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4. Bewußtseinsebenen und die Natur der Psyche

 

Janov-1991

 

 

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Wir haben gesehen, daß Krankheit aus einem Muster von frustrierten Bedürfnissen, Schmerz, Verdrängung und der Entwicklung einer besonderen Kategorie von Erinnerungen, Prägungen genannt, entsteht. In den vorhergegangenen Kapiteln habe ich bei zahlreichen Gelegenheiten von etwas namens »Psyche« gesprochen. Psyche ist die Struktur oder der Rahmen, in dem diese ganzen Aktivitäten und Dramen stattfinden. Um unser Verständnis für das zu vertiefen, was Krankheit ist, und die Grundlage für die Erkenntnis zu legen, wie die Primärtherapie zur Gesundheit führen kann, müssen wir uns genauer anschauen, was wir mit »Psyche« meinen.

Seit Jahrhunderten ist die Psyche ein geheimnisvoller Ort, bevölkert mit dunklen Dämonen, die uns im Alltagsleben verfolgen, unseren Schlaf stören, seltsame Träume erzeugen und uns unkontrolliert umtreiben. Für einige ist die Psyche sakrosankt und sollte nicht angerührt werden; sie haben die Einstellung, schlafende Hunde solle man nicht wecken. Sie sind nicht überzeugt, daß ihr Verhalten, ihre Symptome, ihre Träume und Strebungen von tiefliegenden Kräften getönt oder bestimmt werden.  wikipedia Sakrosankt  unantastbar

Dies ist nicht nur eine Einstellung von Laien, sondern auch die Überzeugung einiger psychologischer Schulen wie der Behavioristen, die es vorziehen, die Psyche nicht zu berücksichtigen und ihr Augenmerk ausschließlich auf das Verhalten zu richten. Doch gerade der Begriff der unbewußten Psyche liegt im Zeitgeist und ist Teil des kollektiven Bewußtseins unserer Epoche.

Das Problem der Psyche fordert Philosophen und Wissenschaftler seit Jahrhunderten heraus. Wo sie sich befindet, ist ein weiteres ärgerliches Problem. Ist sie dasselbe wie das Gehirn? Steht sie über dem Gehirn? Falls es so ist, wie kann das möglich sein? Wie kann eine Psyche ohne das Gehirn funktionieren? Wenn sie etwas vom Gehirn Getrenntes ist, was läßt sie dann überhaupt arbeiten?

Es gibt Menschen, die ihr Leben mit dem Versuch zugebracht haben, diese Fragen zu beantworten. Für sie ist die Psyche etwas, das es zu erforschen und wie einen Berg schließlich zu erobern gilt. Das wenigste, was sie wollen, ist die Kontrolle über die Psyche. Es gibt also Dutzende von Schulen in bezug auf die Psyche.

Im allgemeinen wird die Psyche als etwas betrachtet, das man fürchten muß; jede Religion sieht den Menschen (und daher sein Unbewußtes) als grundlegend böse an, gezwungen, ständig gegen seine Impulse anzukämpfen. Die Vorstellung ist die, daß wir die Bestie in uns unter Kontrolle halten müssen, weil wir sonst verrückt werden. Fast jede gegenwärtige dynamische Psychotherapie dehnt diese religiöse Idee auf das Reich der Psychologie aus, wo die Psyche noch immer als grundlegend böse gilt in dem Sinne, daß wir von Dämonen verfolgt werden, die nicht so sehr exorziert als vielmehr verstanden und kontrolliert werden müssen. Es ist an der Zeit, das geradezurücken. Wir müssen wissen, was die Psyche ist, was sich in ihr befindet und wie sie in Krankheit und Gesundheit funktioniert.

 

    Die Psyche im Körper   

 

Lassen Sie mich mit einem Vorschlag beginnen: Die Psyche ist nicht einfach im Gehirn. Das Gehirn verarbeitet Informationen aus allen Körperteilen. Und jede Zelle unseres Körpers ist ein Informations­prozessor. Zellen im Immunsystem speichern alte Information, erkennen Feinde und regen das System zur Kampfbereitschaft an. Sie erinnern sich, wenn derselbe Feind früher schon einmal da war, und geben Befehl, sich selbst zu klonen, um ihn zu bekämpfen.

Ist die Psyche also im Immunsystem? Die Immunpsyche ist es. Das Immunsystem ist eine Psyche, welche die Fähigkeit zum Erinnern, Wieder­erkennen und Befehlen hat. Sie hat ihre eigene Sprache — die nicht aus Worten besteht —, denn sie kommuniziert zweifellos. Sie kann den natürlichen Killerzellen von einem Angreifer berichten und sie in Alarmbereitschaft versetzen. Dann vervielfachen sich die Killerzellen und nehmen das Gefecht gegen die Krebszellen auf.

Das Immunsystem berichtet auch dem Gehirn von seinen Aktivitäten. Es informiert den Hypothalamus, der andere Gehirn­prozesse in Gang setzt. Man könnte sagen, daß die Befehlszentrale für das Wirken der Immunpsyche überhaupt nicht im Gehirn liegt, sondern in den Lymphozyten, den weißen Blutzellen, die Antikörper zur Bekämpfung von Krankheit erzeugen. Das Immun­system ist nur ein System unter vielen, die Informationen verarbeiten. Diese Informationen erreichen schließlich das Gehirn, wo sie koordiniert werden. Ohne alle diese Beiträge gäbe es keine Psyche.

Solange wir Denken und verbale Aktivität mit der Psyche gleichsetzen, gehen wir in die Irre. Verbale Aktivität ist das Produkt einer jungen Psyche, der Psyche, die sich in der menschlichen Spezies als letzte entwickelt hat, weit nach der primitivsten Psyche. Es gab einen weiten evolutionären Sprung zwischen der Psyche, die uns beim Überleben hilft, und der Psyche, die überlegt und Logik benutzt. Die verbale Psyche gestattet uns, zu sagen, was in unserer Psyche vorgeht. Die verbale Psyche kann von den niedrigeren Organisations­ebenen abgeschnitten sein und nicht die leiseste Ahnung davon haben, was unten vor sich geht.

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Die Überlebens-, die fühlende, die denkende Psyche 

 

Es gibt tatsächlich drei deutlich verschiedene Hauptpsychen. Die Überlebenspsyche ist die Psyche, die uns atmen läßt und unseren Blutdruck konstant hält. Es gibt auch eine Gefühlspsyche, die Emotionen oder Gefühle erzeugt und verarbeitet. Und schließlich gibt es noch die verbale, logische, denkende Psyche — die Psyche, die Sprache benutzt und Probleme löst. Jede dieser Psychen, die allerdings im Gehirn miteinander verbunden sind, ist ein separates Gebilde mit unterschiedlichen Funktionen. Eine Schädigung der logischen, verbalen Psyche hat vielleicht überhaupt keinen Einfluß auf die Gefühlspsyche. So kann ein Mensch sich nach gewissen Gehirnschädigungen emotional äußern, aber nicht wissen, warum er das tut. Er kann sagen: »Scheiße, ich hasse das«, aber er kann nicht sagen, was er haßt oder warum. Menschen können Emotionen verarbeiten, ohne den Kortex genannten Bereich des Gehirns oder die denkende Psyche zu benutzen.

Wenn sowohl die denkende als auch die Gefühlspsyche zu Schaden kommen, etwa bei einem Autounfall, dann fährt die Über­lebens­psyche fort, Befehle zum Atmen und zur Aufrechterhaltung von Herzschlag und Blutdruck zu geben. Wir können »gehirntot« sein und dennoch mit einer Art rudimentärem Bewußtsein leben. Selbst bei Operationen, wenn wir narkotisiert sind, gibt es Anzeichen dafür, daß niedrigere Ebenen des Bewußtseins Schmerz verarbeiten und tatsächlich auf das reagieren, was die Chirurgen sagen.

 

Bewußtsein und die drei Hauptpsychen

Die Überlebens-, die Gefühls- und die denkende Psyche funktionieren auf drei verschiedenen Ebenen des Bewußtseins. Es gibt eindeutig eine Art Schleusensystem, das diese drei Ebenen voneinander getrennt hält. Diese drei Psychen und drei Bewußt­seins­ebenen entwickelten sich im Laufe der Menschheitsgeschichte. Die Überlebenspsyche kam zuerst, dann die Gefühls­psyche, zuletzt die denkende Psyche. Die Entwicklung eines Kindes rekapituliert diese Evolution.

Anfänglich werden die Ereignisse, die von der Zeit an, wenn ein gut organisiertes Nervensystem besteht (etwa ab dem dritten Schwanger­schaftsmonat), bis ungefähr zum Alter von sechs Lebensmonaten eintreten, tief unten im Nervensystem auf dem, was ich die »erste Linie« nenne, registriert.

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Ereignisse, die nach dem sechsten Monat eintreten, werden auf der »zweiten Linie« oder emotionalen Ebene eingeprägt. Die dritte Linie beginnt in der Präadoleszenz und setzt ihre Bildung bis in unsere zwanziger Jahre fort; sie verläuft zusammen mit der Entwicklung der höchsten Ebene von Nervengewebe — dem zerebralen Kortex. Eingeprägter Schmerz und die Erinnerung daran auf der ersten Linie sind am wenigsten zugänglich. Daher tendieren sie dazu, später am wenigsten geglaubt zu werden, weil sie so schwer zurückzuholen und zu verstehen sind. Auch Sprache hilft bei diesem Verständnis nicht, was das Problem noch komplizierter macht. Es ist eine Ebene, die nur mit ihren eigenen Begriffen erreicht werden kann.

Später, wenn der Säugling sich entwickelt, beginnt er oder sie, zu einer größeren Welt als der aus Mutterbrust und Bettchen in Beziehung zu treten. An diesem Punkt dominiert das limbische System bei den Reaktionen des Babies auf die Umgebung. Das Baby kann jetzt emotionale Bindungen zu seinen Eltern und Verwandten herstellen. Es kann mehr erleben als nur physisches Mißbehagen und Schmerz. Jetzt kann es emotionales Leid fühlen.

Schließlich beginnt wie bei der Evolution der menschlichen Spezies die dritte psychische Ebene, die Ebene des Denkens (Kognition) zu dominieren, etwa um das Alter von zwölf Jahren herum. Zum Zeitpunkt der Adoleszenz besitzen wir alle drei vollen Bewußtseins­ebenen, die den drei Hauptpsychen entsprechen. Diese funktionieren wie folgt:

Erste Ebene: Dies ist die viszerale oder Eingeweideebene, die sensorische Ebene, die sich mit dem Empfinden befaßt und körperliche Impulse und Zustände vermittelt. Diese Ebene verkörpert die Überlebenspsyche.

Zweite Ebene: Dies ist die affektiv-expressive Ebene, die den komplexen Prozeß vermittelt, der mit der Erzeugung und dem Ausdruck von Fühlen und Emotion verbunden ist. Sie ist die Ebene der Gefühlspsyche.

Dritte Ebene: Dies ist die vertraute kognitive oder denkende Ebene. Sie liefert auch Unterscheidung, Verständnis und Sinn im Hinblick auf Gefühlszustände. Sie ist die Ebene der denkenden Psyche. Jede Ebene trägt ihren Teil zur Erfahrung von Schmerz bei. Auf der ersten Ebene besteht das grobe Empfinden von Schmerz. Auf der zweiten Ebene wird der Schmerz emotional ausgearbeitet. Auf der dritten Ebene wird der Schmerz bewußt erkannt.

Normalerweise setzt sich ein Gefühl oder eine Einstellung, die wir zu einer Person, einem Gegenstand oder einer Aktivität haben, aus allein drei Ebenen des Bewußtseins zusammen: Empfinden, Emotion und Kognition. Alle drei sind untereinander verbunden und arbeiten harmonisch zusammen. Wenn aber das Gefühl überwältigend ist, wie bei der Feststellung »Sie mögen mich nicht«, dann wird die flüssige Verbindung zwischen den Ebenen unterbrochen. Jetzt kommt es zu Fragmentierung und Abblocken.

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Weil jede Ebene ihr eigenes Verdrängungssystem hat, ist es möglich, von den primitivsten Impulsen und Bedürfnissen abgeschnitten zu sein. So vergessen wir beispielsweise zu essen oder sind unfähig zu schlafen. Es ist möglich, von Emotionen losgelöst zu sein, so daß man nicht mehr weiß, was man braucht oder was man fühlt. Genauso ist es möglich, vom Denken abgeschnitten zu sein, so daß man Ideen und Vorstellungen hat, die überhaupt nichts mit dem zu tun haben, was »unten« vor sich geht. Der erfolgreiche Manager, der meint, er fühle sich großartig, ist so abgeschnitten von seiner eigenen physischen Realität, daß ein Schlaganfall oder Herzinfarkt nötig ist, um die wahre Botschaft an seine Psyche »durchzubringen«.

 

Schmerz: der Organisator der Psyche  

 

Historisch gesehen haben im Laufe der Jahrhunderte menschlicher Evolution Reaktionen auf Schmerz der Psyche ihren auf drei Ebenen strukturierten Charakter gegeben. Das Gehirn hat sich entsprechend den Herausforderungen und ungünstigen Umständen entwickelt. Schmerz hat die Struktur des Bewußtseins diktiert, weil Schmerz nicht einfach eine gewöhnliche Erfahrung war. Schmerz trat auf als Folge von Bedrohungen des Überlebens des Systems. Die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden, war der Schlüssel zum Überleben, biologisch und psychologisch. Wer der Fähigkeit der Schmerzempfindung beraubt ist, befindet sich in ständiger Gefahr, von etwas zerstört zu werden, das er nicht fühlen und daher nicht vermeiden kann.

Eines der Grundprobleme in der Psychologie besteht bis heute darin, daß entweder Bewußtsein oder Schmerz unabhängig voneinander untersucht wurden, nicht aber eines als Funktion des anderen. Aus evolutionärer Sicht scheint Schmerz wohl der zentrale Faktor zu sein, der das Bewußtsein zu seiner gegenwärtigen Struktur organisiert hat. Ich glaube, daß das auch ontogenetisch gilt, was bedeutet, daß Schmerz zum organisierenden Prinzip bei der Entwicklung unseres eigenen Bewußtseins wird, und zwar bei jedem von uns, vom Embryo bis ins Erwachsenenalter.

Abgeblockter und verdrängter Schmerz ist die Grundlage für eine Beeinträchtigung der Kommunikation zwischen den Bewußt­seins­ebenen. Er ist verantwortlich für eine Art von Fragmentierung und Zusammen­hangslosigkeit. Den Schmerz ins volle Bewußtsein zu bringen erzeugt nicht bloß eine Bewußtheit des einen oder anderen spezifischen Schmerzes, sondern setzt ein ganz neues Bewußtseinssystem frei.

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Es gibt Anzeichen dafür, daß das höhere zentrale Nervensystem — die dritte Ebene des Bewußtseins — einen stark unter­drückenden Einfluß auf die Erfahrung von Schmerz ausübt. Diese unterdrückende Tendenz bedeutet, daß Gedanken auf der dritten Ebene sensorische Eingaben und das, was erlebt werden kann, zu kontrollieren vermögen.

Wenn die dritte Ebene eingelullt ist, beispielsweise im Schlaf, kehren im Unbewußten kodierte Erinnerungen in Form von Alpträumen mit alarmierender Kraft zurück. Dabei können alle Empfindungen eines Geburtstraumas aufsteigen — Gefühle, zerschmettert, ertränkt, erstickt oder erwürgt zu werden. Im Grunde geht es nicht um das Unbewußte, obwohl dies ein bequemer konventioneller Begriff ist, sondern um eine andere Ebene des Bewußtseins, zu der wir Zugang gewonnen haben; es gibt keine biologische Unbewußtheit, sondern nur Ebenen des Bewußtseins, die unbewußt werden, wenn sie abgeblockt werden. Daran ist nichts Geheimnis­volles. Die Empfindungen eines Alptraums, der im Schlaf in höhere Bewußtseinsebenen eindringt, sind leider unablässig vorhanden und warten darauf, freigesetzt und verbunden zu werden.

 

Die Psyche und die drei Ebenen des Bewußtseins 

 

Die drei Ebenen des Bewußtseins sind ständig an der Arbeit; sie bilden die Psyche. Jede Ebene hat ihre separate Funktion und ein anderes biochemisches System. Die Gefühls- oder zweite Ebene ist vollgepackt mit Endorphinrezeptoren, die den Schmerz abblocken. Tiefer, auf der ersten Ebene (Eingeweideebene), wo starker Schmerz in eine als locus ceruleus bekannte Struktur eingeprägt wird, finden wir eine hohe Konzentration des Streßhormons Noradrenalin. Es hilft, mit Schrecken umzugehen.

Ich nenne diese Ebenen des Bewußtseins (von der niedrigsten zur höchsten) erste, zweite und dritte Linie. Wenn die Diagnose eines Patienten und seines Zustandes erstellt wird, gestattet uns unsere Kenntnis der Bewußtseinsebenen, gleichzeitig eine Aussage über das physiologische Gehirn und die begriffliche Struktur zu machen, die wir Psyche nennen. Gewisse Arten von Alpträumen oder Besorgnissen verraten uns beispielsweise, welche Art von Material bei unseren Patienten im Aufsteigen begriffen ist, wie gut ihre Abwehrmechanismen sind und welches Gefühl als nächstes zu erwarten ist. Auch das Fehlen von Alpträumen kann ein wichtiger diagnostischer Hinweis sein.

Was wir Psyche nennen, entwickelt sich beim neugeborenen Säugling in verschiedenen Stadien, während das Gehirn sich in als Neuropile bekannten konzentrischen Sphären entwickelt. Zu den Funktionen der ersten Linie gehören die anatomische Mittellinie, gastrische, respiratorische, Blasen- und Darmfunktionen.

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Sie werden vom inneren Teil des Gehirns kontrolliert, der praktisch bei und schon vor der Geburt voll funktioniert — der Eingeweideebene des Bewußtseins. Die zweite Ebene oder emotionale Komponente der Psyche, im limbischen System konzentriert, funktioniert ebenfalls bald nach der Geburt. Das kortikale, denkende, symbolische Gehirn tritt seine volle Funktion allerdings erst einige Jahre später an. In der Zwischenzeit werden Traumata von den niedrigeren Neuropilen gehandhabt. So wird das Neugeborene eine Kolik entwickeln, weil es nicht die Fähigkeit zum Mystizismus hat. Dazu brauchte es ein entwickelteres Gehirn. Wenn es das schließlich erreicht hat, kann sich die Neigung zu Koliken in Mystizismus verwandeln.

 

Krankheit und Bewußtsein der ersten Linie

 

Der Zugang zum Bewußtsein der ersten Linie ist einer der wesentlichen Beiträge der Primärtherapie, weil er bedeutet, daß wir zum erstenmal die tiefliegenden Quellen sowohl psychischer als auch körperlicher Krankheit aufzeigen können. Wenn ein Trauma sehr früh im Leben auftritt, wird das Eingeweidegehirn sich damit befassen, mehr Säuren ausschütten, den Herzschlag beschleunigen, den Blutdruck und die Körpertemperatur erhöhen. Die viszerale Psyche ist die einzige Psyche, die dazu ausgerüstet ist, mit frühen Traumata umzugehen.

 

Schmerz und die Bewußtseinsebenen

Ein Baby, das gleich nach der Geburt nicht zu seiner Mutter gelegt wird, leidet auf der ersten Linie. Die Reaktionen auf dieses Trauma erfolgen mittels des fortgeschrittensten vorhandenen Nervensystems. Auf der Eingeweideebene mag es zu Koliken, Erbrechen und Atemschwierigkeiten kommen. Ein fünfjähriges Kind, dem ständig Scham- oder Schuldgefühle eingeflößt werden, leidet auf einer emotionalen Ebene. Jetzt wird der Schmerz nicht nur in den Eingeweiden verarbeitet, sondern auch in den voller entwickelten emotionalen Zentren des Gehirns. Das Kind hat jetzt die Mittel, seinen Schmerz in der Schule mit seinen Gefährten auszuagieren. Es kann nun die Energie des Schmerzes abführen, was ein Neugeborenes nicht kann. Das Neugeborene leidet innerlich, weil es keine Ventile hat.

Die emotionale Ebene weint und schluchzt und erzeugt Traumbilder, die versuchen den Schmerz zu erfassen und zu umschreiben. Der Kortex und seine denkende Psyche werden eingeschaltet und versuchen das Unerklärliche zu erklären. Weil es auf dieser Ebene eine erneute Repräsentation des frühen Traumas gibt, wird der Versuch unternommen, der Verletzung einen Sinn abzugewinnen. 

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Ohne vollen Zugang zu deren Quelle tut der Kortex, was er kann, und dehnt die Logik notfalls bis ins Irrationale aus. Paranoide Reaktionen sind nichts weiter als der Versuch, ohne die richtige historische Information eine ferne und unzugängliche innere Verletzung (die oft mit harten Lebensumständen einhergeht) in den Brennpunkt zu rücken. Deshalb wirken die diesbezüglichen Gedanken so bizarr. Der Kortex als ahnungsloser Komplize projiziert die Verletzungen nach draußen: »Sie lachen hinter meinem Rücken über mich.« »Sie sind darauf aus, mir wehzutun.« Wenn er nur wüßte, wer »sie« sind!

Erinnerung wird auf jeder Bewußtseinsebene anders kodiert. Das ist der Grund, warum ein Patient, der ein Geburtsereignis wiedererlebt, keine Worte, keine Babyschreie und keine Bewegungsfreiheit besitzt. Erstaunlich an diesen Erinnerungen ist, daß sie absolut rein und von Erfahrung unberührt bleiben. Sie kommen sozusagen wie frisch aus der Verpackung im Bewußtsein an. Die Erinnerung enthält alle Details, die das Trauma umgeben — nichts ist verändert. Die alte Umgebung ist jetzt eine Einprägung, die das System zwingt, diese Umgebung in der Gegenwart wiederzuerschaffen, erstens, um der Prägung zu entsprechen und so das, was aus dem Unbewußten antreibt, rational zu machen; und zweitens, damit die Person das frühe Trauma lösen kann, wenn dies auch nur symbolisch geschieht.

Eine Frau, deren eingeprägtes Trauma ein schwacher und hilfloser Vater ist, der sie nicht beschützen konnte, findet vielleicht in ihrem Leben weitere schwache Männer und kämpft darum, sie stark zu machen — ein symbolischer Versuch, einen realen, beschützenden Vater zu schaffen.

Wir können sehen, wie sich frühe Prägungen in Erscheinungen wie einer Migräne manifestieren. Das frühe Trauma ist oft ein Sauerstoffmangel bei der Geburt, auf den ursprünglich mit Gefäßverengung reagiert wurde, gefolgt von massiver Gefäß­erweiterung und der anschließenden Erfahrung pochenden Schmerzes. Ein Konflikt im Erwachsenenalter kann die Migränereaktion wieder hervorrufen. Was vielleicht nicht bemerkt wurde, ist die spezifische frühe Erinnerung, die sich in dem Symptom verbirgt. Der Migräneanfall ist dann eine biologische Überlebens­erinnerung und der Versuch, Sauerstoff zu sparen. Eine der Behandlungs­weisen für Migräne ist Sauerstoffzufuhr.

Keine Bewußtseinsebene kann die Arbeit einer anderen erledigen. Kein hirngesteuertes Verständnis der Welt wird die eingeprägte Erinnerung an eine Steißgeburt verändern. Die Gefühlspsyche kann kein geometrisches Problem lösen, und die kortikale Psyche kann durch keinerlei Willensakt die genauen Ursprünge einer eigenartigen Idee erkennen, die sie vielleicht hegt.

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Weil jede Ebene ihr eigenes Erinnerungssystem hat, kann man nicht versuchen, sich an ein Gefühl zu erinnern. Es muß auf seine eigene Art gespürt werden. Das Immunsystem erinnert sich jahrzehnte­lang an einen Virusangriff, während der Kortex sich spezifischer Worte und Figuren erinnert.

Das Erscheinen von Geburtsmalen, wenn Patienten ihr Geburtstrauma wiedererleben, ist ein Beispiel für eine spezifische Erinnerungs­ebene. Zangenmale erscheinen auf der Stirn oder wo immer sie ursprünglich Spuren hinterließen. Druck auf bestimmte Stellen beispielsweise, auf die ein Erwachsener als Kind schwer geschlagen wurde, kann die Erinnerung an das Geschehen mit all seiner schmerzhaften Bedeutung wieder wecken und die entsprechenden blauen Flecken erzeugen. Es ist fast, als »erinnerte« sich die Stelle am Rücken und »riefe zurück«, wenn der Reiz angemessen ist.

Erinnerung wird also auf verschiedene Arten zurückgeholt, von denen einige nichts mit Gedanken, Szenen oder verbalen Beschreibungen zu tun haben. Wir haben Erinnerungen an Gerüche, die immer nur durch Gerüche wieder geweckt werden, Erinnerungen an Gefühle, die wir empfunden haben, und Erinnerungen an mathematische Tabellen, die keinen emotionalen Gehalt besitzen.

Der Neurophysiologe Roger Sperry vom Cold Harbor Spring Laboratory in New York hat festgestellt, daß jede Nervenfaser einen einzigartigen chemischen Kode hat, der ihr sagt, wohin sie gehen und wo sie wachsen soll. Jede Axonfaser der Nervenzelle hat eine Affinität (er bezeichnet sie als »Chemoaffinität«), die chemisch einer entsprechenden Zelle einkodiert ist. Das entscheidende Detail ist, daß die Nerven sogar nach dem Durchschneiden in exakt dem gleichen Muster nachwachsen, einem Muster, das sich infolge von Erfahrung nicht verändert. Man könnte annehmen, daß etwas Ähnliches mit durch Schmerz und Verdrängung abgetrennten Kreisläufen geschieht. Sie warten ein Leben lang auf die passende Zusammen­schaltung, spüren jedoch irgendwie instinktiv, daß eine solche Zusammenschaltung gefährlich sein könnte, wenn sie vorzeitig erfolgt.

 

Bewußtsein und die Funktion des Gehirns 

 

Ein ausgeglichener Mensch hat eine ausgewogene Psyche. Der Zugang zu den niedrigeren Ebenen ist offen, und seine Intelligenz dient den Gefühlen und Trieben. Dies gestattet der betreffenden Person, instinktiv auf Situationen zu reagieren und sofortige und dennoch angemessene Entscheidungen zu treffen. Football-Spieler besitzen diese Fähigkeit; sie wissen instinktiv, wohin sie auf dem Spielfeld laufen müssen. Ihre Handlungen sind nicht Teil eines überlegten, durchdachten Prozesses.

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Die niedrigere Psyche wirkt und lenkt den Körper ohne größere Mitwirkung der logischen, reflektierenden Psyche. Es gibt Menschen, die sich weder auf diese instinktive Weise bewegen noch tanzen noch Dinge tun können, die instinktiv sein sollten, weil sie »in ihrem Kopf leben«. Sie haben bei ihrer kortikalen Psyche Zuflucht gesucht und ihr gestattet, das Kommando zu übernehmen. So gelingt es ihnen nicht, auf der Grundlage von Gefühlen zu reagieren, die weggesperrt sind, sondern nur mit einem komplizierten kortikalen Prozeß, der Alternativen abwägt und ausgleicht. Wenn man sie fragt, wie sie sich fühlen, wissen sie es nicht genau. Sie fangen an, bestimmte negative Faktoren zu eliminieren und zu bestimmen, ob sie sich gut oder schlecht fühlen. Was sie äußern, ist eine Entscheidung, kein Gefühl.

Ist Bewußtsein dasselbe wie Gehirnfunktion? Sind beide identisch? 

Die gesamte Gestalt eines tätigen Gehirns hat eine andere Qualität als das Gehirn selbst. Wir als menschliche Wesen sind mehr als die Summe unserer Teile, und das gilt auch für das Bewußtsein. Psyche ist das gesamte Gehirn in Aktion. Psyche ist nicht mit dem Gehirn identisch, sondern eine daraus hervor­gehende Qualität. Psyche besteht aus Gehirnzellen, kann jedoch nicht auf diese reduziert werden. Sie ist fähig, mit dem Gehirn zu interagieren und dessen Funktion und schließlich Struktur zu verändern.

Infolgedessen spielen die Lebensumstände eine Rolle. Ratten, die früh im Leben in einer anregenden Umgebung aufgezogen wurden, haben einen anderen Kortex als nicht stimulierte Ratten. Ihr Gehirn veränderte sich entsprechend den sozialen Bedingungen. Solche sozialen Bedingungen verändern die Psyche auf allen Ebenen und scheinen auch einen Wandel der physischen Struktur zu bewirken.

Auf ähnliche Weise haben wiederholte Gehirnwellen­untersuchungen gezeigt, daß die Gehirne meiner Patienten sich in Funktion und Struktur veränderten, wenn sie Zugang zu ihrem Funktionieren auf niedrigeren Ebenen gewannen. Die Beziehung der beiden Hemisphären veränderte sich, ebenso die der verschiedenen Quadranten des Gehirns. Wie können wir dies erklären? Bewußtsein veränderte die Hirnfunktion. Das Wiedererleben erschütternder früher Ereignisse veränderte die Arbeitsweise des Gehirns.

 

Psyche versus Körper

 

Das Geist-Körper- (bzw. Psyche-Körper-) Problem ist uralt. Manche Leute meinen, wir seien Kreaturen des physischen Gehirns mit computer­ähnlichen Funktionen, die nur die Illusion von Freiheit und Wahl vermitteln. Sie glauben, dieses Gehirn diktiere unser Leben. Für sie gibt es keine »Psyche«.

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Das ist eine alte Philosophie, die von der psychotherapeutischen Schule der Behavioristen übernommen wurde. Bei ihrem Ansatz wird die Psyche nie erwähnt. Sie prägen und »ent«prägen Verhaltensweisen auf der Grundlage von Belohnung und Strafe. Den Behavioristen zufolge sind wir nicht mehr als Maschinen, die mechanisch auf Eingaben reagieren wie die Pawlowschen Hunde.

Auf der anderen Seite stehen die Mystiker. Sie glauben, Geist oder Psyche seien irgendeine besondere Qualität, die nicht auf dem physischen Gehirn beruht. Für sie ist die Psyche ein ätherisches Gebilde, das physische Materie transzendiert und von anderen Ebenen oder Realitäten kommt. Sie glauben, der Geist sei von magischen Qualitäten und besonderem Bewußtsein bewohnt, das fast gottähnliche Eigenschaften hat. Er entstammt nicht dem Gehirn, sondern kommt von anderswo. Oft wird er als »gottgegeben« gedacht.

 

Die Natur der Psyche

 

Beginnt die Psyche als tabula rasa — als leere Tafel, in die während unseres Lebens alles eingeprägt wird? Oder hat sie schon vorher besondere Eigenschaften? 

Die Debatte ist verwirrend, weil bis vor sehr kurzer Zeit nicht bekannt war, daß die Ereignisse im Mutterleib das Gehirn und seine Funktion formen und einen bleibenden Eindruck darin hinterlassen. Es wurde angenommen, bei der Geburt sei das Gehirn eine leere Tafel, bereit, neue Stimuli aufzunehmen. Was immer der Geburt voranging, wurde der Genetik zugeschrieben.

Heute wissen wir, daß der entscheidendste Faktor in der psychologischen und physiologischen Entwicklung Schlüsselereignisse während der neun Monate im Mutterleib sind. In dieser Zeit können von der Mutter erlebte Traumata das Gehirnsystem, das hormonelle Gleichgewicht und die Anatomie des Babies verändern, von seinem psychologischen Zustand ganz zu schweigen. In meinem Buch Imprints habe ich eine Fülle von Forschungs­ergebnissen zitiert, die zeigen, wie Streß der Mütter die Neuro-physiologie der Nachkommenschaft verändert.

Auch genetische Faktoren sind im Spiel. Schließlich erben wir Haarfarbe und physische Struktur von unseren Eltern und Großeltern. Warum sollten wir annehmen, daß die Natur sich auf diese Merkmale beschränkt? Auch im Gehirn existiert eine ganze Geschichte. Musikalische oder künstlerische Fähigkeiten beispielsweise scheinen eine genetische Grundlage zu haben. So ist das Gehirn keine leere Tafel, sondern besitzt gewisse Tendenzen, die entweder gefördert und genährt oder unterdrückt werden, je nach den Lebensumständen. Eine musische Familie wird die Fähigkeit des Kindes zur Phantasie pflegen.

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Die Tatsache, daß das Kind von Kunstwerken umgeben ist, kann seine Berufswahl beeinflussen. Es ist unmöglich zu bestimmen, was dominierend war, Natur oder Umgebung.

Die Beobachtung meiner Patienten hat mich zu gewissen Schlußfolgerungen bezüglich der Natur der Psyche geführt. Wenn die Psyche zerbrechlich, naiv und frisch ist, prägen sich ihr Ereignisse mit einer Stärke ein, die später nicht wieder erreicht wird, außer unter ganz extremen Umständen. Deshalb sind pränatale Geschehnisse, welche die Mutter an den Fötus weitergibt, so wichtig. Deshalb ist auch das Geburtstrauma so wichtig. Es ist uns gelungen, die Vitalfunktionen und Gehirnwellen von Patienten zu messen, die Geburtstraumata wiedererlebten, und wir wissen, wie erschütternd die Wertigkeit des Traumas ist.

Wir bemerken auch die Persönlichkeits­veränderungen von Patienten, die Monate damit zugebracht haben, diese Traumata wiederzuerleben. Wir können sehen, wie diese Einprägungen sie verbogen haben. Wenn ihr erneutes Erleben die Persönlichkeit normalisiert, kann man davon ausgehen, daß der ursprüngliche Eindruck auch die Persönlichkeits­entwicklung beträchtlich verzerrt hat. Schließlich haben wir es mit derselben Einprägung zu tun, nur in umgekehrter Richtung. Wenn wir hinterher die Hormon­veränderungen und die erneuerten Wachstums­muster betrachten, können wir sagen, daß diese Traumata die gesamte Physiologie beeinflußt haben.

Je niedriger die Ebene ist, in welche die Traumata eingeprägt werden, desto entscheidender sind sie für spätere Verhaltensweisen und Symptome. Wenn sie der Psyche eines Säuglings ihren Stempel aufdrücken, haben sie im allgemeinen die höchste Wertigkeit und erzeugen die ausgedehntesten, disparatesten Reaktionen. Patienten, die sich in jahrelanger Therapie auf immer tiefere Bewußtseins­ebenen heruntergearbeitet haben, kommen schließlich in Kontakt mit sehr frühen Einprägungen, die während oder gleich nach der Geburt entstanden sind.

 

Hypnose und die Bewußtseinsebenen  

 

Ein anderer Weg, die Ebenen des Bewußtseins zu verstehen, führt über die Hypnose. Man kann das kritische Bewußtsein eines Menschen einlullen und ihn in die Zeit zurückgehen lassen, als er vier Jahre alt war. Er wird wie ein kleiner Junge reden und sich an jedes Detail seines Kindergartenraumes erinnern, etwas, was ihm auf einer höheren Bewußtseinsebene unmöglich ist. Die Kindheits­erinnerung ist gleich unterhalb dieser Ebene eindeutig in jeder Hinsicht intakt.

Es ist nicht überraschend, daß man in Hypnose schmerzfrei sein und sich sogar einer Operation unterziehen kann. Wenn die oberste Bewußtseins­ebene beiseite geschoben wird, gibt es keine Bewertung von Schmerz mehr.

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Deshalb braucht man sein volles Bewußtsein für die volle Erfahrung des Schmerzes und für die Rückkehr des Fühlens. Hypnose kann wie die Neurose einer Person das Bewußtsein von Schmerz nehmen. Sie ist ein Beispiel für die gespaltene Psyche. Ich betrachte die Hypnose als »Minineurose«, weil sie darauf basiert, jemandem das Bewußtsein zu nehmen. In der Neurose dauert das länger, aber in beiden Fällen lenkt die Autoritätsperson den Menschen von seinem natürlichen Gefühlszustand ab. Beide erfordern eine Abhängigkeit von dieser Autoritätsfigur. Das Problem ist, daß man eine Minineurose nicht dazu verwenden kann, eine wirkliche Neurose zu heilen. Man kann nicht unbewußt gesund werden; das ist ein Widerspruch in sich. Die Krankheit ist ja eine Folge der Unbewußtheit.

Diese Spaltung im Bewußtsein ist auf viele Arten sichtbar. Jemand wünscht sich im Kopf Sex, aber sein Körper will nicht kooperieren. Jemand möchte aufhören, so viel zu essen, aber die Kräfte in ihm zwingen ihn, sich weiterhin vollzustopfen.

Die Hypnose demonstriert, daß innere Prozesse die Oberhand über die äußere Realität haben können. Man reagiert mehr auf sein inneres Programm als auf das, was man vor Augen hat. In Hypnose glaubt die Psyche, ein Nadelstich sei die Berührung einer Feder, sogar dann, wenn die Person die Nadel anstarrt.

Wir können sehen, wie Glaubenssysteme ihren Anfang nehmen. Wenn die Gedanken nicht mehr in Gefühlen verankert sind, kann die Psyche der oberen Ebene darauf programmiert werden, an Irreales zu glauben. Die Formel lautet: »Ich bin bereit, alles zu glauben, solange mich das nicht zu mir selbst zurückführt.«

Wenn ein Mensch hypnotisiert ist, kann man ihn eine Erfahrung machen lassen und ihm dann sagen, er werde sich nicht daran erinnern. Das funktioniert. Stellen Sie sich nur vor — eine mentale Suggestion, die eine Erinnerung aulheben kann. So zerbrechlich ist die Erinnerung. Auch Schmerz sagt der Erinnerung, sie solle still sein, nicht stören und keinen Laut von sich geben. In beiden Fällen ist es die sogenannte bewußte Psyche, die vergißt, nicht die niedrigere. Sobald man zu dieser hinabsteigt, ist die Erinnerung in voller Blüte wieder da. Wenn die Abwehr unserer Patienten nachläßt, treffen auch sie auf gespeicherte und versteckte Erinnerungen.

 

Halluzinogene Drogen und die Psyche

 

Wer starke Halluzinogene eingenommen hat, kommt möglicherweise in Kontakt mit der alten, primitiven Psyche, wo Schmerzen von hoher Wertigkeit eingraviert sind. Dieser Zugang ist verfrüht, und das Ergebnis ist eine Überflutung.

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So wird die Person getrieben, angemessene bewußte Zusammenhänge atavistisch zu überspringen und sich in einem »höheren Bewußtseinszustand«, in vergangenen Leben oder in einer Art kosmischer Einheit zu wähnen — was alles andere ist als die Wahrheit.

Solche Drogen sind gefährlich, weil sie die Schleusen sprengen, manchmal für den Rest unseres Lebens. Paradoxerweise ist es hinterher oft so, daß die Person immer weiter nach irgendeiner Art mystischer Erfahrung strebt. Sie befindet sich auf einer ständigen Flucht vor der Realität, zuerst der inneren und dann der äußeren. Der Betreffende ist jetzt in der Situation eines Menschen, der zwar keine Droge genommen hat, dessen frühes Leben aber so schrecklich war, daß seine Abwehr­mechanismen geschwächt sind. Sein Schleusensystem ist jetzt unzulänglich.

 

Psyche und unzulängliches Schleusensystem

 

Ein unzulängliches Schleusensystem ist fast immer an dem beteiligt, was man früher als Nervenzusammen­bruch bezeichnete. Wir wissen jetzt, was ein Nerven­zusammenbruch ist. Nerven brechen nicht zusammen, sondern Abwehrmechanismen. Wenn das Schleusensystem durch Drogen oder, was häufiger vorkommt, deshalb zusammenbricht, weil das Leben zu schwer geworden ist, kann der betreffende Mensch verrückt werden. Er benutzt seinen jetzt überwältigten Kortex dazu, den Ansturm frühen Schmerzes zu handhaben. Er tut sein Bestes, aber es ist nicht gut genug. Er hat seine Sinne nicht mehr beisammen, ist irreal und bildet sich ein, was nicht da ist. Tatsächlich ist es sehr wohl da, aber es kann nicht gesehen werden; alte, erschütternde Erinnerungen. 

Der Mensch kennt die Quelle nicht, aber er spürt Gefahr und siedelt sie außen an. Wenn der Arzt die Quelle nicht kennt, konzentriert auch er sich auf das Verhalten und bemüht sich, dem Menschen seine Vorstellungen auszureden. Dabei versuchen sowohl der Patient als auch der Arzt, einen Sinn in etwas zu entdecken, das bereits sinnvoll ist, sobald die verborgene Quelle sichtbar gemacht wird. Das menschliche System ist überaus rational. Für jede Wirkung, wie bizarr sie auch sein mag, gibt es eine spezifische Ursache.

Während eines Nerven­zusammenbruchs steigt der betroffene Mensch in eine niedrigere Bewußtseins­ebene hinab. Wenn er das erkennen könnte, würde seine Angst gemildert, und er wäre vielleicht weniger verrückt. Wenn seine Zwänge und Ängste jedoch völlig unerklärlich sind, jagt ihm das noch größeren Schrecken ein. Er weint vielleicht dauernd, nicht, weil er verrückt würde, sondern weil er endlich mit seinem verletzten, traurigen Selbst in Berührung gekommen ist — dem Selbst, das weinen rhuß. Psychotiker sind oft die sensibelsten, einsichtsvollsten und am schärfsten wahrnehmenden Menschen, weil sie ohne Abwehr sind.

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Deshalb kann der abgeschottete intellektuelle Neurotiker nicht spüren, was der Verrückte sehen kann. Der Neurotiker will Beweise für das, was er nicht fühlen kann. Dies erklärt, warum eine führende wissenschaftliche Zeitschrift kürzlich feststellte, es gebe keinen Beweis für die Erinnerung an frühen Schmerz. Wir brauchen nicht auf Zahlen zu warten, die zeigen, daß Schmerz erinnert werden kann, denn jeder leidende Mensch vermag das zu demonstrieren.

Manchmal ist das, was unten vor sich geht, so stark, daß es ständig in die oberste Ebene eindringt. Wir tagträumen häufig; manchmal fahren wir durch die ganze Stadt und wundern uns hinterher, wie wir dort hingekommen sind. Wir waren in eine andere Welt eingetaucht, während die denkende, lenkende Psyche, bildlich gesprochen, auf dem Rücksitz saß. Der Psychotiker lebt einfach in seinem Tagtraum und besitzt nicht genügend Objektivität, um Realität von Phantasie zu unterscheiden. Wir haben es also mit dem Phänomen eines geistigen (dritte Linie) Zusammenbruchs und eines Durchbruchs von Einprägungen niedrigerer Ebenen zu tun.

Wir haben gelernt, daß der Prozeß der Integration nicht in Eile ablaufen kann; man muß bereit sein, schmerzliche Wahrheiten zu akzeptieren. Diese Wahrheiten sind nicht von der Art, die »gebeichtet« werden kann. Sie sind stärkere Wahrheiten — Geständnisse des Körpers, wenn Sie so wollen —, die eine Schmerzwertigkeit weit jenseits von allem haben, was man willentlich ausgraben könnte.

Es sind diese stärkeren Wahrheiten, welche die höhere kortikale Psyche zwingen, nach magischen und mystischen Ideen zu suchen. Irrealität ist die Religion des versperrten Menschen. Oder ist es andersherum?

 

Bewußtsein versus Bewußtheit

 

Es gibt zwei grundlegende Wege, wie etwas im Unbewußten versinken kann. Der erste besteht darin, daß wir bedeutungsvollen Geschehnissen ausgesetzt sind, bevor ein entwickelter Kortex existiert; diese bleiben im allgemeinen unumschrieben, weil es keine Worte oder Begriffe dafür gibt. Der zweite besteht darin, später Erfahrungen zu machen, die zu stark sind, um sie zu fühlen, und daher aus dem Bewußtsein verdrängt werden müssen.

Man kann das Bewußtsein von Ereignissen verlieren, wenn man im frühen Leben eine Reihe psycholog­ischer Schläge erleidet, die vom Gehirn nicht integriert werden können. Nehmen wir an, die Eltern eines Kindes lassen sich scheiden, und einer von ihnen verläßt den Haushalt. Für das Kind bleibt die Erinnerung an ein solches Geschehen gut versteckt, ebenso wie seine Bedeutung, nämlich, daß das Kind nie wieder mit beiden Eltern zusammen­leben wird. Der ganze Schmerz und die daran hängenden Erinnerungen werden unbewußt.

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Der Mensch lebt dann für den Rest seines Lebens in einer Art halbem Koma und weiß es nicht einmal. Er hat so wenig Bewußtsein, als habe ihn jemand auf den Kopf geschlagen. Große Teile seiner selbst sind unzugänglich. Er kann nicht aus seiner vergangenen Geschichte lernen, weil sie in seinen mentalen Archiven begraben ist. Er wird Muster immer aufs neue wiederholen, weil er kein Bewußtsein davon hat.

Es ist immer möglich, jemandem zu einer späteren Bewußtheit dieser Ereignisse zu verhelfen, wie es in der konventionellen Psychotherapie geschieht. Aber man kann jemandem kein Bewußtsein geben, sondern nur Bewußtheit. Allein die Erfahrung des Schmerzes kann bei Neurotikern Bewußtsein erzeugen. Es ist ein Zustand, den man von innen erreicht, niemals von außen.

Bewußtsein ist ein Zustand, den man allein erlangt, nie in Gesellschaft. Bewußtheit kann uns von jemandem gegeben werden, Bewußtsein nicht. Mit Bewußtheit kann man spielen, man kann sie manipulieren oder gewaltsam verändern. Beim Bewußtsein geht das nicht. Man kann auf höchst scharfsinnige Weise eine Bewußtheit (scheinbar ein Bewußtsein) für andere haben, und zwar als Mittel des Selbstschutzes, doch diese Bewußtheit ist eine in der Abwehr wurzelnde Waffe, was beim Bewußtsein nicht der Fall ist. Bewußtsein ist dauerhaft und solide wie ein Fels. Es kann nicht herbeigezwungen, zu etwas gezwungen oder ermahnt werden, etwas zu tun. Es ist eine organische Realität. Bewußtheit ist losgelöstes Bewußtsein. Real ist die Verbindung von Bewußtheit und Bewußtsein.

Kein Ausmaß an Bewußtheit kann hervorrufen, was wir in der Therapie sehen — ein Mensch erlebt Ereignisse um seine Geburt wieder und untersteht einem ursprünglichen Gehirn, das ihn veranlaßt, salamander­ähnliche Bewegungen zu vollführen, die über eine Stunde anhalten können. Was nach einer solchen Erfahrung entsteht, ist eine neue Bewußtseins­qualität.

 

Durchdringung der unbewußten Psyche 

 

Es gibt Kriterien, mit denen man bestimmen kann, wie tief der unbewußte Zustand ist. Die Fähigkeit, auf Stimuli zu reagieren, ist ein Schlüssel­kriterium. Je schwächer die benötigten Reize sind, desto bewußter ist der Mensch. Wenn der Mensch einen Nadelstich fühlen kann, ist er durchaus bewußt. Wenn er auf tiefen Schmerz nicht reagieren kann, ist sein Zustand unbewußter. Im psychologischen Bereich gilt das gleiche. Ein Mensch, der nicht mehr auf Schmerz reagieren kann, seinen eigenen oder den anderer, ist in gewisser Weise unbewußt. Es würde viel brauchen, um diesen Menschen auf irgend etwas reagieren zu lassen.

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Die erforderlichen Reize, um ihn aus seiner unbewußten Trägheit zu reißen, müßten enorm stark sein. Er kann das Leid seiner Kinder oder seines Ehepartners nicht sehen, weil es so unbewußt ist. Deshalb kann ein Mensch von scheinbar höchster Bewußtheit dennoch vollkommen unbewußt sein.

Ich erinnere mich an eine Patientin, die ihr kleines Kind allein zu lassen pflegte, um Bewußtheits-Seminare zu besuchen. Von dem, was mit ihrem Kind geschah, sah sie nichts.

Mit einem unbewußten emotionalen Leben nimmt man weder wahr noch versteht man; man ist Opfer, unfähig, vergangene Erfahrungen zu benutzen, um die gegenwärtigen zu begreifen. Jemand, der nie eine Mutter hatte, fährt fort, seine Vergangenheit auf Frauen in der Gegenwart zu projizieren, und kann ihre Fehler nicht sehen. Seine Bedürfnisse haben die Oberhand und färben auf die Realität und seine Urteilskraft ab. Ohne Zugang zu seinen Gefühlen trifft ein Mensch dumme Wahlen und Entscheidungen.

Man muß die Frage stellen: »Wo ist in all dem die reale Person?« Sie ist diejenige, die leidet. Sie fühlt den Schmerz. Darum hat die Natur etwas Wundervolles getan. Sie gibt vor, das frühere Gehirn gehöre jemand anderem. Es handelt sich um zwei getrennte Welten. Das niedrigere Gehirn könnte ebensogut einem anderen gehören, da das höhere Gehirn niemals den Schmerz erkennen kann, den der Körper erleidet.

Die Denker des New Age reden viel vom Bewußtsein und von der höheren Psyche. Sie glauben, man könne zu höheren Ebenen des Geistes aufsteigen, die gewöhnlichen Sterblichen unbekannt sind. Sie denken sich Rituale aus, um diese Ebenen zu erreichen. Dabei besteht der einzige Weg, sich zu einem höheren Bewußtsein zu erheben, darin, auf niedrigere Ebenen hinabzusteigen. Das ist die wahre Dialektik der Psyche.

Es ist paradox. Menschen, die behaupten, einen Zustand von Seligkeit und kosmischer Ruhe erreicht zu haben, kommen in unser Forschungslabor, und dort finden wir eine Psyche, die mit einer Meile pro Minute dahinrast, und einen Körper im Panikzustand. Milliarden Neuronen sind mit der Aufgabe der Verdrängung beschäftigt. Sie funktioniert, und die Person glaubt, sie sei ruhig oder habe das Nirwana erreicht. Die Verdrängung ist dazu da, uns zu täuschen. Nichts ist so unendlich wie die Selbsttäuschung — die große Gabe unserer fortgeschrittenen Zivilisation.

Diejenigen, die sich mit magischem Denken beschäftigen, möchten an f'i eine besondere Psyche glauben, die kosmisch und gottähnlich ist. Davon kann keine Rede sein. Was einige zu wünschen scheinen, ist der Aufstieg in einen Zustand von Frieden oder Seligkeit. Wirklichen Frieden und Ruhe dagegen findet man, wenn man hinabsteigt und das Unbewußte bewußt macht. Es gibt keine größere innere Harmonie.

Sie bedeutet das Ende unerklärlicher Spannung. Die Psychen sind endlich vereint. Wenn man schmerzfrei ist, befindet man sich bereits auf der höchst­möglichen Bewußtseinsebene. Mehr gibt es nicht.

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Der Traumschlaf und die Ebenen der Psyche 

 

Der ganze Vorgang des Traumschlafes ist ein beredtes Zeugnis für die drei Ebenen des Bewußtseins. Die Geschichte, die wir im Traum für uns erfinden, ist eine weitere Methode, unsere Selbsttäuschung aufrechtzuerhalten. Schließlich gibt es kein Publikum für diese Geschichte. Wir sind Schauspieler und Zuschauer. Sie ist eine biologische Notwendigkeit, um uns schlafen zu lassen und gesund zu erhalten. Der Traum ermöglicht uns die benötigte Ruhe.

Der Vorgang des Traumschlafes spiegelt Struktur und Funktion des Gehirns wieder, eines Gehirns, das sich im Schlaf nicht verändert. Die gleichen Prozesse sind Tag und Nacht am Werk. Während der Nacht wird das deutlicher. Hier sind die drei Psychen sichtbar und meßbar. Sie haben verschiedene Gehirn­wellensignaturen. Der Tiefschlaf verbraucht enorme Vorräte der hemmenden Chemikalie Serotonin. Die langen, tiefen Gehirnwellen reflektieren das Wirken tiefer Verdrängung, und wenn die unterdrückenden Chemikalien schließlich erschöpft sind, bewegen wir uns zu höheren Ebenen des Bewußtseins und höheren Ebenen des Schlafes. Weniger Verdrängung ist gleichzusetzen mit mehr Bewußtsein.

Unsere täglichen Schlafzyklen spiegeln die drei Psychen wider. Wir legen uns schlafen und gleiten auf die nächstniedrigere Ebene des Bewußtseins unter dem Denken (die Ebene des Fühlens) und dann in tiefes Bewußtsein (die Ebene der Eingeweidefunktion), dann zurück auf die Traumoder Gefühlsebene, dann in den vollen Wachzustand (die Denkebene). Dieser Zyklus scheint den Ursprung jeder Ebene des Gehirns widerzuspiegeln, wie es sich mit der Zeit entwickelt hat, und täglich unsere phylogenetische oder evolutionäre Geschichte zu rekapitulieren.

Dieser Zyklus reflektiert auch den Ursprung der Gehirnentwicklung in unserer eigenen, persönlichen Zeit. Wir wachen täglich aus dem Unbewußten zu vollem Bewußtsein auf, genau, wie wir zuerst ein primitives Gehirn entwickelten, das einige Jahre nach der Geburt zu einem vollentwickelten Neokortex aufblühte. Es gibt kein großes Geheimnis um die Überlebens-, die emotionale und die denkende Psyche. Wenn Individuen den Zugang nach tief unten erlangen, sehen wir aus erster Hand, was sich dort befindet, und das scheint nichts weiter zu sein als eingeprägte Erinnerungen aus einer lange verborgenen Vergangenheit. Kein Es, keine ungezügelte Lust und Aggression, kein Bedürfnis nach Sinn, keine mystischen Gebilde - nur ein materielles Gehirn mit eingeprägten Erinnerungen aus der Vergangenheit. Das sogenannte Unbewußte ist freigelegt, und alle können es sehen.

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Vor allem ist es für die betroffene Person kein Geheimnis mehr. Alles wird begriffen — die tiefen Motivationen, die Träume und Alpträume, die Symptome, die Beziehungen —, alles, was wichtig ist. Solange die Verdrängung existiert, kann man dem Unbewußten alle möglichen Qualitäten zuschreiben.

 

Schlaf, Träume und Alpträume: Wie man im Schlaf neurotisch ist  

 

Das Gehirn verändert seine Struktur nicht, wenn die Nacht hereinbricht, und die Ebenen des Bewußtseins schmelzen im Schlaf nicht dahin. Wir steigen im Schlaf auf den Bewußtseinsebenen abwärts, wie wir das auch während einer primärtherapeutischen Sitzung tun. Die Muster von Schlaf, Träumen und Alpträumen entsprechen gewissen Verhaltensweisen während des Tages. Der einzige Unterschied besteht darin, daß diese in einem relativ unbewußten Zustand erfolgen. Da der Neurotiker weitgehend unbewußt ist, ist der Unterschied schließlich gar nicht so groß.

Es gibt buchstäblich Hunderte von Büchern und eine Menge Forschungsarbeiten über Schlaf und Träume. Für unsere Zwecke brauchen wir nur zu wissen, daß es etwas gibt, das Traumschlaf oder REM-Schlaf heißt und das eine spezielle Gehirn­wellen­signatur hat, sowie eine andere, tiefe Ebene des Schlafes, die wieder eine andere Signatur hat, große, langsame Wellen, die tiefe Ebenen der Verdrängung anzeigen. Dies sind die beiden grundlegenden Schlafebenen, die sich während des Schlafes einer Nacht abwechseln. 

Diese Ebenen entsprechen eindeutig der ersten und zweiten Bewußtseins­ebene, von denen ich oben gesprochen habe. Die emotionale Ebene der zweiten Linie, auf welcher der Traumschlaf erfolgt, ist die, auf der auch nicht-verbale Bilder hergestellt werden. Zugang hierzu können Menschen haben, die häufig träumen oder Künstler sind oder an Schmerzen leiden oder auf die alle drei Aussagen zutreffen. Zugang bedeutet, daß man Bilder und Schmerz gleichzeitig erlebt. Der »leidende Künstler« ist redundant, außer natürlich, wenn der Künstler real und er selbst ist.

Träume haben im psychischen Haushalt viele Funktionen. Gewöhnlich sind sie das Ergebnis gegenwärtiger Eingaben, die oft vergangene Einprägungen wieder aufwecken. Wenn die begrabenen Gefühle stark genug sind, ist kein Auslöser im Tageserleben erforderlich; sie kommen auf innere Anregung von selbst wieder hoch. Das ist das gleiche wie im Wachzustand; wenn innere Gefühle stark genug sind, können sie ohne irgendeinen besonderen Stimulus Angst und neurotisches Verhalten erzeugen. Auch ein verhältnismäßig geringfügiges gegenwärtiges Geschehen kann sie auslösen. Im großen und ganzen befassen sich Träume mit begrabenen Bedürfnissen und Gefühlen.

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Wenn das Bewußtsein der obersten Ebene eingelullt ist oder schläft, haben wir Zugang zu den niedrigeren Ebenen. Der Trick besteht darin, wie man diesen Zugang erlangt und dennoch den direkten Einfluß früher Traumata nicht fühlt, damit man schlafen kann und die benötigte Ruhe bekommt. Hier tritt der Traum auf den Plan. Der Traum ist so angelegt, daß er ein Symbol, ein Bild und eine Geschichte um ein Gefühl legt, damit dieses nicht als das erkennbar ist, was es ist; sonst würde der Schmerz unverhüllt aufwallen, und wir würden wach und mit unserer inneren Realität konfrontiert sein. Träume sind nur wegen der Verdrängung dieser Realität symbolisch. Ihre Funktion besteht darin, uns irreal zu erhalten. Sie haben also den doppelten Zweck, den Schlaf zu schützen und unsere Neurose aufrechtzuerhalten, während wir schlafen.

Der Traum ist verantwortlich für die Abschwächung der Gefühlsenergie in der Geschichte und ihren Bildern. Er ist eine Form der Camouflage. Wir sagen: »Dieser Traum hat mich nervös oder depressiv gemacht.« Das stimmt nicht. Richtiger wäre: »Dieses Gefühl von Nervosität und Depression hat bewirkt, daß ich eine deprimierende Geschichte geträumt habe.« Und wenn wir tagsüber bewußt wären, könnten wir sagen: »Mein Gefühl von Einsamkeit und Entfremdung hat bewirkt, daß ich an Außer­irdischen in UFOs glaube.«

 

Zweitens ist der Traum ein Versuch, die Gefühle rational und kohärent zu machen, zu denen wir notwendiger­weise Zugang haben, wenn wir im Schlaf auf den Bewußtseinsebenen abwärts wandern. Der Traum hat eine weitere Funktion; er tut, was wir während des Tages tun — das heißt, was wir täglich zu tun gezwungen sind; er erschafft die Einprägung in der Gegenwart neu und versucht so, sie zu lösen und zu heilen. Die Geschichte im Traum ist also die symbolische Analogie des realen Gefühls. Die Geschichte repräsentiert die frühe Situation, die in Richtung Bewußtsein aufsteigt, um verbunden, integriert und geheilt zu werden.

Leider und zum Glück wird sie durch das Schleusensystem ferngehalten. Dieses Schleusensystem hindert uns daran, das Gefühl und seinen Kontext zu erkennen, und gestattet uns, darum herum Symbole zu bilden. Die Symbole eilen herbei, bevor wir das Gefühl erkennen müssen. Das ist auch beim »wahren Gläubigen« so, der ein bestimmtes Glaubenssystem, Mantra oder besonderes Ritual angenommen hat, um seine Entbehrungen und die damit verbundene Qual nicht zu fühlen. Der »wahre Gläubige« liebt die Traum­analyse. Das gilt im wesentlichen für jede Neurose — abblocken und umleiten. Neurotisches Ausagieren ist die Folge umgeleiteter Bedürfnisse und Gefühle.

Wenn Gefühle zu stark sind und wenn tiefer liegende Gefühle sich mit Gefühlen der zweiten Linie vermischen, dann ist die Bilderfabrik nicht stark genug, um einem Traum eine kohärente Struktur zu geben; wir erwachen aus einem schlechten Traum und empfinden all die schrecklichen

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Gefühle wieder, die in der frühen Situation bestanden — die Angst, den Ekel, die Wut, Verwirrung etc. Im Traumzustand erfolgt ein Anstieg der Körpertemperatur, genau wie bei unseren Patienten, die während einer Sitzung mit der Traumebene (der zweiten Linie) des Bewußtseins in Berührung gebracht werden. Das ist ein Zeichen für die Arbeit des Körpers, der den Schmerz bewältigt und seine Verdrängungs­aufgabe erledigt.

 

Alpträume sind die Angstanfälle der Nachtzeit; tatsächlich sind die physiologischen Begleiterscheinungen eines Alptraums genau die gleichen wie die der Angst — Schweißausbrüche, Herzrasen, Gefühle von Bedrohung und Schrecken, Zittern etc. Gewöhnlich wachen wir nur deshalb nicht schreiend auf, weil das Trauma meist vor der Fähigkeit zu schreien eingetreten ist. So öffnen wir beim Alptraum den Mund, um zu schreien, aber es kommt nichts heraus. Wenn wir tatsächlich schreien, ist das Trauma wahrscheinlich nach dem sechsten Lebensmonat erfolgt. Alpträume treten auf, wenn wir den Tiefschlaf mit seiner tiefen Verdrängung beenden. Wenn der Schmerz auf der ersten Linie gewaltig ist und die Schleusen ihre Aufgabe nicht bewältigen können, kommt es zu einem plötzlichen Durchbruch der Einprägung mit all ihren Empfindungen — Atemnot und das Gefühl, zerschmettert, stranguliert und erstickt zu werden. Dies bedeutet, daß der Schmerz die Vorräte an Serotonin (und anderen repressiven Chemikalien — denn was ist Schlaf anderes als die wirksame Repression von Aspekten des Bewußtseins) verbraucht hat, die normalerweise dafür sorgen, daß wir weiterschlafen und uns ausruhen. Die Folge ist, daß die tiefstliegenden Schmerzen abrupt an die Oberfläche schießen und um die zweite Linie herum enden.

Hier ein Beispiel für einen durch die Geburtserfahrung hervorgerufenen Alptraum: 

Ich stehe in der Schlange vor der Zollschranke und versuche, vor irgendeiner vagen Gefahr zu fliehen. Plötzlich kommt ein Zollbeamter zu mir, verhaftet mich und steckt mich ins Gefängnis, weil ich zu fliehen versucht habe. Ich werde zum Tode verurteilt. Meine Zelle ist so klein, daß ich mich eingezwängt und zerdrückt fühle. Ich finde ein Loch, durch das ich fliehen kann, doch als ich herauszukommen versuche, bleibe ich stecken. Es ist zu eng, und ich kann mich nicht bewegen. Jetzt weiß ich, daß sie mich fangen werden und daß ich sterben werde. Ich wache in höchstem Entsetzen auf.

Es ist wesentlich zu verstehen, daß Alpträume Formen der Abwehr sind. Gegen was? Gegen den TOD. Ganz wörtlich. Denn der Person, die einen Alptraum hat, ergeht es genauso wie der Person, die am Rande des Wiedererlebens ihrer Geburt oder anderer früher Lebens- und Todestraumata steht; ihre Vitalfunktionen machen den gefährlichen Versuch, zu fliehen und den Schmerz zu verdrängen. Puls und Blutdruck sind ungeheuer hoch. Wenn dies über längere Zeit so bliebe, wäre der Körper in größter Gefahr.

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Also wacht die Person auf, damit sie sich beruhigen und diese Funktionen verlangsamen kann, die sie umbringen könnten. Deshalb sind Träume Abwehr­mechanismen gegen Alpträume, und Alpträume sind Abwehrmechanismen gegen den Tod.

Paradoxerweise wachen wir aus einem Alptraum auf, um unbewußt zu bleiben — was den deutlichen Unterschied zwischen Bewußtheit und Bewußtsein zeigt. Wir werden wach und »bewußt« (unserer gegenwärtigen Umgebung), um unbewußt zu bleiben (unserer selbst). Wir sind wach und sehen die »Realität« des Zimmers, das Licht beruhigt uns, also brauchen wir uns unserem Schmerz nicht direkt zu stellen. Bei anderen Gelegenheiten werden wir im Wachzustand bewußtlos — das heißt ohnmächtig —, um uns des Unbewußten nicht bewußt zu werden. Das System tut, was immer es tun muß, im Wachzustand oder im Schlaf, um dafür zu sorgen, daß wir neurotisch und unbewußt bleiben (unserer Einprägungen). Träume sind die Methode, mit der das System die Neurose sichert. Sonst würden wir bewußt und ganz werden. Ohne Träume (was bedeutet, ohne neurotische Ventile) würden wir niemals ruhen und ständig von Schmerz überschwemmt sein.

Eine der Arten, auf die wir diese Theorie überprüfen, ist die Beobachtung des Fortschritts unserer Patienten in bezug auf ihre Träume. Wenn sie tiefe Gefühle fühlen, haben sie keine Alpträume mehr. Wenn Gefühle der ersten Linie auf dem Vormarsch sind, nehmen die Alpträume zu. Sie sind die Vorboten, die darauf hindeuten, daß schwerer Schmerz auf dem Weg ins Bewußtsein ist.

Die Geschichte und die Bilder des Traumes sind die logische symbolische Ausdehnung der Einprägung. Wenn man Angst vor seinem Vater hatte, träumt man vielleicht dauernd von bedrohlichen Nazis. Gegen die Nazis ist man vielleicht so machtlos, wie man gegen den Vater war, und der Traum bildet dies ab. Man kann nicht entkommen. Man wird ohne jeden Grund bestraft. Die eigenen Waffen zerbrechen etc. Ein Patient träumte dauernd davon, Dinge zu verlieren. Er konnte seine Brieftasche, sein Auto, sein Haus, seine Kleider nicht finden. Er spürte das Gefühl des großen Verlusts seiner Mutter früh im Leben, dem er sich nie richtig gestellt hatte. In der Therapie beginnt das mit: »Ich habe etwas verloren.« Wie ist das Gefühl? »Ich fühle mich so verloren.« »Ich bin ein verlorener kleiner Junge. Ich habe meine Mami verloren. Mami! Komm zurück, Mami!« Nun ist das Traumsymbol in das Gefühl umgewandelt worden, das es ist. Dies geschieht natürlich binnen eines Zeitraums von zwei Stunden und nicht innerhalb weniger Minuten. So ist das Symbol in das Gefühl umgewandelt worden, während zu Beginn der Neurose das Gefühl in das Symbol umgewandelt wurde. Deshalb sage ich, daß die Primärtherapie eine umgekehrte Neurose ist. Je höher die Wertigkeit des eingeprägten Gefühls, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß wir in einem Traum oder Alptraum dasselbe wiederkehrende Thema sehen.

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Wenn die Verletzung zu groß und das Eindämmen schwierig ist, schaltet das Gehirn sozusagen auf Overdrive, um die Kraft zurückzuhalten. Deshalb muß es sich im Traum die bizarrsten Geschichten ausdenken, um die schlimmsten Qualen zu vermeiden. So kommen Alligatoren aus dem Wasser und folgen dem Träumer sogar bis in Restaurants. Das große Entsetzen in der Kindheit, die Unfähigkeit, einer chaotischen Familie zu entkommen, all das wird in die Geschichte eingeflochten. Das Gehirn tut im Schlaf genau das gleiche, was es während des Tages gegen dieselbe Kraft tut — es entwickelt bizarre oder psychotische Ideen.

Die Traumgeschichte unterscheidet sich nicht von einer sexuellen Perversion oder einer Phobie. Sie ist eine Möglichkeit, ein Gefühl zu umschreiben und einzudämmen. Traum und Ritual sind Verdichtungen Tausender von frühen Erfahrungen, aber relativ weniger Bedürfnisse und Gefühle. Sie sind das Symptom, die Repräsentation der ganzen eigenen Vergangenheit. Wenn ein Exhibitionist sich zeigt, berichtet er hinterher oft, er sei während der Episode in einer Art »Koma« gewesen. Tatsächlich befindet er sich im Traumzustand und agiert ohne jede bewußte Kontrolle aus. Ihm fehlt genau wie im Schlaf das hemmende Bewußtsein der obersten Ebene; er funktioniert also auf einer niedrigeren Bewußtseinsebene.

In einem Fall (den ich später anführe) hatte der Exhibitionist das Gefühl: »Was muß ich tun, um dich dazu zu bringen, Gefühle zu zeigen?« Sein Ritual war ein prägnantes Symbol für das Zusammenleben mit einer Mutter, die keinerlei Gefühle zeigte. Das Kind brauchte eine gewisse Realität, mußte den Einfluß dessen erkennen, was es sagte, fühlte und tat. Da der Patient sich dieses Gefühls nie bewußt gewesen war und es erst recht nicht wiedererlebt hatte, agierte er es weiterhin aus. Der Traum ist das Ausagieren zur Nachtzeit.

Weil das Symbol der Abkömmling des Gefühls ist (der Verlust von Dingen bedeutete bei dem eben erwähnten Patienten den Verlust seiner Mutter), kann es zweifellos keine universalen Symbole geben, die auf alle anwendbar wären. Das Symbol ist nur spezifisch für das Gefühl des Individuums. Deshalb ist alle Traumanalyse sinnlos. Es gibt keine Symbole mit irgendeiner großartigen Bedeutung, die ein Analytiker aufspüren könnte. Der einzige Weg, einem Traum Sinn abzugewinnen, besteht darin, die Gefühle zu fühlen, die darin enthalten sind. Darum lassen wir unsere Patienten den Traum wiedererleben, als träumten sie ihn jetzt, und in das Gefühl hineinfallen, was sie stets in die ursprüngliche Situation zurückführt und der ganzen Sache Sinn gibt.

Trotz aller Bücher, die das Gegenteil behaupten, wird das Verständnis Ihrer Träume niemals Ihr Leben ändern. Das Verstehen von Symbolen für Gefühle ist nahezu nutzlos, nicht ganz so nutzlos allerdings wie das Verstehen Ihrer Gefühle in der Annahme, das würde Sie verändern. Es geht darum, sie zu fühlen.

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Träume haben nichts Magisches an sich. Sie sind im großen und ganzen die Geschichten, die wir ersinnen, um unserem Unbewußten Sinn zu geben, das Unbewußte sinnvoll zu machen. Die Einprägung und die unbewußten Gefühle sind immer sinnvoll, wenn man sie im Kontext betrachtet; also lassen wir unseren Patienten den Traum wiedererleben, das Gefühl in seinem ursprünglichen Kontext fühlen und zur Lösung kommen. Das sollte eine große Erleichterung für die Analytiker sein, Freudianer, Jungianer und andere, die nicht mehr in ihr Unbewußtes zu greifen brauchen, um sich auszurechnen, was sich im Unbewußten ihrer Patienten befindet. Und es sollte eine Erleichterung für die Patienten sein, die nicht mehr ad nauseam über ihre Träume zu sprechen brauchen. Statt dessen müssen sie über ihr reales Leben und dessen Probleme sprechen, bei denen sie Hilfe brauchen.

Freud nannte den Traum den »Königsweg zum Unbewußten«, und es entstand eine ganze Schule von Traumanalytikern, die tief ins Unbewußte tauchten und auszuloten versuchten, was dort in ihren Patienten lag. Was sie übersahen, war, daß das Schleusen­system niemals schläft, obwohl Schlaf und Traum auf einer unbewußten Ebene erfolgen (einer Bewußtseinsebene, die normalerweise während des Tages nicht zugänglich ist); das Schleusensystem sorgt dafür, daß die realen Gefühle im Traum genau wie am Tag nur in maskierter Form hochkommen.

Aus dem eben Gesagten folgt, daß es in der Therapie so etwas wie »Traumarbeit«, die endlose Analyse von Träumen, nicht geben kann. Das wäre das gleiche wie die endlose Analyse unseres neurotischen Verhaltens in der Hoffnung, das Verstehen werde die Gefühle verschwinden lassen, was offensichtlich unmöglich ist. Es handelt sich dabei nur um die Manipulation von Symbolen. Traumarbeit bedeutet, die Bewegungen des Gesundens nachzuvollziehen, ohne sie real auszuführen. Sie ist ein weiteres symbolisches Ausagieren von stark symbolisierenden Individuen. Neurotiker versuchen nur zu oft, mit neurotischen Methoden gesund zu werden.

Zwar hat nicht jeder Traum diesen primären Inhalt oder eine tiefe Bedeutung, doch signifikante Träume sind immer von primärem Gehalt, und Alpträume sind nur der Durchbruch sehr alter, ferner und tiefliegender Empfindungen. Ich sage »Empfindungen« statt »Gefühle«, weil Gefühle mehr mit Träumen zu tun haben. Material der ersten Linie — Traumata vor, während und bald nach der Geburt — entsteht, bevor das fühlende Gehirn voll entwickelt ist. Ein interessanter Nebenaspekt dabei ist, daß ein Patient, wenn er ein Geschehen auf Leben und Tod wiedererlebt, das die Geburt betrifft, währenddessen nicht verängstigt aussieht; wenn er jedoch eine höhere Ebene erreicht und entsetzliche Dinge fühlt, die er mit fünf Jahren erlebte, sieht man große Angst in seinem Gesicht, wenn die Gefühle sich nähern.

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Der emotionale Aspekt der Geburtserfahrung ist noch nicht voll entwickelt. Wir sehen Entsetzen im Gesicht jeder unserer weiblichen Patientinnen, die einen Inzest wiedererlebten, doch wenn sie bis zur Geburt zurückgehen, ist der psychologische Aspekt des Schreckens nicht da, auch wenn der Körper hektisch aktiv zu sein scheint.

Es gibt in unserer Therapie Zeiten, in denen es zu einem plötzlichen Durchbruch tiefen Materials kommt. Der Patient macht sehr knappe Aussagen, und diese Aussagen sind identisch mit dem, was ein Mensch bei einem Alptraum fühlt, etwa: »Ich ersticke hier. Ich fühle mich gefangen. Es ist kein Raum zum Atmen. Dein Verhalten erdrückt mich. Ich bin wie betäubt. Ich kann mich nicht bewegen. Ich werde verrückt. Ich habe schreckliche Angst. Da lauert Unheil. Ich bin ganz verwirrt!« etc. Manchmal nehmen die Aussagen eine paranoide Wendung: »Sie versuchen, mich zu kriegen. Sie wollen mich verrückt machen« etc. Wir erklären sofort, daß ein Bruch in der Abwehrstruktur vorliegt und bestimmte Gefühle im Aufsteigen sind; und wir helfen dem Patienten, sie zu fühlen. Wenn es zuviel ist, sind manchmal Medikamente angezeigt. Wenn wir wissen, um welche Gefühle es sich handelt, sagen wir das dem Patienten und tun alles, um sie genau zu beschreiben und ihn so zu beruhigen.

Der Grund, warum die Aussagen eines Menschen, der am Rande eines Zusammenbruchs (in das Unbewußte) steht, so knapp sind, besteht darin, daß die zweite Linie nicht die Kraft hat, die Gefühle oder Empfindungen zu mildern oder abzuschwächen und zu etwas anderem zu machen. So brechen sie voll aus. Wenn die Gefühle bei jemandem hochkommen, der kein Patient ist, steht ein psychotischer Durchbruch bevor, weil dieser Mensch keine Ahnung hat, was mit ihm geschieht, welche Gefühle hochkommen oder auch nur, daß Gefühle existieren und im Aufsteigen begriffen sind. Vielleicht ist seine Abwehrstruktur aufgrund schwieriger Lebensumstände zerbröckelt (eine Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes, ein Todesfall in der Familie), und plötzlich ist er in Berührung mit einer tiefen Bewußtseinsebene, die lange Zeit untätig geruht hat.

Je mehr Therapie ein Patient bekommen hat, desto weniger träumt er in Symbolen, weil das Unbewußte jetzt bewußt gemacht worden ist. Jetzt erfolgt eine Fusion der beiden, und die Träume zeigen das. Die Person ist gewöhnlich sie selbst, sagt reale Dinge zu realen Menschen und schafft es dennoch, weiterzu­schlafen. Das liegt daran, daß die schwere Last, welche die Gefühle ausmachten, verschwunden ist. So kann man auf der unbewußten Ebene real oder, wenn Sie so wollen, auf der unbewußten Ebene bewußt sein. Die Bewußtwerdung des Unbewußten löscht das Unbewußte als signifikante antreibende und motivierende Kraft wirksam aus.

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