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1. Archetypen des Feindes

Erscheinungsbilder der Feindvorstellung

 

 

Er beobachtet DICH, USA, 2. Weltkrieg

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Prüfen Sie das Gesicht des Feindes genau. Die Mundwinkel sind nach unten gezogen. Die Augen sind fanatisch und starren in die Ferne. Seine Züge sind verzerrt, geformt wie bei einem Monster oder einer Bestie. Nichts weist darauf hin, daß dieser Mensch jemals lacht, von Zweifeln geplagt wird oder in Tränen ausbricht. Er empfindet weder Zärtlichkeit noch Schmerz. 

Natürlich ist er anders als wir. Wir müssen kein Mitleid haben, keine Schuldgefühle, wenn wir ihn vernichten. In der Propaganda ist das Bild des Feindes dazu bestimmt, einen Konzentrationspunkt für unseren Haß zu liefern. Er ist der andere. Der Außenseiter. Der Fremde. Er ist nicht menschlich. Wenn wir ihn töten können, werden wir von allem Bösen in uns und um uns erlöst.

Wie werden diese Feind-Bilder geschaffen? Und warum ist das Repertoire von Bildern so allgemein gültig?

 

Der Feind als Fremder

 

  Die ganz gewöhnliche Paranoia 

Niemand weiß sicher, wann es zu einer ständigen Gewohnheit des Menschen wurde, Kriege zu führen. Einige Archäologen meinen, es gab ein vorsteinzeitliches Paradies, bevölkert von friedlichen Jägern und Sammlern; Habsucht und systematische Gewaltanwendung seien erst aufgetreten, als die landwirtschaftliche Revolution ein ausreichendes Wohlstandsgefälle schuf, um einige in Versuchung zu führen, das zu stehlen, was andere produziert hatten. Das beste Beweismaterial, über das wir verfügen, läßt vermuten, daß die Kriegführung nicht älter als 13.000 Jahre ist. Sue Mansfield zufolge belegen unsere frühesten menschlichen Zeugnisse aus dem Paläolithikum Jagd, Kunst, Mythos und Ritual, aber sie stellen keine Menschen im Kampf miteinander dar.1)

Deutschland, 
Zweiter Weltkrieg

Einmal erfunden, wurde der Krieg zu einer nahezu universellen Praxis. Doch es gibt genug Ausnahmen, um jenen entscheidenden Beweis antreten zu können, auf den die Hoffnung ihre heikle Behauptung stützt: Sich Feinde zu machen und Kriege zu führen ist eher eine soziale Schöpfung als ein biologischer Imperativ.

Die friedlichen Völker wie die Hopi, die Tasaday auf den Philippinen, die Mbuti-Pygmäen, die K'ung-Buschleute der Kalahari, die Kupfer-Eskimos, die Amish in Nordamerika und andere zeigen uns, daß Menschen fähig sind, hochstehende Kulturen ohne den systematischen Einsatz von Gewalt zu schaffen, ohne eine Kriegerkaste und eine psychische Struktur, die darauf ausgerichtet ist, den Stamm gegen einen Feind zu verteidigen. So schreibt Geoffrey Gorer:

»Als die bedeutsamste Gemeinsamkeit dieser friedvollen Gesellschaften erscheint mir allerdings, daß sie alle einen enormen Genuß aus konkreten körperlichen Vergnügen ziehen: Essen, Trinken, Sexualität und Lachen, und daß sie nur sehr geringe Unterschiede zwischen den idealen Verhaltensweisen von Mann und Frau haben, insonderheit, daß es bei ihnen kein Ideal der tapferen, aggressiven Männlichkeit gibt ... Sie haben weder Helden noch Märtyrer, denen nachgeeifert werden müßte, noch Feiglinge und Verräter zum Verachten. In ihrer Religion gibt es keine personalisierten Götter oder Teufel; ein glückliches, hartes und produktives Leben ist für jeden drin.«2)

Das Beispiel der unkriegerischen Stämme lehrt uns, daß es keine genetischen oder allgemein menschlichen Bedingungen sind, die den Krieg zum unausweichlichen Schicksal des Menschen machen. Ashley Montagu meint darüber hinaus:

»Während der zwei Millionen Jahre menschlicher Evolution hatte die Kooperation die höchste Bedeutung für die Auslese, nicht nur innerhalb der Gruppen, sondern auch die Kooperation zwischen den Gruppen. Anders gäbe es heute keine Menschen.«3)

* (d-2015:)  wikipedia  Ashley_Montagu  1905-1999

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Tokio-Kid
USA
Zweiter Weltkrieg

 

Für einen Augenblick wollen wir diesen Faden der Hoffnung festhalten und uns dem Studium der weiter verbreiteten menschlichen Befindlichkeit - der gewöhnlichen Paranoia - sowie der Welt zuwenden, die durch die Feindvorstellung geschaffen wird. In Vergangenheit und Gegenwart (und, so hoffe ich, in der Zukunft) lebten und leben Menschen, die eher vom Geist des Eros als von der schwarzen Hand des Thanatos regiert wurden.

Traurigerweise erzeugt die Mehrheit der Stämme und Nationen ein Gefühl sozialer Solidarität und Zugehörigkeit zum Teil dadurch, daß systematisch Feinde aufgebaut werden. Die gemeinsame Identität der meisten Völker gründet auf einer antagonistischen Weltsicht:

Wir   versus    Die.   
Zugehörige   versus    Außenseiter. 
Der Stamm   versus    Der Feind.    

Mit anderen Worten: Die Paranoia ist weit entfernt davon, nur ein gelegentliches individuelles Leiden zu sein, die normale »conditio humana«. Sie wird als ebenso normal wie anerkennenswert betrachtet, als Wesensmerkmal von Stammesloyalität und Patriotismus, um beißenden Haß auf Fremde zu richten, die wir kaum kennen, und um Liebe für jene zu reservieren, die uns vertraut sind. Die Gewohnheit, unsere Feindseligkeit nach außen auf alle zu richten, die uns unbekannt sind, ist gleichermaßen ein Charakteristikum des Menschen wie unsere Fähigkeit zur Vernunft, zum Staunen oder zur Herstellung von Werkzeugen. Unsere Feindseligkeit pervertiert die Vernunft zu einem Akt des vereinfachenden Denkens und der Propaganda; sie stellt unsere Kreativität in den Dienst zerstörerischer Kräfte und läßt uns Schwerter statt Pflugscharen schmieden.

Liebe addiert und multipliziert. 
Haß dividiert und subtrahiert.
Sandor McNab

Die Feindvorstellung beginnt mit einer einfachen, aber sehr hinderlichen Annahme: Was fremd oder unbekannt ist, ist gefährlich und will uns übel. Das Unbekannte ist nicht vertrauenswürdig. Das lateinische Wort hostis bezeichnet ursprünglich einen Fremden, jemanden, der nicht mit uns durch Verwandtschaft oder Blutsbande verbunden ist.

Um den Grundwiderspruch zwischen Zugehörigen und Fremden herum formt das Stammesbewußtsein einen ganzen Mythos des Konflikts. Das mythische Denken, das noch immer die moderne Politik beherrscht, ist zwanghaft dualistisch. Es spaltet alles in polare Gegensätze. 

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Gewöhnliche Paranoia
Jeanette Stobie

 

Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Zugehörigen und Außenseitern wird in eine paranoide Ethik und Metaphysik ausgeweitet, in der die Wirklichkeit als ein moralisches Schauspiel angesehen wird, als ein Konflikt zwischen

dem Stamm versus dem Feind
dem Guten versus  dem Bösen
dem Heiligen versus dem Profanen.

Eine vorrangige Funktion dieser paranoiden Metaphysik von Homo hostilis besteht darin, die Vernichtung von Außenseitern zu rechtfertigen und Kriege zu rationalisieren. Außer uns zu sagen, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen, sanktioniert der Mythos das Töten oder Sterben im Krieg zu einem geheiligten Akt, ausgeführt im Dienst einer Gottheit oder eines unsterblichen Ideals. Daher ist die Propaganda so alt wie die Feindvorstellung.

Die Wahrheit ist das erste Opfer, das wir bringen, um einer exklusiven Gruppe anzugehören.

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Der Feind als Angreifer

 

  Die Logik der Paranoia 

 

Gewöhnliche Paranoia — die Pathologie des Durchschnittsmenschen in einer kriegsbejahenden Gesellschaft — bildet sozusagen den Druckstock, aus dem alle Feindbilder geschnitten werden. Indem wir die Logik der Paranoia untersuchen, können wir erkennen, warum bestimmte Archetypen des Feindes notwendigerweise wiederkehren, unter welchen historischen Umständen auch immer. Die Paranoia umfaßt einen Komplex geistiger, emotionaler und sozialer Mechanismen, mit deren Hilfe eine Person oder ein Volk Rechtschaffenheit und Reinheit für sich beansprucht und die Feindseligkeit und das Böse dem Feind zuschreibt. 

Dieser Prozeß beginnt mit der Spaltung des »guten« Selbst vom »schlechten« Selbst: Mit ersterem identifizieren wir uns bewußt, und es wird auch in Mythen und Medien hoch gepriesen; das »schlechte« Selbst bleibt uns so lange unbewußt, wie es auf einen Feind projiziert werden kann. Durch diesen Kunstgriff werden die inakzeptablen Teile des Selbst — seine Habgier, seine Grausamkeit, sein Sadismus und seine Feindseligkeit, was C.G. Jung den »Schatten« nannte — zum Verschwinden gebracht und nur als Merkmale des Feindes anerkannt. Paranoia mindert Angst und Schuld, indem sie all die Eigenschaften auf den anderen überträgt, die man bei sich selbst nicht wahrhaben möchte. Sie wird aufrechterhalten durch selektive Wahrnehmung und Erinnerung. Wir sehen und nehmen nur jene negativen Aspekte des Feindes zur Kenntnis, die das Vorurteil stützen, das wir bereits gebildet haben. Daher bringt das amerikanische Fernsehen hauptsächlich schlechte Nachrichten über die Russen und umgekehrt. Wir erinnern uns nur an die »Beweise«, die unser Vorurteil bestätigen.

Als eine Art Metaphysik der Bedrohung schaltet die Paranoia schon im voraus jeden Anhaltspunkt aus, der ihrer Grundannahme über die bösartigen Absichten des Feindes widersprechen könnte. So entsteht eine Unfähigkeit, zwischen den tatsächlichen und rein eingebildeten Gefahren zu unterscheiden. Ein Paranoiker, der einen lässig an eine Hauswand gelehnten Mann eine Zigarette rauchen sieht, »weiß« mit absoluter Sicherheit, daß dieser Mann einem anderen an einem Fenster im dritten Stock eines gegenüberliegenden Gebäudes Signale gibt, der seinerseits in Funkverbindung mit dem Piloten eines am Himmel vorbeiziehenden Flugzeuges steht, welcher gerade dabei ist, unseren Paranoiden mit unsichtbaren Strahlen aus einer tödlichen Laserkanone zu durchbohren.

 

Arafat als Schatten
Kolumbien. De La Torre.
© Cartoonists and Writers Syndicate

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Kein noch so überzeugendes Beweismaterial wird einen paranoiden Verstand überzeugen, daß das Attentat auf Präsident John F. Kennedy kein genau geplantes Komplott unter Beteiligung eines ganzen Netzes finsterer Agenten war. Erwecken die Russen den Anschein, Frieden zu wollen? Für das paranoide Denken ist dieser Anschein nur ein weiterer Beweis, daß sie uns zu Abrüstung bewegen wollen, damit sie uns erobern können. Der double bind, der stets in die Paranoia eingebaut ist, macht es logisch unmöglich, sie zu widerlegen.

Ich mag für Sie ein bißchen paranoid klingen,
aber die Leute verstehen einfach die Bedrohung nicht.
CASPAR WEINBERGER

Nichts illustriert die paranoide Geistesverfassung besser als die antisemitische Propaganda. Für den Antisemiten sind die Juden der Ursprung alles Bösen. Hinter den zufälligen historischen Feinden Deutschlands — England, Amerika und Rußland — lauerte die jüdische Verschwörung. Die Bedrohung war für den unbeteiligten Beobachter singulär und verborgen, jedoch offensichtlich für den, der wahrhaft an die arische Überlegenheit glaubte. Innerhalb dieser verdrehten Logik war es für die Nazis absolut schlüssig, Züge, die dringend für den Transport von Truppen an die Front gebraucht wurden, umzudirigieren, um Juden für die »Endlösung« in Konzentrationslager bringen zu können.

Schattierungen der gleichen paranoiden Sichtweise zeigen rechtsgerichtete amerikanische Antikommunisten und besessene sowjetische Antikapitalisten, die beide ihren Gegnern mehr Macht, Zusammenhalt und konspirativen Erfolg zuschreiben, als der jeweils andere wirklich hat. Fanatiker in beiden Lagern betrachten die Welt als ein Schlachtfeld, auf dem am Ende alle Länder entweder in die Einflußsphäre des Kapitalismus oder des Kommunismus eingegliedert werden.

Eine wesentliche Funktion des paranoiden Denkens besteht darin, sich Schuld und Verantwortung zu entziehen und sie anderen anzuhängen. Diese Umkehrung kann bis in schreckliche Extreme gehen. Vor einiger Zeit vergewaltigte und verstümmelte ein Mann in San Francisco brutal eine Frau. Nachdem er gefaßt worden war, verteidigte er sich vor Gericht mit der Behauptung, sie habe ihn bedroht. Die Zuweisung der Schuld an den anderen zeigt uns, daß Paranoia in einem psychischen Entwicklungsstillstand verwurzelt ist.

Familientherapeuten haben eine Faustregel, die besagt: Der Grad, in dem Leute andere anschuldigen, entspricht dem Ausmaß, in dem sie entwicklungsmäßig noch ihrer Herkunftsfamilie verhaftet sind, das heißt, in dem sie noch Kinder sind. Vorwürfe zu erheben bedeutet, sowohl die eigene Verantwortung als auch die eigene Stärke zu verleugnen. Paranoia ist der Zufluchtsort von Kindern und Opfern.

Anschuldigungen lösen Anschuldigungen aus. Deshalb wird die paranoide Person oder Nation ein gemeinschaftliches Wahnsystem erzeugen, eine Paranoia à deux. Zum Feindsystem gehört ein Prozeß zwischen zwei oder mehr Feinden, die sich gegenseitig ihren (unbewußten) psychischen Müll in den Hinterhof kippen. Alles, was wir an uns selbst verachten, schreiben wir anderen zu — und umgekehrt. Da der Vorgang der unbewußten Projektion des Schattens universell ist, »brauchen« die Feinde einander, um ihren angehäuften, verleugneten psychischen Giftmüll loszuwerden. Wir knüpfen ein Band des Hasses, bilden eine »gegnerische Symbiose«, ein einheitliches System, das garantiert, daß keiner von uns mit seinem Schatten konfrontiert wird. 

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»Die Kommunisten haben kein Gewissen. Sie treiben liebenswerte Menschen auf das Schlachtfeld, die dort bei den Angriffen ihres >menschlichen Meeres< sterben.«

Anspielung auf einen Satz von Mao Tse-tung, die Kommunisten sollten sich im Volk bewegen wie die Fische im Wasser. Veröffentlicht auf einem nationalistischen Flugblatt, das über Zentralchina abgeworfen wurde

 

Der Jude als Über-Bedrohung

Oslo 1941

 

 

 

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»Er reitet euch alle rein«
Deutschland, Zweiter Weltkrieg

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»Sie bedrohen uns«

Jack Jurden, 
Wilmington Evening Journal News

 

 

Im gegenwärtigen Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion sind wir aufeinander als Gruppen-Übertragungs-Ziele angewiesen. Natürlich sieht die sowjetische Propaganda, die die Vereinigten Staaten als Verletzer von Menschenrechten hinstellt, den Balken im eigenen Auge nicht. Ebenso eindeutig spiegeln aber auch unsere Tiraden gegen staatliche Kontrolle und fehlendes Privateigentum in der Sowjetunion einen unbewußten Zorn über den realen Verlust individueller Freiheit unter der Herrschaft des Großkapitals und über unsere Abhängigkeit von der Regierung wider, die von der Wiege bis zur Bahre für uns sorgen soll; beides paßt nicht zu unserem Pionier-Selbstbild des rauhbeinigen Individualisten. 

Offiziell betrachten wir die Abhängigkeit der Sowjetbürger vom Staat als Sklaverei, und doch haben wir uns in die Arme der gewaltigen Regierungs­apparate und des galoppierenden Sozialismus begeben, und offensichtlich haben wir tiefe Abhängigkeitsbedürfnisse, die nicht zu unserem bewußten Selbstbild als »Marlboro-Männer« passen. Und wenn die Sowjets unsere Freiheit, Profit zu machen und zu konsumieren, als eine Form von Zügellosigkeit betrachten, ist klar, daß sie nach größerer persönlicher Freiheit streben.

Wir unterstellen den Sowjets, sie degradierten den einzelnen zum bloßen Mittel staatlicher Ziele. Sie unterstellen uns, wir heiligten die Habgier mächtiger Individuen auf Kosten der Gemeinschaft und ließen den Profit für nur wenige zu Lasten der Mehrheit zu. Solange wir Beleidigungen austauschen, sind wir beide der unangenehmen Aufgabe enthoben, auf die ernstlichen Fehler und Grausamkeiten unseres eigenen Systems zu schauen. 

Unvermeidlich betrachtet die paranoide, infantile Psyche den Feind so, als hätte er einige der paradoxen Eigenschaften schlechter Eltern. Die notwendige Formel, um den Feind moralisch ungestraft zu zerstören, schreibt ihm stets nahezu unbegrenzte Macht und einen moralisch minderwertigen Charakter zu. Regelmäßig entdeckt das US-Verteidigungsministerium, in typisch paranoidem Stil, irgendeine »Lücke« — eine Bomberlücke, Panzerlücke, Raketenlücke oder Versorgungslücke —, welche die Sowjets mächtiger erscheinen läßt als die Vereinigten Staaten, und zugleich entwirft es das Bild eines erbarmungslosen Vordringens des gottlosen Kommunismus. Der Kreml spielt das gleiche Spiel.

Allein schon Gleichwertigkeit festzustellen, ist dem paranoiden Denken unmöglich. Ein Paranoider muß entweder sadistisch überlegen sein und andere beherrschen — oder masochistisch unterlegen und sich von ihnen bedroht fühlen. Erwachsene mögen einander gleichwertig gegenüberstehen und die Verantwortung für Gut und Böse teilen, doch in der Welt des Kindes hat der Riese — die Eltern, der Feind — die Macht und ist folglich dafür zu verachten, daß er nicht den Schmerz und das Böse beseitigt, für die er allein verantwortlich ist.

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Homo hostilis ist unheilbar gespalten, ein moralisierender Manichäer:

Wir sind unschuldig. Sie sind schuldig. 
Wir sagen die Wahrheit — Sie lügen — machen Propaganda — informieren. 
Wir verteidigen uns selbst. Sie sind Angreifer.
Wir haben ein Verteidigungsministerium. Sie haben ein Kriegsministerium. 
Unsere Raketen und Waffen dienen der Abschreckung. Ihre Waffen sind für den Erstschlag gedacht.

Man beachte den Unterton bei aller selbstrechtfertigenden Propaganda; es ist die jammernde Stimme des Kindes: »Er hat mich zuerst gehauen«; »Ich schlage doch nur zurück«.

 

Sowjetische Lügen 
Carmack, <Christian Science Monitor>

 

»Sie bedrohen uns« 
UdSSR

 

Einem neuen politischen Lexikon zufolge, das kürzlich in Moskau veröffentlicht wurde, kann »Aggression definiert werden als ein bewaffneter Angriff auf ein Land mit dem Ziel, sich seines Territoriums zu bemächtigen und es wirtschaftlich und politisch zu unterwerfen. Beispiele für Aggression sind der Krieg der Vereinigten Staaten gegen das vietnamesische Volk und Israels Aktionen gegen arabische Staaten.« Dasselbe Lexikon fährt dann fort, die sowjetische Gefahr als einen »antisowjetischen Propagandamythos« zu definieren, »eine Gefahr, die angeblich die kapitalistische Welt bedroht und von der Sowjetunion ausgeht. Diese absurde Behauptung wird in Umlauf gebracht, um das Wettrüsten zu rechtfertigen, das den Magnaten des militärisch-industriellen Komplexes ungeheure Profite bringt.«4 

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Hinter seiner grimmigen Maske ist Homo hostilis ein Opfer, ein aggressiv Gehemmter, der machtbesessen ist, weil er sich ohnmächtig (impotent) fühlt, nachdem er die Macht, anzufangen und anzugreifen, dem Feind übertragen hat. Er, der die Macht und die Verantwortlichkeit, Böses zu tun, auf den Feind projiziert hat, verliert die Fähigkeit, die Initiative zu ergreifen, zu handeln. Krieg ist immer »reaktionär«, ein Drama, in dem zwei oder mehr Parteien, die sich außer ihrer Antwort auf Aggression ansonsten machtlos fühlen, ihre überlegene Macht zu demonstrieren versuchen.

 

   Paranoiker hassen und lieben einander  

Paranoia ruft eine sich selbst erfüllende Prophezeiung hervor, einen Teufelskreis, in dem Verdacht Verdacht gebiert, Drohung Gegendrohung erzeugt. Aggressiv gehemmte Opfer verschaffen sich selbst die Aggression, die sie so zwanghaft fürchten. In dem Maß, wie der andere als Feind wahrgenommen wird, reagieren wir »angemessen«, indem wir uns auf die Selbstverteidigung vorbereiten — wenn nötig mit Präventivschlägen. Die anderen reagieren ähnlich. Paranoide beginnen bei phantasierten Feinden und enden mit realen, während der reaktive Kreislauf sich zu einem komplexen historischen Konflikt aufschaukelt. In der Paranoia ä deux wirkt Feindseligkeit synergetisch; die Feinde stehen hypnotisiert voreinander und schließen sich in ein Spiegelkabinett ein. Das menschliche Bewußtsein, so scheint es, ist fähig, nahezu jede Realität zu schaffen oder zu entdecken, auf die es nur lange genug seine Aufmerksamkeit richtet. Wir gestalten die Welt nach dem Bilde dessen, was uns fasziniert und erschreckt.

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Der gesichtslose Feind

 

  Entmenschlichende Propaganda 

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Das Ziel von Kriegen ist, den Feind zu zerstören oder zu töten. Aber wer ist der Feind? Fast alle Werke über den Krieg beziehen sich nur indirekt auf den Feind. Ein merkwürdiges Schweigen durchdringt das politische, militärische und volkstümliche Denken über dieses Thema. Unser Widerwillen, klar über den Feind nachzudenken, scheint eine unbewußte Verschwörung zu sein. Systematisch verwässern wir Unterscheidungen und bestehen darauf, den Feind gesichtslos zu lassen, weil wir nur dann fähig sind, den Schrecken des Krieges zu verewigen, Urheber unvorstellbaren Leidens zu sein, wenn wir uns selbst blind machen für das, was wir tun. Traditionell haben wir diese Praxis des Denkverzichts aufrechterhalten, indem wir entmenschlichende Stereotype für die Objekte unserer Gewalttätigkeit schufen und unserer Vernunft vorbehielten, die Waffen, Strategien und Taktiken festzulegen, mit denen wir »die« zerstören wollen.

Laurens van der Post beschreibt genau, wie ein Mechanismus der Entmenschlichung in einem japanischen Gefangenenlager während des Zweiten Weltkriegs funktionierte:

»Die Japaner zeigten einen unerwarteten Widerwillen, uns im Verlauf unserer täglichen Kontakte in die Augen zu blicken. Wir wußten, daß sie Vorsichtsmaßnahmen trafen, um sicherzugehen, daß nicht auch nur ein Schimmer offensichtlicher und wehrloser Menschlichkeit durch ihr Abwehrsystem dränge und dem Zerrbild widerspräche, das eine dämonische A-priori-Vorstellung von uns in ihnen erzeugt hatte. Je näher das Donnerwetter kam, um so intensiver wurde das Wirken dieses Mechanismus.

Seinen nachhaltigsten Ausdruck hatte ich in den Augen eines japanischen Offiziers gesehen, der — vor sich einen verurteilten indonesischen Soldaten — sich nach vorne beugen und das lange schwarze Haar des Verurteilten vom Nacken über Kopf und Augen werfen mußte, als er sein Schwert ziehen und den Kopf des Mannes abschlagen wollte. Bevor der Hieb niederging, war er gezwungen, geradeaus über den Kopf des Todeskandidaten zu schauen; er sah dabei weder ihn noch uns, die wir in einer langen Reihe aufgereiht vor ihm standen.«5 

 

Der gesichtslose Russe 

»... Wir brauchen einen originellen, jungen und dynamischen neuen Führer. Einer von uns wird es sein...« 

Oliphant. Detroit Free Press 1982 

 

Ich erhielt den Befehl, dort hinzugehen und den Feind zu vernichten ... Ich setzte mich nicht hin und unterschied zwischen Männern, Frauen und Kindern. Sie gehörten alle in die gleiche Kategorie, und das war die Einteilung, mit der wir es zu tun hatten, einfach feindliche Soldaten. 

LEUTNANT WILLIAM CALLEY

 

An sich gilt die Regel, daß Menschen andere Menschen nicht töten. Bevor wir zu Krieg oder Völkermord ausziehen, entmenschlichen wir zuerst jene, die wir zu »eliminieren« beabsichtigen. Als die Japaner im Zweiten Weltkrieg medizinische Experimente an menschlichen Versuchskaninchen durchführten, nannten sie sie maruta — Holzklötze. Die Feindvorstellung zerstört systematisch unsere natürliche Neigung, uns mit anderen Angehörigen unserer Art zu identifizieren. Homo hostilis verstümmelt seine Phantasie, indem er sie zwingt, den begrenzten Zwecken von Haß und Propaganda zu dienen. Eine voll entwickelte Vorstellungskraft würde uns zu der Erkenntnis führen, daß die, gegen die wir kämpfen, sind wie wir. Sie empfinden Schmerz, wenn sie geschlagen werden, haben Angst vor dem Tod, lieben ihre Kinder, hassen es, in den Krieg zu ziehen, und sind erfüllt von Gefühlen des Zweifels.

 

Der Zweck von Propaganda ist, das Denken zu lähmen, sorgfältige Unterscheidungen zu verhindern und Individuen darauf zu konditionieren, sich als eine Masse zu verhalten. Der moderne kriegführende Staat beseitigt die Individualität der ihm Dienenden, indem er sie in Uniformen zwingt, und er zerstört systematisch die Vielgestaltigkeit derer, gegen die er kämpft. »Der« Feind ist immer ein einzelner, eine Leerformel, der wir jede Bedrohung zuordnen können, über die wir nicht offen nachdenken wollen. Das paranoide Denken hüllt den Feind in Nebel. Wenn der Krieg beginnt, werden Nachdenken und Nächstenliebe für seine Dauer ins Exil geschickt. Wir töten keine Personen, sondern eine Idee.

Die Kunst der Propaganda besteht darin, ein Bild zu erzeugen, das die Vorstellung dessen verkörpert, was wir zerstören möchten, damit wir reagieren statt zu denken und automatisch einen Haltepunkt für unsere frei flottierende Feindseligkeit finden, für diffuse Frustrationen und unbestimmte Ängste. Die Elemente, aus denen dieses Bild sich zusammensetzt, sind Flüche und die üblichen Schmähungen, die seit Menschengedenken benutzt werden. 

 

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Er hatte nichts bei sich, keine Fotos, keine Briefe, keine Kennmarke. Das würde die Jungs vom Nachrichtendienst enttäuschen, aber für mich war es in Ordnung. Ich wollte, daß dieser Junge anonym blieb. Ich wollte an ihn nicht als totes Menschenwesen mit Namen, Alter und Familie denken, sondern als toten Feind. Das machte alles leichter.  PHILIPP CAPUTO: A Rumor of War

 

Wenn westliche Länder gegen Asiaten in den Krieg ziehen, stellen sie diese gewöhnlich als gesichtslose Horden dar. Ein Film, den die US-Armee während des Zweiten Weltkriegs anfertigte, beschrieb japanische Soldaten als »lauter Abzüge vom selben Negativ«. Wir haben Asiaten gewohnheitsmäßig als so unterschiedlich von uns charakterisiert, daß sie wenig Wert auf Leben beanspruchen können. Die alte Vorstellung von Dschingis-Khan und den Mongolenhaufen verfolgt uns noch immer; bei Bedarf wird sie wieder hervorgeholt und aktualisiert. Amerikanische Streitkräfte in Korea fühlten sich von einer »gelben Flut« gesichtsloser Massen überrollt, grausamen und angstlosen Untermenschen, den unbegreiflichen und unerforschlichen Chinesen, dem menschlichen Ozean. Kaum eine Generation später standen wir in Vietnam wieder dem gleichen archetypisch erniedrigten Feind gegenüber, jetzt bezeichnet als »Penner«, »Mickerlinge«, »Hinterhältige« und »Abartige« (gooks, dinks, slopes). 

 

???

Der Feind als »Es«
»Der Hunne — sein Zeichen. Lösch' es aus mit Kriegsanleihen«
USA, Erster Weltkrieg

 

Frontsoldaten berichten häufig, sobald sie auf einen getöteten Feind trafen und seine persönliche Habe überprüften — Briefe von zu Hause, Bilder der Lieben —, verschwand das Propagandabild, und es wurde schwierig oder unmöglich, erneut zu töten. Wer kann die bewegende Szene aus Remarques »Im Westen nichts Neues« vergessen, als der deutsche Soldat gezwungen wird, die Nacht in einem Bombentrichter mit dem Franzosen zu verbringen, den er zuvor mit dem Bajonett erstochen hat? 

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Der Feind als Feind Gottes

 

 

  Krieg als angewandte Theologie  

Der Feind ist nicht nur Fleisch und Blut, sondern Teufel, Dämon, Agent finsterer Mächte. Der Krieg, ob altertümlich oder modern, wird nicht nur auf dem historischen Schlachtfeld geführt. Hinter der Szene des Zweiten Weltkriegs lenkten — nicht weniger als im Trojanischen Krieg — konkurrierende Götter die Aktionen der sterblichen Krieger.

Gott und Vaterland mögen in der Theorie zu trennen sein, doch in der alltäglichen Politik und Religion sind sie miteinander verschmolzen. Gott heiligt unsere soziale Ordnung, unseren Lebensstil, unsere Werte, unser Territorium. Deshalb ist Kriegführung angewandte Theologie. Man stelle die Rhetorik, mit der Krieg gerechtfertigt wird, auf die Probe, und man wird finden, daß jeder Krieg ein »gerechter«

 

Martin Luther

Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert

 

 

Daher lasset jeden, der es vermag, hauen, schlagen und stechen — insgeheim oder offen —; im Gedenken daran, daß nichts vergiftender, schädlicher oder teuflischer sein kann als ein Rebell. Dies sind seltsame Zeiten, in denen ein Fürst eher durch Blutvergießen in den Himmel gelangen kann als andere Männer mit Beten.

MARTIN LUTHER, 1525

 

Krieg ist, ein Kreuzzug, eine Schlacht zwischen den Mächten des Guten und des Bösen. Krieg ist ein religiös-politisches Ritual, in dem das heilige Blut unserer Helden geopfert wird, um unser Land zu segnen und die Feinde Gottes zu vernichten. Krieg ist die gemeinschaftliche Prüfung, mit der die heldenhafte Nation ihre Anrechte begründet und die Ansprüche ihrer Feinde zurückweist, als auserwähltes Volk Gottes, als Träger einer historischen Bestimmung, als Stellvertreter des Heiligen.

Die nahtlose Verknüpfung von Politik und Religion wurde historisch allein dadurch offenkundig, wie die Theologen die Rhetorik des Krieges übernahmen. Satan wurde von Theologen und Inquisitoren regelmäßig bemüht, um ihre Gegner zu diskreditieren. Katholische Theologen sagten, Luthers Ketzerei müsse ausgerottet werden, weil aus ihm die Stimme des Teufels spräche. Und Luther setzte die gleiche Rhetorik gegen die aufständischen Bauern ein, als er sie zu Mittelsmännern des Teufels und ihre Revolte zum Vorspiel des Weltuntergangs erklärte. Er bestätigte, ebenso deutlich wie jeder andere heilige Krieger, die schreckliche Selbstgerechtigkeit des »heiligen Kriegs«, in dem das Blutbad zur geweihten Opfergabe wird.

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Der schlimmste aller moralischen Widersprüche ist der, daß wir im Namen unserer höchsten Ideale und edelster Gesinnung das Böse geradezu hervorlocken — sozusagen der Gordische Knoten, der durchgehauen werden muß, soll menschliche Geschichte weitergehen. Wir sind so sehr darauf angewiesen, Helden zu sein, auf der Seite Gottes zu stehen, das Böse auszumerzen, die Welt aufzuräumen und siegreich über den Tod zu sein, daß wir alle mit Zerstörung und Tod heimsuchen, die uns bei der Erfüllung unseres historischen Auftrags im Wege stehen. 

Wir schaffen uns Sündenböcke und absolute Feinde, nicht weil wir von Natur aus grausam wären, sondern weil wir unsere Wut auf ein äußeres Zielobjekt richten: Auf Fremde einzuschlagen, schließt unseren Stamm oder unsere Nation zusammen und erlaubt uns, Teil einer engen und liebevollen in-group zu sein. Wir erzeugen unnötiges Übel, weil wir Zugehörigkeit brauchen. In diesem Kontext ist die Ikonographie politischer Propaganda zu verstehen. Was immer eine Gesellschaft als schlecht, falsch, tabu, gottlos, schmutzig, unwürdig, unmenschlich und unrein betrachtet, liefert das Beiwerk, mit dem der Feind ausgestattet wird. Der Feind wird all dessen beschuldigt, was verboten ist — vom Sadismus bis zum Kannibalismus. Man studiere das Gesicht des Feindes, und man wird das politische Äquivalent zu Dantes Inferno entdecken, die Geographie des Bösen, die Gestalt des Schattens, den wir leugnen.

Die rituelle und religiöse Dimension der Kriegführung tritt offen bei primitiven Stämmen zutage, die den Feind mit dem Chaos gleichsetzen, das jährlich bezwungen werden muß, soll der Kosmos erhalten bleiben. Als Blutritus folgt der Krieg naturgemäß aus den zentralen Annahmen aller primitiven Jäger- und Sammlervölker und Ackerbaukulturen: Tod nährt das Leben, Blut muß vergossen werden, die Saat muß in den Boden fallen und absterben, um das Leben zu erhalten. Feindesblut zu vergießen bedeutete, das kosmische Drama zu wiederholen, am Sakrament teilzuhaben, durch das Leben erneuert wird, sich zu beteiligen an der Ur-Schlacht zwischen den Mächten der Schöpfung und der Zerstörung. 

 

 

 

US-Parodie auf den deutschen Anspruch: 
»Gott mit uns«
Erster Weltkrieg 

 

Wenn es etwas gibt, was die tragischen Kriege unserer Zeit uns gelehrt haben, dann ist es, daß der Feind eine rituelle Rolle zu spielen hat, durch die das Böse wiedergutgemacht wird. Alle Kriege werden folglich als »heilige« Kriege im doppelten Sinne geführt — als eine Offenbarung des Schicksals, eine Probe auf die Gunst Gottes und als Mittel, die Welt vom Bösen zu reinigen. 

ERNEST BECKER: Escape from Evil

 

Heiliger Krieg, israelische Version
Kolumbien. De La Torre. 
© Cartoonists and Writers Syndicate 

 

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Heiliger Krieg, iranische Version
<Sudhir Dar; The Hindustani Times>
© Cartoonists and Writers Syndicate 

 

 

Kreuzzug in Europa: Ich glaube an....
USA, Zweiter Weltkrieg 

 

Häufig, etwa bei den Stämmen im Hochland von Neuguinea, wird der Krieg in dem Moment eingestellt, wenn der erste Tropfen Feindesblut geflossen ist. Man muß den Feind nicht beseitigen, sondern nur das »chaotische« Blut opfern, um das symbolische Ritual der Wiedererschaffung des Kosmos zu vervollständigen. Diese Symbolik erklärt viel vom Geist des Spiels, der bewußten Dramatik und des Theaters, der die Kriegführung von Naturvölkern begleitet. Ein Stoßtrupp der Ojibway lauerte manchmal den Sioux auf und ließ alle bis auf einen Mann entkommen, denn ein einzelner Toter reichte, um das Kriegsritual abzuschließen, die Tänze zu tanzen, die Reinigung zu vollenden und den Sieg zu feiern. 

Andere Stammeskulturen, wie etwa die der Azteken, die Gottheiten mit unersättlichem Appetit auf Menschenopfer verehrten, waren gezwungen, nahezu ständig Krieg gegen ihre Feinde zu führen, um den Opferbedarf zu sichern. Die westliche, jüdisch-christliche Tradition heiliger Kriege geht zurück auf den Einzug in Kanaan, als Jahwe den Israeliten befohlen haben soll, die eingeborene Bevölkerung abzuschlachten oder zu versklaven und ihre Götter zu vernichten. Die Sünde des Feindes lag nicht nur darin, Land in Besitz genommen zu haben, sondern darin, daß er die »falschen« Götter anbetete.

Selektiver Völkermord — alle zu vernichten, die sich nicht unterwerfen — wird im Alten Testament aus religiösen Gründen gerechtfertigt. In den alten Gottheiten — Astarte, der Himmelskönigin, und Beelzebub, dem Gott der Fruchtbarkeit — wurden Götzen und Dämonen gesehen, deren Existenz von Jahwe, dem eifersüchtigen Gott, nicht geduldet werden konnte. Der heilige Krieg wurde von den neuen Israeliten im »neuen Kanaan« fortgesetzt, den Puritanern, die von sich glaubten, sie hätten eine »offenbarte Bestimmung«, America the beautiful zu bevölkern, von Küste zu Küste, und die deshalb die amerikanischen Eingeborenen als »die Leibeigenen Satans«, »Fallstricke des Teufels« und »des Teufels Instrumente« betrachteten.

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Im Islam führte der Dschihad die Tradition des heiligen Krieges fort. Es war die Pflicht jedes guten Moslemprinzen, jährlich einen Feldzug zur Verbreitung des Glaubens zu führen und zu kämpfen, bis alle Männer bezeugten, daß es keinen Gott außer Allah gebe und Mohammed sein Prophet sei. Kämpfer, die in heiliger Schlacht fielen, gelangten sofort ins Paradies. 

Als in den Kreuzzügen Moslems und Christen einander gegenüberstanden, stimmten beide mit der geheiligten paranoiden Annahme überein, daß der andere der Feind des einen, wahren, patriarchalischen, monotheistischen Gottes war. Die Vorstellung des heiligen Krieges stellt unsere Helden als Kämpfer »auf der Seite der Engel« dar und den Feind als im Pakt mit dem Teufel.

Die Behauptung mag melodramatisch erscheinen, die Vereinigten Staaten und Rußland repräsentierten das Gute und das Böse. Aber wenn wir darüber in dieser Weise denken, hilft dies, unsere Perspektive angesichts des weltweiten Kampfes zu klären.

RICHARD NIXON

 

Weit verbreitet ist die Auffassung, Theokratien und heilige Kriege seien mit der industriellen Revolution und dem Entstehen einer säkularen Kultur im Westen ausgestorben. Doch schon ein einziger Blick auf die Propaganda im 20. Jahrhundert entkräftet diese Behauptung. Kaum etwas hat in unserem vermeintlich so weltlichen Jahrhundert stärker zugenommen als die Ideologie des heiligen Krieges und die Zuschreibung von Symbolen des absolut Bösen an den Feind.

Daß Gott angeblich tot ist, hat nicht verhindert, daß er als politische Begründung für Kriege benützt wurde.

Im Ersten Weltkrieg wurde der deutsche Kaiser in den USA als Teufel dargestellt. Im Zweiten Weltkrieg beanspruchten die Deutschen »Gott mit uns«, während wir in Amerika warben: »Wir trauen auf Gott.«

Jede Nation mit einem christlichen Erbe hat ihre Feinde als Mörder Christi angeklagt, als Kreuziger des Geheiligten. Wir stellten Hitler als verschworenen Verbündeten des Teufels dar und zogen mit dem Lied in den Krieg: »Lobe den Herren und gib' mir die Munition, und wir werden alle frei bleiben.«

Der Journalist George Harris, der Gründer der Zeitschrift <American Health>, sagte über seine Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg:

»Für mich war das kein Rachefeldzug. Ich kämpfte, um ein unpersönliches Böses zu vernichten, nicht, um eine Strafaktion auszuführen. Ich stand mit Gott im Bunde und betete auf meinem Weg durch Hunderte von brenzligen Situationen immer wieder: <Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe.> Wenn ich dieses Gebet oft genug wiederholte, war ich in der Lage, mich zu entspannen und die Schlacht zu genießen. Ich war ein jungfräulicher Krieger, ein aufrechter Soldat, dem Ziel verschrieben, Gottes Feind zu besiegen.«

 

Der gottlose Kommunist

Edmund Duffy, 
Baltimore Sun,
1930 Pulitzer-Preis 

 

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