Start     Weiter

Teil  9:  Folgen, Konsequenzen und Perspektiven

 

 

56.  Folgen für die Elternschaft

335

Ende der sechziger oder Anfang der siebziger Jahre, als die Diskussion über die von vielen Frauen (und einigen Männern) geforderte Abschaffung des Abtreibungs­paragraphen 218 ihren ersten Höhepunkt erreichte, lud mich die römisch-katholische Kirche in München zu einer öffentlichen Podiums­diskussion ein zusammen mit einem Priester als Vertreter der Kirche, einem Juristen und einem Gynäkologen. Die Veranstaltung war sehr stark besucht. 

Ich war damals noch als Pfarrer in der alt-katholischen Kirche in München und gleichzeitig nebenberuflich als Psychoanalytiker in freier Praxis tätig. Ich nehme an, daß man mich zu dieser Veranstaltung deshalb eingeladen hatte, weil nach Ansicht der Veranstalter von mir wohl zu erwarten war, daß ich als Geistlicher und Psychotherapeut mit Sicherheit gegen die Abschaffung des Paragraphen 218 sein würde. Das war allerdings ein grundlegender Irrtum.

Ich trat für die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen ein, hauptsächlich mit dem Argument, daß es sich hier um ein grundlegendes menschliches und gesellschaftliches Problem handele, das keineswegs juristisch, sondern ausschließlich unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten zu lösen sei. Ich vertrat einerseits die Meinung, daß jeder Abtreibungsversuch ein Mordversuch, jede Art von Abtreibung vollendeter Mord sei. Das gilt für mich auch noch heute, viele Jahre später, unverändert, auch für «die Pille danach». 

Andererseits aber sah ich bereits damals und sehe ich auch heute noch keine Möglichkeit, wie es im Rahmen der römisch-katholischen Kirche (darüber unten Genaueres) zu einer vernünftigen und besseren Lösung kommen könnte, solange die Verhütung von ungewollten Schwangerschaften mit den gegenwärtig bekannten wirksamen Mitteln für Katholiken verboten ist.

In einer besonders spannungsreichen Phase unserer Diskussion fragte ich den anwesenden Gynäkologen, ob er in seiner Praxis eine ähnliche Erfahrung gemacht habe wie ich in der Psychotherapie, daß viele sogenannte «spontane Abgänge» von gezeugten Kindern eine zwar nicht auf einer Manipula-


336

 


 

 

*

398


Top