltigte oder mich immer wieder windelweich prügelte. Manchmal war er betrunken, wenn er es tat, manchmal tat er es einfach deshalb, weil er ein Vieh war, manchmal schlug er mich, weil er

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nicht wußte, wen er sonst schlagen sollte. Und ich denke immerfort an diese Gewalt. Ich bleibe in meiner Erinnerung ein Opfer. Meine Erinnerung macht mich fortwährend zu einem Opfer. Außerdem hält sie mich in der Position des Kindes, weil meine Erinnerung in die Sichtweise des Kindes eingebunden ist, und meine Erinnerung hat sich nicht bewegt. Es ist nicht so, daß der Mißbrauch nicht geschehen wäre—ich leugne nicht, daß er geschah oder daß ich glauben muß, daß er konkret geschah. Aber ich könnte die Gewalt auch in eine Initiationserfahrung umgestalten. Diese Wunden, die er mir schlug, haben in mir etwas bewirkt, so daß ich Strafe verstehe, daß ich die Tiefe der Wut zwischen Vätern und Söhnen verstehe, die ein universelles Thema ist —, und ich war daran beteiligt. Ich war dabei. Und damit habe ich die Erinnerung irgendwie davon abgebracht, daß ich nur das kindliche Opfer eines niederträchtigen Vaters bin. Ich bin in Märchen eingetreten, ich bin in Mythen, Literatur und Filme eingetreten. Mit meinem Leiden habe ich eine imaginale und nicht bloß traumatische Welt betreten.

Ventura: Man ist in das eingetreten, was Stammesvölker die Traumzeit nennen würden.

Hillman: Ja, Teil der Traumzeit.

Ventura: Daß einem dies nicht nur in der alltäglichen Zeit, sondern in der Traumzeit zustieß, denn alle Dinge, die an meinem Ort geschehen, geschehen auch am anderen. «Wie oben, so unten», wie die Alten lehrten. Daß einem dies in der Traumzeit zustieß, bedeutet: (a) daß es ein mythologischer Akt ist, und (b) daß es nicht vor zwanzig Jahren geschah; es geschieht jetzt, es geschieht immer, und es wird immer geschehen. Dies ist nicht so deprimierend wie es klingt. Dies bedeutet, daß seine Bedeutung sich immer ändern kann. Es ist ein Ort, an dem das buchstäbliche Leben und das mythische Leben zusammentreffen. So muß man Wunden verstehen.

Und drittens: (c) Der Mißbrauch steht im Traumzeitkontext vieler, vieler mythologischer Akte, die manchmal brutal, manchmal schön sind, und er ist nicht nur der Hauptmythos unseres Akts.

In einem gewissen Sinne also...

Hillman:... wird er intensiver, wenn er weniger persönlich wird. Ventura: Genau.

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Hillman: Intensiver in dem Sinne, wie ungeheuer wichtig er ist. Er ist in einer eigentümlichen Weise wichtiger als ich.

Ventura: Weil er in der Traumzeit, im mythologischen Denken, mit so vielen anderen Ereignissen verknüpft ist, die wichtiger sind als ich.

Hillman: Die Therapie neigt dazu, die Bedeutung des Ereignisses mit der Bedeutung des Ich zu verwechseln.

Ventura: Ich höre eine Stimme in mir, die sagt: « Aber dies ist geschehen, es ist nicht mythologisch, zum Teufel!» Gleichzeitig aber gilt, wie Ihnen jeder Journalist oder Polizist sagen kann: Wenn man verschiedene Leute über ein Ereignis befragt, bei dem sie Zeuge oder beteiligt waren, bekommt man lauter unterschiedliche Ereignisse. Ich kenne das in meiner eigenen Familie: Wenn man mich und meine Schwester bittet, unsere Mutter zu beschreiben, dann bekommt man zwei völlig verschiedene Mütter, und keiner von uns lügt. Erinnerungen sind eine Form von Fiktion, und wir können nichts daran ändern. Wir sind daher sehr weitgehend das Geschöpf der Geschichten, die wir uns selbst erzählen. Und wir wissen gar nicht, daß wir Geschichten erzählen.

Hillman: Es ist uns nicht bewußt, daß wir Geschichten erzählen.

Ich glaube, daß Freud dies meinte, als er sagte: «Es kommt darauf an, wie man sich erinnert, nicht, was wirklich geschah.» Die Erinnerung schafft erst wirklich das Trauma. Und alle griffen in jüngster Zeit Freud an und sagten, daß Freud etwas bemäntelte, daß er nicht zugab, daß diese Mißbräuche in der Kindheit wirklich geschahen. Ob sie nun wirklich geschahen oder nicht — Freuds Aussage, die so ungeheuer wichtig ist, lautet, daß es auf das ankommt, was das Gedächtnis mit ihnen tut.

Wir wissen nicht, daß wir Geschichten erzählen. Und dies ist ein Teil des Elends der psychotherapeutischen Ausbildung, daß Psychotherapeuten nicht genug über Literatur, nicht genug über Theater, nicht genug über Biographie lernen. Die angehenden Psychotherapeuten lernen Fallgeschichten und Diagnose - Dinge, die nicht unbedingt die Phantasie anregen. Sie erkennen daher nicht, daß sie es mit Fiktionen zu tun haben. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Dinge nicht auch buchstäblich wirklich sind...

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Ventura: ...aber was man im Sprechzimmer hat, haben muß, ist ein Mensch, der eine Geschichte erzählt. Formal ist es eine Geschichte. Sie haben recht - es ist seltsam, daß Menschen, deren Arbeit weitgehend darin besteht, Geschichten anzuhören, in ihrer Ausbildung weder aus der Literatur noch aus dem Journalismus und auch nicht aus Gerichtsprotokollen etwas darüber erfahren, wie die Menschen Geschichten erzählen.

Hillman: Bezüglich des Mißbrauchs, des wirklichen Mißbrauchs in der frühen Kindheit, ist das, was neben dem Schock und dem Entsetzen und all den anderen Dingen den Schaden anrichtet, die Tatsache, daß früher Mißbrauch oft die Phantasie banalisiert. Er banalisiert die Phantasie oder dissoziiert sie in eine mehrfache Persönlichkeit, so daß sie abgespalten wird. Und dies ist ein Schaden. Wenn aber Kinder zwischen 13 und 17, sagen wir, von ihrem Stiefvater verführt werden (oder sie ihn verführen), dann ist dies eine andere Qualität des Mißbrauchs, die sich vom Mißbrauch eines Dreijährigen oder Zweijährigen unterscheidet. Es gibt hier unterschiedliche Ebenen, aber dies wird alles unter einem Begriff zusammengefaßt, weshalb wir ganz unterschiedliche Menschen haben, die sagen, sie wären Opfer sexueller Übergriffe, und die sich als traumatisierte Kinder sehen. Verführung in Familien ist, wie Sie sagten, durchaus nichts Neues. Es ist nicht dasselbe wie die brutale Vergewaltigung eines Kindes. Wir müssen bestimmte Abstufungen unterscheiden...

Ventura: ...denn wenn wir dies nicht tun, können wir nicht vernünftig darüber nachdenken.

Als diese Erinnerungen an sexuellen Mißbrauch in mir lebendig wurden — was wie zeitgesteuert an meinem vierzigsten Geburtstag geschah —, ging ich nach einem Monat von Autounfällen und Blackouts zum Therapeuten. Es war ein alter Mann, ein Jungianer. Ich redete und redete über den Mißbrauch und über meine Mutter, und er zeigte so etwas wie ein Lächeln und sagte: «Wissen Sie - was Ihnen zustieß, dies schuf Ihre Verbindung zu den Mysterien der Seele, nicht wahr? Und hierüber schreiben Sie, nicht wahr? Wäre es Ihnen lieber, wenn Sie über etwas anderes schreiben würden?»

Ich war perplex, als er dies sagte. Es machte meine Wut über meine Mutter oder meine Angst vor ihr nicht geringer, aber es war mit einem Schlag vorbei, daß ich diese Erfahrung mit den Augen eines Kindes betrachtete. Ich mußte sie von dem Standpunkt aus betrachten, wie ich mein Leben als Erwachsener gestaltet hatte. Nicht daß ich mit der Auseinandersetzung mit

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der großen Wut auf meine Mutter oder auf die anderen Menschen meiner Kindheit und Jugend fertig wäre, die mit mir dasselbe anstellen wollten, aber...

Hillman: Wenn Sie sagen: «Ich habe mich nicht auseinandergesetzt», dann klingt dies so, als ob die Wut auf Ihre Mutter irgendwobin soll, und dies will ich nicht annehmen.

Ventura: Ja, in unserer Kultur besteht heute die starke Auffassung, daß dieser Zorn und diese Wut und dieser Kummer verarbeitet werden müssen. Übrigens hasse ich dieses Wort — verarbeitete Psyche, wie verarbeitetes Essen.

Hillman: Ja, schön dünn geschnittener gelber Käse. Stecken Sie ihn in eine Verpackung und kleben Sie ein Etikett darauf.

Ventura: Aber was soll man mit diesem Zeug anfangen, wenn nicht verarbeiten? Wie zum Teufel soll Individuation oder auch Wachstum möglich sein, wenn man es nicht verarbeitet?

Hillman: Nun ja, was tat Jonathan Swift? Er schrieb die unglaublichsten Satiren. Was taten die Menschen in den elisabethanischen und jakobinischen Rachespielen? Ich glaube, daß diese Dinge eine große Macht haben. Was tat Joyce mit seinen Gefühlen bezüglich Irlands? Was tat Faulkner mit seinen Befühlen bezüglich des Südens ? Diese Art der Verarbeitung ist sehr schwierig. Dies ist der Stoff der Kunst. Rilke sagte über die Therapie: «Ich möchte mir die Dämonen nicht nehmen lassen, weil man mir dann auch die Engel nimmt.» Wunden und Narben sind der Stoff des Charakters. Das Wort Charakter bedeutet in seiner Wurzel «mit scharfen Linien gekennzeichnet oder geritzt», wie Initationsschnitte.

Ventura: Aber wir können nicht alle Künstler sein. Wir sind nicht lauter Joyces oder Jonathan Swifts. Die meisten von uns sind bloß arbeitende Leichen. Was sollen wir tun?

Hillman: Man darf das mit den Künstlern nicht wörtlich nehmen. Es geht darum, daß es eine Möglichkeit gibt, wie die Phantasie mit diesen mächtigen Dingen umgehen kann. Künstler sind einfach beispielhafte Menschen,

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die sich der Phantasie bedienen, um mit Dingen zu arbeiten. Deshalb muß man Künstlerbiographien lesen, weil Biographien zeigen, was Künstler mit ihren Träumen anfingen; sie zeigen, was man mit Hilfe der Phantasie mit Haß, mit Abneigung, mit Bitterkeit, mit Empfindungen der Nutzlosigkeit, der Minderwertigkeit und Wertlosigkeit tun kann — nicht was sie taten, sondern was man tun kann. Die Künstler fanden in der Phantasie Modi, um dies zu «verarbeiten», wenn Sie so wollen.

Das Zweite ist, daß Sie mit ihrer Frage wiederum annehmen, daß man kein unverarbeitetes Erz mit sich herumtragen kann. Nehmen wir an, daß Sie diese Klumpen als Erz betrachten.

Ventura: Es gibt Steine in der Seele— «ich habe Gestein in meinem Kopf.»

Hillman: Erz, Gestein, das den Charakter ausmacht, die besondere Wesensart, die Sie sind. Wie man physische Narben hat, so hat man seelische Schrammen. Und dies sind Steine. Sie sind, was man ist. Es ist eigentümlich, daß wir in unserer Kultur glauben, daß man dies alles ausbügeln kann. Ist dies eine Schmelztiegelphantasie? Versuchen wir alle, nett zu sein? Im Dienste dieser Phantasie mißbrauchen wir unser eigenes Rohmaterial.

Man begibt sich in eine andere Kultur, und die Menschen, die dort leiden, leiden an den Tatsachen ihres Daseins. Und mit einer «anderen Kultur» meine ich unsere eigene Straßenkultur — schwarze Amerikaner, Lateinamerikaner, die Armen auf dem Lande, und jene Frau dort drüben im Gras.

Ventura: Ja, wenn man Künstler ist, weiß man, daß dieser Stoff das Erz ist — man weiß das, und deshalb umgehen viele Künstler die Therapie. Sie möchten nicht, daß dieses Erz in der falschen Weise verarbeitet wird.

Hillman: Die Obsession, die verhindert, daß es als Erz geschätzt wird, ist die Besessenheit, zu verarbeiten, die Obsession, es zu glätten. Der Schaden wird erst erheblich, wenn man meint, daß es hier nicht hingehört. Dies meine ich, wenn ich sage, daß die therapeutische Einstellung das tatsächliche Potential der Menschen schädigt. Weil, wie Ivan Mich sagen würde, die Therapie das Leiden am Erz lindern möchte. Und unsere Kultur akzeptiert die These, daß es gelindert werden muß.

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Ventura: Wenn wir also sagen, daß die Therapie dies nicht tun kann oder nicht tun soll, was kann die Therapie dann ?

Hillman: Diese - Dinge - fühlen - lassen.

Man nannte dies das Heraufholen und Bewußtmachen des Verdrängten. Ich würde eher sagen: Diese Dinge fühlbar machen.

Ich sehe dies als ein Bauen von Korridoren, ein Öffnen von Leitungen, eine Schaffung von Kanälen, wie eine große Bypass-Operation, bei der alle möglichen neuen Leitungen gelegt werden, damit Dinge ineinanderfließen können. Erinnerungen, Ereignisse, Bilder, alles wird belebt. Und unsere Empfindungen bezüglich dieses Erzes werden subtiler. Lernen, dieses Erz zu schätzen. Dies ist etwas, was die Therapie kann.

Ventura: Sie sagen also nicht zu den Leuten: «Geht nicht zur Therapie.»

Hillman: Ich sage zu den Leuten: « Wenn ihr zur Therapie geht, dann achtet auf das geheime Einverständnis zwischen dem Therapeuten und demjenigen Teil von euch, der das Erz nicht fühlen möchte.» Es gibt viele Möglichkeiten, die Wahrnehmung des Erzes zu unterdrücken; eine davon ist, es zu verarbeiten. Die unterschiedlichen Therapierichtungen haben unterschiedliche Verarbeitungssysteme, aber sie sind alle Zurechtmacher. Aus meiner Sicht unterdrückt man das Erz, wenn man zurechtmacht, was falsch ist.

Ventura: «Verarbeitung» ist oft eine verkleidete «Verdrängung»! Nicht schlecht.

Hillman: « Das tut weh, verdammt, das tut weh!» Und die erste Bewegung weg vom Schmerz ist: «Wie ändere ich das ? Was nehme ich dagegen ein ?»

Ventura: «Mit welchem Fachbegriff kann ich ihn bezeichnen?»

Hillman: «Wie behandele ich dies?» Dies sind alles Arten, wie man mit dem « dies-tut-weh » umgeht. Solange man aber nicht verletzt war, solange man den Schmerz nicht erkundet hat, weiß man nichts davon. Man weiß nicht, warum es ihn gibt. Warum hat die Seele ihn erzeugt?

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Ventura: «Den Schmerz erkunden» klingt verdächtig nach verarbeiten. « Durcharbeiten »...

Hillman:.. .ist der Begriff, unter dem Verarbeiten üblicherweise läuft. Das meine ich nicht, wenn ich «den Schmerz erkunden» sage. Die Frage, die man stellen muß, lautet: «Wie wirkt die Therapie wirklich?» Ich bin mir nicht sicher, daß die Therapie selbst - das heißt Einsicht, Verständnis, Erinnerung, Anerkennung des eigenen Anteils, wie man es zustande brachte, Wahrnehmung von Mustern, Abreagieren...

Ventura:... was heißt das, Abreagieren?

Hillman: ...es bedeutet «loswerden» — ich bin mir nicht sicher, daß diese Aufarbeitungsverfahren, die angeblich die Modi der psychologischen Verarbeitung sind, wirklich etwas bringen. Was es meiner Meinung nach bringt, sind die sechs Monate oder sechs Jahre des Kummers. Die Trauer. Das lange Ritual der Therapie.

Ventura: Ahahhhhh.

Hillman: Die langweiligen Stunden.

Ventura: In denen man immer weiter und weiter zurückgeht, immer und immer über diesen Mist redet, gleichgültig, was man sagt oder denkt, einfach immer weiter zurückgeht.

Hillman: Und eines Tages hat sich etwas geändert. Der Körper hat den Schlag verdaut. Aber ich bin mir nicht sicher, daß dies deshalb ist, weil man es verarbeitet hat oder Einsichten oder Erkenntnisse gewonnen hat. Ich glaube, daß dies auch der Frau geschehen könnte, die in der Kirche vor dem Josefsaltar weint.

Ventura: Weil man damit zusammensitzt.

Hillman: Darin sitzt.

Ventura: Darin. Und darin zu sein, in welcher Form auch immer, ist die Erkundung.

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Hülman: Man ist eine Weile darin, dann eine Weile dabei, und dann besucht man es.

Ventura: Und dann geht es mit einem statt über einem.

Hillman: Und es kann sogar seinen eigenen Weg gehen.

Ventura: Und warum ist dies nicht Verarbeiten?

Hillman sagt nichts.

Ventura: Ich will Ihnen sagen, warum dies nicht Verarbeiten ist. Weil man es nicht nimmt und reinigt und daraus etwas anderes macht.

Hillman: Man verwandelt nicht.

Ventura: Verarbeiten heißt: «Ich kann dieses Erz nehmen und zu einem Pflug machen. Ich kann es zu einem Werkzeug machen, mit dessen Hilfe ich effizienter leben kann.» Und dies impliziert, daß das Erz in irgendeiner magischen Weise verschwunden ist, wenn ich dies tue.

Hillman: «Entweder ich kann es gebrauchen, oder ich kann es loswerden, aber es ist verdammt ineffizient, es um sich zu haben, wo man es nicht gebrauchen kann, und es ist trotzdem da.» Dies macht uns Amerikaner, uns weiße Amerikaner, zu psychologischen Amateuren und Ahnungslosen. Wir haben nicht genügend Stoff in der Psyche, wir befreien uns nach wie vor vom Erz! Wir sind keine psychologisch gewitzten Leute.

Ich würde nicht fragen, ob es Verarbeiten ist oder nicht. Ich würde vielmehr sagen: «Was geschieht, wenn man es Verarbeiten nennt?» Und Sie haben gesagt, was geschieht: Man versucht, es entweder loszuwerden oder es sich zunutze zu machen. Es geht also um eine Ausbeutung. Der Begriff der Transformation, der die Therapie beherrscht: Transformiere etwas Unnützes in etwas Nützliches.

Ventura: Ein Konsumdenken. Man konsumiert seine Seele, sowohl als Konsument wie als Fleischfresser.

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Hillman: Und auch als Industrieller: Man schlägt Profit daraus.

Ventura: Und die Seele mag das nicht. Sie sagt also «gut, ich werde dich zum Langweiler machen.»

Hillman (lacht): Ich hatte erwartet, daß Sie etwas ganz anderes sagen; ich hatte erwartet, daß Sie sagen: « Gut, ich schicke dir ein anderes Leiden!»

Ventura: Dies nur, wenn sie einen noch mag - dann gibt einem die Seele noch eine Chance mit einer neuen Herausforderung. Wenn sie wirklich genug von einem hat, sagt sie: «Ich mache dich zum Langweiler.»

Hillman: So daß man verarbeiteter Käse wird.

Ventura: Und man wird sehr gut angepaßt und sogar beherrscht sein, man wird die Fassung nicht verlieren, man wird nicht in Extreme fallen. Und vielleicht kann man sogar eine erfolgreiche Ehe mit jemandem führen, der genauso langweilig ist wie man selbst.

Hillman: Zum Glück klappt dies in der Regel nicht, weil der Gott der Ehe dies nicht zuläßt.

Ventura: Richtig, der Gott der Ehe ist ein sehr verrückter Gott.

Hillman: Der Gott der Ehe möchte sehr viel mehr.

Ventura: Und die Psyche sagt ganz besonders zu Therapeuten: «Ich werde dich zum Langweiler machen.» Darüber beklagen sich die Therapeuten, die ich kenne.

Hillman: O ja. Die repressive Atmosphäre der Therapie...

Ventura:...repressiv für den Therapeuten...

Hillman: ...die diktiert, daß Psychologie respektabel sein muß. Dies erzeugt einen furchtbaren Druck auf den Psychologen. Wir dürfen nicht auf die Straße gehen. Wir müssen vorsichtig sein, korrekt, nicht extrem oder radikal, und wir dürfen uns nicht mit unseren Klienten und Patienten drau-

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ßen in der Welt einlassen. Und dies richtet unser Denken auf die weiße Mittelschichtpsychologie aus. Wie ein guter Freund zu mir sagte: «Das Problem mit dem Älterwerden liegt für mich als Therapeuten darin, daß ich nicht in meine Exzentrizität hineinwachsen kann.» Weil von einem Therapeuten erwartet wird, daß er regelmäßige Sprechstunden hat, pünktlich ist, ein rechtschaffener, vernünftiger Mensch ist. Der Therapeut modelliert unbewußt das Ziel der Therapie.

Ventura: Der Therapeut modelliert unbewußt das unbewußte Ziel der Therapie.

Hillman: Nun, das ist nicht mein Ziel. Das Ziel meiner Therapie ist Exzentrizität, die sich aus dem Jungschen Begriff der Individuation ergibt. Jung sagt: «Man wird, wie man ist.» Und niemand ist rechtschaffen. Wir alle haben, wie die Schweizer sagen, eine Ecke ab.

Ventura: Es ist nicht Verarbeitung und es ist nicht Wachstum, weil das dasselbe ist, es ist eine Konsumhaltung gegenüber dem Leben. Also was zum Teufel ist es ?

Hillman: Ich glaube, daß es Leben ist. Das ist es. Will sagen: Durch das Leben gehen. Rousseau sagte: «Derjenige unter Euch ist der Gebildetste, der die Freuden und die Schmerzen des Lebens ertragen kann.» Bildung bedeutete die Freuden und Leiden des Lebens. Möchten Sie es also Bildung nennen? Auch das ist ziemlich langweilig.

Ventura: Dann gibt es noch all die Wörter, die die New-Age-Bewegung ungenießbar gemacht hat, wie zum Beispiel Reise.

Hillman: Ich will Ihnen sagen, wie ich es empfinde. Für mich ist es Dienst. Ich glaube, daß es Hingabe ist.

Ventura: An was?

Hillman: An die Götter. Ich habe das Gefühl, daß diese Dinge geschehen, und sie sind das, was die Seele will oder mir schickt. Was die Götter mir schicken. Bei Mark Aurel gibt es eine wunderschöne Passage: «Bei allem, was ich tue, habe ich die Gemeinschaft im Sinn. Was mir geschieht,

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was mir zustößt, kommt von den Göttern.» Statt zustoßen könnten wir auch sagen zu-fallen, und dies ist ein sehr wichtiges Wort. So nennen wir ja auch einen Patienten einen Fall. Was mir also zu-fällt, ist das, was mir geschieht, und dies ist auch die Wurzel des griechischen Wortes pathos — was auf mich fällt, was mich verwundet, was mir geschieht, was auf mich herabkommt, wie ich falle, wie die Würfel fallen.

Ventura: Wissen Sie, wir umkreisen die ganze Zeit die Grundvoraussetzung des amerikanischen Lebens, die die Therapie infiziert hat, nämlich: «Alles muß in Ordnung sein. Was nicht in Ordnung ist, das ist sehr, sehr falsch.»

Hillman: Was geschieht also mit dem Pathos, der Pathologie unseres Lebens, « dem, was nicht akzeptiert, nicht geändert werden kann und was wir nicht loswerden können »?

Ventura: Man richtet sich darauf ein.

Hillman: Dies wird zu Hingabe. Zu einem Dienst. Was kann man sonst tun?

Eine lange Pause.

Was kann man sonst tun ?

Und das ist die menschliche Beschränkung. Das meinten die Griechen mit der Sterblichkeit: Es heißt tragisch zu sein.

Ventura: Wir haben also kein Wort, das wir statt verarbeiten setzen könnten ... und vielleicht wollen wir gar keines!

Sie lachen.

Hillman: Richtig. Das ist viel besser. Wir haben kein Wort, das verarbeiten ersetzen könnte...

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Hillman und Ventura:... und wir wollen auch keines.

Hillman: Und es ist eigentlich keine Verarbeitung, dies zu tun.

Ventura: Weil es Teil des Konzepts der Verarbeitung ist, ein Wort zu finden, das es ersetzt, und zum Teufel damit. Wir haben auch kein anderes Wort für Wachstum, und vielleicht wollen wir auch keines.

Wir sprechen davon, wie wir unser Leben darauf einrichten können.

Hillman: Und wie wir es annehmen können.

Ventura: Die Bürde auf uns nehmen.

Hillman: Moment. Die Bürde auf sich nehmen heißt nicht, die Last des Menschen auf sich zu nehmen. Das war bisher ein großer Fehler. «Ich habe das Meinige getan.» Ich spreche nicht vom Dienst am Menschen. Hier gibt es Auflehnung und Subversion. Ich spreche vom Dienst an den Göttern.

Ventura: Wo liegt für Sie der Unterschied ?

Hillman: Man kann den Menschen verlassen. Man kann dem Menschen sagen: « Du kannst mich...»

Ventura: Aber die Götter gehen nicht weg.

Hillman: Man kann in das Nirvana gehen, aber die Götter spüren einen auf.

Ich weiß nicht, ob man von den Göttern geliebt wird, wie den Christen gesagt wird, oder ob sie besonders daran interessiert sind, was man zu tun beschließt und worüber man sich Sorgen macht; sicher ist, daß sie einen nicht so leicht loslassen. In Italien bekam eines meiner Bücher den Titel Die nutzlose Flucht vor den Göttern. Sehen Sie, sie erreichen uns durch unsere Krankheiten, und deshalb sind Krankheiten so wichtig. Sie sind das Fenster in der Mauer, durch das die Dämonen und die Engel hereinkommen.

Ventura: Sie mögen uns nicht, aber sie lassen uns auch nicht los. Klingt sehr nach Familie.

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Hillman: « Gerufen oder nicht, die Götter werden gegenwärtig sein.» Jung hatte diesen Satz in Latein über seiner Haustür. In Stein eingehauen. Wir können also ebensogut dienen. Und zwar freiwillig. So verstehe ich den menschlichen Willen: Man muß einfach das, was man durchmachen muß, freiwillig tun.

Ventura: Sie mögen uns nicht, aber sie beschäftigen sich mit unserem Fall. Butch Hancock hat ein Lied, in dem er singt: « Sie war ein Muster an Barmherzigkeit, sie hielt mich immer an der kurzen Leine.» Wenn sie uns lieben, dann lieben sie uns in dieser Weise.

.....................

Er macht eine Pause.

Mit «Dienst am Menschen» meinen Sie, daß die Aussöhnung mit dem System, mit der Autorität, etwas ganz anderes ist als das, was Sie «Dienst an den Göttern » nennen. Man kann sich nicht gegen die Götter auflehnen — das heißt, man kann schon, doch ist dies bloß ein weiterer Schritt im Tanz; es wäre besser, sich gegen die Autorität aufzulehnen.

Das meine ich wenigstens. Was meinen Sie?

Hillman: Sehen Sie, unsere Annahme, unsere Phantasie in der Psychoanalyse ist, daß wir verarbeiten, daß wir wachsen, daß wir die Dinge ins Lot bringen, damit wir diese starken, störenden Emotionen und Ereignisse nicht mehr haben.

Ventura: Wozu der Mensch wahrscheinlich nicht befähigt ist.

Hillman: Aber könnte die Analyse neue Phantasien bezüglich sich selbst haben, so daß das Sprechzimmer eine Zelle ist, in der die Revolution vorbereitet wird ?

Ventura: Was?

Hillman: Könnte...

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Ventura: ...könnte das Sprechzimmer eine Zelle sein, in der die Revolution vorbereitet wird ? Mein Gott. Könnte das sein ?

Hillman: Mit Revolution meine ich Umwälzung. Keine Entwicklung oder Entfaltung, sondern eine Umänderung des Systems, das einen überhaupt erst zur Analyse getrieben hat — und das System ist die Regierung durch Minderheiten und Konspiration, Amtsgeheimnisse, nationale Sicherheit, die Macht der Firmen und so weiter. Die Therapie könnte sich mit dem Gedanken befassen, die unmittelbaren gesellschaftlichen Ursachen zu erkunden, ohne auf die Begriffe des Mißbrauchs und der Ausnutzung zu verzichten - daß wir weniger durch unser bisheriges persönliches Leben mißbraucht und ausgenutzt werden, als durch das gegenwärtige System.

Es ist wie der Wunsch, von seinem Vater geliebt zu werden. Der Wunsch, von seinem Vater geliebt zu werden, ist außerordentlich wichtig. Diese Liebe wird aber vom Vater nicht erwidert. Man möchte sich nicht von dem Wunsch befreien, geliebt zu werden, aber man möchte aufhören, seinen Vater darum zu bitten; er ist das falsche Objekt. Wir möchten also nicht das Gefühl loswerden, mißbraucht zu werden — vielleicht ist es sehr wichtig, dieses Gefühl, mißbraucht zu werden, das Gefühl, machtlos zu sein. Aber vielleicht sollten wir uns mit dem Gedanken anfreunden, daß wir nicht so sehr von der Vergangenheit als vielmehr durch die aktuelle Situation «unserer Arbeit», «unseres Geldes», «unserer Regierung» mißbraucht werden — all dem, mit dem wir leben. Dann wird das Sprechzimmer zu einer revolutionären Zelle, weil wir uns auch darüber unterhalten würden, wovon wir gerade jetzt mißbraucht werden. Dies wäre ein großes Abenteuer, wenn die Therapie in dieser Weise reden würde.

Ventura: Ich möchte nochmals kurz auf etwas zurückkommen. Sie sagten: « Könnte die Analyse neue Phantasien über sich selbst haben ?» Was meinen Sie mit Phantasie? Für die meisten Menschen hat dieses Wort etwas mit « unwirklich » zu tun.

Hillman: Nein, nein, nein. Die Phantasie ist die natürliche Tätigkeit des Geistes. Jung sagt: «Die Hauptaktivität des Seelenlebens ist die Hervorbringung von Phantasien.» Phantasie ist die Art, wie man etwas wahrnimmt, wie man darüber denkt, wie man darauf reagiert.

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Ventura: In diesem Sinne ist aber alle Wahrnehmung Phantasie.

Hillman: Gibt es eine Wirklichkeit, die nicht geformt oder gestaltet wäre? Nein. Die Wirklichkeit entsteht immer durch eine Brille, über einen Standpunkt, eine Sprache — eine Phantasie.

Ventura: Wenn aber die Therapie diese neue Richtung einschlagen soll, diese neue Wahrnehmung oder Phantasie von sich selbst haben soll, müssen wir wohl einige Grundbegriffe völlig neu definieren.

Hillman lächelt und blickt in die Ferne. Das Licht hat sich verändert; die Sonne steht tief am Horizont, und vom Meer her weht plötzlich eine kühle Brise. Die Obdachlose wickelt sich in Plastik-Müllbeutel ein und murmelt etwas. Der Verkehr unten auf dem Highway kommt wieder zügig voran. Die Lichter des Öltankers sind angegangen, und er wird in wenigen Augenblicken verschwunden sein. Auch die Lichter des Santa Monica-Pier sind angegangen, freudlos wie erzwungener Jubel.

Hillman: Vielleicht muß die Idee des Selbst neu definiert werden.

Ventura: Das wäre revolutionär. Das würde schließlich die ganze Kultur verwandeln, wenn es sich durchsetzen würde.

Hillman: Die Idee des Selbst muß neu definiert werden. Die Definition der Psychotherapie kommt aus der protestantischen und östlichen Tradition: Das Selbst ist die Verinnerlichung des jenseitigen unsichtbaren Gottes. Die innere Wirklichkeit. Auch wenn dieses innere Göttliche als selbststeuernder, autonomer, homöostatischer, ausgleichender Mechanismus verkleidet ist, oder wenn das Göttliche als die integrierende tiefere Intention der ganzen Persönlichkeit verkleidet ist, ist es immer noch ein transzendenter Begriff mit theologischen Implikationen oder gar Wurzeln. Ich würde das Selbst vielmehr als die Verinnerlichung der Gemeinschaft definieren. Und wenn man diesen kleinen Schritt vollzieht, dann wird man ganz anders über die Dinge reden. Wenn das Selbst als die Verinnerlichung der Gemeinschaft definiert würde, dann wären die Grenzen zwischen mir und den anderen viel weniger gewiß. Ich wäre bei mir, wenn ich bei anderen bin. Ich wäre

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nicht bei mir, wenn ich allein spazieren gehe, meditiere, in meinem Zimmer meinen Phantasien nachgehe oder an meinen Träumen arbeite. Ich wäre mir selbst gerade entfremdet.

Und «andere» würden nicht nur andere Menschen sein, weil die Gemeinschaft, wie ich sie sehe, etwas Ökologischeres oder zumindest Animi-stischeres ist. Ein psychisches Feld. Und wenn ich nicht in einem psychischen Feld mit anderen — Mitmenschen, Gebäuden, Tieren, Bäumen - bin, bin ich nicht.

Es würde also nicht mehr heißen: «Ich denke, daher bin ich.» (Cogito ergo sunt, wie Decartes sagte.) Es würde heißen, wie neulich jemand zu mir sagte: «Ich bin mit anderen, daher bin ich.» Convivo ergo sunt.

Ventura: Dies ist eine Neudefinition des Selbst, gut.

Hillman: Sehen Sie, ein großer Teil unseres Lebens ist manisch. Ich kann im Fernsehen 34 Kanäle wählen, ich kann meinen Fax einschalten und mit Menschen in der ganzen Welt kommunizieren, ich kann überall zugleich sein, ich kann über das Land fliegen, ich habe eine Anklopfschaltung, so daß ich zwei Telefongespräche zugleich entgegennehmen kann. Ich lebe überall und nirgends. Aber ich weiß nicht, wer neben mir wohnt. Wer lebt in der Wohnung gegenüber ? Wer sind meine Nachbarn in 14b?

Ich weiß nicht, wer sie sind, aber, Junge, ich bin am Telefon, Autotelefon, Toilettentelefon, Flugzeugtelefon, meine Freundin ist in Chicago, die andere Frau, mit der ich zusammen bin, in Washington, meine Ex-Frau in Phoenix, meine Mutter in Hawaii, und ich habe vier Kinder, die überall im Lande verteilt sind. Tag und Nacht kommen Telefaxe herein, ich kann die Börsenkurse der ganzen Welt abrufen, ich bin überall — aber ich weiß nicht, wer in 14b wohnt.

Sehen Sie, diese Mega-Kommunikation und -Information gehört zu dem, was die Seele in einem eisernen Griff hält.

Ventura: Ja. Es ist natürlich so. Aber-vielleicht weil ich Schriftsteller bin, vielleicht weil ich mich so geschult habe — ich fühle mich am meisten ich selbst, wenn ich alleine bin.

Hillman: Es liegt nicht daran, daß Sie Schriftsteller sind oder sich so geschulthaben. Die Schulung begann vor 2000 Jahren.

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Ventura: Wie?

Hillman: Diese Schulung ist die Betonung des Rückzugs, der Innerlichkeit — im Sinne der augustinischen Bekenntnisse, im Sinne Hieronymus', der sich in die Wüste zurückzog. Dies ist das Ergebnis einer langen Schulung, den Menschen aus der natürlichen Welt der Gemeinschaft herauszureißen. Es ist ein Begriff aus dem Mönchtum, aus dem Streben nach Heiligkeit.

Es gibt noch einen zweiten Grund, warum man davon überzeugt ist, daß man alleine mehr sich selbst ist: weil es vertrauter ist. Man ist in einem ausgefahrenen Geleis. «Das bin ich, weil ich im selben Muster bin»; es ist erkennbar. Wenn man bei einem anderen Menschen ist, ist man außer sich, weil der andere in einen selbst hereinströmt und man in den anderen ausströmt; es gibt Überraschungen, man hat nicht ganz die Gewalt über sich, und dann glaubt man, daß man nicht sein wahres Selbst ist. Dieses Verlieren der Kontrolle — das ist die Gemeinschaft, die durch uns wirkt. Sie ist der Ort, an dem man sich befindet, und der durch einen wirkt.

Ventura: Aber wenn man dies ausufern läßt, dann ist man schnell mit hochgerecktem Arm im Berliner Sportpalast. Oder, näher bei uns, man schwenkt Fähnchen und gelbe Bänder aus Gründen, die man nicht einmal wissen will. So wirkt die Gemeinschaft auch durch einen selbst. Wenn die Gemeinschaft zu sehr durch einen selbst wirkt, dann existiert man nicht. Und wenn man in dieser Weise nicht existiert, öffnet man sich für die Vereinnahmung durch jegliche Kraft oder Idee einer Demagogie, die einen vereinnahmen möchte.

Hillman: Warum benutzen wir das Bild des Mobs oder des faschistischen Konformismus, wenn wir das Selbst aufgeben?

Ventura: Weil wir in diesem Jahrhundert so viel von Menschen zu leiden hatten und noch zu leiden haben, die ihre Individualität aufgeben.

Hillman: Das ist richtig. Trotzdem ist interessant, daß wir nur dieses Bild benutzen. Wir benutzen nicht das Bild einer Stammesgesellschaft, wo ich noch Hans-der-Einbeinige bleibe.

Ventura: Das ist richtig. Es ist ein interessantes, sehr signifikantes Detail, daß die Menschen in den Stammesgesellschaften, die unserer Auffassung

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nach am wenigsten individualisiert sind, die individuellsten Namen haben. Beschreibende Namen, die von ihren Träumen oder ihren Handlungen kommen, die sich selten wiederholen oder weitergegeben werden, weil sie so individuell sind. Es scheint, daß die Gemeinschaft, weil sie so viel gemeinsam hat und so viel in ihr tradiert wird, die Individualität mit größerer Hochachtung betrachtet.

Hillman: Im Stammesleben und in der Stammesreligion gab es meist einen Platz für Menschen, die anders waren — Homosexuelle, Visionäre, Einsiedler, Menschen mit speziellen Eigenschaften oder Fähigkeiten. Dies gab es natürlich auch im dörflichen Leben. Auch im Leben in der griechischen Polis. Natürlich waren dies keine vollkommenen Gesellschaften...

Ventura:... weil der Mensch nicht vollkommen sein kann...

Hillman: ...aber wir haben Beispiele für das Selbst als Gemeinschaft, die nicht totalitär sind und in denen die Individualität respektiert wird.

Mir sind diese einfachen Gegensatzpaare zu simpel — entweder beherrschtes, individuelles Selbst, oder totalitärer, geistloser Mob. Solche Phantasien schüren unsere Angst vor der Gemeinschaft. Sie sperren uns ganz allein in unser getrenntes Selbst ein, wo wir uns nach Verbindung sehnen. Die Idee der Unterwerfung unter den faschistischen Mob ist in Wahrheit die Folge des getrennten Selbst. Es ist das alte apollinische Ich, unnahbar und unerreichbar, dem das dionysische Strömen einen panischen Schrecken einjagt.

Wir müssen uns die Gemeinschaft als eine ganz andere Kategorie vorstellen. Sie besteht nicht aus einzelnen Menschen, die zusammenkommen und Verbindung aufnehmen, und sie ist keine Masse. Gemeinschaft ist für mich einfach das kleine System, in dem man gerade steht, manchmal im Büro, manchmal zu Hause bei seiner Einrichtung und seinem Essen und seiner Katze, manchmal auf dem Flur im Gespräch mit den Leuten von 14b. In jedem dieser Fälle ist das Selbst ein wenig anders, und das wahre Selbst ist das aktuelle Selbst, weil es in einer jeden Situation ein Selbst unter anderen, kein getrenntes Selbst ist.

Ventura: Und wenn wir fragen: «Wie verhält es sich mit dem Menschen von 14b ?», respektieren Sie oder ich dann diese Person als Teil der Gemeinschaft oder als Individuum ? Keines von beiden, wenn wir es vorziehen, uns

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völlig von ihnen zu trennen. Und wenn es ihnen recht ist, daß sie von uns abgeschnitten sind, dann respektieren sie auch uns nicht, in keiner unserer Rollen. Wir sprechen schließlich vom Nächsten. Die Tatsache zu ignorieren, daß man ein Nächster ist oder einen Nächsten hat, ist eine massive Form von Mißachtung sowohl des anderen wie auch von uns selbst, und sie ist heute in unseren Städten und Vorstädten die Regel. Ich nehme es einfach hin; ich ignoriere meinen Nächsten, und ich wette, daß die anderen es auch tun.

Hillman: Ich glaube, daß es für unser spirituelles Leben heute unumgänglich ist, daß wir dort, wo wir jeweils leben, Gemeinschaft haben. Natürlich haben wir liebe Freunde seit dreißig Jahren, die irgendwo in Burma oder Brasilien leben. Und sie sind für einen da, wenn es einem schlecht geht — in einem Notfall. Aber genügt das? Für den Fortbestand der Welt? Es genügt absolut nicht. Ich glaube, daß für den Fortbestand der Welt ständig an jener anderen Art der lokalen Gemeinschaft gearbeitet werden muß. Und es fällt sehr schwer, sich damit auseinanderzusetzen, wieviel « Kundendienst» notwendig ist — nicht für einen alten Freund in der Fremde, sondern für die Menschen von 14b.

Ventura: Wie kann die Therapie dies leisten? Ich meine, welche Schrauben und Muttern ?

Hillman: Ein Teil der Behandlung dieser Schwierigkeiten liegt darin, daß man sich den Terminkalender eines Menschen ansieht. Der Terminkalender ist eine der massivsten Abwehrmauern.

Ventura: Also meinen Terminkalender behandeln?

Hillman: Ihren Terminkalender behandeln. Und ich sage Ihnen, ich habe beim Versuch, die Terminkalender der Menschen zu behandeln und ihre Terminkalender zu ändern, mehr Widerstände erlebt, als Sie sich vorstellen können.

Ventura: Sie würden eine ganze Menge Widerstand von mir bekommen.

Hillman: Fragen Sie jemals Ihre Seele, wenn Sie Ihren Terminkalender machen?

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Ventura (stöhnt): Aus meiner Seele kam es gerade: «Tut er nicht, der Mistkerl!»

Hillman: Die Seele muß also zusehen, wie sie in Ihrem Tag Platz findet. Was Träume, Personen, freie Zeit betrifft. Die manische Abwehr der Depression besteht darin, ständig extrem beschäftigt zu sein — und auf Zwangspausen sehr gereizt zu reagieren. Dies gehört zu den Anzeichen für den manischen Zustand.

Ventura: Ich und viele meiner Bekannten sind oft zu beschäftigt, um etwas anderes sein zu können als beschäftigt. Ja, es ist manisch, und wir wissen dies irgendwie. Sie sagen, daß dies eine Abwehr gegen die Depression ist. Wenn wir auf das zurückkommen, worüber wir eben sprachen und annehmen, die Quelle unserer Depression liege in der Gegenwart und nicht zwanzig oder dreißig Jahre zurück, dann ist die Frage: «Welcher chronischen Depression wollen wir - als einzelne, als Stadt, als Kultur — entgehen, indem wir so chronisch manisch sind?

Hillman: Die Depression, der wir alle zu entgehen versuchen, könnte sehr gut eine chronische Reaktion auf das sein, was wir der Welt angetan haben, eine Trauer und Betrübnis darüber, was wir der Natur, den Städten und ganzen Völkern antun, über die Zerstörung großer Teile unserer Welt. Wir könnten zum Teil deshalb deprimiert sein, weil dies die Reaktion auf die Trauer ist, die wir nicht bewußt leisten. Die Trauer über die Zerstörung von Landschaften, in denen ich aufwuchs, über das Verschwinden von Wiesen und Äckern, die ich als Kind kannte...

Ventura:... oder bei jüngeren Menschen die Empfindung, daß diese Dinge vergangen sind, daß man sie nie erlebt hat und niemals erleben wird...

Hillman: ...alle diese Dinge, die verloren und vergangen sind. Denn so fühlt sich die Depression an.

Wir malen unsere nationale Geschichte rosa und weiß, unsere persönliche Geschichte grau. Wir geben ohne weiteres zu, daß wir Gefangene unserer persönlichen Geschichte sind, aber man hört nie, daß dies von unserer nationalen Geschichte gesagt würde.

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Ventura: Oder von der Geschichte unserer Zivilisation. Was umgekehrt wieder ein Hinweis darauf ist, wie sehr wir tatsächlich an das Selbst als Verinnerlichung der Gemeinschaft glauben, weil die Bedeutung und die Dunkelheit unserer nationalen und kulturellen Geschichte so sehr geleugnet wird. Wir brauchten es nicht so heftig zu leugnen, wenn es für uns nicht so ungeheuer wichtig wäre. Die Intensität dieser Verleugnung ist das Maß dafür, wie groß unsere Furcht und Angst ist.

Hillman: Ich glaube, daß wir auch die Scham verloren haben. Wir sprechen darüber, daß uns unsere Eltern als Kinder beschämt haben, aber wir haben unsere Scham bezüglich der Welt und der Unterdrückten verloren, die Scham darüber, daß wir vieles falsch machen, darüber, daß wir die Welt kaputtmachen. Wir haben dieses Schamgefühl in persönliche Schuld umgewandelt.

Vielleicht könnte die Revolution damit beginnen, daß wir uns unserer Depression stellen.

Ventura: Dies ist deprimierend. Und es gibt so viel, wogegen man sich auflehnen könnte. All das häßliche, geldgierige Tiefstpreisdenken, das die Entschuldigung für soviel Dummheit und Grausamkeit ist. Aber Sie haben am Anfang gesagt, daß die Dinge, Gegenstände nicht passiv sind, daß die Welt durch die Dinge zurückschlägt. Das bedeutet?

Hillman: Sehen Sie, jede größere Veränderung braucht einen Zusammenbruch. Tschernobyl hat uns in Amerika anscheinend nicht betroffen, doch konnten die Menschen in Europa kein Gemüse essen, keine Milch trinken; das ganze Renfleisch in Skandinavien war verseucht. Dies bewirkt einen ungeheuren Wertewandel. Plötzlich sind manche Dinge lebensspendend, andere todbringend. Das Geld spielt nicht mehr jene große Rolle; an Tschernobyl hängt kein Preisschild.

Die Veränderung des Tiefstpreisdenkens kommt durch Symptome zustande. Es kommt durch Gift zustande. Valdez, Bhopal, Tschernobyl haben dort alles giftig, schlecht, ungenießbar gemacht — und mit Geld ist da nicht zu helfen. Die Bedrohung durch den Tod führt uns über die Wertbestimmung anhand finanzieller Größen hinaus. Nach Katastrophen messen wir Geld keinen Wert mehr bei. Die Natur oder Seelenqualität einer Sache ist dann letztlich deren Wert. Wir würden fragen: Ist dies gut, ist es hilfreich, ist es schön, statt: Was kostet es?

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Ventura:
Das wäre sicherlich revolutionär. Wenn wir jene grundlegende Frage: "Was kostet es?" ändern würden, würde sich alles ändern.
Und das Sprechzimmer könnte zu einer revolutionären Zelle werden, wenn die Therapie unsere Schwierigkeiten mehr in der Gegenwart ansiedeln und unsere Aufmerksamkeit auf die Welt statt nur nach innen richten würde, weil letztlich die Frage lauten müßte: Was kostet es uns? Welchen Preis bezahlen wir wirklich für unsere Art zu leben?

Ventura lacht plötzlich.

Hillman: Hm?

Ventura: Mein gieriges kleines privates Selbst, derjenige Teil, der sich nur um meine Beziehungen kümmert und der sich nur wünscht, daß sich die Leute in 14b heraushalten, dieses Selbst stellt plötzlich die Frage: Wo bleibt bei dieser neuen revolutionären Therapie die L-i-e-b-e?

Hillman: Wissen Sie, ein guter Tag gibt ein ganz bestimmtes Gefühl — er ist gemächlich, und es ist ganz so, wie wenn man bei einem geliebten Menschen ist. Wenn man sich beim Frühstück plötzlich wohl fühlt, etwas schmeckt — es hat mit Schönheit zu tun, dieses Thema der Liebe. Und ich glaube, daß die ganze «Arbeit» an persönlichen Beziehungen das kaputtmacht. Diese «Arbeit» ist nicht ästhetisch und nicht sinnlich, und dies bedeutet für mich letztlich Liebe. Ästhetisch und sinnlich, und eine Art Freude. Liebe entsteht nicht dadurch, daß man an etwas arbeitet. Die therapeutische Arbeit an der Liebe, an der Beziehung, kann Kommunikationsschwierigkeiten, Ausdruckshemmungen, gefühlloses Handeln beseitigen, es kann vielleicht sogar die sexuellen Beziehungen verbessern, aber ich glaube nicht, daß dadurch Liebe entsteht; ich glaube nicht, daß man an Liebe arbeiten kann.

Ventura: Dies ist eine Unterscheidung, die unsere Kultur offenbar in den letzten Jahrzehnten geflissentlich übersehen hat — die Unterscheidung zwischen «Beziehung» und «Liebe». Wenn man das Wort ästhetisch auf «die Beziehung» anwenden würde — da würden viele von uns mit den Wimpern klappern.

Hillman: Das ist für mich Liebe — Ästhetik und Sinnlichkeit. Und wenn dieser Aspekt nicht funktioniert, wird der andere Mensch ein wenig wie ein Kamel, das große Lasten durch die Wüste der Beziehung trägt — unser Gepäck, das Gepäck des anderen Menschen. Kein Wunder, daß Kamele spucken.

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Hillman/Ventura 1992 100 (hundert) Jahre Psychotherapie