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Einleitung - Cäcilia, Lore und der Keller

 

 

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Cäcilia ist von großen Ängsten geplagt. Obwohl sie sehr intelligent ist, quält sie die Vorstellung, sie könne ihr Studium niemals erfolgreich zu Ende bringen. Wenn ihr jemand zuschaut, wird sie so unsicher, daß sie nicht schreiben kann. Wenn sie eine Unterschrift leisten soll, zittert sie am ganzen Körper und bekommt Schweißausbrüche.

Cäcilia liegt im Therapieraum auf einer 12 cm dicken Matratze, um Therapie zu machen. Ich weise sie an, ruhig und tief vom Bauch her zu atmen. Das Ausatmen soll mit einem Ton verbunden werden. Dabei soll sich Cäcilia darauf konzentrieren, wie sie ihren Körper wahrnimmt. Anfangs ist der Ton leise, etwas seufzend, unauffällig. Doch allmählich wird er lauter und in der Tonhöhe auf- und abschwellend. Schließlich tönt es durch den ganzen Raum, das Sirenenheulen, das ich so gut aus den letzten Kriegsjahren kenne. Das geht so viele Minuten lang. Dann bläst sie mit einem langgezogenen Ton «Entwarnung».

Im Verlauf der weiteren Therapie wiederholen sich «Fliegeralarm» und «Entwarnung», doch dabei deckt Cäcilia immer mehr die lebensgeschichtlichen Hintergründe ihrer Ängste auf:

Der nächste Luftschutzbunker lag so weit entfernt, daß die hochschwangere Mutter ihn, zusammen mit der gebrechlichen Oma, nicht ohne Mühe erreichen konnte. So blieb sie bei Fliegeralarm meist im Keller des Wohnhauses, stand dabei aber unter sehr starkem Angstdruck. Das hieß für das noch ungeborene Kind: wenn diese schrecklichen Töne kommen, dann hat die Mutter Angst. Diese ihre Angst teilte sich dem Fötus unmittelbar mit. Er zitterte mit der Mutter. Cäcilia wurde bei Fliegeralarm geboren. Auch in den ersten Monaten danach gab es keine Beruhigung.

Doch dann verändert sich in der Therapie auf einmal das Bild: Cäcilia hat merkwürdige Körper­empfindungen, die sie nur sehr schwer beschreiben kann. Sie meint, daß ihr Körper in mehreren Ebenen schwankt. Mal neigt er sich mehr an den Füßen, mal mehr am Kopf, gleichzeitig einmal etwas mehr zur rechten, dann wieder mehr zur linken Seite. Plötzlich hat sie ein klares Bild vor Augen: sie sieht sich in ihrem Kinderwagen, der bei Fliegeralarm von der Mutter und einer zweiten Person die Kellertreppe hinuntergetragen wird.

Nachzutragen ist noch, daß Cäcilia, das «Kellerkind», ihre medizinischen Examina sehr gut bestanden hat.

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Lore hat von dem fast pausenlosen Bombardement ihrer Geburtsstadt Berlin einen ganz anderen Schaden erlitten. Die Mutter war ziemlich beziehungslos. Sie meinte, es besonders gut zu machen, als sie ihr Neugeborenes Tag und Nacht im Keller liegen ließ und nur alle vier Stunden zum Stillen und Wickeln nach ihm schaute. Daß ihr Kind über Nahrung und Sauberkeit hinaus Zuwendung, Körpernähe, Liebe, Ansprache brauchte, kam ihr nicht in den Sinn. Sie hielt sich zugute, daß der Säugling den sichersten Platz im Hause hatte. Wen nimmt es da noch wunder, daß Lore selbst nicht fähig wurde, tiefergehende Kontakte zu knüpfen? Das waren denn auch die Gründe, warum sie sich einer Therapie unterzog, in der sie sich längere Zeit mit der Oberflächlichkeit und Gefühlsarmut ihrer Mutter und mit ihren eigenen Beziehungsschwierigkeiten auseinandersetzte.

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Diese beiden Fälle haben einerseits etwas Gemeinsames, nämlich die massive Bedrohung von außen, doch andererseits sehr unterschiedliche persönliche Bedingungen: auf der einen Seite eine angstgeschüttelte Mutter, die ihrem ungeborenen Kind und Säugling kein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermitteln kann, und auf der anderen Seite eine oberflächliche Mutter, die ihr Kind emotional verhungern läßt.

Diese Gegenüberstellung soll deutlich machen, daß es nicht allein, und schon gar nicht in erster Linie, die äußeren Umstände sind, die ein noch ungeborenes Kind, einen Säugling, ein Kleinkind in seiner Entwicklung beeinträchtigen, sondern die nächsten Beziehungspersonen, die dem Kind das Erleben der äußeren Umstände vermitteln.

Dazu zwei Aussagen von «Kellerkindern» aus der Kriegszeit: 

Der Patient Benno, den wir noch näher kennenlernen, erinnerte sich in seiner Therapie, daß nach einem schweren Bombenangriff und einem damit verbundenen schrecklichen Erlebnis kein ernsthafter Versuch gemacht wurde, ihm die schwerwiegenden Ereignisse zu erklären und ihm darüber hinwegzuhelfen. Benno war damals erst 4 Jahre alt. Eine andere Patientin berichtete mir wörtlich: «Es ist so furchtbar, weil ich so oft in Todesnähe war, aber niemand da war, der mich davor schützte. Es war reiner Zufall, ob mich der Tod erwischte oder nicht. Dieses Fallengelassensein, bevor der Tod auftritt, ist das eigentlich Bedrohliche.»

Wir werden uns im folgenden nur noch mit einigen wenigen Fällen aus der Kriegszeit befassen. Das Moment der Todesbedrohtheit wird uns jedoch immer wieder begegnen.

Die zitierten Beispiele zeigen darüber hinaus, daß eine gute Therapie drei Schwerpunkte haben muß:

Sie muß für die Patienten die äußeren Umstände faßbar machen, sie muß das (Fehl-) Verhalten der betreuenden Erwachsenen aufdecken und schließlich die Lebensantwort der betroffenen Menschen so zu verändern ermöglichen, daß sie in Gegenwart und Zukunft ein von den Ängsten der Vergangenheit freies Leben in Gesundheit führen können.

Diese Möglichkeit ist meiner Erfahrung nach mit der Tiefenpsychologischen Basis-Therapie (TBT) gegeben, die uns jetzt eingehender beschäftigen muß.

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