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Umstellungen

 

 

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Ein anderes Charakteristikum, das sich aus dem Trauma der Kaiserschnitt-Geburt ergibt, ist die Unfähigkeit, unerwartete Veränderungen hinzunehmen. Die Änderung von Plänen aller Art löst übertriebenen Zorn und Angst aus. Der konventionelle Therapeut könnte das Problem als »stehengebliebene Ich-Entwicklung« oder »Fixierung des Ichs im infantilen Stadium« und mit ähnlichen komplizierten Begriffen bezeichnen. Wir haben jedoch eine viel direktere Ursache im Erlebnis der Kaiserschnitt-Geburt gefunden.

Ein Patient schrieb: »Mein schlimmstes Primal betraf die Umstellung auf die Kaiserschnitt-Geburt, nachdem ich mich so sehr bemüht hatte, auf normale Weise geboren zu werden. Bis heute erlebe ich sofort ein Primal auf der ersten Ebene, wenn jemand für mich Pläne ändert, ohne daß ich es weiß oder mitbeteiligt bin.«

Und ein anderer: »Allmählich, nachdem ich zwei Jahre lang diese Geburts-Feelings gehabt habe, bin ich besser imstande, Änderungen zu ertragen, das heißt, daß etwas, was geplant war, plötzlich geändert wird. Ich wurde sonst sehr wütend und erregt und hatte große Angst, wenn so etwas geschah. Meine Reaktion ist jetzt viel weniger heftig.«

Eine andere Variante der Änderung von Plänen ist die Richtungsänderung. Eine Patientin mit Kaiserschnitt-Geburt schrieb: »Ich habe keinen Orientierungssinn, und ich glaube, das hängt direkt mit meiner Geburt zusammen.« Sie konnte sich in der Gegenwart nicht orientieren, denn als sie es bei der Geburt versuchte, wurde sie aufgehalten und in die entgegengesetzte Richtung gezwungen.

   Unentschlossenheit   

Je nach der Art des Geburtstraumas ist es möglich, daß lange Wehen, bei denen alle Anstrengungen des Kindes erfolglos sind, später zu dem Charakter­merkmal der Unentschlossenheit führen. Wenn der Kampf nichts einbrachte, kann die spätere Reaktion sein: »Ich kann mich für nichts entscheiden — ich habe keine Entschlußkraft.« Das wird dann zur prototypischen Reaktion im ganzen Leben. Es ist eher ein biologisches Erlebnis der Unentschlossenheit als eine kognitive Unfähigkeit. Der Mensch kann sich nicht entschließen, denn als er es in der entscheidendsten Frage tat, die es jemals für ihn gab, nützte es ihm nichts. Dieses Versagen beim Primärerlebnis bildet die Grundvoraussetzung für ein aprioristisches Gefühl der Untüchtigkeit: man fühlt sich geschlagen, bevor man auch nur den ersten Schritt getan hat.

Ein solcher Mensch kann seine Eltern und später seine Freunde oder seinen Ehepartner in wichtigen wie in nebensächlichen Dingen alle Entscheidungen für sich treffen lassen. Er wartet ab, was andere von der Speisekarte bestellen, und bestellt dann dasselbe. Je mehr dann andere die täglichen Entscheidungen für ihn übernehmen, desto mehr wird der Prototyp der Entschlußlosigkeit verstärkt, da der lenkende Einfluß von der Geburt her sehr stark ist. Die »Kraftprobe« bei der Geburt, als Wille gegen Wille stand, hat die Mutter gewonnen.

Der folgende Bericht stammt von einem Patienten, der die verheerenden Wirkungen wiedererlebte, die dadurch eintraten, daß er selbst seine Geburt auslöste, und der erkannte, wie dies seitdem seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen — buchstäblich: sich selbst zu rühren — beeinträchtigt hatte:

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»Das erstemal erlebte ich meine Geburt wieder, als ich nach einem Jahr Therapie einen Besuch zu Hause machen sollte. Meine Familie besuchen, das bedeutete viele Tausende von Meilen vom Institut wegreisen. Als mein Abreisedatum näherkam, wurde ich immer ängstlicher, und ich befürchtete, daß es allzu schwer sein würde — daß ich nicht imstande sein würde, das Wiedersehen mit meinen Eltern zu verkraften. Ich vergewisserte mich, daß ich mehrere Adressen von Primal-Leuten in jener Gegend hatte, aber das Gefühl, daß es zu schwierig sein würde, hielt an.

Eines Tages ging ich ins Institut und legte mich in den großen Gruppenraum, um zu fühlen. Ich begann, meine Angst wegen des Verlassens dieser Umgebung zu fühlen, in der meine Gefühle verstanden wurden und es sicher war, einfach so zu sein, wie ich wirklich bin. Ich weinte, weil ich nicht weg wollte, und schließlich begann dieses seltsame Neue. Es war, als würde alles schwarz und still; ich war zu einer Kugel zusammengekauert und mir kaum irgendeiner Sache bewußt. Dann hob ich den Kopf mit einer, wie ich meinte, eher freudigen, erkundenden Bewegung, aber tatsächlich löste ich damit einen höllischen Vorgang aus, den zu vermeiden ich alles getan haben würde. 

Ich war im Mutterschoß, und meine Bewegung löste meinen Geburtsprozeß aus. Nachdem ich etwas davon gespürt hatte, wie es sich anfühlte, unabsichtlich diese entsetzliche Kette von Ereignissen in Gang gesetzt zu haben, erkannte ich, warum ich mich so sehr davor gefürchtet hatte, das Institut zu verlassen. Das Institut war mein Mutterschoß gewesen, und ich war sicher, daß meine Absicht, es zu verlassen, irgendein schreckliches Unheil nach sich ziehen werde. Nach diesem Feeling wurde mir, was nicht überraschen wird, klar, daß es so schwer nicht sein könne, und tatsächlich brachte ich meine Reise erfolgreich hinter mich.

Ich war wirklich erstaunt, als ich ein anderes meiner Gefühle mit diesem Beginn meiner Geburt verknüpfte. Es ist mir immer schwergefallen, mich zu entscheiden. Sooft ich eine Entscheidung treffe, habe ich das Gefühl, daß es die falsche ist. Ursprünglich brachte ich das in Verbindung mit der mit acht Jahren getroffenen Entscheidung, in ein Internat zu gehen. Meine Eltern hatten mir die Wahl gelassen, >nächstes Semester oder wenn ich zwölf bin< zu gehen, und ich dachte eine Weile nach und überraschte sie dann mit der Erklärung, daß ich nächstes Semester gehen wolle. Als es dann aber so weit war und meine Mutter mich tatsächlich im Internat verließ, überlegte ich es mir anders. Ich weinte und schrie und'versuchte, sie dazu zu bringen, mich wieder mitzunehmen, aber es hatte keinen Zweck.

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 Ich hatte einen, wie es schien, äußerst kostspieligen Fehler begangen, und das war auch so, aber das Überraschende ist, daß genau dieses Gefühl auf meine Geburt zurückgeht. Die erste Bewegung, die ich mit dem Kopf machte, hatte sich als Fehler herausgestellt, und ich würde alles getan haben, um heil und sicher im Schoß meiner Mutter zu bleiben. Die Botschaft schien zu lauten: >Rühr dich selbst nicht von der Stelle.<«

 

Traumatisch bedingte emotionale Reaktionsmuster

Die intensiven Emotionen, die das Neugeborene bei und im Zusammenhang mit der Geburt empfindet, bleiben im System und treten schließlich als die emotionalen Implikationen des Geburtstraumas in Erscheinung. Die Intensität der Emotionen entspricht dem Grad des eingeprägten Traumas, wie Persön­lichkeits­merkmale eine entsprechende Primärkraft widerspiegeln.

Oft hören wir Eltern sagen: »Er wurde einfach jähzornig geboren« oder: »Sie war von Anfang an ein launisches Baby.« Wir wissen jetzt, daß das, was wir einst für genetisch bedingt hielten, in erster Linie aus dem Erlebnis stammt: Wir werden nicht mit einer zornigen oder ängstlichen Veranlagung in unseren Genen geboren, aber wir werden beinahe allgemein zornig oder ängstlich geboren.

 

Zorn und Wut

Eine der emotionalen Folgen langer, schwerer Wehen ist ein allgemeines Gefühl der Wut und der Wider­spenstig­keit. Viele Patienten berichten von dieser wahnsinnigen Frustration, nicht hinauszukönnen — sie macht das Kind einfach wütend. Es benutzte seine Wut, um sich seinen Weg hinaus zu erkämpfen, und seine Wut brachte es durch. Man kann diese wütenden Bewegungen bei Geburts-Primals sehen: ein wildes Umsichschlagen und Zähneknirschen, unbeherrschte Körperbewegungen und den Ausdruck von Wut in den Gesichtern der Patienten. Die Wut ist lebensrettend.

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Wann immer jemand mit dieser Art von Geburtstrauma später hört: »Nein, das kannst du nicht!« wird eine Resonanz-Saite angeschlagen. Die Geburtsempfindung, als der Körper der Mutter sagte: »Nein, du kannst nicht ... hinaus«, wird reaktiviert. Das körperliche Erlebnis, nicht imstande zu sein zu tun, was man bei der Geburt tun will und muß, wird zum physiologischen Prototyp und bezieht andere, ähnliche Erlebnisse mit ein. Später kann der Befehl: »Nein, du kannst (darfst) nicht!« übertriebene Wut und ein biologisches Bedürfnis, trotzdem zu handeln, auslösen. Dieses Bedürfnis, es trotzdem zu tun, bedeutete bei der Geburt Überleben, daher steht eine ungeheure Kraft hinter der Wut und Rebellion des Betroffenen in der Gegenwart.

Schon eine einfache Frustration wie das Wartenmüssen in einer sich langsam vorwärtsbewegenden Schlange vor einer Theaterkasse oder beim Aussteigen aus einem Flugzeug oder das Warten darauf, daß eine Mahlzeit serviert wird, kann die Geburtsanlage zum Vorschein bringen, und die Wut bricht durch. Und wie schon bemerkt, wird das, was ursprünglich eine lebensrettende Reaktion war, nun zu einem negativen oder sogar lebensbedrohenden Verhalten.

Einer unserer Patienten beschrieb einen Vorfall, der für ihn die Beziehung zwischen seiner Geburt und seinen Wutanfällen charakterisierte. Er fuhr einmal mit seiner Mutter im Wagen mit, als sie im Verkehr steckenblieben. Er sagte ärgerlich zu ihr, sie solle »losfahren«, obwohl sie ganz offensichtlich nicht weiterkonnte (sie standen direkt hinter einem anderen Wagen) und an der Lage nicht schuld war. Dennoch schrie er »Los!« und stieß sie in die Rippen.

Der Überlebenswert des Bedürfnisses (bei der Geburt) vorwärtszukommen, ließ ihn irrational und heftig handeln. Das gleiche Gefühl kann in uns allen vorhanden sein, aber diejenigen unter uns, die besser abgewehrt sind oder weniger Verstärkungen auf der zweiten Ebene erfahren haben, sind einfach nur gereizt und fluchen. Im genannten Fall wurde die dritte Bewußtseinsebene völlig umgangen. Der Mann schlug einfach zu (eine Reaktion der ersten Ebene), denn er wurde plötzlich von dem aufkommenden Feeling überwältigt - und dessen Kraft konnte durch die Vernunft nicht bezwungen werden.

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Eine andere Patientin, die durch Kaiserschnitt zur Welt gekommen war, beschreibt eine typischere Reaktion: »Ich wurde immer sehr zornig, wenn sich jemand vor mir einreihte, in einer Schlange oder in einer Wagenkolonne. Ich war empört, hatte das Gefühl, daß >sie< mich zurückhielten und abschnitten. Zorn und Gereiztheit waren für mich die hauptsächlichen Arten auszuagieren, kommen jetzt aber selten vor. Gewöhnlich verbirgt sich unter dem Zorn einfach Angst - Angst, die ich mit der schrecklichen Angst vor meiner Mutter bei der Geburt verknüpfe.«

(Man beachte, wie das »Abgeschnittenwerden« der primäre Auslöser war - was nicht verwundert, da das Ab- und aus dem Schoß der Mutter Herausgeschnittenwerden ihr Primärerlebnis war.) Wenn jemand ein Geburts-Primal hat und die Wut über seine Frustration, nicht herausgelassen zu werden, fühlt, kann er schließlich befreit werden, um Zorn auf eine rechtmäßige, positive Weise auszudrücken:

»Seitdem ich Geburts-Feelings erlebt und integriert habe, bin ich viel spontaner, wenn es darum geht, mich zu behaupten und auszudrücken. Ich kann mir die Dinge, die für mich wichtig sind, ohne die frühere Angst >holen<. Das steht auch in direkter Beziehung dazu, daß ich imstande bin, Zorn zum erstenmal in der Gegenwart auszudrücken. Ich erkannte an dem wunderbaren Feeling, das mich überwältigte, nachdem ich meinen Zorn ausgedrückt hatte, daß der Urschmerz erträglich war, und ich wurde gesund.«

Mit dieser prototypischen Wut in Berührung zu kommen, die das Neugeborene bei der Geburt mit Recht fühlt, ist befreiend. Der Mensch versteht endlich, warum seine erste Reaktion auf jede Frustration - schon als ganz kleines Kind - Zorn war, bis dieser Zorn bestraft oder aus ihm herausgeprügelt wurde. Seine Eltern mögen das rationalisiert haben: »Er ist schon immer so zornig gewesen - einfach so geboren, nehme ich an!« Dem ist nicht so. Der Jähzorn war ein Teil der aggressiven Reaktion bei der Geburt. Er war eine Reaktion, die durch die Umstände hervorgerufen wurde und nicht in die Gene des Kindes eingeschrieben war. Jähzorn kann tatsächlich schon im Mutterschoß beginnen. Ein anderer Patient schrieb:

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»Meine Geburt war ein langer, achtzehn Stunden währender Kampf. Ich hatte das Gefühl, daß es keinen Ausweg gab, aber ich konnte nicht aufhören zu kämpfen, denn aufzuhören hätte bedeutet, nie hinauszukommen. Ich war durch dieses lange Warten frustriert und geängstigt. Ich wußte nicht, was geschah, und ich wurde einfach zornig geboren.«

 

Viele unserer Patienten haben als Erwachsene nie Wut ausgedrückt. Sie leiden typischerweise an den Symptomen unterdrückter Wut - Kopfschmerzen, Ausschläge, Allergien -, bis sie zu der primären Wut auf der ersten Ebene bei der Geburt hinuntergelangen. Gewöhnlich ist es Jahrzehnte her, seit sie imstande waren, die frühe Wut auszudrücken und voll zu fühlen. Das Fühlen der Wut befreit sie schließlich von ihr, es befreit sie von ihren Symptomen und macht es ihnen zum erstenmal möglich, ihre Wünsche und Bedürfnisse auf gesunde Weise und ohne Manipulationen durchzusetzen. Ein weiterer Bericht:

»Ich glaube, ich bin in meinem Leben noch nicht gut genug in Form, um den totalen Urschmerz meines Feelings zu fühlen, daß ich ständig kämpfen muß, um am Leben zu bleiben. Die Migräne setzt mir die meiste Zeit zu und sagt mir, daß mein Urschmerz da ist. Aber ich muß noch immer in meinem täglichen Leben kämpfen, um es besser zu machen, damit ich dieses Feeling fühlen, damit ich mein Leben leben kann. Wie zornig es mich macht, daß ich all das durchmachen muß, nur um die Person zu sein, die mir meine Eltern wegnahmen. Es scheint eine solche Vergeudung von Zeit und Energie zu sein. Ich fühle mich so gebraucht und mißbraucht.

Das Stadium, in dem ich mich jetzt befinde, ist, daß ich sehr zornig darüber bin, daß ich es mein ganzes Leben lang so schwer hatte. Ich hasse es, kämpfen zu müssen, um zu leben. In letzter Zeit wache ich morgens auf, und innerhalb von fünfzehn Minuten nach dem Aufstehen habe ich, was ich einen >zornigen Kopfschmerz< nenne. Ich habe bemerkt, daß ich diese Schmerzen immer bekomme, wenn ich besonders zornig bin. Sie befinden sich auf der linken Seite: linke Schläfe, linkes Auge, Nacken und Schulter auf der linken Seite. Die Schmerzen sind ähnlich wie die Migräne-Anfälle, die ich auf der rechten Seite bekomme, aber etwas weniger heftig. Das erste, was ich denken muß, ist: >Scheiße! Da geht es wieder los — ich muß mich durch einen neuen Tag kämpfen!<

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Ich fühle mich noch zorniger, seitdem ich Urlaub in der Karibik gemacht und drei wunderbare Tage erlebt habe, an denen ich nicht zu kämpfen brauchte. Ich lebte einfach. Da wurde mir klar, was ich mein ganzes Leben lang versäumt habe. Ich bin wütend. Mein einziger Trost ist, daß ich weiß: sobald ich einmal diese ungeheure Empörung überwunden habe, werde ich tiefer in das Feeling eindringen und es langsam auflösen.«

 

Ein Patient, der ein Geburts-Primal über Wut hatte, erkannte, warum er so kämpferisch und streitlustig war und warum er nie zugeben konnte, daß er unrecht hatte. Sich der Meinung eines anderen beugen, hatte für ihn die unbewußte Bedeutung »Tod«. Er hatte dem Widerstand nicht nachgegeben, den er im Geburtskanal gefühlt hatte, und er konnte auch jetzt nicht nachgeben. Er war für neue Ideen völlig unzugänglich. Sein Leitmotiv war, anderen nicht nachzugeben. Dieses Thema durchdrang sein Leben auf vielerlei Arten, von denen eine die war, des »Teufels Advokaten« zu spielen. Da er ein Intellektueller war, der gern debattierte, richtete er es so ein, daß er niemals eine Diskussion verlieren konnte. Er hatte ein großes primäres Interesse daran zu gewinnen.

Ein anderer Patient wurde bei der Geburt übel zugerichtet. Er kam voll blauer Flecken und mißgestaltet zur Welt, seine Reise durch den Geburtskanal war eine einzige Qual gewesen. Später entdeckte er, daß er jederzeit bereit war, sich mit jemandem zu schlagen, der ihn auch nur leicht streifte. Er fühlte sich schon so geschunden, daß er bei der leisesten Berührung zurückzuckte und daß sofort seine Wut und Aggressivität ausgelöst wurden. Seine Rationalisierung vor der Therapie lautete, daß er eben ein sehr »empfindlicher« Mensch sei, der es nicht ertrug, angerempelt zu werden.

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Wertlos, häßlich und unerwünscht

Wut wird oft noch verstärkt durch Gefühle der Wertlosigkeit. Wenn wir als Erwachsene davon sprechen, daß wir uns wertlos fühlen, so ist damit unweigerlich eine primäre Verknüpfung und ein Feeling von primärer Wut assoziiert. Eine Patientin hatte monatelang gespürt, wie ihre Eltern ihr das Gefühl gaben, wertlos zu sein, indem sie sie oft kritisierten und demütigten. Es schien eine ganze Kindheit voller Gründe für ihre Gefühle als Erwachsene zu geben. Aber damit begann und endete die Geschichte nicht. Sie fühlte schließlich, daß der Ursprung ihres Gefühls der Wertlosigkeit darin lag, daß sich auch bei ihrer Geburt niemand darum gekümmert hatte, ob sie lebte oder starb. Zu den vielen Einsichten, die sie nun gewann, gehörte die, daß ihre plötzlichen Wutausbrüche gegen ihren Mann, weil er ihr angeblich nicht genug Geld für Kleider und sich selbst gab, einen primären Ursprung hatten: sie wollte unbewußt, daß er ihr die Aufmerksamkeit und Fürsorge schenkte, die sie von Geburt an entbehrt hatte. Geld wurde zum Symbol für die primäre Liebe, die sie nie bekam, und ihr Mann wurde zur Zielscheibe für die primäre Wut, die sie nie ausgedrückt hatte.

An diesem Beispiel sehen wir, warum es nicht genügt, die Verbindung zu den Kindheitsquellen dieser Feelings herzustellen, wenn es eine tiefere Verknüpfung mit der Geburt gibt. Jede Bewußtseinsebene ist einzigartig. Das Kind ist nicht der Säugling. In einem gewissen Sinne sprechen wir von zwei verschiedenen Personen, und wir müssen beide wiedererleben. Wie der Säugling diese Wut und Wertlosigkeit erlebt, ist grundsätzlich verschieden vom Erlebnis des Kindes. Darum braucht jedes eine Zeit zu »sprechen«, und jedes hat seine eigenen Bedürfnisse. Kann sich ein Neugeborenes häßlich fühlen? Eine Patientin schrieb:

»Als ich geboren wurde, fühlte ich, daß mich meine Mutter nicht ansehen mochte. Das hatte zur Folge, daß ich mich immer häßlich fühlte und es daher auch war. Meine Mutter bestätigte mir, daß sie mich nicht ansehen mochte, weil meine Stirn und meine Nase durch meine trockene Geburt eingedrückt worden waren. Außerdem hatte mir die Schwester schwarze Flecke unter die Augen gemalt, um mich gegen die hellen Lichter zu schützen, und das trug noch zu meiner >Häßlichkeit< bei. Während meines ganzen Lebens war es für mich ein ständiger Kampf, hübsch auszusehen. Jetzt spielt es keine Rolle mehr, daß ich nicht hübsch bin, wenn ich mich wohl fühle. In meinem Gesicht scheint sich etwas zu zeigen, wenn ich glücklich bin, denn zu solchen Zeiten sind die Leute gern mit mir zusammen.«

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Im nächsten Bericht verbindet der Patient seine Gefühle, häßlich zu sein, mit der Behandlung, die ihm unmittelbar nach der Geburt widerfuhr. Das Geburtstrauma durch das Steckenbleiben im Geburtskanal wurde noch verstärkt durch das, was folgte:

»Oft, wenn ich allein bin, kommt mein Urschmerz herauf, denn wenn ich einsam bin, fühle ich mich schlecht in bezug auf mich selbst. Im Grunde fühle ich mich wie eine Art von untermenschlichem Scheusal. Ich fühle mich verletzt und häßlich.

Das Verletztsein kommt von der sehr groben Behandlung her, die ich in den Händen des Arztes erlitt, der mich >holte<. Seine Hände packten meinen Kopf wie eine Zange, er drehte mich herum, riß mich heraus und schwenkte mich herum, daß ich mit dem Kopf nach unten hing. Mein Willkommen in der Welt war so etwas wie ein Herausgestoßenwerden durch einen Dampfhammer.

Häßlich, das geht auf die ersten Minuten nach der Geburt zurück. Ich spürte die kalte Gleich­gültigkeit des Arztes — er war für meinen Schmerz völlig unempfindlich. Ich wurde wie ein fühlloser Gegenstand behandelt. Ich wurde auf den Rücken geworfen, fern meiner Mutter, die für mich nicht mehr existierte.

Mein Nervensystem erlitt einen solchen Schlag, daß ich ihn in einem Primal als ein Gefühl der Zerstückelung und monströsen Entstellung erlebte. Das Gefühl des Monströsen kam kurz, nachdem ich den Film Der Elefantenmensch gesehen hatte — einen Film über ein monströs häßliches, aber fühlendes Menschenwesen. Als ich eben geboren war, wurden meine Gefühle vernichtet. Zu viel Urschmerz. Im Primal erlebte ich es, daß ich mich innen — in meinem Nervensystem und Gehirn — so häßlich fühlte, wie der Elefantenmensch äußerlich erschienen war. Ich fühlte mich, wie er aussah.

Dann erlebte ich die ganze Sequenz noch deutlicher: Ich war gerade aus einem Paradies im Schoß meiner Mutter gekommen; dann blieb ich, wie mir schien, eine Ewigkeit im Geburtskanal stecken, wo alle meine Anstrengungen nichts nützten; und dann wurde ich noch dazu plötzlich mißhandelt und herumgestoßen und liegengelassen wie ein Stück zerquetschtes Fleisch. Es war niederschmetternd. Ich fühlte mich als häßliches, unerwünschtes Wesen.«

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Im Geburtskanal steckenzubleiben, schafft oft eine primäre Basis für das Gefühl, wertlos und unerwünscht zu sein. Offensichtlich ist da etwas, was das Kind daran hindert, zur Welt zu kommen, und dieses Etwas kann die Zurückhaltung und Angst der Mutter selbst sein. Aber was immer die Ursache sein mag, das Kind weiß nur, daß es aufgehalten wird. Es bekommt kein »grünes Licht«. Aus diesem Erlebnis heraus kann sich später eine schüchterne, in sich gekehrte und allgemein »zurückgehaltene« Persönlichkeit entwickeln.

Gewöhnlich haben unsere späteren Gefühle der Wertlosigkeit oder Häßlichkeit eine frühe psychologische Grundlage. Wenn das Steckenbleiben im Geburtskanal biologisch bedeutet, daß auf das dringendste Bedürfnis, lebendig zu werden, nicht reagiert wurde, daß es ignoriert wurde, so wird jede spätere Vernachlässigung — in der Wiege oder fünf Jahre danach - zu dem Gefühl ausgearbeitet: »Niemand hat mich lieb; ich verdiene es offenbar nicht, daß man mich liebhat.«

Im Schoß und bei der Geburt »ignoriert« zu werden, bedeutet, daß die Bedürfnisse behindert, vereitelt oder geändert werden. Ein solches Erlebnis bildet die Grundlage für eine prototypische Reaktion der Wertlosigkeit auf jeden späteren Streß. Es formt die späteren Gefühle des Zurückgewiesenwerdens in Übereinstimmung mit dem frühesten vorherrschenden Erlebnis. Die Bezeichnungen können sich ändern — als Fünfjähriger fühlt man sich »gruselig«, in der Adoleszenz »wie Scheiße« und als Erwachsener »wertlos und minderwertig« —, aber das alles sind nur Variationen des primären Feelings.

 

   Trennungsangst beim Erwachsenen   

Wird das Neugeborene nicht sofort zu seiner Mutter gelegt, so wird ein Gefühl katastrophalen Alleinseins eingeprägt. Manche Patienten schildern dieses Geburts-Feeling im Erwachsenenleben als überwältigende Leere, verbunden mit chronischer Angst. Tatsächlich liegt Trennungsangst oft zwanghaftem Verhalten zugrunde.

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Eine Patientin hatte das Gefühl, daß sie sich zwanghaft mit Essen vollstopfte, um diese Leere zu verbergen. Eine andere Frau hatte als Folge des gleichen Feelings das Gefühl, sich mit Penissen füllen zu müssen, was die Grundlage ihrer Nymphomanie war.

Wenn das Kind nach der Geburt völlig allein gelassen wird (was die bisher übliche Praxis ist) und während der frühen Kindheit auf verschiedene Arten sich selbst überlassen bleibt, wird das Gefühl der Einsamkeit und die nackte Angst wegen des Alleinseins später als Verlassenwerden interpretiert. Tritt das gleiche Geburtstrauma der Trennung auf und sind die Eltern später warmherzig und gütig und für das Kind da, so wird die Angst beträchtlich vermindert, und der Drang, ständig mit anderen Menschen zusammenzusein, ist geringer.

Wie immer sieht die Deutung des Geburtstraumas für jemanden, in dessen Kindheit es verstärkt wurde, ganz anders aus als für jemanden, der wenig Verstärkung erlitten hat. Ein Patient schrieb:

»Nach meiner Geburt (die 18 Stunden dauerte) wurde ich völlig allein gelassen. Das tat wirklich weh nach all den körperlichen Schmerzen, die ich gerade durchgemacht hatte. Alles, was ich wollte, war Trost und Berührung.

Nachdem ich den Schmerz dieser ersten Trennung in Primais gefühlt hatte, verstand ich gut, wie ich gelebt hatte. Während ich aufwuchs, organisierte ich ständig soziale Dinge — Kinderbanden, als ich klein war, und sportliche Betätigungen, als ich älter wurde. Ich tat alles, um nur nicht allein sein zu müssen. Ich ertrug es auch nicht, wenn jemand mich nicht leiden konnte. Ich habe es mein ganzes Leben lang vermieden, Leute wütend auf mich zu machen. Ich war immer der >gute Kerl<, der Witze erzählte, es anderen bequem machte etc. Als Erwachsener versuchte ich immer noch, alle glücklich zu machen, auch auf Kosten meiner Frau und meiner Kinder. Mein Eheleben war verrückt, da ich mich immer gebunden fühlte und frei sein wollte aber um keinen Preis wollte ich allein sein. Sogar wenn ich in einem dunklen Zimmer allein zu Bett ging, wurden diese Angst und dieser Schmerz aktiviert. Als Kind wehrte ich mich immer gegen das Schlafengehen, und als ich älter wurde, masturbierte oder trank ich, um so schnell wie möglich einschlafen zu können.«

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Wir sehen hier ganz deutlich die Wirkung der frühen Trennung von der Mutter bei Erwachsenen, die zu früh geboren wurden. Eine Patientin schrieb:

»Ich wurde anderthalb Monate zu früh, mit einem Herzfehler, geboren und zwei Monate in einen Inkubator gelegt. Ich überlebte allen Widrigkeiten zum Trotz und vor allem gegen den Wunsch meiner Mutter. Ich erinnere mich, daß, als ich mit der Therapie begann, Dr. Holden (der Neurologe des Primal Institutes) und ich über die Gründe für mein Überleben sprachen. Er sagte, mit der Zeit würde ich entdecken, was mich am Leben erhielt.

Meine Mutter hat mir erzählt, daß ich in diesen ersten Monaten meines Lebens nicht viel berührt wurde, weil ich, wie sie sagte, >zu viel weinte, wenn man mit mir umging<. Ich wurde sogar beim Füttern kaum berührt. Im Institut erlebte ich wieder, wie ich im Inkubator allein gelassen wurde, und das erste Feeling, das mich ganz überkam, war das des Wartens.

Zuerst wußte ich nicht, worauf ich wartete, aber in meinem geschlossenen Kasten fühlte es sich an wie das Leben selbst. Es war erschreckend, so allein zu sein, in dieses Ding eingeschlossen und so dicht zugedeckt - es war schwer, sich zu bewegen. Alles in mir wollte aufgeben, aber da war dieses verrückte Gefühl des Wartens auf etwas oder jemanden.

Eines Abends, als ich in dem Zimmer im Institut aus Leibeskräften schrie, öffnete plötzlich jemand die Tür: augenblicklich fühlte ich, wie mein ganzer Körper gespannt vor Erwartung war. Die Tür ging wieder zu, und ich war wieder mit meinem Elend allein. Als aus dem Nichts eine Therapeutin erschien, bat ich sie, sehr sanft meine Stirn zu berühren, und dann wußte ich es, fühlte ich es: die Hände. Irgendwann, vor langer Zeit hatten andere Hände meinen Kopf gestreichelt, während ich verzweifelt versuchte zu greifen, zu berühren. Mein ganzes Wesen sehnte sich schmerzlich danach, berührt zu werden.

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Aber die Hände blieben nie lange, und so wartete ich eben darauf, daß sie zurückkamen. Nachdem ich einige Monate gefühlt hatte, daß ich das Leben von diesen Händen erwartete, daß diese Hände meine Rettung waren, fühlte ich schließlich, daß sie nicht zurückkommen würden. Bei dieser Erkenntnis beschloß ich zu sterben; es gab für mich keine Gründe mehr weiterzuleben.

Ich habe 28 Jahre gebraucht, um dieses Warten auf zwei Hände zu fühlen, die mich berühren und am Leben erhalten.

Ich kann nicht sagen, daß ich ganz aufgehört habe zu warten, aber die Suche nach jemandem, der mein Leben besser macht, ist vorbei. Und daher bin ich nun im Begriff, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Und noch etwas. Einige Zeit, nachdem ich über dieses frühe Trauma gefühlt hatte, starb auch das überglückliche, überreaktive kleine Mädchen in mir, und zum erstenmal in meinem Leben kamen Depressionen. Das geht Hand in Hand mit der Einsamkeit und Hilflosigkeit, die ich bis jetzt nie zu fühlen imstande war. Es scheint, daß ein lebenslanger Kampf, mich zu freuen und mich nie deprimiert und allein zu fühlen, etwas mit dieser schmerzhaften frühen Erinnerung zu tun hatte. Mir ist nun klar, daß ich gewöhnlich genau in der entgegengesetzten Richtung zu der, in der mein Schmerz lag, handelte. Vielleicht kann ich jetzt wirklich anfangen, mich des Lebens zu freuen.«

 

Unheil

Wenn wir etwas Neues beginnen, neigen viele von uns zu dem Gefühl, daß etwas Schreckliches geschehen wird — zu einem Gefühl bevorstehenden Unheils. Dieses überwältigende Gefühl, daß alles zum Scheitern verdammt sei, macht seine Opfer unfähig, Glück hinzunehmen. Unbewußt können sie es nicht ertragen, es »zu schaffen«, weil sie es bei ihrer Geburt nur mit knapper Not »geschafft haben«. Etwas Schreckliches ist schon geschehen, es ist ihnen nur nicht bewußt. Sie kämpfen ständig darum, glücklich zu sein, denn Kampf war ihr erstes und prototypisches Erlebnis. Ironischerweise gehen solche Menschen zu Vorträgen und Wochenendseminaren, um zu »lernen«, glücklich zu sein. Aber wir können den Erwachsenen nicht lehren, glücklich zu sein, wie wir ein Neugeborenes nicht lehren können, nicht zu weinen. Gefühle werden nicht gelehrt, sie sind einfach.

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Das Gefühl bevorstehenden Unheils tritt mit großer Wahrscheinlichkeit auf, wenn sich der Mensch wirklich gut fühlt. Die Einprägung ist, daß auf Vergnügen immer Schmerz folgt analog zur Geburt. Manche Menschen sorgen sogar dafür, daß sie sich schlecht fühlen, sobald sie anfangen, sich gut zu fühlen, um eine gewisse Kontrolle über dieses Gefühl bevorstehenden Unheils zu haben. Die unbewußte Maxime scheint zu lauten: »Wenn du dich gut fühlst, dann paß auf!« Viele von uns fühlen sich gut und leiden dann unter der vagen Befürchtung, daß es nicht von Dauer sein kann. Gewöhnlich richten wir es dann auch so ein, daß es nicht anhält. Natürlich war aber auch das gute Gefühl im Mutterschoß nicht von Dauer.

Dieses Szenario des Unheils und der Trübsal wird noch ergänzt durch die Tatsache, daß viele Eltern nicht zusehen können, wie ihre Kinder ihren Spaß haben, herumalbern, »nichts« tun und sich gut unterhalten. Sie bringen es fertig, etwas »Konstruktives« zu finden, das die Kinder statt dessen tun können. Es herrscht die große Befürchtung, daß uns Spaß und Entspannung verderben. Kein Wunder, daß sich 'so wenige von uns entspannen können.

Das Gefühl des Unheils ist oft mit Kaiserschnitt-Geburten verbunden. Die meisten dieser Geburten sind genau geplante Ereignisse, bei denen das Kind wirklich der letzte ist, der weiß, was vorgeht. Die Geburt ist sehr abrupt, und das Kind hat keine Zeit, sich auf den plötzlichen Übergang vom Mutterschoß in die Welt vorzubereiten. Später fühlt ein Mensch mit dieser Art von Geburtstrauma Unbehagen bei jedem plötzlichen Übergang. Ein Übergang kann das Unheil völliger Hilflosigkeit und das buchstäbliche Ausgeliefertsein an einen anderen signalisieren. Schlimmer noch, der prototypische Übergang bedeutete einen großen chirurgischen Eingriff — an sich schon ein Trauma —, so daß die letzte Behaglichkeit, an die sich das Kind mit seinem ganzen System »erinnert«, in der Fruchtblase unmittelbar vor der Geburt gegeben war. Der Übergang aus dieser Blase war für das Neugeborene katastrophal, so daß später die Neigung besteht, sich auf das Bekannte zurückzuziehen, an der Vergangenheit festzuhalten — kurz, ein Konservatismus und ein Abscheu vor plötzlichen Veränderungen jeder Art.

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Wie ich schon sagte, zieht ein Mensch mit diesem Geburtstrauma die Routine vor - nicht, weil er im Innern eine organisierte Person ist, sondern weil jeder Wechsel, jede Abweichung von der Routine nur zum Schlechteren zu führen scheint. Angst davor haben, Neues auszuprobieren, ist nicht nur eine oberflächliche Einstellung. Es ist eine Erinnerung an das Überleben. Die Zukunft ist immer von einem vagen Gefühl des Unheils überschattet, weil die »Zukunft« bei der Geburt eine Agonie war. Der Mensch neigt dazu, Situationen zu meiden, in denen die Grenzen nicht klar umrissen sind und in denen nicht jede Möglichkeit vorausbedacht ist. Aber auch hier wiederum hat ja das Unheil, das Unglück, das der Betreffende in der Gegenwart durch sorgfältige Planung zu vermeiden trachtet, schon stattgefunden. Ein Patient, der durch Kaiserschnitt zur Welt kam, schrieb:

»Ein anderes, neues Problem für mich sind intensive Gefühle des Versagens, weil ich nichts damit zu tun hatte, geboren zu werden. Ich habe ein tiefes Gefühl, nicht imstande zu sein, irgend etwas ohne Hilfe zu tun, und suche diese Hilfe symbolisch bei den Therapeuten. Ich fühle mich immer dazu verurteilt zu versagen und richte es mir in der Gegenwart durch verschiedene Methoden so ein, daß das auch geschieht - durch Methoden, die mir noch nicht ganz klar sind.

Ich habe in letzter Zeit starke Selbstmordanwandlungen und muß Medikamente nehmen und in der Nähe des Instituts bleiben wegen der Gefühle, daß ich nicht leben will - was, wie mir klar ist, heißt, daß ich mit diesem Urschmerz nicht leben will. Ich vermute, ich versuche, meinen Tod im Mutterschoß zu Ende zu erleben. Ich lebe in der Zukunft und habe schreckliche Angst vor ihr, und ich kann nicht in der Gegenwart leben, ohne aus der Fassung zu geraten.«

Und ein anderer:

»Ich bin nun seit einem Jahr in der Primärtherapie, und meine Primais sind allmählich immer tiefer geworden. Von der dreiwöchigen Intensivbehandlung an, in der ich lernte, mich wieder weinen zu lassen, durch meine vierte Woche bis jetzt werden meine Feelings tiefer und intensiver als je zuvor. Eine Zeitlang fragte ich mich, wo das alles enden soll. Nach jedem Primal dachte ich:

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>Wieviel tiefer kann ich gehen — wieviel intensiver kann der Schmerz noch werden? Was ist die Quelle all dieses Leidens, das ich durchmache?< Früher dachte ich immer, daß mit mir wirklich etwas nicht stimmte. Das war auch so, aber ich verstand nicht, warum, oder was ich tun sollte, um es zu ändern.

Geburts-Feelings habe ich erst in letzter Zeit, aber sie scheinen mir viel zu erklären. Ich habe nun eine erste Ahnung von den Antworten auf viele Fragen, die ich mir in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren gestellt habe. Ich fange an zu verstehen, warum ich so bin, wie ich bin. Ich kam durch Kaiserschnitt zur Welt, und meine Mutter sagt mir, ich wollte nicht herauskommen. Ich glaube und fühle, daß ich mein Bestes tat, um geboren zu werden, aber meine Mutter verspannte sich und hielt mich zurück. Ich muß mich so angestrengt haben, daß ich glaube, ich starb beinahe. Da ich weiß, wie meine Mutter ist, bin ich sicher, daß sich ihr Körper aus Angst verspannte.

Mir ist immer alles schwergefallen. Die kleinsten Aufgaben waren oft überwältigend für mich (und sind es manchmal noch). Physische Situationen sind immer außerordentlich schwierig. Ich erinnere mich, daß ich mir in der High School immer wünschte, ich könnte alles noch einmal von vorn anfangen: Unterrichtsstunden, Aufgaben, Schuljahre, die Beziehungen zu meinen Mitschülern — mein ganzes Leben! Ich wollte, ich könnte es diesmal richtig machen. Diese Hoffnung war das einzige, was mich aufrechthielt. Instinktiv wußte ich, daß bessere Eltern und bessere Umstände einen ungeheuren Unterschied ausgemacht hätten. Da ich (dachte ich) unbewußt diese Haltung einnahm, war mein elendes Leben zum Scheitern verurteilt. Alles, was ich versuchte, schlug jämmerlich fehl. Es kam so weit, daß ich aufhörte, auch nur etwas zu versuchen, weil ich immer wußte (oder erwartete), daß das Ergebnis das gleiche sein würde. Die Geschichte meines Lebens ist durch meinen Anfang bestimmt. Meine Geburt war schwer -mein ganzes Leben ist schwer gewesen.«

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    Phobien   

Phobien sind ein komplexes Phänomen. Sie enthalten sowohl psychologische als auch intellektuelle Implikationen des Geburtstraumas: die emotionale Komponente der Angst ist ebenso vorhanden wie die intellektuelle (geistige) Konzentration auf das, was gefürchtet wird. Bei Phobien herrscht der emotionale Gehalt vor; die Idee oder das Objekt ist sekundär. Obsessionen sind ein Beispiel für das Gegenteil: sie enthalten ebenfalls Implikationen auf der zweiten und dritten Bewußtseinsebene, aber die dritte Ebene herrscht vor.

Viele von uns erkennen nicht, daß sie an einer Phobie leiden. Aber jede Angst, die übertrieben und unangebracht ist und etwas Zwanghaftes an sich hat, kann als Phobie betrachtet werden. Die vage Anwandlung von Furcht, wenn jemand eine Tür hinter uns schließt und damit den »Fluchtweg« abschneidet, ist ein Beispiel für das, was ich meine. Die Angst, in der Schlange warten zu müssen, um aus einem Flugzeug auszusteigen, ist ein weiteres Beispiel. Das Gefühl der Erleichterung, im Theater in der Nähe eines Notausgangs zu sitzen, verrät ebenfalls eine phobische Einstellung.

Säuglinge sind nicht phobisch. Sie haben dafür nicht die nötige Hirnkapazität. Sie können aber ängstlich sein. Später kann der Strom von zugrunde liegender Angst auf der ersten Ebene durch Kindheitserlebnisse in eine spezifische Angst vor der Höhe, vor Fahrstühlen, vor Schlangen oder was immer kanalisiert werden.

Die emotionale Komponente solcher Phobien ähnelt sehr der emotionalen Komponente gewisser Arten von Angstträumen, und ein wiederholt auftretender Alptraum hat tatsächlich viel mit Phobien gemein, was die Art der Verarbeitung des Geburtsereignisses anbetrifft. Beide rationalisieren die emotionale Komponente in Form eines geeigneten Bildes, und bei beiden herrscht die emotionale Komponente vor, ist aber in den Bildern eingeschlossen und getarnt.

Während Kindheitsschmerzen, die das Geburtstrauma verstärken, ebenfalls wichtig für die Entwicklung von Phobien sind, können die Natur und der Grad des Geburtstraumas allein den Inhalt und die Schwere der späteren Phobie determinieren.

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Höhenangst  

Die Angst davor, nicht mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen, kann von der Geburt herrühren, wenn sich das Kind in seltsamen Lagen ohne natürliche Orientierung befand. Das ist oft der Fall bei der Steißlage und kommt am häufigsten vor, wenn das Neugeborene gleich nach der Geburt mit dem Kopf nach unten gehalten wird.

Ein Patient erlebte das Gefühl völliger Desorientiertheit beim Austritt aus dem Geburtskanal wieder; dann fühlte er einen raschen Verlust der Stütze und einen plötzlichen Sturz, als man ihn ein Stück tiefer in die Hände des Arztes fallen ließ. Diese Geburtsempfindungen hinterließen einen Rest von Angst, der später die Form von Höhenangst annahm.

Eine andere Patientin fürchtete Überführungen, Brücken und schmale Bergstraßen. Anscheinend ein klassischer Fall von Höhenangst, bis sie ihr erstes Primal hatte und entdeckte, daß die tatsächlichen Gefühle bei dieser Phobie nicht so sehr eine Angst vor der Höhe waren, sondern eine Angst vor »kein Ausgang«. Auf einer Brücke oder einer schmalen Bergstraße zu sein, löste das Gefühl aus, das sie im Geburtskanal gehabt hatte: »Ich muß sterben, und es gibt keinen Ausgang.«

 

Furcht vor der Dunkelheit

Die beinahe allgemeine Kindheitsangst vor der Dunkelheit hat eine offensichtliche Beziehung zur Geburt. Wie viele Kinder, die zeitlich noch so wenig Abstand von ihrem Geburtserlebnis haben, fürchten die Dunkelheit? Sehr viele. Und obwohl es so aussieht, daß viele von uns aus dieser Furcht herauswachsen, ist das doch nicht der Fall — sie wird nur tiefer begraben, wenn wir älter werden. Manche legen sie nie ab. Eine Patientin schrieb:

»Nachdem ich mehrere Einsichten in mein Geburtserlebnis gewonnen hatte, sprach ich mit meiner Freundin darüber. Meine Freundin rief mich später an, um mir zu sagen, daß sie nun ihre Angst vor der Dunkelheit mit einem unbestimmten Gefühl oder einer Erinnerung verbinden konnte, die sie immer gehabt hatte,

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nämlich in einem dunklen <Zimmer> zu sein und ein fernes Licht zu sehen, auf das sie zustreben mußte. Sie erkannte das nun als ihr Geburtserlebnis und sagte, daß sie darüber ihr ganzes Leben lang Primals gehabt hatte (ohne zu wissen, was das war). Sie erkannte auch, daß ihr ganzes Leben ein Streben nach bestimmten Zielen gewesen sei, ein Versuch, es >zu schaffen< — aus der Dunkelheit hinaus.«

Kinder, die ein Licht haben müssen, um schlafen zu können, leiden akut unter dieser dunklen Periode, bevor sie zum erstenmal das Tageslicht sahen. Es scheint ein Gleichnis zu geben, in dem Dunkelheit Agonie bedeutet und Licht Erleichterung denn im Licht hatte die Agonie aufgehört, im Licht hatte das Atmen begonnen, und im Licht war der erste Trost von der Mutter gekommen.

 

Klaustrophobie 

Die Klaustrophobie ist eine Furcht, die sich schwerer rationalisieren läßt, besonders, wenn sie stark generalisiert ist. Eine Patientin, die im Geburtskanal gequetscht worden war, fürchtete als Kind enge Räume. Als sie erwachsen war, übertrug sich das auf eine Furcht vor Fahrstühlen und psychologisch auf eine Furcht vor allen »engen« Situationen, aus denen sie sich nicht befreien konnte.

Ein anderer Patient wurde ängstlich, wenn er überhaupt in irgendwelchen Räumen eingeschlossen war. Er war nicht nur in kleinen Räumen klaustrophob, sondern jedes längere Festgehaltenwerden, zum Beispiel in einem Klassenzimmer, löste einen Erregungszustand aus keinen gefühlten Schmerz, nur das Bedürfnis hinauszukommen. Die Unterrichtspause war für ihn immer eine ungeheure Erleichterung. Als Erwachsener mußte er eine Arbeit im Freien annehmen. Er deutete sein Geburtstrauma hauptsächlich als Beengtheit. Und er war auch später oft »beengt«: nach der Schule durfte er nicht spielen, sondern mußte sofort nach Hause gehen, um seine verschiedenen Aufgaben zu erledigen. Diese Ereignisse wurden die Verbindungen auf der zweiten Ebene zu seinem Trauma auf der ersten Ebene.

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Wie gesagt, führt das Geburts-Feeling der Beengtheit zur Klaustrophobie nicht nur im physischen, sondern auch im psychischen Sinne. Ein Patient schrieb:

»Nachdem ich mehrere Geburts-Primals gehabt hatte, erzählte ich meiner Mutter von ihnen, und sie erkannte, daß ihre Klaustrophobie von ihrem Geburtserlebnis herstammt: sie fühlte sich in einem engen Raum erdrückt und konnte ihre Arme nicht befreien. Sie sah auch, daß sie das ausagiert, indem sie sich in Situationen bringt, aus denen sie nicht >herauskommt<; sie sagt, sie fühlt sich immer >steckengeblieben<.«

Ein anderes Beispiel für psychologische Klaustrophobie lieferte eine unserer Mitarbeiterinnen. Sie begann sich über den »Mangel an Raum zum Atmen hier drinnen« (im Institut) zu beklagen. »Es ist nicht genug Platz zum Wachsen da.« »Ich brauche mehr Platz für mich selbst«, sagte sie, und: »Ihr engt mich ein.« Es mag ein Körnchen Wahrheit in Behauptungen dieser Art stecken, aber gewöhnlich sind sie durch die Geburtsanlage übertrieben und stehen in keinem Verhältnis zu den Gegebenheiten. Das heißt: sie stehen im richtigen Verhältnis zum Urschmerz, aber in keinem Verhältnis zur gegenwärtigen Situation. Interessanterweise wurde unsere Mitarbeiterin mit dem psychologischen Raum des Instituts gerade zu der Zeit unzufrieden, als sie mit ihren Geburts-Primals begann, in denen sie den buchstäblichen Mangel an physischem Raum während ihrer Geburt wiedererlebte. Nach diesen Primais erschien ihr das Institut plötzlich freier, offener und reicher an Gelegenheiten. Sie konnte wieder »atmen«.

 

    Furcht vor Unheil und Katastrophen    

Viele Menschen, die Phobien entwickeln, finden Methoden, ihnen einen Sinn zu geben. Ein Patient, ein Kalifornier, erinnerte sich, auf den steigenden inneren Druck vor seiner Therapie dadurch reagiert zu haben, daß er zu der Überzeugung kam, Kalifornien werde durch ein Erdbeben im Meer versinken. Er gab seine Stellung auf, packte seine ganze Habe zusammen und übersiedelte nach Arizona.

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Kalifornien könnte eines Tages wirklich im Meer versinken. Aber ob das geschieht oder nicht — die Ideen und die Übersiedlung dieses Mannes waren phobisch, weil sie durch ein Gefühl des Schreckens und des Unheils aus der Vergangenheit hervorgerufen wurden und nicht durch die tatsächliche Drohung einer Katastrophe in der Gegenwart.

Dieser Patient erkannte damals nicht, wie phobisch er war, weil viele andere dieselbe Idee hatten. Die Möglichkeit eines Erdbebens war gleichsam ein großer »Haken«, an dem man alle Arten von unbewußtem Primärdruck aufhängen konnte. (Manche dieser Menschen hatten, was nicht überrascht, zuvor der sogenannten »Säure«-Generation angehört, und nichts setzt katastrophale Geburtsängste so rasch frei wie LSD.)

In der Primärtherapie erlebte dieser Patient sein Feeling des Unheils und der Katastrophe im richtigen Kontext. Er konnte es in die Vergangenheit verlegen, aus der es kam, anstatt es in die Zukunft zu projizieren und eine Phobie zu entwickeln. Und er war imstande, die Wahrscheinlichkeit eines wirklichen Erdbebens abzuwägen und auf eine vage Möglichkeit anstatt auf eine drückende Unvermeidbarkeit zu reagieren. Die wirkliche Unvermeidbarkeit, die diesen Mann zu einer regelrechten Flucht veranlaßt hatte, war eine Naturkatastrophe, aber sie betraf nicht die geologische Instabilität Kaliforniens sie betraf den Urschmerz seiner Geburt.

Der folgende Bericht zeigt die Beziehung zwischen der Entwicklung von Phobien und dem Vorhandensein von verdrängtem katastrophalen Urschmerz. Die traumatische Geburt dieser Patientin wurde durch ein schweres Kindheitstrauma verstärkt, und die Phobien wurden für sie zu einer vergleichsweise »sicheren« Methode, ein sonst vernichtendes Ausmaß von Urschmerz zu erleben. In ihrem Bericht sehen wir den Abstieg auf frühere Bewußtseinsebenen, als sie den gegenwärtigen Angelpunkt für ihre Katastrophen-Phobien zuerst im Urschmerz ihres Mannes (dritte Ebene), dann in Kindheitserinnerungen an ihre Mutter und ihren Vater (zweite Ebene) und schließlich in einer »Art von Feeling, das sie mit keinem Bild und keiner Erinnerung verbinden konnte« (erste Ebene), sieht:

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»Ich habe mich in einem Flugzeug immer zu Tode geängstigt. Die Leere unter der Maschine machte mir angst, und ich hatte das Gefühl, sie müsse das Gleichgewicht verlieren und unaufhaltsam abstürzen. Ich saß immer still und starr da, wagte kaum zu atmen, bewegte keinen Muskel und hätte am liebsten die Hostessen angeschrien, sie sollten sich doch setzen und ebenfalls stillhalten. Um die Sache noch schlimmer zu machen, löste der Aufenthalt in einem Flugzeug auch noch eine andere meiner größten Phobien aus - Klaustrophobie.

Ich fühlte mich klaustrophob an allen Orten — wie in einem Zimmer, Fahrstuhl, Bus oder U-Bahnwaggon —, wo kein Fenster zu sehen war, das ich hätte öffnen können, wenn es nötig gewesen wäre. Ich bekam sofort Schwierigkeiten mit der Atmung und Angst, sterben zu müssen. Dasselbe fühlte ich an manchen Tagen in Los Angeles, wenn der Smog sehr dick war. Selbst wenn ich an solchen Tagen im Freien war, hatte ich das Gefühl, unter einer riesigen Decke gefangen zu sein, die über der ganzen Stadt lag.

Eine andere meiner Phobien war die Angst vor Erdbeben. Wenn ich das Wort Erdbeben nur hörte, bekam ich schon Angst. Lange dachte ich, meine Angst sei völlig realistisch und Leute, die sich nicht fürchteten, seien einfach verrückt oder gedankenlos. Ich hatte Angst davor, daß sich die Erde bei einem Beben öffnen und mich verschlingen oder daß ich unter einem Gebäude erschlagen werden würde.

Andere mit Erdbeben verbundene Gefühle waren: Ich konnte mich nicht darauf verlassen, daß mich die Erde trug. Ich würde keinerlei Gewalt über ihre Bewegungen haben, und es konnte jederzeit ohne Vorwarnung geschehen — ich war ihr völlig ausgeliefert. In meiner Angst konnte ich auch körperlich spüren, wie ich in einem Feuer verbrennen könnte, das durch das Beben verursacht wurde.

Ich hatte alle diese Phobien, als ich mit der Therapie begann. Sie wurden immer schlimmer, als ich tiefer und tiefer in meine alten Feelings eindrang. Ich möchte einige der wichtigsten Primais beschreiben, die ich in bezug auf diese Phobien hatte, und zeigen, wie sie sich auf meinen unterdrückten Kindheitsschmerz und auf meinen begrabenen Urschmerz bezogen.

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Das erste Primal brachte mich auf den Weg. Ich fuhr zu einer privaten Sitzung im Institut, als ich im Radio die Vorhersage eines Erdbebens hörte. Als ich zur Sitzung kam, war ich zum erstenmal imstande, eine Verbindung zwischen meiner Angst, von der Erde, und der Angst, vom Schmerz meines Mannes verschlungen zu werden, herzustellen. Zu dieser Zeit litt mein Mann großen (Ur-)Schmerz, und er tat nichts dagegen. Seine Hoffnungslosigkeit machte mich verrückt. Ich fühlte mich durch sie ständig niedergehalten, erdrückt und erstickt.

Während ich in der Sitzung weinte, begann ich mich zu erinnern, wie sich meine Mutter während meiner ganzen Kindheit verhalten hatte. Sie drückte immer sehr viel Schmerz aus, weinte oder lachte hysterisch, beklagte sich über alles, war nie wirklich zufrieden und beinahe immer körperlich krank. Zu alledem unternahm sie mehrere Selbstmordversuche. Sie gab mir das Gefühl, alles könnte besser für sie sein, wenn ich anders wäre, wenn ich mich mehr um sie kümmerte. Ich hatte das Gefühl, als trüge ich ihr ganzes Gewicht auf meinen Schultern — als nähme sie den ganzen Raum ein. Ich fühlte mich gezwungen, alle meine Gefühle zu verdrängen. Es war, als hätte ich kein Recht zu existieren. Wenn ich beispielsweise sagte: >Ich bin müde<, antwortete sie: >Du bist zu jung, um müde zu sein.<

Dieses alte Feeling war zum Teil der Grund dafür, daß es mir so schwerfiel, den Schmerz meines Mannes zu ertragen. Eine Zeitlang erleichterten diese Verknüpfungen den Druck, der auch hinter meiner Angst vor Erdbeben stand. Ich stellte fest, daß ich viel mehr Vertrauen zur Festigkeit des Bodens unter meinen Füßen hatte. Ich erinnere mich, wie ich nach der Sitzung heimfuhr und die Gebäude, die Bäume, den Himmel betrachtete — die ganze Szene war um so viel lebendiger, wirklicher und schöner, nun da ich von der Furcht befreit war, daß im nächsten Augenblick alles zusammenstürzen könnte.

Später half mir eine andere Erdbebenwarnung, eine neue Verbindung in bezug auf schmerzhafte Erlebnisse herzustellen, über die ich schon früher Primais gehabt hatte. In der Sitzung weinte ich über ein Erdbeben, das kommen sollte. Ich fühlte mich vollkommen von der Möglichkeit erdrückt, daß ich nicht imstande wäre, Los Angeles zu verlassen, bevor es ausbrach. Mein Therapeut fragte mich, ob ich jemals in meinem Leben eingesperrt worden sei. Zuerst antwortete ich >nein<. Dann dachte ich eine Minute nach und sagte: >Ich war nie körperlich eingesperrt, aber ich erinnere mich, daß ich mich in einer Falle fühlte.<

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Ich fühlte wieder, wie es gewesen war, mit meiner Mutter und meinem Stiervater zu leben, wie ich nie etwas tun konnte, was ich tun wollte, wie sie mir systematisch alles verweigerten, worum ich bat. Sie wählten meine Kleider aus, meine Speisen, meine Freizeitbeschäftigung. Und ich haßte alles — die Kleider, die Speisen, die Freizeitbeschäftigung! Aber ich konnte mich nicht gegen sie wehren, denn sie fanden immer sehr gute Rechtfertigungen für ihre Verbote. Sie sagten, sie wollten, daß ich gebildet und wohlerzogen sei, und sie wüßten, was für mich das beste sei. Sie gaben mir das Gefühl, daß alles, was ich wollte, falsch war, und daß meine Wünsche völlig bedeutungslos waren. Wenn ich sagte, daß ich ein bestimmtes Gericht, das wir zum Abendessen hatten, nicht mochte, zwang mich mein Stiefvater, eine zweite Portion davon zu essen.

Bis vor kurzem betrafen alle meine Primals meine Lebensperiode nach dem Alter von sechs Jahren, als ich mit meiner Mutter und meinem Stiefvater zusammenlebte. Sie hatten meistens mit den Gefühlen, gefangen, allein und hilflos zu sein, zu tun. In den letzten fünf Monaten hatte ich in meinen Primais Feelings aus meinem Leben, bevor ich sechs wurde und in verschiedenen Pflegeheimen lebte. Auch diese Primais betreffen Gefühle, gefangen, allein und hilflos zu sein. Meine Mutter gab mich in diese Pflegeheime, weil sie und mein Vater sich scheiden ließen und sie arbeitete und keine Zeit für mich hatte. Von meiner ersten Pflegemutter abgesehen, bei der ich lebte, bis ich ungefähr zwei Jahre alt war, kann ich mich nicht erinnern, daß mich eine Pflegemutter geliebt oder auch nur gemocht hätte. Die letzten beiden Pflegeheime, in denen ich war, wurden von Frauen geleitet, die mir angst machten. Meine Bedürfnisse (sogar die körperlichen) wurden absolut geleugnet. Eine Frau erlaubte mir die Benützung der Toilette nur nach einem Plan, den sie aufgestellt hatte - selbst wenn ich so dringend hinaus mußte, daß ich körperliche Schmerzen litt. Sie schränkte auch die Wassermenge ein, die ich täglich trinken durfte: bei heißem Wetter war das Maximum anderthalb Tassen! Oft schlug sie mich auch mit einer Peitsche.

Bei ihr und der vorausgegangenen Pflegemutter zu sein, war eine ständige Bedrohung. Ich habe nie verstanden, was sie so wütend auf mich machte. Ich gewöhnte mich eben daran, in einem ständigen Zustand großer Angst zu leben und immer darauf zu warten, daß ich jederzeit eine schreckliche Strafe bekam.

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Wenn eine dieser Pflegemütter nur das Zimmer betrat, in dem ich mich aufhielt, spürte ich einen Schmerz im Magen, ich zitterte am ganzen Körper, und mir wurde schwindelig. Es war, als ginge ich durch ein Minenfeld. Ich hatte viele Primais über diese Erlebnisse, aber noch tiefere Primais betrafen das Gefühl, von meinen Eltern verlassen worden zu sein - es war, als hätte ich überhaupt niemanden.

Im späteren Verlauf der Therapie kam ich in eine andere, noch frühere Art von Feeling, das ich mit keinem Bild und keiner Erinnerung verbinden konnte. Es waren nur Körperempfindungen -ich fühlte mich wie ein winziges Tier, das auf dem Rücken liegt, nackt, und ich hatte keine Worte. Es war, als schrie jeder einzelne Teil meines Körpers auf seine Weise vor Schmerz und Bedürfnis — Bedürfnis, berührt und gehalten zu werden. Ich fühlte mich wie in einer Wüste, allein und vernichtet. Ich weinte und schrie, aber es war keine Emotion da, nur das Gefühl, etwas zu brauchen, was ich nicht hatte. Es war etwas Früheres, Tieferes, Schmerzvolleres als Emotionen wie Traurigkeit. Aber wieder — wie in den Primals, die eine spätere Zeit meines Lebens betrafen — fühlte ich mich gefangen, mehr noch als zuvor. Mein Körper kam mir so zermartert vor, daß ich am liebsten aus ihm herausgeflogen wäre.

Das letzte Feeling, das ich beschreiben möchte, hatte ich vor einigen Wochen. Ich lag im Dunkeln und stellte mir die Szene vor, wie mein wirklicher Vater kam, um mir Lebwohl zu sagen, als ich nicht ganz zwei Jahre alt war. Er kniete nieder und sagte zu mir, daß er jetzt gehen, aber zurückkommen werde. Ich stand vor ihm, und er hielt mit den Händen meine Arme. Ich sagte nichts. Ich sah seinen Körper von mir weggehen, obwohl ich auf das Gras hinunterschaute, das so grün war. Ich blieb damals ganz ruhig. In dem Feeling, das ich nun wieder hatte, gab es keine wirkliche Traurigkeit — hauptsächlich nur Leere und ein Schwindelgefühl.

An diesem Tag quartierte ich mich bei einer Freundin ein, denn ich war sehr krank geworden — eine Halsentzündung und Ohrenschmerzen —, ganz so, wie ich oft als kleines Mädchen sehr krank geworden war. Nachdem ich eine Weile wegen des Fortgehens meines Vaters geweint hatte, begann ich über die Zeit zu sprechen, als ich noch klein war und sehr krank wurde ..... wie dann meine Mutter kam und mich aus dem Pflegeheim nach Hause holte.

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In meinen Erinnerungen hatte ich immer geglaubt, daß es wunderbar gewesen sei, bei ihr zu sein, und daß sie mich liebte. In diesem Feeling erinnerte ich mich zum erstenmal, wie sie damals war — ihr Körper bewegte sich um mein Bett herum, sie brachte mir meine Mahlzeiten, tat alles, was zu tun war, aber ich begann zu fühlen, daß sie nicht wirklich da war. Ihr Körper war da, das, was sie tat, aber innerlich fühlte ich ganz stark, daß ihr nichts an mir lag.

Ich erkannte: der Grund dafür, daß es so guttat, zu Hause zu sein, war einfach der, daß ich von den Pflegeheimen weg und von der Gefahr weg war. Ich konnte mich einfach hinlegen und mich in der Wärme meines Bettes entspannen. In diesem Augenblick des Feelings, als ich gleichsam fühlte, daß der Kampf ums Überleben vorbei war, begann ich die Leere in mir so riesengroß zu spüren. Unmittelbar darauf erlebte ich eine Geburtsempfindung: einen ungeheuren Druck wie einen Ring um meine Stirn, als ob die Finger eines Wahnsinnigen versuchten, meinen Kopf zu zerquetschen. Der Druck ging weiter nach unten zu meinen Augen, zu meiner Nase. Er war so unerträglich, daß ich den Drang hatte, mich vorwärtszuschieben. Die ganze Empfindung dauerte nur ein oder zwei Minuten. Ich bewegte mich vorwärts wegen eines unerträglichen Drucks: mir fiel auf, daß es mein ganzes Leben lang so gewesen war.

Ich wollte immer zurück- oder fortgehen oder davonlaufen, denn was immer ich tat, wo immer ich war - mit vier, zehn, zwanzig Jahren oder auch jetzt -, ich fühlte immer diesen Druck. Ich mußte, zum Beispiel, jedes Jahr um den April (meinen Geburtsmonat) herum verreisen. Das Bedürfnis nach Wärme trieb mich dazu, alles aufzugeben, was ich gerade tat, und in ein anderes Land zu fahren, wo das Wetter sehr warm war.

Ich hatte immer das Gefühl, daß es hoffnungslos und sinnlos sei, etwas zu unternehmen, und jetzt erkannte ich, warum ich nie etwas aus eigenem Antrieb oder für mich selbst unternahm - bis ich zu viel Angst hatte, verletzt oder dafür bestraft zu werden, daß ich es nicht tat. So ging es mir in der Schule, zu Hause mit meinen Eltern und auch in meinem Erwachsenenleben - ich schob immer alles auf, bis ich keine andere Wahl mehr hatte, als es zu tun.

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Ich kann mich selbst eine Million Mal sagen hören: >Ich habe es getan, weil ich keine andere Wahl hatte.< Zum Teil war es dieses Gefühl, das mich zur Primärtherapie trieb. Durch meine Primais habe ich verstehen gelernt, warum ich emotional immer labil war, finanziell immer unfähig, mich selbst zu erhalten, warum ich immer etwas anfing, aber aufgab, bevor ich es zu Ende bringen konnte, warum ich nie imstande war, mich auszuruhen oder zu entspannen, warum ich immer so rasch vorwärtsdrängte und in so viele verrückte, ausweglose Situationen geriet. Plötzlich war es so, als lägen alle Stücke eines Puzzles an ihrer richtigen Stelle, so daß alles, was ich in meinem Leben durchgemacht hatte, einen Sinn ergab.

Ich erfand Kämpfe, symbolisierte Dinge und Menschen, entwickelte Phobien und sah überall Gefahren, weil mich das davor bewahrte, die vernichtende Leere dessen zu fühlen, was die wirkliche Gefahr gewesen war: von meinen Eltern in diesen Pflegeheimen gelassen zu werden, als ich klein war. Ich erkannte auch, daß die Gefahr und die Gefühle des Gefangenseins, die ich in den Pflegeheimen erlebte, nur halfen, mich davon abzulenken, diese Leere und das Abgelehnt­werden zu fühlen. Sie hielten mich auch davon ab, die noch verheerendere körperliche Leere zu fühlen, die ich am Beginn meines Lebens erlebte, weil ich die Berührung nicht bekam, die ich brauchte. Wegen dieser Deprivation trennte ich meinen Körper von der Wirklichkeit seiner Empfindungen und machte mich selbst physisch unempfindlich.

Ich verstehe jetzt, wie der Gebrauch von Haschisch und anderen Drogen in meinen Zwanzigern - der meinem Körper den drogeninduzierten Zugang zu starken Empfindungen verschaffte - den ganzen Schmerz über das, was ich damals nicht bekam, auslöste, und warum ich mich deshalb so verrückt fühlte.

Jetzt kann ich selbständig sein, ohne immer das Gefühl zu haben, daß ich sterben werde. Meine Ängste vor Erdbeben, Flugzeugen etc. sind praktisch verschwunden. Ich würde immer noch Angst haben, wenn ein Erdbeben käme, aber nicht mehr, als was unter solchen Umständen normal wäre. Ich setze mich nicht mehr unter großen Druck wie früher immer. Je mehr ich den ursprünglichen Druck spüre, desto weniger, scheint es, quält er mich in meinem gegenwärtigen Leben.«

*

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Die geringfügigste Bemerkung eines Partners oder Freundes kann die phobische Einstellung auslösen, so wie eine völlig neutrale Situation in einem Lift fahren oder in einem Theater sitzen die phobische Angst hervorrufen kann. Wenn aber die unverhältnismäßige Angst nicht von der anderen Person oder vom Lift oder vom Theater kommt, woher kommt sie dann? Sie muß in der Vergangenheit liegen, im Körper und im Gehirn. Wenn der Gegenstand der Phobie zufällig gewählt sein mag — sicherlich durch die Lebensumstände konditioniert —, so ist die frei flottierende Angst weder zufällig noch genetisch bedingt: sie hat nur ihre Stelle, wo sie hingehört, verlassen und ist zu anderen Stellen gewandert, an denen sie haftenbleibt. Wenn auch die Behauptung, daß alle solche Ängste von einer einzigen Einprägung herrühren können, weit hergeholt zu sein scheint, muß man doch verstehen, daß die Energie — oder vielleicht die Angst — zu einer dauerhaften Kraft wird, die ein Ventil braucht, bis sie aufgelöst wird.

Phobien und phobische Einstellungen werden automatisch durch Geburts-Primals verwandelt, nicht durch Versuche unsererseits, dem Patienten dies oder das einzureden. Tatsächlich ist es sinnlos, mit Argumenten gegen Ängste und Einstellungen vorzugehen, die nichts anderes sind als eine Umwandlung der ursprünglichen Geburts-Feelings in gegenwärtige Abwehrmechanismen. Denn Abwehren geben letzten Endes nur der inneren Verknüpfung nach, niemals Angriffen von außen.

 

    Kontraphobien   

Neben den Phobien gibt es die Kontraphobien. Sie stammen aus denselben Ängsten wie die Phobien. Der Unterschied liegt in der Reaktion des Betroffenen auf diese Ängste. Der Phobische weiß, daß er Angst hat. Wovor er sich wirklich fürchtet, weiß er nicht, aber daß er sich fürchtet, weiß er. Der Kontraphobische gibt seine Angst nicht einmal zu. Unbewußt überkompensiert er die verborgene Angst, indem er übertrieben furchtlos ist.

Die Angst ist so groß, daß das Eingeständnis irgendeiner Angst die elementare Angst heraufzubeschwören droht. Daher macht er sich die entgegengesetzte Einstellung zu eigen. Der Kontraphobische schließt jede Angst aus und geht dann daran, sie unter kontrollierten Bedingungen neu zu schaffen. Er wird Rennfahrer, Fallschirmspringer, Stuntman, Abfahrtsläufer, Bergsteiger.

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Dieser Typ von Mensch braucht extreme Gefahren, um überhaupt Angst fühlen zu können. Primärpatienten, die endlich ihre Geburtsangst fühlen, verlieren das kontraphobische, »unerschrockene« Verhalten. Sie werden endlich sie selbst — nachdem sie ihr Leben lang mit Motorrädern oder Autos zu schnell gefahren oder ihr Leben beim Schwimmen riskiert haben —, indem sie sich zuerst das verängstigte kleine Kind, der von Entsetzen erfüllte Neugeborene oder Säugling sein lassen. Und natürlich ist eines der heimlichen Ziele des kontraphobischen Verhaltens die Herstellung der Verbindung zu diesen Baby-Ängsten.

 

    Bilder als Implikationen   

Sobald die zweite Bewußtseinsebene voll entwickelt ist, ist die Primärkraft imstande, die Produktion von Bildern anzuregen, und das wiederum bedeutet Alpträume, gequälte künstlerische Arbeiten oder möglicherweise Halluzinationen. Es kommt zu nächtlichen Ängsten, die schreckliche Wesen heraufbeschwören, Träumen mit furchterregenden, ausweglosen Situationen. Es gibt Zeichnungen oder Gemälde voll von angsteinflößenden, bizarren Gestalten, obwohl ihre Schöpfer nicht wissen, was sie wirklich bedeuten oder was für eine Kraft hinter ihnen steht. In den extremsten Fällen kommt es zu Halluzinationen, deren Bilder so lebendig sind, daß sie buchstäblich zum Leben erwachen - zu einem Leben der Psychose.

Ein wiederkehrender Alptraum geht zurück auf frühen eingeprägten Urschmerz, und er ist ein guter Beweis für prototypische Reaktionen. Träume sind nur eine andere Methode - die der zweiten Ebene -, die Einprägung zu verarbeiten. Aber wir handeln jeden Tag unseres Lebens aufgrund dieser emotionalen Kraft.

Alpträume können unerträglich sein. Der Schmerz kommt jedoch nicht vom Alptraum — der Alptraum kommt vom Schmerz. Ein Engramm, das in den ersten Lebenssekunden eingeprägt wird, kann in unseren Träumen sechs oder sieben Jahrzehnte weiterbestehen. Der wiederkehrende Alptraum hilft uns, prototypischen Urschmerz und prototypische Reaktionen besser zu verstehen als beinahe jedes andere Phänomen.

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Denn im Alptraum können wir sehen, wie Urschmerz unsere Reaktionen fixiert, lenkt und umschreibt. Nichts, was wir tun, kann ihn ändern, nichts kann seine Intensität mildern. Wir sind einfach Opfer des unbewußten Urschmerzes, der sogar unsere Traumzustände formt und beherrscht. Ein Patient schrieb:

»Geburts-Feelings ließen mich den Ursprung all meiner Träume von Amphibien, Fischen, Flüssen, Kanälen, Krokodilen und sinkenden Schiffen erkennen. Die Primais halfen, die Schrecken meiner Kindheits-Alpträume zu enthüllen, in denen keine Bilder ausreichten, um die Schrecken eines zerrütteten Nervensystems zu symbolisieren.«

Und ein anderer:

»Ich hätte wissen müssen, wie wichtig mein Geburtserlebnis für mich war, da es mein immer wiederkehrender Kindheits-Alptraum war, von riesigen Reifen erfaßt, durch einen Tunnel geschleudert zu werden und das Gefühl zu haben, völlig überwältigt und entsetzt zu sein.«

Die emotionale Kraft des Alptraums sagt uns etwas über die Kraft des Urschmerzes, der ständig in unserem Unbewußten arbeitet. Denn er ist immer da, manchmal besser geschleust als zu anderen Zeiten, aber nie verändert, gleichgültig wie oft wir denselben Alptraum haben. Doch der Alptraum ist nicht das einzige Ergebnis dieser primären Einprägung. Sie hinterläßt ständige Wirkungen. Ein Patient schrieb:

»Manchmal fühle ich mich wie ein alter verbrauchter Mann, der bereit ist aufzugeben und zu sterben. Ich glaube, ich bin bei der Geburt beinahe wirklich gestorben. Ich habe einen immer wiederkehrenden Traum gehabt, in dem ich plötzlich mit dem sicheren Tod konfrontiert war. Ich falle in diesem Traum endlos, und das Gefühl überwältigt mich so sehr, daß, wenn ich aufwache, mein Herz wild schlägt und ich davon überzeugt bin: was im Traum geschah, ist wahr und wirklich.«

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Warum verhalten wir uns in unseren Alpträumen Jahrzehnt um Jahrzehnt gleich? Warum empfinden wir Jahr für Jahr schreckliche Angst wegen derselben Art von Traumgeschichte? Unsere Reaktionen scheinen prädeterminiert zu sein. Ebenso scheinen auch die Reaktionen unseres »Feindes« prädeterminiert zu sein: ob er ein Einbrecher, Nazi oder Alligator ist, er wird immer dasselbe tun: verfolgen und angreifen. Traumfeinde sind unbarmherzig, weil der unbewußte Urschmerz unbarmherzig ist.

Wenn wir Herren über die Träume sind, die wir selbst hervorbringen, warum haben wir dann nicht die Macht, unsere eigenen, selbstgeschaffenen Feinde davon abzuhalten, uns zu verfolgen? Unglücklicherweise befindet sich das Ich, das für den Traum zuständig ist, auf einer tieferen Bewußtseinsebene außerhalb des Intellekts der dritten Ebene. Die Überredungskraft des bewußten Geistes ist im Traumzustand ebenso wirkungslos wie gegen jede Kraft auf einer niedrigeren Ebene. Es zeigt sich, daß es mehrere »Ichs« gibt: das der Empfindungen und Emotionen ebenso wie das des Intellekts. Wenn sie harmonisch zusammenarbeiten, sind wir integrierte Menschen. Bis dahin leiden wir unter prototypischen Reaktionen, über die wir keine gegenwärtige Kontrolle haben und die von prototypischem Urschmerz herstammen, über den wir vor langer Zeit keine Kontrolle hatten.

 

    Körperliche Implikationen auf der zweiten Ebene   

Wir erkennen nun, daß Symptome, von denen wir einst annahmen, sie würden in erster Linie durch (Kindheits-)Traumata der zweiten Ebene verursacht, oft Verbindungen mit der ersten Ebene (der Geburt) haben. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn wir die beharrliche Kraft erkennen, die diesen Symptomen zugrunde liegt.

Die lebenslange unaufhörliche Wiederholung von Gesichts-Tics ist ein Beispiel für diese Kraft oder Energie, denn geboren wird man nicht mit einem Tic. Ein weiteres Beispiel ist das Stottern. Es mag im Sprechzentrum irgendein neurologisches Defizit geben oder auch nicht, aber es hat den Anschein, daß es ein Geburtstrauma geben muß, um in vielen Fällen das Symptom hervor­treten zu lassen. Die periodische elektrische Primärkraft scheint sich in die Sprechmuster einzudrängen und sie zu stören, und sie verhindert den fließenden sprachlichen Ausdruck.

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Stottern ist ein Symptom, das aus einander widersprechenden Impulsen des Ausdrucks und der Verdrängung entsteht, die aus zwei entgegen­gesetzten Bewußtseinsströmen stammen. Selbst wenn das, was verdrängt wird, nicht verbal ist, sondern reine primäre Energie oder Wut, dringt es in die verbale Ebene ein. Oder das Kind unterdrückt verbales Material — seine Enttäuschung, das Gefühl, kritisiert oder nicht angehört zu werden etc. —, und Stottern wird zum Kompromiß. Wir haben Stotterer gesehen, deren Symptome sich radikal besserten, wenn sie sich endlich in Primais ausdrücken konnten.

Was hat das Geburtstrauma mit Stottern zu tun? Eine bestimmte Art von Trauma, beispielsweise Strangulation (Einklemmung, Abschnürung der Nabelschnur), kann ein Zielgebiet der Verwundbarkeit schaffen, das durch spätere Erlebnisse innerhalb der Familie verstärkt wird und zum Stottern führt. Der von den Eltern ausgeübte Druck in bezug auf das Sprechen reaktiviert das Zielgebiet des Traumas des Kindes. Die Valenz des Geburtstraumas produziert zusammen mit dem emotionalen Druck bezüglich des Sprechens eine Überlastung, deren Folge die stammelnde Rede ist. (Bei anderen verstärkenden Erlebnissen würde das Strangulationstrauma kein Sprechproblem ergeben, sondern eine chronische Halsentzündung, Asthma oder Klaustrophobie. Wie immer verwandelt die einzigartige Matrix der Erlebnisse des Individuums das Geburtstrauma in dieses oder jenes Symptom.)

Wenn Stottern etwas mit dem Geburtstrauma zu tun hat, muß es eine spezifische Erinnerung geben, die in das Bewußtsein einsickert und später das Sprechen behindert. Aber wie kann eine vollkommen nichtverbale, ja präverbale Erinnerung an Strangulation bei der Geburt später eine rein verbale Funktion wie das Sprechen beeinträchtigen?

In Primal Man erklärte Dr. Michael Holden:

»Kann ein Kind, das durch eine um den Hals geschlungene Nabelschnur oder durch die Einklemmung einer Schleife der Nabelschnur vorübergehend asphyxiert wurde, eine Erinnerung daran formen? Die von Patienten während der Primärtherapie berichteten Reaktionen lassen darauf schließen, daß solche Erinnerungen geformt werden. Die Beziehung zwischen Asthma oder Stottern und einem solchen Ereignis stimmt durchaus mit der Adäquatheit der neuralen Strukturen überein, die die Funktionen der Luftröhre, der Atmung und des Kehlkopfs beim Neugeborenen integrieren. Jeder Körperteil ist durch die Tätigkeit des Nervensystems in eine integrierte Funktion einbezogen. Es wäre unvernünftig zu sagen, daß sich die Luftröhre an eine vorübergehende Strangulation während der Geburt >erinnert<, aber es gibt neuroembryologische Anhaltspunkte dafür, daß die Funktionseinheit von Luftröhre und Nervensystem des Neugeborenen ein reaktives, adäquates System ist; eines, das potentiell fähig ist, von einem ungewöhnlich intensiven Stimulus zu >lernen<.«

 

Mit anderen Worten, es gibt eine Körpererinnerung an das Geschehene; und es gibt eine adäquate neurale Entwicklung, die es ermöglicht, das Erlebnis in einer Erinnerung, einem Engramm oder einer Einprägung zu kodieren und zu verarbeiten. Die Erinnerung gehört nicht nur dem Bereich des »Geistes« an; sie ist ein holistischer, ein ganzheitlicher Zustand, und jede Bewußt­seinsebene hat teil an ihr. Die Luftröhre »erinnert« sich — nicht im Sinne einer Metapher, nicht anthropomorph, sondern zellular.

Körper und Geist sind eins und ändern sich als Einheit als Reaktion auf eine Erlebnistherapie. Tatsächlich müßte man mißtrauisch, sein, wenn alles, was wir fänden, die in unseren Fragebögen festgehaltenen psychologischen Änderungen ohne die entsprechenden physiologischen Änderungen wären. Es wäre ein Zeichen mehr dafür, daß Körper und Geist nicht aufeinander abgestimmt sind — und daß die Therapie auf beide nicht abgestimmt war.

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