IM-Bericht über den letzten Abend
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BV für Staatssicherheit
Berlin
AbteilungBerlin, den 21.6.1977
Mü. / Tel. 315Operative Information
OV »Oldtimer« - Krug, Manfred und Personen aus dem Umgangskreis.
Quellen: IMV »Salmann« und Ehefrau, zuverlässig, überprüft.
Sonnabend, den 18.6.1977:
Krug befand sich bis in die Nachmittagsstunden auf seinem Grundstück und war mit den Verladearbeiten beschäftigt. Da keine fremden Personen auf dem Grundstück sein durften, war es dem IMV nicht möglich, daran teilzunehmen.
Gegen Abend erschienen dann der Krug und seine Ehefrau sowie der Jurek Becker beim IMV und man verbrachte den Abend gemeinsam in einer ruhigen Trinkerrunde. Dabei wurden allgemeine Gespräche geführt und Ferngesehen und es wurde peinlichst vermieden, über die Problematik der bevorstehenden Ausreise zu sprechen. Gegen 2.00 Uhr verließ der Krug mit seiner Frau die Wohnung und begab sich nach Hause. Jurek Becker begab sich ebenfalls nach Hause. Es wurde so verblieben, daß alle Personen zum Mittagessen gegen 12 Uhr wieder zum IMV kommen.
Sonntag, den 19.6.1977:
Gegen 14 Uhr erschien der Krug mit Familie und der Haushälterin »Engelchen« sowie Jurek Becker zum Mittagessen beim IMV. Danach verließ der Krug wieder das Haus des IMV und begab sich zu seinem Grundstück, um die letzten Sachen zu verpacken.
Der IMV und seine Ehefrau begannen unter kräftiger Mithilfe von Jurek Becker die Abschlußfeier für den Abend vorzubereiten. Zu diesem Zwecke wurden die angefertigten kalten Platten aus dem Restaurant »Stockinger« Schönhauser Allee von Jurek Becker und der Ehefrau des IMV abgeholt und die alkoholischen Getränke eingekauft. (25 Flaschen Wodka, 60 Flaschen Sekt).
Gegen 19.30 erschienen dann die ersten Gäste zur Abschlußfeier. Es waren anwesend:
Krug, Manfred und Ehefrau Ottilie sowie die Haushälterin »Engelchen«.
Günter Kunert und Frau
Klaus Poche und Frau
Jutta Hoffmann allein
Jurek Becker und seine geschiedene Ehefrau Rikke
Pröbrock und Ehefrau
Willy M o e s e und Ehefrau Maria
Armin Müller-Stahl und Ehefrau
Sarah Kirsch - erschienen gemeinsam
Ehepaar Schädlich
Klaus Schlesinger und Bettina Wegner mit Sohn David
Lothar Reher und Frau
Klaus Lenz allein
Mario Peters und Frau (Mitglied der Fischer-Combo)
Günter Fischer und Frau (kam nach 23 Uhr)
Frank Beyer (kam zusammen mit Jutta Hoffmann), und holte gegen 23 Uhr seine Lebensgefährtin, die
Monika Unferferth
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Schauspielerin vom Maxim-Gorki-Theater, Name nicht bekannt, nach Identifizierung durch Beschreibung Monika Lennartz
ein namentlich nicht bekannter Literaturkritiker mit Ehefrau (nach Rücksprache mit HAXX/7 vermutlich Gerhard Wolf und Christa Wolf)
Westberlinerin Helga Seebach
Westberlinerin Charlotte Lehninger (Inhaberin eines Frisiersalons. Bei ihr wird Krug vorerst wohnen)
Mitarbeiter der italienischen Botschaft Pino Magno und Ehefrau
Mitarbeiter der holländischen Botschaft Mallinger und seine Ehefrau Florence (Französin).
Schwester der Ottilie Krug, Regine Bender und Ehemann.
- Der Abend gestaltete sich zu einer ruhigen, fröhlichen Abschiedsfeier. Krug kümmerte sich absolut um gar nichts, sondern saß fast ausschließlich mit den Personen
- Jurek Becker
- Günter Kunert
- Klaus Poche
- dem Literaturkritiker
zusammen und diskutierte mit ihnen. Dabei hielten sie sich abseits und ließen keine weiteren Personen zu diesem Kreis hinzu. Es war dem IMV auch nicht möglich, auf Grund seiner Gastgeberverpflichtungen, Inhalte von dem Gespräch zu erfassen.
- Jutta Hoffmann und Maria Moese heulten die erste Zeit der Feier ständig und versuchten ständig, den K r u g zu umarmen und sich ihm an den Hals zu werfen und eine Trauerfeier aus der Abschiedsfeier zu machen. Das stieß auf den Widerstand der überwiegenden Zahl der Gäste und Maria Moese unterließ dann ihre Bemühungen, weiterhin »verrückt« zu spielen. Dabei trat der Willy Moese dahingehend in Erscheinung, daß er versuchte, so auf sie einzuwirken, daß sie sich vernünftig benehmen soll.
Jutta Hoffmann saß dann fast den ganzen Abend weinend abseits von der Gesellschaft.
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- Krug hielt keine Abschiedsrede und verabschiedete sich nicht einmal von jeder Person und war peinlichst bemüht, daß die ganze Feier in aller Ruhe und aller Stille abläuft. Er trank sehr viel und verließ mit als letzter die Feier gegen 04.00 Uhr. Er hatte kein Wort des Dankes und keinerlei andere Bemerkungen durchblicken lassen, die gegenüber dem IMV und seiner Ehefrau für ihre Bemühungen angebracht gewesen wären, sondern hat das als »selbstverständlichen Freundschaftsdienst« angesehen.
- Ottilie Krug war den ganzen Abend sehr ausgelassen und tollte mit dem Klaus Lenz herum und sprach viel dem Alkohol zu. Der IMV schätzt ein, daß das aber nur gespielt war und sie offensichtlich vorher durch den Krug nochmals instruiert worden sein muß, die »Fröhliche und Ausgelassene« zu spielen.
- Gegen 3.30 Uhr kam es dann noch zu einem Zwischenfall mit dem Klaus Lenz. Dieser war ziemlich betrunken und alle Anwesenden wußten, daß Le n z in solchen Situationen dann durchdreht und »verrückt« spielt. Keiner wußte mehr, wodurch es ausgelöst wurde, aber Lenz brüllte plötzlich im Hause herum und sprang dem R e h e r an die Gurgel und würgte ihn. Dann versuchte er den Krug anzuspringen und beleidigte alle anderen durch übelste Beschimpfungen. Der IMV nahm den Lenz in den Würgegriff und versuchte ihn aus dem Haus zu werfen und wurde dabei von Krug unterstützt. Dabei kam es dann zu Beschimpfungen des Krug beim Rauswerfen des Lenz. Sinngemäß:
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geh doch in deinen Scheißwesten
du und die anderen hier seid doch alle Bourgeois
wenn ich rüberkomme, nehme ich keinen Pfennig von dir, lieber krepiere ich
du bist ein Scheißegoist
Es gelang, den Lenz in das Auto des Becker zu stecken und gemeinsam mit Schlesinger's erfolgte dann der Abtransport von Lenz.
Die anderen Gäste hatten ebenfalls zu unterschiedlichen Zeiten die Feier verlassen. Moeses blieben beim IMV und übernachteten dort.
Bei der Verabschiedung Beyers von Krug brach dieser zusammen und brachte nochmals seine Enttäuschung zum Ausdruck, daß Krug so egoistisch sei und gehe und sich nicht darum kümmere, was aus den Zurückbleibenden und den gemeinsamen Werken werde.
In der Nacht der Feier kamen dann der Pröbrock und die Maria Moese noch auf die Idee, alle Teilnehmer der Feier zur GÜSt zu bestellen und Blumen zu werfen, damit er im <Triumphzug auf einem Blumenteppich> ausreisen könne. Durch das Wirken des IMV und unterstützt von Krug, starb dieses Projekt doch sehr schnell wieder. Krug bat nochmals nachdrücklich darum, daß ihn keiner begleite und äußerte, er wolle sowieso erst am Dienstag früh fahren.
gegen 4.30 Uhr verließen die letzten Gäste die Feier.
Montag, der 20.6.1977:
- Gegen 7.30 Uhr begab sich der IMV zum Grundstück des Krug und half ihm bei letzten Arbeiten zum Verpacken der letzten Güter. Dabei schenkte der Krug in umfangreicher Art und Weise dem IMV noch Einrichtungsgegenstände, Antiquitäten u. a. Dinge mehr.
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Der IMV schätzt ein, daß in der Endphase der Krug ihm restlos vertraute, was nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck kam, daß seine Schenkerei von Dingen, weit über das sonst bei ihm übliche Maß hinausging und er dabei bemüht war, keinem anderen aus seinem engeren Umgangskreis etwas zukommen zu lassen.
Gegen Mittag begab sich der IMV wieder nach Hause. Dort hatten sich inzwischen versammelt
Willy Moese und Frau, die nur mal kurz zu Hause waren und ihren Sohn Heinz Moese geholt hatten.
Pröbrock und Ehefrau
Schwester von Ottilie Krug, Bender, mit Kindern und ihr Mann, und Jurek Becker.
Maria Moese begann wieder verrückt zu spielen, sie halte das nicht mehr aus und wolle unbedingt mit zur GÜSt. Ihr Mann beruhigte sie und ihm gelang es, sie davon zu überzeugen, daß so etwas Quatsch wäre, da Krug allein fahren wolle.
- gegen 13.30 Uhr fuhr Krug dann mit seinem Mercedes mit Anhänger vor und gleich danach kam Ottilie und »Engelchen« mit dem VW. Aus der Beladung der Fahrzeuge war ersichtlich, daß die Ausreise in den nächsten Stunden bevorstand.
Ottilie meinte, sie hätte frische Sachen für die Kinder mit und wolle sie gleich umziehen und durch Pröbrock wurden dann die Kinder geholt. Krug meinte, er fahre noch nicht, sondern wolle den übriggebliebenen Sekt erst noch austrinken, bevor er fahre. Die VP könne ihm gar nichts mehr und außerdem »hängen die Genossen von der Staatssicherheit ja ständig an ihm dran und passen auf, daß ihm nichts passiert.«
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- Der IMV wollte gerade als Krug erschien, den Treff mit dem Mitarbeiter realisieren. Krug belegte ihn sofort mit Beschlag und er konnte wieder nicht weg. Sofort reagierte die Ehefrau des IMV, »daß sie doch auch allein zum Steinmetz fahren könne, um den Boschhammer zu holen, denn der ginge doch morgen in Urlaub und der IMV brauche das Ding ja auch unbedingt«. Damit war der Krug einverstanden und lediglich P r ö b o c k wollte mitkommen. Es gelang der Frau des IMV jedoch allein das Haus zu verlassen. Sie erschien dann zum vereinbarten Treff und berichtete.
- Als sie gegen 15.15 Uhr vom Treff zurückkehrte, machte sich Krug sofort daran, zum Gaudi aller Anwesenden den Boschhammer auszuprobieren und wollte im Atelier des IMV die Wand aufstemmen. Das konnte gerade noch verhindert werden. Als dieser Spaß beendet war, nahm Krug den Becker allein ins Atelier und verabschiedete sich von ihm. Nach ca. 15 min kam Becker weinend aus dem Atelier gestürmt, grüßte kurz die anderen Anwesenden und verschwand sofort.
- Danach verabschiedete sich Krug von Moeses, der Bender und ihrem Mann sowie Pröbrocks. Dann nahm er sich den IMV und seine Frau vor und verabschiedete sich allein von ihnen. Dabei war er bemüht, seine Tränen die anderen Personen nicht sehen zu lassen. Er bedankte sich herzlichst für alles, was sie für ihn getan haben und brachte zum Ausdruck, daß er wünsche, daß ihre Freundschaft, die in den letzten Wochen gereift sei und sich bewährt habe, selbst in härtesten Stunden, auch weiterhin bestehen bleibe. Er werde sich bald bei ihnen melden. Er werde alles tun, damit sie als Zurückbleibende keine Schwierigkeiten bekämen und keinen Repressalien ausgesetzt würden. Er bitte sie darum, nur seinen engsten Freunden Jurek Becker, Moeses und Müller-Stahl Informationen zu geben, die er brieflich oder telefonisch übermitteln werde. (...)
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Dann übergab er dem IMV seine Hausschlüssel und eine Vollmacht, daß alle Vermögensfragen und anderen Fragen, die noch zu seinen Gunsten offenstünden, hier in der DDR zugunsten des IMV übergehen würden. Er umarmte den IMV und seine Frau inniglich und stürzte aus dem Haus, sprang in sein Auto und nahm den 11jährigen Sohn mit und fuhr sofort los. Ottilie verabschiedete sich dann auch unter Tränen und fuhr mit dem VW, den beiden kleinen Kindern und »Engelchen« ebenfalls los. Krug wartete an der Ecke auf sie und gemeinsam verschwanden sie dann aus dem Blickfeld.
Da eine sehr deprimierende Stimmung herrschte, verabschiedeten sich alle Personen nacheinander und verließen das Haus des IMV.
Weiterhin noch erarbeitete Fakten:
- Ottilie brachte in der Nacht der Fete zum Ausdruck, daß sie es kaum erwarten könne, ihren BRD-Paß zu erhalten, um alle wieder in der DDR-Hauptstadt besuchen zu können.
- Von Ottilie ist auch die Grundidee gekommen, das Haus nicht wegzugeben, da sie eine materielle Sicherheit haben wollte, falls dem Manfred Krug mal was zustößt (z. B. Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang). Dann stünde sie mit den Kindern im Westen, wo sie keinen einzigen Verwandten habe, allein da und würde sofort in die DDR zurückkehren. Gleichfalls könnte es ja zu einer Trennung oder sonstetwas kommen und sie wolle dabei eine materielle Sicherheit in der Hinterhand haben.
- Es war eindeutig zu erkennen, daß Krug bemüht war bis zur letzten Sekunde, alle im unklaren zu lassen, wann er denn nun tatsächlich ausreisen werde.
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- Unmittelbar nach dem Verlassen des Hauses des IMV durch den Krug meldete sich Müller-Stahl telefonisch und wollte wissen, ob Krug noch da sei. Krug kam kurz zurück und sprach nochmals telefonisch mit Müller-Stahl. Inhalt des Gespräches konnte nicht erfaßt werden.
- Gegen 17.00 Uhr rief die Frau von Müller-Stahl an, und erkundigte sich ob Krug sich schon aus Westberlin gemeldet habe.
- Kurz vor Abfahrt des Krug versuchte dieser nochmals sich mit Willy Moese anzulegen und beschuldigte ihn ein »seßhafter Typ« zu sein, der keinen Drang nach Veränderung habe. Moese entgegnete darauf sehr sachlich und ruhig und ließ sich nicht provozieren:
- ja, er sei ein seßhafter Typ, das habe er von seinem Vater geerbt und er habe auch keinerlei Ambitionen, die Seite zu wechseln.
- er, Moese, wisse wo seine Grenzen seien und daran halte er sich und die überschreite er auch nicht.
- Der IMV schätzt ein, daß Moese keinesfalls den Schritt von Krug billigt und aus dieser seiner Meinung auch keinen Hehl machte. Das ständige Theater seiner Ehefrau geht ihm auch auf die Nerven, aber er versucht geduldig und ruhig, auf sie einzuwirken und holt sie immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
- Moese meinte zum IMV, daß es nötig wäre, daß dieser letzte Kreis, der noch vorhanden wäre, enger zusammenrücke und lud den IMV und seine Ehefrau sowie Jurek Becker zu sich nach Hause zu einer Grillparty ein. Es käme lediglich noch Rolf Römer mit Frau dazu, aber mehr Leute wolle er nicht mehr um sich haben.
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- Jurek Becker äußerte in der Nacht der Fete, er gebe sich höchstens noch vier Wochen, dann packe er auch. Weitere Kommentare gab er dazu nicht ab.
- in einem vertraulichen Gespräch zwischen der Frau des IMV und der Frau von Müller-Stahl gab diese auf Befragen nach dem Ausreiseantrag ihres Mannes an, daß diese Sache überhaupt noch nicht entschieden sei. Ihr Mann habe noch ein wichtiges Gespräch mit einem führenden Funktionär der Partei und wenn da auf die Forderungen ihres Mannes nicht eingegangen werde, gingen sie auch. Sie habe zwar in der Vergangenheit sich immer dagegen gewehrt, aber jetzt habe sie sich mit dem Gedanken angefreundet, gleichfalls nochmals neu zu beginnen und sie unterstütze ihren Mann dabei. Der IMV und seine Frau schätzen jedoch ein, daß Müller-Stahl jetzt ohne sein Idol und aktivierendes Vorbild Krug allein ziemlich hilflos ist und wahrscheinlich wieder Ruhe um seine Person eintreten wird.
Maßnahmen:
1. Am Abend des 20.6.1977 fand um 17.30 Uhr ein auswertender Treff mit dem IMV und seiner Ehefrau statt. Der IMV war nervlich und körperlich völlig am Ende und fast nicht mehr aufnahmefähig. Beiden wurde mit einem Blumenpräsent und einigen Büchern in feierlicher Form vorerst ein erstes herzliches Dankeschön seitens des MfS für ihre Einsatzbereitschaft ausgesprochen. Der IMV und insbesondere seine Ehefrau waren darüber sehr erfreut und dankbar.
2. Es wurden weitere Einzelheiten des weiteren Vorgehens abgesprochen. Siehe dazu Vermerk.
Verteiler:
1 x Leiter der BV Berlin
1 x Leiter der HA XX
1 X Leiter der HA XX/7 »Müller«
1 x Leiter der Abteilung XX Müller
1 X IMV-Akte Oberleutnant
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[* GÜSt = Grenzübergangstelle]