Vorwort - "Kellerkinder"
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Dieses Buch handelt von Kindern. Es wurde für Erwachsene zugunsten von Kindern geschrieben, keineswegs aber nur für Eltern. Die ältesten Kinder, von denen es handelt, sind mehr als 70 Jahre alt, die jüngsten sind noch gar nicht geboren. Die Kinder, zu deren Gunsten es geschrieben wurde, sind hoffentlich noch sehr klein; besser ist es, wenn sie noch gar nicht geboren sind.
Der Autor möchte nämlich mit seinen Falldarstellungen und Überlegungen aus einer mehr als dreißigjährigen Erfahrung aufzeigen, was seiner Ansicht nach für gegenwärtige wie für kommende Generationen zu beachten so überaus wichtig ist.
Warum ich von mehr als siebzigjährigen Kindern und gleichzeitig von noch ungeborenen Kindern schreibe, kann Ihnen nur die folgende Darstellung selbst enthüllen. An dieser Stelle hierzu fünf kurze Hinweise:
1. Nicht alle, aber die meisten Personen, von denen ich in diesem Buch schreibe, sind oder waren meine Patienten. Sie alle aber haben als noch Ungeborene, als Säuglinge oder als Kleinkinder Schreckliches, ihr späteres Leben Prägendes erlebt.
2. Bei Beginn ihrer Therapie waren sie alle aufgrund ihrer Erlebnisse in der Entwicklung zur menschlichen Reife steckengeblieben, weil sie die ihre Kindheit überschattenden Erlebnisse niemals hatten verarbeiten können.
3. Sie alle hatten als Kinder das Schreckliche mit der Erwartung überlebt, daß sich ihre kindlichen Bedürfnisse und Wünsche in der Zukunft einmal erfüllen würden. Doch diese Erwartung erfüllte sich nie und kann sich niemals erfüllen. Im Festhalten an der «neurotischen Hoffnung» (Arthur Janov) waren sie alle in irgend einer Weise bedürftige Kinder geblieben.
4. Sie alle haben sich in der Therapie als die geprellten Kinder, als die um ihre Kindheit Betrogenen wiedererlebt und dadurch die Chance gewonnen, die Belastungen ihrer Kinderzeit aufzuarbeiten und — endlich — erwachsen zu werden.
5. Dieses Buch ist zugunsten der Kinder aller Altersstufen geschrieben, gegenwärtiger und zukünftiger, denn es richtet sich an solche Menschen, die Ähnliches erlebt haben; es richtet sich an Eltern, die wissen möchten, warum sie Probleme mit ihren Kindern haben, und sich fragen, wie sie damit umgehen können; es richtet sich an Lehrer, Erzieher, Psychologen, Psychoanalytiker, Psychotherapeuten, Ärzte, Heilpraktiker, Theologen, Gesellschafts- und Gesundheitspolitiker, weil diese im kleinen wie im großen die Weichen stellen für zukünftige Generationen.
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Die Fachleute möchte ich dafür um Verständnis bitten, daß ich auf «wissenschaftliches Beiwerk», vor allem auf eine eingehende Zitierung von Literatur, verzichte. Nicht was ich alles inzwischen über den dargestellten Gegenstand anderswo gelesen habe, sondern meine persönlichen praktischen Erfahrungen aus mehr als dreißigjähriger Praxis und mein Nachdenken darüber sollen in diesem Buch ihren Niederschlag finden.
Ich lese zur Zeit bewußt sehr wenig, um mich nicht durch die Vielfalt kontroverser Meinungen meinem Gegenstand ablenken zu lassen: von den persönlichen Erfahrungen meiner Patienten und meinen therapeutischen Erfahrungen mit ihnen. Darüber hinaus möchte ich auf keinen Fall denjenigen Autoren nacheifern, die ihren Büchern dadurch einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben versuchen, daß sie möglichst viele andere Autoren zitieren und dadurch ihre oft mageren eigenen Gedanken und Erkenntnisse aufzubessern versuchen. Was in diesem Buch steht, spiegelt meine eigene Forschung, Erfahrung und nachdenkende Verarbeitung wider. Soweit ich anderen Therapeuten oder Autoren Anregungen zu danken habe, werde ich das im Text selbstverständlich vermerken.
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Ich habe mich darum bemüht, in einer möglichst allgemeinverständlichen Sprache zu schreiben, weil die Zielgruppe so umfangreich und so unterschiedlich ist. Das ist bei der Kompliziertheit der Materie oft nicht ganz leicht, deutsche Übersetzung von unvermeidbaren Fachausdrücken wurde (zur Einübung für Unkundige wiederholt) in Klammern gesetzt. Abgesehen davon tut es uns allen gut, gerade auch uns «Fachleuten», im Fühlen, Denken und Reden den Kindern wirklich nahe zu bleiben — den noch ungeborenen über ihre Eltern, aber auch den alten, die kaum eine Chance hatten, erwachsen zu werden. Das ist eine wichtige Voraussetzung für jede wirksame Therapie.
Ursprünglich hatte ich beabsichtigt, dieses Buch unter dem Haupttitel «Kellerkinder» herauszugeben. Aber ich habe mich überzeugen lassen, daß dieser ursprünglich geplante Titel viel zu eng gewesen wäre und zu Mißverständnissen hätte führen können. Warum ich die «Kinder» meiner Praxis überhaupt mit «Kellern» in Verbindung bringe, soll allerdings kein Geheimnis bleiben. Auch hierzu möchte ich fünf Aspekte nennen:
1. Als ich in München mit der psychotherapeutischen Arbeit begann, zunächst nur nebenberuflich und in sehr kleinen Schritten, waren meine ersten Patienten junge Leute, die einen großen Teil ihrer Säuglings- und Kinderzeit in Luftschutzkellern verbracht hatten.
2. Vielen Patienten erscheint der Mutterleib, in dem sie 9 Monate lang herangewachsen und keineswegs nur geschützt und glücklich gewesen sind, im Traum oft unter dem symbolischen Bild eines Kellers, besonders oft als eine im Keller liegende Waschküche.
3. Was verdrängt ist, was wir Psychoanalytiker und Psychotherapeuten als «das Unbewußte» bezeichnen, wird ebenfalls oft unter dem Symbolbild des Kellers, etwas aus dem Unbewußten Aufsteigendes, als das Einbrechen in einen Kellerraum geträumt.
4. Seit 1984 leiste ich meine psychotherapeutische Arbeit in einem dafür speziell gebauten und eingerichteten «Therapiekeller».
5. Schließlich, wie Sie später noch lesen werden, hat für meine eigene Entwicklung zum Psychotherapeuten ein Erlebnis im Keller meines Elternhauses und dessen Bearbeitung in zwei Therapien eine wichtige Rolle gespielt, dessentwegen ich mich selbst zurecht als «Kellerkind» bezeichnen kann.
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Dieses Buch bringt viele charakteristische Fallbeispiele. Was die Tiefenpsychologische Basis-Therapie (TBT) mit Hilfe ihrer therapeutischen Techniken, der Psychoanalytischen Regressions-Therapie (PRT) und der Kognitiv-Energetischen Diagnose und Therapie (KED/KET) aufdecken und therapeutisch klären und lösen kann, ist mit Fallbeispielen besser zu erklären und zu belegen als mit theoretischen Erörterungen über therapeutische Konzepte, wenn sich solche Erörterungen auch nicht ganz vermeiden lassen. Damit beschäftigen sich vor allem die ersten Kapitel. Aber auch diese sind mit zahlreichen die Sachfragen illustrierenden Beispielen aus meiner Praxis angereichert.
Die Fallbeispiele in diesem Buch haben nicht den Zweck, Therapieerfolge zu dokumentieren. Aus der Fülle des langjährig gesammelten und zum Teil mit Videoaufnahmen festgehaltenen Materials wurden diese Beispiele ausgewählt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt, die angesprochenen Lebensprobleme und die darauf bezogenen therapeutischen Maßnahmen besonders gut zu illustrieren. Es geht mir besonders darum, meine in vielen Jahren gewonnenen Kenntnisse und Erkenntnisse zu vermitteln und die objektiven und subjektiven Möglichkeiten und Grenzen der Tiefenpsychologischen Basis-Therapie (TBT) und ihrer therapeutischen Techniken aufzuzeigen.
Die dargestellten Fälle sind teilweise von den Patienten selbst protokolliert, teilweise von mir auf Video-Band aufgenommen, in vielen Fällen obendrein durch Drittpersonen bestätigt worden. Die Namen der Patientinnen und Patienten wurden in allen Fällen aus Gründen des Datenschutzes verändert.
Wer sich eingehender über die Grundlagen der Human-Biologischen Ganzheits-Medizin (HBGM) und der Tiefenpsychologischen Basis-Therapie (TBT) informieren möchte, findet auf den letzten Seiten dieses Buches entsprechende Literaturangaben.
Zum Schluß habe ich noch drei lieben Menschen für die Entstehung dieses Buches zu danken: meiner kleinen Tochter Anna-Katharina, an der ich die «biologischen Programme» live studieren konnte; meiner Frau Elisabeth, die in langen Nächten die Korrektur vom ersten Computerausdruck des Manuskripts gelesen hat; und meinem lieben Freund Gregor Fischer, der mir viele wichtige Hinweise gegeben, mich immer wieder zum Schreiben ermutigt und die Zweitkorrektur des Manuskripts gelesen hat.
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Aschau im Chiemgau, im Januar 1995,
Wolfgang H. Hollweg