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Günter K.

(Königswalde)

 

 

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Ich wurde am 31.12.1955 in Königswalde geboren, absolvierte die 10-Klassen-Schule und erlernte danach den Beruf Zimmermann. Später übte ich die Tätigkeit eines Gerüstbauers aus.

Zum ersten Mal wurde ich vom 11.1.1976 bis 8.7.1976 inhaftiert. Dazu kam es nach einer Schlägerei bei einer Tanzveranstaltung in Grumbach, Kreis Annaberg. Der dort amtierende ABV versteckte sich hinter einem Baum, daraufhin beschimpfte ich ihn als "Kommunistendiener". Er wollte mich zwingen mitzugehen, dem widersetzte ich mich. Wir setzten unseren Weg fort mit Hilfe meiner Freunde.

Am nächsten Morgen, es war ein Sonntag, holten mich vier Mann ab und wir fuhren mit einem B 1000 nach Annaberg in die Polizeiwache am Markt. Ein paar Stunden später kam der Haftrichter und verlas meinen Haftbefehl. Ich kam nach Zwickau in die U-Haft. Dort war ich etwa 8 Wochen, bis ich im Namen des Volkes als Staatsverleumder verurteilt wurde. In einem B 1000, in dem eine winzige Zelle eingebaut ist, saß ich mit Handschellen die ganze Fahrt, kein Licht und stickige Luft. Überführung nach Unterwellenborn, das war ein Barackenlager mit ca. 300 Häftlingen. 

Ich mußte in der Max-Hütte arbeiten. Der Tag war hart. 4.30 Uhr Wecken, Waschen, Bettenbau, Verwahrraum säubern, Frühstück (was keins war) und dann zur Arbeit ausrücken im Stechschritt. Es war Knochenarbeit, wir hatten nur 15 Minuten Pause, mittags. Einrücken zur Arbeit, vorm Schleusentor Kontrolle.

Dann ging die Arbeit im Lager weiter, Asche fahren, Kohlen schippen. 18 Uhr Zählappell, Verwahrraum säubern. Waschen, ab 21 Uhr Nachtruhe. Und wenn das nicht klappte, dann wurden wir wieder auf den Hof geschickt und mußten 2-3 Stunden im Gleichschritt laufen.

Der Verwahrraum war mit 15 Häftlingen belegt, vorwiegend Kriminellen, die das Sagen hatten. Es war dasselbe Prinzip wie bei den Nazis: das Lager stand unter Selbstverwaltung. Es gab Pritscher (Brigadiere), Ordner, die die Mithäftlinge zur Arbeit ranziehen konnten, und den Verwahrraumältesten. Fernsehen gab es nur für die Besten, zwei Briefe im Monat, 25 Mark Einkauf im Monat und Paketschein nur bei vorbildlicher Führung.  Das nannten sie "leichter Vollzug".

 

Zur zweiten Verhaftung kam es am 17.9.1977 (bis 15.2.1979) in Annaberg, in der damaligen Milchbar. Ich wurde von zwei Stasileuten provoziert, und es kam zu einem Wortwechsel, wo ich äußerte: "Ihr Stasischweine, für euch müssen wir alle arbeiten." Ich wurde von der Schutzpolizei, zwei Mann mit einer Knebelkette, in die Polizeiwache gezerrt, dort wurde ich zusammen­geschlagen und bekam alles abgenommen. Am nächsten Tag wurde ich von drei Mann in Zivil abgeholt. Wir fuhren mit einem "Wartburg" nach Karl-Marx-Stadt. Einzelzelle, alles war vergittert, an den Fenstern waren noch Blenden angebracht, so daß kein Sonnenlicht rein konnte. Zum Verhör endlose Treppen und Gänge. Lebenslauf schreiben und Verwandtenkartei aufstellen. Die Verhöre fanden den ganzen Tag statt, und der Vernehmer drohte: "Wenn Sie nicht reden, haben wir noch andere Mittel!" Für mein Delikt könne es 2 bis 4 Jahre geben.

Ich konnte meine Anklageschrift nur im Beisein von zwei Stasileuten durchlesen, dann wurde sie mir wieder abgenommen.

Fünfzehn Minuten Rundgang in den Schweinebuchten, 4 m mal 2.50 m mal 3 m, oben mit Draht überspannt, kein Reden, Hände auf dem Rücken und Wachposten mit Maschinenpistolen.

In der Zelle ein Holzbett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Waschbecken und ein Klo. Man durfte sich nicht auf das Bett legen, ständige Kontrolle durch den Spion.

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Nichts zu lesen und abends alle 10 bis 20 Minuten Licht einschalten und Kontrolle durch den Spion. Ich hörte auch manchmal Schreie und danach dumpfe Schläge. Man war nur eine Nummer.

Verurteilung am Bezirksgericht, man wurde belehrt, bei Fluchtversuch wird geschossen. Verhandlung eine Stunde, man wurde nicht wegen einer Straftat verurteilt, sondern wegen seiner Weltanschauung. Transport mit dem Grotewohl-Express, winzige Zelle, mit noch einem Häftling zusammengeschlossen (Handschellen). Zwischenstation in Görlitz, Aufenthalt in Kellerräumen, es gab nur abgestandenen Tee zu trinken, dann Weiterfahrt mit W 50 nach Cottbus.

Im Morgengrauen Ankunft, Absitzen und im Laufschritt in zwei Kellerräume des Vollzugs, Abgeben der persönlichen Dinge und der Zivilkleidung. Verlegung in die Aufnahme, Einteilung zur Arbeit.

Im Monat konnte man einen Brief schreiben und einen erhalten, aber alles wurde gelesen und zensiert. Wurde der Brief zu offen geschrieben, bekam man ihn wieder, kam einer von zu Hause, der nicht gefiel, ging er zu den Akten. Paketscheine gab es nur zu besonderen Anlässen, Geburtstag oder gute Arbeitsleistung.

Sprecher einmal im Monat zwei Mann, nur die engsten Verwandten. Keine Hand geben, kein Drücken, das Mitgebrachte wurde kontrolliert. Man bekam selten alles, die Hälfte mußte wieder mitgenommen werden. Anzüge, wo keine Taschen dran waren, wurden nach dem Sprecher kontrolliert.

Sechzig Mark Einkauf im Monat, schikanöse Behandlung, wo es nur ging, aber es gab auch Wärter, die etwas menschlich waren. Ich habe von meinem Spanner, sein Name war Andreas Höhne, er war aus Leipzig und hatte wegen Schleusen eine Strafe von 4 Jahren und 8 Monaten zu verbüßen, einen Vorfall erfahren. Bei dem hat das Rollkommando aufgeräumt, die Leute auf dem Hof wurden zusammengetrieben, die Hunde drauf gehetzt und die Häftlinge einzeln die Treppe rauf gedroschen. Da hatten sie einem die Nieren eingetreten, der übrigens auch Kanis hieß und aus Plauen stammte, deshalb fragte er mich, ob ich mit ihm verwandt wäre, was ich verneinte. Der wurde dann auf Transport geschickt, was heißt: von der BRD freigekauft.

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Ich selbst habe den Arrest kennengelernt wegen Arbeitsverweigerung, weil sie uns das zustehende Einkaufsgeld nicht auszahlten. Diese Zelle war ca. vier Meter lang und 2,50 Meter breit. Innerhalb der Zelle war alles vergittert, das Waschbecken außer Reichweite, die Betten wurden angeschlossen, nichts zu lesen und zu rauchen. Der Rundgang hatte eine Dauer von zehn Minuten, es gab nur zwei Decken und das Essen war nicht zu genießen.

Von Cottbus gingen regelmäßig Transporte mit freigekauften Häftlingen ab. Dies geschah meistens abends oder früh am Morgen, da hieß es Sachen packen, und die Übrigen wurden eingeschlossen, durften nicht an die Fenster, damit man keine Gelegenheit hatte, mit diesen Häftlingen Kontakt aufzunehmen. Da wimmelte es von Leuten in Zivil auf dem Vollzugsgelände.

 

Es gab Fälle, wo die ganze Familie inhaftiert wurde, und das alles nur, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Man mußte hart bleiben, um nicht aufzugeben. Wir machten uns gegenseitig Mut, wir diskutierten in den Nachtstunden viel, was allerdings verboten war. Wir vertraten die Meinung, daß ein so korruptes Regime seine Kritiker nicht ewig einsperren und terrorisieren kann. Einmal kommt die Zeit, wo jede Diktatur fällt und wir unser Schweigen brechen können.

 

Im März 1980 wurde ich nochmals verhaftet, wegen Beleidigung eines staatlichen Leiters, ich nannte ihn einen Tempeldiener. Man wollte mir sofort wieder den Prozeß machen und verurteilte mich in Karl-Marx-Stadt zu einem Jahr. Meine Eltern haben von Arbeitskollegen davon Kenntnis erhalten und besorgten mir einen Rechtsanwalt. Er hieß Joachim Arbeiter. Er sagte, das ist ja eine Bagatelle, die gehört höchstens vor die Konfliktkommission, aber dann hatte er sich über mich erkundigt und sagte mir, du bist politisch vorbestraft, die wollen dich wieder aus dem Verkehr ziehen. Wir sind zwar mit der Berufung durchgekommen, aber mir wurde der § 44 an den Hals gehängt und ich mußte zweitausend Mark Geldstrafe zahlen.

 

Anmerkung:
Von den Tagen, wo ich von der Stasi von der Arbeit weggeholt wurde, ganz zu schweigen. Mir wurden politische Straftaten vorgeworfen, die sie mir
aber nicht beweisen konnten. Auch die massiven Drohungen änderten meine Meinung nicht. Ich vermute auch, daß ich überwacht wurde, was bei Politischen keine Seltenheit war. Es wurde ja flächendeckend überwacht. 

Diese Ausführungen sind in der Kurzform gehalten, man könnte sonst einen Roman schreiben.

Sehma, Frühjahr 1990

 

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Erwin M.    

Am 1.September 1986, dem Weltfriedenstag, wurde ich durch das MfS des Bezirkes Karl-Marx-Stadt "zugeführt" und mußte, das Gesicht zur Wand gerichtet, die menschenunwürdigen und erniedrigenden "Zuführungsbedingungen" über mich ergehen lassen.

Fristgemäß nach den Festlegungen der Strafprozessordnung wurde ich dem Haft- bzw. Untersuchungsrichter Limbach vorgeführt, der als willfähriger Erfüllungsgehilfe der Staatssicherheit über viele Jahre seine "Pflicht" tat. Worte des Einwandes bzw. Einspruches wurden von ihm prinzipiell abgelehnt.

Was war meiner "Zuführung" bzw. "Verhaftung" durch das ehemaligen MfS vorausgegangen?

Ende Oktober 1985 stellte mein Sohn, der als Berufsmusiker in einer anerkannten Rock- und Popformation in der DDR keine Perspektive mehr sah, einen Antrag auf Ausreise in die BRD. Er gab diesen schriftlichen Antrag bei der zuständigen Mitarbeiterin der Abt. Inneres des Rates des Stadtbezirkes KMSt. Mitte/Nord, Frau Uhlig, persönlich ab. Obgleich es zu der Zeit keine gesetzlichen Regelungen gab, nahm diese Mitarbeiterin den Antrag meines Sohnes nicht an, sondern forderte eine schriftliche Begründung dazu.

Auf die Frage meines Sohnes, was dieser Antrag beinhalten müsse, antwortete sie, daß er alles aufschreiben soll, was ihm in der DDR nicht gefällt. Er trug, angefangen von den "Jungen Pionieren", bis zu seiner Tätigkeit als Berufsmusiker alles zusammen und brachte es auf 8 DIN A 4-Seiten. Nachdem diese

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Frau Uhlig die Begründung im Beisein meines Sohnes aufmerksam gelesen hatte, sagte sie zu ihm: "Das reicht, Herr Malinowski."

Kurze Zeit später, genau am 28.10.1985, wurde mein Sohn von 6 Stasi-Beamten verhaftet. Die nachfolgende Wohnungs­durchsuchung unterschied sich methodisch und praktisch nicht von einer im Dritten Reich.

Mein Sohn verbrachte grundlos 13 Wochen Einzelhaft im berüchtigten "Kaßberg-U-Gefängnis" der ehemaligen Stasi in KMSt., wurde Anfang Januar 1986 wegen "Herabwürdigung" im "Namen des Volkes" zu 18 Monaten Freiheitsentzug verurteilt und in das berüchtigte Zuchthaus Cottbus überführt. Ich durfte im März 1986 meinen Sohn dort besuchen und habe ihn kaum wieder­erkannt.

Nachdem mein Sohn im Mai 1986 in die BRD "abgeschoben" wurde (richtig muß es aber heißen, daß mein Sohn mit vielen anderen vom damaligen bayrischen Ministerpräsidenten, Herrn Strauß, "freigekauft" worden ist), schrieb er uns aus der BRD vier erschütternde Briefe über seine Leiden im Zuchthaus Cottbus.

Für uns als seine Eltern, die immer fortschrittlich eingestellt waren, brach eine Welt zusammen, weil wir solche "Zustände" und aus dem Nazireich übernommene Praktiken gegenüber Andersdenkenden nicht für möglich hielten. Da uns unser Sohn niemals enttäuscht hatte und er immer die Wahrheit liebte, hatten wir überhaupt keinen Anlaß, den Inhalt seiner Briefe anzuzweifeln.

In mir reifte der Entschluß, den Inhalt dieser Briefe zu einem Schreiben zusammenzufassen und an die damaligen SED-Chefs nach Cottbus und Karl-Marx-Stadt zu schicken. In meinem Vorhaben wurde ich dadurch bestärkt, daß in den Juni-Tagen des Jahres 1986 hier in Karl-Marx-Stadt vom ehemaligen Staatsratsvorsitzenden, Erich Honecker, auf einer Kundgebung eine Wahlrede gehalten wurde, die vor Lügen nur so strotzte, und der ehemalige SED-Chef Lorenz alles unternahm, um sich gegenüber Honecker in ein gutes Licht zu stellen.

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Auf 2,5 DIN A 4-Seiten schrieb ich nur wahrheitsgetreue Tatsachen auf, die den Briefen meines Sohnes und meinen eigenen Lebenserfahrungen entstammten. Mit meinem Schreiben verfolgte ich zwei Ziele: Ich wollte meine ohnmächtige Wut und emotionale Erregung über das, was meinem Sohn zu Unrecht angetan wurde, abreagieren und auf bestehende Zustände unmiß­verständlich hinweisen. Obgleich ich der festen Überzeugung war, mit meinem Schreiben keine strafbare Handlung begangen zu haben, schickte ich diesen Brief anonym ab. Am 1. September 1986 wurde ich verhaftet und mußte mich den unwürdigen und erniedrigenden "Zuführungsbedingungen" beugen. Meine Frau und zwei weitere Zeugen können bestätigen, daß unsere Wohnung, Keller, Bodenkammern, Garage usw. von sechs Mitarbeitern des ehemaligen MfS genauso auf den Kopf gestellt wurde, wie diese "Leute" die Wohnung unseres Sohnes "durchsucht" hatten.

Ich wurde in dieser Stasi-Untersuchungshaft nahezu 7 Monate einbehalten und kann von diesen Leuten, die sich als Herren­menschen aufspielten, nichts Gutes berichten. In die Kerkerzellen kam kein Tageslicht herein. Die Freistunde verlief unter dem Motto: Je wärmer es draußen war, um so kürzer die Freistunde und je kälter es war, um so länger der Außenaufenthalt. Eine dreieckige Grundfläche von wenigen Quadratmetern, mit 4 Meter hohen Umfassungswänden und überdachtem Maschen­draht war das Areal für die Freistunde, da hatte es ein Hund besser. Das Mittagessen war immer kalt, das Brot überlagert, die Lebensmittel waren kurz vor dem Verderben, der Gerstenkaffee war immer mit Schaum bedeckt. Mit zwei Methoden versuchte es der MfS bei mir, mich als "unbequem" loszuwerden: ich sollte einen Ausreiseantrag in die BRD stellen, denn für mich wäre es hier in der DDR ohnehin sinnlos zu bleiben. Nachdem ich ein solches Ansinnen kategorisch abgelehnt hatte, versuchte man mich in eine Psychiatrie einzuweisen.

Der Initiator dieser Machenschaften nannte sich Hauptmann Gössel, Mitarbeiter der ehemaligen Stasi KMSt. Auf Veranlassung des Staatsanwaltes des Bezirkes, Böhm, wurde ich von der Stasi Karl-Marx-Stadt nach dem Stasi-Untersuchungskrankenhaus Berlin überführt und dort dem Prof. Dr. sc. med. Ochernal von der AG Kriminalpsychologie und Psychiatrie der Humboldt-Universität Berlin vorgestellt. Für sein schriftliches Gutachten, daß ich" normal" bin, durfte meine Frau 1.300 M bezahlen.

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Wegen staatsfeindlicher Hetze gem. § 106, Abs. l, Ziff. 2 des StGB wurde ich vom damaligen l. Strafsenat des Bezirksgerichtes KMSt. durch den Oberrichter Frommhold im "Namen des Volkes" zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Obwohl ich schwere gesundheitliche Leiden zu tragen hatte — der Blutdruck betrug permanent 230/130, ich war von schweren Gicht-schmerzeri gepeinigt, konnte kaum laufen und stehen —, war ich "hafttauglich" und "gerichtsverhandlungsfähig". Es war die gleiche Staatsanwaltschaft und Justiz, die heute die ehemalige SED-Politprominenz für "haftuntauglich" erklärt. Während der Gerichtsverhandlung wurde mir weder ein Bleistift noch ein Stück Papier ausgehändigt. Anklageschrift und Gerichtsurteil habe ich nicht erhalten.

Wie die Verhöhnung eines Menschen nicht größer sein kann, und solche Beispiele sind mir persönlich aus dem Nazi-Reich bekannt, wurde auch ich in das berüchtigte Zuchthaus Cottbus deportiert. Wenn ich das Wort "Deportation" gebrauche, dann meine ich die besonders unmenschlichen Transportbedingungen. Mit Handschellen angekettet, wurde ich in einem speziell umgebauten LKW zusammen mit anderen zum Verladebahnhof Karl-Marx-Stadt, August-Bebel-Straße transportiert. Begleitet von starken Wachmannschaften und Polizeihunden, wurden wir durch die unterirdischen Gänge des Hauptbahnhofes zum Lastenaufzug des Bahnsteiges 12 und dann in einem Gefängnis-Waggon eines gegen 10 Uhr eintreffenden Zuges getrieben.

Im sogenannten "Grotewohl-Express", so wurde der Gefängnis-Waggon von Strafgefangenen bezeichnet, begann eine 20stündige Fahrt. Die einzelnen Gefängniszellen dieses Waggons, in denen je 5 Strafgefangene eingepfercht waren, hatten eine Grundfläche von ca. einem Quadratmeter.

Es ging in Fahrtrichtung Gera bis nach Meiningen und dann zurück über Naumburg, Leipzig, Oschatz, Dresden, Görlitz nach Cottbus, wo wir um 5 Uhr frühmorgens eintrafen. Wir kamen in die Hände des berüchtigsten Strafgefangenen-Aufsehers, des Obermeisters Schulze. Erst abends 20 Uhr durften wir uns schlafen legen. Insgesamt Maßnahmen, Mittel und Methoden,

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wie sie im Nazi-Reich praktiziert wurden. Es entspricht der vollen Wahrheit, daß im "Zuchthaus" Cottbus zur Zeit meiner Inhaftierung menschenunwürdige und erniedrigende Zustände und Bedingungen herrschten. Hierzu nur einige Beispiele: Permanenter Hunger war der ständige Begleiter der Insassen und verbunden damit die totale physische Abmagerung und der gesundheitliche Niedergang. Der Verpflegungssatz für Strafgefangene betrug 2,20 M/Tag und lag damit unter dem eines Wachhundes. Die "politischen Strafgefangenen", solche gab es ja in der Honecker-Diktatur angeblich nicht, wurden gegenüber den kriminellen Strafgefangenen in jeder Beziehung benachteiligt. Die Strafgefangenen, und besonders die politischen, mußten unmenschlich schuften und wurden brutal und schamlos ausgebeutet. Die Stückzeitnormen wurden bis zu 120 % erhöht, erst dann war eine 100 %ige Normerfüllung erreicht. Das Ministerium des Inneren, Abt. Strafvollzug, kassierte 82 % des Verdienstes eines Strafgefangenen. 18 % wurden den Strafgefangenen belassen, wovon 6,0 % für die Schuldentilgung, 6,0 % als Rücklage und 6,0 % für ihn zur Auszahlung in lagereigenem Papiergeld, wie es in den faschistischen Konzentrationslagern der Fall war, kamen. In den schlimmsten Arbeitslagern in der UdSSR erhält der Strafgefangene 50 % seines Verdienstes.

Es wurde grundlos geschlagen! Es genügte bereits die Tatsache, daß die Borsten der Zahnbürste im Zahnputzbecher, wie im Zuchthausreglement festgeschrieben, nicht nach links, sondern nach rechts ausgerichtet waren. Und bei anderen Anlässen wurde erst recht geschlagen. Die Offiziere sahen zu. Ohne nennenswerte Gründe, z.B. bei einer "Denuziation", wo nach Beweisen erst gar nicht gefragt wurde, oder bei einer Normuntererfüllung wurden Strafgefangene über Wochen in "Tigerkäfige" gesperrt. Solche Foltereinrichtungen gab es damals "nur" in Südvietnam. Im Zuchthaus Cottbus existierten davon während meiner Inhaftierung ca. 20.

Die medizinische Betreuung war ungenügend und reichte nur für die Versorgung von leichten Erkrankungen. Hilfe und Versorgung für schwere Krankheitsfälle war überhaupt nicht geplant und auch nicht gewährleistet.

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In meinem Schreiben von 1986 habe ich aber auch noch auf andere Zustände und Tatsachen hingewiesen, die einen jeden ehrlichen Menschen in der DDR bewegten. Wenn ich auch in der Wahl meiner Worte nicht gerade zimperlich war, so widerspiegelten sie die volle Wahrheit und haben mit der Wende ihre volle Bestätigung gerunden. Ich führte u. a. an, daß der reale Sozialismus eine "Perfektion des Betruges" ist, wo nur Betrug und Selbstbetrug stattfinden und gefördert werden und der Karl-Marx-Städter SED-Chef Lorenz der größte Trickbetriiger ist, der mir jemals über den Weg lief. Er redet über Faschismus und Antifaschismus und hat zu dieser Zeit noch in die Hosen gepinkelt. Er führt den Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden anläßlich der Wahlkungebung am 6. Juni 1986 nur zu Stellen und Objekten, die mit Scheinglanz versehen wurden. Dieser Lorenz ließ dazu Häuser anmalen, Gardinen in leerstehenden Häusern aufhängen, Cuba-Orangen auf Hochglanz polieren u.a.m., nur um seinen Vorgesetzten die Taschen vollzulügen und zu gefallen. Ich habe auch darauf aufmerksam gemacht, daß "Sie und Ihre Gesinnungsgenossen" doch nicht denken müssen, daß der DDR-Bürger doof und unmündig ist und der Tag kommen wird, wo die Verantwortlichen im Partei- und Staatsapparat zur Rechenschaft gezogen werden.

Karl-Marx-Stadt / Chemnitz,  23.5.1990

 

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Claus-Dieter S.

 

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Es war üblich, daß Studenten während des Ingenieurpraktikums hin und wieder an die Hochschule bestellt wurden, um Fragen, wie sie sich z.B. bei der Anfertigung des Praktikumsbeleges oder der Diplomarbeit ergeben konnten, zu klären. Und so schien es mir auch völlig normal, als mich am 26.9.79 der Stellvertreter der Abteilung Erziehung, Aus- und Weiterbildung der Ingenieur-Hochschule Mittweida, Dr. Peitzsch, anrief und zu einer Konsultation an die Hochschule für den kommenden Tag gegen 10 Uhr bat. Auf meine Frage, ob ich irgendwelche Unterlagen mitzubringen hätte, antwortete er nur ausweichend. Wie auch immer, ich führ gern nach Mittweida und nahm am 27.9.1979, einem Donnerstag, unbeschwert den Frühzug nach Karl-Marx-Stadt ab Berlin-Schöneweide. Vor meiner Abfahrt vereinbarte ich noch mit meinen Eltern, daß ich mich, falls ich übers Wochenende "unten" bliebe, telefonisch melden werde.

Man verhaftete mich, unmittelbar nachdem ich das Bahnhofsgelände in Mittweida verlassen hatte und eben eine Kommilitonin begrüßen wollte, die wohl mit mir im gleichen Zug gewesen sein mußte. Es waren drei gut gewachsene Männer, von denen der erste, sich nach mir umdrehend, so etwas rief wie "Hallo, junger Mann", ich reagierte kurz und wurde im gleichen Moment von den beiden anderen in einen, jetzt direkt vor mir haltenden, "Lada" geschoben. "Sie sind vorläufig festgenommen", sagte der Mann neben dem Fahrer, während er mir seinen Klappausweis flüchtig vor die Nase hielt: Ministerium für Staatssicherheit. Auf meine Frage, wo denn die Fahrt hinginge oder ob ich wenigstens die Hochschule informieren könne, schließlich wäre ich für 10 Uhr bestellt, bekam ich zur Antwort: "Das wird man Ihnen alles in Karl-Marx-Stadt sagen." Auf der gut halbstündigen Fahrt dorthin wurden mir zwei Dinge klar: 1., daß ich der einzige gewesen bin, der an den Hochschultermin geglaubt hat, und 2., wie überflüssig es wäre, jetzt zu fragen, was sie von mir wollen. Die Männer im Wagen waren ja nur die Fänger der Stasi.

Das sich anschließende Verhör in einer vom Stasi angemieteten Villa auf dem Kaßberg, ganz in der Nähe der U-Haftanstalt, dauerte mit kurzen Unterbrechungen von 11.30 Uhr bis zum nächsten Morgen 3.30 Uhr. Es endete mit der routinierten Bemerkung des Untersuchungsführers, daß gegen mich ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung gemäß §§ 106 "staatsfeindliche Hetze" eingeleitet wird und mit dem Hinweis, daß bei einem Fluchtversuch während der Überführung in die U-Haft von "der Schußwaffe Gebrauch gemacht werde". Mit seinem Privat-PKW, Marke "Trabant", brachte er mich, ohne weitere Bewachung, in den berüchtigten Stasiknast, dem, wie zum Hohn, vom Kaßberg aus eine ganze Stadt zu Füßen liegt, und der, der Kürze der Fahrzeit nach, nur einen Steinwurf entfernt sein mochte.

Überflüssig zu sagen, daß ich niemanden mehr anrufen konnte, genauso überflüssig wie das Leugnen während des Verhörs, die "Charta 77", die Bahro'sche "Alternative" oder Havemanns Schriften etc. zu besitzen. Längst hatte man alles bei der Durch­suchung meiner Studentenbude gefunden.

Die letzte Hoffnung, daß die ganze Geschichte vielleicht doch nicht so schwerwiegend wie vom Vernehmer hingestellt sei, zerstob mit der Vorstellung beim Haftrichter der Anstalt am folgenden Nachmittag. Er bestätigte den nun nicht mehr "vorläufigen" Haftbefehl vom Vortage, der Anfangsverdacht hätte sich sogar noch "erhärtet". Das Räderwerk der Staatssicherheit ließ sich nun offenbar nicht mehr aufhalten. Auch eine erste Stellungnahme dem Richter gegenüber, in der ich versucht hatte, die Darstellung eines "Straftatbestandes" zu entkräften, wurde nur belächelt.

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Meine Eltern erführen, nachdem sie seit Freitag, wie wir es verabredet hatten, verzweifelt auf eine Nachricht von mir warteten, auch am Montagvormittag durch mehrmaliges Anrufen, u.a. im Sekretariat des Rektors, bei der Hochschul-FDJ-Leitung nichts Näheres über meinen gegenwärtigen Aufenthaltsort. Am selben Tag wurde durch sie über die Volkspolizei eine Vermißten­fahndung ausgelöst. Es war ausgerechnet die Abteilung Erziehung, Aus- und Weiterbildung der Hochschule, die nach einem erneuten Anruf meiner Mutter und erst auf ihr hartnäckiges Drängen gegen 13 Uhr mitteilte, daß sie am frühen Nachmittag Nachricht von ihrem Sohn erhalten würde. Jene "Nachricht" bestand aus vier Angehörigen des K.M.Städter MfS, die gegen 14 Uhr bei ihr klingelten, einen richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl zeigten, sich dann in meinem Zimmer zu schaffen machten und im übrigen mitteilten, daß gegen mich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden wäre.

Für das sich nach etwa 5-tägiger Einzelhaft anschließende Vierteljahr der Vernehmung "zur Sache" war Untersuchungsführer Oberleutnant Hähnel, für mich die "Nr.8" (nach Zimmernummer im Vernehmungstrakt), verantwortlich. Natürlich stellte sich Hähnel bei mir, über die Nennung seines Dienstgrades hinaus, nicht vor. Hähnel gab sich, unter Aufsicht des Staatsanwaltes Böhm, alle Mühe, aus mir, wie aus jedem anderen auch, den Staatsfeind zu "machen", den man von ihm erwartete, Kenn­zeichnend für die angewandte Vernehmungstaktik war vor allem die geschickte Verwertung der augenblicklichen psycho­logischen Befindlichkeit des Beschuldigten. Man litt nicht allein unter dem Gefühl des Ausgeliefertseins an die Allmächtigkeit des Systems, es war immer auch die Frage, welches Maß an Schonung man von hier aus den Angehörigen draußen zukommen lassen konnte, ohne den Wert der eigenen Persönlichkeit durch fahrlässiges Gerede von Schuld und Reue aufs Spiel zu setzten.

Die "Lieblingsformulierungen" Hähnels, wie etwa "Wir haben Zeit, wenn Sie hier nicht mitmachen, stecken wir Sie in das letzte Loch dieses Hauses und holen Sie erst nach einem halben Jahr wieder raus", oder " Sie brauchen hier nicht auszusagen, aber dann können Sie auch vergessen, Ihren Eltern zu

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schreiben, Besuch zu empfangen, eine Leseerlaubnis zu erhalten" und so weiter, ergaben sich allerdings auch immer in für ihn angespannten Situationen. In Wirklichkeit besaß er gar nicht soviel Zeit, wie er vorgab; tatsächlich mußte das Ermittlungs­verfahren in einem Vierteljahr gelaufen sein, andernfalls bedurfte es eines Antrags auf Verlängerung, dem nur in außergewöhnlichen Fällen stattgegeben wurde. Er ließ mich über dieses Sanktionsinstrumentarium indirekt auch immer wissen, daß er in Zeitnot geraten sein mußte. Obwohl ich nie habe herausbekommen können, wieviele Fälle er zugleich zu bearbeiten hatte, vermutete ich, daß es etwa 4 gewesen sein müssen. Das bedeutete auch für ihn eine Art Stress. Meine "Nr. 8" war eben auch nur ein Schräubchen in jenem schäbigen Getriebe, dessen Geschwindigkeit andere bestimmten.

Ich erinnere mich noch genau an eine Diskussion mit ihm über Kunst in unserer Zeit. Er war an jenem Tag überdurchschnittlich gut aufgelegt, und ich nutzte die Gelegenheit, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Mich interessierte dabei besonders, was er dachte und woran er tatsächlich glaubte, wenn er sich freimachen konnte von den vorgeschriebenen Antworten und Ritualen seiner Zunft. Sein Verständnis vom "sozialistischen Realismus" war im Grunde genauso einfältig wie sein Bedürfnis danach unterentwickelt. Er durfte natürlich vor allem eines nicht: Bestehendes in Frage stellen. Auch "unsere" Künstler hätten schließlich mit ihrer Arbeit die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Existenz der Arbeiter-und-Bauern-Macht, der er sich zugehörig fühlte, gesichert bliebe. Mir schien auch, als hätte man ihn auf bestimmte, aktuelle Fahndungsziele sozusagen "scharf gemacht". Die "Gedächtnisprotokolle" von J. Fuchs gehörten ebenso dazu wie alles von Biermann und Havemann. Mit darüber hinausgehenden, vielleicht mehr theoretisierenden Schriften von S. Kirkegaard und Nietzsche wußte er offenbar nichts mehr anzufangen. Heute stehen sie, nachdem sie während der Durchsuchung mitgenommen wurden, nur deshalb wieder in meinem Regal, weil ich glaubhaft versichern konnte, daß es sich bei beiden um Vertreter der deutschen Vormärzliteratur handle. Fast am Ende der Ermittlungen hielt er mir ein Foto vor, auf dem, mit weißer Farbe auf

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die Stufen der Haupttreppe zum Haus 2 der Hochschule gemalt, zu lesen war: "Es lebe Baroh". Ich sollte jetzt "mal rasch alles sagen", was ich dazu wüßte. Er würde mir schon nicht den Kopf abreißen (noch so ein Lieblingssatz). Ich erwiderte, daß das einzige, was mir dazu einfällt, der falsch geschriebene Name ist. Ein Fehler, der ihm offenbar bisher entgangen war. Er verlangte eine Schriftprobe mit gleichem Text und richtigem Namen, ebenso Auskunft darüber, wann und wo ich die letzte Flasche weißen Reparaturlack gekauft hätte. Auf seine erneute Frage, ob ich diese "Schmiererei" zu verantworten hätte, antwortete ich nur, ob er sich vorstellen könnte, daß ausgerechnet ich den Namen Bahro falsch schreiben würde. Scheinbar überzeugt schlug er die Akte zu, doch es blieb eine für ihn offene Frage. Übrigens lag Hähnel mit seinem Verdacht richtig.

"Nr. 8" war auch derjenige, unter dessen Aufsicht einmal im Monat die halbstündigen Besuche je eines Elternteils in der U-Haft stattfanden. Genausowenig, wie er sich Hinweise nicht verkneifen konnte, daß er den Besuch sofort abbricht, wenn über den "Fall" gesprochen wird, unterließ er es nie, jeden "Körperkontakt" mit den Angehörigen zu untersagen. Welchen Eindruck mochten derartige Bemerkungen auf meine Eltern gemacht haben? Wieviele Demütigungen und Enttäuschungen hatte die Stasi auch ihnen zugefügt. Wieviel Selbstherrlichkeit und Arroganz ertrugen sie nur in der Hoffnung auf ein baldiges Haftende für ihren Sohn. Es war vor allem ihre Solidarität und mit ihnen die meiner Geschwister, die mir ermöglichte, was alle Böhms und Hähnels so gerne verhindert hätten: den Kopf oben zu behalten.

Das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens lag Ende Januar vor. Es war in seiner Magerkeit lächerlich. Den Schwerpunkt bildete die Beschaffung und Herstellung "staatsfeindlicher Literatur", deren teilweise Verbreitung an der Hochschule, pazifistisch "verbrämtes" Auftreten innerhalb der Seminargruppe und so weiter. Nach den Worten Hähnels hätte ich noch Glück gehabt, daß mir der jahrelange und intensive Briefwechsel mit meiner Cousine in Nürnberg, der natürlich Gegenstand eingehender Untersuchungen war, nicht als "staatsfeindliche Verbindungsaufnahme" ausgelegt worden ist.

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Bleibt hinzuzufügen, daß der Rektor der Ingenieurhochschule Mittweida, Prof. Göttner, mich mit Datum vom 1.2.80, also 14 Tage vor meiner Gerichtsverhandlung, exmatrikulierte, meine Seminargruppe sich ebenso wie alle Mitarbeiter der Hochschule, von denen ich teilweise durch sog. "Beweisanträge" erhofft hatte, daß sie ein "gutes Wort" für mich einlegten, von meinem Verhalten distanzierten. Man gab sich entrüstet und war "auf das schwerste enttäuscht".

Die letzte Begegnung mit Hähnel hatte ich im Januar 1980, vielleicht acht Tage vor "Zustellung" der Böhmschen Anklageschrift. Auf meine Frage, mit wieviel ich zu rechnen hätte, antwortete er, "so etwa zwischen 2 und 12 Jahren", "aber Sie sitzen ja doch nicht alles ab, weil Sie in den Westen gehen werden, wie alle." Das sagte er in einem Ton, der aufhorchen ließ. Ich war mir nicht sicher, ob nicht ein leiser Hauch von Wehmut oder auch Neid hindurchklang. Wieviele hatte er auf diese Art schon durch jene profitable Pendeltür gehen sehen, und worin bestand eigentlich der Sinn seiner Arbeit, wenn es ohnehin nur darauf ankam, "Staatsfeinde" zu liefern, deren Freikauf durch die Bundesrepublik eine maximale Ablösesumme brachte? Als ich ihm sagte, ich würde dieses Land auf keinen Fall freiwillig verlassen, blickte er mich ungläubig an und meinte, daß das bisher jeder gesagt hätte, der vor mir auf diesem Stuhl saß. Nachdem er den "Boten" gerufen hatte, der mich wieder in meine Zelle führen sollte, verabschiedete ich mich von ihm, mit Handschlag.

Zur Gerichtsverhandlung, die am 13.2.1980 vor dem l. Strafsenat des Bezirksgerichtes Karl-Marx-Stadt inszeniert wurde, führte man mich mit Handschellen und Knebelkette. Jedermann in dem durch mehrere Gänge mit der U-Haft verbundenen Gerichts­gebäude sollte sehen, welchem "Element" in Kürze der Prozeß gemacht wird.

Die Verhandlung fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Neben Oberleutnant Hähnel, Sicherheitsleuten, meinem Rechtsanwalt Dr. Ullmann, Staatsanwalt Böhm sowie dem von den zwei Schöffen Hoffmann und Ziegner flankierten Oberrichter Frommhold war von der Hochschule Heinz Seehaus erschienen. Ich kannte ihn von meiner Arbeit in der zentralen

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FDJ-Leitung. Er war dort 2. Sekretär unter J. Gallinat und genoß hier, für mich unbegreiflich, das Vorrecht, von Anfang an dabei sein zu dürfen. Merkwürdigerweise spielte seine Person während der Ermittlungen kaum eine Rolle, auch war mein Kontakt zu ihm, der immer eine dunkle Sonnenbrille trug, eher lose und unbestimmt. Meinen Eltern hatte Dr. Ullmann geraten, sich "das lieber zu ersparen", und so erschienen sie nicht im Gerichtssaal.

Zu den unangenehmsten Erinnerungen an diese Verhandlung zählt die Aussage meiner ehemaligen Lebensgefährtin Kerstin H., die als Zeugin geladen wurde. Sie verstieg sich dazu, dem Gericht mitzuteilen, ich hätte "regelrecht krampfhaft" versucht, ihr das "staatsfeindliche Gedankengut eines Kunze, Havemann, Bahro nahezubringen". Man muß wissen, daß Frau H., in der Ausbildung zur Kinderärztin stehend, in jenen Jahren die einzige wirkliche Partnerin war, mit der ich über alles zu sprechen bereit war, der ich vertraute und die über jeden meiner Schritte informiert war. Was mag sie wohl heute darüber denken? Weniger Verbogenheit und immerhin etwas mehr "Rückgrat" bewies mein Kommilitone und "Zimmergenosse" Albert R. Er war fair genug, mich im direkten Gespräch mit dem Richter nicht zu belasten und mußte von Staatsanwalt Böhm nachdrücklich an seine im Sinne der Anklage abgegebenen Aussagen im Protokoll "erinnert" werden, die er schließlich kleinlaut bestätigte. Auch er wollte an diesem Tag den Gerichtssaal als Zeuge verlassen.

Die Anklage des Staatsanwaltes beruhte auf den "Erkenntnissen" der Ermittlungsakte. Die grotesken Beschuldigungen wurden von Böhm nicht nur wollüstig aufrechterhalten und "auf den Punkt gebracht", sondern mit der Beredsamkeit eines vom System korrumpierten Eiferers weiterentwickelt. Er beantragte 2 Jahre und 6 Monate Freiheitsentzug wegen Verbrechen gem. §§ 106, Abs. 1, Ziffer 1, und 108 StGB der DDR. Als "Beweismittel" wurden u.a. mehrere Bücher aus westlichen Verlagen, nahezu jedes Blatt beschriebenen Papiers (so auch meine gesamten Aufzeichnungen während des Studiums) und als "Tatwerkzeug" meine Schreibmaschine beschlagnahmt. Mag er es selbst heute anders sehen, für mich galt Böhm von diesem Mo-

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ment an eindeutig als Überzeugungstäter. Das Gericht verurteilte mich, im Namen des Volkes, zu 2 Jahren und 3 Monaten Freiheitsentzug. Weder Urteil noch Anklageschrift wurden ausgehändigt.

Die Kurzweil der Ereignisse der nächsten Wochen halfen mir, über die Wucht des in der Höhe unerwarteten Urteils hinwegzukommen. Der Verlegung aus der U-Haft in eine der dem Strafvollzug unterstehenden sog. "Transportzellen" folgte nach etwa 10 Tagen die in die StVE Cottbus, Bautzener Straße. Was mag wohl in den Köpfen der Reisenden auf dem Karl-Marx-Städter Hbf. vorgegangen sein, an denen vorbei wir, ein Häufchen von vielleicht 10 "Politischen", in Handschellen paarweise aneinander gefesselt und von Doppelposten mit Schäferhunden bewacht, zu unserem Sonderabteil im Zug nach Cottbus geführt worden sind? Für mich war klar, dies hier ist nicht meine Schande und nicht meine Schuld. Wir waren die "Leichen im Keller der DDR" — aber wer sah es uns an und wer wollte es sehen?

Am 2. oder 3. März 1980 empfing uns in der StVE Cottbus der Leiter des "Zugangs", Oberfeldwebel Hubert Scholz, besser bekannt unter seinem Spitznamen "Roter Terror", den man ihm nicht zu Unrecht verliehen hatte, wie wir bald merken sollten. Auch ich habe mehr als einmal mit ansehen müssen, wie er Mitgefangene drangsalierte, ihnen "an die Binde ging", nur weil ihre Zahnbürste im Becher nicht in die vorgeschriebene Richtung wies, sie nicht schnell genug waren bei den Zählungen oder einfach "renitent" erschienen, indem sie schwiegen. Scholz, der sich heute damit rechtfertigt, nur auf die Durchsetzung der gültigen Bestimmungen geachtet zu haben, provozierte ständig. Alles an ihm, seine Haltung, die im Stehen an jenes "Y" der SS-Leute erinnerte, seine kurzen, scharfen Kommandos, sein Wippen mit dem Gummiknüppel — es war Provokation, und man hatte ihm wohlüberlegt die "Neuen" überlassen. Auch vor Oberleutnant Hoffrichter, meinem späteren "Erzieher" im Bereich "Sprela Werke Spremberg", hatte man uns gewarnt. Vielen war bekannt, daß gegen Scholz und Hoffrichter ausreichend belastendes Material in Salzgitter anhängig war. Durch diese Art "Referenz" waren Leute vom Schlage

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meines "Erziehers" natürlich besonders geeignet für die Betreuung der "geschlossenen Bereiche", d.h. die der potentiellen Ausreise­kandidaten. 

Die Anstaltsleitung ging offenbar davon aus, daß dieser Mann für die bei ihm Gelandeten die letzten Seiten im Kapitel DDR gestaltet — und wie die auszusehen haben, darüber war man sich einig. Seine Macht über uns war nahezu unbegrenzt. Indem er beispielsweise die ankommende und abgehende Post zensierte, entschied er darüber, ob dem Gefangenen die Briefe seiner Angehörigen ausgehändigt, oder, andernfalls, ob seine Briefe an die Angehörigen weitergeleitet werden. Er legte fest, wer Pakete und, wenn ja, wieviele empfangen durfte und bestimmte nach deren Eintreffen, was dem Gefangenen in welcher Form ausgehändigt wird. Gleiches galt für die Mitbringsel der Angehörigen während der monatlichen Besuchszeiten. 

Jenem Mann also, in dessen Augen wir "Politischen" (eine Bezeichnung, die er natürlich nicht akzeptierte) als Feinde, Ungeziefer etc. galten, sollte ich die nächsten 21 Monate ausgeliefert sein. Hoffrichter verdanke ich vier der sog. "Führungsberichte", die stets dazu führten, daß die Anträge meiner Eltern bzw. der Anwälte auf Strafaussetzung zur Bewährung von der aufsichtsrührenden Staatsanwaltschaft in Karl-Marx-Stadt niedergeschlagen wurden und eine vorzeitige Entlassung aus der Haft unmöglich war. Staatsanwalt Böhm schrieb am 31.10.1980 in Erwiderung eines entsprechenden Gesuches an meine Eltern: "...Nach mir vorliegenden Einschätzungen des Leiters der StVE Cottbus verläuft die Entwicklung ihres Sohnes widersprüchlich und ist nicht durchweg positiv. Insbesondere im ideologischen Bereich gibt er nicht zweifelsfrei zu erkennen, daß er die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen hat. In Ansehung der objektiven Tatschwere der seinerzeitigen Straftaten und seines Verhaltens im Strafvollzug stehe ich in Übereinstimmung mit der Auffassung des Leiters der StVE C. auf dem Standpunkt, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Strafzweck nicht erreicht und eine weitere Strafverbüßung erforderlich ist..." Am 8.5.81: "... Er ist nach wie vor nicht bereit, den Umgang mit negativ verfestigten Strafgefangenen zu meiden, vertritt individualistische Positionen und zeigt insbesondere im ideologischen Bereich, daß er noch keine um-

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fassenden Schlußfolgerungen aus der erfolgten Verurteilung gezogen hat..." Was mit solchen Schlußfolgerungen gemeint war, sollte ich im Dezember 1980 im Gespräch mit einem Staatssicherheitsbeamten erfahren. Unumwunden erklärte er, daß ich schon Weihnachten zu Hause verbringen könnte, wenn ich zu Spitzeldiensten bereit wäre, und auch meine Studienangelegenheiten würde man "schon irgendwie in die Reihe kriegen". Meine Antwort auf soviel widerliche Unverfrorenheit muß sehr deutlich gewesen sein. Die Reaktion der Stasi war es wiederum auch, ich hatte alle "Chancen" auf eine vorzeitige Entlassung verspielt.

Etwa eine Woche vor dem regulären Strafhaftende im Dezember 81 signalisierten mir gute Freunde — bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 14 Monaten gehörte ich mit meinen fast 21 zu den "alten Hasen" und hatte folglich meine "Kanäle" in verschiedenerlei Richtung —, daß eine Verlegung in eine andere Anstalt unmittelbar bevorstünde. Natürlich rief diese Nachricht meinen Argwohn hervor. Ich hatte mich, ebenso wie meine Eltern, auf eine Entlassung aus Cottbus vorbereitet, und eine "Verlegung" konnte u.a. die Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens (weil sich vielleicht neue "Verdachtsmomente" ergeben hätten) oder gar die Abschiebung in die Bundesrepublik bedeuten. Ohne Angabe von Gründen oder auch nur des Reiseziels – allerdings verzichtete man nicht auf die übliche Androhung des Schußwaffengebrauches – holten mich Beamte der Staatssicherheit um den 15.12.81 mit einem "B 1000" auf den Karl-Marx-Städter Kaßberg, Stasitrakt, Einzelzelle.

Nach 3 langen Tagen Ungewißheit und Warten wurde ich dem dortigen Unterhändler des für den staatlich organisierten Menschenhandel mit der BRD verantwortlichen Vogel-Syndikats vorgestellt. Ich sollte mich entschließen, ob ich in die DDR oder in die BRD entlassen werden möchte, er würde alles weitere regeln. Ich entschied mich ohne zu zögern für das Bleiben in der DDR. Am 22.12.81, gegen 9.30 Uhr, wurde ich nach vollständiger Verbüßung meiner Haftstrafe entlassen. Entgegen dem Rat meiner "erfahrenen" Mitgefangenen drehte ich mich, nachdem das Stahltor hinter mir zuschlug, noch einmal um. Ich

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schwor mir in diesem Moment, daß "mein Fall", der in diesem Haus begonnen hatte, damit allerhöchstens sein vorläufiges Ende gefunden hat.

Meine Rehabilitierung betreibe ich seit dem 14.12.89. Ich hatte mich für diesen Tag bei meinem Rechtsanwalt angemeldet, um seinen Rat zu hören. Er schlug mir vor, einen Antrag auf Rehabilitierung und Ersatz des mir erwachsenen Schadens beim Ministerium für Justiz der DDR einzureichen, was ich schon am selben Tag tat. Noch während unseres Gespräches ließ er sich telefonisch mit der Bezirksstaatsanwaltschaft Karl-Marx-Stadt, Herrn Staatsanwalt Böhm, verbinden, um zu erkunden, wohin sich Betroffene jetzt wenden können. Böhm antwortete freundlich mit dem Diensteifer des Unbescholtenen und nannte, wie selbstverständlich, die uns bekannte Adresse im Justizministerium. Er hatte, allem Anschein nach, zu diesen Zeitpunkt bereits das Pferd gewechselt und ermittelte nun gegen "Amtsmißbrauch und Korruption". Einen ersten, recht mageren Zwischenbescheid vom Justizministerium erhielt ich am 10.1.90. Ich möchte mich gedulden, "nach zu erwartender Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes durch die Volkskammer werden wir Ihr Anliegen dem nach diesem Gesetz für die Bearbeitung von Rehab.-Anträgen zuständigen Organ übermitteln." Nach einer erneuten Nachfrage beim Ministerium am 22.5.90 lag am 25.6. 90 ein ausführliches Antwortschreiben vor. Auf mein Schreiben vom 22.5.90 an den Direktor des Bezirksgerichtes Karl-Marx-Stadt, in dem ich u.a. eine Untersuchung der Vorgehensweise des Staatsanwaltes Böhm und des Untersuchungsführers Hähnel gefordert hatte, blieb ich, Hähnel betreffend, ohne Antwort. Zuständigkeitshalber habe ich deshalb am 6.7.90 beim Militäroberstaatsanwalt, Abt. Strafverfolgung, eine Anzeige auf Feststellung seiner Mitschuld im damaligen Verfahren erstattet. Meinen "Erzieher" Hoffrichter betreffend ist bei der Staatsanwaltschaft Cottbus seit dem 11.7.90 eine Anzeige wegen seines Auftretens mir gegenüber anhängig. Mit Schreiben vom 19.7.90 bin ich daraufhin vom bearbeitenden Staatsanwalt gebeten worden, meine Angaben zu präzisieren, zugleich machte er mich darauf aufmerksam, "daß hierbei die Verjährungsbestimmungen des § 82 StGB der DDR zu beachten sind. Die von Ihnen angedeuteten Handlungen liegen 9 Jahre zurück."

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Am 15.6.90 habe ich, dem Beispiel anderer folgend und unter Hinweis auf das in Aussicht gestellte 6. Strafrechtsänderungsgesetz, beim Generalstaatsanwalt der DDR um eine Überprüfung des damaligen Verfahrens und ggf. Veranlassung einer Kassationsverhandlung gebeten, bisher ohne Erfolg. Mit Datum vom 21.6. ersuchte ich das Bezirksgericht Chemnitz um Aushändigung der Prozeßdokumente, worauf mir mitgeteilt wurde, daß sich die Behörde um "die Beiziehung der entsprechenden Strafakte von der aktenführenden Dienststelle" bemühen werde.

Meine Studienangelegenheit habe ich, im Gegensatz zur noch ausstehenden Rehabilitierung, in weniger als 2 Monaten mit Erfolg abgeschlossen. Der Senat der Hochschule hatte sich nach erfolgter Absprache mit dem Bildungsministerium entschlossen, meinen Antrag vom 14.12.89 auf die Berufsbezeichnung "Hochschulingenieur" zu befürworten. Die damals vom Rektor, Prof. Göttner, verfügte Disziplinarmaßnahme wurde, als Reaktion auf meinen Antrag, am 19.1.90 vom jetzigen Vorsitzenden der Disziplinar­kommission der Ingenieurhochschule Mittweida, Herrn Prof. Bernhardt, gelöscht. Prof. Bernhardt war meines Wissens im September 1979 stellv. Direktor der Sektion Marxismus-Leninismus der Hochschule. Auch ihn hatte ich während des Ermittlungs­verfahrens im Rahmen eines "Beweisantrages" vergeblich um eine persönliche Stellungnahme zu meinen Gunsten gebeten.

Dr. Peitzsch übrigens bestritt in einem Brief vom 1.3.90 nicht, mich "nach Mittweida gebeten zu haben", und erklärte weiter, "daß alle Einladungen, auch die an Sie gerichtete allein der Klärung von Sachverhalten dienten, die im Zusammenhang mit dem Studium standen."

Wie auch immer, am 27.9.1979 nahm mit jenem folgenschweren Anruf dieser "Fall" seinen Anfang. Er ist bis heute nicht abgeschlossen und wird es selbst nach der angekündigten Rehabilitierung nicht sein können. Die Betroffenen werden sich bei den Anstrengungen für die Wiedergutmachung und die volle Wiederherstellung ihrer Ehre vor allem auf eigenes Engagement, ihr Durchsetzungsvermögen und, nicht zuletzt, ihren Langmut besinnen müssen.

Berlin, 
22.7.1990   

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Eberhard H.

 

 

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Am 15. Juli 1985 wurde ich von der Stasi verhaftet. In der Brigade, in der ich arbeitete, waren auch zwei Kollegen tätig, welche Funktionen als Parteigruppenorganisator und als Vertrauensmann bekleideten. Beides Mitglieder der Kampfgruppe und dem SED-Regime treu ergeben. Aber von der Phrase "Wo ein Genosse ist, ist die Partei" merkte man bei denen nichts. Kurz gesagt, sie nutzten die Arbeitszeit für ihre Saufgelage. Trotz wiederholter Hinweise in der Abteilung wurde gegen die beiden Genossen nichts unternommen. Wenn sich aber Nichtgenossen dergleichen leisteten, gab es Disziplinarmaßnahmen. 

Durch solche Ungerechtigkeiten, durch Mißstände auch in der Wirtschaft und das Fehlen von Konsumgütern habe ich mich schon manchmal im Kollegenkreis zu Äußerungen wie "Scheiß Zone" oder "Kommunistenschweine" hinreißen lassen.

An einem Montag wurde ich nichtsahnend zum Kaderleiter bestellt. Es war am 15.7., 8 Uhr. Bald darauf betraten zwei mir unbekannte Herren den Raum und sagten resolut: "Staatssicherheit! Herr Höfel? Kommen sie mit zur Klärung eines Sachverhaltes!" Ich war schockiert.

Ich wurde mit einem "Wartburg" auf den Kaßberg gefahren. Dort wurde ich von etwa 9 Uhr bis 17 Uhr verhört. Während des Verhörs wurde mir klar, daß mich jemand denunziert hatte. Der Beamte wollte wissen, welche Äußerung ich wann und wo gemacht hatte. Gleichzeitig sagte er: "Diese Äußerungen machen sie schon seit 5 Jahren!" Einer meiner Kollegen mußte also fleißig notiert haben. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, daß ich am späten Abend wieder nach Hause könnte. Als der Stasi-Beamte jedoch sagte: "Der mit dem Fall beauftragte Richter hat für sie U-Haft angeordnet", brach ich nervlich zusammen. Ich bekam Handschellen angelegt und wurde mit einem vergitterten "Barkas" in die UHA gebracht. Ich bekam Häftlingskleidung verpaßt und wurde in eine Zelle geschlossen. Das alles erlebte ich in einer Art Apathie. Nachts konnte ich kein Auge zumachen, zumal das Licht anblieb und alle paar Minuten der Wächter reinschaute.

Nachdem ich drei Tage kaum etwas gegessen hatte und fast nicht schlief, bekam ich endlich einen Mitgefangenen. Inzwischen wurde ich dem Haftrichter vorgeführt. Das war nur Formsache. Danach wurden von mir Fingerabdrücke und Fotos fürs Verbrecheralbum gemacht. Die Verhöre wurden nun auch fortgesetzt. Man wußte nie, wann man geholt wurde. Ich saß immer auf dem Sprung, das war nervenaufreibend. Der Vernehmer zeigte mir eines Tages die Zeugenprotokolle von fünf Kollegen. Es war haarsträubend, fast alle Aussagen deckten sich. Danach gab ich alles zu, was der Vernehmer hören wollte, zumal er meine Äußerungen in die Nähe der "staatsfeindlichen Hetze" rückte. Strafmaß: ab drei Jahre Zuchthaus.

Durch die Einsicht in die Protokolle wußte ich nun, wer mich denunziert hatte. Es waren meine beiden der SED angehörenden Kollegen, deren Vorarbeiter (ebenfalls Genosse), ein Alkoholiker und ein Kollege, der alles aussagte, nur um nicht selbst verhaftet zu werden. Die Verhöre und das laufende Grübeln, wie hoch wird die Strafe, was wird aus meiner Familie — der Sohn begann gerade seine Lehre — ließen mich kaum zur Ruhe kommen. Ich war nervlich zerrüttet. Diese Zerrüttung führte so weit, daß ich eines Tages keinen Harn mehr lassen konnte.  

Ich setzte mich auf die Pritsche und hatte Angst, es könnte etwas mit der Prostata sein. Da entlud sich plötzlich Flüssigkeit in meinem Körper. Mein erster Gedanke: die Blase ist geplatzt! Mir wurde schlecht, ich verlor das Bewußtsein. Natürlich machte sich der herbeigerufene Arzt darüber lustig. Er gab mir dann eine Beruhigungsspritze. Anderntags erführ ich, daß dies bei mir ein Rückstau der Niere war. Beim Entladen der Niere käme es dann manchmal zu kollapsartigen Zuständen. Ursache wären die Nerven. Von da ab bekam ich regelmäßig Beruhigungsmittel. Nun konnte ich wenigstens nachts ein paar Stunden schlafen.

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Nach dreizehn Wochen U-Haft kam es zur Verhandlung. Zeugen wurden nicht geladen, ich hatte ja alles zugegeben. Richter und Staatsanwalt wollten nur noch das Ganze von mir bestätigt haben. Die Staatsanwältin, Frau Block, wollte unbedingt aus meinem Munde hören, daß ich zu diesem Staat eine negative Einstellung habe. Der Richter sprach das Urteil: 1 Jahr und acht Monate wegen Herabwürdigung der DDR. Nach der Verhandlung war ich am Ende. Ich hätte nie für möglich gehalten, daß man für ein paar Worte über eineinhalb Jahre ins Gefängnis gesperrt werden kann. 

Ende Oktober kam ich auf Transport. Mit Handschellen im vergitterten W 50 zum Bahnhof, dort durch die Unterführung, flankiert von Polizisten mit Schäferhunden, zum "Grotewohl-Express". Die Leute auf den Bahnsteigen staunten nicht schlecht. Von außen sah der "Grotewohl-Express" wie ein Postwagen aus, drinnen waren winzige Zellen, unbelüftet und für fünf Mann. Beim Sitzen mußten wir die Beine ineinander schieben. 22 Uhr kamen wir in Naumburg an, dort verbrachte ich drei Tage auf einer Zugangszelle mit anderen Politischen. Es wurden Fragebögen ausgefüllt, danach kam ich in ein Arbeitskommando. Die Zivilmeister im Werk — wir stellten Geldkassetten her - behandelten uns wie Verbrecher. Dagegen waren die Wachtmeister einigermaßen verträglich, sie wollten nur ihre Ruhe haben. Gefürchtet war im Gefängnis das Rollkommando, eine mit Schlagstöcken ausgerüstete Truppe, die für "Ordnung" zu sorgen hatte.

Nach etwa 4 Wochen wurde mir von einem Offizier angetragen, ob ich mir zutrauen würde, als Verantwortlicher für die Küche zu arbeiten. Er unterstrich das mit den Worten: "Passen Sie auf - wer nicht mit uns arbeitet, arbeitet gegen uns!" Als gelernter Dreher sollte ich nun also Küchenbrigadier werden. Das konnte ich mir zwar nicht vorstellen, aber dann sagte ich zu. Nun hatte ich die Verantwortung für die Verpflegung von ca. 700 Häftlingen übernommen und konnte keinen Rinderknochen von einem Schweineknochen unterscheiden! Das war grotesk. 

Was ich in dieser Zeit an Nerven zugesetzt habe, kann man nicht wieder aufbauen. Das macht sich heute noch bemerkbar. Ich leide seit dieser Zeit unter nervösen Magenbeschwerden, Herzstörungen und Gallenbeschwerden, desgleichen unter Schlafstörungen.

Eines nachts wurde ich aus dem Bett geholt. "Sie gehen auf Transport", wurde mir gesagt. Pfingsten 1986 stand gerade vor der Tür. Ich nahm an, daß ich in die BRD abgeschoben werden sollte. Ich dachte: Egal, nur erstmal raus hier! Mit anderen Häftlingen wurde ich zur Stasi-Haftanstalt nach Karl-Marx-Stadt gebracht. Dort wollte man wissen, ob ich in die BRD wolle. Aber ich hatte nicht die Absicht, zumal ich nicht wußte, was dann aus meiner Familie werden sollte. Danach wurde ich von den anderen getrennt. Die gingen alle rüber. Ich kam dann im Laufe von fünf Wochen mit anderen Gefangenen zusammen, die auch hierbleiben wollten. 

Wir wurden Rechtsanwalt Vogel vorgestellt, der sich bei uns nach den Gründen für unser Hierbleiben erkundigte. So wurde ich dann am 18. Juni 1986 entlassen. Von den 20 Monaten habe ich nur 11 abgesessen, aber diese Zeit war für mich wie eine schreckliche Ewigkeit und prägte mein weiteres Leben.

Chemnitz, Juli 1990  

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