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31 - Weine nicht, blauer Planet 

Lauterburg-1998, Schluss

 

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   Ein Pünktchen im All   

Haben Sie sich schon einmal vergegenwärtigt, in was für einer Umgebung die Erde sich befindet, auf der wir leben? Stellen Sie sich vor, in jeder deutschen Stadt gäbe es eine Erbse. Und sonst nichts. Keine Häuser, keinen Boden, keine Luft. Nur eine Erbse. Dann wären diese Erbsen ungefähr so im Raum verteilt, wie die Sterne unserer Milchstraße im Raum verteilt sind. Dazwischen: schwarzer, kalter, leerer Raum.

Aber die Milchstraße ist eine Galaxie, eine Ballung von hundert Milliarden Sternen, die zusammen einen Sternhaufen bilden — in Form eines gigantischen Spiralnebels. Das Licht braucht 120.000 Jahre, um vom einen Ende der Milchstraße ans andere zu gelangen. Und doch sind die Sterne hier noch verhältnismäßig eng zusammengepackt. Von unserer Sonne bis zum nächst­gelegenen Stern in unserer Milchstraße braucht das Licht vier Jahre — von der nächstgelegenen Galaxie, dem Andromeda­nebel, bis zu unserer Milchstraße mehr als zwei Millionen Jahre. Der Andromedanebel und die Milchstraße gehören aber zu einem Galaxienhaufen. Zu anderen, entfernteren Galaxien braucht das Licht mehrere Hundert Millionen oder gar Milliarden Jahre. Dazwischen: nichts.

So dünn ist das Universum besiedelt, in dem wir uns befinden. Soviel eiskalter, leerer Raum befindet sich zwischen den Stellen im All, wo mehr ist als nichts. Wie leer der Weltraum tatsächlich ist, erkennen Sie allein schon daran, daß Sie bei klarem Wetter so viele Sterne, deren Licht Jahre und Jahrzehnte zu uns unterwegs ist, von bloßem Auge sehen können — und dies auch noch durch unsere verdreckte Atmosphäre hindurch. Der größte Teil des Raumes ist frei von Materie. Da findet man gar nichts — mit Ausnahme von Licht- und anderen Wellen, die sich durch das Weltall bewegen. Reste von Licht gibt es fast überall, außer im Kern eines schwarzen Loches, dort, wo alles aufhört — nach Einstein sogar die Zeit.

   Als Folge einer Verkettung glücklicher Umstände ...  

Wir sind also umgeben von einem schier unendlich weiten, leeren Raum. Haben Sie sich schon einmal vergegen­wärtigt, welch unglaub­licher Kombination besonderer Umstände wir es zu verdanken haben, daß auf unserer Erde so etwas wie Leben möglich ist?

Nicht jeder Stern hat Planeten. Ein abgesprengter Teil muß immerhin genau so in der Balance bleiben, daß er weder auf den Stern zurückstürzt noch dessen Kraftfeld verläßt.

Ist ein Planet sehr groß, hat er eine so starke Anziehungskraft, daß sich an seiner Oberfläche der stärkste Muskelmann nicht auf die Beine erheben könnte. Wir würden durch unser eigenes Gewicht plattgedrückt wie Pfannkuchen. Ist er klein, besitzt er fast keine Schwerkraft. Nichts was nicht niet- und nagelfest ist, würde auf seiner Oberfläche bleiben. Alles würde bei der geringsten Bewegung in die Tiefen des Weltalls entschwinden. Allein schon das Kaliber reduziert also die Zahl der Planeten, die Chancen haben, jemals Leben hervorzubringen.

Ist die Umlaufbahn des Planeten zu weit vom Mutterstern entfernt, herrscht Eiseskälte — befindet sie sich zu nahe, herrscht eine Hitzestrahlung, mit der man Hähnchen grillen oder gar Stahlplatten schweißen könnte. In beiden Fällen ist an Leben nicht zu denken.

Als nächstes wird Wasser benötigt — und zwar in rauhen Mengen. Dieses kommt im Weltraum vor. Kometen bestehen zu einem großen Teil aus Eis. Niemand weiß, ob das Wasser unserer Ozeane auf der Erde entstanden oder irgendwann einmal mit besonders vielen oder besonders großen Kometen aus dem Weltraum zu uns gekommen ist. Wie auch immer — die Wahr­schein­lichkeit, daß es auf einem Planeten genügend Wasser gibt, ist nicht sehr groß.

Wenn es dann darum geht, außerhalb des Wassers höher entwickelten Lebewesen ein Zuhause zu bieten, wird eine Atmosphäre gebraucht — ein noch viel seltener anzutreffendes Phänomen als Wasser. Eine Atmosphäre, wie wir sie haben — mit viel Sauerstoff und wenig Gift — wird ohnehin nicht ab Werk mitgeliefert. Bei uns hat sie sich im Laufe von Jahrmilliarden gebildet — durch den Stoffwechsel bereits früh entstandener Cyano­bakterien und Algen im Meer.

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Aber Sauerstoff allein genügt noch lange nicht. Die Strahlen eines Sterns wie der Sonne kann man brauchen, um Konfitüre oder chirurgische Instrumente zu sterilisieren. Wenn man will, daß auch an der Oberfläche Leben gedeihen soll, braucht man einen Schutz vor der tödlichen Ultraviolettstrahlung — einen Ozonschild, wie er sich freundlicher­weise in den höheren Schichten unserer Atmosphäre gebildet hat. Ohne ihn gäbe es, wenn überhaupt, nur im Meer Leben.

   Ein Phänomen genannt Leben  

Wenn einmal Bedingungen vorhanden sind, die Leben theoretisch ermöglichen würden, bedeutet dies noch lange nicht, daß Leben auch tatsächlich entsteht. Wie es auf der Erde dazu gekommen ist, wissen wir nicht genau. Aber eines hat man unlängst heraus­gefunden:

Normalerweise würden wir im Durchschnitt ungefähr alle 100.000 Jahre einmal von einem großen Brocken aus dem Weltraum getroffen, von einem Kometen oder Meteoriten, der alles oder fast alles Leben auf der Erde auslöschen würde. Wie letztmals geschehen vor 65 Millionen Jahren. Die Zeitspannen zwischen den Einschlägen wären zu kurz, als daß sich höher organisierte Formen von Leben entwickeln könnten. Dazu braucht die Evolution Millionen von Jahren.

Doch siehe da, auch hier ist uns ein unwahrscheinlicher Zufall zu Hilfe gekommen. Sein Name ist Jupiter. Dieser Gigant unter den Planeten ist 1400 mal größer und fast 400mal schwerer als die Erde, verfügt über eine enorme Schwerkraft und befindet sich auf einer für uns günstigen, äußeren Umlaufbahn um die Sonne. Er fungiert gewissermaßen als Staubsauger unseres Sonnensystems. Er zieht einen Teil des Weltraumschrotts an sich, der uns früher oder später treffen könnte. Jupiter haben wir also zunächst einmal unsere Existenz zu verdanken — lange bevor unsere Eltern zum Zuge gekommen sind.

Und nun frage ich Sie: Ist das nicht ein unwahrscheinliches Glück? Man würde wirklich weit reisen müssen, um wieder einen Himmelskörper zu finden, der auch nur annähernd so wohnliche Bedingungen bieten würde wie unsere Erde. 

Die Wahrschein­lichkeit spricht zwar dafür, daß es woanders auch noch Leben gibt. Allein in dem für uns sichtbaren Teil des Universums befinden sich 100 Milliarden Galaxien. 

Stellen Sie sich einen würfel­förmigen Behälter von 50 Metern Länge, Breite und Höhe vor. Wenn jede Galaxie ein Kügelchen von einem Millimeter Durchmesser wäre, würden diese Kügelchen, dicht an dicht gepackt, den Behälter bis zum Rand füllen. Und in jedem einzelnen "Kügelchen" befinden sich so viele Sterne, wie es Kügelchen im Behälter gibt.

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Aufgrund von Wahrscheinlichkeits­berechnungen geht man heute davon aus, daß es in unserem Universum Milliarden und Abermilliarden von Planeten gibt, die Leben beherbergen — ähnliches wie die Erde oder auch ganz anderes. Und so selten dies vorkommen mag — im gesamten Universum gibt es bestimmt an unzähligen Stellen intelligentes Leben. Ein Astrophysiker hat dies einmal so ausgedrückt: "Irgendwo gibt es eine Cricket­mannschaft, die besser ist als die britische."

Aber es wäre ein unglaublicher Glücksfall, wenn wir je davon erfahren würden. Die Distanzen im Weltraum sind ganz einfach zu groß. Wenn das Licht einer anderen Galaxie Jahrmillionen braucht, bis es bei uns ist, werden wir kaum feststellen können, ob es dort irgendwo, in einem von Milliarden Sonnen­systemen, einen Planeten gibt, der Leben beherbergt — und wenn, hätten wir nur einen Blick in die Geschichte dieses Planeten getan. Die Verhältnisse dort hätten sich inzwischen längst wieder verändert. Von den entfernteren Sternen, die wir heute sehen können, wissen wir, daß sie schon lange nicht mehr existieren. Sie existierten, als ihr Licht auf die Reise ging.

Um im Weltall größere Distanzen überwinden zu können, müßten wir mit Lichtge­schwindigkeit reisen können. Dies wird aber nach heutigem Erkenntnis­stand aus physikalischen Gründen nie möglich sein. Und auch wenn wir es könnten: Wer auf die Reise ginge, müßte alle Brücken hinter sich abreißen. Denn wenn er nach einer Reise zu entfernteren Sternen allein schon nur innerhalb unserer Milchstraße zurückkäme, wären auf der Erde inzwischen zehn-, fünfzig- oder hundert­tausend Jahre vergangen. 

Das sind schlechte Aussichten für diejenigen, die immer noch davon träumen, außerhalb unseres Sonnensystems den Weltraum zu kolonisieren. Wir sind weit herum allein auf unserem kleinen, verletzlichen Raumschiff Erde.  Finden Sie nicht, daß dieses seltene Kleinod Besseres verdient hätte, als das, was wir mit ihm gemacht haben?

   Die Kraft der Natur  

Wer jemals in seinem Leben einen Kampf gegen Dornen, Schlingpflanzen, Seerosen, Algen, gegen Engerlinge, Blattläuse, Tausend­füßler, Kartoffelkäfer, Motten, Holzböcke, Ratten, Mücken oder Schnecken geführt und verloren hat, weiß, was das ist: die Kraft der Natur. Wo immer in der Natur eine Nische frei ist, wird sie von irgendjemandem besetzt. Der Versuch, sie dauerhaft freizuhalten, ist ein Kampf gegen Windmühlen. Gegen Lebewesen, die sich in Massen fortpflanzen, ist letztlich kein Kraut gewachsen. Wer sie bekämpft, kann immer nur eine Schlacht, nie den Krieg gewinnen.

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Mitten in einer völlig zersiedelten und zubetonierten Gegend, im siebten Stockwerk eines modernen Wohnblocks, abgeriegelt durch eine Eingangs­türe aus Stahl und Glas, die rund um die Uhr geschlossen bleibt, hat sich bei Bekannten von mir ein reizendes kleines Feldmäuschen in einem Küchenschrank häuslich niedergelassen. Wenn es nicht vom Himmel gefallen oder über die glatte Außenfassade zwanzig Meter senkrecht hochspaziert ist, kann es nur durch die Kabelkanäle gekommen sein. Früher oder später hätte es eine Familie gegründet. Bei aller Tierliebe sahen sich meine Bekannten gezwungen, das Schlupfloch zum Kabelkanal sorgfältig zu verstopfen.

Tierarten, die besonders gut an ihre Umwelt angepaßt sind, können lange Zeit überleben, ohne sich zu verändern. Es gibt Haifischarten, die seit mehreren hundert Millionen Jahren praktisch unverändert geblieben sind. Dies ist allerdings die Ausnahme. Die meisten Arten sind früher oder später in ihrer Existenz bedroht. Die Nahrung versiegt. Das Klima verändert sich. Eine andere Art hat sich entwickelt, die ihr den Lebensraum streitig macht. Fast jede Art kommt irgendeinmal an einen Punkt, wo es heißt: Anpassung oder Untergang. Viele gehen unter. Einzelne aber entwickeln neue, komplexere Überlebens­strategien. Die Evolutions­forscher sprechen von <Challenge and Response>: Herausforderung und Antwort. Wir selbst sind so entstanden. Mit unseren körperlichen Handicaps den großen Raubtieren gegenüber hätten wir wahrscheinlich nur als Affen auf den Bäumen Chancen gehabt, längerfristig zu überleben — wenn wir nicht besonders intelligente Strategien entwickelt hätten, um unsere Existenz auch im freien Gelände fristen zu können.

    Verdrängungswettbewerb  

Im Kampf der Arten um die vorhandenen Lebensräume zeigt sich immer wieder, zu was für grandiosen Anpassungs­leistungen die Evolution führen kann. Wo immer wieder ein bestimmtes Gift vorkommt, gibt es früher oder später Pflanzen und Tiere, die gegen dieses Gift immun sind. Begeben Sie sich um Gottes Willen nie in ein Krankenhaus. Sie könnten dort ernsthaft krank werden. Die potentiell gefährlichsten Keime haben sich in Krankenhäusern eingenistet. Kein Antibiotikum kann ihnen etwas anhaben. Sie sind im Laufe der Zeit gegen alles immun geworden, was die chemische Industrie anzubieten hat. Es gibt sie zum Glück fast nur in Krankenhäusern. Dort war die Herausforderung durch die permanent und in rauhen Mengen angewendeten Desinfektions­mittel besonders groß — und hat zu entsprechend beeindruckenden Anpassungs­leistungen geführt.

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Wenn Sie sich auf dem Bikini-Atoll, wo Frankreich während Jahren Atomtests durchgeführt hat, oder in unmittelbarer Nähe des leckgeschlagenen Atomkraftwerkes in Tschernobyl umsehen, werden Sie feststellen, daß es dort Pflanzen und Tiere gibt — Mutanten, die sich an die veränderten Bedingungen angepaßt haben und ohne Schaden zu nehmen dort leben können. Wir würden die dort herrschende radioaktive Strahlung wahrscheinlich kein halbes Jahr überstehen, geschweige denn für lebens­fähigen Nachwuchs sorgen können.

Was immer auf der Erde geschehen mag — solange sie nicht durch einen galaktischen Irrläufer in Teile gesprengt wird oder in der Hitzestrahlung der sterbenden Sonne verglüht, wird es Pflanzen und Tiere geben, die überleben, sich weiterentwickeln und neue Arten hervorbringen. Die Evolution wird weitergehen. 

Wir haben sogar Grund zu der Annahme, daß ein umfangreiches Arten­sterben den Weg freimacht für die Entwicklung einer besonders großen Artenvielfalt. In ihrem Buch <Die sechste Auslöschung> zeigen Richard Leakey und Roger Lewin, daß nach jeder großen, mit einem umfang­reichen Artensterben verbundenen Katastrophe eine größere Artenvielfalt festgestellt werden konnte als zuvor. Es gab bisher fünf derartige Katastrophen — vermutlich alle aufgrund von Asteroiden-Einschlägen. Die sechste wird zur Zeit gerade von uns Menschen mit Bordmitteln vorbereitet.

Wir müssen uns also um das Leben auf diesem Planeten keine Sorgen machen. Was immer der Mensch noch anrichtet — das Leben hat eine große Zukunft.

 

Eine unbedeutende Episode

Etwas anderes ist die Zukunft des Menschen. So große Lebewesen wie wir Menschen sind äußerst anfällig für Pannen und Störungen aller Art. Es ist wie bei Maschinen und Apparaten — je größer und komplexer sie sind, je mehr Funktionen sie erfüllen, desto mehr muß überwacht, koordiniert und gesteuert werden, desto mehr kann kaputt gehen, desto leichter wird das Ganze lahmgelegt, desto aufwendiger gestalten sich konstruktive Veränderungen. Dazu kommt: Wir brauchen einige zehntausend Jahre, um uns als Art weiter­zuent­wickeln, zu verändern und anzupassen.

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Mit der jämmerlichen Anzahl von nicht viel mehr als einem Nachkommen pro geglücktem Zeugungsakt sowie einem Generationszyklus von sage und schreibe zwanzig Jahren kommen wir nirgends hin. Während eine Frau schwanger ist, haben kleinere Lebewesen Dutzende von Generationen und mit jeder Generation Massen von Nachkommen in die Welt gesetzt. Auch wenn die meisten davon umkommen — nach einem Jahr können die Überlebenden bereits über ganz neue Fähigkeiten verfügen, um unter veränderten Gegebenheiten fortbestehen zu können. Da können wir nur vor Neid erblassen.

Wir sind ein ziemlich überzüchtetes und dementsprechend hochverletzliches Geschöpf. Wenn ein Mensch dreimal tiefer fällt, als er selbst hoch ist, kann er von Glück reden, wenn er den Sturz überlebt. Werfen Sie irgend ein Insekt vom Eiffelturm — auch wenn es nicht fliegen kann, es wird sich kein Bein brechen, geschweige denn innere Verletzungen davontragen. Versuchen Sie einmal, einem Bakterium ohne künstliches Gift, extreme Hitze oder tödliche Strahlung etwas anzuhaben. Sie werden sich die Zähne ausbeißen. In Afrika gibt es Fische, die sich im Boden eingraben, wenn der See austrocknet. Wenn zwei oder drei Jahre später wieder Wasser im See ist, buddeln sie sich aus und sind in null Komma nichts wieder putzmunter. Und es gibt Keime, die im tiefgefrorenen Zustand Jahrzehnte überleben. Das sind echte Überlebenskünstler. Sie werden sich noch bester Gesundheit erfreuen, wenn wir längst abgedankt haben.

Wir wissen nicht, wie viele Generationen von Menschen noch leben werden. 
Aber wir wissen zweierlei:

Erstens, wir nehmen auf der Liste der bedrohten Arten einen prominenten Platz ein. Von Homunkulus-Experimenten der Gentechnologen einmal abgesehen, besteht wenig Hoffnung, daß es uns noch sehr lange geben wird

Zweitens, was immer als Folge unseres Wirkens noch zerstört oder verändert werden mag — das Gastspiel des Menschen auf diesem Planeten ist, erdgeschichtlich betrachtet, eine vergleichsweise unbedeutende Episode. Wir wissen ungefähr, wie lange die Sonne noch zu leben hat, bevor sie als Supernova explodiert und alle Planeten verglüht: rund viereinhalb Milliarden Jahre. 

Stellen Sie sich vor, die Zeit von der Entstehung der Erde bis zu ihrem Untergang würde — in Analogie zu einem ausgefüllten Menschenleben — 80 Jahre betragen. Dann wäre die Erde heute 40 Jahre alt. Seit 35 Jahren würde es im Meer Leben geben. Seit vier Jahren gäbe es Lebewesen an Land. Wir Menschen wären gerade vor einer Woche entstanden, hätten vor einer Dreiviertelstunde angefangen, uns schrecklich zu vermehren — und würden aller Voraussicht nach die nächsten fünf Minuten nicht überleben. Die Erde hätte noch weitere 40 Jahre vor sich.

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   Oase des Lebens  

Es hat verhältnismäßig lange gedauert, bis auf der Erde die Voraussetzungen für eine größere Artenvielfalt geschaffen waren. Die Evolution hat insgesamt mehrere hundert Millionen Arten hervorgebracht — die meisten davon erst in den letzten paar hundert Millionen Jahren.

So wie die Dinge liegen, wird sie in der Zukunft noch ein Vielfaches davon hervorbringen. Wir sind eine einzige dieser vielen Arten. 

Wenn wir uns selbst so schrecklich wichtig finden, heißt dies noch lange nicht, daß wir für die Erde und die Natur von geschichtlicher Bedeutung sind — außer, daß wir wahrscheinlich das sechste große Artensterben verursacht haben. Dieses wird aber in letzter Konsequenz wieder zu einer weiteren Vergrößerung der Artenvielfalt beitragen. 

In der Zeit, die die Erde vor sich hat, kann die Evolution noch viele Arten hervorbringen, die mit Intelligenz ausgestattet sind — wie ähnlich oder unähnlich uns Menschen diese Geschöpfe auch sein mögen. Das muß nicht passieren. Aber es kann passieren.

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Zum Schluß möchte ich Ihnen eine kleine Anekdote nicht vorenthalten: Zwei Planeten begegnen sich im Weltraum. Fragt der eine: "Hallo, wie geht es Dir?". Darauf stöhnt der andere: "Hundsmiserabel." — "Um Gottes Willen, was hast Du denn?" — "Homo sapiens!" — Da tröstet ihn der Kollege: "Ach, wenn's weiter nichts ist! Das habe ich auch mal gehabt. Mach Dir keine Sorgen. Das geht schnell vorüber."

Wir sollten uns selbst nicht so ernst nehmen. Wenn man aufs Ganze blickt, auf die Erde, auf die Natur, auf die Evolution, auf das phantastische Phänomen Leben und auf die große Zukunft, die das Leben auf diesem Planeten haben wird — dann gibt es eigentlich keinen Anlaß zur Trauer. Wir sollten zufrieden sein, hier zu Gast gewesen zu sein und so viel Interessantes erlebt haben zu dürfen. Die Zukunft wird ohne uns stattfinden. 

Wir haben die Erde gebraucht. Die Erde hat uns nicht gebraucht. Wir haben auf ihr gewütet und vieles zerstört. Aber die Erde wird sich wieder erholen. Die Spuren unseres Wirkens werden sich verwischen. Weine nicht, blauer Planet!

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Ende

 

(d-2005:) Zum letzten Gedanken des Autors (Zufall, Jupiter und Erde)  ein tröstendes Video  

 

 

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Christoph Lauterburg  (1998) Fünf nach Zwölf  - Der globale Crash und die Zukunft des Lebens