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7. König von Barysewo 

 

 

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Den Leitern des Kinderheims waren wir als Individuen völlig gleichgültig. Da sie normalerweise ihren Beruf haßten, überließen sie es größtenteils uns selber, wie wir unser Leben führten. Solange wir nicht die Gebäude beschädigten oder die Heimroutine störten, ignorierten sie uns die meiste Zeit.

Wir besaßen die Freiheit, unser eigenes Leben mit einem Minimum von Erwachsenen­einmischung zu organisieren. So schufen wir uns unsere eigene kleine Welt. Sie war genauso aufgebaut wie jede andere Gesellschaft der Außenwelt.

Die Insassen waren in drei fest umrissene Kategorien eingeteilt: die Sklaven, die Leutnants und an der Spitze der König.

Die Sklaven waren die jüngeren Kinder, die kleiner und schwächer waren als die anderen. Ihre Aufgabe war es, die Arbeiten auszuführen, die ihnen von den anderen aufgetragen wurden. Sie waren gezwungen, den über ihnen Stehenden durch körperliche Arbeit untertänig zu dienen. Die meisten Kinder gehörten zu dieser Gruppe.

Die Leutnants, die den Sklaven ihre Arbeit zuwiesen und sie auch überwachten, waren eine kleinere exklusive Gruppe und hatten die Kontrolle über unser tägliches Leben. Sie bildeten einen Elite-Befehls­stand, deren größte Freude es war, die anderen herumzukommandieren.

Über den Leutnants, erhaben über allen, regierte der König. Er war der unbestreitbare Herrscher über alle Kinder im Heim. Gewählt wurde er auf Grund zweier Tests, eines physischen und eines psychologischen. 

Rein körperlich mußte er als Voraussetzung groß und stark sein. Er mußte seine körperliche Überlegenheit dadurch beweisen, daß er in der Lage war, jeden anderen Jungen im Heim, der es auf die "Königswürde" abgesehen hatte, k.o. zu schlagen. Was die psychologische Seite betraf, so mußte er von den Kindern sowohl respektiert als auch gefürchtet werden. Und er mußte schlau genug sein, das verhaßte System im Kinder­heim auszustechen.

 

Das Leben des Königs war verhältnismäßig leicht, hauptsächlich, weil er seine Leutnants unter sich hatte, die seine Befehle ausführten, und alle Sklaven, die ihn von hinten und vorn bedienten und ihm ebenfalls aufs Wort gehorchten.

Ich kann mich nicht mehr an den Jungen erinnern, der König war, als ich nach Barysewo kam. Er war wesentlich älter als ich und mußte schon bald das Heim verlassen, als ich ankam. Nikolei Powalejew wurde sein Nachfolger, und ich war nur ein gewöhnlicher Sklave.

Meine erste Aufgabe als Sklave in Barysewo war es, die Schuhe des Königs zu putzen. Nachdem ich das erledigt hatte, mußte ich Haltung annehmen und auf das entscheidende Wort des Königs warten, ob sie akzeptierbar waren. Während er sie sorgfältig und kritisch musterte, stand ich zitternd daneben und hoffte, daß ich ihm wohlgefällig war. Normalerweise war ich es auch, denn ich war ein ausgezeichneter Schuh­putzer. Ich wurde niemals geschlagen oder angebrüllt, weil ich eine Arbeit schlecht ausgeführt hatte.

Manchmal hatte der König die Idee, im Bett liegen zu bleiben und einen Sklaven zu rufen, um sein Haar mit solcher Sorgfalt zu kämmen, daß es in perfekter Ordnung war, wenn er sich erhob. Auch seine Kleidung mußte sorgfältig in Ordnung gehalten werden, seine Stiefel geputzt und fertig zum Anziehen hingestellt werden. Dann wurde ihm das Frühstück serviert. Alles mußte so abgewickelt werden, wie es einem König zukam. Nachdem der König sich erhoben hatte und für den Tag vorbereitet war, zitierte er seine Leutnants herbei und erteilte ihnen die Befehle des Tages, die sie zur eigentlichen Ausführung an die Sklaven weiterleiten mußten.

Jeder Disput unter den Sklaven mußte vor den König gebracht werden, der seine Leutnants anwies, die streitenden Parteien herzubringen. Manchmal hörte er ihnen geduldig und freundlich zu, manchmal ärgerlich. Nachdem er sich alle Seiten und die Argumente angehört hatte, sprach er sein Urteil, das als endgültiges und oberstes Gesetz galt.

Doch der Thron des Königs wankte ständig. Immer wieder gab es einen Leutnant, der ihn sorgfältig beobachtete, um bei dem geringsten Zeichen von Schwäche zu versuchen, ihn vom Thron zu stürzen und dann seinen Platz einzunehmen.

 

Nachdem ich dieser Gesellschaftsstruktur gewahr wurde, die die Kinder sich geschaffen hatten, fragte ich mich, was Onkel Nitschy und die dicke Irene wohl dazu sagen würden, wenn sie dieses ganze System entdeckten. Zu meiner Überraschung beobachtete ich aber eines Tages, wie Onkel Nitschy mit dem König sprach. Sie diskutierten Regeln, die Onkel Nitschy durchgesetzt haben wollte. 

Jetzt verstand ich! Das System wurde keineswegs vor Onkel Nitschy und der dicken Irene geheimgehalten. Sie wußten sehr gut darüber Bescheid und benutzten es, durch die Autorität des Königs das Kinderheim zu führen.

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Ich blieb nur für kurze Zeit ein Sklave. Als ich etwas größer und stärker geworden war, forderte ich einen der Leutnants heraus, schlug ihn zusammen und nahm seinen Platz ein. Es dauerte nicht lange, bis ich zur Elite-Gruppe der Leutnants gehörte. Die meisten meiner Freunde des inneren Ringes, wie Boris, Alex und andere, wurden Oberleutnants, während Nikolai König war. In unserer Position hatten wir ziemliche Freiheit in allem, was wir tun und lassen wollten.

Ich war entschlossen, der stärkste Junge im Heim und später König zu werden. Das war mein Ziel, und niemand, nicht einmal Nikolai, würde mich daran hindern! Aber da Nikolai mein Freund war, hoffte ich, daß es niemals zu einer persönlichen Auseinandersetzung kommen würde.

Dann eines Tages im Herbst 1965, als ich vierzehn Jahre alt war, riet mich Nikolai zu sich und sagte: "Ich soll in ein anderes Kinderheim kommen, Sergei. Du solltest König hier in Barysewo werden. Du hast das Zeug dazu!" Ich sagte nichts davon, daß ich das sowieso vorgehabt hatte, sondern nur, daß es mir leid täte, daß er fort müßte. "Mach dir keine Gedanken deswegen, Sergei", sagte er. "Ich gehe nicht weit weg. Ich komme in ein Heim in die Nähe von Nowosibirsk."

"Großartig!" sagte ich. "Dann können wir uns öfters in der Stadt treffen."

"Klar", sagte er. "Ich werde dich einigen meiner Freunde vorstellen." In Barysewo ging das Gerücht, daß Nikolai Mörder und Totschläger mit Vornamen kannte. Wenn ich mir vorstellte, daß er mich mit denen bekannt machte! Kriminelle Individuen, die außerhalb des Systems standen, wurden von den Barysewo-Jungen mit respektvoller Achtung bewundert.

Ich verabschiedete mich von Nikolai, und er wechselte in ein anderes Heim über. Wie ich es erwartet hatte, wurde er in kurzer Zeit auch dort zum König ernannt. Ich war sehr froh, daß ich nicht mit ihm um diesen Platz in Barysewo kämpfen mußte. Doch auch so wußte ich, daß es sehr schwer sein würde, den leergewordenen Thron in Barysewo zu gewinnen. Außer mir gab es noch weitere Kandidaten. Nach und nach knöpfte ich mir einen nach dem anderen vor und schlug ihn k.o. Nur einer machte mir wirklich zu schaffen, aber schließlich konnte ich auch ihn erledigen, nachdem ich sein Gesicht eingeschlagen hatte.

Schon bald war es klar, wer der neue König war. Wir hatten nach den Regeln unserer Gesellschaft gekämpft, und ich hatte gewonnen. Falls zu irgendeiner Zeit einmal ein Leutnant der Meinung war, mich schlagen zu können, hatte er durchaus das Recht, es zu versuchen.

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Doch jetzt hatte ich erst einmal gesiegt und wurde zum neuen König von Barysewo gekrönt. Für einen vierzehnjährigen Jungen war das nicht übel.

Ich ernannte meine Freunde des inneren Ringes zu Oberleutnants. Mit ihnen zusammen war ich in der Lage, fast das gesamte Leben im Heim zu dirigieren. Boris, Mikhail Kirilin, Alex und die anderen in meiner Gruppe waren bereit, mir jeden Wunsch zu erfüllen. Brauchte ich Geld, so ließ ich es nur Alex, unseren diebischen "Schatzmeister", wissen. Und spätestens bei Sonnenuntergang kam er jedesmal aus Nowosibirsk zurück und brachte mir das Geld, das ich verlangt hatte. Ich bin jedoch sicher, daß er mindestens die gleiche Summe noch einmal für sich behielt.

Der unangenehmste Teil meiner Aufgaben als König war der, daß ich mit Onkel Nitschy und der dicken Irene verhandeln mußte. Ich verachtete sie. Sie spürten das auch und hielten Abstand. Ich sagte zu Boris: "Ich möchte so wenig wie möglich mit ihnen zu tun haben. Du kannst mit ihnen verhandeln. Ich hasse sie!" Boris akzeptierte diesen Befehl, obwohl er genausowenig für sie übrig hatte wie ich.

Alles in allem verlief das Leben in Barysewo jetzt recht angenehm. In der Schule gehörte ich der kommun­istischen Jugendliga an, und im Kinderheim war ich König. Ich fühlte mich großartig.

Wenn die Kinder sechzehn, siebzehn oder achtzehn Jahre alt wurden, verließen sie das Heim, und ihre Plätze wurden von neuen Kindern eingenommen, die wir nicht kannten. Wir hatten keine Ahnung, wie sehr man sich auf sie verlassen konnte, noch wußten wir sonst etwas über sie. So mußten wir sie, sobald es ging, dem Glühbirnentest unterwerfen, dem gleichen, den ich vor Jahren hatte durchstehen müssen. Wenn ein Junge mit einer Tante oder einem Onkel darüber sprach, vertrauten wir ihm nie wieder. Ab jetzt war er für uns ein Verräter. Hielt er aber den Mund, wurde er von den anderen als vertrauenswürdig akzeptiert.

Wegen des Ärgers, den uns die Spione machen konnten, entwickelten wir besondere Behandlungs­methoden für jeden, den wir dabei erwischten, wie er Informationen über uns weitergab oder spionierte. Einmal war einer der Jungen auf einen anderen wütend, und er verpetzte ihn bei Onkel Nitschy. Onkel Nitschy verabreichte diesem darauf eine Tracht Prügel. Der Verräter war bald entlarvt. Nach den Regeln unserer kleinen Welt mußte er für diese Tat bezahlen. Ihm mußte eine Lektion erteilt werden.

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Ich schickte Boris und Mikhail, um ihn zu holen. Während er schlief, klebten sie ihm ein großes Pflaster auf den Mund und schleppten ihn, der jetzt wild um sich schlug, hinaus. Zwei weitere Jungen leerten den Kasten, der am Fußende seines Bettes stand, wobei sie Zahnbürste, Kleidungsstücke und andere Besitz­tümer auf den Fußboden warfen. Wir trugen ihn und diesen Kasten bis an den Rand einer Schlucht, die sich auf dem Heimgelände befand.

"Macht den Kasten auf", befahl ich. "Und jetzt steckt ihn hinein." Boris und Mikhail stießen den Jungen hinein, schlugen den Deckel zu und verschlossen ihn und brachten ihn dann an den Rand des Abhanges.

Als wir das eine Ende anhoben, schrie ich: "Achtung! Loslassen!" Damit gaben wir ihm noch einen Extraschwung, und der Kasten mit dem Verräter darin rollte kopfüber kullernd und hüpfend, bis er schließlich unten auf dem Boden liegenblieb.

"Gut jetzt! Irgend jemand kann nach unten gehen und ihn herauslassen," ordnete ich an. "Vielleicht hat er jetzt seine Lektion gelernt."

Dieses Verfahren schloß den Mund des Verräters von Stund an. Der arme Junge konnte die nächsten beiden Wochen kaum laufen, überall hatte er blaue Flecken. Aber es war eine Lektion, die er zu lernen hatte. In unserer Welt im Heim in Barysewo war einfach kein Platz für Verräter.

Ich regierte mit aller Härte. Aber ich ließ alle Kinder wissen, daß sie sich nicht zu sorgen brauchten, wenn sie sich einfügten und sich fair benahmen. Ich gab mir alle Mühe, niemals meine Machtstellung auf Kosten der anderen auszunutzen.

 

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Als König fühlte ich mich dazu verpflichtet, soviel wie möglich über die anderen Kinder im Heim in Erfahrung zu bringen. Fast ein Drittel von ihnen war den Eltern weggenommen und nach Barysewo geschickt worden, und ich brannte darauf zu erfahren, warum. Diese Frage hatte mich schon lange beschäftigt.

Was ich dabei erfuhr, versetzte mich in Erstaunen. Einige waren da, weil ihre Mütter Prostituierte oder ihre Väter Trinker waren, andere wieder, weil ihre Eltern an Gott glaubten. Solche Eltern waren vom Staat als nicht "erziehungsfähig" erklärt worden und verloren damit ihre elterlichen Rechte. Ihre Kinder wurden nach Barysewo geschickt.

Einer von denen, deren Eltern Gläubige waren, war ein dreizehnjähriger Junge. Er war mir irgendwie ein Rätsel und war auch in seinem Wesen völlig anders als die anderen. Er war klein für sein Alter, aufgeweckt, intelligent und studierte stets irgendwelche Bücher.

Er verrichtete seine Arbeiten als Sklave, ohne zu murren, aber war sonst sehr zurückgezogen. Wenn er aber schon mit einem anderen Kind sprach, sprach er mit ihm über Gott. Irgendwie faszinierte er mich. Noch nie zuvor hatte jemand in Barysewo oder in einem anderen Heim, in dem ich war, von Gott gesprochen. Einer von uns malte eine Karikatur von ihm an eine Wand und gab ihm dabei das Aussehen eines Priesters mit einem Heiligenschein über dem Kopf und einem Bart im Gesicht. Ein anderer kam dazu und schrieb mit Bleistift darunter: "Der Diakon."

Der Spitzname saß, und von dem Zeitpunkt an wurde er nur noch der Diakon genannt. "Hee, Diakon", rief ich ihm einmal zu, als er an mir vorbeiging. "Komm mal her!" Vom König selbst gerufen zu werden war etwas ganz Besonderes, und so kam er, so schnell es ging, angerannt.

"Stimmt das, was ich von dir höre, daß du umhergehst und von Gott sprichst? Ist das so?"
"Ja... ja, es ist wahr", stammelte er.

"Bist du ein Gläubiger?" fragte ich. Ich war echt neugierig. Bis jetzt hatte ich noch nie einen Gläubigen gesehen. Für mich war es das gleiche, als wenn jemand gefragt hätte, ob er vom Mond oder vom Mars kam. Ich hatte schon einiges über diesen Gläubigen gehört, ja, selbst Gerüchte, daß meine Mutter auch dazu gehört hätte. Ich legte ihm meinen Arm um die Schulter und spazierte mit ihm auf und ab, während er mir von Gott erzählen mußte. Ich begriff schnell, daß dieser Diakon ein richtiger "Missionar" war. 

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Obwohl er meist düster und verschlossen aussah, glühte er förmlich auf, wenn er über Gott sprach. Sein Gesicht erhellte sich, und man bekam ihn gar nicht mehr zum Schweigen. Er fing bei der Erschaffung der Welt an, sprach über Gott und die Menschen und füllte seine Erzählungen mit Geschichten aus der Bibel. Ich war ziemlich perplex. Er war eine Art Kuriosität für mich. Ich nahm ihn ein wenig unter meine Fittiche und unterhielt mich oft mit ihm. Eines Tages im Winter nach einem heftigen Schneefall tummelten wir uns alle vergnügt mit unseren Skiern auf den steilen Abhängen der Schlucht. Der Diakon stand ebenfalls dabei und beobachtete uns. Ich rief ihn zu mir: "Hee, Diakon, hört dein Gott unsere Gebete?"

"Ja, das tut er bestimmt", erwiderte er. Ich sah, wie sein Gesicht zu leuchten begann, und wußte, daß er mir eine neue Predigt geben wollte. "Warte!" sagte ich. "Ich möchte im Moment gerade keine Predigt hören. Ich will nur wissen, ob dein Gott auch Gebete beantwortet."

"Ja, das macht er."
"Gut!" sagte ich. "Das heißt also, daß Gott mir helfen wird, wenn ich ihn darum bitte, noch besser den Berg hinunterzulaufen als zuvor? "
"Natürlich", sagte der Diakon.

"Auch dort drüben?" fragte ich und deutete auf den steilsten und gefährlichsten Abhang im ganzen Umkreis, "wo noch niemand bisher Ski gelaufen ist?"
"Ja, auch dort drüben. Gott wird deine Gebete erhören, Sergei."
"Ich werde ihm eine Chance geben", erwiderte ich.

Alle beobachteten mich, als ich zu dem Vorsprung hinüberging, von dem es steil und kurvig bergab ging. Abfahrtsbereit blieb ich oben stehen. Ich schluckte schwer. Es war die steilste und gefährlichste Abfahrt, an die ich mich je getraut hatte. Ich hatte wirklich Angst.

"Fang an zu beten!" rief ich dem Diakon zu und stieß mich ab. Schnell wie eine Rakete sauste ich nach unten. Zu meiner eigenen Überraschung blieb ich auf den Füßen und kam unten wohlbehalten an! Aufschauend rief ich: "Hee, Diakon, es funktioniert! Es funktioniert!" Ich trug meine Skier wieder nach oben, klopfte dem Diakon anerkennend auf den Rücken und sagte: "Junge, das ist nicht übel. Du und ich, wir müssen zusammenhalten. Du übernimmst das Beten, und ich werde Ski-Weltmeister."

Noch einmal lief ich selbstbewußt den Abhang hinunter, doch diesmal überschlug ich mich schon in der ersten Kurve und rutschte den Abhang mehr auf der Nase hinunter. Alle lachten, bis ich aufsah.

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Dann wurde es still. Ein wenig ängstlich schaute mich der Diakon an.
"
Hee, Diakon!", rief ich. "Was ist denn diesmal passiert? Hat dein Gott geschlafen?"

Ich kletterte den Berg wieder hinauf, warf die Arme hoch und sagte: "Nun, ich glaube, selbst Gott kann nicht immer hinhören, was, Diakon?" Erleichtert atmete er auf.

Einige der Jungen im Heim haßten den Diakon, weil er in der Schule so gut war und dadurch alle anderen weniger gut erscheinen ließ. Glücklicherweise war er nicht in meiner Klasse, sonst hätte ich ihn vielleicht auch nicht leiden können. Als einige Jungen ihn hänselten und ihn sogar mehrmals verprügelten, hörte ich davon und befahl ihnen, damit aufzuhören. Trotzdem neckten und schikanierten sie ihn weiter.

Eines Tages fragte ich ihn: "Diakon, was willst du einmal werden?"

"Hmm", erwiderte er, "ich habe mir schon immer gewünscht, auf eine Bibelschule zu gehen und dort die Bibel zu studieren. Darauf hoffe ich, Sergei, und ich bete jeden Tag dafür, daß Gott mir eines Tages die Möglichkeit dazu gibt."

Er sprach niemals über seine Familie. Einmal hörte ich, wie ein anderer Junge ihn fragte: "Diakon, wo sind eigentlich deine Mutter und dein Vater? Warum bist du überhaupt hier?" Diakon wurde sehr traurig. Noch nie hatte ich traurigere Augen in meinem Leben gesehen. Ein verträumter Ausdruck trat in seine Augen und ein Kloß in seinen Hals. Er konnte nicht sprechen, er stand nur auf und ging in den Schlafraum hinüber. Ich folgte ihm und sah, daß er auf dem Bett lag, ein Kissen auf dem Kopf, und er schluchzte.

Erst später erfuhr ich, daß seine Mutter und sein Vater gläubige Christen waren und in Ogurtsowo lebten, nur 25 Kilometer von Barysewo entfernt. Da sie auch Diakon von Gott erzählt hatten, waren sie vor das Gericht gekommen, für erziehungsunfähig erklärt und auf Lebenszeiten ihrer Elternrechte beraubt worden. Der kleine Diakon wurde offiziell als Waise behandelt und bis zu seiner Volljährigkeit dem Staat unterstellt. Er würde seine Mutter und seinen Vater vorläufig nicht wiedersehen, obwohl sie nur 25 Kilometer entfernt von ihm wohnten. Das war ein hartes Los für einen kleinen Jungen, eine Tragödie, an der er noch sein Leben lang tragen würde.

Jetzt jedoch mußte er mit anderen Problemen fertig werden. Aufgrund seines Glaubens wurde er auch von allen Tanten und Onkels schikaniert. Bei der kleinsten Provokation wurde er hart bestraft und mißhandelt. Onkel Nitschy haßte ihn besonders. Häufig kam er wütend hereingebrüllt: "Wo ist dieser Diakon? Wo steckt der kleine Teufel? Ich habe etwas Vitamin P für ihn." Diakon rutschte zitternd von seinem Bett herunter und ging zu Onkel Nitschy, der ihn grob mit sich hinauszerrte und ihm brutal sein Vitamin P verabreichte.

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Ich habe nie erfahren, was schließlich mit ihm passierte, aber ich war sicher, daß für Leute wie ihn kein Platz in Rußland war. Später erkannte ich, daß es Hunderte von Kinderheimen wie das in Barysewo gab und Hunderte von anderen "Diakonen", die man ihren Eltern fortgenommen hatte. Er war mein erster näherer Kontakt mit einem Menschen, der an Gott glaubte. Und ich werde ihn niemals vergessen.

 

 

 

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