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Hanna Delf / Julius Schoeps 

Gustav Landauer - Fritz Mauthner aus dem Briefwechsel von 1890-99 

Quelle: Mauthner-Gesellschaft  

"Wie soll ich Ihnen für all Ihre Güte danken? Sie haben mir in 
schlimmer Zeit wieder auf den Damm geholfen. Bitte danken Sie auch 
dem unbekannten Spender in meinem Namen aufs herzlichste. Ich hätte 
nicht gedacht, daß mein Todesprediger mir so viel Lohn einbringt." 

 


 

Gustav Landauer an Fritz Mauthner
Straßburg, 11.November 1890

Lieber Herr Mauthner!

Wie ich Sie kenne, werden Sie das, was ich Ihnen jetzt schreiben will, nicht anders auffassen, als es gemeint ist; ich hätte sonst 
gar nicht den Mut, mich in der Sache an Sie zu wenden.

Schon als ich in Karlsruhe mich noch befand, stand es mir fest, daß 
ich an einem Wendepunkt meines Lebens angelangt bin und daß ich 
gerade meinen hiesigen Aufenthalt dazu benutzen wollte, um rasch und 
bestimmt die Entscheidung zu treffen. Ich habe sie getroffen und in 
dem Sinne, den ich erwartete.

Obwohl es mir fast seit Beginn meines Studiums fest stand, daß ich 
weder zum Gymnasiallehrer noch zum Privatdozenten der Philologie 
geeignet bin, habe ich mich bisher nicht unfleißig dem Studium der 
Sprach- und Literaturwissenschaft hingegeben; tue das auch jetzt 
noch.

Ihr Rat, den Sie mir in Berlin einmal gaben, jedenfalls ein 
Examen zu machen, war gut, es mag auch für viele das beste oder 
einzig richtige sein; ich kann ihn nicht befolgen. Ich müßte Jahre 
meines Lebens dieser Sache opfern und vollständig hingeben, während 
ich doch fühle, daß ich wenigstens manchmal im Jahre, besonders an 
den Abenden und Nächten (da bin ich ein ganz anderer Mensch) Zeit 
und Stimmung haben muß für andere, für produktiv-künstlerische 
Arbeit. Andererseits beherrsche ich die Methode der 
wissenschaftlichen Tätigkeit genügend, daß mich die Art der meisten 
Herren Dozenten anödet und ich ihrer Materialhäufung, denn darin 
besteht meist ihr Kolleg, so kritisch gegenüberstehe, wie es sich 
für einen demütig Studierenden kaum geziemt.

Die Sache liegt demnach so: Meine schriftstellerische (pfui; was für 
ein Wort!) Begabung in die Breite zerren, mit meinen künstlerischen 
Neigungen Wasser kochen 'will' ich nicht; die meiste Zeit über auf 
der faulen Haut liegen und warten, bis wieder die Zeit an mich 
herankommt, wo ich was rechtes schreiben kann, will ich auch nicht; 
und die viele Zeit, die mir so übrig ist, als Student verbringen, 
kann ich nicht mehr. Auf ein Examen, das mir doch keinen Beruf 
eröffnet, den ich ergreifen wollte oder könnte, verzichte ich. Aber 
Tätigkeit will ich und brauche ich.

Ich nahe mich Ihnen als in aller Bescheidenheit und frage Sie, ob 
Sie nichts für mich wissen oder mir verschaffen können oder mir 
wenigstens einen Rat geben. Ich weiß wohl, daß Sie mich fest für die 
Nebenarbeit, die ich in Berlin bei Ihnen übernahm, für zu jung 
hielten, aber schließlich kann man nicht alle über einen Leisten 
schlagen, und vielleicht gehöre auch ich zu denen, die einen 
besonderen Leisten brauchen.

Ich will frei heraus reden und will auch nicht mit dem zurückhalten: 
Mein Vater hat es von vornherein sehr ungern gesehen, daß ich 
Philologie studierte; er hätte gewünscht, daß ich Mediziner oder 
Jurist geworden wäre. Da er es endlich zugegeben hat, glaubt er 
bestimmt, daß ich, sobald als möglich ein Examen machen und eine 
Anstellung bekommen werde

Dennoch ist ihm meine in geringem Umfange 
betriebene literarische Tätigkeit bisher durchaus nicht mißliebig 
gewesen und wenn ein Buch von mir erscheint, wird er sich sicherlich 
'sehr' freuen, wenn er auch vom Inhalt desselben nicht recht erbaut 
sein mag. Wenn ich ihn mit einem 'fait accompli' überraschen könnte 
und zu ihm zu sagen imstande wäre: Das und das ist mir angeboten 
worden, ich gedenke es anzunehmen - dann würde er sich kaum dagegen 
sträuben. Schwer kränken aber würde es ihn, ja es wäre ihm 
unbegreiflich, wollte ich ihm sagen: Ich hänge das Studium an den 
Nagel, auf einen der üblichen festen Berufe verzichte ich, ich 
arbeite für mich. Das geht natürlich gar nicht.

Und wie gesagt: Rezipieren kann ich nunmehr auf eigenem Wege besser 
als bei den Herren Dozenten, die ein hundertstel brauchbaren Weines 
mit 99 Teilen Wasser vermischen, für das ich keine Verwendung habe. 
Daneben aber bedarf ich produktiver Tätigkeit, die mir hier in 
meiner jetzigen Lebensweise, mehr als recht ist, abgeht.

Warum ich nun Ihnen das alles sage? Was ich von Ihnen denn 
eigentlich erwarte? Das ist mir selber unklar.

Unter Ihrer Aufsicht, für Sie und Ihr Blatt tätig zu sein, das wäre 
ein Ziel aufs innigste zu wünschen. Und ich bin stolz genug um zu 
wissen, daß ich dann 'Deutschland' im engen und weiteren Sinne in 
mancher Hinsicht förderlich sein könnte. Aber ich weiß auch, daß das 
nicht bei Ihnen allein steht. Wüßte ich das nicht, so hätte ich 
Ihnen kaum davon geredet.

Und nun lege ich - nein, ich lege nichts in Ihre Hände. Aber ich 
bitte Sie um eine freundliche Antwort, und wäre Ihnen unendlich 
dankbar, wenn Sie mir helfen könnten, aus der unsicheren Lage, in 
der ich mich widerwillig befinde, herauszukommen.

Manches anders läßt mich noch wünschen, jetzt schon einen soliden 
Grund für meine Zukunft zu zimmern; ich werde es Ihnen nicht näher 
auseinandersetzen müssen.

Wie gesagt, ich trug mich schon länger mit dem Gedanken, in solchem 
Sinne an Sie zu schreiben, doch hatte ich mir vorgenommen, erst die 
endgültige Entscheidung über die Novelle abzuwarten. Doch bin ich 
bei diesem Vorsatz nicht geblieben, weil ich - Sie wissen es" - ein 
ungeduldiger Mensch bin und weil der gegenwärtige Zustand mir mehr 
und mehr peinvoll wird.

Mit herzlichem Gruß in Treue
Ihr Gustav Landauer
Allerheiligengasse 18, I

 

 

Fritz Mauthner an Gustav Landauer

...Sie gefällt mir bis zum Schlusse und ich lange geschwankt, ob ich 
das kecke Werk zum Abdruck bringen soll oder nicht. Ich habe mich 
endgültig für "nein" entschieden, weil ich eine Anklage nicht für 
unmöglich halte und mein junges Blatt davor beschützen muß. Ich 
sende Ihnen aber das Manuskript nicht zurück, weil ich Ihnen den 
Vorschlag machen möchte: Ich will einen Buch-Verleger dafür suchen, 
um dann über das Erschienene meine sehr günstige Meinung 
auszusprechen...

 

Gustav Landauer an Fritz Mauthner
26.6.1892
Karlsruhe, Kaiserstr. 25B

Lieber Mauthner, 

hier erhalten Sie meinen Roman. Da Sie nichts von sich hören lassen, 
schreibe ich Ihnen und werde selbst bald folgen, wenn Sie mir 
schreiben, ob ich Sie zu Hause treffe. Ich möchte Sie bitten, mir 
einen Rat zu geben, an wen ich mich wegen des Verlages wenden soll. 
Ihn im 'Magazin' zu drucken werden Sie keine Lust haben, obwohl er 
nicht sonderlich umfangreich ist.

Ich möchte Sie bitten, falls Sie die Zeit finden, ihn mehrmals ganz 
im Zusammenhang zu lesen. Jedenfalls müssen Sie das 2. Kapitel noch 
einmal lesen, da es Änderungen und Zusätze hat. Das dritte bis 
fünfte ist für Sie neu.

Mit herzlichem Gruß und der Bittte, mir bald zu schreiben bin ich

Ihr Gustav Landauer

 

 

Gustav Landauer an Fritz Mauthner
Bregenz, 20.5.1895
Oberstadt

Lieber Mauthner, 

wir sitzen nunmehr wieder in unserem molligen und gemütlichen Heim 
und es wäre sehr schön, wenn einen die Sorgen zum rechten Leben und 
Arbeiten kommen ließen. Ein sehr schöner Roman geht mir im Kopfe 
herum, ein verrücktes Ding, das 'Der Eskimoheiland' heißen soll, in 
Grönland beginnt und in Kastan's Panoptikum endet, aber ich komme zu 
keiner Sammlung. Die Sache mit dem hiesigen Blatt wird aller 
Voraussicht nach nichts; mit Bestimmtheit sogar nichts. Der Mann ist 
ganz gut - moralisch; weniger gut scheint er geschäftlich. Er dachte 
sich, er bekomme die feste Bezahlung und ich übernehme das Risiko, 
während ich es umgekehrt meinte. Daher auch seine Begeisterung für 
den Plan. Es fehlt also der Boden zur Verständigung. Die 
Verhandlungen sind noch nicht total abgebrochen, da der Mann mich 
eingeladen hat, mich - in irgendwelcher Form - an seinem Geschäft zu 
beteiligen, wofür ich irgendwelche Beschäftigung, vermutlich an 
seiner Tageszeitung, haben könnte. Die Sache wird aber scheitern; 
das Geschäft wird nicht solid genug sein, als daß ich das Geld 
auftreiben könnte.

Ich habe nun vor, wenn sich mir vorher nichts bietet, bis zum Herbst 
hier zu bleiben. Findet sich bis dahin absolut keine lohnende 
Schriftstellerbeschäftigung, so muß ich bis dahin entschlossen sein, 
Medizin zu studieren, wozu ich, als dem ungefähren Ende meines 
literarischen Daseins, die denkbar größte Unlust habe. Auch glaube 
ich nicht, es durchführen zu können, da mein Leben mir dann keinen 
rechten Sinn mehr hätte.

Wenn Sie also noch etwas für mich finden können, was mich und die 
Meinigen, ohne mich als Schriftsteller zu beerdigen, nährt etc., so 
wäre ich Mensch und Schriftsteller Ihnen fürs Leben dankbar. Oder 
können Sie mir wenigstens raten, wie ich es anstellen muß? 
Vielleicht erkunden Sie, wenn möglich, was Curt Baake mit mir 
vorhatte.

Indessen muß ich bis dahin noch leben und meine Hilfsquellen sind 
versiegt. Ich entschließe mich daher zu der Anfrage, ob sich für 
erste noch ein lieber Mann finden kann, der mir noch einmal helfen 
kann? Ich wäre Ihnen und ihnen 'sehr' dankbar. Wäre es nicht denkbar 
- man verfällt auf allerhand Ideen - daß Brahm für sein Theater 
einen "Dramaturgen" oder so etwas brauchen kann? Ich glaube es zwar 
nicht.

Meiner lieben Frau geht es verhältnismäßig recht gut; ganz frei von 
Beschwerden ist sie noch nicht. Unser liebes kleines Kind gedeiht 
hier sehr erfreulich.

Ich hoffe, es geht Ihnen recht gut. Ich übersende Ihnen gleichzeitig 
die Broschüre, von der ich Ihnen sprach.

Seien Sie herzlichst gegrüßt, auch namens der lieben Frau.

Ihr getreuer Gustav Landauer

 

 

Gustav Landauer an Fritz Mauthner
Bregenz, 16.Juli 1895

Lieber Mauthner,

Wie soll ich Ihnen für all Ihre Güte danken? Sie haben mir in 
schlimmer Zeit wieder auf den Damm geholfen. Bitte danken Sie auch 
dem unbekannten Spender in meinem Namen aufs herzlichste. Ich hätte 
nicht gedacht, daß mein 'Todesprediger' mir so viel Lohn einbringt.

Meine liebe Frau wird wohl in wenigen Tagen nach Berlin abreisen - 
ins Krankenhaus. Eine traurige Fahrt. Möge alles gut werden: Ihr 
subjektives Befinden ist durchaus günstig; fast ohne jede 
Beschwerden. Es wäre lieb von Ihnen, wenn Sie sie ab und zu im 
Jüdischen Krankenhaus, Auguststraße 14/6 besuchen wollten. Ich 
schreibe Ihnen bald wieder.

Arbeiten Sie nur tapfer weiter, "als ob Sie ein Philosoph" wären. 
Hoffentlich reißt Ihnen aber nicht gleich mir der Draht ab.

Die Zeitungen riechen jetzt auffällig nach Krieg. Sie sind näher am 
Pulverfaß und haben eine feine Nase. Ist wohl was dran? In diesem 
Fall ließe ich mir am besten rechtzeitig ein Schloß vor den Mund 
machen, um nicht Hochverräter zu werden. 

Die herzlichsten Grüße, auch von meiner Frau, die Ihnen gleich mir 
dankt.

Ihr Gustav Landauer

Ich habe oben vergessen zu bemerken, daß ich mit dem Kind 
hierbleiben werde. Im Herbst aber werden wir uns doch wohl in Berlin 
sehen.

 

Gustav Landauer an Fritz Mauthner
Pankow, 11.2.1896
Spandauerstr.44

Lieber Mauthner,

als ich gestern Abend aus einer imposanten Schneiderversammlung in 
etwas gehobener Stimmung nach Hause kam und Ihren Brief vorfand, 
glaubte ich, einige Worte des Dankes vorzufinden für die Huldigung, 
die ich Ihnen dargebracht. Es kam aber ganz anders, und jetzt bin 
ich bitter betrübt, daß Sie mir so unrecht und sich so weh tun 
können. Und daß die Stellen meines Artikels, die mit dem 'Willen' 
geschrieben waren, Ihnen eine Freude zu machen, Sie zu dem Gedanken 
führten, Ihr Lebenswerk zu vernichten, daß dieser Gedanke so 
nachhaltig war, daß Sie nur ihn mitteilten - was soll ich dazu 
sagen?

Die Tatsachen sind folgende:

Aus Gründen, die lediglich in unserer anarchistischen Bewegung zu 
finden sind, entschließe ich mich, eine Reihe von teilweise 
polemischen Artikeln zu schreiben, der ich den etwas anspruchsvollen 
Titel "Zur Entwicklungsgeschichte des Individuums" gebe. Ich benutze 
die Gelegenheit, 'jahrealte' Ideen, zu deren Aufzeichnung ich die 
Muße nicht finde, anzudeuten; notabene: 'Meine' Ideen. Ich kann 
Ihnen in alten Notizbüchern Aufzeichnungen über 'Individuum und 
Gemeinschaft' zeigen, ebenso über einen großen Plan, von dem ich 
Ihnen vor langem gesprochen: 'Der Organismus ein 
Herrschaftssystem'... In diesem Buch sollte nur ein kleiner Teil von 
dem ausgearbeitet werden, was ich noch länger schon plane und wozu 
ich in Sorau studierte, eine 'Kritik der Schopenhauerschen 
Philosophie'. Meine Excerpte aus SCHOPENHAUER und meine darin 
enthaltenen eigenen Bemerkungen (in Sorau geschrieben) stehen Ihnen 
zur Verfügung, zum Beweis, daß was ich in jenen Artikeln geschrieben 
habe, von Anfang bis zu Ende, inhaltlich 'meine' Gedanken sind.

In dem Bewußtsein aber, daß im wesentlichsten Punkte Sie da, was 
'auch' mein ist schon vorher mein war, viel besser, schärfer, 
klarer, umfassender, ausgesprochen haben, in dem Gedanken, daß Sie 
der Mann sind, der das grundlegende Buch dieser neuen Anschauung 
schreibt, ferner, daß ich nicht mehr 'genau' auseinanderhalten kann, 
was von der Form und dem Ausdruck meiner Gedanken mein ist und was 
auf Sie zurückgeht, komme ich im Moment des Schreibens auf den 
Einfall, vorerst nur für Sie verständlich, im Hinblick auf die 
Zukunft 'Ihnen die Priorität zu wahren', damit es nicht späterhin 
einem Schurken einfallen kann, mich gegen Sie auszuspielen.

Im Laufe des Artikels kommt mir dann noch, wie klein meine Einfälle 
gegenüber Ihrem Gedanken und Ihrer Ausarbeitung sind, und ich 
schließe diesen Artikel mit dem Bewußtsein, Ihnen zu huldigen, mit 
einem wieder nur Ihnen verständlichen Hymnus auf Mauthner. - Und 
nun, lieber Mauthner, regen Sie sich so ohne jeden Grund auf, und 
schreiben mir einen so bösen Brief, wo jedes Wort, das dasteht, und 
manches, das nicht dasteht, mich aufs tiefste verwunden muß. Sie 
schreiben, jeder beliebige Broschürenschreiber könne Sie nun um die 
Frucht Ihrer Arbeit bringen; und damit ich ja diese Stelle im 
bösesten Sinne verstehen muß, deuten Sie am Schluß die Möglichkeit 
an, 'ich' könne meine Artikel als Broschüre herausgeben. Und dann 
jene andere Stelle, wo Sie schreiben, daß Sie im Falle des Todes 
mich mit der Herausgabe des Werkes betrauen wollten; "so aber habe 
ich's nicht gemeint". Das heißt: Der Landauer hat den Versuch 
gemacht, schon bei Lebzeiten meine Erbschaft anzutreten und 
Leichenraub zu treiben.

Nun aber will ich lieber aufhören; denn der Zorn, den ich seit 
gestern Abend nahen fühlte, ist soeben angelangt.

Lieber Mauthner: Ich habe mich in dem Artikel als Freund gezeigt, 
der 'peinlich' darauf achtet, daß Ihnen bleibt, was Ihnen gehört. 
Sie aber stellen mich als leichtfertigen Dieb und Verräter hin. 
Bitte, wir wollen nicht um Worte streiten - wir wollen überhaupt 
nicht streiten. Es soll mich sogar freuen, wenn es Ihnen wohler 
geworden ist, dadurch daß Sie mir weh getan haben.

Ich bitte Sie, wenn Sie wieder ruhiger geworden sind, was 
hoffentlich bald der Fall, um einige Zeilen der Freundschaft; Sie 
müssen einsehen, daß meine Absichten nicht nur "harmlose" waren 
(auch dieses Wort ist verletzend, weil es mir nicht 'genug' tut), 
sondern reine und edle.

Endlich: Wirkung, in irgendwelchem Sinne, der Ihren Befürchtungen 
nahe käme, wird dieser Artikel ganz und gar nicht tun. Kein Mensch 
außerhalb des 'Sozialist'-Leserkreises wird ihn beachten; und kein 
Mensch wird meine Privathuldigung verstehen 'können'.

Es tut mir von Herzen leid, daß ich Sie , der ich das Gegenteil 
wollte, in Ihrer Arbeit und Ihrer Gemütsruhe, die Sie dringend 
benötigen, gestört habe. Möge diese Stimmung des Mißtrauens recht 
bald weichen, möge Ihre große, gewaltige Arbeit so weiter gedeihen 
und möge bald der Tag kommen, wo ich mein "Heil dem Manne!", das ich 
Ihnen jetzt privatim zurief, um einen schwer Geprüften zu erfreuen, 
auch öffentlich und vor aller Welt bekunden kann.

Mit den herzlichsten Grüßen, 'nicht nur' an Sie (wer mag zu dem 
Unheil beigetragen haben?)

Ihr getreuer G.L.

 

Gustav Landauer an Fritz Mauthner
Tegel, 27.9.1899

Lieber Mauthner, ich habe schon wieder Bitten.

Wollen Sie mir möglichst umgehend 150 Zigarren zusenden lassen? Da 
ich täglich 'eine' rauchen darf, werden sie gerade ungefähr reichen 
und ich werde sie als eine Art Kalender benutzen können. Dieser 
Umstand veranlaßt mich auch zu der Bitte, daß Sie kein kleines 
Format wählen.

Ich benutze die Gelegenheit gleich zu der Mitteilung, daß ich die 
Bücher, von denen Sie mir welche schicken wollten, recht bald 
brauchen könnte. Vielleicht geht es in einem Paket.

Ich werde morgen mit dem Abschnitt 'Sprachwissenschaft' fertig 
werden. Dazu werde ich ihnen nicht viel zu bemerken haben, und nur 
solches, was sich auf das Druckfertig-Machen bezieht. Indessen bin 
ich doch der Meinung, daß die Psychologie an den Anfang gehört. Das 
Ganze ist ja doch Psychologie größten Stils, da müssen die 
Grundfragen am Anfang behandelt werden, meine ich.

Sie kamen mir das letzte Mal etwas gehetzt vor, bitte schonen Sie 
sich! Und besuchen Sie mich nur, wenn es Ihre Gesundheit und Ihre 
Zeit erlaubt. Ich werde auch so getreulich an Ihrem Werk 
weiterarbeiten. Mir geht es gut.

Mit bestem Gruß Ihr G. Landauer

Noch eine Bitte: Eine Büchse Zahnpasta und eine Schachtel Zahnpulver 
sollte dem Paket beiliegen. - Ja, ja, das kommt vom Verkehr mit 
gefangenen Junggesellen!

 

 

Gustav Landauer an Fritz Mauthner
30. September 1899

Lieber verehrter Freund,

das tut mir von Herzen leid, daß Sie wieder einmal ausspannen 
müssen; überrascht hat es mich, offen gesagt, nicht, Sie kamen mir, 
als Sie das letzte Mal hier waren, recht angegriffen vor. Nun lassen 
Sie es aber eine rechte, eine große Ruhe sein und sein Sie dessen 
recht sehr bewußt, daß kein Mensch in der Welt sie so redlich 
verdient hat wie Sie.

Niemand aber auch in der Welt sowie ich ist im Stande, Ihnen zu 
sagen, daß Sie sich diese Ruhe getrost gönnen 'dürfen'. Sie wissen, 
ich bin ein wenig geradezu, und habe nicht aller Welt sondern meine 
eigene Lebensart. Nehmen Sie es also hin, daß ich Ihnen ins Gesicht 
sage, daß Sie mit Ihrer Lebensarbeit eine grandiose 'Tat' getan 
haben und daß diese Tat Ihnen gelungen ist! Ich glaube, 'das' 
Bewußtsein haben Sie nicht genügend, und ich würde es mir als kein 
kleines Verdienst anrechnen, wenn ich es Ihnen beibringen könnte, 
daß Ihr Werk (ohne Nebensinn diesmal!) 'so gut wie fertig' ist. Sie 
erinnern mich in 'dem' Sinne an HELMHOLTZ, daß auf dem Gebiet, das 
Sie bearbeiten, andere nicht mehr viel zu beackern finden.

Sie haben, das kann man ruhig sagen, die 'Sprachkritik' für uns 
geschaffen; und haben sie außerdem so kolossal, vehement und 
eindringend ausgebaut, daß das, was jetzt noch zu tun ist, von Ihnen 
ohne jede Erregtheit ganz gemählich, jetzt oder später und, wenn's 
not täte, auch gar nicht, getan werden kann. In Ihnen arbeitet seit 
Jahren kaum etwas anderes als dieses Fieber: Ich muß mein Werk 
fertig machen! Bei Gott, ich hätte Sie auch darin nicht stören 
mögen, selbst auf Kosten Ihrer Gesundheit. Jetzt aber sehe ich mit 
großer Freude: Seien Sie versichert, für 'jeden', der lesen kann, 
ist das Werk 'fertig'. Was noch not tut, ist eine verflucht 
mühevolle und ziemlich langweilige Arbeit für den, der es 
geschrieben hat, aber in jedem Fall nichts Drängendes, nicht's, 
worauf's je ankommen kann: Denn was das Wichtigste ist, ist 
unverlierbar. 

Die Forschungen, die Untersuchungen, die Betrachtungen, die noch 
beizutragen sind, die werden schon noch beigetragen werden, in 
diesem oder im nächsten Jahrhundert. Sie haben uns mit einer 
unvergleichlichen Bestimmtheit und Klarheit auf die rechten Wege 
geleitet. Sie 'können' getrost und wahrhaft ruhig ausspannen. Und 
tun Sie es, ich bitte Sie herzlich darum. Ich schreibe so 
eindringlich, weil ich das Gefühl habe, es harrt noch ein schönes 
Stück Leben und Arbeit auf Sie; von allem andern abgesehen müssen 
Sie Ihr schönes Talent, ein Privatmensch zu sein, pflegen. Seien 
Sie, 'bitte', um 'mich' gar 'nicht' besorgt! Das sehen Sie ja doch 
wohl selbst, daß ich mir zu helfen weiß.

Mit der Arbeit geht es gut voran: Wenn Sie gesund sind, mache ich 
weitere Vorschläge zu Ihrer Bequemlichkeit, zur Erleichterung des 
Druckfertig-Machens. Hol der Teufel al diese Äußerlichkeiten, die 
für den Kern von gar keinem Belang sind! Das heißt, ich wäre sehr 
gern dieser Teufel um Ihretwillen.

Ihr G.L.

 

 

Fritz Mauthner an Gustav Landauer 
Grunewald, den 5.10.1899

Lieber Landauer!

Ich muß nun doch abreisen, ohne mit Ihnen über die Weiterarbeit 
persönlich Rücksprache genommen zu haben. Der Arzt hat mir jede 
Berufstätigkeit verboten. Gestern habe ich mein Werk nach langer 
Pause angesehen, habe neues Vertrauen in die Zukunft gefaßt, die 
Stunde aber mit sehr heftigen Kopfschmerzen bezahlt.

Also nur einige dringende geschäftliche Mitteilungen. Ich lege 2 
kleine Stücke bei. Nr.338 hatten Sie offenbar aus Versehen dem 
psychologischen Teile beigepackt. Ich finde sie gemäß und füge 
Nr.153 bei, die ebenfalls besser in die Logik paßt.

Sollten Sie binnen 8 Tagen keine andere Adresse von mir erhalten, so 
bitte ich Sie, mir dann unter der Adresse: FM im Sanatorium 
Janofskov Winternitz Kaltenleutgeben bei Wien, über den Fortgang der 
Arbeit zu berichten. Sollten Sie Papiere, Bücher und dergleichen, 
kurz was mein Werk betrifft brauchen, so bitte ich Sie, sich an 
meine Haushälterin Frl. Grigorowicz zu wenden, der ich Bescheid 
gesagt habe. Sehr erwünscht wäre es mir, wenn Sie für mich einzelnes 
aus dem mittelalterlichen Theosophen Eckhart übersetzen wollten. Sie 
werden das Buch nächstens erhalten.

Mit besten Grüßen Ihr
Fritz Mauthner

 

 

Gustav Landauer an Fritz Mauthner
Strafgefängnis Tegel, 27.12.1899

Lieber Mauthner,

empfangen Sie, Ihre Tochter und Frl. Grigorowicz meinen herzlichen 
Dank für Ihre schönen Weihnachtsgaben und auch für Ihre freundlichen 
Begleitzeilen. Indessen komme ich heute schon wieder mit einer 
Bitte: Meine Zigarren sind, da ich seit geraumer Zeit tägliche zwei 
rauche, ausgegangen, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir noch 
100 Stück schicken wollten. Die Zigaretten von Frl. Grete rauche ich 
daneben als Extraluxus.

Mit meiner Eckhart-Übersetzung bin ich gerade rechtzeitig fertig 
geworden, um eine Abschrift zu Weihnachten an eine Ihnen bekannte 
Dame senden zu können. Ich glaube, sie wäre gerne bereit, Ihnen 
einiges daraus vorzulesen; es ist fast in jedem Stück vieles, was 
Sie sehr interessieren würde. Ich empfehle besonder Predigt 
6,9,12,14 und vor allem 16; dann auch die Fragmente.

Hoffentlich bleibt es nun dauernd gut mit Ihrer Gesundheit. Ich kann 
zufrieden sein.

Ich denke - falls Sie mir die Bücher aus der Kgl. Bibliothek 
besorgen können- mit der Einleitung zu Meister Eckhart hier noch 
fertig zu werden.

Ihr Manuskript habe ich beinahe durchgearbeitet; natürlich werden 
wir mancherlei darüber zu sprechen haben, was aber fast nur die 
äußerliche Anordnung, Zusammenziehung mehrerer Stücke in eines und 
dergl. betrifft. Es hat mir sehr viele gut und köstliche Stunden 
bereitet.

Mit herzlichem Gruß
Ihr Gustav Landauer 

 

 

Literatur: Hanna Delf /Julius H. Schoeps (Hrsg): Gustav Landauer - 
Fritz Mauthner: Briefwechsel 1890-1919, München 1994 
® mauthner - gesellschaft / verein der sprachkritiker / 12.5.98

 


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