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4. Maschinen werden niemals ein Bewußtsein haben können

Interview in Die Welt mit Norbert Lossau

 

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L - Moderne Computertechnik, die sich ja zum Teil sogar an der Funktions­weise biologischer Hirne orientiert, ist zunehmend in der Lage, Dinge zu verrichten, die bislang ausschließlich von Menschen durchgeführt werden konnten. Was würden Sie empfinden, wenn Sie bei einer telefonischen Hotel­zimmer­reservierung von einem technischen System mit einer täuschend echt klingenden synthetischen Stimme bedient und erst später erfahren würden, daß das kein Mensch gewesen ist, mit dem Sie gesprochen haben?

J - Ich wäre wohl sehr darüber erstaunt, daß so etwas technisch machbar ist, doch beunruhigen würde mich das keineswegs. Auch in diesem Fall würde die Maschine ja nur fest umrissene Zweckvorgänge mechanisch ausführen, wie dies Tausende anderer Maschinen auch tun. Im Grunde könnte man das also beispielsweise mit der Umstellung von Pferdegespannen auf motorisierte Fahrzeuge vergleichen. Eine mechanische Tätigkeit also, die zuvor von einem lebenden Wesen verrichtet worden ist und dann von einer Maschine ausgeführt wird. Nichts, was einen Philosophen also besonders interessieren könnte.

Doch das könnte der Fall sein, wenn diese Systeme dann einmal wirklich so etwas wie denken könnten oder gar selbst Bewußtsein hätten, wie dies einige Forscher durchaus im Bereich des Möglichen sehen.

J.  Wer so etwas im Ernst erwägt, der setzt zuerst einmal Rechnen mit Denken und dann Denken mit Bewußtsein gleich. Rechnen und logisches Denken können zwar durch formale Regeln für die Abfolge objektiver Symbolzeichen ersetzt werden, und deren jeweiliges Ende kann — von einem es sinnlich wahrnehmenden Bewußtsein — in sein subjektives Äquivalent übertragen und als Lösung einer Denkaufgabe verstanden werden.

Den fühlenden Vollzug der Schritte hat sich das Subjekt durch die Delegierung an unfühlende Objekt­prozesse erspart, das "Ergebnis" aber wird von einer Subjektivität aufgenommen und dem Ende eines regelgemäßen Gedankenganges gleichgesetzt. Wenn jemand da ist, der die Umsetzung des physikalischen Endpunktes in ein psychisches Datum und dessen Verständnis als Gedankensymbol vornimmt, dann hat die Maschine "rückblickend" gesehen "gedacht".

Ohne diese Einlösung ihres Symbolpotentials schließlich könnte sie ewig weiterlaufen, ohne daß sie je gedacht hätte, denn es besteht kein Grund anzunehmen, daß die einzelnen Schritte von Gefühl begleitet waren — ja, es wäre eine sinnlose Annahme, denn der Zweck der ganzen Veranstaltung war doch gerade, die ganze Subjektivität zu umgehen und ohne sie auszukommen. Nur bliebe dies seinerseits sinnlos, wenn nicht zum Schluß wieder eine Subjektivität vom Erreichten Kenntnis nähme.

Die Maschine wäre also in jedem Fall nur ein mechanisch arbeitender Erfüllungsgehilfe, ohne eigenen Spielraum oder gar ein Bewußtsein zu besitzen?

J.  Ja, es muß zu Anfang Bewußtsein dasein, um dem Automaten Instruktionen, eine Aufgabe einzuspeisen, und ebenso Bewußtsein zum Schluß, um ihm das Ergebnis, die Lösung, abzunehmen: Daß der Automat über der Ausführung der Aufgaben selber lebendig werden, eine Psyche gewinnen und uns nun mit einem eigenen Willen zu schaffen machen könnte, ist nichts weiter als wilde Spekulation, und ich habe von ihren Befürwortern bislang nichts vernommen, was mich nötigen könnte, sie ernst zu nehmen.

So wenig wie einem Thermostat Empfindung zuzuschreiben ist, weil er empfindlich für Außenreize ist, so wenig haben wir Grund, einem maschinellen Prozeß Denken zuzuschreiben, weil er, von uns im voraus darauf eingerichtet, denkgerecht operiert.

Ein raffiniert konstruierter Apparat mag vielleicht in der Lage sein, jemanden eine Zeitlang zu täuschen, er sei mehr als nur ein technisches Konstrukt. Doch letztendlich wird Organisches immer Organisches von Technischem unterscheiden können. Selbst wenn es gelingen sollte, alle Gehirnfunktionen vollständig zu verstehen, bliebe es also unmöglich, Bewußtsein technisch zu konstruieren.

Zweifelsohne vollbringen moderne Computersysteme heute gewaltige technische Leistungen. Sehen Sie spezifische Gefahren?

J.  Natürlich läßt sich jede technische Errungenschaft auch mißbrauchen, sogar die Medizin. Doch andere Dinge würden mir da eher Sorgen bereiten. Computer haben, soweit ich das sehe, keine negativen Folgen für die Ökologie unseres Planeten. Im Gegenteil ist es mir mit ihrer Hilfe möglich, vor möglichen ökologischen Katastrophen zu warnen. Wenn so mit Hilfe von Computerszenarien genügend Furcht vor schlimmen Entwicklungen erzeugt werden kann, könnte dadurch das Verhalten der Menschen vielleicht doch geändert werden, bevor es zu der Katastrophe kommt. In einer Entwicklung von sogenannten Ersatzinstrumenten für das Denken liegt jedenfalls keine reale Gefahr.

Übernehmen Computer oder neuronale Netze, wenn man sie zur Entscheidungsfindung heranzieht, nicht Funktionen, die zumindest eine Teilverantwortung bedeuten? Sind die Menschen de facto nicht dabei, unbequeme Verantwortung auf Maschinen zu delegieren?

J.  Entscheidungen werden von Subjekten getroffen, die für diese Entscheidung auch die Verantwortung tragen. Das wird ihnen niemals eine Maschine abnehmen können. Und dort, wo Entscheidungen von Kollektiven — zum Beispiel einem Staat — getroffen werden, trägt jedes einzelne Individuum Mitverantwortung. Das kann durchaus zu der paradoxen Situation führen, daß ein Individuum Verantwortung für etwas trägt, was es vielleicht gar nicht beeinflussen kann. Wenn der Einsatz von entsprechenden Computersystemen allerdings dazu führen sollte, daß die große Bedeutung des einzelnen Individuums zugunsten einer möglichst reibungslos arbeitenden gesellschaftlichen Maschinerie untergraben würde, wäre das schlimm: Der Verlust des Respekts vor der Subjektivität wäre tatsächlich eine große Gefahr für die Menschheit.

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