Frank Müller, HerausgeberJenseits der ApokalypseHinweise zu Ulrich Horstmann
Mit:
Günter
Kunert, Rolf Löchel, Wolfgang Schröder,
Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen, Band 62
2015 im Aisthesis-Verlag, Bielefeld |
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2015 235 (293) Seiten dnb Müller *1969
detopia |
untier.de/frank-mueller-hg-jenseits-der-apokalypse-hinweise-zu-ulrich-horstmann-2014
aisthesis.de Verlag
https://literaturkritik.de/id/20098 Lesebericht
Vorwort
7-13
Ulrich Horstmanns Arbeiten haben bis heute im Wesentlichen zwei Rezeptionsschübe erfahren. Der erste ist charakterisiert durch die kritische Würdigung seines Hauptwerks Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht (1983). Zu nennen sind hier vor allem die zeitgenössischen Rezensionen in Zeitungen und Zeitschriften sowie Burkhard Biellas Studie Zur Kritik des anthropofugalen Denkens. Das Buch erscheint 1986 im Verlag Die Blaue Eule, der auch Horstmanns Essay Der lange Schatten der Melancholie (1985) verlegt hat.
Gemeinsam ist den Buchbesprechungen und der genannten Arbeit Biellas, dass sie das Untier als eine genuin wissenschaftlich-philosophischen Schrift betrachten und seine philosophische Stichhaltigkeit argumentativ zu widerlegen versuchen. Nach Biella beruht ›anthropofugales‹ Denken – so Horstmanns sprachliche Neuschöpfung zur Bezeichnung einer spekulativen Menschenflucht – auf einer widerstandslosen Hinnahme bestehender Herrschafts- und Gewaltverhältnisse. Eine Kehrtwende werde mithin durch die mögliche Neujustierung der Beziehung des ›Untiers‹ zur Natur, zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst nahegelegt. Die allgemeine Konsequenz eines Absehenmüssens vom Menschen sei daher nur »zynisch« möglich, intersubjektiv-praktisch führe sie in Legitimationsschwierigkeiten hinein.
Daran wird deutlich: Philosophiekritische Ansätze wie der Biellas beschränken die menschenflüchtige Philosophie auf die Aussagewahrheit propositio-naler Erkenntnisse. Es versteht sich von selbst, dass in Fällen, in denen eine Abhängigkeit von literarischer Form und philosophischer Methode gegeben ist, die Nichtbeachtung dieser Form zu einem Missverständnis des philosophischen Gehalts führen muss.
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Der zweite Rezeptionsschub ist deshalb – in Reflexion auf den ersten Anlauf – gekennzeichnet durch eine werkgeschichtliche Analyse, die Horstmanns Arbeiten in ihrem Entstehungszusammenhang betrachtet, das Untier explizit in den Kontext der literarischen Werke stellt und seine formalästhetischen Merkmale als konstitutiv für den Erkenntniswert beschreibt. Die von Rajan Autze und dem Herausgeber dieses Bandes verfasste Studie Steintal-Geschichten (2000) erkennt an, dass auch vermeintlich ›theoreti-sche‹ Werke der Philosophie Anteil an der nicht-propositionalen Erkenntnis der Literatur haben können. Das von Horstmann selbst gelegentlich als »Repoetisierung des Nachdenkens« beschriebene Verfahren der Transgres-sion und Aktivierung literarischer Valenzen findet sich im Übrigen auch in den literaturwissenschaftlichen Arbeiten Horstmanns. So sind seine Untersuchungen der Werke anderer Schriftsteller inspiriert und überlagert von Horstmanns eigenen Themen und Schreibanlässen.
Die letztgenannte Studie fokussiert noch stark die apokalyptische Thematik. Sie zeichnet allerdings auch die Entwicklung nach, innerhalb derer Horstmann seine Wahrnehmung des Apokalyptischen neu ausrichtet. Dieser werkgeschichtliche Prozess lässt sich verkürzt wie folgt darstellen. Erstens: Globalisierung der frühen, auf das Einzelschicksal gerichteten »Poetik des Suizids« zur Forderung nach der apokalyptischen Selbstaufhebung der Menschheit durch den Einsatz atomarer Mittel. Für diese Phase charakteristisch sind die unter dem Pseudonym Klaus Steintal veröffentlichte ProsaSammlung »Er starb aus freiem Entschluss« (1976), der Roman Steintals Vandalenpark (1981) sowie Das Untier. Zweitens: Poetische Diminuierung und Distanzierung vom literarischen ›Vollzug‹ der verstärkt medizinischbiologisch, medial oder (astro-)physikalisch gedeuteten Katastrophe in den Arbeiten ab 1985. Stellvertretend hierfür stehen die Prosawerke Das Glück von OmB’assa (1985), Patzer (1990), J – ein Halbweltroman (2002) sowie der Aphorismenband Infernodrom (1994). Drittens: Verlagerung kritischer Energien auf kulturkritische Themen sowie vermehrte Beschäftigung mit den individuellen Koordinaten des Niedergangs wie Erschöpfung, Alter und Tod – nachzulesen in den Aphorismen des Bandes Einfallstor (1998).
Zu diesen Stationen in Horstmanns literarischer Entwicklung muss man angesichts der in den letzten Jahren erschienenen Arbeiten noch eine weitere hinzuaddieren –, darum viertens: Die Bewältigung des literarischen Ver-stummens in den Hoffnungsträger-Aphorismen, im Roman Rückfall (beide 2007) und in der Studie Aufgabe der Literatur (2009).
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Betrachtet man diese Arbeiten aus der Perspektive der Gießener Abschiedsvorlesung vom Juli 2014, so ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Horstmann zuletzt nicht mehr nur um Fragen des literarischen ›Nachruhms‹ geht, sondern ebenso um den antizipierten eigenen biologischen Exitus.
Werkgeschichtlich schließt sich mit diesem Schritt ein Kreis, der mit einer ›Selbstmörder‹-Literatur einsetzt und einem – wenn auch zumeist ironisch vorgetragenen – Bedenken des eigenen Dahinscheidens endet.
Damit ist zugleich etwas über die Forschungsbedingungen des vorliegenden Bandes gesagt. Der Zeitpunkt seines Erscheinens scheint günstig gewählt, um das epistemologisch aufgeschlossene und produktiv ›abgeschlossene‹ Werk Horstmanns nun aus anderen, weiterführenden Perspektiven zu beleuchten und neue Themen in den Blick zu nehmen. Und auch die Rezeptionsbedingungen haben sich mittlerweile insofern vorteilhaft verändert, als dass die Fixierung der Interpreten auf den Schwarzmaler und Untergangshofer* Horstmann ein für alle Mal durchbrochen werden kann. Ich meine die Tatsache, dass die Apokalypse nicht mehr vor, sondern hinter uns liegt.
*detopia-2023: oder "Untergangshoffer"??
Das schreibt sich freilich nicht, ohne dass sich sogleich ein ungutes Gefühl in der Magengegend einstellt. Es verdankt sich der Erinnerung an einen frühen Aphorismus aus der Sammlung <Hirnschlag> (1984). Hier sagt Horstmann, die »Galgenvögel der Literatur« würden am liebsten auf das »gut Abgehangene« fliegen. Soll er damit in einem unguten Sinne Recht behalten, weil auch die akademische Leichenfledderei im Blick auf seine eigenen Hervorbringungen exakt in dem Moment beginnt, in dem er selbst als Literat die Waffen streckt? Wurde der Moment gar abgepasst, weil es immer schwieriger ist, ein bewegliches Ziel zu treffen und man als Interpret Gefahr läuft, beim nächsten Wendemanöver des Autors aus der Bahn getragen zu werden?
Man kann das so sehen. Man kann aber auch einwenden, dass die bisherige Rezeption den vielfältigen Aspekten von Horstmanns Werk bei weitem nicht gerecht wird, und daher eine Öffnung des Blicks gefordert ist. Und man kann weiter einwenden, dass die Stunde – wieder einmal – geschlagen hat. Denn überblickt man die Zeiträume, die es jeweils braucht, um den ersten und den zweiten Rezeptionsschritt zu verdauen und einen neuen Anlauf zu nehmen, so zeigt sich eine gewisse Regelmäßigkeit: Es geschieht nur etwa alle fünfzehn Jahre, dass sich ein Häuflein Deutungswütiger zu einer konzentrierten Aktion zusammenrauft.
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Die hier versammelten Beiträge zeigen Einflüsse auf Horstmanns Denken auf, die bislang im Dunkeln lagen. Sie stellen seine Arbeiten in neue Kontexte und lassen sie ›sprechen‹. Und sie stellen Hautkontakt her mit einer engen Verbündeten von Horstmanns Gedankenkosmos, der Kunst. Das alles lässt den vorliegenden Band zum Teil eines dritten, in den Metadiskursen der Zukunft sicherlich noch präziser einzuordnenden Rezeptionsschubes werden, bei dem auch Freunde und Weggefährten zu Wort kommen.
Auf welche Weise vermittelt Horstmanns anthropofugales Denken Erkenntnisse? In seinem Beitrag Negation und Konsequenz zieht Wolfgang Schröder eine Entwicklungslinie von der Blütezeit des neuzeitlichen Selbstbewusstseins (Pico) über die Parodierung der Menschwerdung in der Moderne (Kafka) bis zu Horstmann. Dabei rückt er dessen humanitätsskeptische Konstruktionen als Formen »virtuoser Sprachartistik« und einer sich selbst überbietenden Argumentation in den Mittelpunkt der Betrachtung. Deren vorherrschender Zug sei das konsequent-inkonsequente Nein zu humanistischen Setzungen und Sinnangeboten. Dieses, so Schröder, setze sich fort als Artistik einer auktorialen Selbstentfernung, wie er anhand von Horstmanns postkreativer Schaffensphase zeigt. Widersprüche oder Ungereimtheiten im Detail erscheinen in eine übergreifende, ebenso bewegliche wie in sich konsistente Struktur von Horstmanns Denken und Schreiben eingebettet.
In seinem zweiten Beitrag, Menschenzoo und Menschenleere, untersucht Schröder Aspekte von Horstmanns Theaterästhetik. Horstmanns ›letzte Menschen‹ haben sich der Hoffnung entschlagen, an ihre Stelle tritt eine Choreografie des Abwartens. Die leere Bühne als Schauplatz der menschenleeren Welt entfaltet eine absurde Handlung ohne Charaktere: »Erlösung in der Entropie«. Was bedeutet Horstmanns Forderung nach einem »Absehen vom Menschen« für sein Bühnen-Personal, mit welchen Kategorien lässt sich das vertierte Menschsein angemessen erfassen? Zur Klärung dieser und anderer Fragen für Horstmanns Endspiele greift Schröder auf theatertheoretisches Wissen und offenbar auch auf theaterpraktische Erfahrungen zurück.
Der Wiener Publizist Bernhard Kraller hat zu diesem Band gemeinsam mit dem Fotografen Reinhard Öhner und Helene Horstmann drei einander ergänzende Fotoportraits von Ulrich Horstmann beigetragen, die er unter den Titel <How Mr. Horstmann Meets Himself> stellt. Die oft paradoxen und widersprüchlichen Implikationen dieses Tripleportraits vollzieht er in einem kommentierenden Essay nach.
Dabei stellen sich fundamentale Fragen wie die nach dem erkenntnismäßigen Ort von Subjekt und Objekt, nach dem
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Verhältnis von Zeit und Raum, Leben und Tod, Gegenwart und Zukunft. Wer mit Kraller die Ebene der unmittelbaren Visualität verlässt, sieht mehr, als auf den Seiten selbst abgedruckt ist: unsichtbare Bilder, innere Bilder. Und er wird in die Lage versetzt, seine Einsichten auf Koordinaten von Horstmanns literarischer Existenz rückzuübertragen.
Günter Kunert, der den Untier-Autor Horstmann 1988 für den Kleist-Preis vorschlägt, zieht in seinem Gedicht Naturgeschichte noch einmal eine Quintessenz. Wie Horstmann betreibt er dabei eine geschichtsphilosophische und anthropologische Desillusionierung: Als eine unter vielen Geschichten, die die Natur zu erzählen hat, gedenkt sich die unsere nach einigen unrühmlichen Episoden mit einem apokalyptischen »Crescendo« ins Nichts zu verabschieden. Auch nimmt die ›Naturbreite‹ auf dem vermeintlichen Höhepunkt der Zivilisationsgeschichte keinesfalls ab: Wir bleiben Natur, primitive »Menschentiere«. Doch ist es nicht mehr die eingefleischte Mordlust, die uns den Garaus macht, sondern das Ersticken am und im eigenen Müll, der unaufhaltsame Ökozid. Wenn uns schon der Untergang droht, dann doch wenigstens einer auf der Höhe des Zeitlaufs.
Dass Horstmanns Literatur stereotype Geschlechterrollen thematisiert, ist kein Geheimnis. Dass die Gender Studies eine ungleich feinkörnigere Abwägung konservativer oder utopischer Potenziale von Literatur gestatten, gehört zu den Erkenntnissen, die Rolf Löchels Beitrag Männer, Frauen und andere Aliens vermittelt. Ungeachtet seines persiflierenden und karikierenden Charakters, kritisiert Rolf Löchel an Horstmanns Science-Fiction-Roman Das Glück von OmB ’assa (1983), reproduziert dieser hierarchische Geschlechterrollen, anstatt sie zu transzendieren. Andere Autoren der 70er und 80er Jahre waren darin schon weiter.
Der Übersetzer Frank Stückemann berichtet von seinem ambitionierten Projekt, die Literaturempfehlungen des Romanhelden Jean Floressas des Esseintes in Huysmans’ A Rebours in eine physische Bibliothek deutscher Sprache zu überführen. In ›Gegen den Strich‹ gelesen: Die ›Bibliothek des Esseintes‹ gibt er Einblicke in seinen Briefwechsel mit Horstmann und dessen Begeisterung für den französischen Ästhetizismus des fin de siècle. Wir erleben Horstmann als Literaturförderer, der sich um den Corbière-Übersetzer Stückemann bemüht, bei Verlagen für dessen deutsche »Nachdichtung« anklopft und den noch Unerfahrenen im Umgang mit Vertragsentwürfen berät. Dabei geht es in letzter Instanz immer um die Sache, einen Blankoscheck stellt der sich auch hier als unbestechlich zeigende Horstmann seinem Freund Stückemann nicht aus.
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Winfried H. Müller-Seyfarth untersucht die Interferenzen, die sich zwischen dem menschenflüchtigen Denken und Philipp Mainländers Philosophie der Erlösung ergeben. Dazu ist zu sagen, dass Horstmann vom Schopenhauer-Schüler Mainländer vor dem Erscheinen des Untiers noch keine Kenntnis genommen hatte. Dennoch macht er Mainländer später zu einem Säulenheiligen in seiner Ahnengalerie anthropofugaler Denker: Als »Metaphysik der Entropie« liefert Mainländer für Horstmann eine Begründung des universellen Zerfalls als eines in sich stimmigen Autodestrukionsprozesses. In seiner Mainländer-Kritik kommt freilich jenes umfassendere Verständnis von Philosophie zum Ausdruck, das eingangs ins Feld geführt wurde: Mainländer, ohne Zweifel ein erzählerisches Talent, besitzt das Potenzial, die Grenzen einer auf theoretische Erkenntnis beschränkten Schulphilosophie zu überschreiten. Er zieht es jedoch vor, den Beitrag der Dichtung an seiner Erlösungsphilosophie zu verschleiern und den »Mythopoeten« in sich wegzuvernünfteln. Darüber hinaus zeichnet Müller-Seyfarth nach, welche Kurskorrektur sich daraus für Horstmann in Bezug auf die SchopenhauerRezeption ergibt.
Einen weiteren, von Horstmann allerdings bislang nicht oder zumindest nicht öffentlich rezipierten Schwarzseher stellt Martin Arndt in seinem Vernunft und Erleben überschriebenen Text vor: Franz Overbeck. Dieser abtrünnige Theologieprofessor pflegte eine distanzierte tragische Weltsicht, beschäftigte sich – wie Horstmann – mit gnostischen Lehren und schätzte Schopenhauer. Arndt findet viele weitere erstaunliche Parallelen zwischen den beiden Denkern, vor allem auch auf dem Feld der Wissenschaftskritik und der Vernunftskepsis. Gegenüber wissenschaftlichen oder philosophischen Exaktheitsansprüchen erscheinen Horstmann die Schwermut und die Kunst als die einzig lebbaren Wahrheiten. Ausgerechnet diese sind auch Wesensmerkmale des Katholizismus, was Arndt zu einer provokanten Frage führt.
Walter Gödden, der im Rahmen des Projekts »Ich schreibe, weil,…« zwei Video-Interviews mit Horstmann produziert und im Literaturportal Westfalen veröffentlicht hat, erblickt in diesem eine eigene und eigenständige Stimme der westfälischen Literatur. Die abgedruckten Typoskripte zweier Interviews, die neben Fragen zur Lebens- und Schreibsituation des Autors erhellende werkgeschichtliche Aspekte zum Gegenstand haben, wurden von Horstmann nachbearbeitet. Die sich zwischen O-Ton und verschriftlichter Form zeigenden Differenzen sind mitunter marginal, in einigen Fällen setzen sie aber auch neue Akzente.
Wie schon an den Interviews deutlich wird, nehmen Reflexionen über ästhetische Produktionsbedingungen bei Horstmann einen großen Stellenwert ein. Die ›depressive‹ Seite des künstlerischen Schaffens, wie sie etwa in Schreibblockaden, Alkoholismus oder Lebensmüdigkeit zum Ausdruck kommt, haben ihn dabei immer mehr interessiert als die nassforschen Erfolgsgeschichten. Doch wie wird Horstmann mit dem eigenen Produktionsstopp fertig? Indem er das literarische Verstummen erklärend und kommentierend bearbeitet und so dem entstehenden Vakuum eine andere Form der Rede entgegensetzt, findet der Herausgeber im Beitrag »Letzte Runde vor dem Aus-Gießen«.
Die abschließende Literaturliste (Stand September 2014) ist als Arbeits-bibliografie angelegt. Mit Hinweisen zu Neu- und Wiederveröffentlichungen stellt sie die Werkzeuge zur Verfügung, um Horstmanns Lektüreerfahrungen zu rekonstruieren, seine Verwertungs- und Publikationspraxis nachzuvoll-ziehen und den Weg einzelner Arbeiten quer durch Zeitungen, Zeitschriften, Sammelbände und Anthologien zu verfolgen.
Für Horstmann beginnt mit der vermeintlichen Hochzeit der »gelehrten Stallfütterung« (Lichtenberg) in Wahrheit nur eine neue Durststrecke. Erst in fünfzehn Jahren, um das Jahr 2030, folgt das nächste philologische Großprojekt, das wiederum alles Bisherige in den Schatten stellen wird. Damit muss man sich wohl oder übel abfinden, als Autor wie als Interpret.
Mein Dank gilt den Autoren, die sich auf das Buchprojekt eingelassen und mit ihrer Engelsgeduld dazu beigetragen haben, dass dieser Band entstehen konnte. Auch Frau Sylvia Kokot von der Literaturkommission in Westfalen sei herzlich gedankt für ihre Hilfe, das Manuskript in Form zu bringen.
Frank Müller im September 2014
Vorwort 13
Die Natur erzählt Geschichten
wie solche über verbrannte Wälder, über
stete Feuer, daran wir uns die Hände wärmten
und die ungenießbare Suppe unserer eigenen
Geschichte. Sie erzählt vom Menschentier,
zum Humus geboren, zum Unkraut bestellt.
Erzählt vom Durst nach dem Erhabenen,
den nur Blut stillt. Erzählt und rauscht
vorbei wie ein Wind aus dem Gedärm
flüchtiger Gottheiten. Erzählt einander,
wie ihr euch umschlungen, um euch alsbald
zu verschlingen. In idenen Klüften
lauert der Müll, der Herrscher
endzeitlichen Bejahens, dem keiner
Einhalt gebietet. Wie jede Geschichte
will auch diese mit einem Crescendo
schließen, mit spektakulären Resten,
stolzen Trümmern, eilfertigen Gebeinen
grabwärts unterwegs. Danach
hebt Neues an, das uns im Nichts
nichts mehr angeht.
NaturgeschichteGünter Kunert
Frank Müller, Herausgeber (2015) Jenseits der
Apokalypse - Hinweise zu Ulrich Horstmann
Mit: Günter Kunert, Rolf Löchel, Wolfgang Schröder, Frank Stückemann, Martin
Arndt, Frank Müller, u.a.