5. Ein Drehbuch fürs Leben: Prototypischer Schmerz und seine Reaktion
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Die Einprägung früher Schmerzen in das sich entwickelnde Nervensystem des Säuglings hat zwei Folgen: erstens baut sie eine lebenslange remanente Spannung auf, und zweitens lenkt und formt sie das Verhalten auf eine besondere Weise. Das bedeutet, daß früher Schmerz sowohl unsere Physiologie als auch unsere Persönlichkeit formt. Wie wir gesehen haben, werden nicht nur die Schmerzen eingraviert, sondern es wird auch das ganze Repertoire der Reaktionen auf und Abwehren gegen die Schmerzen eingeprägt.
Die frühen Schmerzen werden als Prototypen und die ursprünglichen Reaktionen auf die Schmerzen werden als prototypische Reaktionen eingeprägt. Ein in das sich entwickelnde Gehirn eingravierter Schmerz hat eine Furche (oder einen Model, eine Schablone) geschaffen, so daß die Reaktion auf diesen Schmerz als eingravierte Tendenz oder als Schema zurückbleibt.
Wenn daher eine gegenwärtige Situation die frühen (prototypischen) Schmerzen auslöst, werden ebenso auch die ursprünglichen (prototypischen) Reaktionen aktiviert. Deshalb kann ein geringer Streß im Erwachsenenleben eine schwere Migräne, einen Asthma-Anfall oder einen heftigen Wutausbruch verursachen. Wir sehen nicht den prototypischen Schmerz, der durch den Streß ausgelöst wird, sondern wir sehen die Reaktion. Der Wutausbruch oder der Asthma-Anfall ist nicht der Schmerz selbst, sondern die Reaktion darauf. Der Schmerz ist in der Reaktion enthalten.
Je größer die Valenz des prototypischen Schmerzes ist, desto weniger stark brauchen die äußeren Reize zu sein, die ihn freisetzen. Deshalb kann das kleinste Hindernis im Leben, zum Beispiel das Erlebnis, längere Zeit vor einem Auszahlungsschalter Schlange stehen zu müssen, jemanden, der prototypisch ungeduldig ist, so ungeduldig machen, daß er sich nach vorn zu drängen versucht oder einen zweiten Kassierer verlangt.
Der Trauma-Zug
Ich habe den Begriff des Trauma-Zugs an anderer Stelle erläutert, aber ich will ihn hier noch einmal kurz erklären, weil er uns hilft, prototypische Reaktionen zu verstehen.
Der <Trauma-Zug> ist eine Metapher für die Kette von Ereignissen, die sich durch die ganze Geburtsperiode erstreckt, auf eine bestimmte Weise endet und charakteristische Reaktionen bewirkt. Die Art, in der die Geburt endet, wird als prototypischer Schmerz eingraviert, und die Reaktion des Säuglings auf den Schmerz wird zur prototypischen.
Wenn der Geburtskanal sehr beengend war und der Fetus kämpfen mußte, um auf die Welt zu kommen, wird die charakteristische lebensrettende Reaktion (das Ende des Trauma-Zugs) Kampf, Aggressivität, Wut und Tatkraft sein. War der Fetus bei der Geburt stark narkotisiert und konnte er absolut nichts tun, außer zu atmen zu versuchen, so kann die lebensrettende Reaktion Resignation, Passivität und — noch nicht begriffliche — Empfindungen (Feelings) von Sinnlosigkeit und Verzweiflung sein. Die Kontinuität der Reaktionen ist durch die Erinnerungsspur gegeben.
Die Kette von Ereignissen um das Geburtstrauma herum ist wichtig für die Bestimmung der späteren Persönlichkeit, aber das Ende des Zuges — das heißt die Art, wie die Geburtssequenz endet — scheint von erstrangiger Bedeutung zu sein, denn dieses Ende wird permanent fixiert. Es ist ein sehr großer Unterschied, ob wir in der »kämpferischen« oder in der »passiv sterbenden« Einstellung aus dem Zug aussteigen, denn das Gehirn scheint zu diesem Zeitpunkt besonders anfällig dafür zu sein, eine solche Information als eine Art von permanentem Programm für den Rest unseres Lebens zu drucken. (Wie ich an anderer Stelle zeige, scheint es eine Gruppe von Neuronen zu geben, die nur einmal zu lernen imstande sind; diese Neuronengruppe reagiert auf die Bedingungen am Ende des Zuges und hält dann diese Reaktion unser ganzes Leben lang fest.)
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Kontext und Prototyp
Die Reaktion, die für den Säugling bei der Geburt lebensrettend war, wird ohne Rücksicht auf den Kontext beibehalten und bildet später die Grundlage für eine Neurose. Dabei ist es jedoch wichtig zu verstehen, daß die prototypische Reaktion selbst nicht neurotisch ist. Sie wird neurotisch, weil sie in Situationen andauert, wo sie nicht mehr angemessen ist.
Beispielsweise war eine Konstriktion der Bronchien richtig, um das Leben vor all der Flüssigkeit während des Geburtsprozesses zu retten. Aber eine Verengung der Bronchien und Asthma als Reaktion auf einen Streit zwischen den Eltern einige Jahre später wird lebensgefährdend.
Das gilt für die meisten prototypischen Reaktionen: sie verkehren sich später in ihr Gegenteil und werden selbstzerstörerisch, weil sie einfach nicht in den Kontext passen. Bei der Geburt zurückgehalten zu werden, weil der Arzt noch nicht bereit ist, ist eine übliche Praxis. Das Vorwärtsdrängen, das Zurückgehaltenwerden und die daraus resultierende Frustration und Wut können leicht prototypisch werden. Als Erwachsener kann sich dieser Mensch in Projekte stürzen, nur um von anderen, ängstlichen Personen zurückgehalten zu werden. Hier wird das Vorwärtsdrängen und Zurückgehaltenwerden unbewußt die Geburtssequenz wiedererwecken, und das Ergebnis werden übertriebene Wut und Ungeduld sein. Oder das aggressive, drängende Verhalten, das einen aus dem Geburtskanal herausbrachte, kann zum vorzeitigen Tod durch Überarbeitung führen oder persönliche Beziehungen außerordentlich schwierig gestalten. Ebenso kann die prototypische Reaktion der Passivität als lebensrettende Taktik das Erwachsenenleben lahmen. Sie hemmt den Drang, nach etwas zu streben, etwas zu leisten, Erfolg zu haben, motiviert zu werden.
Entscheidend ist, daß das Trauma im System fixiert wird durch die Veränderungen der Biochemie und der Gehirnfunktion, die das Geburtstrauma begleiten. Das prototypische Trauma wird physiologisch eingeprägt, und es ändert sich nie, so sehr man es auch will, so viel Ermahnung oder Ermutigung man erhält oder so viel konventionelle Psychotherapie man auch durchmacht.
Tatsächlich besitzen wir viele alltägliche Beispiele für Verhalten, das auf dieselbe Weise dauerhaft ist wie das prototypische Verhalten.
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Jeder, der Golf oder Tennis spielt, weiß, wie wichtig die ersten Versuche sind. Sobald man sich einmal einen falschen Schlag angewöhnt hat, ist es sehr schwer umzulernen. Das ursprüngliche Lernen scheint ein eigenes Leben anzunehmen, das jedem neuen Lernen Widerstand leistet. Und je wichtiger das erste Lernen für das Überleben ist, desto mehr widersetzt es sich der Veränderung. Wenn das Lernen in den ersten Lebensminuten stattfindet, kann man seine Wirkungsdauer leicht verstehen.
Neurose und der Prototyp
Der Begriff des prototypischen Verhaltens hilft, sowohl die Intensität als auch die Komplexität der Neurose zu erklären. Die Intensität neurotischen Verhaltens geht auf die ursprüngliche Überlebensfunktion der prototypischen Reaktion zurück, und die offensichtliche Komplexität neurotischen Verhaltens — seine vielen Formen und Manifestationen — erklärt sich aus der Weiterentwicklung der einfachen prototypischen Reaktionen zu sehr komplizierten Verhaltensweisen. Sie kommt dadurch zustande, daß jede neue Bewußtseinsebene ihre Rolle dabei spielt, »sichere« Methoden der Entladung des prototypischen Schmerzes zu finden.
Was am prototypischen Verhalten vor allem verstanden werden muß, ist, daß es eine Erinnerung an den Beginn der Neurose ist. Alle späteren Ausarbeitungen und Manifestationen können letzten Endes auf diesen Beginn zurückgeführt werden. Deshalb muß die Auflösung der Neurose eine Rückkehr zum entstehenden Prototyp umfassen, nicht eine nutzlose Reise durch das Trugbild der Symptome und Entstellungen, in denen sich dieser Prototyp manifestiert.
Die Auflösung des Prototyps löst automatisch die Symptome der Neurose auf, aber es geht nicht umgekehrt: die »Auflösung« neurotischer Symptome löst nie den Prototyp auf. Er bleibt intakt, und die Last fällt auf die verschiedenen Bewußtseinsebenen, um noch neuere Wege zu finden, die Energie aus dem eingeprägten Schmerz abzulassen.
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Das sympathische und das parasympathische System
Der Prototyp des Geburtstraumas verschiebt das ganze System fürs Leben in eine von zwei Hauptrichtungen: entweder im Sinne einer aggressiven, mobilisierten oder im Sinne einer passiven, immobilisierten Tendenz. Jede dieser Tendenzen wird von einem anderen Teil des autonomen (vegetativen) Nervensystems gesteuert: dem sympathischen oder energieverbrauchenden System und dem parasympathischen oder energieerhaltenden System. Beide Systeme sind Modi der Stoffwechselregulierung und werden vom Hypothalamus beherrscht.
Das sympathische System ist das Arbeitspferd. Es stimuliert, mobilisiert, alarmiert und weckt, verbraucht Energie und steigert die Tätigkeit der Organsysteme. Es erhöht die Temperatur und andere vitale Funktionen wie den Herzschlag und den Blutdruck. Es vermehrt die Harnproduktion, kann Darmspasmen hervorrufen und die Eingeweide aufwühlen. Dieses System reguliert den peripheren Blutkreislauf, so daß bei Angstzuständen Hände und Füße kalt sind und das Gesicht blaß wird. Es ist auch das System, das die Sekretion der Steroide, der Streßhormone auslöst. Es bewirkt nervöses Schwitzen und einen trockenen Mund, hohen Muskeltonus, eine gespannte Gesichts- und Backenmuskulatur und eine höhere Stimme. Es ist die Triebkraft impulsiven Verhaltens. Es weckt die Wachsamkeit und drängt eher zu einer Externalisation des Verhaltens als zu einem Nachdenken über die Ereignisse.
Das parasympathische System als Energieerhalter dominiert im Gefühlsleben, im Tiefschlaf und bei völliger Entspannung. Es ist zuständig für die anabolen oder aufbauenden Prozesse und dient dazu, die vitalen Funktionen zu senken. Es erweitert gewisse Gefäße, so daß die Haut warm ist, die Augen und der Mund feucht sind, die Muskeln entspannter, die Stimme tiefer wird und die Bewegungen sich verlangsamen. Parasympathische Reaktionen herrschen vor in Ruhe- und Erholungsperioden nach Streß.
Ein gesunder Mensch lebt im richtigen Gleichgewicht zwischen den beiden Zuständen, so daß sich die Zyklen regelmäßig abwechseln. Dieses Gleichgewicht kann jedoch durch frühe schmerzhafte Ereignisse gestört werden, und danach herrscht das eine oder das andere System vor.
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Eine Persönlichkeitstheorie
Die Bedeutung der sympathisch-parasympathischen Dominanz liegt darin, daß sie uns eine biologische Grundlage für das Verständnis der Persönlichkeitsentwicklung liefert. Wir können endlich auf Abstraktionen und Metaphern verzichten und die extravaganten Spekulationen durch die Präzision nachprüfbarer Prozesse ersetzen. Wir brauchen nicht mehr vom »Willen zur Macht« oder vom »Willen zur Bedeutung« oder von der »transzendenten Funktion« als theoretischen Grundlagen der Persönlichkeit zu sprechen. Statt dessen können wir über die präzisen Reaktionen des Gehirns und des Nervensystems auf konkrete Ereignisse sprechen — und darüber, wie diese Reaktionen zur physiologischen Grundlage für die Entwicklung der Persönlichkeit werden.
Ereignisse in der späteren Kindheit können offensichtlich sehr viel mit der Persönlichkeit zu tun haben, aber in den meisten Fällen ist es das Geburtstrauma, das die lebenslange prototypische Dominanz entweder der sympathischen oder der parasympathischen Funktionsweise festlegt. Konzentrieren wir uns für den Augenblick auf das Geburtstrauma.
Wann endet das Trauma? Befindet sich der Säugling gerade im sympathischen oder im parasympathischen Modus? Endete das Trauma, als der Kampf noch im Gange war oder als der Körper des Säuglings zu versagen und zu sterben begann? Endet es kurz nach seinem Beginn oder nach vielen Stunden der Agonie? Und wie hört es auf? Plötzlich oder im Laufe einer längeren Zeit?
Entscheidend ist auch die Art des Traumas. War es eine Überdosis eines Anästhetikums? Eine Steißgeburt? Waren es zu lange, schwere Wehen? Verläßt das Kind den Trauma-Zug beinahe tot vor Medikamenten und muß es durch Eiswasser, Medikamente, kräftige Klapse etc. wiederbelebt werden? Wird es durch einen Kaiserschnitt herausgehoben? Oder wird es noch um sein Leben kämpfend geboren? Hat es gekämpft und verloren, gekämpft und gewonnen? Gar nicht gekämpft? War es dem Tode nah oder einen Augenblick lang regelrecht klinisch tot? All das wird seine spätere Persönlichkeit zu einem großen Teil bestimmen.
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Wie kommt es dazu? Dadurch, daß das sympathische und das parasympathische System die Substruktur bilden, aus der sich Ideen, Einstellungen, Wertsysteme, Interessen, die emotionale Stimmung, der Geschlechtstrieb, die Körperform, Ehrgeiz, Tatkraft und viele andere psychologische Charakteristika ableiten. Die prototypische Dominanz bestimmt die Grenzen unseres Verhaltens und unserer Persönlichkeit. Sie bestimmt, was wir aus der Umwelt wählen, um darauf zu reagieren, und treibt uns ständig dazu, unsere Vergangenheit in der Gegenwart auszuagieren. Das rührt daher, daß die Dominanz eine eingravierte Reaktionstendenz ist, aber da ihre Ursache — das Geburtstrauma — unbewußt ist, fahren wir einfach fort, sie zu projizieren und zu reproduzieren.
Wir agieren die Sequenz unseres Geburtstraumas exakt aus, so wie sie stattgefunden hat, vom Anfang bis zum Ende. Ein Patient, zum Beispiel, der den Austritt aus dem Geburtskanal nicht aus eigener Kraft schaffte, bringt sich immer in Situationen, in denen er nichts ordentlich zu Ende führen kann. Eine Patientin, die durch Kaiserschnitt zur Welt kam, kann es nicht dulden, daß ein anderer festsetzt, wann sie zu kommen und zu gehen hat. Jeder der beiden agiert ein Leben sozialer Erlebnisse aus, die sich auf den prototypischen Schmerz und die prototypischen Reaktionsschemata gründen — er, der seine Geburt nicht ordentlich beendete; sie, die in bezug auf den Zeitpunkt ihrer Geburt nicht »mitzureden« hatte.
Betrachten wir nun im einzelnen die Persönlichkeitsprofile, die sich aus der sympathischen und aus der parasympathischen Dominanz bei der Geburt ergeben. Wir müssen freilich bedenken, daß die meisten von uns weder reine Sympathen noch reine Parasympathen sind. Wir vereinigen die Eigenschaften beider, neigen aber doch mehr zu dem einen oder dem anderen Typ. Die Bestimmung dieser Neigung oder Tendenz ist mehr als eine bloße Klassifikation. Sie zeigt an, daß jemand eher für einen bestimmten Typ von Krankheit anfällig ist als für einen anderen, und sie sagt uns viel darüber, wie sich ein Mensch unter Streß zur Wehr setzen wird.
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Der Sympath
Lange, schwere Wehen sind üblich bei der Geburt eines Sympathen. Aus einer Reihe von Gründen neigt die Mutter dazu, angespannt zu sein, und sie kann ihr Kind nicht »loslassen«. Sie mag nicht bereit sein, ein Kind zu bekommen, und ihr System erkennt das und zögert die Geburt so lange wie möglich hinaus. Unterdessen kämpft der Fetus um sein Leben, er kämpft darum hinauszukommen. Er hat seine Bereitschaft, geboren zu werden, durch den Ausstoß bestimmter Hormone signalisiert.
Aber eine neurotische Mutter kommuniziert, auch auf dieser unbewußten Ebene, nicht gut mit ihrem Kind und hat die Botschaft nicht richtig aufgenommen. Das System der neurotischen Mutter befindet sich in einem Konflikt; es versucht loszulassen und hält doch gleichzeitig zurück. Der Fetus wird gequält. Er muß gegen unüberwindliche Hindernisse um sein Leben kämpfen. Nach vielen erschöpfenden Stunden gelingt ihm der Weg nach draußen — und dann wird er mit Schlägen zum Leben gebracht und von seiner Mutter getrennt. Was hat das Neugeborene aus all dem gelernt? Welche sind seine prototypischen Verhaltensweisen? Es gibt viele Möglichkeiten. Das Kind, das stundenlang arbeitet, um aus dem Geburtskanal herauszukommen, ist ganz für das Überleben mobilisiert, so daß dieser Mobilisierungszustand permanent wird. Es hat gelernt, gegen große Schwierigkeiten anzukämpfen. Es hat gelernt, um das zu kämpfen, was es braucht. Es hat gelernt, daß aggressive Reaktionen entscheidend sind, daß man sich nicht einfach gehenlassen und auf Erfolg hoffen kann.
Dies ist ein Lernen, bei dem niemand das Kind lehrt; und es ist beim Neugeborenen selbstverständlich nicht in Begriffe gekleidet, wie ich es soeben getan habe. Aber das Kind hat aus seiner Erfahrung gelernt — und dieses Lernen trägt es in seinem Körper. Es ist ein »Sympath« geworden. Sein sympathisches System ist als die prototypische lebensrettende Reaktion eingeprägt worden. Seine Physiologie wird dazu tendieren, »hyper« zu sein: rascher Puls, hohe Körpertemperatur, hohes bis überhohes Energieniveau (Schilddrüsenüberfunktion) und rasche Reaktionen. Die psychologischen Reaktionen — erhöhte Aggressivität, Impulsivität und Reizbarkeit — ergänzen die Physiologie.
Der erwachsene Sympath ist im allgemeinen optimistisch. Er hat gelernt, seine Aggressivität in feinere, akzeptable Formen zu kleiden. Er ist gewiß, daß die Zukunft gut sein wird, wenn er sich genug Mühe gibt, denn so war es ursprünglich auch gewesen. Dieser Faktor kann ihn zum Phantasten machen.
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Da der reine Sympath jemand ist, der schließlich seinen Kampf gewann, hat er mit der größten Wahrscheinlichkeit die Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen, der ausdauernd, ehrgeizig, fleißig, erfolgsorientiert, energisch ist und wenig oder gar keine Neigung zur Depression hat. Vielleicht wird er ein rühriger Verkäufer, der bei einem Kunden kein »Nein« gelten lassen kann. Er wird keine Hindernisse anerkennen — ein prototypisches Verhalten, das sein Leben angesichts des größten Hindernisses rettete, mit dem er es je zu tun hatte. Er wird anderen lästig sein, weil er nicht locker läßt — so wie er während seines Geburtskampfes nicht lockergelassen hat. Er kann ein Spieler sein, im Geschäftsleben und am Spieltisch, weil er darin eine Methode sieht, gegen einen Nachteil zu kämpfen, und er wird dazu neigen, um so mehr zu spielen, wenn er weiß, daß er im Nachteil ist. Er stellt die prototypische Situation wieder und wieder her, um die gleichen Reaktionen zu haben und versuchen können zu gewinnen. Der Prozeß ist völlig unbewußt.
Wenn wir morgens aufwachen, funktionieren wir noch auf den niederen Bewußtseinsebenen und sind daher unseren prototypischen Feelings näher. Der Sympath erwacht meistens in einem mobilisierten Zustand, bereit, der Welt zu begegnen. Er springt aus dem Bett, weil er im sympathischen Modus aufwacht wie damals bei der Geburt. All seine Weckhormone einschließlich des Kortisolspiegels nehmen rasch zu.
Dieser Menschentyp arbeitet gut unter Druck. Er bricht darunter nicht zusammen, wie es einem Parasympathen geschehen kann. Er braucht den Druck sogar. Er schafft ihn, wenn er nicht vorhanden ist, denn unter Druck zu stehen, ist eine eingeprägte Erfahrung. Für den Sympathen ist es unbewußt lebensrettend, fortwährend in Bewegung zu sein. Er mußte sich bei der Geburt den Weg ins Freie erzwingen, oder der Tod wäre die Folge gewesen. Jede Sekunde war eine Frage von Leben oder Tod. Das System »erinnert« sich an diese lebensrettende Situation und setzt sie ohne Rücksicht auf die späteren Umstände fort.
Auch alltägliche Situationen rufen die Reaktion des »Handelns oder Sterbens« hervor. Der Sympath kann, zum Beispiel, warten, bis der Kellner schon am Tisch erscheint, bevor er beschließt, was er bestellen will. Er trifft dann seine Wahl unter Druck. Oder er wartet bis zur letzten Minute, wenn er abends ausgeht. Oder er wartet bei der Arbeit oder beim Studium, bis der Teroün heranrückt und ihm kaum noch Zeit bleibt. Dann erst wird er aktiv.
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Die Tendenz, unter Druck zu arbeiten, ist prototypisch. Aber die Form, die sie annimmt, hängt von späteren Erfahrungen ab, ebenso die Stärke der Reaktion. Wenn der Sympath als Kind gezwungen wurde, rechtzeitig vorbereitet zu sein, wenn man ihm nicht erlaubte, alles bis zur letzten Minute aufzuschieben, ist die Tendenz zur Verschleppung nicht so offenbar. Vorhanden sein wird sie jedoch immer. Sobald einmal das Trauma eingetreten ist, ändert es den Stoffwechsel fürs Leben. Man ist dann gezwungen, sich eine Welt aufzubauen, die zu diesem Stoffwechsel paßt. Der Sympath geht sehr schnell, weil sein innerer Motor läuft. Er spricht schnell aus dem gleichen Grunde. Da er ständig seine Energie abläßt, wird ihm der zugrunde liegende Urschmerz nicht bewußt.
Entspannung ist für die meisten Sympathen eine Bedrohung. Wirkliche Ruhe ist für sie unerreichbar. Da ihr Herzschlag und die allgemeine Stoffwechselrate hoch sind — der Puls liegt vielleicht ständig über 80 —, wird ein dialektischer Prozeß in Gang gesetzt. Der raschere Stoffwechsel diktiert eine extra vertierte Persönlichkeit, die ihrerseits wiederum einen rascheren Stoffwechsel diktiert. Das eine nährt das andere, und zusammen synthetisieren und prädeterminieren sie den Physiotyp, eine Persönlichkeit, einen Lebensstil — und eine Lebensspanne.
Es folgen Berichte von zwei Patienten, die mehrere für Sympathen typische »Themen« behandeln. Im ersten Bericht sehen wir eine Frau, die einen großen Teil ihres Lebens damit verbracht hat, dem ständigen Druck in ihr zu entgehen, indem sie buchstäblich von Ort zu Ort zog und zu viel trank:
»Als ich in Los Angeles war, konnte ich es nicht erwarten rauszukommen. Ich fühlte mich überwältigt durch die Situation, in der ich mich — persönlich und beruflich — befand, daher war eine Reise alles, woran ich denken konnte. Aber als ich dann endlich unterwegs war, hatte ich immer noch dasselbe Gefühl, daß ich raus mußte, wo immer ich war — so wie ich es in Los Angeles gefühlt hatte.
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Zuerst hatte ich immer ein Gefühl der Erleichterung, wenn ich irgendwo ankam, denn ich hatte tatsächlich das Feeling ausagiert und war weggefahren. Aber wenn ich dann eine Weile dort gewesen war, kam das Feeling wieder hoch, und ich konnte nichts anderes denken als: weg. Die einzige Erleichterung, die ich gestern hatte, war der Kauf einer Fahrkarte im Reisebüro, was bedeutete, daß ich weiterfuhr. Ich wußte, daß es nur eine vorübergehende Erleichterung sein würde, aber das war besser als nichts.
Es hat etwas mit der täglichen Routine zu tun, in der es keine Bewegung, keine Veränderung gibt. Routine ist für mich eine tote Umgebung, und sie macht mich sehr ängstlich. Ich habe immer gern mit dem Atemgerät getaucht, es war eine Art, dieses Gefühl der Stagnation zu vermeiden: ich konnte in diese flüssige Situation (das Wasser) kommen und mich umherbewegen und mein Bewußtsein ändern. Aber was ich auch tat, der Druck war immer da; sobald ich aufhörte, mich zu bewegen, schwappte er über und überwältigte mich.
Es scheint ganz gleich zu sein, was für eine Situation es ist - mit einem Freund, einem Ort, einem Job -, ich muß raus, fortgehen, etwas anderes tun. Ich dachte, ich hätte meinen Job satt, aber es war dieses alte Feeling, das wieder heraufkam und mich dazu trieb, mich auf das Äußere zu konzentrieren, weil ich nicht wußte, was da drinnen war, was hochkam. Ich glaube, wenn ich für das, was in mir vorgeht, keinen Fokus in der Gegenwart hätte, würde ich wahrscheinlich explodieren. Ich muß etwas mit diesem Feeling anfangen. Wenn man nicht weiß, wofür es ist, muß man es in der Gegenwart rationalisieren.
Bis ich diesen Feelings nahekam, hatte ich keine Ahnung, daß mein ständiges Umherziehen eine Art von Ausagieren war. Jetzt scheint es, daß ich von einem Ort zum nächsten und wieder zum nächsten gehen und immer noch Angst haben mußte, bevor mir klar wurde, daß es etwas in mir war. Ich nehme an, dasselbe gilt für Leute, die Angst davor haben umherzuziehen und deshalb an einem Platz bleiben. Solange sie an einem Platz bleiben, werden sie nie erfahren, wieviel Angst sie vor dem Fortgehen haben. Sie beherrschen ihre Angst, indem sie sich nicht vom Fleck rühren. Ich beherrsche meine, indem ich weiterziehe!
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Ich benutzte das Trinken als eine andere Methode, von dem Druck wegzukommen und mein Bewußtsein zu <ändern>. Betrunken zu sein, half, meinen Geist auszulöschen; es schaltete mein Gehirn ab und ließ mich in einem Nebel und Dunst leben, ohne zu wissen, was wirklich nicht mit mir stimmte. Die große Attraktion der Bewußtlosigkeit war für mich Befreiung von dem Druck. Der Druck war immer eine körperliche Empfindung für mich, und ich mußte etwas Körperliches tun, um ihn zu vertreiben. Das Trinken war eine Möglichkeit, Bewegung eine andere.
Ich verbrachte mein Leben damit, Frieden zu suchen, und bekam doch immer das Gegenteil. Ich sehe jetzt, daß ich immer Bewegung suchte, weil ich diesen Frieden nie hatte, und ich konnte ihn nicht aushallen. Die Ironie ist, daß mich wirklicher Friede wahrscheinlich umgebracht hätte. Eine friedliche Umgebung würde nicht zu dem gepaßt haben, was in mir war, und das war sehr viel Unruhe. Ich tat statt dessen immer Dinge, die zu dem Aufruhr in mir paßten.«
Im zweiten Bericht sehen wir einen jungen Mann, der sein ganzes Leben lang dazu getrieben wurde, die Dinge »auf die schwierige Art« zu tun. Sein ständiger innerer Druck ließ ihn unaufhörlich kämpfen — ohne oder mit nur geringem Erfolg:
»Ich bin 32 Jahre alt und begann vor ein paar Jahren mit der Therapie. Ich bin breitschultrig und habe einen muskulösen Körperbau. Auf der High School war ich gut in allen Pflichtfächern, aber in der intensiven Atmosphäre des Colleges verbrachte ich viele hilflose Stunden vor leeren Papierbogen. Ich habe immer körperliche Arbeit gemocht, vor allem Landwirtschaft und Bauen, aber es fiel mir schwer, mir die Zeit zu nehmen, eine Arbeit ordentlich zu beenden. Ich verachtete erfolgreiche Geschäftsleute, die mit einem sorgfältig überlegten Schritt eine Menge Geld verdienen konnten.
Ich habe immer alles auf die schwierige Art gemacht — immer Steuern gezahlt, anstatt mir einen guten Buchhalter zu nehmen, um sie zu verringern oder ganz einzusparen, immer alte Wagen gekauft, in die man eine Menge Arbeit stecken mußte, anstatt mir ein anständiges neues Modell zuzulegen, das ich mir leisten konnte. Es fällt mir schwer, jemanden um Hilfe zu bitten. In meinem Beruf brachte ich mich oft in Situationen, in denen ich unter großem Druck stand, umgeben von klingelnden Telefonen, anstatt ruhig an Zeichnungen zu arbeiten (was ich am besten kann).
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Ich fühlte mich dann immer hilflos und unfähig, Entscheidungen zu treffen, und stürzte mich in unwichtige Arbeiten, anstatt mich auf das zu konzentrieren, was wirklich getan werden mußte. Ich wählte sogar die schwierige Methode, mich zu entspannen : schnelles Gehen oder, schlimmer noch, Bergsteigen!
Unlängst in einer Sitzung begann ich Geburts-Feelings der ersten Ebene zu haben, bei denen ich in unwillkürliche Reflex-Spasmen verfiel. Die Spasmen dauerten ungefähr zehn Sekunden, aber sie erschöpften mich. Was jetzt geschieht, ist, daß ich ein Feeling über ein Ereignis in meinem sehr frühen Leben bekomme, das von einer Szene begleitet wird, aber dann bleibe ich mit dem Gefühl zurück, daß da mehr dahintersteckt. Ich habe einen Druck im Kopf, und irgend etwas zu tun, kommt mir wie sehr harte Arbeit vor. Ich habe das Gefühl, als müßte ich ein großes Gewicht abschütteln oder mich durch zähen Sirup durchkämpfen, um zu überleben. In den Sitzungen schlage ich mit den Fäusten und verfalle in rhythmische Spasmen meines Oberkörpers und meiner Beine, die ähnlich, aber viel stärker sind als ein sexueller Orgasmus. Während der Spasmen stoße ich mit dem Kopf gegen die Wand. So wie beim erstenmal dauern die Spasmen ungefähr zehn Sekunden, aber ich bin dann völlig erschöpft und atemlos. Eine Szene gibt es nicht, und mir ist, als wäre ich während der Spasmen bewußtlos gewesen.
Ich habe von diesen Feelings aus viele Verbindungen hergestellt. Ich tue alles auf die schwierige Art und nehme viel körperliche Arbeit auf mich als Methode, das Feeling auszuagieren, daß ich körperlich kämpfen muß, um zu überleben. Das hat mein Leben strukturiert, solange ich zurückdenken kann. Unter Druck atme ich zu rasch und mein Herzschlag steigt, aber ich fühle mich hilflos und verworren, weil es meine >natürliche< Reaktion aufgrund des ersten Erlebnisses ist, körperlich zu kämpfen. Deshalb fällt es mir so schwer, mich hinzusetzen und ein Problem zu lösen. Ich kann nicht einfach dasitzen.
Als Folge der Verknüpfung mit diesen Feelings habe ich aufgehört, mich freiwillig für Arbeiten zu melden, die mich unter großen Druck setzen. Ich fühle mich jetzt besser imstande, ruhig dazusitzen und Probleme zu lösen; ich kann mir die Zeit nehmen, eine sorgfältige Arbeit zu verrichten, anstatt nutzlos umherzurennen. Ich bin auch besser imstande, um Hilfe zu bitten, anstatt alles auf die schwierigste Art zu tun — nämlich ganz allein.
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Wenn das Feeling, hilflos und unter Druck zu sein, aufkommt, laufe ich. Ein oder zwei Meilen zu laufen, baut oft genug von der Energie ab, um mich in den Zustand zu versetzen, wo ich eine Verknüpfung mit meinen Feelings herstellen kann. Wenn ich diese Verbindungen herstelle, habe ich auch mehr körperliche Widerstandskraft und brauche weniger Schlaf. Vor der Therapie brauchte ich regelmäßig meine acht Stunden, und jetzt fühle ich mich wohl mit nur sechs oder sieben Stunden Schlaf. Deshalb kann ich viel besser als vorher Überstunden am Abend machen.«
Der Parasympath
Die Geburt kommt für den Parasympathen dem Tode näher als dem Leben. Aus den verschiedensten Gründen — Steißlage, Strangulation, eine massive Dosis von Narkotika für die Mutter — beginnt das Kind die Geburtssequenz, und beinahe augenblicklich versagt sein Körper. In manchen Fällen kommt es für einen kurzen Augenblick sogar zum klinischen Tod. Im allgemeinen braucht das Kind eine starke Stimulierung, um überhaupt zu atmen zu beginnen.
Das Neugeborene, das nach dem Geburtskampf beinahe tot ist, verläßt den »Trauma-Zug« mit einer parasympathischen Dominanz, die fürs Leben in sein System eingeprägt ist. Seine Physiologie ist »hypo«: sehr langsamer Puls, niedrige Körpertemperatur, niedriger Blutdruck, geringes Energieniveau (Schilddrüsenunterfunktion) und langsame Reaktionstendenzen. Diese physiologischen Zustände, die das Ergebnis eines anfänglichen Traumas sind und damals lebensrettend waren, zeigen die Richtung an, wie das heranwachsende Kind reagieren wird. Hier haben wir es mit dem Kind zu tun, das sein Leben lethargisch beginnt, nicht viel weint, ein »braves« Baby ist, sehr passiv und anspruchslos. Es ist nicht zu sehen, daß der Grund für dieses »brave« Verhalten darin liegt, daß das Kind vom Trauma überwältigt ist, so überwältigt, daß es sich während des größten Teils seiner Kindheit in einem betäubten Zustand befindet. Dieses Kind hat nicht die Energie, ausgelassen, lachend, munter und aufgeweckt zu sein wie das Kind, das seinen Kampf erfolgreich bestanden hat.
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All das bestimmt nun seinerseits die Persönlichkeitsentwicklung. Die körperliche Erinnerung, daß es keine Gelegenheit zu kämpfen gab und daß die Reaktionsalternativen gleich Null waren, wird emotional und psychologisch ausgearbeitet: der reine Parasympath ist als Erwachsener mit großer Wahrscheinlichkeit passiv, phlegmatisch und pessimistisch trotz aller späteren Ermutigungen. Er ist eher verbissen, vorsichtig und konservativ und hat beinahe ständig ein Gefühl von drohendem Unheil und Furcht. Er fühlt sich hoffnungslos und verzweifelt, eben weil seine frühe Situation bei der Geburt so war. Er wartet ständig auf ein Unglück, das sich ohne sein Wissen schon ereignet hat.
Deshalb sieht der Parasympath überall ausweglose Situationen. Er projiziert unter unangebrachten Umständen Unglück und Verzweiflung, weil er fortwährend versucht, eine Wirklichkeit zu beurteilen, die einmal war, aber jetzt gar nicht mehr gegeben ist. In unserer hypothetischen Situation im Restaurant kann der Parasympath oft (aber unbewußt) Gerichte verlangen, die höchstwahrscheinlich nicht zu haben sind. In persönlichen Beziehungen kann er passiv Ablehnung provozieren, und im Beruf kann er sich ständig so verhalten, daß er versagen muß. Das sind lauter Methoden, die prototypische Botschaft zu bestätigen, daß »nichts, was ich tue, genug ist« und daß »ich das Leben nicht verdiene«.
Unter Streß neigt der Parasympath zu niedrigem Blutdruck und langsamem Puls, womit er die eingravierte Sterbereaktion repliziert. Für sich selbst betrachtet, könnten diese Symptome ein gesundes Körpersystem anzeigen. Aber die Hirnwellentätigkeit läßt eine Veränderung in Richtung einer höheren Amplitude erkennen, weil der Kortex unter Streß steht. Das bedeutet, daß der Parasympath eher dazu neigt, an Benommenheit, Ohnmächten und Schwindel sowie an Schilddrüsenunterfunktion und Hypoglykämie zu leiden. Er ist auch anfälliger für Migräne. Er kann länger leben als der Sympath wegen seiner energiesparenden Tendenzen, aber er trägt eine große Schmerzlast und eine ständige Erinnerung an körperliche Leiden oder den Tod in seinem Unbewußten mit sich herum. Er kann sogar träumen, tatsächlich tot zu sein, was der Sympath niemals tut.
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Wut baut sich beim Parasympathen langsamer auf, weil sein System physiologisch nicht darauf eingestellt ist. Es ist nicht so, wie Freud dachte, daß er die Wut nach innen gekehrt und in Depressionen verwandelt hat; es fehlen ihm vielmehr die physischen Mittel, Wut so leicht zu organisieren wie der Sympath. Das Ungleichgewicht seiner Neurotransmitter und Hormone verhindert das leichte Aufflammen von Wut, das für den Sympathen so typisch ist. Aber dies sind wiederum nicht Unterschiede in den Einstellungen, sondern tiefgehende biologische Zustände. Der Parasympath wird sie nie »überwinden« und ehrgeiziger und weniger phlegmatisch werden aufgrund von intellektuellen Entscheidungen.
Zu den biologischen Unterschieden kommen auch Unterschiede in der äußeren Erscheinung. Der passive Mensch sieht körperlich eher weich aus; seine Anatomie paßt sich seiner Psyche an. Er macht einen geschlagenen Eindruck, was sich auch in seinem Gang und in seiner Haltung ausdrückt. Sein System ist »gebremst«. Der Sympath dagegen hat eine aggressivere Haltung. Er ist bereit, bei der geringsten Herausforderung zu kämpfen, sein Schritt ist entschlossener und um einiges rascher. Unter den Drogen wird der Parasympath aufputschende wählen, und er braucht eine Menge Kaffee, um morgens in Gang zu kommen.
Offensichtlich neigt der Parasympath stark zu Depressionen. Er wacht morgens auf und fühlt sich ganz von inneren Kräften überwältigt. Zum subjektiven Erleben gehören ein langsamer Herzschlag, eine verlangsamte Atmung, das Gefühl, daß die Glieder schwer und träge sind. Das Denken ist verworren, unklar und nicht sehr rege. Das sind bereits Grundzüge der Depression. Der Gedanke an den Tod oder an Selbstmord ist oft ein Trost für den depressiven Parasympathen, weil er wenigstens einen Ausweg zeigt.
Der folgende Bericht beschreibt gut das unerbittliche Gefühl des Unheils und der Niederlage, das für die Persönlichkeit des Parasympathen charakteristisch ist. Wir sehen darin den Übergang der Patientin vom »Alles ist zu viel für mich« zum »Ich kann tun, was ich will«, der durch ihre Verknüpfung mit dem sehr frühen Trauma möglich wird. Wir sehen auch, wie die Art der Geburt, die sie erlebte, das Leben vorausbestimmte, das sie mit ihrer Mutter durchmachen sollte: beide waren von Angst besessen.
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Wir haben festgestellt, daß das oft der Fall ist. Das Geburtstrauma ist eine Art von verdichteter Version des bevorstehenden Lebens, denn die Neurose, die es in den ersten Stunden während und nach der Geburt schafft, setzt sich unglücklicherweise mit voraussagbarer und schmerzerfüllter Konsequenz fort.
»Ich wachte neulich morgens mit dem Gefühl auf, daß mir alles zu viel war, sogar der Gedanke hinauszugehen, um das Frühstück zuzubereiten oder ein paar Besorgungen für den Tag zu machen, war zu viel. Ich fühlte mich völlig überwältigt und mochte nicht aufstehen. Ich hätte am liebsten geweint, deshalb ging ich ins Institut, um zu versuchen, eine Verknüpfung mit dem Feeling herzustellen.
Das erste, was ich sagte, war: >Es ist zu viel für mich - ich schaffe es einfach nicht.< Dann weinte ich eine Weile, und während ich weinte, fiel mir ein, was ich in der Nacht geträumt hatte. Mein Mann und ich waren im Urlaub, und wir fuhren zu Motels draußen auf dem Land. Wenn wir die Räume betraten, hatte ich immer das Gefühl, daß eine Gefahr drohte — nichts Bestimmtes, nur ein sehr leises Gefühl, daß uns jemand oder etwas verletzen würde. Es war, als lauerte uns jemand auf — ein Gefühl bevorstehenden Unheils.
Während ich wegen des Traums weinte, erinnerte ich mich, wie ängstlich ich mein ganzes Leben lang gewesen war - wie ich jeden Abend vor dem Schlafengehen mein Zimmer durchsuchte, unter das Bett, in den Schrank und unter die Decke des Frisiertischs sah (was ich übrigens tat, bis ich 21 Jahre alt war) und die ganze Nacht eine Lampe brennen haben mußte. Ich liege immer noch starr im Bett und warte darauf, daß jemand kommt und mir weh tut.
Dieses Feeling erinnerte mich an Szenen mit meiner Mutter. Wenn mein Vater auf Geschäftsreisen war, machte sie ein Seil aus Krawatten, so daß wir aus dem zweiten Stock herunterklettern konnten, falls jemand kommen sollte, um uns zu ermorden. Sie stapelte auch auf dem Tisch beim Fenster alte Teller auf, die unten auf den Zementboden geworfen werden sollten, um für den Fall, daß der Mörder die Telefonleitungen durchschnitt, den Verwalter der Farm zu wecken. Dann sperrte sie die Schlafzimmertür ab, und wir (Mama, mein Bruder und ich) schliefen alle zusammen im Zimmer.
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Ich war immer so verängstigt: wenn Mama solche Angst hatte, dann mußte es da draußen etwas so Großes und Furchterregendes geben, das uns wirklich töten konnte. Wer sollte uns beschützen? Ich konnte es kaum erwarten, bis mein Vater nach Hause kam und ein gewisses Gefühl der Sicherheit mitbrachte.
Meine Mutter war eine so hysterische Person; sie hatte Angst vor allem — vor Autoritätspersonen, Geld, der Welt im allgemeinen — so als wäre alles <da draußen> potentiell gefährlich und schmerzhaft. Ihre Angst war sehr ansteckend.
Während ich über alle diese Dinge weinte, vor denen ich als Kind Angst gehabt hatte, hatte ich ein Feeling erster Ebene des Geborenwerdens, bei dem ich nicht atmen konnte, und dann des Alleinseins kurz nach der Geburt. Meine Mutter drückte ihre Angst und Panik bei der Entbindung aus, indem sie unbeherrscht schrie und mit dem Kopf gegen den Bettpfosten schlug. Ihr Entsetzen übertrug sich auf mich, und nach der Geburt wurde das Angstgefühl noch dadurch verstärkt, daß ich allein gelassen wurde, als ich es so offensichtlich nötig hatte, gehalten und getröstet zu werden. Ich hatte ein Gefühl der Zeitlosigkeit und des ewigen Wartens. Mein Vater sagte, als er durch das Fenster in der Klinik sah, schrie ich am lautesten — er konnte mich leicht aus allen anderen Neugeborenen heraushören.
Ich sehe nun, daß ich an etwas Neues immer mit der unmittelbaren und alles umfassenden Reaktion heranging: <Nein, ich schaffe es nicht — ich bin noch nicht so weit!> Mein erstes Erlebnis mit >neuen Dingen< war absolut erschreckend: meine Mutter half mir damals in ihrer eigenen Angst nicht, geboren zu werden, und dann wurde ich nicht gehalten, nachdem ich endlich geboren worden war.
Gleich, welcher Art die neue Situation ist, vor der ich stehe, gleich, wie gut ich qualifiziert bin, etwas zu tun — ich habe immer das Gefühl, daß ich es nicht tun kann. Das geschieht sogar, wenn ich etwas gut mache, wovon ich weiß, daß ich es kann. Ich glaube, das kommt daher, daß ich, wenn ich etwas Neues tue, mit meiner Geburt und den Kindheitsgefühlen des Alleinseins und des Unheils konfrontiert bin. Wenn dieses Gefühl aufkommt, spüre ich trotz aller Beweise für das Gegenteil, daß ich nichts tun kann. Dieses Bedürfnis nach Beruhigung, die ich nie finde, ist sehr früher Urschmerz. Der Grund dafür, daß mich hinsichtlich dieses Feelings keine Worte beruhigen können, ist, daß es ein Geburts-Feeling ist, und dafür gibt es keine Worte.
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Es scheint so, als hätte ich ein Grundgefühl der Angst und Unsicherheit, das mein zentralstes Erlebnis meiner selbst als Person ist. Mein Therapeut sagte einmal, wenn ich in diesem Zustand der Bitte um Beruhigung bin, dann ist es, als griffe ich um mich, aber nichts, was gesagt wird, hilft. Er hat so recht. Ich habe das Gefühl, als stürzte ich in den Weltraum, und niemand ist da, um mich aufzufangen. Mein Geist beschäftigt sich zwanghaft mit jedem Problem, das ich habe, und versucht einen Sinn hineinzubringen, wo gar keiner da ist. Auch nachdem ich verstanden habe, wie ein Fehler zu korrigieren ist, bin ich noch nicht zufrieden, sondern denke zwanghaft weiter daran. Kein Wort der Beruhigung hilft, nur die Empfindung des sehr frühen Feelings macht der zwanghaften Beunruhigung ein Ende. Deshalb habe ich immer gesagt, ein Feeling der ersten Ebene ist etwas, was ich glücklich aufnehme, denn die geistige Qual, die ich während der Zwangsvorstellung erleide, ist die wahre Agonie für mich.
Ich fühle mich so erleichtert, wenn ich eine Feeling-Verknüpfung herstelle, weil ich weiß, daß ich dann sehr bald Frieden finden werde. Mein ganzes Leben habe ich gesagt: <Ich möchte mich einfach ausruhen.> Mein Körper ruht sich nie aus; ich bin ständig wachsam mit einer Schreckreaktion, wie es keine zweite gibt. Nur nach einem Geburts-Feeling fühle ich mich wirklich entspannt und geistig gesund. <Ich möchte mich ausruhen> ist deshalb eine körperliche Feststellung und eine emotionale.
Nachdem ich das alles gefühlt hatte, konnte ich es kaum abwarten, meinen Tageslauf fortzusetzen, und ich erledigte eifrig alle meine Besorgungen. Das Unheil war fort! Ich richtete sogar einen Spiegel in meinem Badezimmer wieder her, von dem mir ein Innendekorateur gesagt hatte, er sei nicht mehr zu reparieren. Damals hatte ich seine Meinung einfach akzeptiert. Aber jetzt entdeckte ich, indem ich mehrere Leute in einem Farbengeschäft fragte, daß es tatsächlich noch eine Möglichkeit gab, ihn zu reparieren. Früher würde ich das nie getan haben — ich würde die Erklärung des Dekorateurs als unumstößliche Tatsache hingenommen haben.
Ich sehe jetzt, daß mich Feeling (vor allem Feeling der ersten Ebene) von den meine Phantasie einengenden Zwängen befreit, die mich an allen Arten von schöpferischen Betätigungen gehindert haben. Kurz, vor einem Feeling der ersten Ebene scheint mir alles zu viel zu sein; nachdem ich es gefühlt habe, bin ich frei, alles zu tun, was ich will — und mit Leichtigkeit.«
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Wenn ich jemandem sagte, der Grund dafür, daß er sich die Speisekarte erst ansieht, wenn der Kellner schon erscheint, um die Bestellung aufzunehmen, oder daß er gewöhnlich die Speisen, die er bestellt, nicht bekommen kann, könnte in etwas zu sehen sein, was vor Jahrzehnten bei seiner Geburt geschah, würde man mich sicherlich auslachen.
Der Gedanke, daß das Erwachsenenverhalten auf einem Geburtstrauma beruht, ist zweifellos in vielerlei Hinsicht schwer zu akzeptieren.
Wie kann es kommen, daß jemand im Alter von vierzig Jahren jeden Tag seines Lebens auf etwas reagiert, was nur einige Minuten oder Stunden dauerte? Es scheint nicht logisch zu sein, weil wir die Wirkung des Geburtstraumas auf das Nervensystem einfach nicht verstanden haben.
Was wir in einem Restaurant oder wo immer tun, scheint eine solche Kleinigkeit zu sein. Aber die Neurose besteht aus vielen Kleinigkeiten. Freunde und Partner warten zu lassen wegen des Bedürfnisses, unter Druck zu arbeiten, kann eine Ursache ständiger Streitigkeiten sein. Dasselbe gilt für ständige Forderungen, die nie erfüllt werden können. Bis zur letzten Sekunde warten, um eine Arbeit zu erledigen, oder sie unbewußt schlecht erledigen, kann sich auf Beruf und Lebensunterhalt auswirken. Die Folgen solcher »Kleinigkeiten« können tatsächlich weitreichend sein.
Daß solche Kleinigkeiten mit der Geburt, dieser Angelegenheit auf Leben und Tod, direkt verbunden sind, ist nun erwiesen. Wir haben gesehen, wie die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen dem parasympathischen und dem sympathischen Modus während des Primais selbst beginnt. Der Sympath kommt ängstlich und erregt an, alle seine vitalen Funktionen sind erhöht. Wenn die sympathische Abwehr die höchste Anspannung erreicht, tritt ein Wechsel ein, die Abwehr bricht zusammen, der Patient erreicht das Feeling, und das parasympathische System übernimmt. Der Patient empfindet dann eine tiefe Entspannung, da das ganze System endlich harmonisch zu arbeiten begonnen hat.
Die Vitalfunktionen des Sympathen zeigen nach der Sitzung eine Verschiebung nach der parasympathischen Seite an. Umgekehrt kann ein Mensch mit exzessiver parasympathischer Dominanz beim Beginn der Sitzung aus seinem allgemeinen Leidenszustand heraustreten und auf den Urschmerz reagieren, der ihn verursachte. Er bedient sich des sympathischen Systems für den Ausdruck des Schmerzes, und wenn die Sitzung vorüber ist, verschieben sich seine Vitalfunktionen nach der sympathischen Seite.
Auf psychologischer Ebene äußert sich das normalisierte Gleichgewicht zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Modus durch weniger Anfälle von Depressionen und Übellaunigkeit und weniger extreme Hochs und Tiefs. Der Parasympath ist nun imstande, seinen Ärger und alle seine Gefühle leichter auszudrücken, während der Sympath größere Fähigkeiten zur Überlegung und ruhigen Introspektion besitzt. Das ganze System ist gemäßigter. Die Wiederherstellung des Gleichgewichts kommt mit der Veränderung der Schmerzeinprägung, die es störte. Sobald das geschehen ist, neigt der Betreffende dazu, weder Sympath noch Parasympath zu sein. Er ist ein besser stabilisierter Mensch. Man hat von Geisteskranken gesagt, ihr »Gleichgewicht« sei gestört. Nun sehen wir, warum.
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Janov 1983