Josef Kneifel 

Der Panzersprenger 

zu Chemnitz

  

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Phoenix.de, 22.3.2006, MDR 2005 

(d-2005:) Heute kam im Fernsehen was über einen, der sich damals gewehrt hat. Als ich November 1980 nach Karl-Marx-Stadt kam, hörte ich, daß jemand den Panzer "gesprengt hat". Mehr war nicht zu erfahren. Aber es hatte großen Eindruck auf mich gemacht. (Man kann sich also wehren.) Josef Kneifel geht in diesem Text auch auf die Frage ein: "Terrorismus - oder nicht?". Er ist heute 63 Jahre alt, lebt in Nürnberg und mischt sich auch heute wieder in große Themen ein - "friedlich", wie in der MDR-Reportage augenzwinkernd gesagt wurde.

Josef Kneifel    

   

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Ich mochte die Landschaften Sachsens. Ich besaß dort ein Haus mit großem, schönem Grundstück, in welches ein Großteil meiner Arbeit und Ersparnisse geflossen war. Ich wollte da nicht weg. Als Mensch zu leben war mir aber nicht möglich im Staate DDR, und bloß Nickschaf zu sein, widerspricht meiner Natur. Natur siegte schließlich über Liebgewordenes und Besitz. Boykott der "Volkswahlen", Proteste gegen die Politisierung des Arbeitslebens, verweigerte Unterschriften für Loyalitätsbekundungen zur SED-Führung, Anträge auf Zulassung neuer Parteien, Verurteilung des Einmarsches der "Bruderarmeen" 1968 in die CSSR und, und, und... führten zu immer größeren Belastungen und Verlusten der Lebensqualität. 

1975 kulminierten die Repressionen gegen mich in der Verhaftung durch das MdI. Ich hatte bei einer Belegschaftsversammlung gesagt, daß unter Stalin grausame Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind und daß sich SED und Blockparteien als willfährige Vasallen der Moskauer Stalinisten erwiesen haben. Noch in der U-Haft wurde ich von Obermeister Cohen zusammengeschlagen, an Leitungsrohre gekettet, weil ich mich weigerte, das zum System gemachte Mischen von Politischen und übelsten Kriminellen hinzunehmen. Dieses System zielte darauf ab, Widerstand zu paralysieren, zu demoralisieren — und das funktionierte! 

Diese unmenschlichen Methoden, das Verhöhnen und Demütigen, die freche Arroganz von Staatsanwälten, Richtern und Beamten, die mich nach § 220 zu 10 Monaten Haft verurteilten, hat mich unsäglich verletzt, unsäglich!

Und die völlige Ohnmacht, diesem pervertierten System, den vielen Helfern und Helferchen dieser Sub-Ideologie beizukommen. An Natur und räumliche Freiheit gewöhnt, war der Schock der Haft gewaltig, daß ich 10 Monate wie gelähmt inmitten des Geblödels, der Schurkerei und der Rücksichtslosigkeit professioneller Kriminalität hockte, zum Gehen war in der total überbelegten Zelle ohnehin kein Platz. Ich war fassungslos! Die täglichen Beleidigungen, die entwürdigenden, schikanösen Filzungen ("Zieh'n Se die Arschbacken breit!"), die höhnische Borniertheit des Untersuchungsrichters Gauglitz haben mir Schreckliches angetan.

1976 wurde ich aus dem Assi-Knast Magdeburg-Sudenburg entlassen. Statt Personalausweis erhielt ich nach der Haft den PM 12, mit all den fatalen Folgen, den Einschränkungen persönlicher Freiheit, dem Rennen nach Arbeit, weil ich im alten Betrieb nicht mehr arbeiten durfte.

Vier Jahre noch mit Leibeigenenstatus, hinter Stacheldraht und Selbstschußanlagen, bis die befreiende Tat am 9. März 1980 die Last der Mitschuld durch Schweigen und Dulden von den Schultern warf:

Vorbereitet von mehreren, sprengte ich gegen 22.00 Uhr das sowjetische Panzermonument, das Symbol des militanten Stalinismus an der Kreuzung Frankenberger/Dresdner Straße in Karl-Marx-Stadt. Wir hatten lange überlegt, sondiert, wie wir unserem Protest wider die sowjetische Aggression in Afghanistan Ausdruck geben könnten. Wir taten in der Kalkulation unser Bestes, daß Menschen dabei nicht zu Schaden kommen, was auch — Gott sei Dank! — nicht geschah. Von dieser Stunde an konnte ich wieder frei und offen in die Welt schauen, das Gefühl des Beschmutztseins war weg, und all das, was die folgenden siebeneinhalb Jahre Zuchthaus brachte, hat mich im eigentlichen Sinn nicht wieder erschüttern können.

Sprengung — also Gewaltakt?

Gleich, wie das von Handelnden oder Duldenden interpretiert wird: Es war eine Tat der Verzweiflung und Ohnmacht. Über Jahre hinaus wurde nichts unversucht gelassen, gewaltlos zu wirken und verändern, ja, sogar feige weglaufen wollten wir, in die bequemere Bundesrepublik ausreisen.

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Aber wir weisen jede Schuld, die uns Leisetreter zuweisen möchten, entschieden zurück. Ein menschen­verachtendes System hat es geschafft, von ihrer Natur her friedfertige Menschen in einem jahrelangen Prozeß der Entwürdigung zum Gebrauch der Fäuste zu zwingen.

Am 18. August wurden meine Frau und ich vom MfS verhaftet. Später wurde dann auch unser 18jähriger Sohn verhaftet. Das MfS untersuchte wochenlang unser Einfamilienhaus und Grundstück, streute eine Unzahl von Verleumdungen über unser Privat­leben in die Umgebung, um Antipathien und Isolation zu erzeugen, denn in der Bevölkerung herrschte nach der Tat heimliche Freude.

Im März 1981 begann die Verhandlung vor dem streng abgeschirmten Gerichtsgebäude in Karl-Marx-Stadt. Nach meiner ersten politischen Haft 1975 war ich entschlossen, die Verhandlungsfarce zu boykottieren. Das ist die einzig richtige Antwort auf ein Marionettengericht, wo der "Genosse Rechtsanwalt" dem "Genossen Richter" hofiert und dem "Genossen Staatsanwalt" zu Diensten steht. Beim Eintreten des Gerichtes blieb ich sitzen, stand auch bei Befragungen nicht auf. Als die "Genossin Vorsitzende" das Urteil verlesen wollte und mit der Floskel begann: "Im Namen des Volkes...", rief ich laut dazwischen: "Genug den Namen des Volkes mißbraucht, ihr Lakaien!" und wurde aus dem Saal geschleift. 

So wurde ich "in Abwesenheit" zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.

Am 16. März 81 wurde ich in das Zuchthaus Brandenburg gebracht. Meine Frau saß zu dieser Zeit im Frauengefängnis Hoheneck. Ich wurde in einen W 50 gestoßen, halb angezogen, in gräßlich verrenkter Stellung, eine Hand rechts unten, die andere links oben am Zwischengitter angekettet. Der Druck der Stahlringe hinterließ wochenlang Taubheit an den Händen. Es war bitter kalt, mein Hemd bis zum Nabel offen. Von Kälte und Schmerz geschüttelt schrie ich: "Wollt Ihr Hunde wohl die politischen Gefangenen nicht foltern!" Ein dicker Wärter langte mit dem Gummiknüppel durchs Gitter, schlug mir ins Gesicht, auf den Schädel, auf den Mund. Ich spuckte Blut, versuchte meinen Kopf auf die Brust zu bekommen, um Zähne und Augen zu schützen.

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Das knappe Hemd war über die Nieren gerutscht, die Zähne schlugen aufeinander, die Kiefer verkrampften sich... Und so kam nur noch ein gurgelndes Stöhnen aus der Kehle, als man mich nach der mehrstündigen Fahrt an einer Knebelkette und mit Handschellen vom LKW holte.

In Brandenburg angekommen, wurde ich sofort in eine ungeheizte Einzelzelle gesperrt. Am 25. März begann ich einen mehrmonatigen Hungerstreik (insgesamt fast 1 1/2 Jahre), um gegen die Kriminalisierung politischer Häftlinge zu protestieren. Ich wurde zwangsernährt, also dreimal täglich Schlauch schlucken. Dr. Hoffmann, der subtile Goethekenner mit dem unerschütt­erlichen Medizinerethos, rettete mir das Leben entgegen den heimtückischen Anweisungen des Stasi-Majors Arndt. Auch andere SV-Beamte taten dort im Haftkrankenhaus ihr Bestes, mir die vom SSD verordnete verschärfte Einzelhaft erträglich zu machen.

1982 ins Haftkrankenhaus Meusdorf gebracht, kam ich in Obhut von Oberstleutnant Dr. Rogge. In Obhut! Ohne das zeitweise geradezu kühne Wirken dieses Mannes, entgegen den Stasi-Anweisungen, wäre ich wohl kaum noch am Leben. Unersetzliche Atempause, in der ich auch nach 2 1/4 Jahren das erstemal meine Frau sehen und sprechen konnte.

Am 17. Februar 84 wurde ich vom Haftkrankenhaus Meusdorf ins "Gesonderte Kommando" (GK) des Zuchthauses Bautzen I gebracht. Gleich am ersten Tag in den Arrestkeller des GK, weil ich mich weigerte, die gelbgestreifte Kriminellenkleidung zu tragen und weil ich mich seit Jahren nun schon als "Politischer Gefangener der Kommunisten" meldete. Dieses Loch war vom Estrich bis zur Decke feucht. (Der K-Trakt wurde Frühjahr 87 renoviert und umgebaut.) In diesem halbdunklen Loch vegetierte ich über ein Jahr bis April 85. In der Periode des Nichtheizens (Mai-September) bedeckte sich alles mit Schimmel: die Wände, die Schuhe, die Kleidung stanken abscheulich; der Putz fiel in Fladen von der Decke in meinen Plastebecher, in den Teller.

Die Luft war zum Ersticken, weil das Fenster zugenagelt, Matratzen von außen vorgestellt waren - damit meine Stimme draußen nicht zu hören war, die hartnäckig einen "politischen Gefangenen der Kommunisten" meldete, und das mit der maximalen Lautstärke, die der Sprechapparat zu leisten vermochte.

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Den gesetzlich zustehenden Eingangsbrief, um die Angehörigen über die Ortsveränderung zu informieren, verweigerte man mir zu schreiben, bzw. wurde er, Wochen später geschrieben, nicht befördert. Monate wußte meine Frau oft nicht, wo ich war, ob ich noch lebte.

Kurz die allgemeinen Bedingungen im "GK": Oberstes Prinzip der Unterbringung war, "uneinsichtige" politische Gefangene in Zwei- oder Dreimannzellen mit einem oder zwei oft infantilen, debilen, in jedem Falle aber exponiert schurkischen, körperlich überlegenen notorischen Kriminellen zusammenzulegen oder — wie in meinem Falle — mit einem parteikonformen, bulligen, nicht dummen SED-Kriminellen. Brot wurde streng rationiert, was sonst im SV der "DDR" nicht üblich war.

Arbeit auf der Zelle: den ganzen Tag an einem kleinen Tisch sitzen, Schräubchen drehen; sind drei im Raum, reicht's für den dritten nicht an Platz, er wirft seine Schräubchen auf die Pritsche, arbeitet so verkrümmt stehend, kommt das Essen z.B. mittags rein, schlingen die Leute in diesem Chaos von Kistchen, Schraubenhaufen und ihren persönlichen Dingen das Essen hinunter, strengste Isolation gegen alle anderen Zellen, Spiele (Brettspiele, Karten u.a.) waren verboten (Stand '87), pro Woche ein Buch, nicht nach eigener Wahl, sondern einfach so vom Kalfaktor hereingereicht. Bücherliste, wie sonst üblich, hat keiner dort je gesehen, so kommt es oft vor, daß jemand ein Buch erhält, das er schon kennt oder das er nicht lesen kann, kann... weil vieles von der "sozialistischen Literatur" einfach nicht lesbar ist, was in den Zuchthausbibliotheken vorhanden war. 

Das GK bekam grundsätzlich keine Sach- und Fachliteratur, keine Bildbände, also im großen und ganzen nur miese Belletristik, eine Zeitung (nur "ND") pro Wochentag, grundsätzlich kein Schreibzeug, jeder Fetzen Papier, auf den man schreiben könnte, wurde akribisch entfernt, wer also ein Buch bekommen hat, das er nicht lesen kann/will und vielleicht das Wochenend-Kreuzworträtsel im "ND" lösen will, der... nun, er kann sich ja am Feierabend, am Wochenende (oh, sind die lang!) mit einem jungen Burschen unterhalten, der in seinem Leben nichts anderes kennengelernt hat als "Knast", der

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nicht weiß, ob die Ostsee nördlich oder südlich von Bautzen liegt, der das Wort "gehen" "geen" schreibt, von jeder Syntax gar nicht erst zu reden; drei Briefe im Monat durften geschrieben werden, zu diesem Ende wurden ein Kuli und ein A-4-Blatt mit Umschlag hereingereicht, nach ca. zwei Stunden holte der kriminelle Hausarbeiter, der draußen auf dem Gang war und öfters durch den "Spion" schaute, also Bewacherfunktion hatte, den Brief ab, ob der Gefangene fertig war oder nicht, vollkommen wurscht. Das zu tun und das Essen etwa auszuteilen, hatte der Hausarbeiter den Schlüssel für die Türklappe, durch die gerade eine Schüssel durchgereicht werden konnte. Die, meist waren es vier, gelbgestreiften Hausarbeiter lasen natürlich die Post, amüsierten sich über die Fehler oder die Liebesgeschichten, die so geschrieben wurden. Häufig teilte der meist SED-kriminelle Hausälteste sogar die von den Verwandten erhaltene Post aus, die ihm der "Erzieher" ausgehändigt hatte.

Raucher und Nichtraucher wurden im Regelfall nicht getrennt, mußten also auf ca. 7,5 Quadratmetern Tag und Nacht zusammen verbringen; denn die "Freistunde", eine Stunde täglich lt. Gesetz, war die einzige Zeit, in der die Gefangenen diese 7,5 Quadratmeter verlassen konnten, aber — die "Freistunde" wurde nicht wie üblich auf einem richtigen Freistundenhof gemacht, iwo! ein Areal von (unterschiedlich) ca. 6 mal 3 Schritt ist mit hohen, graupelputzbeworfenen Mauern allseitig umstellt, jeder Halm Grün, sprießend durch vom Winde hereingewehte Samen, wurde systematisch ausgerissen; oft war in solcher "Schweinebucht" nach Regen eine große Lache, die die Gehwege noch zusätzlich verkleinerte — aber im Winter erst, wenn die "Schweinebuchten" voll Schnee waren, der nicht herausgeschafft wurde, oh! oh! — wollte man ein Stück Himmel sehen, mußte man den Kopf weit in den Nacken legen. 

Aber die "Freistunde" wurde (immer Stand bis August '87) meist nach 20 bis 50 Minuten abgebrochen, je nachdem, welcher SV-Beamte — faul oder weniger faul — Dienst tat. Wohlgemerkt: immer nur zwei/drei zusammen, die ohnehin schon Tag und Nacht beengt zusammenhausten. Einen Tag, am Duschtag, fiel die "Freistunde" ohnehin obligat aus, gegen jedes Gesetz.

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Wurden Reparaturarbeiten im Hause ausgeführt — und das geschah erstaunlich häufig — oder es fielen kurzzeitig einige Tropfen vom Himmel, fiel die "Freistunde" gleich aus. — Die Licht-aus-Zeit wurde gesetzwidrig verlängert. - Ihre Effekten, also die persönlichen Habseligkeiten, bekamen die GK-Insassen grundsätzlich nicht, Zeitungen, Zeitschriften, wie im Strafvollzugsgesetz garantiert, durften sie nicht halten, an den ebenfalls garantierten Film- und Kulturveranstaltungen monatlich durften sie nicht teilnehmen, am Gottesdienst nicht, die Bibel erhielten sie nicht (einer bekam sie nach 27 Monaten ständiger Intervention); Kunstpostkarten, Ansichtskarten, von ihren Angehörigen geschickt, mußten sie an der Tür lesen und sofort zurückgeben, Radio, Fernsehen gab's grundsätzlich nicht, zum Einkauf (im Mittel etwa 8,- M pro Monat) durften sie nicht selbst: die Kalfaktoren sagten ihnen ein winziges Teilchen des Warenangebotsspektrums und holten von der Verkaufsstelle dann die bestellten Waren, meist Tabak oder billige Süßigkeiten. Aber — und das müssen wir zur Charakteristik des GK noch erwähnen: Tüten, Verpackungspapier oder irgendetwas, worauf man schreiben könnte, wurden nicht in die Zellen gegeben. Beobachtung von mir: Es wurden nur in Wachs- oder Cellophanpapier gewickelte Bonbons gegeben — wer kann darauf schreiben?!

Wir sehen, die geistige Zerstörung in dieser Abteilung schrankenloser Willkür wurde mit akribischer Konsequenz betrieben. (Ich habe meinen intellektuellen Schaden, von der Uni-Klinik Erlangen festgestellt, erst im GK bekommen, etwa im siebenten Jahr der meist hochgradig verschärften Einzelhaft. Im Februar '84, nach dreieinhalb Jahren Einzelhaft in Brandenburg und Meusdorf, war ich noch in bester intellektueller, psychischer und auch physischer Verfassung, wie meine Frau und der Psychiater in Leipzig-Meusdorf, Medizinalrat Dr. Rogge, bestätigen.)

Weiter: das Licht in den Zellen — ein Skandal! Dadurch, daß zusätzlich zum Außengitter noch so ein dichtes Innengitter aus senkrecht verschweißten ca. 10 mm-Stäben angebracht war, daß man nicht einmal einen Finger durchstecken konnte, war das Tageslicht beträchtlich gedämpft.

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Pakete' wurden unerhört selten genehmigt, bei den meisten nie! Die Leute, die wöchentlich zum Arzt durften, wurden in der Zahl begrenzt. Erkrankten vier bei nur drei genehmigten, blieb der vierte unbehandelt. Manche waren zu meiner Zeit drei Jahre in dieser Höllenabteilung, die direkt vom MfS gesteuert wurde, ich 3 1/2 Jahre, und ich wäre dort verreckt wie ein Stück Vieh, hätten nicht meine Frau, die Freunde , die Kirche, die Politiker der Bundesrepublik mit zäher Beharrlichkeit mich aus den Klauen dieser Teufel gerissen. — Hier die Adresse:
Strafvollzugseinrichtung Bautzen I, Gesondertes Kommando, Postschließfach 100/I 1a, 8600 Bautzen.

 

Eine Untersuchungskommission will vor kurzem herausbekommen haben, daß das MdI diese Hölle betrieb. — Gott, selbstverständlich waren das SV-Uniformierte, die die Drecksarbeit machten; wenn die in Zivil auftretenden MfS-Kommandeure im GK erschienen, wurden selbst die Hausarbeiter eingeschlossen, daß ja die Kommandofunktion des Stasi verschleiert werden konnte.

Ich muß hier auf einige Folgen solch' viehischen Haltens von Menschen hinweisen:

Jahrelang waren oft zwei Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht, sahen, sprachen nie andere, oft (meist; die Teufel kennen ihre Opfer!) waren sehr unterschiedliche Charaktere zusammen. Aggressionen waren an der Tagesordnung. Der völlige Entzug von intellektuellem Genuß führte zu animalischen Exzessen: ein-, zwei-, dreimal masturbierten manche am Tag — ganz offen, animierten den Partner. Homosexuelle, also von Natur so Programmierte, wurden mit Heterosexuellen zusammengesperrt, die ersteren körperlich unterlegen sind. Man schaute dann durch den "Spion" zu, wie der absolut Schutzlose gejagt wird, bis er sich "decken" läßt oder "den Mund voll hat" oder — oder...ja, aus dem Fenster springen kann er nicht, hoho!... oder bis — bis er zum Hocker greift; aber da... hoho!, wird schnell der Schließer gerufen: auf die Tür!, und mit Besenstielen, Handfesseln und mit Schlüssel bewaffnet dringen die drei oder vier Kalfaktoren ein, und ab in den Arrestkeller.

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(Das Geschrei, wenn die Delinquenten die Betontreppe herunter gestoßen wurden, konnte ich das erste Jahr, als ich noch nicht eingemauert war, hören.) Der damalige Hausälteste, Thierfeld aus Delitzsch, ein Mann wie ein Bierfaß, ca. 45 Jahre alt, ehemals SED-Mitglied und ABV der Deutschen Volkspolizei, der das erstemal wegen Unzucht mit der Tochter, das zweitemal wegen Kindesmißhandlung einsaß, hatte bei solcher Aktion einem Gefangenen den Arm ausgekugelt.

Ja, Handfessel "Acht" und Schlüssel dazu tragen sehr oft die Kalfaktoren. Obermeister Stephan legte mir wieder einmal die Handfessel (auf dem Rücken die Hände!) an, suchte den Schlüssel, fragte schließlich Thierfeld: "Haste mal 'n Schlüssel?" – der zieht denselben aus der Brusttasche. Mir wurde des mehreren von dem 21jährigen Halunken Böhmert, tätowiert über und über, die Handfessel angelegt.

Die Gepeinigten versuchten sich auf mannigfache Weise zu verletzen, umzubringen, um dieser Hölle zu entkommen: stachen sich Nadeln ins Herz (zu meiner Zeit waren gleich vier zusammen deswegen im Meusdorfer Haftkrankenhaus), schmierten sich mit halbflüssigem Bohnerwachs ein und brannten sich an (einer ist an den Verletzungen gestorben), verschluckten Löffel, Rasierklingen in Brot eingeknetet, aßen Streichholzkuppen, fügten sich Wunden zu, infizierten diese, und tätowierten, tätowierten — keiner begriff so recht, wie sie das machten, wo doch ständig "gefilzt" wurde, alles Metallene, alles Spitzige, alles Gläserne, alles Keramische aus den sowieso aufs Minimum reduzierten Zellen entfernt wurde. 

Sie schnitten sich große Gefäße auf, mit dem besonderen "Saft" auch ihr Leben verströmen zu lassen. Die unausbleibliche Folge war dann, daß sie vom Obermeister Schmidt, dem im GK für das Vollzugstechnische verantwortlichen Stasi-Verbindungsmann, in irgendeiner — sehr gelinde gesagt! - "unbequemen" Stellung/Lage angehängt wurden. Tagelang! Obermeister Schmidt hatte da eine Spezialität: bei offenem Fenster im Winter den Hilflosen kaltes Wasser überzuschütten.

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Das suizidale Aufhängen von psychisch oder neurotisch kranken Kriminellen, von Epileptikern versuchte man dergestalt zu verhindern, daß man ihnen die Kleidung wegnahm, wenn sie bei ihren Anfällen in den Arrestkeller gesperrt wurden. Lücken blieben aber offensichtlich meist: Eines Nachts (damals war "mein" Spion noch nicht mit werggefüllten Kästen schalldicht gemacht) hörte ich Getrappel auf dem Arrestkellergang, Türenschließen, dann schwere Schritte zurück, eine Stimme: "Der is' doch schon ganz kalt" — andere Stimme: "Is mir doch ega, ob der gald is!" Der nunmehr Kalte hatte den ganzen Abend geschrien, am Arrestgitter gerüttelt. Und so ging das weiter. Verweigerte man die Nahrungsaufnahme, dann kamen sie in die Fänge des Dr. Gerhardt, der sie zwangsernährte, oder sie hungerten heimlich, aus Angst von Gerhardt gepeinigt zu werden, magerten schrecklich ab, um vielleicht doch einige Zeit etwas Milch — oh, ein Genuß im ewigen Einerlei! — zu erhalten. Sie schnürten sich Körperteile ab, um aus der unerträglichen Monotonie und Reizlosigkeit ins Krankenhaus zu fliehen. Und am schärfsten waren sie auf Schreibgeräte, weil ja der Mensch – und auch Kriminelle nicht, zum Teu...! – kein Vieh ist. Was machte man da, wenn man z.B. aus dem Krankenhaus kam und ins GK des Zuchthause Bautzen I zurück mußte?

Man steckte sich Kuliminen in die Harnröhre. Aber auch das war keine sichere Deponie: Die schlauen Kalfaktoren, eifrig wie apportierende Hunde um die Gunst der trägen, dummen GK-Beamten bemüht, hatten die Funktion... ja, das fällt mir grad' ein, die hatten die Vollmacht eines Strafvollzugsbeamte. Das muß man sich vergegenwärtigen. Also, die nahmen Leibesvisitationen vor, die Erstaunliches zutage brachten. Das Abtasten des Penis der gänzlich Entkleideten... Hatten Sie schon mal einen langen harten Gegenstand in der Harnröhre...? Ich konnte kurz vor Abfahrt in Meusdorf eine Kulimine in die Harnröhre stecken, in Folie gewickelt. Von Leipzig bis Bautzen auf DDR-Autobahnen in der Barkaskonservendose. Hände natürlich gefesselt mit der halbstarren "Acht". Die Schmerzen trieben die Mine heraus – wieder ohne Stift im Arrestkeller des GK! Im Mastdarm ist's besser. Ich trug z.B. monatelang 1987 einen messerscharfen Glasscherben, in nasses Läppchen gewickelt, dort.

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Den Arrestkellerfilzungen der Hausarbeiter ist das meiste zum Opfer gefallen: ein winziger Bleistiftstummel — unerhörter Schatz —, fünf Zentimeter Draht, ein daumengroßes Stück Blech, Kunstpostkarten, von meiner Frau liebevoll ausgesucht und beschrieben... So, dies die allgemeine Lage im GK, Stand 1987. Das Prinzip dort lautete: bedingungslose Akzeptanz des Strafgefangenen —, also Kriminellenreglements, d.h. vor allem zur "Wiedergutmachung" am sozialistischen Staat arbeiten! Wichtigstens! Jeder politische Gefangene im SV der DDR, der arbeitete, erkannte ein Gutteil des angemaßten Rechtsanspruches der Kommunisten an.

Dreimal in der Woche gabs in Bautzen I morgens eine fade Wassersuppe; aber es war Nahrung, Energie. Diese Suppe wurde mir in den dreieinhalb Jahren GK mindestens zwei Jahre vorenthalten. Brot: vier Scheiben normal, morgens und abends, für Arrestanten aber bloß drei, also Hungerstrafe, ohne Umschweife gesagt. Doch diese Scheiben können die Dicke von Oblaten aber auch Fingern haben, — das liegt voll im Ermessen des Kalfaktors. Das Mittagessen kann genauso manipuliert werden. 1984 z.B. war ich nach nur vier Monaten solcher Beschneidung des gesetzlich Zustehenden zum Skelett abgemagert, konnte nachts nicht mehr schlafen vor Magenkrämpfen. Alle Beschwerden bei der SV halfen nichts. Bis ich dann tagelang schrie:" Brot! Brot! Ihr Kommunistenhunde, wollt ihr eure Politischen Gefangenen verhungern lassen!" usw. usw. Die Leute hielten sich die Ohren zu. Schließlich bekam ich wenigstens genug Brot, und auch die 200 g Marmelade pro Woche !!, die man auch verweigert hatte. Bis zum nächsten Arrest, klar. Mit dem Arrest hielten die's so dort: Es wurden z.B. 21 Tage Arrest, das Maximum laut Gesetz, ausgesprochen, abgebrummt bei Nahrungsbeschränkung, dann, und das war GK-spezifisch, blieb der Mensch weiter im Arrestkeller, bei ganz genau denselben Bedingungen, nur - er erhielt morgens und abends vier statt drei Scheiben Brot. Das war nun kein Arrest mehr. Nach den vom Gesetz vorgeschriebenen sieben Tagen "Arrestpause" bekam er dann wieder 21 Tage Arrest. Das war Methode dort. Ich konnte beobachten, daß Gefangene 60, 90, 180 (!) Tage permanent im Arrestkeller waren. Ich war vom 17. Februar '84 bis 6. August '87, von sieben Wochen Krankenhausaufenthalt abgesehen, in diesem Arrestkeller.

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Es kam vor, daß ich — welche Gnade — das "Neue Deutschland" lesen durfte. Beispiel: Am Samstag hatte das "ND" eine Wochenendbeilage, die manchesmal Aufgaben, Rätsel u.a. enthält, also etwas für den Kopf. Sonst dauerte das Lesen des "ND" oft nicht länger als 10 Minuten. Diese Wochenendbeilage schnitt der Kalfaktor bei mir mit der Rasierklinge öfters heraus. Beschwerde bei der SV — Schulterzucken, Grinsen!

Auf das weitmaschige Stahlrost kamen von 20.00 bis 4.00 Uhr die Matratzen, die man von draußen holen, morgens wegschaffen mußte. Obermeister Schmidt ließ eines Tages, als ich ihm wieder meine Meldung: "Ein politischer Gefangener..." seinen empfindlichen Ohren zu laut machte, diese Matratze gegen eine dünne Auflage austauschen. Nun konnte ich monatelang nicht mehr auf dem Rost liegen, sondern mußte die dünne Auflage auf den Zement-Estrich des Kellers legen — und mich darauf, weil ich sonst wie auf einem Nagelbrett gelegen hätte.

Ach ja, die Meldung: Die politischen Gefangenen sollten sich als "Strafgefangener", also Krimineller, melden. Das lehnte ich die ganze Haftzeit hindurch ab, meldete mich als "politischer Gefangener der Kommunisten". Und so — ein Beispiel nur - verlief das die erste Zeit im Arrestkeller K6 im GK Bautzen I: Arrestzellentür wird aufgeschlossen, Obermeister Schmidt darinnen, meine Meldung (damals noch Herr!): "Herr Obermeister, Arrestzelle 6 mit einem politischen Gefangenen der Kommunisten belegt!" Er tritt näher bis ans Zwischengitter, verzerrten Gesichts, neben ihm ein Kalfaktor, von Kopf bis Fuß ein Bilderbuch — tätowiert, ein Notorischer. Schmidt schließt die Gittertür auf, nun kein Schutz mehr für mich... "Machen Sie die Meldung noch mal!" — "Herr Obermeister, Arrestzelle 6 mit einem politischen Gefa..." — Krach, rechte Hand auf linkes Ohr, fliege ich in die feuchte Ecke, meine Brille mit mir. Nicht der Obermeister — nein, ich bin perplex: der neben ihm stehende Kalfaktor war's. So war das. Je nachdem, auf welches Ohr die Fäuste knallten, hörte ich dann tagelang auf einem Ohr fast nichts. Aber erstaunlich, was solch einem Körper angetan werden kann: er regeneriert die meisten Schäden. 

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Und sage mir keiner, der Mensch sei ein empfindliches Wesen: Man sperre einen Hund so ein, traktiere ihn permanent derart — entweder er krepiert oder er beißt zukünftig nur noch, zur Bestie geworden, toll um sich. — Weder meine Frau noch ich — wir sind nicht "bissig" geworden. — Eines Duschtages stellte ich den Kalfaktor zur Rede, er antwortete: "Ich schlage nur auf Weisung der SV!" 

Kein Gefangener konnte ohne Aufschluß an mich heran. Doch dieser Freibrief machte die Typen, die draußen im Leben nicht zurechtkommen, übermütig: Ich erhielt Fußtritte abends beim Reinholen der Matratzen und Decken, wurde unflätig beschimpft (im Beisein der SV - natürlich): "Du Fotze, Du Ratte...!" usw. Protest bei der SV bewirkte Schulterzucken bei denen, rüde Beschimpfungen. Trotzdem gelang's, den Kalfaktor zu eliminieren, weil meine Meldung beim Aufschluß nun lautete: "Genosse Schlüsselbund", "Genosse Schließmuskel", "Genosse Senfkübel, ein politischer Gefangener im Bautzner Wasserloch. Strasdwytje!" Ich konnte mir das erlauben, weil es mich kaum noch gestört hätte, wenn sie mir die Zahnbürste und den Plastelöffel weggenommen hätten, mehr hatte ich oftmals über 10 (zehn!) Monate lang nicht zur Verfügung, und einen schlechteren Keller, in den man mich bringen konnte, hatten sie nicht. Blieb nur noch umbringen, doch dem wirkten meine Frau, meine Freunde, die Kirche ... entgegen. Wer aber ins GK kam, "uneinsichtig" war, niemanden hatte, der für ihn draußen Dampf machte — dem Gnade Gott, der schwebte in beständiger Lebensgefahr!!

Die Stasi war direkt verantwortlich für diese Martergruft, GK genannt. Direkt!

Wieder und immer wieder wurden von Obermeister Schmidt MfS-Leute in Zivil vor meine Zelle gebracht, dieses seltsame Tier kopfschüttelnd ob solcher Hartnäckigkeit zu betrachten. Schmidt, seit 40 Jahren im SV der DDR, wollte mich für geistesgestört erklären lassen, weil's in den fast 40 Jahren DDR-Geschichte noch nie einen solchen Fall gegeben hatte, daß einer, sieben Jahre unter teuflischsten Bedingungen dahinvegetierend, nicht aufgab und sich gar noch als politischer Gefangener meldete, die gelbgestreifte Kleidung nicht anzog, nicht arbeitete...

Aber dem Stasi war klar: Wenn hier einer genau weiß — und tut —, was nottut, dann der in dem Moderloch da!

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Verbissen negierten die SV, die Staatsanwaltschaft u.a. meine und meiner Frau stete Forderungen nach Respektierung wenigstens der elementarsten gesetzlichen Bestimmungen des StVG der DDR, besonders der Aufhebung der Totalisolation. Das Hohngelächter, die Zynismen der MfS-Typen und der SV-Leute auf unsere Forderungen habe ich noch in den Ohren. "Bautzen — nich von Pappe, wie!?", "Für solche wie Sie gibts bei uns besondere Regelungen!", "Wer — Wen!" (großmäulige Stasi-Tölpel). 

Diese ewige Mißachtung der elementarsten Gesetze der Menschlichkeit rührten zu immer größerem Aufheizen meines Grimms; der ganz offen ausgesprochene Vorsatz, mich – und in mir alle meinesgleichen und alle Rechtlichhandelnden – psychisch, und als das nicht gelang: physisch zugrunde zu richten, ließen die Konfrontation alsbald in einem Verhalten kulminieren, welches in den fast 40 Jahren DDR-Geschichte noch nie und von niemandem beobachtet wurde: Ich überschüttete die Kerkermeister schließlich mit meinem eigenen Blut! Das war '86/'87, als mir bewußt wurde, wie weit der Verfall fortgeschritten war, und der Zeitpunkt der endgültigen Zerstörung abgeschätzt werden konnte.

Die jahrelange einzige und Zwangsbeschäftigung des Beobachtens von Spinnen und Asseln und der Entwicklung von Schmeißfliegen auf meinem Käse oder der Wurst, die oft stundenlang im Vorraum standen — oh! ja, der Käse, das Essen — wie soll ich dem Lesenden die Situation beschreiben: Sommer, draußen wer weiß wie heiß, drinnen im Keller das Wasser an den Wänden herunterlaufend, Modergestank, Kleidung feucht» abends in ebenso feuchte Decken kriechend, alles kalt; natürlich Sommerkleidung, auch für die im Keller. Im Kellerloch ein Plastelöffel, eine Plastezahnbürste, ein Plasteteller. Spiegel? — Oh Gott, hab' ich jahrelang nicht gesehen. Ja, und da stand der permanent Tag und Nacht vor Kälte Schlotternde an der Tür zum Vorraum, wo vor einigen Stunden die einmal am Tage (etwa 14 Uhr) ausgegebene Kaltverpflegung ganz offen lag, die Lorke regelmäßig kalt wurde, der Käsegeruch allmählich hereindrang... Ja, und an die Ohren des Bibbernden drang ein Summen-Brummen.

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Die ihm zustehenden Essenbehälter verweigerte man ihm genauso konsequent, wie man die Lorke kalt werden ließ, — und so konnten die "Brummer", immer der Nase nach, ihr Geschäft der Arterhaltung betreiben. Dem Summen der "Schmeißer" konnt' er auch nachts ohnmächtig-toll, um den Schlaf gebracht, lauschen, ihr Werk am Morgen von der Schnitte lesen. Kann sich der Leser vorstellen, was in dem Menschen "ablief", wenn er Tag um Tag die Eierhäufchen, von Tierchen abgelegt, die grade auf dem Hundekot, der von der Fensterluke hereinstank, saßen, abwischen mußte. Wenn's sehr warm draußen war, hatten sich die Kleinen schon ein ganzes Stück — eventuell am nächsten Morgen — in die Materie eingefressen. Kann er sich vorstellen, wie dieses Brummen auf den Hilflosen wirkt? Glaubt er, daß es nur einer winzigen Weisung des SV bedurfte, dem Gequälten die ihm zustehenden Behälter zu geben? Und glaubt er nun, daß der jahrelang auf diese und ähnliche mannigfachste Weise Gepeinigte, rasend gemacht, im Rektum fingerte, dem einzig sicheren Versteck im leeren Kellerloch, das Läppchen hervorzerrte, den scharfen Glassplitter auswickelte, ableckte, ja ableckte, die Infektionsgefahr zu mindern, und — und der Venen blaue Wandung durchtrennte, den Teller vom Mittagessen unter den dünnen Strahl hielt und den Zeigefinger rühren ließ ? Und wenn der Leser ein Mensch von Ehr- und Rechtsempfinden ist, wird er auch glauben, daß dieser rote, Blutkuchen tragende Saft dem ersten besten Schlüsseldreher entgegengeschüttet wurde!

Noch eine Kleinigkeit: 

Es war mir, bald verrückt durch die nun schon fünf Jahre dauernde Abschirmung von sprechenden Geschöpfen, im Dezember '85 gelungen, über die Kanalisation Sprechkontakt zu bekommen. Sofort wurde (vom Gang aus) ein 50-Hz-Schwinger in die Abwasserleitung, direkt hinter meinem Lokus eingebracht. Seitdem heulte ununterbrochen bis zum 6. August '87 dieser Apparat in meiner Zelle. Tag und Nacht. Pausenlos. Bei geöffnetem Klodeckel war es fernerhin unmöglich zu "telefonieren".

(So nennt man das: Das Wasser aus dem Geruchsverschluß pumpen, indem man mit dem Arm hineinlangte und schlug, bis der "Schleusenduft" ins Gesicht wehte, dann den Kopf tief hineinstecken in das aus rostigem Schwarzblech (!) geschweißte Gebilde — sodann kann man sich mit

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denen, die am gleichen Strang "hängen", verständigen, wenn diese genauso vorbereitet waren. Die über mir waren aber wegen dieser Kontaktaufnahme gleich für 21 Tage in den Arrest gekommen. Auch hier — ich muß das immer wieder hervorheben — hatte man ausschließlich infantile Kriminelle in die Nähe meiner Zelle gelegt, um diese Kommunikation nicht zur Freude werden zu lassen.)

 

Die Mielke-Bande, gewohnt, mit dieser Behandlung jeden zur Kapitulation zu zwingen, wollte/konnte nicht begreifen, daß sie damit aber keinen, der so wie ich ununterbrochen von mehreren Getreuen außerhalb der Mauern gestützt wird, unterkriegen kann, denn nur das, und nur das, ermöglichte das erfolgreiche Gegenhalten hinter den Mauern und Gittern. Die Ursache dieses wohl einmaligen Erfolges, lebend und ungebrochen aus diesem Inferno herauszukommen, ist die Zähigkeit und Unerschrockenheit meiner Frau, die, selbst ständig bedroht, von den Staatsorganen erneut eingekerkert zu werden, pausenlos minierte, intervenierte, protestierte, informierte, und so die zum System gemachte Willkür zügelte, Proteste weiterer Kreise ermöglichte.

Beispiele, zu demonstrieren, wie die Stasi Widerstand zu ersticken, hartnäckige Kämpfer zu neutralisieren suchte. GK, Frühjahr 1984: Man holte mich aus dem Arrestkeller hoch — selbstverständlich Hände auf dem Rücken zusammengeklemmt. Mund geknebelt, weil sie mich zum werweißwievielten Male von Kriminellen in die Kriminellenkleidung mißhandeln ließen. Eine Zelle wurde aufgeschlossen, ich hineingestoßen und entfesselt. Vor mir ein großer kräftiger Mann, gelbgestreift. Oh, dachte ich, das muß der sein, den mir der "Erzieher" Scherch ankündigte: "Da muß es ä Handfester sein". Fraglos, das war er. Vorsichtiges Abtasten, Taxieren... Er bot mir gleich Marmelade an, die ich bis dahin nie bekam. Marmeladenbrot — ich schlang, was das Zeug hielt, denn damals gaben sie mir schon Monate systematisch zu wenig trockenes Brot. — Die Tür wurde aufgeschlossen, wir stellten uns im Hintergrund der Zelle auf — doch siehe, die Tür öffnete sich, und der Mörder neben mir brüllte: "Verwahrraum zwo mit zwei Strafgefangenen belegt!"... Ach so!

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Ich brüllte meinerseits: "Verwahrraum zwo mit einem politischen Gefangenen der Honecker-Bande und einem Strafgefangenen belegt!" mit einer Lautstärke, daß etliche Gefangene, offenbar politische, hinter den Türen zu toben begannen. Das ging in dieser Art weiter bis zum nächsten Vormittag. Am Morgen kamen Kisten mit Schräubchen in den Raum des privilegierten Mörders — man glaubte, mich zum Arbeiten, dem ersten und gewichtigsten Element der Anerkennung des StVG der DDR bringen zu können. Irrtum vom Beamten! Da aber bald die ersten Zurufe aus den anderen Zellen kamen:

"Kneifel! Kneifel ....!", die Meldung des Strafgefangenen auch sofort von mir überbrüllt wurde, ein Handgemenge zwischen ihm und mir stattfand, aus dem ich arg lädiert, aber weiterhin viel, viel lauter als er meldend hervorging, legte man mir die Fesseln wieder an, band den Mund zu und ließ mich vom Zweieinhalb-Zentner-Hausältesten Thierfeld wieder in den Arrestkeller schleifen. Am 6. August '87 stieg ich aus demselben endlich ans Licht. Solche geschilderten Versuche gabs des mehreren — bloß, daß sie künftighin im Arrestkeller gemacht wurden.

Ich habs einmal beobachtet, daß der große Schlüsselbund von einem Meister des Strafvollzugs dem Mörder Kreis (Hausältester) ausgehändigt wurde, nachdem er den Bund von dem Lederriemen, an dem er vorschriftsmäßig hängt, abgemacht hatte. Am 1. Januar '87, abends, war das. Ich hab's gesehen, und ich habe gewiehert vor Lachen über diese Perversion, wofür mir der Mörder — zum wievielten Male schon? — im Beisein mehrerer SV-Leute eine Backpfeife gab (gut, daß er mir viele Monate früher schon eine meiner Brillen zerschlagen hatte und ich zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr keine Brille mehr hatte. Wozu auch — zum Lesen oder gar Schreiben hatte ich doch sowieso nichts.).

Beispiel: Ich werde in die Wache des Arrestkellers geholt, melde mich dort: "Josef Kneifel, politischer Gefangener der Kommunisten zur Stelle. Guten Tag, Herr Leutnant!" — "Setzen Sie sich, Strafgefangener Kneifel!" — "Einen Strafgefangenen Kneifel gibt es nicht im Zuchthaus Bautzen!" repliziere ich. - Klatsch! Leutnant Stenzel, der zweite SV-Mann im Raum, verpaßt mir eine Ohrfeige, daß mir links das Hören vergeht und meine Brille durch den Raum schlittert.

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 Nachdem ich mich auf den Hocker gesetzt habe, geht dieses "Dialogisieren" weiter: Strafgefangener - Politischer Gefangener — Ohrfeige - Strafgefangener - Politischer Gefangener - Ohrfeige, oder mit der flachen Hand auf den Mund geschlagen, daß es mich vom Hocker weht. (Die Platzwunden am Kopf werden später mit "Sie stoßen sich aber oft" erklärt. Der SV-Arzt Sersch, bei dem ich mich beschwere, sagt das.) Braune, genannt "Hänger", hieß der eine Leutnant, der andere Stenzel, genannt "Maulschellen-Stenzel".

Noch eines: Ich werde am 2. Januar '87, flach in einer höllisch verqueren Lage auf dem Rücken liegend, Hände über dem Kopf, mit dieser halbstarren DDR-Handfessel, Acht genannt, festgeklemmt, Füße natürlich auch. Auf einem aus Stahl geschweißten Rost, auf welches nachts die Matratzen gelegt werden. Auf diesem Stahl liege ich, im kalten Keller. Nach wenigen Stunden sind die dünne Bluse und das Hemd bis über die Gürtellinie hochgerutscht — nun zwischen Haut und Stahl kein Faden mehr. Man hindert mich am Urinieren. Durch das wahnsinnige Frieren produzieren die Nieren mehr und immer mehr Urin. Die dünne, aber beinahe wie imprägniert dichte Hose ist bald bis zu den Knien durchnäßt. Der Urin tropft durch das Stahlgitter auf den Kellerfußboden, auf dem sich im Laufe der nächsten drei Tage und vier Nächte eine große Lache bildet. Es stinkt entsetzlich. Die teuflische Fesselung und das Flach-auf-dem-Rücken-Liegen ohne Möglichkeit der Lageveränderung bewirkt Herz-Kreislauf-Beschwerden. (Mein Herz war immer gesund. Das nur nebenbei.) Nach vier/fünf Stunden beginnt es, äußert unangenehm zu werden. Nach einem Tag glaube ich, es keine Stunde mehr aushallen zu können; da kommt Hauptmann Braune an die Tür, sich die Nase zuhaltend:

"Wollen Sie nun endlich vernünftig werden?" Ich lehne es ab, die Vernunft eines Hundes anzunehmen. Krach! Tür zu. — Nach zwei Tagen wunderte ich mich, noch am Leben zu sein. Tür wieder auf: Der gleiche "Dialog". Krach! Tür zu. Und der Urin dampft im eisigen Kellerloch. Die Haut, durchweicht auf blankem Stahl aufliegend, entzündet sich. Schreien nützt nichts. Zu Trinken geben sie auch nichts. Und das Frieren...!

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Ich bekomme Atembeschwerden, glaube, wahnsinnig zu werden, kann auch nicht mehr schreien: "Die Kommunisten foltern ihre politischen Gefangenen!" Am Morgen des vierten Tages, ein Dienstag war's, komme ich unter der heißen Dusche, noch voll in den uringetränkten Kleidern steckend, allmählich zu mir - man taut mich auf. Kalfaktoren reiben die erstarrten Gliedmaßen.

Noch am Leben!

Von diesen Tagen an hatte ich Angst, auf heimtückische Weise zu Tode gefoltert zu werden, ohne daß es eine Möglichkeit gäbe, dies den Folterknechten nachzuweisen. Denn: Die Spuren von den Fesseln an den Hand- und Fußgelenken waren lächerlich gering, und die Entzündungen im Steißbereich... Keine Striemen, keine... nichts, nichts. Ich weiß nun, wie Jesus Christus gestorben ist. Er muß ein schwaches Herz gehabt haben oder... oder der Vater hat sich seiner erbarmt... Jawohl, ich weiß, wie das ist, wenn einem gesunden Menschen bei vollem Bewußtsein, in einem tagewährenden grauenhaften Prozeß das Herz abgewürgt wird.

Dieses noch: 7.-9. Januar 1987, Keller im Gesonderten Kommando (GK) im Zuchthaus Bautzen I: Ich verweigere seit fünf Tagen die Nahrung, weil ich bis an die Grenze des Todes gefoltert worden bin. Oberstleutnant Dr. Gerhardt, Chefarzt im Zuchthaus Bautzen I, reißt vor meinen Augen die Rundung vom Ende des relativ harten Plastenasenschlauches - und stochert mit dem nun scharfen Ende im Nasen- und Rachenraum herum, daß das Blut nur so über die von mir umgebundene Schürze läuft. Er muß Erfahrung haben! Das zu vielen Malen. Bis in den Magen entzündet sich alle verletzte Schleimhaut. (Ein ihm assistierender Unterleutnant im weißen Kittel verläßt bei dieser Prozedur — oder sagen wir besser: Tortur — mit offenkundigen Bezeigungen von Abscheu den Arrestkeller, in dem das Ganze sich abspielt.)

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Gerhardt brüstet sich, daß er auf Weisung seines Chefs dies tut. Aber, schon nach der ersten Menge Suppe, die Dr. Gerhardt mir mittels des Schlauches einflößt, werde ich schlaff und müde, die Pupillen weiten sich, ich kann keinen Nahpunkt mehr auflösen. Doch noch sind zwei Matratzenstücke im Raum. Das ändert sich beim zweiten Magenfüllen; Oberleutnant Lehmann, mein "Erzieher", und Dr. Gerhardt haben sich etwas ausgedacht: "Matratzen raus! Hocker raus!", so Lehmann. Es geschieht. Ich schaff's nicht mehr, mein eigenes Körpergewicht auf den Beinen zu halten, so erschlafft ist die Muskulatur, so müde bin ich, so lethargisch, sehen kann ich deutlich nur noch auf zwei/drei Meter Entfernung, alles Nahe verschwimmt. Ich sinke auf den Zement-Estrich, als ob sich die Schwerkraft der Erde vervielfacht hätte. Ich liege wie festgepreßt, kann kaum noch atmen, selbst die Skelettmuskulatur des Brustkorbes scheint zu streiken. Die Körperwärme wird erbarmungslos durch die dünne Bluse und Hose vom feuchten Estrich abgesogen. Nachts geben sie die Matratzen rein; ich wälze—krieche— rolle mich darauf. Das geht fast drei Tage so. 

Am 9. Januar '87 abends lalle ich : "I...i...ich... g...g...geb... auf." Erledigt! Absolut willenlos, aber — merkwürdig — der Verstand arbeitet. Ich soll nun die Suppe, bestimmt, durch den Nasenschlauch in meinen Magen zu fließen, selbst trinken. Ich trinke. Sie schmeckt abscheulich, obwohl sie aus Milch, Eiern, Zucker usw. bestehen soll. Der letzte Rest... ich breche fast. Da — gräßlich schmeckende Stückchen zwischen meinen Zähnen; wohlbekannt der Geschmack... Tablettenkalk — scheußlich! Der Verdacht ist Gewißheit! Beinahe zwei Woche liege ich dann auf den mir wieder gegebenen Matratzen, verwechsle Abend mit Morgen, esse, ohne zu merken, was, falle von der Stahlpritsche, stoße überall an, wasche mich nicht... ganz allmählich nähert sich der Punkt, den meine Augen fixieren können. Fast zwei Wochen dauert's, bis ich wieder eine an die Kellerwand gekritzelte Schrift lesen kann, ohne Stützung auf den Beinen stehen kann.

Gerhardt heißt er. Dr. med. und Medizinalrat soll er sein. Auch das gabs: Oberleutnant Lehmann öffnete die Kellertür, sagte, nachdem ich mich als "Politischer Gefangener der Kommunisten" gemeldet hatte, zum Kalfaktor: "Matratzen raus, Hocker raus!" Das geschah mir mehrmals im Winter 1987. Einmal hatte ich fünf Nächte — am Tage sowieso nicht — keine

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Matratzen und Decken. Im Keller. In dünner, fadenscheiniger, viel zu enger Kleidung. Fünf Tage und Nächte auf den Fersen gehockt, zähneklappernd, immer wieder auf dem Zement-Estrich umsinkend, doch es dauerte bloß Sekunden, und die Erdkälte war auf der Haut... hin- und herwälzend... mit dem Ergebnis, immer mehr Körperwärme an den Fußboden abzugeben — bis der Körper vom Muskelzittem geschüttelt wurde.

 

Im GK des Zuchthauses Bautzen I.

Im Verlaufe von dreieinhalb Jahren wurden mir drei Brillen vom SV-Personal bzw. von kriminellen Hausarbeitern, die nur im Beisein der SV an mich herankonnten, zerschlagen. Fast zwei Jahre war ich ohne Brille, weil Neubeschaffüng hartnäkkig vom SV-Personal verhindert wurde. Einmal versuchte man, mich mit einem extra für diesen Zweck aus Brandenburg geholten SED-Mörder, namens Dieter Kreis, aus Grimma bei Leipzig stammend, zusammenzulegen. Dieser Halunke - er hatte eine Genossin seiner Parteigrundorganisation ermordet, nachdem er sie verrührt und sie ihn erpreßte - , dieser Strolch also sollte mich moderieren, d.h. zum Anerkennen des Kriminellenreglements bringen. Bei diesem Unterfangen, fiir das man ihm guten Lohn versprochen hatte, ging meine zweite Brille in die Brüche. Der Bursche war kräftig, gut ausgesucht und hatte u.a. die Aufgabe, mir täglich die Nachtruhe zu stören. Die dritte Brille wurde mir am 1.1.1986 morgens gegen acht Uhr vom (damals) Verwahrbereichsleiter Oberleutnant Braune mittels mehrerer Ohrfeigen, die mich mitsamt der Brille in die Ecke des Arrestkellers schleuderten, zerschlagen. Wegen meiner Meldung als politischer Gefangener und nicht, wie Vorschrift, "Strafgefangener". Gleich darauf - nun unbeschwert von Sehhilfe, ließ mich Braune von drei kriminellen Hausarbeitern, darunter der zum Hausältesten avancierte Mörder Kreis, in Unterhemd, Unterhose und Socken, Hände auf dem Rücken gefesselt, Mund zugebunden, daß ich nicht schreien konnte, in den sogenannten "Freistundenhof" hinausmißhandeln. Unter erheblichem Blutverlust meinerseits, denn freiwillig rennt wohl keiner so schnell in den Tod. (Es lag wadentiefer Schnee, das Fenster des Arrestkellers war gefroren.) 

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Braune und der Mörder Kreis stießen mich draußen in den Schnee, daß ich darinnen zu ersticken glaubte, weil es mir gelungen war, den Knebel aus dem Mund zu bekommen und zu rufen: "Die Kommunisten ermorden den politischen Gefangenen Kneifel!"

Insgesamt 28mal wurde ich in den dreieinhalb Jahren, die ich im GK Bautzen I war, auf diese und ähnliche Weise von Hausarbeitern, darunter immer roten Gewalttätern, mißhandelt; immer, und nur so möglich wegen meiner Isolation, im Beisein und auf Weisung der SV-Leute. Das Knie des Mörders Kreis brach mir eine Rippe, die heut noch wegen Nichtbehandlung vorsteht. Bei dieser Aktion stand der Schuh des ÖL Leh-mann auf meinem Gesicht, quetschte die Nase breit - ein gräßlich großer Fuß! Ein anderer SED-Krimineller, Thierfeld mit Namen, machte mir im Verein mit anderen Kalfaktoren die Schultergelenke kaputt. Steinmeier hieß der eine. (Die Schreibung aller Namen ist mir unbekannt, weil ich sie nur vom Hören kenne.) Ich habe eine Unzahl Verletzungen durch Mißhandlungen im GK erhalten. Achtzehnmal wurde ich von der SV selbst geschlagen, wobei zu bemerken ist, daß in mehreren Fällen SV-Leute zusammen mit Kalfaktoren schlugen. Obermeister Schmidt zerschlug mir mit einem Fausthieb den Kieferknochen.

Aus der Vielzahl der Mißhandlungen der Kürze halber nur noch einige Beispiele: Am Karfreitag des Jahres '84 wurde der Arrestkeller, in welchem ich zu diesem Zeitpunkt schon seit 17. Februar '84 war, aufgeschlossen vom "Erzieher" Oberleutnant Scherch, drei Kriminelle, zwei von Kopf bis Fuß tätowiert, stürzten herein, packten mich je einer an den Armen, der dritte langte mit zwei Fingern in meine Nasenlöcher und riß die Nase nach oben, bis das Gewebe zerriß. Ein wahnsinniger Schmerz, ich schrie wie ein Verrückter. Das ist an drei Tagen hintereinander geschehen. Die gespaltene Nase wurde nicht genäht, und "ziert" mich also heute noch. Mein Kopf ist voller Narben, genähter und ungenähter. Und immer aus dem gleichen Grund die Mißhandlungen und Schikanen: Weil ich mich als politischer Gefangener meldete, weil ich das Kriminellenreglement als eine unerhörte Beleidigung für alle politischen Gefangenen ablehnte.

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Frühjahr 1986, Arrestkeller K 7: Nachdem ich wieder eine Ansprache gehalten hatte, stürzten mehrere SV-Beamte und Hausarbeiter herein, ketteten mich, halb stehend, halb liegend, an das Stahlgestell, so daß ein Großteil meines Körpergewichts in der Kreuzgelenkregion auf der Kante eines Winkelprofiles lag. Stundenlang mußte ich dieses Martyrium ertragen. (Dreimal ist mir das im Frühjahr '86 geschehen). Leutnant Stenzel und Obermeister Schmidt knebelten mich mit solcher Gewalt, daß das Zahnfleisch auf den Wurzelhälsen aufgerissen wurde. Grundsätzlich wurden bei solchen "Aktionen" kriminelle Hausarbeiter mit zu Mißhandlungen benutzt. Das war Methode. Der Wahrheit und Gerechtigkeit halber muß ich aber dem Lesenden mitteilen, daß des mehreren Hausarbeiter nicht mit mißhandelten — und natürlich versetzt wurden. Angesichts der ungeheuren Vergünstigungen, die die GK-Tätigkeit für jene brachte, eine bemerkenswerte moralische Haltung. Einer beteiligte sich widerwillig tags unter SV-Aufsicht an Gewalttätigkeiten — abends ließ er die Außentür öffnen, um an meine Türklappe zu kommen, reichte mir eine Flasche Milch durch und entschuldigte sich. Das hätte ihm bei Entdeckung schwere Strafe gebracht.

Bis zu zehn Monate erhielt ich zuweilen keinen Stift, kein Papier, um meiner Frau ein Lebenszeichen zu geben. Doch hartnäckig und verbissen kam fast jede Woche eine Karte, ein Brief, oft sogar zwei, wütend vom "Erzieher" OL Scherch, später OL Lehmann, in den Keller gegeben — aber beim Türenschließen schmetterte ich ihnen ab April '85 die Meldung entgegen: "Genösse Rubelsöldner...", "Genosse Schlüsselbund...", "Genosse Kremlwanze..." (OL Scherch), "Genosse Kremlbastard, ein politischer Gefangener im Verlies der Mielke-Bande!" Teuflische Szenen spielten sich ab — doch beständig ging Post ein (freilich ab und zu acht Wochen zurückgehalten, um mich mürbe zu machen, Zweifel aufkommen zu lassen, die den Widerstand gelähmt hätten), obwohl keine Antwort zu erwarten war. Ganz wenige Briefe hat meine Frau aus Bautzen bekommen. Ich sollte schreiben, es ginge mir gut usw. 

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Das hätte mein Todesurteil sein können, und die Vollstreckung desselben hätte, aus der Fülle der Möglichkeiten eine herausgegriffen, so aussehen können: Hände auf dem Rücken mit der "Acht" gefesselt, Mund zugebunden, werde ich vom Kalfaktor Böhmert, von der Freistunde kommend, die Betontreppe hinabgestoßen, kann mich noch nach hinten fällen lassen, schlittere auf dem Steiß in den Arrestkeller — ich hätte aber auch nach vom fallen können, Hände auf dem Rücken... Und immer fünf Schritte hin, fünf zurück im trüben Kellerfunzelschein, aber oft schalteten sie das Licht auch aus oder ärgerten mich, indem sie ein Streichholz in den Tastschalter steckten, so daß ein Wackelkontakt über Stunden Licht an. Licht aus... verursachte.

Tag für Tag, 16 Stunden lang, auf den Beinen (Tisch und Hocker hatten sie mir bis zum 11. Juli '87 weggenommen), nichts sehend, nichts hörend: Fenster mit doppelter Glassteinmauer zugesetzt, dahinter Verbundfenster, zweimal Gitter, doch alles verdreckt. Seit Januar '85 wurde speziell für mich eine "Verwahreinheit" K 7 gebaut, in welche ich im April '85 gelegt wurde, daß keiner mich hört, ich keinen höre, niemand mich sieht, ich niemanden sehe.

Obwohl schon seit dreieinhalb Jahren in Haft und seit 25.3. '81 in (größtenteil verschärfter) Einzelhaft, streng isoliert, war ich am 17.2.'84, als ich ins GK eingeliefert wurde, noch in bester physischer und intellektueller Verfassung, denn ich hatte im Haftkrankenhaus Meusdorf Zeitungen und Bücher zu lesen, besaß Schreibzeug.

Stück für Stück wurde ich dort zuerst physisch, dann intellektuell zugrundegerichtet. (Selbst meine restlichen Naschereien aus dem Haftkrankenhaus Meusdorf — von Besuchen meiner Frau stammend — wurden dieser von Bautzen aus ohne Kommentar zurückgesandt, angerissene wie auch originalverpackte.) Nach einem Jahr Dauerarrest im GK, dem nassen, stinkigen Loch K 6, begann mit einemmal ein rasanter körperlicher Verfall; ich magerte ab und komme seitdem nicht wieder auf mein Normalgewicht. Nichtbehandelte Verletzungen und Entzündungen, durch den Terror hervorgerufen, taten ein Übriges, Füße und Beine anschwellen zu lassen. Die Nässe, das permanente Frieren, die weiter oben angedeuteten Teufeleien, die Stickluft, das erbärmliche Essen... Im August '85 waren die Füße zu Klumpen angeschwollen und ich kam nicht mehr in die Schuhe.

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Schuhe, die, im Sommer unter das offene Gestell gelegt, trocken, ganz trocken bei 28-30 Grad Außentemperatur, sich nach zwei Tagen Nichtgebrauchs mit weißen Flecken überzogen.

Ich mußte nach Meusdorf gebracht werden. Und dort erlebte ich eine große Freude: Durch, für mich, günstige Konstellation wurde ich Wand an Wand, Fenster an Fenster mit Johannes Zuber aus Erlangen benachbart gelegt. Er kam als "Bundi" aus Bautzen n, wegen Fluchthilfe verurteilt. Sehen konnten wir uns nicht - die Gitter verhindern ein Hinauslehnen aus dem Fenster —, aber sprechen. Er übernahm einen Kassiber, brachte ihn durch alle Filzungen bei seiner Haftentlassung in Bautzen durch nach dem Westen. Was die meisten nach der Bundesrepublik entlassenen politischen Gefangenen oder solche, die sich dafür ausgaben, nicht taten: Johannes Zuber nahm das Risiko in Kauf. Und nicht nur das: Im Westen angekommen, selbst in großen materiellen Schwierigkeiten sich befindend, investierte er viel Geld und Zeit, bei vielen Stellen vorzusprechen. So wurde der Kassiber in "Hilferufe von drüben". Lippstadt, veröffentlicht.

Der intellektuelle und psychische Verfall: Fast völlig von Lesestorf, Schreibzeug — Gesellschaft ja sowieso schon ab Brandenburg — entblößt, setzte das GK I Bautzen andere Maßstäbe:

Einige Wochen, Monate, ein, zwei, drei Jahre kann der Mensch vielleicht geistig unbeschadet überstehen, wenn er wie eine Ratte gehalten wird. Vielleicht. Auf reichlich 2x2 Metern täglich 16 Stunden im Kreis umhergehend, rekapitulierte ich erst mal alles Wissen, rechnete im Kopf aus dem Bereich der Physik, Chemie, Biologie, Geologie... alles zusammenklaubend, was da im Kopfe war. Monat fiir Monat. Schließlich Jahre. Aber es kam nichts Neues mehr hinzu, vieles ließ sich ohne Nachlesen oder Schreiben nicht mehr rekapitulieren. Ein Kreislauf begann. Und die Kreise wurden immer enger:

Schuldkomplexe bauten sich auf, weil jeder Fehler, der im Leben gemacht wurde, ständig wieder hervorgeklaubt wurde. Immer wieder. Immer wieder. Die Konzentration ließ mehr und mehr nach. Maßstäbe gingen verloren, neue — unreale wurden gesetzt, das Gespräch, ein hochwichtiger Faktor für Konzentration und Logik, fehlte fast sieben Jahre völlig.

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In zeitlich nicht kalkulierbarer Erwartung von physischen und psychischen Mißhandlungen waren die Nerven Jahr um Jahr angespannt; im Grunde ohne jede Pause. Die Sinnesorgane Ohren waren Tag und Nacht auf die nahen, durch die enorm schalldämmende Bauweise des Kneifel'schen Zellentraktes jedoch neblig-diffusen Geräusche draußen auf dem Arrestgang gerichtet. 

Das Schließen der ersten, äußersten, der fünf Türen, die zu schließen waren, bis irgend jemand an meinen Körper gelangen konnte, ließ mich augenblicks im Schlaf auffahren, ließ jeden Gedanken, in den ich mich am Tage vertieft hatte, entschwinden, das Herz pochte bis weit in den Hals, der ganze Organismus schien unter Strom gesetzt, die Gedanken rasten, aus der Erfahrung gelernt, vorgefertigte Verhaltensmuster (ohne eine Vielzahl, auf alle möglichen Situationen geprägte, vorgefertigte Verhaltensmuster hätte ich nie dreieinhalb Jahre Arrestkeller im GK durchhalten können) fieberhaft abtastend: welche Teufelei werden sie wieder ausgeheckt haben; welche Hiobsbotschaft kann dir gebracht werden, und welche Reaktion ist darauf angezeigt?, ist deiner Frau was zugestoßen?, ist sie wieder verhaftet aufgrund ihrer Aktivitäten? (Beides war immer zu fürchten.) 

Überschütten sie dich wieder mit kaltem Wasser, und in der feuchten Bude kannst du tagelang die Sachen am Leibe trocknen? Kommt die kriminelle Schlägertruppe, dir die Gelenke noch mehr kaputt zu machen? Oder (in der kalten Jahreszeit) sollst du wieder in Unterwäsche geknebelten Mundes, die Arme auf dem Rücken durch die "Acht" schmerzhaft verdreht, in den Frost geschleift werden? Werden die brutalen Strolche wieder an der eng auf den Unterarmknochen festgeklemmten "Acht" zerren, daß die Schwellungen Tage vorhalten und jede Berührung schmerzt? Mußt du wieder versuchen, an der gräßlich scharfen Graupelputzwand da draußen, dir die Wangen und Schläfen aufreißend, den Knebel herunterzukriegen, dich vorm Erfrieren zu retten? Wollen sie dir wieder einen bärenstarken kriminellen Gewalttäter in die Zelle sperren, dich kirre zu machen? (Diese "Aussicht" bestand meist spätabends, wenn die Hausarbeiter, die fast alles hatten und durften, von ihrem Femseher kamen.)

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Diese Spannung war quasi pausenlos: Es gab keine Sicherheit, keine Gewißheit, und das Gute konnte im nächsten Augenblick ins Böse umgekehrt werden. Völlig unkalkulierbar, unbeeinflußbar. Um nicht kaputtzugehen, scheint der Körper den Schutzmantel der Apathie umgelegt zu haben: die Höhen und Tiefen des Empfindens haben ihre Gipfel verloren, sind sozusagen nivelliert. Das richtige tiefinnere Freuen und Argem... ja, wie soll ich das formulieren? Vielleicht so: Ich freue und ärgere mich seither mit dem Verstand, nicht, wie früher, mit dem Herzen. Und die für jeden intellektuellen Prozeß wesentliche Konzentration — sie ist hin! Gedächtniswerte lassen sich heute sehr schlecht fixieren, die Gedanken schießen kreuz und quer, der Aufwand, die Zeit, ein Problem zu erfassen, werden dadurch unverhältnismäßig groß. Der "Faden" beim Sprechen geht oft verloren. Mißerfolge beim Verfolgen eines Gedankens haben eine Denkträgheit hervorgebracht. Jedoch hat das auch ein Gutes: Schreckte ich nach der Haftentlassung 1976 nachts noch Jahre später keuchend und rasenden Herzens aus dem Schlafe, begann ich bei jeder Erwähnung der Haftumstände zu "kochen", so kann ich heut' ruhig schlafen, ohne Leidenschaft von den sieben Jahren sprechen, und nur selten erinnert mich ein Geräusch, ein Geruch, eine Konstellation an das Erlebte; so wie mich plötzlich tags ein erinnerndes Geräusch aufschreckte - unerhört, wie mich das durchführ!

Episode: 

Tür zu K 7 geht auf, ich melde mit beträchtlicher Lautstärke einen politischen Gefangenen der Kommunisten. Ohne ein Wort tritt Obermeister Schmidt herein, hinter ihm Kalfaktor Böhmert — und losgeht's: Schmidts rechte Faust auf den linken Kinnbacken, Böhmens linke auf den rechten, Schmidts rechte auf den linken, Böhmens linke rechts... Schmidt, Böhmert, Schmidt... Hörbare Folge noch heute: Das linke Kiefergelenk kracht, wenn ich einen größeren Brocken zu fassen suche. Meine Frau kommentiert, wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen: "Schönen Gruß vom Obermeister Schmidt."

Vom Arzt angeordnete Medikamente wurden vom Oberleutnant Scherch und Obermeister Schmidt einfach weggenommen. Um Wundentzündungen zu verhindern, leckte ich die Wunden wie ein Tier. Der gräßliche Dreck da unten in den Kellern verursachte mir immer wieder Augenentzündungen, und ich träufelte Urin in die Augen - beide "Verfahren" haben sich jahrelang bewährt!

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Noch ein geläufiges Verfahren: Dringend notwendige Arztkonsultationen nur gegen Konzessionen des Gefangenen! Z.B. hatte mir ein Krimineller, Hausarbeiter, im Winter '84 das Knie schwer verletzt, so daß ich im Arrestkeller nicht mehr stehen noch gehen konnte, bei eisiger Kälte, Sitzgelegenheit war nicht vorhanden. Wenn ich nicht verrecken wollte auf dem Estrich, über den die von der Luke herabfallende Eisluft fegte, mußte ich für einige Tage die Kriminellenkleidung tragen, damit man den Arzt in den Arrestkeller holte. Wochenlang saß ich dann, die Beine zu klumpigen Gebilden angeschwollen, auf einem Latrinenkübel. "Gern mr was zum Einreim", sagte der Arzt Sersch. Legen hielt er für unnötig. Ein andermal sagte er: "Sie ham aber ä hartes Käppi!" Er sollte mich nähen, weil ein SV-Meister mich gegen ein Gitter geworfen hatte, und da meine Hände, wie jahrelang üblich, auf dem Rücken gefesselt waren, konnte ich mich nicht abfangen.

Die Jahr um Jahr währenden Gesetzlosigkeiten (auch im Sinne der DDR-Gesetze), der stete Terror, die immer mehr eskalierenden Schikanen, das Vegetieren auf quasi weniger als Rattenniveau erbitterten mich mit der Zeit immer mehr, die Versessenheit der Stasi-Bande auf Schreibzeug, Papierfetzen, Geschriebenes, Gedrucktes, den anderen längst, mir allmählich selbst sichtbarer geistiger Verfäll, trieben mich zu Abwehrreaktionen, die kaum noch menschlich anmuten: Ich schnitt meine Beinvenen an und fing das Blut auf, manchesmal einen ganzen Becher, tüchtig rührend, und beschriftete und bemalte die Wände meines K 7-Loches mit Karikaturen, die SV, die Kommunisten verhöhnend. Notizen, mit Blut auf Butterpapierschnipsel o.a. geschrieben, wurden von der Stasi, die zuweilen, im Mai '85 z.B., bis zu dreimal die Woche die ohnehin leere Zelle filzte, immer wieder weggenommen. Formeln hatte ich mir da hergeleitet, Konstanten näherungsweise ermittelt, um nicht total zu verblöden. Ich schrieb also auf Toilettenpapier oder sonstige Fetzchen mit Blut und versteckte diese Zettel sorgfältig. - Von dieser Zeit an war nie mehr ein Stasi-Beamter in meiner Zelle. 

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Was stand denn nun auf diesen Zetteln, die natürlich meist gefunden wurden? — Etwa so: "MfS-Pfeifen" oder "Wie das verhindern, Genossen? - Vorschlag: Holzwolle für die Ärsche der politischen Gefangenen. Der Titel 'Held der DDR' ist Euch gewiß!" oder "Bon über acht mal zehn Kopeken, einzulösen in der Zahlstelle der Kreml-Kanzlei" u.v.a. m. Meine Beine sind voller Venenschnittnarben - Zeichen schrecklicher Auseinandersetzungen.

Sie ketteten mich dann an, '87 bis zu 24 Tage an Händen und Füßen, aber der Aurwand ist auf Dauer für die Schließer zu groß. Ich beschriftete ab Frühjahr '86 die gelben Streifen auf der Kleidung mit "Politischer Gefangener", weithin sichtbar mit Blut. Und immer wieder kam Post von meiner Frau.

Und immer wieder intervenierte sie, nicht zu erschöpfen, nicht zu entmutigen. Der "Sprecher": Wenn meine Frau mich überhaupt sprechen durfte (regulär zweimonatlich eine Stunde), dann so: eine winzige Kabine, durch eine dicke Glasscheibe zweigeteilt, alles dicht, dies und jenseits der Glasscheibe ein Hocker, davor ein Mikrofon, oben je ein Lautsprecher, Handreichen natürlich ausgeschlossen, man hört/spricht über Mikrofon, sucht sich durch die spiegelnde Scheibe zu sehen. Obwohl sich laut Hausordnung die Partner grundsätzlich mit Handschlag zu begrüßen haben, konnten wir uns dreieinhalb Jahre nicht berühren; dreieinhalb Jahre kein Geschenk, kein Päckchen, kein Einkauf... nichts. (Das war die 14 Monate in Brandenburg auch so: nie ein Paket o.a.) Ich wurde, Hände auf dem Rücken mit der "Acht" gefesselt, dadurch vornübergebeugt, auf einen Hocker gesetzt. Neben mir sprungbereit SV-Beamte (neben meiner Frau drüben genauso) in Bereitschaft, mir sofort die Kehle zuzuschnüren, wenn ich Wahrheiten über Höllenpraxis im GK von mir gebe. Meine Frau hat's gesehen, hat das Röcheln gehört, als mir ÖL Scherch die Kehle zudrückte — trotz der Glasscheibe, trotz des abgeschalteten Mikrofons, trotz meiner auf dem Rücken gefesselten Hände. Ich hatte gerufen, daß ich seit mehr als einem Jahr im Arrestkeller bin. Und dann, als sie mich wegschleiften, rief ich gurgelnd: "Die bring' mich um!, die bring' mich um...!" Mein Verfall ging damals mit Rasanz. Daraufhin bauten sie im Februar/März K 7 fiir mich; eben weil ich ihr das zurufen konnte.

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Immer wieder wurde der "Sprecher" vorzeitig im GK abgebrochen, weil die SV-Leute ängsteten, ich setze zu Enthüllungen über diese Abteilung völliger Willkür an. Dreimal, u.a. im März und im Juni '87, wurde meine Frau zu einem "Sprecher" nach Bautzen bestellt und führ natürlich auch hin, obwohl die Verantwortlichen genau wußten, daß sie mich nicht in den Sprechraum lassen würden — weil ich zu diesen Zeiten an Händen und Füßen angekettet war und nicht "vorzeigefähig" aussah. Die Wunden waren noch nicht vernarbt.

Warum? — Weil ich das Anerkennen des Kriminellenreglements für politische Gefangene generell ablehnte.

Noch ein Sprecherbeispiel: Meine Frau ist gekommen, aber mich lassen sie nicht in den Sprecherraum, weil ich gerade mit lädiertem Gesicht im GK-Keller liege. Mein "Erzieher" (diese Bezeichnung wurde von mir nie angewandt) aber spricht mit ihr. Sie wendet sich ab, sucht etwas in ihrer Tasche: "Strafgefangene Kneifel!" trompetet's hinter ihr. — Scherch. Sie erschrickt schrecklich — Hoheneck steht wieder vor ihren Augen! Oberleutnant Scherch wollte sie schocken, das war ihm gelun^ gen. Meiner Frau rinnen die Tränen, dann wird sie wieder nach Hause geschickt, ohne mich gesehen zu haben.

Und die vorsätzlichen Falschinformationen, die eindeutig nicht von der SV Bautzen kamen, vielmehr von der Stasi an "Rechtsanwalt" Vogel, Ostberlin, an die Kirchenleitung usw. Die Teilnahme am Gottesdienst, das Sprechen des Anstaltsgeistlichen, der Erhalt der Bibel, Bezug der Kirchenzeitung "Sonntag" — alles lt. Gesetz garantiert — wurde mir die gesamten 3 1/2 Jahre Arrestkeller verweigert. Sie sagten z.B.: ich wollte ja gar niemanden sprechen oder sehen, nicht meiner Frau schreiben, nicht zum Gottesdienst gehen — ein andermal sagten sie, ich wäre mehrmals zum Gottesdienst gewesen, hätte aber dort "renitent" gestört und die anderen Häftlinge zum Streik aufgerufen (diese Lüge stammte von "Rechtsanwalt" Vogel). Meine Frau, die Kirche, der Bischof wurden belogen und verklapst.

Am 13. Juli 1987 bekomme ich völlig unverhofften Besuch von meiner Frau und dem Landesbischof Dr. Hempel. Tage zuvor hatte die SV ihr Verhalten mir gegenüber total verändert:

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ich bekam gut zu essen, wurde höflich behandelt, nicht mehr geschlagen, bekam neue Kleidung usw. Ich wurde in einen freundlichen Raum gesetzt und wartete gespannt bis... der Besuch kam. Der Bischof kam auf mich zu, umarmte mich und sagte: "Bruder Kneifel, ich bringe Ihnen das Angebot des Staatsratsvorsitzenden, Sie sind frei und dürfen zusammen mit ihrer Frau in die Bundesrepublik ausreisen." Ich sitze auf meinem Stuhl — zum Stehen fehlt mir die Kraft —, bin fassungslos, und das erstemal nach vielen Jahren kommen mir die Tränen.

Honecker hatte mich auf Druck immer breiterer Kreise, westdeutscher Politiker, evangelischer und katholischer Persönlichkeiten und vieler mir größtenteil unbekannter Menschen der DDR und Bundesrepublik begnadigt. Im Vorfeld seines ersten BRD-Besuches wollte der SED-Chef schnell noch einige für ihn unangenehme Sachverhalte ausräumen. Bis zum 13. Juli 1987 hatte ich in jenem Jahr noch keine einzige "Freistunde", keine Zeitung, keinen Besuch bekommen, steckte bis zu sechs Wochen in derselben Wäsche, denselben Socken, hatte nur ein Handtuch zur Verfügung, um Gesicht, Füße, Plasteteller und Plastelöffel abzutrocknen — in diesem feuchten Loch. Diese Reduzierung — bis zu acht Wochen kein Duschen — wurde vom Obermeister Schmidt angewiesen.

Das MfS übernahm meinen Transport von Bautzen bis Eisenach, dort wurde ich vom Wagen des Landesbischofs übernommen und nach Bayern gefahren. Dort angekommen, stellte ich die vorläufig letzte Infamie der Stasi beim Aufschnüren meines persönlichen Gepäcks fest: die wichtigsten belegenden Papiere, nämlich die SV-Ausweise, hatten sie gestohlen, dazu die Fahrerlaubnis, die Armbanduhr und die Post meiner Frau und der Anwälte. Zur Erklärung: einige Tage vor der Entlassung wurden vor meinen Augen sämtliche persönlichen Dinge, Post usw. verpackt, die Behälter plombiert, und ich quittierte für den vollständigen Empfang meines Eigentums.

Der Haß von Stasi und SED auf uns ließ viele Menschen meine ab August 1982 in Freiheit befindliche Frau wie Aussatz meiden, andere wagten nicht und nie, auch nur nach mir zu fragen. Einerseits haben wir's in unserer familiären Umgebung mit unglaublicher Feigheit und Enge zu tun gehabt, andererseits standen uns bis dahin teils völlig fremde Menschen mit ihrer Unerschrockenheit bei, die keinen Zweifel aufkommen ließ, daß sie in unserem Widerstand gegen den institutionalisierten Terror die Verteidigung auch ihrer Menschenwürde sahen. Die vielen Unerschrockenen trugen wesentlich meinen Widerstand hinter den Zuchthausmauern mit; weil kein Mensch auf der Welt ohne Solidarität ein solches Höllenregiment stehend ertragen kann.

Freundschaften, die wir so erwarben, sind ein Gewinn, wie ihn schöner das uns gnädige Schicksal nicht schenken konnte.

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Schwarzenbruck,
Juli 1990  

 

 

 


Das gesprengte Leben. Der Bombenleger von Karl-Marx-Stadt 

Am 9. März 1980 gegen 22 Uhr detonierte am Panzer-Traditionsdenkmal von Karl-Marx-Stadt eine 25 Kilo-Bombe. Josef Keifel, damals 38 Jahre alt, war der Täter.

Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt und 1987 als "Geschenk Honeckers" nach Nürnberg entlassen. Im Film reflektiert er seine Tat, von der er sich distanziert hat.

Die Wucht der Explosion schleuderte zwei Laufräder der sowjetischen T-34 aus den Ketten und ließ in den Wohnhäusern ringsum die Fensterscheiben bersten.

Keifel sieht seine Handlung heute kritisch: "Weil ich Menschenleben gefährdet habe. Man könnte mich einen Terroristen nennen. Aber es war die Tat eines vom System Getriebenen - ein Befreiungsschlag meiner verätzten Seele."

Der heute 63Jährige spielt damit auf seine bewegte Biografie an, die den überzeugten Jungkommunisten zum Oppostionellen werden ließ: Gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings und die Unterordnung des FDGB unter die SED hatte er in Wort und Flugschrift protestiert und wurde wegen Verunglimpfung des Staates zu 10 Monaten Haft verurteilt.

Die Strafe und die Haftbedingungen - als einziger politischer Gefangener saß er mit Schwerkriminellen in einer Zelle - empfand der Idealist und Gerechtigkeitsfanatiker als entwürdigend. Mit der Tat vom 9. März 1980 wollte er gegen das System protestieren. Keifel wurde dafür zu lebenslanger Haft verurteilt, saß davon siebeneinhalb Jahre ab, darunter 14 Monate in totaler Isolation. Man hat ihn gefesselt, geschlagen, in Nässe und Kälte gehalten, bis seine Nieren versagten.

Der Sterbende wurde nach Nürnberg entlassen. Er ist Dialyse-Patient und arbeitet heute im Nürnberger Friedenskreis mit: "Ich war einem Irrtum erlegen. Und habe dafür einen hohen Preis bezahlt."

 

Film von René Römer

www.phoenix.de    Sendetermine   Mi, 22.03.06, 21.45 Uhr     Sa, 25.03.06, 10.45 Uhr  

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www.detopia.de