Günter KunertTröstliche KatastrophenAufzeichnungen 1999 - 2011Notizen im "Big Book" Herausgegeben von Hubert Witt 2013 im Hanser-Verlag |
2013 382 Seiten detopia : |
Für Erika, die Lebensreiche
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Audio dlf Lesebericht von M. Opitz
wikipedia
Hubert_Witt *1935 in Breslau bis 2016
Inhalt
Prolog (7)
1999 (9) 2000 (41) 2001 (67) 2002 (91) 2003 (121)
2004 (133) 2005 (147) 2006 (179) 2007 (211)
2008 (245) 2009 (277) 2010 (303) 2011 (331)
Epilog (365)
Nach-Bemerkungen (367) Zu dieser Ausgabe (382)
Es ist nicht notwendig, daß du aus dem Haus gehst. Bleib bei deinem Tisch und
horche. Franz Kafka, Die Zürauer Aphorismen |
detopia-2019
Buch ist nach meinem Geschmack! Man kann immer drinnen was lesen, sich freuen, dass es noch kluge lebende Leute gibt .... und zufrieden weiterleben.
Nehme mir vor, ihm zu schreiben. Vielleicht gibt er seinen Segen auf detopia.de. Aber ich muss zügig machen, um noch Antwort zu bekommen.
Mir gefällt auch, dass im Bigbook-2013 die Miniaufsätze hintereinanderkommen, chronologisch, unthematisiert. Dadurch ist das immer eine neue Überraschung. So, wie wenn die Tür in der Kneipe aufging, und es kommt jemand herein, mit dem man nicht gerechnet hat.
Februar: Nun schon oft drinn gelesen und weiterhin zufrieden: "Alles ist da" - Persönliches und Weltgeschichtliches.
Klappentext
Einer der bedeutendsten literarischen Essayisten in Deutschland legt ein Buch für krisengeplagte Zeitgenossen vor, das einen starken Trost bereithält: Es kann alles noch viel schlimmer kommen. Kaum einer beobachtet die Fallstricke von Politik und Liebe, Fortschritt und Untergang so genau und so witzig wie Günter Kunert. Im Jahr 1963 - Kunert lebte noch in der DDR - erschien sein erster Gedichtband bei Hanser. Ein halbes Jahrhundert später muss er konstatieren: Ein neues Jahrtausend ändert noch gar nichts, im Gegenteil. Ungeahnte Möglichkeiten tun sich auf, die Welt noch schneller zu ruinieren, mit wissenschaftlichem und ökonomischem Fortschritt, mit großen Worten, um die schlechte Welt schönzureden.
hanser-literaturverlage.de/buch/troestliche-katastrophen/978-3-446-24129-9/
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Man kann das Buch einfach auf einer beliebigen Seite aufschlagen und ist stets fasziniert über so viel Wortkraft, Gedankenschärfe und Urteilsvermögen. Kunerts Alterssicht ist natürlich permanent grau bis schwarz, aber was anderes erwartet der geneigte Leser auch nicht: man will ja an seinem Pessimismus teilhaben, mitschwimmen im Meer der Trostlosigkeit und Bitternis.
Trost kann man entgegen dem Titel eigentlich nicht aus dem Buch herausziehen, aber den täglichen Fatalismus zum Überleben schon. Es ist einfach ein Lesevergnügen. Der Gegensatz wäre ein dumpfbackener Querulant, der nur boshaft stänkern würde, nein, so ist der Kunert nicht. Er kann argumentieren, Sätze zaubern, Wortspiele und Gedankenkonstruktionen entwerfen, die schlichtweg ein Augenschmaus sind. Chronologisch sind Essays, Bruchstücke, Gedankensplitter, Betrachtungen des kleinen und großen Alltags, seiner Umgebung und Betrachtungen der großen Welt aufgezeichnet. Daher muss man dieses Buch nicht von vorn bis hinten lesen, sondern man kann auch vergnügt darin blättern und den bittersüßen Nektar draus saugen, damit wir uns in der uns umgebenden Welt wiederfinden können.
Die Zeit der Schönredner -- 2017 von CVJM bei Amazon
Günter Kunert - wie man ihn kennt. Und kommt der Trost gleich mit hinzu? Seine Sprache und Gedankenwelt strotzt nur so vor Kraft und Ausdauer. Diese braucht man zum täglichen Leben. Günter Kunert meckert nicht, nein er nennt die Dinge beim Namen. Jeder Satz von ihm ist gut überlegt und es macht richtig Freunde in diesem Buch zu lesen. Mitten im Leben, dazu Gedanken, Zweifel aber auch Hoffnung. Günter Kunert führt uns die Welt mit seiner Wirklichkeit vor Augen und all den bitteren Erfahrungen. Es ist wie ein rundum Blick des Betrachtens und des Wahrnehmens. Vor allen betrachtet der Autor dabei die jetzige Politik und ihre Tücken. Erst der Jubel, dann das Vorwärts und am Ende das böse Erwachen. An jeder Ecke wird schon wieder etwas schlimmes angerichtet. Un der Tag der Politiker besteht nur daraus - etwas schönzurenden. Die Geschichte wiederholt sich immer wieder. Es lohnt sich dieses Buch zu lesen......
https://www.perlentaucher.de/buch/guenter-kunert/troestliche-katastrophen.html
Notiz zu SüdZ, 16.07.2013
Günter Kunerts "Tröstliche Katastrophen" sind so schwer bekömmlich, dass es der Rezensentin Frauke Meyer-Gosau gehörig die Leselust verdirbt. Auf knapp vierhundert Seiten hat der Autor seine Aufzeichnungen aus den Jahren 1999 bis 2011 zusammengetragen, und die verheißen seinen Zeitgenossen nichts Gutes. "Gute Nacht, Menschheit", so scheint Kunert nur noch jammern zu können, erklärt die Rezensentin, die Welt ist schlecht und wird noch schlimmer, wer sich eingehend mit der Geschichte beschäftige, könne zu gar keinem andern Schluss mehr kommen. Meyer-Gosau geht so viel "Düsternis der Weltwahrnehmung" nur noch auf die Nerven.
Notiz zu FAZ, 03.07.2013
Wer sich von Günter Kunerts Buch "Tröstliche Katastrophen" wirklich Trost erhofft, dürfte herbe enttäuscht werden, warnt Sabine Brandt. Der Dichter hat darin seine Aufzeichnungen aus den Jahren 1999 bis 2011 versammelt, in denen er viele der politisch-historischen Ereignisse jener Zeit heraufbeschwört, an die auch die Rezensentin sich noch gut erinnern kann. Brandt kommt der Blick des Autors arg hoffnungslos vor, als wollte er gerade den im Titel versprochenen Trost belächeln. Dahinter steckt aber kein "besserwisserischer Hochmut", weiß die Rezensentin. Kunert fordert nur Klarheit über unsere Gegenwart und ihre Missstände, Klarheit über die Welt, wie sie sein könnte und sollte, und Klarheit über die gewaltige Anstrengung, die der Weg von hier nach dort von jedermann einfordert, erklärt Brandt. Ob diese Klarheit tröstlich ist, wagt die Rezensentin zu bezweifeln.
dlf 11.06.2013
Seit gut 35 Jahren schreibt Günter Kunert Gedanken, Prosaminiaturen, Erinnerungsfetzen, Träume in sein „Big Book“. Das Kompendium ist eine Fundgrube, die das Verhältnis von Leben und Schreiben literarisch dokumentiert. Der kürzlich erschienene Band „Tröstliche Katastrophe“ liefert Aufzeichnungen, die zwischen 1999 und 2011 entstanden sind.
Vom „Aussichtsposten“ in Kaisborstel übersieht und kommentiert er „menschliches und unmenschliches Treiben“. Mit sezierendem Blick schaut der 84-jährige Dichter und Essayist auf die moderne Welt, registriert die „Digitalfahrt der Kultur“, gibt sich als kritischer Bewohner des Planeten, deutscher Verhältnisse, des alltäglichen Wahnsinns.
In skeptisch-ironischem Ton liefert er seine Befunde. Schreibanlass sind politisch brisante Ereignisse wie der Übergang ins 21. Jahrhundert, der 11. September 2001, Auswüchse der Finanz- und Wirtschaftskrise, aber auch ganz persönliche Einschnitte, das Älterwerden und Zufälligkeiten des Lebens.
Kunert registriert für sich ein wachsendes Desinteresse an der Welt, während die Lust am Reisen schwindet, begibt er sich auf geistige Erlebnissuche, um neue Gedankenräume zu erobern. Er erschreibt sich täglich die – wie er es nennt – „Existenzberechtigung“. Das Etikett des Nihilisten trägt er inzwischen mit Gelassenheit. Wer dem heiteren Melancholiker begegnet, spürt seine Lebenszugewandtheit. #
Ein Himalaja aus Papier
Sigried Wesener im Gespräch mit Günter Kunert über sein Buch „Tröstliche Katastrophen“
dlf 27.02.2013
Günter Kunert reflektiert in seinem „Big Book“, wie er sein Projekt nennt, die Welt, ihre Erscheinungen und sich selbst. Eine erste Auswahl erschien 2004, nun kommt der Folgeband. Kunert erweist sich als bemerkenswert bissiger Chronist, der es aber inzwischen schafft, seine Beobachtungen mit einer gewissen Altersweisheit zu unterlegen.
Sein „Big Book“ nennt Günter Kunert (geb. 1929) das inzwischen über tausend Seiten umfassende Projekt, mit dem er etwa zu der Zeit begann, als er 1979 die DDR in Richtung Westen verließ und er in dem in Schleswig Holstein gelegenen Itzehoe „landete“. Ein Tagebuch im herkömmlichen Sinn sind diese Notizen nicht. Er schreibt in das „Big Book“ ein, was ihm durch den Kopf geht. Es ist seine ganz individuelle „Auseinandersetzung mit der Welt, ihren Erscheinungen“ und es ist zugleich eine „Begegnung“ mit der eigenen Person.
Anfangs nummerierte er die Notizen, Reflexionen, Betrachtungen, Erinnerungen und Träume. Ab Mitte der achtziger Jahre datierte er sie. Eine erste Auswahl aus dem Kunertschen Kompendium, das in Hebbels Tagebüchern und Lichtenbergs Sudelbücher berühmte Vorbilder besitzt, erschien 2004 unter dem Titel „Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast“ und war von Huber Witt herausgegeben worden. Während diese Notizen noch mit Überschriften versehen wurden, eine heißt „Vom Weltenende“, sind die Aufzeichnungen in dem jüngst erschienenen Band, erneut von Hubert Witt herausgegeben, nun nach Jahren geordnet.
Kunert ist ein Skeptiker, einer der schonungslos auf die Welt schaut und zur Sprache bringt, was Anlass zur Sorge gibt ("Man wirft mir stets vor, ich sei zu pessimistisch, aber man kann gar nicht pessimistisch genug sein, sobald man bereit ist, Lehren aus der Geschichte zu ziehen."). Gern nimmt er sich Meldungen vor, die in den Tageszeitungen unter der Rubrik „Verschiedenes“ oder „Aus aller Welt“ veröffentlicht werden: „Lese in der Zeitung, daß eine Kopftransplantation nicht mehr außerhalb des Möglichen liege.“
Ausgehend von solchen Meldungen, schickt Kunert seine Gedanken auf die Reise. Beflügelt werden sie von Ungeheuerlichkeiten, die er täglich entdeckt. Sie veranlassen Kunert, sich auf ein Thema einzulassen, ihm auf den Grund zu gehen. Was sagen solche Meldungen über die Kultur?
Es gibt wiederkehrende Themen, Motive, die sich durch das Buch ziehen: zunehmende Barbarei, die Bestie Mensch, ein grassierender Analphabetismus, die dünner werdende „Kulturschicht“. Gelegentlich wendet er sich der großen Politik zu und zeigt sie in ihrer Kleinheit. Häufig beziehen sich seine Überlegungen angesichts aktueller Erscheinungen auf die Geschichte und insbesondere auf die NS-Zeit, in der Kunert als Jude zu den Verfolgten zählte.
Günter Kunert ist ein bemerkenswert bissiger Chronist, der das Ungeheuerliche nicht übersieht, sondern es benennt. Inzwischen versteht es der „erkenntnisfördernde Pessimist“, seine Texte mit einer abgeklärten Altersweisheit zu unterlegen, die die intellektuellen Reisen, zu denen Kunert einlädt, zu einem Vergnügen werden lassen.
Vom anschwellenden Gegenwartsgebrabbel lässt er sich nicht einlullen. Wenn er einen zu selbstgefälligen Ton entdeckt, wenn es zu gemütlich wird, hebelt Kunert den ganzen Schmarren mit einer Sprache aus, die scharfzüngig auf das Katastrophale verweist. Das ist außerordentlich wohltuend!
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Besprochen von Michael Opitz
Hunderte Seiten Notizen und Träume
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