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25.   Die «Internationale Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin» (ISPPM) 

und ihre Bedeutung für die Weiterentwicklung derTiefenpsychologischen Basis-Therapie (TBT) 

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Der Münchener Psychiater Prof. Walter C. Simon, der mir einige Jahre lang immer wieder Patienten zur Durchführung einer Psychoanalyse überwies, machte mich auf den «Arbeitskreis für Tiefenpsychologie und Psychosomatik» an der Universität Salzburg aufmerksam, der von Prof. Igor Alexander Caruso (f) gegründet worden war und damals noch von ihm selbst geleitet wurde.

Ich schloß mich diesem Arbeitskreis 1971 an und wurde 1972, nach einem größeren Vortrag mit dem Titel «Überlegungen zur Angsttheorie und zur Entstehung von (traumatischen) Angstneurosen», der in meinem Buch «Was verborgen ist im Menschen» abgedruckt ist, auf Vorschlag der Ausbildungs­kommission als ordentliches Mitglied in den Arbeitskreis aufgenommen. 

Der Arbeitskreis ist in Österreich staatlich anerkanntes psychoanalytisches Ausbildungsinstitut, trägt jetzt den Namen «Salzburger Arbeitskreis für Psychoanalyse» und ist Mitglied der «Österreichischen Arbeitskreise für Psychoanalyse». In diesem Institut lernte ich auch den Salzburger Universitäts­professor Sepp Schindler kennen. Schindler und Caruso verdanke ich für die weitere Entwicklung der Tiefenpsychologischen Basis-Therapie sehr viel mehr, als beiden wohl je bewußt geworden ist.

In dem genannten Vortrag über Angsttheorie und Angstneurose hatte ich mich intensiv mit den Forschungen der Ethologie, der vergleichenden Verhaltensforschung, über das Phänomen der Angst beschäftigt. Das war zu der damaligen Zeit noch ganz ungewöhnlich und stieß im Salzburger Arbeitskreis keineswegs nur auf Zustimmung. Während Caruso in diesem Vortrag die psychoanalytische «Nomenklatur», das ihm geläufige psychoanalytische Vokabular vermißte, was er — allerdings sehr wohlwollend — kritisierte, fand ich in Sepp Schindler einen hilfreichen Vermittler, der sich darum bemühte, meine Aussagen den Kolleginnen und Kollegen in die ihnen gewohnte Sprache zu übersetzen. Dafür bin ich ihm noch heute sehr dankbar.

Auf Anregung von Gustav Hans Graber (f), Bern, war von ihm selbst, von Igor Caruso und anderen am 26.7.1971 in Wien die «Internationale Studiengemeinschaft für Pränatale Psychologie (ISPP)» gegründet worden. Die ursprünglich an rein psychoanalytischen Denkmodellen orientierte Arbeit wurde sehr bald erheblich ausgeweitet: durch die Einbeziehung der Entwicklungspsychologie, für die der Name Sepp Schindler steht, durch die Begegnung mit der Embryologie und Fötologie, vermittelt durch Ernst Blechschmidt, durch die Auseinandersetzung mit der Psychoneuroendokrinologie von Schwangerschaft und Geburt, vertreten von Fedor-Freybergh, und schließlich durch die Hinwendung zu den in der Praxis tätigen Gynäkologen, Hebammen, Erzieherinnen und Erziehern, Sozialpädagogen und Erwachsenenbildnern. Das fand schließlich seinen Niederschlag auch in der Ausweitung des Namens dieser Organisation, die jetzt den Titel trägt: «Internationale Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM)» und mit der amerikanischen Schwestergesellschaft «Prenatal and Perinatal Psychology Association of North America (PPPANA)» in enger Verbindung und regem Austausch steht.

Auf Anregung von Igor Caruso schloß ich mich 1972 der ISPPM an und nahm noch im gleichen Jahr an ihrem ersten internationalen Kongreß teil. Von den Vorträgen und Diskussionen habe ich vor allem die Beiträge von Professor Blechschmidt in Erinnerung, dessen Forschungen mich geradezu faszinierten und bei mir aufgrund meiner sehr frühen vorgeburtlichen Erinnerungen in meiner «wilden» Analyse auf sehr fruchtbaren Boden stießen, ferner die sehr konkreten Beiträge von Professor Sepp Schindler. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, waren Caruso, Schindler und ich die einzigen Teilnehmer aus dem Salzburger Arbeitskreis, aber da kann ich mich auch täuschen.

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Die Arbeit bzw. Wirkung von Igor Caruso habe ich persönlich immer als etwas zwiespältig empfunden, finde sie in ähnlicher Weise aber auch in der gegenwärtigen ISPPM. Doch darauf komme ich noch zurück. In einem Vortrag, den ich auf Einladung von Ludwig Janus, dem jetzigen Präsidenten der ISPPM, 1988 in Heidelberg hielt, habe ich mich kurz mit der zwiespältigen Haltung Carusos auseinandergesetzt. Ich zitiere im folgenden die Einleitung zu diesem Vortrag, der auch in meinem Buch «Was verborgen ist im Menschen» abgedruckt ist:

«Der von mir hoch verehrte Psychoanalytiker Igor Caruso, der die Österreichischen Arbeitskreise für Psychoanalyse gegründet und den Salzburger Arbeitskreis, dessen Mitglied zu sein ich die Ehre habe, praktisch bis zu seinem Tode geleitet hat, hat in einer Arbeitssitzung eben dieses Arbeitskreises die grundlegende, bewahrende und abgrenzende Funktion der psychoanalytischen Theorie und der an ihr orientierten Institute mit parallelen Erscheinungen der katholischen bzw. orthodoxen Kirche verglichen. Er meinte:

Die psychoanalytische Theorie sei durchaus dem kirchlichen Dogma, die Einrichtung der Lehranalyse der apostolischen Sukzession in Bischofs- und Priesteramt, und die psychoanalytischen Institute und anderen Institutionen seien dem werbenden und zugleich regulierenden Wirken der organisierten Kirche vergleichbar. Caruso hat diese Parallele noch weiter ausgeführt und in der Geschichte der Psychoanalyse Schismata, Sektenbildungen, Exkommunikationen und ökumenische Bestrebungen ausgemacht.

Wer von Ihnen Igor Caruso persönlich gekannt hat, wird begreifen, daß diese seine Ausführungen durchaus doppeldeutig gemeint waren.

Mit der Bewahrung des Freudschen Erbes war es ihm sehr ernst, und ich habe persönlich miterlebt, daß er einen jungen Kollegen, der seiner Meinung nach allzu weit von der Freudschen Orthodoxie abwich, persönlich «exkommunizierte» und dabei seine eigene Funktion expressis verbis (wortwörtlich) mit der eines orthodoxen Bischofs verglich, dem man nicht zumuten könne, einem «Häretiker» (einem Irrgläubigen) die Hände aufzulegen. Das bedeutete praktisch, daß dem Kollegen die Aufnahme in den Arbeitskreis verweigert wurde.

Auf der anderen Seite habe ich Caruso als den ungemein fruchtbaren Anreger erlebt, der vielen jüngeren Kollegen die Augen geöffnet hat für die sozialen Bezüge der Psychoanalyse und für das zunehmende Gewicht der pränatalen und perinatalen psychologischen und medizinischen Forschung. Auf diesem Gebiet verdanke ich ihm meine Mitgliedschaft in der «Internationalen Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM)» und eine große Fülle von Anregungen und Anstößen, ohne die ich Ihnen heute wohl kaum das berichten könnte, was ich zu berichten habe.»


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Der erwähnte Kollege hatte im Salzburger Arbeitskreis einen Vortrag über die Primärtherapie von Arthur Janov gehalten und sich dabei allzu begeistert gezeigt. Daraufhin verweigerte ihm Caruso den Abschluß seiner Ausbildung und die Aufnahme als Mitglied des Instituts. Für mich persönlich aber war dieser Vortrag wie eine «Erleuchtung», weil er sehr viele Parallelen zu meinen persönlichen Erfahrungen aus der «wilden» Analyse und meinen therapeutischen Erfahrungen mit meinen Patienten aufwies. 

Was ich bis zum heutigen Tage nicht ganz begreife: Obwohl ich weder aus meinen persönlichen noch aus meinen therapeutischen Erfahrungen ein Hehl machte, hat mich Caruso nicht nur geschont, sondern mich nach wie vor für einen guten Analytiker gehalten und gestützt. Meine Aufnahme in den Salzburger Arbeitskreis ging auf seinen persönlichen Antrag an die Ausbildungskommission zurück, wie er mir anläßlich einer kritischen Äußerung von mir einmal deutlich machte.Der Zwiespalt im Handeln Carusos hatte für mich nicht nur einen persönlichen, sondern sehr wohl auch einen praktischen, einen Praxis-bezogenen Aspekt.

Ich habe es nie begreifen können, daß er einerseits ein so fundamentales Interesse an der pränatalen und perinatalen Psychologie und Medizin zeigte, andererseits sich aber Therapieformen, die ganz offensichtlich einen besseren, einen exakteren Zugang zu pränatalen und perinatalen Schädigungen erschlossen, so strikt verweigerte. Letztlich blieb er zeitlebens bei den Möglichkeiten der Traumanalyse, wie sie Friedrich Kruse in seinem 1969 veröffentlichten Buch «Die Anfänge des menschlichen Seelenlebens» beschrieben hatte, stehen.

 

Am 11. März 1988 hielt ich auf der «Internationalen Arbeitstagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin und der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Psychosomatik» an der Universität Innsbruck einen Vortrag mit dem Titel: «Regression, Medikation und Nachentwicklung in der Tiefenpsychologischen Basis-Therapie (TBT)». 

Am selben Tag und in derselben Arbeitsgruppe hielt der Psychoanalytiker Dr. med. Ludwig Janus, den ich inzwischen mehrfach erwähnt habe, einen Vortrag, der sich — interessanterweise — mit der Primärtherapie von Arthur Janov beschäftigte und dadurch erhebliche Parallelen zu meinem Vortrag aufwies. Janus spielte damals bereits eine wichtige Rolle in der ISPPM, zu der ich, durch mehrere Umzüge, besonders durch den von München nach Aschau im Chiemgau, vorübergehend den Kontakt verloren hatte. 

Dieser für mich ganz persönlich wie für die Weiterentwicklung der Tiefenpsychologischen Basis-Therapie sehr wichtigen Begegnung verdanke ich nicht nur die Einladung zu dem im Herbst desselben Jahres stattgefundenen Vortrag in Heidelberg, sondern mehrere weitere Einladungen zu Vorträgen auf Kongressen der ISPPM. Die davon ausgehenden Anregungen für die TBT kamen einerseits durch die ständige Herausforderung, die jeder neue Vortrag für mich bedeutete, andererseits durch die Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen zustande.

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Ich verdanke Ludwig Janus persönlich sehr viel an Verständnis und Unterstützung für meine Arbeit, nicht nur wegen der Einladungen zu Vorträgen, sondern auch für sein Geleitwort zu meinem Buch «Was verborgen ist im Menschen». Er hat mir sein Wohlwollen auch dann nicht entzogen, als ihm bestimmte Erfahrungen der TBT «Bauchschmerzen» machten — nämlich die mit dem Phänomen der «endogenen Wahrnehmung» verbundenen Erkenntnisse und therapeutischen Erfahrungen, die zwar als Fakten nachweisbar, für ihn persönlich aber noch unzugänglich sind. Dafür möchte ich ihm an dieser Stelle ausdrücklich meine Hochachtung und meinen Dank aussprechen.

 

Ich muß allerdings noch eine kritische Bemerkung anfügen. Janus ist ständig darum bemüht, seine Psychoanalytiker-Kolleginnen und -Kollegen von der Notwendigkeit der Einbeziehung der pränatalen und perinatalen Aspekte in den analytischen Prozeß zu überzeugen — bisher allerdings — leider! — mit sehr wenig Erfolg. 

Ich kann dieses — sein — Interesse und seinen Einsatz dafür einerseits sehr wohl verstehen, tolerieren und anerkennen, habe aber andererseits den fatalen Eindruck, daß durch die damit verbundene Rücksichtnahme auf Psychoanalytiker und psychoanalytische Institute in der ISPPM als Organisation eine ähnliche Situation entsteht, wie ich sie von Igor Caruso beschrieben habe, nämlich daß diejenigen Therapieformen, die einen unmittelbareren und exakteren Zugang zu pränatalen und perinatalen Schädigungen und deren gegenwärtigen Auswirkungen bei unseren Patienten eröffnen, nicht das genügende Gehör finden. 

Für mich ist deshalb inzwischen die Frage, welche Bedeutung die ISPPM für die TBT hat, hinter der, welche Bedeutung die Tiefenpsychologische Basis-Therapie für die ISPPM haben könnte und haben müßte, zurückgetreten.

Aus diesen sachlichen Erwägungen heraus stellt sich für mich die Frage, ob es nicht dringend notwendig ist, daß die ISPPM den Mut aufbringt, in einem eigenen Forschungs- und Ausbildungsinstitut für Psychotherapeuten eine grundlegende Selbsterfahrung in Therapieformen anzubieten, die spezifisch auf die pränatalen und perinatalen Schädigungen und ihre Folgen ausgerichtet sind. 

Ich könnte mir denken, daß auf diesem Wege, über kurz oder lang, der Zugang auch zu den Krankenkassen möglich wird, ohne den Umweg über die klassische Form der Psychoanalyse, weil die Heilungschancen bei Anwendung von Regressionstherapien wesentlich größer sind. Jedenfalls kann ich das von der TBT mit Fug und Recht behaupten.

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Wolfgang Hollweg 1995