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13  Über Psychose   

 

Janov 1972

 Ted  

 

134-161

Das folgende, von einem Patienten geschriebene Kapitel schildert psychotische Reaktionen auf LSD. Hier sehen wir, daß ein Mensch bei wiederholtem LSD-Genuß von anfangs neurotischen allmählich zu psycho­tischen Trips übergehen kann; und nicht immer handelt es sich dabei nur um Übergangsstadien. Der Übergang von neurotischer Symbolbildung zu psychotischer Symbolbildung erfolgt im wesentlichen aus zwei Gründen. 

Erstens, wiederholte Angriffe auf die Verdrängungs­mechanismen im Gehirn bewirken ein größeres Überfluten von Schmerz, und der Schmerz, der nicht integriert werden kann, wird symbolisiert. Zweitens, ob es überhaupt zu psychotischer Symbolbildung kommt, hängt von der Menge und Intensität des zugrunde liegenden Schmerzes ab. Bei großem Schmerz bedarf es nur weniger LSD-Trips, um die bislang noch funktions­tüchtigen Verdrängungs­mechanismen aus den Angeln zu heben.

Äußere Umstände können die gleiche Schmerzüberflutung auslösen wie eine starke Dosis LSD (für ein kleines Kind beispielsweise der Tod beider Eltern). Die Tatsache, daß LSD die Psychose »verursacht« hat, ändert nichts daran, daß wir es in der Tat mit einer Psychose zu tun haben. Wichtig ist lediglich, daß eine durch LSD hervorgerufene Psychose häufiger mit Erfolg zu behandeln ist als eine in früher Kindheit einsetzende Psychose. LSD-Psychose bedeutet, daß der Betreffende vor dem Drogentrip zumindest über ein gewisses Maß an Anpassung verfügte.

Mit der primärtherapeutischen Behandlung eines Menschen, der den größten Teil seines Lebens psychotisch war, ist das eine andere Sache. Die Primärtherapie kann keine zerrüttete und von stärksten Entbehrungen geprägte Existenz ungeschehen machen. Wir können einem lebenslänglichen Psychotiker nicht eine verlorene Kindheit wiedergeben. Wir können einem Menschen nur helfen, diese Kindheitsentbehrungen zu fühlen, sofern ein gewisses Maß an Stärke vorhanden ist, diesen Schmerz zu erleben und zu integrieren. Das heißt nicht, daß nicht durch Drogen hervorgerufene Neurosen nicht zu behandeln sind. Wir müssen jedoch berücksichtigen, daß eine solche Behandlung schwieriger ist und von dem jeweiligen inneren Kräftereservoir des Betreffenden abhängt.

Wenn wir uns das Bewußtsein als eine kleine Öffnung vorstellen, die immer nur kleine Mengen an Schmerzen auf einmal durchläßt, dann muß, wenn etwa ein Drogenerlebnis oder ein schwerer Schicksals­schlag diese Öffnung überflutet, der »über­schüssige«, nicht integrierte Schmerz in symbolische (und oft psychotische) Überlaufrinnen umgelenkt werden. Bei einem geringen Schmerz­reservoir wird die Symbolbildung von der Realität innerer Gefühle weiter fort in die Bereiche von Wahn­vorstellungen und Halluzinationen getrieben.

Ich erinnere mich an einen Patienten, der sich als der völlig verlorene, einsame kleine Junge zu fühlen begann, der er war. All der Schmerz, den er erlebte, ließ ihn ungeduldig werden, er wollte das Urerlebnis schnell hinter sich bringen. Er nahm LSD und kam am nächsten Tag zu mir und erklärte, er sei der verlorengegangene Häuptling eines Indianerstammes und er gehe jetzt zurück nach Arizona, um nach seinem Stamm zu suchen. Er hatte für diesen Schritt bereits Vorbereitungen getroffen. Das LSD trieb ihn über die Verknüpfung des Gefühls hinweg in etwas Symbolisches. 

Statt das Gefühl des Verlorenseins und das Bedürfnis nach seiner Mutter, die ihn verlassen hatte (ein Schmerz, der zu groß war, als daß er ihn hätte auf einmal ertragen können), zu fühlen, wurde er der verlorengegangene Häuptling, der seinen Stamm suchte (leichter zu akzeptieren). Diese Wahnidee hielt viele Wochen an, weil die Droge das Gefühl freigesetzt hatte, das nun ständig in symbolischer Weise verarbeitet werden mußte. Die gleiche Überlastung kann somatisch verarbeitet (vom Organismus absorbiert) werden. LSD ist besonders gefährlich für jemanden, der durch Urerlebnisse gleichsam geöffnet worden ist. Marihuana bewirkt bei fortgeschrittenen Primärpatienten fast einen vollen LSD-Trip.

Sind die Schleusentore durch Drogen einmal künstlich geöffnet, dann können die Symptome, seelische wie körperliche, über Monate anhalten. Der einmal geöffnete Damm läßt sich nicht so schnell wieder schließen. Wir sind aus guten Gründen neurotisch. Nichts sollte uns abrupt unserer Neurose berauben, das könnte sonst leicht zu einer Psychose führen.

Psychose bedeutet, daß Erinnerung zur ausschließlichen Umwelt des Körpers wird. Äußere Realität existiert nicht mehr. Der Psychotiker ist in seine Vergangenheit regrediert, ohne diese Regression wahrzunehmen — ohne sie zu fühlen.

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Es bedarf eines neuen Verständnisses von Wahrnehmung, von Sinnesempfindung, um diesen Punkt zu verstehen. Denn wenn wir in einem Traum Menschen »sehen« und Geräusche »hören«, sehen und hören wir dann tatsächlich mit unseren Sinnesorganen? Offensichtlich nicht; wir nehmen mit unserem Gehirn wahr. Und genau das tut der Psychotiker, wenn er halluziniert — er sieht mit seinem Gehirn, mit seinem Schmerz im Innern. Er sieht keine äußere Realität, er sieht eine symbolisch umgewandelte und nach außen projizierte innere Realität, die er nicht voll und ungeschminkt zu erkennen vermag. Sein Schmerz überströmt die gesamte Realität und läßt seine Wahrnehmungen offensichtlich absonderlich werden, während der Neurotiker lediglich falsch wahrnimmt.

Eine Halluzination oder ein Alptraum im Schlaf bedeuten, daß zugrunde liegende Gefühle sich verstohlen ihren Weg ins Bewußtsein bahnen — ein gesundes Zeichen. Der Psychotiker ist der Realität nahe, und das ist es, was ihn so weit forttreibt, wenn niemand da ist, der ihm hilft, der Realität gegenüberzutreten. Das Problem liegt darin, daß der Neurotiker und der Psychotiker wirklich glauben, die Realität zu sehen (weil sie ihre eigene symbolisierte Realität sehen), und durch ihre eigenen Trugwahr­nehmungen bestätigt werden.

Wir betonen hier, daß der primärtheoretische Gesundheitsbegriff — Niederreißen der Abwehrmechanismen als Voraussetzung des Zuganges zur Realität — von den konventionellen Auffassungen abweicht, die ein starkes Abwehrverhalten als sine qua non postulieren. An einem bestimmten Punkt fühlen sich Patienten in der Primärtherapie, als würden sie verrückt werden. Und zwar tritt dies ein, wenn ein Großteil ihrer Abwehr­mechanismen zusammengebrochen ist und wenn schwere Schmerzen aufsteigen. An diesem Punkt ähneln sie dem Psychotiker, der gerade mit der Primärtherapie beginnt, nur daß fortgeschrittene Patienten wissen, was sich da mit ihnen abspielt, und es geschehen lassen.

Ehe die Wahnvorstellung einsetzte, hatte besagter Patient schlechte Träume; er träumte, daß er in eine alte Stadt ging, in der er aufgewachsen war, in der plötzlich alles verändert war ... er war ein Fremder, verloren und allein. Was trieb den Traum in eine Wahnidee? Die Unfähigkeit, das übermächtige Gefühl zu verdrängen, selbst nachdem er aufgewacht war und bewußte Kontrollen wiedererlangt hatte.

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Ein kritisches Ereignis kann die Kontrollen ausschalten — eine schwere, die Kräfte erschöpfende Krankheit, eine Scheidung oder der Tod eines Kindes zum Beispiel —, viele Dinge können die Situation so intensivieren, daß der normale Wachzustand den Schmerz nicht mehr zurückhalten kann. Die Wahnidee wird dann zu einer Verlängerung des Traumes; hatte man sich bislang im Traum als Fremder gefühlt, so fühlt man sich jetzt im Wahn als verlorengegangener Häuptling eines Indianerstammes. Beiden Phänomenen liegt dasselbe Gefühl zugrunde. Hätte man dem Patienten mit der Wahnvorstellung, er habe seinen Stamm verloren, Tranquilizer gegeben, dann hätte die Wahnvorstellung durchaus verschwinden können, weil die schmerzhaften Gefühle vorüber­gehend chemisch unterdrückt worden wären. Wir sehen, wie Alpträume Zwischenstationen auf dem Weg zum Wahnsinn sind. Das einzige, was beide trennt, ist die Fähigkeit des Bewußtseins, die Gefühle niederzuhalten.

Die Halluzinationen bei psychogenen epileptischen Anfällen sind ein weiteres Beispiel für diesen Punkt. Im Aufsteigen begriffene Gefühle rufen oft alarmierende Symbolbildung gleicher Art hervor — zum Beispiel, daß man ein bestimmtes Lied zu hören vermeint. Diese Halluzination zeigt ein Primärgefühl an; doch ehe es verknüpft werden kann, wird das Bewußtsein durch einen Anfall ausgelöscht.

Symbolverhalten, zum Beispiel sich täglich auf die gleiche Weise in der Öffentlichkeit zu exhibieren, ist umgelenkter Gefühls­strom; es dient dazu, dem Gefühl vorübergehend Energie zu entziehen, wiederum auf indirektem Weg. Mit anderen Worten, Symbolverhalten löst Spannung, und je näher das Gefühl dem Bewußtsein ist, um so stärker muß die Symbolvorstellung oder die Symbol­handlung in Aktion treten.

Ich habe bereits in Anatomie der Neurose auf die Arbeiten Penfields hingewiesen; er deutet an, daß Symbole um so spezifischer werden, je näher sie dem Gefühlszentrum im Gehirn lokalisiert sind. So mag eine epileptische Halluzination lauten: »Ich habe Angst, weil Räuber hinter mir her sind«, während das im Gehirn nahegelegene wirkliche Gefühl lauten kann: »Ich war zu Tode geängstigt, als mein Bruder eine richtige Pistole auf mich richtete.«

Ein weiteres Beispiel: Ein Patient glaubte an fliegende Untertassen, er meinte, am Himmel eine gesehen zu haben — eine nicht seltene Vorstellung. In der Primärtherapie hatte er ein Urerlebnis, in dem er sich durch das grelle Licht im Kreißsaal geblendet fühlte.

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Daraufhin fühlte er die Verknüpfung, warum er am Himmel Lichter gesehen hatte. Er war vorher an Symbolbildung verhaftet und auf das Licht fliegender Untertassen fixiert gewesen, weil er keine Möglichkeit hatte, seinen aufsteigenden Schmerz angemessen in begriffliche Vorstellungen zu übertragen, und so wurde der Schmerz jedesmal umgeleitet. Das Licht einer fliegenden Untertasse zu sehen war eine fixe Idee — ein kontinuierliches symbolisches, psychisches Ausagieren des Geburtsschmerzes.

Eine Halluzination ist die Wahrnehmung eines umgewandelten historischen Primärgefühls. Die Symbolbildung ist für jeden Menschen spezifisch, es kann kein allgemeingültiges Symbol geben. Die Wahl der Symbole — wie primitiv oder abstrakt sie sind — hängt von einer Vielzahl verschiedener Faktoren ab, unter anderem auch von dem Alter, in dem das Primärgefühl auftrat. Eine Farbe kann sehr abstrakt und von einem Gefühl nur wenig entfernt sein. Farbe als abstrakte Form ist recht primitiv und infantil — einem infantilen Trauma entsprechend. Wenn ein frühes Gefühl zu schwierig wird, um noch verarbeitet werden zu können, erlebt das Kind es in Farbtönen. Farbmanipulationen, zum Beispiel Schwarz zu vermeiden, kann für ein Kind ein Weg sein, das Gefühl zu kontrollieren. Die Freudianer gehen darauf in ihrer Spieltherapie ein, bei der man beispielsweise ein zu früh zur Reinlichkeit erzogenes Kind ermutigt, braune Farbe auf Papier zu klecksen und mit braunen, klebrigen Materialien herumzuschmieren. Diese Techniken sind natürlich genauso primitiv und symbolisch wie die magische Farbmanipulation kleiner Kinder. Sie tragen deshalb genauso wenig zu einer Heilung bei.

Für den Psychotiker können Menschen ebenso zu Symbolen werden wie Farben. Der Psychotiker projiziert magische Vorstellungen auf andere Menschen (zum Beispiel, daß sie heimlich über ihn lachen) und glaubt, andere zu manipulieren sei eine Möglichkeit, böse Geister abzuwehren — wie wir in dem von Ted geschriebenen Kapitel sehen werden. Mithin kann eine neutrale Person, ebenso wie eine neutrale Farbe, eine ungemein beängstigende Bedeutung annehmen.

Die Wahl eines bestimmten Symbols (wie Freud in seiner Traumdeutung aufzeigte) ist die Kondensation eines Bündels von Ereignissen, die durch ein spezifisches Gefühl miteinander verbunden sind. Sein Leben hilflos, den Händen der Eltern ausgeliefert, zu verbringen, kann später symbolisiert werden als Lähmung der eigenen Hände oder als das Gefühl, von unsichtbaren, bösen Kräften manipuliert zu werden.

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LSD verstärkt die symbolische Reaktion, indem es die Primärschleuse öffnet. Aber zur Symbolbildung bedarf es keines LSD. Wir träumen auch ohne LSD sehr schön in Symbolen und agieren ohne Drogen in unseren Neurosen symbolisch aus. In Teds Bericht werden wir sehen, wie die Symbolbildung mit jedem weiteren LSD-Trip fortschreitet — wie sich ein Alptraum zu einer permanenten Realität auswächst, weil überflutende Primär­gefühle die Verteidigungsmechanismen über ihre Grenzen hinaus beansprucht haben.

LSD und Schlaf gleichen sich darin, daß sie Symbolbildung hervorrufen, weil beide ein Überfluten von Primärgefühlen ermöglichen — Schlaf, indem er bewußte Kontrollfunktionen lockert, und LSD, indem es künstlich den »Deckel« bewußter Kontroll­funktionen »lüftet«.

Ich hatte unlängst ein Gespräch mit Patienten, die ehemals Psychotiker waren. Sie stimmten im großen und ganzen darin überein, daß Geisteskrankheit die »Unfähigkeit« sei, »Gesundheit vorzutäuschen«, wie es die Neurotiker tun können. In der Psychose sind die Gefühle richtig, nur das Denken ist nicht richtig. Das Gefühl — sie wollen mich verletzen — ist eine aufsteigende Erinnerung, für die der Verstand eine gegenwartsbezogene Geschichte liefert ... »Diese Leute da an der Ecke, die versuchen mich zu verletzen!«

Das ist genau wie in einem Traum, in dem das Gefühl richtig ist, die Geschichte jedoch ein Produkt der Phantasie. Wenn wir unsere Träume laut äußern, können wir als verrückt abgetan werden. Wenn wir unsere Träume für uns behalten, sind wir neurotisch. Wir dürfen nicht meinen, Erinnerungen seien nur bewußt erinnerte Begebenheiten. Das Wiedererleben einer Geburt ist die präverbale Erinnerung einer im Gesamtkörpersystem gespeicherten und von dem Organismus als Totalität »erinnerten« Begebenheit. Es ist nach wie vor eine Erinnerung, so wie Schmerz eine Erinnerung ist.

Die ehemaligen Psychotiker stimmten ferner darin überein, daß sie — im Gegensatz zu Neurotikern, die den Schmerz so verdrängen können, daß sie von dessen Existenz nichts wissen — zu schmerzgeladen waren, um dem Schmerz erfolgreich entfliehen zu können. Sie waren gezwungen, sich permanent mit dem Schmerz »auseinanderzusetzen«, normalerweise, indem sie das Gefühl nach außen projizierten —: »Die anderen tun mir dies oder jenes an.« Ich glaube, unser

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Gesamtkörpersystem kann nur bis zu einer gewissen Grenze mißbraucht werden; das heißt, wir können nur ein gewisses Maß an Schmerz verdrängen. Wenn Lebensumstände, Entbehrungen und Erschütterungen übermäßig sind, dann muß es zu undichten Stellen im Verdrängungs­mechanismus kommen.

Mit steigendem Schmerzniveau wird das Verhalten zunehmend generalisiert und abstrakt. Über die eigene Frau wütend zu sein, weil man ihre Motive neurotisch fehlinterpretiert, ist eine Sache, eine ganz andere Sache ist es, zu glauben, alle Frauen hätten sich gegen einen selbst verschworen. Auf seine Kinder aufgrund eigener vergangener Schmerzen wütend zu sein (sie zeigen weder »Respekt« noch »Achtung«, und man muß die alte eigene Wertlosigkeit erneut fühlen), ist eine Sache, und eine ganz andere ist es, in ein fremdes Gebäude zu gehen und wahllos Leute niederzuschießen. Verhalten und Vorstellungen des Psychotikers generalisieren sich entsprechend seinem Schmerzniveau von der Realität fort. Umgekehrt kommt er mit jedem gefühlten Schmerz dem näher, was real ist (in ihm selbst). Real sein heißt, relativ schmerzfrei sein. Jede Schmerzverringerung reduziert mithin den Generalisierungs­prozeß und mindert somit die Neurose. Der jeweilige Grad der Psychose zeigt den Grad des Schmerzes an. Wenn der Schmerz seinen absoluten Höhepunkt erreicht, ist alle Realität ausgelöscht.

Es gibt viele Arten, verrückt zu werden, und nicht alle gehen mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen einher. Wir können uns einfach zunehmend distanzieren (von uns selbst), so daß wir völlig gespalten werden und ein Teil unserer selbst dem anderen Teil zuschaut, wie es das Leben vollzieht.

 

Ich habe eine vielleicht etwas ungewöhnliche, wenn auch nicht absonderliche Idee, wie man Geisteskrankheit zumindest teilweise verhindern könnte. Wir wissen, daß es zu Psychosen kommt, wenn Gefühle sich aufstauen und keine gesellschaftlich akzeptierte Abfuhrmöglichkeit finden. In fast jeder Stadt, in fast jedem Ort der Welt gibt es ein Kino. Wenn es uns gelänge, unsere Kinos zu Gefühlszentren umzufunktionieren, in denen es ganz in Ordnung wäre, in entsprechenden Augenblicken Gefühle zu zeigen, dann könnte meiner Ansicht nach ein Großteil an Spannung abgeführt werden. 

Wenn man psychisch gestörten oder kranken Patienten Filme zeigte, die zu Gefühlen ermutigen — wie wir es in der Primärtherapie tun —, könnte das von Nutzen sein. Selbstverständlich spreche ich hier lediglich von einer Linderung. Aber auch eine Linderung ist eine Hilfe, sofern sie Gefühle einbezieht, anstatt sie wie üblich zu unterdrücken.

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Es gibt noch andere Dinge, die man in psychiatrischen Kliniken unternehmen könnte. Bislang macht man reichlich von Tranquilizern Gebrauch, um Patienten umgänglich zu machen. Tranquilizer schaffen das. Sie sind wie strenge Eltern, die darauf achten, daß das Kind keine Ungezogenheiten begeht, nur daß hier alles chemisch geschieht. Ich sehe in dem weitverbreiteten Gebrauch dieser chemischen Mittel den Hauptgrund dafür, warum sich bei Patienten keine Heilung einstellt.

Sobald ein Patient »hysterisch« wird, das heißt, sobald er an der Schwelle zu einem Urerlebnis steht, wird ihm, statt daß man ihm hilft, an das Gefühl heranzukommen, mittels einer Chemikalie (oder durch Elektroschocktherapie) ein Deckel darüber gestülpt, und die Spannung staut sich erneut. Ein Therapeut in einem Hospital braucht kein Experte primärtherapeutischer Techniken zu sein, um den Patienten dahin zu bringen, seine Gefühle zu erleben. Und diese Gefühle sind das Gegenmittel gegen seine Psychose. Alle Verrücktheit ist darauf zurückzuführen, daß Gefühle nicht gefühlt werden können. Ich glaube, wir haben uns bislang zu intensiv damit befaßt, Menschen zu manipulieren, sie gesellschaftlich funktionsfähig zu machen, anstatt sie gewähren zu lassen. Eltern versuchen ihre Kinder auf die eine oder andere Weise ständig zu manipulieren, und das trägt dazu bei, daß sie verrückt werden. Und plötzlich sind sie dann nicht mehr manipulierbar und kommen nach weiteren Jahren in eine Heilanstalt, um dort wiederum von Experten manipuliert zu werden.

 

Läßt sich Psychose heilen?  

Ja, das allerdings hängt von bestimmten Faktoren ab. Einer der Faktoren ist der Grad der Psychose. Eine Psychose ist keine monolithische Größe. Es gibt Schweregrade, genau wie bei Neurosen. Ist ein Mensch »hochgradig gestört«, um einen psychiatrischen Fachterminus zu gebrauchen, redet er nur »Wortsalat«, und ist er unfähig, Kontakte zu anderen herzustellen, dann bezweifle ich ernsthaft, daß durch die Primärtherapie eine Heilung zustande gebracht werden kann. Ist der Mensch jedoch zu Kontakten fähig, hat er ein durchorganisiertes, kommunizierbares System von Wahnvorstellungen, dann besteht durchaus eine Aussicht auf Heilung.

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Teds Geschichte ist die eines Psychotikers. Unmittelbar bevor er in die Primärtherapie kam, fand man ihn in seinem Speicher­zimmer verbarrikadiert, ein Schlachtermesser in der Hand, Alufolie um den Kopf gewickelt, die als Schutz gegen seine Feinde dienen sollte, die ihn unter Strahlenbeschuß setzten. Das ist ziemlich verrückt. Ich glaube kaum, daß es helfen würde, ihn als »paranoiden Schizophrenen« zu diagnostizieren. Und sicherlich würde es seine Behandlung in nichts ändern. »Verrückt« ist eine so brauchbare Diagnose wie jede andere, genauso wie »Neurose« eine weite Spanne weniger abweichender Verhaltens­weisen umfaßt.

Ted wurde durch sein großes Maß an Schmerz und Angst in die bizarre, psychotische Symbolbildung getrieben. Seine Wahn­vorstellungen gestalteten sich entsprechend seinen Lebenserfahrungen.

Seine ersten Tage in der Primärtherapie waren recht hektisch, weil er unter akuten Wahnvorstellungen litt. Er kam in die Praxis und sagte, gerade habe jemand draußen vor der Tür ein Hupsignal gegeben, um ihm zu bedeuten, daß die »Creolins« ihm auf den Fersen seien. Er war der festen Überzeugung, der Feind gebe ihm Warnsignale. 

Das bringt mich zu der zweiten Voraussetzung für eine erfolgreiche primärtherapeutische Behandlung von Psychotikern.

Wenn sich bei einem Neurotiker in den ersten Behandlungswochen die Symptome wiedereinstellen, dann treten vielleicht seine alten Kopfschmerzen wieder auf, aber ein in den Straßen herumstreifender, unter akuten Wahnvorstellungen leidender Psychotiker kann zu einer Gefahr werden. Wäre Ted nur ein bißchen verrückter gewesen (hätte er nicht selbst den Verdacht gehabt, seine Wahnvorstellungen seien verrückt, das heißt, wäre nicht eine Spur Bewußtseins übriggeblieben, das ihn »wissen« ließ, daß andere Aspekte seines Bewußtseins nicht real waren), hätte er ein mit »Creolins« besetztes Auto angreifen können.* Schwere Psychotiker brauchen sorgfältige Pflege und sollten stationär behandelt werden. Psychotiker, die nur einer ambulanten Behandlung bedürfen, sind hingegen äußerst gute Primärpatienten.

Das hat einen guten Grund. Je besser man in eine kranke Gesellschaft »hineinpaßt«, um so kranker ist man. Der wohlangepaßte Anwalt kann völlig abgeblockt sein. Seine Behandlung kann sehr langwierig sein.

*  Siehe Kapitel Die Natur des Bewußtseins über die Bewußtseinsspaltung der Gehirnhemisphären.

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Der Psychotiker hingegen ist eine einzige Gefühlsmasse. Er hat in der Primärtherapie eine größere Chance als jemand, der sich voll unter Kontrolle hat, denn die Primärtherapie arbeitet in genau entgegengesetzter Richtung wie die konventionellen Therapien, bei denen Abwehrverhalten aufgebaut wird. Unser Ziel ist es gerade, Abwehrmechanismen abzubauen, und der Psychotiker ist dem sehr nahe.

Teds Behandlung glich mehr oder weniger der anderer Neurotiker. Seine Abwehrmechanismen mußten nicht erst »gesprengt« werden. Seine Urerlebnisse waren von erschütternder Intensität. In den ersten Behandlungswochen war er zu einer Kugel zusammengerollt und wimmerte wie ein Säugling. Er war vor allem darum ein Psychotiker, weil seine Traumata so weit zurücklagen. In seinem Leben hat es nie eine hinreichend lange Zeitspanne frei von Bedrohungen gegeben, in der er eine stabile neurotische Lebensweise hätte entwickeln können. Es war von vornherein kaum Liebe da, und das heißt, von vornherein zu wenig Selbst, um mit Schmerz fertigzuwerden.

 

 

   Ted der Psychotiker   

 

Mein erster Acid-Trip war ein richtiger Horrortrip. Ich hatte mir geschworen, nie Acid zu nehmen. Aber irgend jemand hatte mir mal erzählt, wenn man mit einem anderen Menschen zusammen Acid nimmt, dann ist man hinterher mit dem anderen wie eins. Und da war dieses Mädchen, mit der wollte ich so gern eins sein. Wir gingen zusammen ins Kino. Alle schauten mich an, alle wußten, daß ich Acid genommen hatte. Das konnte ich in ihren Augen sehen. Ich haßte diese Menschenmenge! Ich wollte allein sein. Ich hatte Angst ... entsetzliche Angst. Ich weiß nicht, wie ich es fertigbrachte, aber ich behielt meinen ganzen Scheißdreck für mich. Meine Angst ließ mich nur etwas zittern. All diese Leute machten mir unheimlich Angst. Ich hatte große Schwierigkeiten, überhaupt etwas zu sagen. Ich war wie gefroren und zitterte am ganzen Körper.

Für mich wurde es plötzlich die wichtigste Sache der Welt, Acid zu nehmen und trotzdem in der Lage zu sein, mich unter Kontrolle zu haben. Und so wurde Acid zu meinem Kumpan. Einmal nahmen Steve und ich uns einen Jeep und fuhren in ein unbeschreiblich schönes Tal, weit draußen in den Bergen, eine Gegend, in die allenfalls Jäger und Bergleute kommen. Wir waren sehr früh am Morgen auf und nahmen etwas Acid.

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Ich ging allein los, um die Natur zu genießen. Es war Sommer, und ich hatte meinen bislang besten Acid-Trip. Ich war einige Meter von unserem Platz entfernt, mitten im Wald, ziemlich high, genoß meinen phantastischen Trip, als plötzlich aus dem Nichts ein Gedanke auf mich zukam und meinen Körper völlig verschlang. Was, wenn ein Bär in der Nähe ist? Ich war noch nie von so blinder Angst ergriffen. Einfach so, aus einem herrlichen Gefühl voller Harmonie heraus stürzte ich in ein Gefühl grauenhafter, vernichtender Angst.

Ich hatte kein Gewehr und auch sonst nichts zu meiner Verteidigung dabei; es gab keine Menschenseele, die mir hätte helfen können. Ich geriet auf der Stelle in Panik und rannte los. Ich zitterte am ganzen Körper. Dann hatte ich Angst, ich hätte mich verlaufen, und begann nach Steve zu rufen. Er hatte ein Gewehr. Ich mußte irgendwo in seiner Nähe sein. Ich lief und lief, konnte unseren Platz aber nicht finden. Mir erschien es wie eine Ewigkeit. Aber irgendwie fand ich unseren Platz dann doch. Er war nicht da. Dennoch fühlte ich mich hier etwas sicherer. Schließlich fand ich ihn vergnügt unten am Fluß sitzen und angeln, und die Angst war im Nu verflogen.

Ich erzählte ihm so ungefähr, was passiert war, allerdings sagte ich nichts von meiner maßlosen Angst und von der Panik. Einen Monat später kaufte ich mir eine 45er. Jedesmal bei Vollmond nahm ich Acid und wanderte in den Bergen umher, alleine, nachts, immer mit meiner 45er. Mein Freund wußte davon und »verstand«.

Der Gedanke, daß mein Drogenkonsum recht bedenklich war, kam mir selten. Ich sagte mir immer, es sei doch nicht mehr als das, was viele andere Leute, die ich so kannte, auch nahmen. Einige von denen hatten immerhin schon mindestens zweihundert Acid-Trips mehr gehabt als ich. Und meine Trips hielten sich doch noch in Grenzen. Im Grunde, so sagte ich mir, war mit mir doch alles in Ordnung.

Damals arbeitete ich als Angestellter. Ich hatte sogar einen leitenden Posten. Ich hatte vor nicht allzu langer Zeit mein Collegeexamen abgeschlossen. Mein Gehalt betrug monatlich 425 Dollar, plus 58 Dollar Provision, und zusätzlich konnte ich monatlich noch 150 Dollar klauen. Es lief also alles ganz gut. Das Beste daran war, daß ich nicht regelmäßig zur Arbeit gehen mußte, weil der Besitzer in einer anderen Stadt lebte, und die anderen waren mir für die buchhalterischen Arbeiten unterstellt.

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Die haben alle gern für mich gearbeitet, weil wir uns im Büro oft einen Trip genehmigten. Ich hatte Geld genug, um mir Drogen zu kaufen, und jede Menge freie Zeit, daher war ich die meiste Zeit »stoned«. Doch das dauerte nur ein paar Monate, dann kam man dahinter und setzte mich vor die Tür. Scheiße, aber im Grunde machte mir das nicht viel aus.

Steve und ich fuhren dann nach Mexiko, wir hatten jede Menge THC und Gras dabei. Als wir von Mexiko zurückkamen, besorgten wir uns jeder wieder eine Hütte in den Bergen. Ich war wieder mal allein. Ich hatte keinen Job, aber der Staat zahlte mir vier Monate lang 55 Dollar Arbeitslosen­unterstützung pro Woche. Das reichte für Stoff aus. Ich hatte das Bedürfnis, außer Steve auch mal andere Menschen zu sehen, und so begann ich, diesen Typen zu besuchen. Eines Abends war er mit zwei anderen Freunden zusammen, und sie fragten mich, ob ich Lust hätte, mit ihnen etwas Acid zu nehmen. »Aber ja, gern.« Ich war so froh, daß anderen Menschen an meiner Gesellschaft gelegen war. Wir gingen gemeinsam zu Steves Hütte, und der machte auch mit.

Nach ungefähr einer Stunde ging Steve und zog sich in das Schlafzimmer seiner Hütte zurück. Und ich saß mit diesen Leuten einfach da, absolut versteinert! Ich war unfähig, mich zu bewegen, sie anzuschauen oder auch nur ein einziges Wort zu sagen. Ich wußte nichts zu sagen. Ich wollte nur, daß sie gingen, doch ich brachte kein Wort heraus. Ich hatte zu große Angst. Ich hatte gedacht, Steve würde mir das Sprechen abnehmen, aber der hatte sich ins Schlafzimmer verzogen. Schließlich gingen sie. Ich legte mich auf den Boden und hörte ungefähr fünf Stunden lang Musik. Ich war völlig gelähmt. Mir kam der Gedanke, die Stadt einfach zu verlassen und irgendwo anders, wo mich keiner kannte, ganz neu anzufangen. Kein Mensch kann sich vorstellen, was sich in dieser Nacht in mir abspielte. Nie wieder nehme ich Acid, das schwor ich mir. Diese Angst halte ich nicht aus.

Ich verließ die Hütte und ging in die Stadt. Ich hielt die Einsamkeit einfach nicht mehr aus. Das war ein gutes Gefühl. Und dann passierte es. Ich fand jemand zum Bumsen! Wir erzählten uns gegenseitig, daß wir uns liebten. Es war Frühling. Ich riskierte es, und wir nahmen beide Acid. Ich begann über den Tod meiner Mutter zu weinen; sie sagte mir daraufhin, daß sie mich nur noch um so mehr liebe. Endlich war doch alles in Ordnung mit mir. Vier Monate hingen wir wie die Kletten aneinander. Sie verließ mich, um ihren alten Jugendfreund zu heiraten.

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Und dann kam dieses andere Mädchen. Sie war geschieden und hatte einen zweijährigen Sohn. Sie fragte mich auf der Stelle, ob ich sie heiraten wollte, und das wollte ich. Dann müßte ich nicht mehr allein sein. Mein Freund machte einmal eine sarkastische Bemerkung über meine Beziehung zu ihr. Und unmittelbar darauf hörte ich auf, sie zu sehen.

Mein guter Freund Steve war ein zweites Mal nach Mexiko gefahren, und ich lebte mit Bill, einem anderen Freund, zusammen. Wir drei teilten uns die Miete. Nach zwei Monaten kam Steve mit seiner Freundin Susanne und einem Kerl namens Chico aus Mexiko zurück. Jetzt lebten wir plötzlich zu fünft, und wir waren alles Freunde. Chico war ein Experte für Drogen. Er und Steve begannen Marihuana anzupflanzen. Chico nahm ungefähr zweimal die Woche Acid und hielt sich für den Rest der Zeit mit Marihuana high. Ehe sie kamen, hatte ich fast völlig aufgehört, Drogen zu nehmen, war aber, nachdem sie zurückkehrten, wieder voll drin. Ich konnte mich von ihnen nicht absondern. Diese Leute waren meine Familie, die ich immer hatte um mich haben wollen. Es war ein so unheimlich gutes Gefühl, mit ihnen zusammenzusein. Und für gewöhnlich hatte ich auch jemand, der mit mir ins Bett ging. Jeden Tag waren wir »stoned«. Ich fand das großartig.

Eines Abends kam Bill mit Acid für uns alle zurück, und wir alle haben davon genommen. Für mich war es der härteste Stoff, den ich je hatte. Ich konnte nur am Boden liegen und Musik hören. Die ganze Nacht spielten wir immer nur dieselbe Platte. Irgendwie muß die ganze Zeit immer nur der letzte Teil vom letzten Stück gespielt haben, jedenfalls ist das alles, woran ich mich erinnern kann. Im Kopf sah ich einen künstlichen Sonnenuntergang. Es war, als schwebten wir durch das All. Keiner redete, doch gelegentlich begannen wir plötzlich gemeinsam zu lachen. Wir waren zusammen, vereint, sagten jedoch nichts, sahen uns nicht an. Bill war offenbar der Führer, er schien zu wissen, was sich abspielte. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich öffnete die Augen, und die Sonne stieg auf. Ich schwebte einen Meter über meinem Körper und war mir meines Körpers nicht bewußt. Steve saß neben mir und schien, soweit ich es sehen konnte, ebenfalls zu schweben. Meine erste Schlußfolgerung war, daß ich gestorben sein mußte, und daß ich jetzt den »Himmel« erlebte. Also fragte ich Steve, wie ich gestorben war, denn ich konnte mich an den Unfall, wenn es einer gewesen war, oder an eine andere Todesursache nicht erinnern.

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Alles was ich wußte war, daß ich nicht mehr in meinem Körper war, sondern schwebte, wenn auch bei Bewußtsein. Steve verstand mich offenbar nicht, und so ließ ich das Thema wieder fallen.

Ich schloß die Augen und blieb bei dem künstlichen Sonnenuntergang. Später öffnete ich die Augen wieder und stellte fest, daß auch mein Körper noch lebendig war und daß beide, mein Körper und mein Bewußtsein, aufstanden und nach draußen gingen, um den wirklichen Sonnenuntergang anzuschauen. Das war phantastisch. Dann, als ich auf die Stadt schaute, war es plötzlich nicht mehr diese Stadt, sondern das kleine Städtchen, in dem mein Vater aufgewachsen war, und mir war, als sei ich mein Vater. Das war ein unbeschreibliches Erlebnis. Alles was meine Augen fassen konnten, war Teil jenes kleinen Städtchens. Die Stadt, in der ich tatsächlich lebte, war nicht da. Und ich war ein kleiner Junge, fünf Jahre alt.

Das Erlebnis veranlaßte mich, über die anderen Leute im Haus zu lachen, sie waren so tot, so nichtsahnend. Chico kam nach draußen und sagte, wenn ich den Sonnenuntergang richtig betrachte, könnte ich diagonale Räume im Himmel sehen. Und ich sah sie auch. Der Himmel war wie ein von diagonalen Linien durchschnittener Schleier, und in den Löchern konnte ich Bäume sehen, und eine ganz andere Welt dahinter. Er erzählte mir irgend etwas von Wellenlängen, und daß es einfach darauf ankomme, sich auf die Wellenlänge richtig einzustimmen. Er verstand von all dem offenbar eine Menge. Ich war schwer beeindruckt. Chico sagte, er habe das Gefühl, er stamme von einem anderen Planeten, wisse aber nicht, von welchem. Er erzählte mir von einem Schriftsteller namens Rampa und irgend etwas von Astralprojektionen.

Seitdem wollte Chico bei meinen Acid-Trips immer bei mir sein und machte sich zu einer Art Trip-Führer. Ich wurde mißtrauisch. Er hatte so gierig aussehende, schwarze Augen. Ich traute ihm nicht. Trotzdem unternahmen wir viele Trips zusammen. Ich begann die Aura anderer Leute zu sehen. Die von Chico war braun, und das hieß, daß er ein schlechter Mensch war. Auf einem anderen Trip begann ich zwischen meinen beiden Augenbrauen ein starkes Ziehen oder eine Kraft zu spüren, und gleichzeitig hörte ich ein tiefes, schweres, donnerndes Geräusch. Das war für mich etwas ganz Neues, und ich bezog es auf Chico und seine Wellenlänge. Diese Geräusche erregten mein Mißtrauen.

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Vielleicht war da draußen irgend etwas, von dem Chico wußte und wovon er mir nichts sagen wollte. Vielleicht so etwas wie eine fliegende Untertasse, und vielleicht wollten die was von mir, zum Beispiel meine Energie, um damit ihr Luftschiff anzutreiben. Darum wollte er mir nichts davon sagen. Natürlich hatte ich Angst zu fragen, und die Angst wurde immer größer.

Später beschloß ich, Acid nur zu nehmen, wenn Chico nicht in der Nähe war, und setzte mich in mein Auto und fuhr ein paar hundert Meilen in eine andere Stadt, in der ich ein Mädchen kannte. Sie ließ mich in dem leerstehenden Apartment ihres Bruders wohnen. Ich mochte sie nicht sonderlich gern, weil sie nicht mir mir ins Bett gehen wollte, auch wenn mir das nicht allzu viel ausmachte. Wir gingen in eine Kneipe. Dann brachte ich sie nach Hause, ging in die Wohnung ihres Bruders und nahm etwas Acid. Wenn sich diese verrückten Geräusche jetzt nicht einstellten, dann wüßte ich, daß Chico irgend etwas im Schilde führte, weil sie sich immer nur dann einstellten, wenn er in der Nähe war.

Ich wurde high und schloß die Augen, um zu horchen. Die Geräusche waren da, auch hier. Sie waren auch hier! Ich konnte die Leute von der fliegenden Untertasse hier vor der Tür hören. Ich wurde von Panik erfaßt. Und mein Revolver war im Auto! Ich riskierte es und rannte zu meinem Wagen, holte meinen Revolver und schaffte es wieder heil zurück. Aber was half mir das jetzt. Sie konnten mich noch immer umbringen. Und sie würden es tun, weil ich ihnen nicht folgen würde. Ich rannte raus, um zu Fuß zum Haus meiner Freundin zu fliehen. Ich hörte, wie sie mich einkreisten. Ich hielt einen Streifenwagen an und sprang hinein. Ich sagte dem Bullen, daß mich jemand umzubringen versuchte. Ich sagte ihm, daß ich es ihm nicht erklären könne. Wirklich, was für saubere Arbeit leisten diese Leute von der fliegenden Untertasse! Ich konnte ihm schlecht von Leuten aus dem All erzählen, dann hätte er mich unter Garantie für verrückt erklärt. Sie konnten mich umbringen, und niemand käme auf die Idee, Leute von einer fliegenden Untertasse zu verdächtigen. Ich saß in einer Falle. Ich sagte ihm, er solle mich ins Gefängnis bringen, das sei der einzig sichere Platz, dort könnte man mich nicht umbringen. Das tat er auch.

Am nächsten Morgen rief ich meine Freundin an, und sie holte mich aus dem Gefängnis raus. Ich bat sie, mich bei einem Einkaufszentrum abzusetzen. Ich wußte, daß sie mir folgen und sich auf der Erde ihrer eigenen Hilfsmittel bedienten, um ihre schmutzige Arbeit zu verrichten. Chico mußte einer von ihnen sein, Bill ebenfalls.

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Ich wollte mich in den Geschäften verstecken, denn dort konnten sie mich nicht umbringen. Ich versuchte Steve anzurufen, erreichte ihn auch endlich und erzählte ihm alles. Er sagte, er würde mich überall abholen, aber er sei sich nicht sicher, ob ich die richtigen Schlußfolgerungen gezogen hätte. Natürlich konnte er das nicht wissen, schließlich waren sie ja nicht hinter ihm her. Sie hatten sich ihm ja nicht wie mir zu erkennen gegeben. Wie sollte er das auch wissen. Ich rief ein Taxi an, beschloß dann aber doch, das Risiko auf mich zu nehmen und zu meinem Wagen zu gehen. Ich gab mir einen Ruck und machte mich auf. Vielleicht gelang es mir, ihnen zu entwischen. Ich sprang in mein Auto und fuhr in die meinem Ziel entgegengesetzte Richtung und hoffte, sie so reinlegen zu können.

In dieser Nacht schlief ich in meinem Wagen mitten im Stadtzentrum. Auf der Hauptstraße würde mich niemand umbringen. Ich wußte, sie würden mich auf dem Rückweg auf einer kleinen Landstraße zur Strecke bringen können. Darum wollte ich nur tagsüber fahren, solange auf den Straßen Verkehr war. Die nächste Nacht verbrachte ich in einem Hotel, meinen Revolver unter dem Kopfkissen. Es würde ihnen schwerfallen, mich in einem Hotel umzubringen. An diesem Punkt hatte ich das Gefühl, irgendwie könnte es mir doch gelingen, ihnen zu entkommen. Ich hatte vor, dann in eine andere Stadt zu ziehen und ganz neu anzufangen. Steve und ich trafen uns am nächsten Abend in der Stadt, in der wir unsere Wohnung hatten. Er überzeugte mich, daß ich die falschen Schlußfolgerungen gezogen hatte, und so ging ich in unsere Wohnung zurück, in der Chico gerade war. Ich sagte ihm nichts. Ich mußte Acid nehmen, um festzustellen, ob ich nun tatsächlich verrückt war. Ich mußte es! Chico war an dem Tag, als ich Acid nahm, nicht da - es war Nachmittag.

Ich wurde high und legte mich auf mein Bett. Mein Kopf begann sich mit Energie aufzuladen. Ich hörte plötzlich ein Schnappen, und alles war in Ordnung. Ich wurde mir auf der Stelle meiner Verrücktheit bewußt. Ich fühlte mich allwissend. Das war ein phantastisches Erlebnis. Meine ganze Angst war von mir abgefallen. Ich stand lachend auf. Ich sagte Steve, daß jetzt alles in Ordnung sei. Ich fühlte mich unheimlich gut. Ich rauchte etwas Gras und begann zu »fliegen«. Ich konnte die Sterne sehen, und doch war ich drinnen, es war, als schwebte ich im All. Das war großartig. Und Chico und Bill waren nicht in der Wohnung. Das war wirklich großartig. Ich war doch in Ordnung!

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Eines Tages kam Bill mit einigen Büchern; alle über das Phänomen der UFOs. Die Angst war wieder da! Aufgetaucht aus dem Nichts. Ich versuchte so zu tun, als machte mir das nichts aus. Ich fragte, ob an diesen Büchern irgend etwas dran sei, und Bill bejahte das mit allem Nachdruck. Meine Angst wuchs, aber noch hatte ich sie unter Kontrolle. An diesem Abend nahm ich wieder Acid. Als ich high war, verließ ich die Wohnung, um mich mit meiner Freundin zu treffen. Wir gingen in eine Espressobar. Ich hörte mich zu ihr die gleichen Dinge sagen, die mir dieser Mexikaner Chico über Wellenlängen erzählt hatte, und daß man sich darauf einstimmen müsse. Jetzt fühlte ich, daß ich für die UFO-Leute arbeitete. Ich fühlte, wie sie mir telepathisch mitteilten, ich solle zu Bill dem Führer zurückgehen. Das ängstigte mich zu Tode. Ich zitterte am ganzen Körper.

Sie begleitete mich. Ich mußte zu Bill gehen, sonst würden sie mich umbringen. Ich wollte keine unnützen Schwierigkeiten machen. Und plötzlich sah ich einen Lichtblitz und war wieder draußen. Das Bild der Wohnung blieb als Lichterwand in mir, aber mein Bewußtsein war völlig draußen im All. Ich konnte das gesamte Universum sehen. Und ich reiste mit unglaublicher Geschwindigkeit. Dann begann ich Stimmen zu hören. Jemand sagte mir, ich solle auf ihre Seite rüberkommen. Ich erstarrte vor Angst. Was wollten die von mir? Dann fragte mich Bill: »Na, wie steht's?« Er wollte mich für sie gewinnen. Ich fragte ihn, was er von mir wolle, aber er grinste nur und stellte das Gespräch mit mir ein, weil jemand ins Zimmer kam.

Ich war starr vor Angst. Ich fragte ihn, ob meine Freundin bei dem, was immer er vorhaben mochte, mitmachen könne, aber er sagte nein. Was ging da vor sich? Ich verstand nichts mehr. Jedenfalls stand immerhin soviel fest, daß sich die Leute von der fliegenden Untertasse schließlich zu erkennen gegeben hatten und von mir etwas wollten, nämlich meine Willenskraft.

Bill starrte mich einfach an, und dann schien sich plötzlich meine Stirn zu öffnen, und ich konnte mich im Raum mit einem weiteren Augenpaar umsehen. Als Bill das geschehen sah, schloß er seine Augen, um mir zu zeigen, daß auch er mit einem weiteren Augenpaar im Raum sehen konnte. Dann erschallten plötzlich Schreie, grauenhafte Schreie, und ich fühlte mich auf der Stelle meinen Körper betreten. Bill schien auch das zu wissen, denn jetzt konnte er von mir nicht mehr bekommen, was er wollte, und machte darüber eine sarkastische Bemerkung zu mir. Dann ging er aus dem Zimmer.

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Ich versuchte mich an meine Freundin zu halten. Aber wie ich sie so im Arm hatte, sah ich nichts als eine groteske, grauenhafte, animalische Kreatur. Auch das machte mir Angst. Und dann kam Steve rein und fragte mich wiederholt, was ich denn sehe, wenn ich so nach draußen starre. Sie konnten nicht wissen, was ich sah. Dann hätten sie nämlich gewußt, daß ich über sie Bescheid wußte. Und vor allem gehörte selbst mein bester Freund, Steve, auch zu ihnen und versuchte, mich auf ihre Seite zu bringen. Er machte mir gegenüber eine abfällige Bemerkung und ging ebenfalls aus dem Zimmer. Mein Schicksal war besiegelt. Den Rest der Nacht verbrachte ich zitternd.

Am nächsten Morgen fragte Bill mich nach meinen Erlebnissen, aber ich war nicht bereit, es ihm zu erzählen. Ich hatte zu große Angst. Sie konnten ja nicht wissen, daß ich über sie Bescheid wußte. Ich hatte das Gefühl, sie könnten mich jetzt jederzeit umbringen. Es war für sie lediglich eine Frage des günstigsten Augenblicks. Sie ließen mich ihre ständige Gegenwart dadurch wissen, daß sie mir Hupsignale gaben. Damit haben sie meine Angst geschürt. Sie waren überall und ich mußte vor ihnen fliehen. Ich hatte Angst, in der Wohnung zu bleiben, denn dort hätten sie mich mit Sicherheit erwischt. Die kommende Nacht verbrachte ich bei meiner Freundin. Sie hatten mir die Anweisung erteilt, niemandem von ihnen zu erzählen, und so hatte ich zu große Angst, ihr zu sagen, was da lief. Am nächsten Tag fühlte ich, daß sie mich letztlich doch umbringen würden. Ich mußte daher unbedingt mit irgendeinem Menschen reden, ehe sie mich umbrachten.

Ich erzählte meiner Freundin von der Invasion aus dem All und daß sie ihre Kontakte herstellten, um irdische Helfer zu gewinnen, indem sie Leute durch Acid anturnen. Ich sagte ihr, sie dürfe nie in ihrem Leben Acid nehmen. Sie versicherte mir, daß sie mir glaube. Den nächsten Tag verbrachte ich auf der Flucht. Ich versuchte ihnen zu entkommen, hatte jedoch kein Glück. Ich nahm mir ein Taxi zur nächsten Stadt. Dort fuhr ich dann kreuz und quer mit Bussen umher und versuchte ihnen so zu entwischen. Sie folgten mir auf Schritt und Tritt. Wahrscheinlich konnten sie sich auf meine Gehirnwellen einschalten und mir so auf der Spur bleiben. Ich war mir nie sicher, ob ich sie abgehängt hatte oder nicht. Ich sprang also aus dem Bus und rannte in ein Hotel. Dort versteckte ich mich mehrere Stunden unter einem Tisch in einem Festsaal. Dann beschloß ich, mir dort ein Zimmer zu nehmen. Aber als ich zum Empfang ging, kamen gerade zwei Oberschüler zur Tür herein und nahmen mich in ihre Mitte. Sie standen eine Weile da und baten mich dann um Feuer. Ich war ihnen also nicht entkommen!

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Ich beschloß, wieder rauszugehen und lieber bei Freunden zu übernachten. Wir rauchten etwas Gras, und ich wußte, dort war ich wenigstens für diese Nacht sicher. Ich wußte, daß sie wußten, wo ich war. Aber sie würden mich nicht hier bei diesen Leuten umbringen. Ich hatte mir ausgerechnet, daß sie mich so töten würden, daß es nach einem Unfall oder nach Selbstmord aussieht, und darum war das hier weder der richtige Ort noch die richtige Zeit. Abgesehen davon hatten sie es ja auch nicht eilig.

Meine Freunde wollten fernsehen, aber der Apparat funktionierte nicht richtig. Das Bild flimmerte, und der Kasten gab nur einen tiefen, vibrierenden Ton von sich. Die investieren schon eine gewaltige Energie, um mir auf den Fersen zu bleiben! Ihre Strahlen störten sogar den Fernsehempfang. Das alles war so offensichtlich.

Am nächsten Morgen beschloß ich, kurz in die Wohnung zurückzukehren und meine Sachen zu holen und damit nach Hause, zu meinem Vater zu fahren. Ich hatte meine Meinung - daß sie mich in der Wohnung umbringen könnten, geändert. Das würde nicht richtig aussehen und würde zuviel Aufmerksamkeit auf diesen Tatort lenken. Ich war mir nicht sicher, was in der Nacht passieren würde - ich riskierte es einfach.

Am nächsten Morgen machte ich mich mit all meinen Sachen auf den Weg nach Hause. Ich verabschiedete mich von Bill und Steve, und damit hatte es sich. Ich rief meinen Vater an. Ich dachte, wenn mich jemand erwartete, würden sie nicht versuchen, mich umzubringen. Ich schaffte es wohlbehalten nach Hause. Mein Vater merkte, daß irgend etwas mit mir nicht stimmte. Er zog es aber vor, mich nicht danach zu fragen. Wenn ich irgendwo anders hätte hingehen können, hätte ich das getan, aber zu Hause war der einzige Ort, wo ich meine ganzen Sachen lassen konnte.

Mein Vater ging morgens zur Arbeit, und ich blieb im Haus und wartete darauf, daß »sie« ihren nächsten Schritt machten. Die ganze Zeit über fühlte ich ein eigenartiges, kitzelndes Gefühl dort, wo meine Medulla oblongata [verlängertes Rückenmark] sitzt, und mir dämmerte, was sie taten. Mit einem Richtstrahler brannten sie langsam meinen Verstand aus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mich hatten. Und keiner könnte die Ursache meines Todes feststellen.

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Ich hatte in anderen Städten zwei Freunde, und ich beschloß, ihnen mitzuteilen, was hier geschah, damit andere wüßten, daß, warum und wie ich hier umgebracht werden sollte. Ich hatte Angst, die Briefe zu schreiben, weil sie mir die Anweisung erteilt hatten, keinem etwas zu sagen. Ich wußte, daß sie sich in meinen Kopf einschalten und meine Gedanken lesen konnten, wahrscheinlich nahmen sie sie in ihrer fliegenden Untertasse auf Band auf und wußten ständig, was ich gerade vorhatte. Als ich die Briefe schrieb und adressierte, versuchte ich, an etwas anderes als die genauen Worte und Adressen zu denken, um sie zu verwirren. Offensichtlich hatten sie in meiner Vaterstadt keine Erdenmitglieder, jedenfalls noch nicht. Denn es gab hier keine Hupsignale. Jeden Tag schrieb ich an meine Freunde und versuchte, ihnen die Invasion zu erklären und ihnen zu sagen, was mit mir geschah. Es mußten so viele Menschen wie möglich dahinterkommen, ehe ich getötet wurde. Ich beschwor sie, mir zu glauben und nicht zu denken, ich sei verrückt. Ich wartete, daß die Leute von der fliegenden Untertasse ihren nächsten Schritt machten.

Wenn mein Vater auf der Arbeit war, trug ich einen Helm aus Alufolie, der die schädlichen Strahlen ableiten sollte. Sie sollten mich nicht kriegen, ehe ich meine Geschichte nicht so vielen Freunden wie möglich erzählt hatte. Mein Tod würde beweisen, daß ich die Wahrheit sprach. Sie würden mich nicht zu Hause töten, jedenfalls nicht im Haus selbst. Ich blieb drinnen, fühlte mich sicher und wartete auf ihren nächsten Schritt. Gott und die Bibel waren meine einzige Hoffnung. Ich mußte den Glauben aufrecht­erhalten. Fast alles, was ich las, bot mir Trost. Wenn ich mich nur von ihnen befreien könnte! Wenn ich nur an jenem Abend nicht Acid genommen hätte, dann wäre jetzt alles in Ordnung. Warum habe ich das bloß getan?

Und dann kamen sie. Eines Abends legte ich mich hin und schlief ein. Im Schlaf wurde ich gewahr, daß ich im Haus von Zimmer zu Zimmer schwebte. Ich flog in die Küche, und da waren sie, zwei uniformierte Typen vom Raumschiff. Sie ergriffen mich bei den Armen und eskortierten mich zum Fenster hinaus in unseren Garten, und wir begannen aufzusteigen. Ich hatte Angst, zu ihnen zu sprechen, und dann hörte ich wieder dieses donnernde Geräusch, wie von einem riesigen Dieselmotor. Es war das Geräusch der fliegenden Untertasse. Ich kämpfte, um mich von ihnen zu befreien, und das nächste, was ich weiß, war, daß ich wach lag, am ganzen Körper vor Angst zitternd.

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 Sie hatten ihren nächsten Schritt getan. Ich hatte noch nie so lebendig geträumt, nie so intensiv wahrgenommen. Das war kein gewöhnlicher Traum — sie hatten sich tatsächlich mit mir in Verbindung gesetzt. Sie hatten den Astralbereich voll unter ihrer Kontrolle.

Nun gut, ich mußte mein Elternhaus verlassen. Am nächsten Tag beschloß ich, meinem Bruder zu schreiben und ihm zu berichten, was hier geschah. Ich wußte zwar, daß er mich nicht verstehen und mich für verrückt halten würde, aber irgend jemand aus meiner Familie mußte Bescheid wissen, ehe sie mich kriegten. Mein Tod wäre dann der Beweis für meine volle Zurechnungs­fähigkeit. Ich zögerte den Brief abzuschicken, doch diese Barriere mußte durchbrochen werden. Ich schickte ihn schließlich doch ab. Vielleicht hatten sie Verbindungen zur Post und konnten meine Briefe einkassieren. Ich konnte es zumindest versuchen.

Am selben Abend lud mich mein Vater zum Essen in ein Restaurant ein. Als wir das Haus verließen, war das Türlicht aus, und die Tür war abgeschlossen. Als wir zurückkamen, brannte das Licht. Sie konnten sich also mühelos materialisieren und das Licht anschalten. Das war ein Warnzeichen von ihnen. Am nächsten Morgen erklärte ich meinem Vater, daß ich wieder fortgehen wollte und nannte wahllos irgendein Ziel. Das sollte meine ganz große Flucht werden. Niemand würde wissen, wohin ich ging. Ich hatte Angst, auch nur zu denken, wohin ich ging - denn sie sollten es nicht meinen Gedanken ablesen. Ich wußte in Wirklichkeit also gar nicht, wohin ich wollte. Ich nahm kein Gepäck mit. Mein Vater konnte lediglich sagen: »Ich weiß, du verheimlichst mir etwas.« Ich hatte ein paar Bücher über UFOs gekauft und ihm gesagt, er würde begreifen, was sich abspielte, wenn er die Bücher gelesen hätte. In die Bücher legte ich Notizzettel mit genaueren Erklärungen. Eines der Bücher handelte von einer Frau, die nach ihrer Begegnung mit Leuten aus dem All eine Reihe lebhafter Träume hatte, und dorthinein legte ich die Notizzettel.

Ich fuhr in die Innenstadt und ging in ein Bürogebäude. Von dort aus rief ich ein Taxi an. Die ganze Zeit über hatte ich eine Strumpfmütze auf, unter der ich meinen Gehirnwellenreflektor aus Alufolie trug. Das mußte funktionieren. Er mußte meine Wellen so weit verzerren, daß sie mir nicht auf der Spur bleiben und meine Gedanken nicht mehr aufnehmen konnten. Es war mein bislang bester Versuch. Das Taxi kam, und ich bat den Fahrer, mich in die Nachbarstadt zu bringen.

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Von dort fuhr ich dann per Anhalter weiter. Ich hatte das Gefühl, sie abgehängt zu haben, war mir aber nicht völlig sicher. Bis zum Abend schaffte ich mehrere hundert Meilen. Die Frage, ob es mir gelungen war, ihnen zu entkommen, marterte mein Hirn. Vielleicht hatten sie die Spur verloren? Vielleicht war ich frei? Aber die Ungewißheit blieb. Ich kam mir vor wie ein entlaufener Sträfling, nur daß ich nichts verbrochen hatte. Ich fuhr mit dem Bus und kaufte mir in einem Lebensmittelgeschäft eine Rolle Alufolie. Ich wollte mir einen Supergehirnwellenreflektor basteln, mit dem ich sie unter Garantie abhängen würde. Doch als ich wieder ins Auto stieg, hörte ich plötzlich in meinem Hinterkopf einen Summton und wußte, daß all meine Versuche, ihnen zu entkommen, vergeblich waren. Sie waren mir auf Schritt und Tritt gefolgt. Mithin waren alle weiteren Versuche, ihnen zu entkommen, lächerlich. Ich nahm mir ein Hotelzimmer. Ich war der Flucht müde geworden. Sollten sie mich doch haben.

Von diesem Augenblick an versuchte ich zu entspannen. Etwas unternehmen konnte ich ohnehin nicht mehr. Fortzulaufen war müßig. Mein Plan war, mit dem Bus zu meinem Bruder zu fahren und zu versuchen, ihm zu erklären, daß ich wirklich nicht verrückt war, daß sich all das tatsächlich abspielte. Ich war froh, als ich heil bei meinem Bruder eintraf. Hier war ein weiterer Ort, wo sie mich nicht umbringen konnten. Und jetzt, nachdem mein Bruder wußte, was los war, hätte alles, was mir hier zustoßen würde, die Sache aufgedeckt.

Ehe ich von zu Hause aufgebrochen war, hatte ich den Versicherungsschein von meiner Krankenkasse eingesteckt, für den Fall, daß sie ihr Vorhaben nicht vollends ausführen könnten und ich ins Krankenhaus müßte. Das gab mir zusätzliche Sicherheit. Doch sie hörten jetzt nicht mehr auf zu hupen. Und mein Bruder glaubte mir nicht wirklich. Er hielt die ganze Geschichte zwar nicht für unmöglich, doch ich wußte, daß er mich für verrückt hielt. Dabei war das völlig ausgeschlossen. Kein Mensch hatte je erlebt, was ich hier erlebte, ich war der einzige, der Bescheid wußte, ich war mutterseelenallein, immer allein.

Meine Schwester wohnte ganz in der Nähe von meinem Bruder, und eines Tages ging ich sie besuchen. Ich erzählte ihr, daß ich Angst hatte, schlafen zu gehen, weil ich Angst hatte zu träumen. Sie sagte, ich sollte mich körperlich verausgaben, dann sei ich zu müde, um zu träumen. Phantastisch, das war es, das war die Antwort!

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Ich würde meine Kräfte jeden Tag vor dem Schlafengehen total erschöpfen, und dann wäre für Träume keine Kraft mehr übrig. Mir wurde plötzlich klar, daß sie die Anstifter der ganzen Hippiebewegung waren und daß eines der auffallendsten Merkmale bei den Hippies ein extremer Mangel an körperlicher Ertüchtigung war. Ferner wußte ich, daß Drogen die im Körper gespeicherten Energien freisetzten, und so fügte sich das Ganze wunderbar zu einem einheitlichen Bild zusammen.

Und für mich gab es einen Ausweg. Ich fing sofort an, Körperübungen zu machen, bis ich am Ende meiner Kräfte war. Am späten Nachmittag war ich im Garten meines Bruders, lief auf der Stelle und machte Kniebeugen. Zufällig schaute ich gerade zum Himmel auf und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Hoch über mir schwebte eine fliegende Untertasse. Ich schaute hin und schaute wieder weg und dachte, das müsse die Venus oder so was sein. Sie konnten das nicht sein. Sie bewegte sich nicht wie ein Flugzeug. Sie hing unbeweglich am Himmel. Dann schoß plötzlich seitwärts etwas heraus, was wie eine berstende Rakete aussah. Ich sah fort und erzitterte vor Angst. Ich schaute wieder hinauf, und fort war es. Ich rannte ins Haus und dachte, vielleicht hatten sie mich mit irgend etwas beschossen. Das war ihr Warnzeichen, daß ich keine Körperübungen machen sollte. An diesem Abend zögerte ich etwas, doch dann bat ich Gott, mich zu beschützen, und nahm meine Gymnastik wieder auf. Ich mußte jetzt jederzeit damit rechnen, daß sie mich holten, denn jetzt war ich für sie fällig. Meine einzige Hoffnung war Gott. Bis auf Gott hatte ich niemand, ich war allein.

Mein Bruder machte den Vorschlag, ich solle einen Psychiater aufsuchen. Ich hatte nicht das Gefühl, daß mich ein Psychiater besser verstehen würde als alle anderen, aber ich dachte, vielleicht könnte er mir zu irgendeiner Erkenntnis verhelfen. Jedenfalls interessierte es mich, was er zu sagen hätte. Das wirklich Gute daran war, daß ich dann noch einem anderen Menschen von der Invasion erzählen konnte, hoffentlich noch ehe sie mich erwischten. Ich glaubte, mein bester Schutz seien all die Leute, die Bescheid wußten und daß ich um so sicherer sei, je mehr Leute Bescheid wußten.

Mein Bruder hatte einen Freund, der sich mit der Primärtherapie auskannte. Er hatte mit Leuten gearbeitet, die mit Acid ausgeflippt waren, und er sagte, die Primärtherapie sei das einzige, was tatsächlich helfe. Es konnte ja sein, daß ich ausgeflippt war, doch mir erschien es offensichtlich, daß das nicht der Fall war.

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 Mir kam der Gedanke, die Primärtherapie könne zu ihrem Plan gehören. Vielleicht war das eine neue Falle. Vielleicht hatten sie meinen eigenen Bruder über Nacht in einem seiner Träume für sich gewinnen können. Doch das erschien mir dann doch nicht sehr wahrscheinlich. Ich hatte nicht das Gefühl, daß er für sie der richtige Mann war. Er war viel zu etabliert und hatte zu sehr seinen eigenen Lebensstil, als daß ihn die Geheimnisse der Astralwelt hätten verlocken können. Also beschloß ich, es mit der Primärtherapie mal zu versuchen. Aber ich wußte, wenn der Therapeut lange Haare hatte, dann war er mit Sicherheit einer von ihnen, dann war es eine Falle.

Zum Glück hatte er kurze Haare und machte einen recht zivilisierten, manierlichen Eindruck. Er brachte mich dazu, über meinen Vater zu weinen, und fragte mich, wie ich mich fühlte. Ich sagte, »ganz gut«, fragte mich jedoch dauernd, wann es passieren würde, wann er nun meine UFO-Geschichte als falsch darstellen würde. Doch das tat er überhaupt nicht. Er versuchte es nicht mal. Er sagte mir nur immer wieder, daß ich mich selbst kenne und daß ich es selbst fühlen muß. Und dann, nach einigen Monaten in der Therapie, fing ich an, mich selbst zu fühlen, und alles, was außerhalb meines realen Selbst war, allmählich zu vergessen. Und das ist so ungefähr alles, was passierte.

Ich begann die Hupsignale irgendwie zu fühlen und zu wissen, daß sie nicht mir galten. Ich konnte einen scharfen Schmerz fühlen, der immer in mir gewesen war. Das wurde bald zu einem größeren Problem als die UFO-Leute. Ich konnte ihn nicht richtig fühlen, denn jedes Mal, wenn ich es tat, wurde ich ohnmächtig oder hatte ungeheure Schmerzen. Ich wollte ihn nicht wirklich fühlen, denn es war mehr als ich verkraften konnte.

Nach drei oder vier Wochen in dieser Therapie hatte ich meine Angst vor den UFO-Leuten zu neunzig Prozent verloren. Ich war mir nicht mehr ganz sicher, ob die ganze Geschichte tatsächlich stimmte oder nicht, aber ich war froh, keine Angst mehr zu haben. Und langsam löste sich auch die restliche Angst auf. Ich flog nach Hause zurück und fuhr dann mit dem Wagen wieder nach Los Angelos. Meinen 45er ließ ich zurück. Ich schlief draußen, mitten unter freiem Himmel, und nichts passierte. Es war so großartig, diese Angst los zu sein. Es war so großartig! Dabei fing mein Kampf mit der Angst gerade erst an. Immer ist es Papi! Er hat mir immer Angst gemacht.

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Ich werde vor dir keine Angst mehr haben, Papi! Ich werde keine Angst haben! Allmählich tritt die Angst in den Hintergrund, die Angst vor allem — vor Frauen, Männern, Partys, Menschen, davor, das zu tun, was ich tun möchte, so zu sein, wie mir zumute ist, und die Angst vor meinem Vater. Es tut weh, es tut einfach immer weh. Ich will nicht, daß es weh tut. Ich will meine Mami! Ich will nicht allein sein. Hab mich lieb Mami, bitte hab mich lieb.

Jetzt sind sie fortgegangen und haben mich allein gelassen. Wenn ich an sie denke, sehe ich meinen Vater vor mir. Er ist meine wirkliche Angst. Die Primärtherapie hat mir meine Gefühle wiedergegeben. Früher, wenn ich Angst hatte, mit einem Mädchen zu sprechen, hätte ich meine Angst nie zugegeben; jetzt fühle ich die Angst. Sonst habe ich mir immer andere Lösungen ausgedacht, Auswege, um die Angst zu umgehen, zum Beispiel essen oder etwas anderes tun. Aber die einzige Lösung, die für mich wirklich ist, ist, Angst zu haben und die Angst zu fühlen. Ich habe Angst. Das bin ich. Mit meinen Gefühlen zu sein, fühlt sich richtig gut an - ich lasse sie fließen, wie sie gerade kommen. Meinen alten Kram habe ich so lange mit mir herumgeschleppt, daß es schwer ist, ihn durch das wirkliche Ich zu ersetzen. Manchmal habe ich mehrere Tage ohne ein einziges Urerlebnis, und dann kommt wieder ein Tag, an dem ich den ganzen Tag lang Urerlebnisse habe. Früher oder später kommt das wirkliche Ich durch, das beschissene Ich, das ich immer versuche, nicht anzusehen, zu ignorieren, zu überspielen, um alles in der Welt nicht zu fühlen. Und das ist ein gutes Gefühl. Es ist, als ob du den Teil deiner selbst, den du überhaupt nicht magst, am liebsten magst, weil es sich nicht ändert und du dich darauf immer verlassen kannst. Die Primärtherapie hat mir einfach gezeigt, was das war. Aber obwohl ich es kenne und weiß, wie es sich anfühlt, tut es doch weh, es zu fühlen, und darum versuche ich oft, es zu überspielen - und das ist ein beschissenes Gefühl.

Ich bin unter anderem darum aus der Therapie ausgestiegen, weil ich das Gefühl hatte, daß ich mich zu stark auf die thera­peutischen Sitzungen verließ, um zu meinen Gefühlen zu gelangen. Fühlen wurde für mich gleichbedeutend damit, meinen Schmerz zu fühlen, und dort hinzugelangen tut weh. Ich wollte von diesem ständigen Leiden herunterkommen. Ich wollte sehen, wie es ohne die Gruppensitzungen ging. Nachdem ich aus der Behandlung ausgestiegen war, hatte ich jeden Morgen zwei- bis dreistündige Urerlebnisse.

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Da war so viel Scheiß, der raus mußte, und ich wollte ihn so schnell wie möglich raus haben. Ich hatte den Eindruck, das würde nie ein Ende nehmen mit mir, und so hörte ich eines Tages einfach auf und hatte mehrere Wochen lang überhaupt keine Urerlebnisse mehr.

Ich hatte immer angenommen, an der Therapie gebe es etwas zu verstehen, es gebe ein bestimmtes Wissen, über das man verfügen mußte, ehe man wieder ganz »in Ordnung« sein könnte. Die Therapeuten schienen mir eine Art Lehrer zu sein. Je häufiger ich zu Gruppensitzungen ging und je häufiger ich mich mit den Therapeuten unterhielt, um so mehr müßte ich doch von diesem vermeintlichen Wissen erlangen. Ich wollte, daß sie es mir beibrachten. Ich wollte wieder »normal« sein, hatte aber das Gefühl, es nicht sein zu können, solange ich ihr Wissen nicht hatte. Ich bemühte mich immer wieder aufs neue und hatte das Gefühl, mehr und mehr zu verstehen, war mir jedoch nie ganz im klaren, was ich eigentlich verstehen sollte. 

Ich brach die Behandlung schließlich ab, weil ich dachte, mir fehlte für die Therapie das »Verständnis«, das ich haben wollte. Aber ich meinte, wenn ich weiterhin Urerlebnisse hätte und wenn ich sie erzwingen müßte, daß ich es mir dann irgendwie selbst beibringen könnte. Das war zwar nicht ganz so gut, als würde ich es von anderen lernen, aber es war das nächstbeste. Erst als ich mit meinen allein erlebten allmorgendlichen Urerlebnissen aufhörte, zu denen ich mich gezwungen hatte, einerlei ob ich gerade etwas fühlte oder nicht, begann ich zu verstehen und zu fühlen, daß es nie etwas gegeben hatte, was ich verstehen oder lernen mußte. Erst nachdem ich aufhörte, Urerlebnisse zu erzwingen, anstatt sie sich im Innern entwickeln zu lassen und zu warten, bis ich vielleicht Tage später explodierte, begriff ich, was es mit der Primärtherapie wirklich auf sich hatte. Daß meine Explosionen, völlig natürlich und durch keinen Therapeuten geschürt, genau das waren, was es mit der Primärtherapie auf sich hatte.

Ich sah, daß meine Versuche, die Therapie zu verstehen, nichts anderes waren als meine Art, meine Gefühle loszuwerden. Ich wollte meine Gefühle heraus denken anstatt sie heraus zu fühlen, was schmerzhafter war. Indem ich den Schmerz durch meinen Verstand umging, umging ich auch die angenehmen Seiten meiner Gefühle. Ich konnte mich nie richtig wohl fühlen, solange ich mich in meinem Kopf versteckte.

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Es ist mir sehr schwergefallen, aus meinem Kopf heraus in meinen Körper zu gelangen, und selbst jetzt noch überspielt mein Verstand viele meiner Gefühle, aber ich habe jetzt sehr viel häufiger Urerlebnisse. Ich halte nicht mehr so viel und so lange zurück. Ich hatte früher immer das Gefühl, man erwarte von mir, daß ich Urerlebnisse habe, so wie man von mir, als ich noch zur Schule ging, erwartete, daß ich arbeite.

Es war nicht so sehr, um den Therapeuten zu gefallen, daß ich glaubte, ich »müsse« Urerlebnisse haben. Es geschah, um Papi — in Gestalt der Therapeuten — zu gefallen. Daß ich versuchen sollte, den Therapeuten zu gefallen, war für mich eindeutig verrückt, daß ich jedoch versuchte, Papi zu gefallen, erschien mir keineswegs verrückt. Nur wußte ich, ich konnte Papi nicht gefallen. Ich hörte auf, Urerlebnisse zu haben, weil ich es wollte. Ich tat es ja doch nur, um jemandem zu gefallen, und das war genauso verrückt wie unmöglich. Und dann begannen sie, sich einfach zu ereignen. Ich hatte Schmerzen. Ich wollte weinen. Ich. Ich. Ich. Ich wollte ich sein. Ich wollte mir selbst und nicht einem anderen gefallen. Das habe ich vor der Primärtherapie noch nie getan oder gefühlt. Und doch war das ich, das war nur ich, der da fühlte und handelte, für keinen anderen als für mich.

Da gab es gar nichts zu verstehen, die versuchten gar nicht erst, mir irgend etwas beizubringen. Es gab nichts als mich, mich zu fühlen, für mich. Das hätte ich vor der Primärtherapie für verrückt gehalten. Es hätte mir Angst gemacht. Jetzt möchte ich mehr ich sein, ich sein, aber ich habe noch einen langen Weg zu gehen. Ich weiß nicht, ob es da ein Ende gibt. Es ist nichts als Fühlen, doch dieses jeden Tag »einfach fühlen« beinhaltet täglich mehr. Je mehr ich fühle, um so mehr gibt es für mich zu fühlen. Das, was mich zurückhält, ist Angst. Angst zu fühlen. Papi, mach mir keine Angst! Ich werde keine Angst mehr vor dir haben! Nie mehr!

Ich lebe jetzt für mich allein, und ich habe einen Job. Ich habe keine Freunde in der Nähe, und ich fühle mich oft einsam. Ich möchte mit anderen Menschen Zusammensein, aber ich habe oft Angst. Doch nicht immer. Ich glaube nicht mehr, daß ich verrückt bin oder daß bei mir irgend etwas nicht stimmt. Ich habe Angst, das ist alles. Ich möchte, daß mich alle mögen. Das ist es! Alles, was ich sagen kann, ist, daß ich manchmal keine Angst habe. Und das ist wirklich schön. Außerdem werde ich mit der Zeit ganz allmählich immer etwas weniger ängstlich. Mein Schneckenhaus öffnet sich langsam und immer häufiger, für kurze Zeitspannen existiert es manchmal überhaupt nicht mehr.

Zwischen meinen Gefühlen gibt es keine Unterschiede — jedes ist ebenso wichtig wie das andere. Sie unterscheiden sich in ihrer Intensität, aber das ist meine eigene Wahl. Jeden Augenblick des Tages gibt es nichts als Fühlen. An einigen Tagen und in einigen Situationen mag ich meine Gefühle nicht, und dann beginne ich manchmal zu denken, daß irgend etwas mit mir nicht stimmt oder daß ich wirklich verrückt bin, aber dann stellt sich immer heraus, daß es nichts ist als ich, der sich nicht mag und nicht will. Da gibt es überhaupt kein Vertun. Wenn ich mich beschissen fühle, habe ich die Wahl, entweder mich nicht zu mögen und heraus­zufinden zu versuchen, was mit mir nicht stimmt und was ich alles machen müßte, um mich zu mögen, oder aber ich kann den Schmerz einfach fühlen. Oft entscheide ich mich für den Verstandestrip und überspiele den Schmerz. Er tut verdammt weh! Ich möchte ihn nicht unentwegt fühlen. Aber früher oder später wird der Trip, es »herauszudenken«, lächerlich, und dann setzen meine Urerlebnisse ein.

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