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GLOSSAR

Janov, 2000, Biologie

 

 

ACETYLCHOLIN. Ein wichtiger Neurotransmitter im zerebralen Kortex, der auch an der Übertragung von Impulsen von Nervenzellen auf die glatte und kardiale Muskulatur und auf bestimmte Drüsen und von motorischen Nervenzellen auf die Skelettmuskulatur beteiligt ist.

ADRENALIN. Ein Hormon des sympathetischen („Kampf-oder-Flucht-") Nervensystems, das von den adrenalen Drüsen ((Nebennierenmark)) produziert wird.

AMYGDALA. Mandelförmige Körper an der Vorderseite des Hippocampus in den Schläfenlappen, die sensorischen Input prüfen; wenn sie Gefahr entdecken, alarmieren die Amygdalae das Bewusstsein und konzentrieren die Aufmerksamkeit auf die Bedrohung, während sie den Körper über den Hypothalamus auf Kampf oder Flucht vorbereiten. Die Amygdala funktioniert von Geburt an und ist in alle Erinnerungen involviert, die mit Furcht, Schrecken und Wut zu tun haben. Die Amygdala ist für das Fühlen des Gefühls verantwortlich.

ANOXIE. Das Fehlen von Sauerstoff. Siehe Hypoxie.

ANTIPODEN. Wörtlich: Zwei Orte auf entgegengesetzten Seiten der Erde; bildlich: abgelegene, schwierig zu erreichende Teile des Gehirns, die unvermutete Erinnerungen verbergen.

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APPERZEPTION. Prozess des Erfassens, in dem neu beobachtete Eigenschaften eines Objekts oder Ereignisses auf vergangene Wahrnehmungen und mit ihm verknüpfte Erinnerungen bezogen werden.

ATHEROSKLEROSE. Eine Störung in den Blutgefässen, bei der sich Fettablagerungen, Plaque (kursiv) genannt, auf der Innenseite der Arterie aufbauen und sie einengen, bis es möglicherweise zu Angina kommt (wenn die Koronararterien betroffen sind) oder zu vorübergehenden Ischämischen Attacken (Mini-Schlaganfälle), wenn zerebrale Arterien beeinträchtigt werden. Sollte die Arterie durch Einschnürung, ein Blutgerinnsel oder Plaque blockiert sein, kann eine Herzattacke, ein Schlaganfall oder Venenentzündung die Folge sein.

AUTONOMES NERVENSYSTEM. Unbewusste körperliche Kontrolle wird durch die zwei Arme des autonomen Nervensystems vermittelt, durch das alarmierende, für Kampf oder Flucht zuständige Sympathische Nervensystem und durch das für Ruhe und Erholung zuständige Parasympathische Nervensystem. Im Schlaf und bei Inaktivität ist der parasympathische Zweig dominant, und sein primärer Transmitter, Serotonin, ist reicjlich vorhanden. Im Wachzustand und bei Erregung dominiert der sympathische Zweig, und sein Neurotransmitter, Norepinephrin, steigt an.

AXON-TERMINAL. Siehe Synapse.

C

COMPOUNDING. ((Verschlimmerung)) Prozess, bei dem ein späteres Trauma ein früheres Trauma weiter ausbaut.

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DOPAMIN. Ein Neurotransmitter, der in der Substantia nigra des Hirnstamms gebildet wird (und über die Axone der Substantia nigra – Zellen im ganzen Gehirn verteilt wird); seine Aktivität hat viel mit Wachsamkeit und Lust zu tun. Alle süchtig machenden Substanzen regen die Sekretion von Dopamin an.

ENDOGEN. Innerhalb eines Organs oder Organismus entstehend.
ENURESE. Bettnässen

GLUKOKORTIKOIDE. Kortikosteron, Kortisol und Kortison sind Glukokortikoide, Hormone, die von den Nebennieren abgesondert werden; diese Hormone beeinflussen hauptsächlich die Protein- und Kohlenhydratmechanismen des Körpers in Stressphasen.

HIPPOCAMPUS. Eine Kortexwindung auf der inneren Oberfläche des Temporallappens, im Querschnitt wie ein Seepferdchen geformt; der Hippocampus ist mit der Verankerung kontextbezogener Erinnerung befasst, das bedeutet, er unterstützt die Erinnerungbildung an Ereignisse im Kontext.

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Der Hippocampus reift ungefähr im Alter von drei Jahren, was für unsere Schwierigkeiten verantwortlich sein kann, wenn wir uns an Ereignisse erinnern wollen, die vor dieser Zeit liegen. Es ist eine sehr alte Struktur, aber nicht so alt wie die Amygdala, die schon vor der Geburt funktionsfähig ist.

HIRNANHANGDRÜSE (HYPOPHYSE). Die Hypophyse liegt über dem Gaumendach. Sie ist eine endokrine Drüse, die mit dem darüber liegenden Hypothalamus verbunden ist und von diesem kontrolliert wird. Die Hypophyse kontrolliert gemäß der Anweisung des Hypothalamus die Sekretion vieler Schlüsselhormone.

HOLOTROPES ATMEN. Von Stanislav Grof vorgeschlagene therapeutische Modalität, bei der beschleunigtes Atmen in ruhiger Atmosphäre mit Musik kombiniert wird, zur Förderung eines „nicht-gewöhnlichen Bewusstseinszustands, der den inneren Heilungsprozess in der Psyche des Individuums aktiviert."

HOMÖOSTATISCHE REGULIERUNG. Die genaue Kontrolle, die der Körper über physiologische Parameter wie Körpertemperatur und Blutdruck ausübt. Analog dazu sorgt ein Thermostat für die „homöostatische Regulierung" der Temperatur in einem Haus.

HYPOTHALAMUS. Der Hypothalamus liegt unterhalb des Thalamus und ist das Gehirnzentrum für Homöostase, d. h., für die Kontrolle von Temperatur, Blutdruck, usw. Es steht in enger Beziehung zum limbischen System, besonders zur Amygdala und zur Hirnanhangdrüse. Er verkörpert die gemeinsame Endbahn, durch die Gefühle in körperliche Symptome übersetzt werden.

HYPOXIA. Mangel an Sauerstoff in den Geweben des Körpers.

 

K

KATECHOLAMINE. Die Neurotransmitter, die sich von der Aminosäure Tyrosin ableiten: Epinephrin, Norepinephrin und Dopamin. Das sind die exzitatorischen Neurotransmitter.

KOLLAGEN. Bindegewebe, das weitgehend aus Eiweiß besteht und einen Teil der Knorpel und Knochen bildet.

KORTIKOSTERON. In den adrenalen Drüsen ((Nebennierenrinde)) produziertes Hormon, das wie Kortison dem Körper hilft, sich an Stress psychischer Art oder aufgrund körperlicher Verletzung anzupassen.

KORTISOL. Von den adrenalen Drüsen ((Nebenniere)) abgesondertes Hormon, welches das System für den Umgang mit Stress psychischer Art oder aufgrund körperlicher Verletzung rüstet.

 

L

LOCUS CAERULEUS. Wörtlich „der blaue Ort". Diese Struktur des Hirnstamms ist die Region, in der Norepinephrin produziert wird. Axone aus dem locus caeruleus verteilen Norepinephrin an limbische und subkortikale Strukturen im Gehirn. Er gilt allgemein als Terrorzentrum des Gehirns.

LYMPHOZYTEN. Die Lymphozyten werden in erster Linie von den lymphatischen Körpergeweben produziert – von der Milz und den Lymphknoten. Ihre Hauptfunktionen sind, (1) in das Bindegewebe zu wandern und den Aufbau von Antikörpern gegen Bakterien und Viren zu unterstützen und (2) zwischen „eigen" und „fremd" zu differenzieren.

 

NEURON. Neurone sind die Zellen, die das Grundelement des Gehirns und Nervensystems bilden. Jede besteht aus einem Zellkörper, von dem Dendriten ausgehen,

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die Botschaften von anderen Neuronen an die Zelle überbringen, und aus einem Axon, das den Output des Neurons auf andere Neuronen überträgt. Axone können über einen Meter lang sein oder nur wenige Millimeter kurz. Neurone kommunizieren über Synapsen, kleine Spalte zwischen Dendriten und Axonen oder zwischen Axonen und Zellkörpern; ein Neuron kann synaptisch mit Tausenden anderer Neuronen verknüpft sein, sodass das Gehirn ein Nervennetzwerk von nahezu unvorstellbarer Komplexität bildet. Der Nervenimpuls, der sich entlang der Dendriten und Axone bewegt, ist sowohl eine chemische Transaktion als auch eine elektrische „Depolarisationswelle", während die Botschaft, die die Synapsen passiert, die Form eines Neurotransmitters wie Serotonin und Norepinephrin annimmt.

NEURONALE SCHLEIFE. Die ineinandergreifenden Geflechte der Dendriten und Axone bilden überall im Gehirn unzählige Nervenschleifen. Verdrängte Erinnerungen können in einigen von ihnen reverbieren und physiologische Parameter verändern, während sie niemals ins Bewusstsein gelangen. Somit kann man sich ohne offensichtlichen Grund unwohl fühlen. Dieses Unwohlsein kann der Empfindungsanteil eines verdrängten Traumas sein.

NEUROPEPTIDE. Kleine Proteine wie die Endorphine, Insulin und Oxytozin (zu dessen vielfältigen Funktionen die Einleitung der Wehenkontraktionen gehört) übermitteln Informationen zwischen den Körperzellen. Für mehr als Hundert dieser Proteine fand man Rezeptoren im Gehirn, und sie sind als Neuropeptide (kursiv) bekannt geworden.

NEUROTRANSMITTER. Diese chemischen Substanzen im Gehirn ermöglichen die Kommunikation der Neuronen untereinander, indem sie den Nervenimpuls über die Synapse befördern, über den kleinen Spalt zwischen dem Axon des einen Neurons und dem Dendriten oder Zellkörper des nächsten. Einige, wie Dopamin und Norepinephrin, sind exzitatorisch und bewirken tendenziell, dass das folgende Neuron mit größerer Wahrscheinlichkeit feuert, während andere wie Serotonin inhibitorisch sind.

NORADRENALIN. Ein erregender Neurotransmitter aus der Familie der Katecholamine, der auch als Norepinephrin (kursiv) bekannt ist.
NOREPINEPHRIN. Ein erregender Transmitter aus der Familie der Katecholamine. Der Spiegel des Norepinephrins im Gehirn erreicht am Nachmittag seinen Höchststand, wenn der Serotoninspiegel am niedrigsten ist, und in der Nacht seinen Tiefststand, wenn Serotonin Höchstwerte erreicht.

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O

ONTOGENESE. Der Entwicklungsverlauf eines individuellen Organismus. „Die Ontogenese wiederholt die Phylogenese" bedeutet, dass der sich entwickelnde Fetus die Stadien der Evolution der Spezies durchläuft.

OPIOIDE. Familie schmerztötender Peptide. Morphin (aus Mohn gewonnen) und die Endorphine, unsere endogenen (hausgemachten) morphinähnlichen Moleküle sind Beispiele.

ORBITOFRONTALER KORTEX. Teilbereich des Kortex über und zwischen den Augen. Man glaubt, dass sich in ihm Gefühle und Verstand begegnen.

OXYTOZIN. Ein Neuropeptid, das sowohl die Wehenkontraktionen als auch die uterinen Kontraktionen beim Orgasmus verursacht, wenn es von den Eierstöcken produziert wird. Im Gehirn fördert vom Hypothalamus hergestelltes Oxytozin offensichtlich mütterliches Verhalten und hilft bei Männern, monogame Langzeitbeziehungen aufrecht zu erhalten.

 

P

PALPITATIONEN. Unkontrollierter unregelmäßiger oder schneller Herzschlag; oft ein Symptom von Angst.

PARAHIPPOCAMPUS. Am Hippocampus angrenzende Übergangsregion des Temporallappens, dessen Funktion es ist, Input aus kortikalen Bereichen, die sensorische Eingaben verarbeiten, zu korrelieren. Diese Struktur verschlüsselt Erinnerungen für die permanente Speicherung.

PARASYMPATHISCHES NERVENSYSTEM. Siehe Autonomes Nervensystem.

PHYLOGENESE. Die evolutionäre Entwicklung einer Pflanzen- oder Tierspezies. „Die Ontogenese wiederholt die Phylogenese" bedeutet, dass der sich entwickelnde Fetus die Stadien der Evolution der Spezies durchläuft.

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PRÄFRONTALER KORTEX. Der vordere Teil des frontalen Kortex. Dieser Teil des Kortex ist für die Integration von Gefühlen, für Ehrgeiz, Planung und abstraktes Denken verantwortlich.

PRIMAL. Ein tiefes Gefühlsereignis, in dem verdrängte Erinnerungen zu Bewusstsein gebracht werden; ein Wiedererleben eingeprägter Erinnerung.

PRUNING (STRAFFUNG, KÜRZUNG). In den ersten Monaten des Lebens stattfindender Konsolidierungsprozess, bei dem neurale Bahnen, die am meisten benutzt werden, verstärkt werden, während die Neuronen, die wenig Stimulierung erhalten, absterben.

 

R

RETIKULÄRES AKTIVIERUNGSSYSTEM. Hirnstammstruktur, die die Aktivität des Kortex und den Betrag sensorischen Inputs erfasst und die Wachsamkeit des Gehirns entsprechend anpasst.

REVERBIERENDER KREISPROZESS. Wenn sich die Erinnerung eines Traumas dem Bewusstsein nähert, werden neurochemische Substanzen abgesondert, um sie zu unterdrücken und somit die Unversehrtheit des Bewusstseins zu wahren, aber nicht bevor es sich auf die Physiologie ausgewirkt hat, indem es (zum Beispiel) den Blutdruck hebt. Aber unvermeidlicherweise werden bestimmte Lebenserfahrungen die Erinnerung erneut auslösen, und sie wird wiederum beginnen, ins Bewusstsein aufzusteigen, sodass sich der Verdrängungsprozess wiederholt. Auf diese Weise reverbiert die Erinnerung eines Traumas unterhalb des Bewusstseins.

 

S

SCHLEUSENTHEORIE. Die Vorstellung, dass es im Gehirn „Schleusen" gibt, die den Informationsfluss kontrollieren und die Mechanismen für psychische Verdrängung liefern. Obwohl man solche Tore nicht gefunden hat, legt die Existenz von Endorphinrezeptoren entlang der Bahnen sensorischer Signalverarbeitung im Gehirn die Vermutung nahe, dass unsere endogenen Opiate eine Art Schleuse im Gehirn bilden.

SEROTONIN. Ein beruhigender Neurotransmitter, dessen Gegenspieler im limbischen System erregendes Norepinephrin ist. Der Gehirn-Serotoninspiegel erreicht im Schlaf seinen Höchststand. Serotonin ist ein wichtiges hemmendes Neurohormon.

STEISSPOSITION. Geburtslage, bei der anstatt des Kopfes das Gesäß des Fetus das Becken in Anspruch nimmt. Bei einer Steißgeburt besteht für den Fetus das Risiko der Anoxie.

STEROID. Hormonelle Steroide werden im Körper in der Nebennierenrinde, den Hoden, Eierstöcken und in der Plazenta aus Cholesterin synthetisiert. Während die Sexualhormone für die Reproduktion notwendig sind, sind die adrenokortikalen Hormone der Nebennieren für die Aufrechterhaltung des Lebens nötig. Die Glukokortikoide (z.B. Kortison) wirken auf den Kohlenhydrat- und Proteinstoffwechsel, während die Mineralkortikoide wie Aldosteron hauptsächlich das Salz- und Wassergleichgewicht regulieren.

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SYMPATHISCHES NERVENSYSTEM. Siehe Autonomes Nervensystem.

 

TACHYKARDIE. Übermäßig schneller Herzschlag.

TEMPORALLAPPEN. Die beidseitigen Gehirnlappen im Bereich über und innerhalb der Ohren. Die Temporallappen beherbergen den Hippocampus und die Amygdala.

THALAMUS. Jeder sensorische Input zum und motorische Output vom Gehirn passiert diese „Relaisstation" oben am Hirnstamm auf dem Weg zum und vom Kortex. Sie ist als Schaltzentrale des Gehirns bekannt. Der Thalamus ist besonders verwundbar bei Sauerstoffmangel während der Geburt, und Zelltod zu dieser Zeit resultiert später in einem verarmten Kortex.

TITRIEREN. In der Chemie: die exakte Menge einer Standardlösung hinzufügen, die zur vollen Reaktion mit einer Lösung von unbekannter Konzentration nötig ist. Angewandt auf den Gefühlsprozess „titriert" ein erfahrener Therapeut die Menge des Feelings, die ein Patient in einer Sitzung fühlen und integrieren kann.

V

VALENZ. Beschreibt die Stärke oder Kraft eines verdrängten Feelings. Man sagt, ein starkes frühes Feeling hat hohe Valenz.

VASOPRESSIN. Ein Neuropeptid der Hypophyse, das unter anderem für die Kontrolle der Urinproduktion verantwortlich ist. Im Gehirn scheint es mit wohlwollenden Gefühlen gegenüber Mitmenschen in Verbindung zu stehen. Vasopressin ist verantwortlich für väterliche Gefühle des Vaters für seinen Nachwuchs, während Oxytozin dasselbe bei der Mutter bewirkt.

Z

ZYTOARCHITEKTUR. Die spezielle Anordnung von Zellen im Gewebe; oft verwendet in Bezug auf die Anordnung von Nervenzellen im Gehirn, besonders im zerebralen Kortex.

 

 

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WARNUNG !

 

Die meisten Kliniken, die heute Werbung machen, haben trotz ihrer Behauptungen keine Verbindung zu mir. Ich erkenne das große Bedürfnis nach therapeutischer Hilfe. Aus diesem Grunde habe ich mit einem Trainingszentrum begonnen. Meine Hoffnung ist, daß diese Individuen, die aus vielen Ländern der Welt kommen, bald werden praktizieren können, und bis zur Veröffentlichung dieses Buches werde ich vielleicht Absolventen empfehlen können. Wir treffen jetzt Vorkehrungen für ein ständiges Trainingsprogramm und hoffen, das Netz der Primärtherapie so weit wie möglich auszudehnen. Wir nehmen auch eine begrenzte Anzahl von Personen zu Trainingszwecken in die Therapie auf. Das erste Jahr dieses Trainings ist eine didaktische Primärtherapie.

Ich muß jedoch darauf hinweisen, daß ich die Gefühle nicht erfunden habe. Sie haben Jahrtausende hindurch existiert. Ich habe einen Weg gefunden, sie wieder zurückzuholen, wenn sie in den Untergrund verschwunden sind. Auch ohne formelle Therapie kann man vieles tun. Ein verständnisvoller und mitfühlender Freund ist zweifellos ein guter Anfang. Mit ihm oder ihr kann man sich fallenlassen, weinen, sogar schreien, selbst wenn der Freund nicht genau weiß, worum sich all das dreht. Einige vorherige Erklärungen wären hilfreich. Aber ein guter Freund wird nicht kritisch oder verurteilend sein. Er oder sie wird damit zufrieden sein, für Sie »dazusein«. Auch mit einem Freund nur über die eigenen Gefühle zu sprechen, ohne zu schreien oder aus der Tiefe zu weinen, ist ein wichtiger Schritt. Alles, was zum Ausdruck führt, ist günstig.

Es gibt Menschen, die keine verständnisvollen Freunde haben. Das schließt nicht aus, daß sie für sich allein weinen und schreien und wenigstens den Druck ablassen.

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Schließlich geht es uns um das Fühlen, und darauf gibt es kein Monopol. Die bestmögliche Alternative ist natürlich ein geschickter Therapeut. Aber davon gibt es nicht genug, deshalb müssen wir improvisieren.

Es ist nicht schlecht, wenn man sich einfach bewußt ist, daß es so etwas wie Gefühle gibt, und hoffentlich auch, welcher Art diese Gefühle sein könnten. Es gibt viele Menschen, die noch immer nicht begreifen, daß es Gefühle sind, die uns vorantreiben, anleiten, unsere Symptome, Alpträume und physischen Beschwerden verursachen.

Es gibt Leute, die besorgt sind, weil ich nicht genug Nachdruck auf Wertsysteme lege, nicht genug Gewicht auf den kognitiven oder spirituellen Aspekt. Meine Überzeugung ist, daß sich solche Wertsysteme direkt aus dem Fühlen herleiten, ohne als solche gelehrt werden zu müssen. Eine Frau beispielsweise, die ihre Kindheitsbedürfnisse gefühlt hat, kann spüren, was ihr eigenes Kind braucht. Die Mutter braucht keine Liste von Werten, die sich um das Aufziehen von Kindern drehen. Sie braucht nicht zu lernen, ein weinendes Kind aufzuheben, ein Kind, das gefallen ist, zu halten und zu trösten. Sie braucht nicht zu lernen, daß es einen Wert hat, den Gefühlen eines Kindes zu lauschen, weil sie bereits das tiefe Bedürfnis gefühlt hat, angehört zu werden.

Ein Ehegatte braucht nichts über den Wert von Zärtlichkeit in einer Ehe zu lernen – etwas, das so absolut grundlegend ist. Ich leugne weder Werte noch Bewußtsein noch gewisse Ideologien. Was ich jedoch festgestellt habe, ist, daß sie eine logische Evolution jener zu sein scheinen, die fühlen. Deshalb rate ich aber nicht, sich wild umherziehenden, geistlosen und unachtsamen Figuren anzuschließen. Im Gegenteil, Werte zu lernen, ist verzweifelt notwendig für jene, die nicht fühlen, die kein Mitgefühl haben, die sich nicht einfühlen und auf natürliche Weise verstehen können. Zu viele von uns führen nicht nur ein Leben stiller Verzweiflung, sondern auch zerbrochener Träume und geheimer Kompromisse. Wir haben uns selbst kompromittiert, um durchs Leben zu kommen. Wir können dieses kompromittierte Selbst zurückgewinnen.

Was könnte spiritueller sein, als menschliches Leben und den menschlichen Geist zu schätzen? Für jene, die tief verdrängen, ist der Wert menschlichen Lebens nicht so evident. Kein fühlender Mensch könnte in einer besonderen Uniform Tausende von Meilen reisen, um einen Fremden zu töten, und zwar aufgrund einer Abstraktion wie etwa »Ehre«. Ebenso könnte ein Mensch, der seine eigene Natur tief gefühlt und deren Schönheit entdeckt hat, nicht die Natur um sich herum aus Profitgründen zerstören. Man braucht nicht gebildet zu sein, um die Natur zu respektieren; dieser Respekt wohnt dem Respekt vor der eigenen Natur inne.

Werte sind spätere Entwicklungen des zerebralen Kortex, die nur zu oft die Gefühle ersetzen. Die Gefühle waren zuerst da. Werte sind ihnen inhärent. Wir schützen das Leben und alles, was damit zu tun hat, es gut und anständig zu machen, weil wir das Leben in uns gespürt haben, und es ist wundervoll.

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Primärtherapie ist nicht »Urschrei«-Therapie

Primärtherapie besteht nicht einfach darin, Leute schreien zu lassen. Das war der Titel eines Buches. Es war niemals eine »Urschrei-Therapie«. Wer das Buch gelesen hat, weiß, daß Schreien das ist, was manche Leute tun, wenn sie leiden. Andere schluchzen oder weinen einfach. Es war der Schmerz, hinter dem wir her waren, keine mechanischen Übungen wie das Schlagen gegen Wände und das Brüllen von »Mama«. Diese Therapie hat das, was eigentlich eine Kunstform war, in eine Wissenschaft verwandelt.

Es gibt viele hundert Ausübende, die etwas praktizieren, was sie Primärtherapie nennen, ohne einen Tag Ausbildung gemacht zu haben. Viele arglose Patienten sind schwer geschädigt worden, als sie dachten, sie erhielten die richtige Primärtherapie. Ich muß betonen, daß diese Therapie in ungeübten Händen gefährlich ist. Vergewissern Sie sich also vorher, indem Sie mit uns Kontakt aufnehmen.

Bei den vielen hundert Klinikern auf der Welt, die meinen Namen benutzen und fälschlich behaupten, von mir ausgebildet worden zu sein, habe ich nie gesehen, daß die Therapie korrekt praktiziert worden wäre. Wir verbringen etwa ein Drittel unserer Zeit damit, Patienten zu behandeln, die von Möchtegern-Primärtherapeuten kommen.

Jahrelang ging ein großer Teil unseres Budgets in die Forschung. Ich hoffte, andere klinische Zentren würden die Primärforschung fortsetzen, aber das war nicht der Fall.

Ich kann im Augenblick aufrichtig kein einziges Zentrum mehr empfehlen, das Primärtherapie praktiziert, da ich mit keinem mehr assoziiert bin. Ergänzt wurde das Problem dadurch, daß einige Therapeuten Bruchstücke von Training bei mir absolviert und dann eine Praxis eröffnet haben.

Ich möchte die Primärtherapie der Welt anbieten. Die Therapie wirkt. Die Patienten wissen es. Und ich hoffe, das durch dieses Buch den leidenden Menschen bekanntzumachen.

 

 

 

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