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Überhaupt hatte Fetscher ein feines Gespür für Autoren, die in einer bestimmten Deutungstradition gefangen waren. Gegen sie versuchte er, einen offeneren, weiteren Blick durchzusetzen. Das gilt nicht nur für Marx, sondern auch für Jean-Jacques Rousseau, den er als einen radikaldemokratischen Denker gelesen wissen wollte, anstatt ihn als Stichwortgeber für den Großen Terror in der Französischen Revolution oder Urvater des Totalitarismus zu rubrizieren.

Auch Thomas Hobbes, in Deutschland lange als geistiger Parteigänger des autoritären Staates begriffen, ist von Fetscher als ein im Kern liberaler Theoretiker begriffen worden. Wobei er den Blick von den Befugnissen des Souveräns weggelenkt hat, hin zum Vertrag freier Menschen als Gründungsakt des Staates.

Immer wieder prägte dieser starke Rekurs auf die Geschichte der politischen Ideen nicht nur Iring Fetschers besondere Position im Fach Politikwissenschaft, sondern auch den Stil seiner Interventionen als öffentlicher Intellektueller. Positionen müssen argumentativ begründet werden. Der dabei von Fetscher beschrittene Weg war die kritische Auseinandersetzung mit den großen politischen Theoretikern: Erst eine Stellungnahme, die deren kritischem Einspruch standhielt, konnte sich öffentlich sehen lassen. So wurde aus einer liberalen Grundhaltung eine Form liberalen Denkens und Argumentierens.

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Quelle: www.abebooks.de  von Axel Bitterlich 

Der Leviathan oder: Wie stark muss der Staat sein?

"Homo homini lupus est" - der Mensch ist des Menschen Wolf. Sicher nicht wenige sahen zu allen Zeiten - und sehen noch heute - mit dieser Allegorie ihre Lebenserfahrungen treffend eingefangen: Auf niemanden ist Verlass; wenn Eigeninteressen auf Fremdinteressen stoßen, wird das persönliche Wohl immer höher eingeschätzt als alles andere.

Jeder ärgert sich darüber, aber dennoch verhalten sich nur wenige Menschen auch dann noch gemeinwohlorientiert, wenn dies individuelle Einbußen mit sich bringt.

Thomas Hobbes versucht, den Kampf und damit den Krieg aller gegen alle zu vermeiden, und dafür braucht es zwingend den Leviathan - so seine Einschätzung: In dem Bild des alttestamentarischen Ungeheuers bündelt Hobbes alle Macht in der durchaus realen Überperson, die ihm nötig erscheint, um langfristig Frieden zu sichern.

Ob der Mensch ausschließlich trieb- und affektgeleitet ist, und deshalb unbedingt vom starken Staat kontrolliert werden muss, kann zu Recht bestritten werden. 

Dennoch hat Hobbes' vielleicht erschreckend realistisches Bild vom Menschen ohne staatliche Regelung des Zusammenlebens unser Denken wesentlich geprägt. Der Souverän gewährt Schutz und optimale Entfaltungsmöglichkeiten - schützt die Bürger vor sich selbst wie vor äußeren Einwirkungen -, wenn die Bürger im Gegenzug dafür alle ihre Rechte und alle ihre individuellen Kräfte auf das Staatsoberhaupt übertragen.

So gehen Bürger und Herrscher im Leviathan einen Vertrag ein. Der Souverän wird damit zur Verkörperung aller Interessen, zur Verkörperung jedes Einzelnen im Staat. Der Leviathan ist danach allmächtig, niemandem verpflichtet und setzt ganz allein Recht und Moral. Der darauf aufbauende von Hobbes im Leviathan entwickelte Staatsentwurf wird deshalb zumeist als nachträgliche theoretische Rechtfertigung absolutistischer Herrschaft interpretiert. 

Heute gibt es natürlich mehr Rückkoppelung zwischen Staat und Gesellschaft. Ob und wie der Gesellschaftsvertrag zwischen Souverän und Bürger auch im Leviathan ein "Unterwerfungsvertrag" ist, bleibt jedoch fraglich: Auch Hobbes räumt ausdrücklich das Recht zum Widerstand ein; wenn der Leviathan seine Schutzfunktion zum Wohle aller nicht mehr ausreichend ausübt, haben die Bürger das Recht, ihn durch einen anderen starken Herrscher zu ersetzen... Und das klingt wie das gesamte Prinzip des Vertragsschlusses dann wieder sehr modern, auch wenn das Zusammenleben im Staat vor gut 400 Jahren wahrlich anders aussah als heute.

"Deshalb brauchen wir unbedingt einen starken Staat", scheint Thomas Hobbes, geboren am 5. April 1588, auf den ersten Blick zu schlussfolgern. Aufgewachsen zwischen langjährigen Bürgerkriegen, arbeitete Hobbes seine persönliche historische Erfahrung in sein Werk ein. Mit dem Wölfischen im Menschen benennt der englische Pfarrerssohn die möglicherweise wichtigsten Triebkräfte der Menschen: die Selbsterhaltung und das Streben nach größtmöglicher Macht. Frei nach dem Motto: Erst, wenn es meinem Nachbarn schlechter geht als mir selbst, fühle ich mich so richtig gut. Diese anthropologische Grundlage, Hobbes überaus negatives Menschenbild, bildet den Ausgangspunkt für seine Argumentation. 

Thomas Hobbes ist damit der erste, der im Rahmen eines modernen philosophischen Systems politische Theorie betrieb: Nicht mehr der Glaube an eine göttliche Fügung, sondern allein die Vernunft bildet die Grundlage für seine Schlussfolgerungen - ein Herrscher ist nicht von Gottes Gnaden, sondern allein durch die Notwendigkeit legitimiert, Bürgerkriege zu vermeiden. Hobbes bringt in dieser Beschreibung des Zustandes der menschlichen Natur Philosophie und Naturwissenschaften zusammen.

Seit über 400 Jahren sehen deshalb viele wissenschaftliche Interpreten in ihm denjenigen, der die politische Philosophie in die Moderne geführt hat. Und zugleich steht Hobbes in der Tradition der Antike: Nur wenige erinnern sich heute daran, dass Hobbes' gute Kenntnisse der Antike, Aristoteles eingeschlossen, ihn zuerst als Übersetzer - besonders durch seine Übertragungen des Thukydides - berühmt machten und letztlich auch seine Philosophie beeinflussten. Neben dem Leviathan ist vor allem sein zweites Hauptwerk De Cive der späte Versuch, durch politische Aufklärung zu wirken. Und noch heute fragen wir uns, wie ausgeprägt und legitim der Wille der meisten Menschen ist, sich der Einfachheit halber beherrschen zu lassen, statt sich für die Gemeinschaft einzusetzen. 

 


 

Thomas Hobbes - der Leviathan : das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder - 1651-2001

Von Horst Bredekamp

Erscheinungsdatum: 2020  - 203 Seiten  mit 102 Illustrationen

d-nb.info/1189355124 

Inhaltsverzeichnis.pdf 


 

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