11 Eine moderne Elefantengeschichte
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Elefanten sind die größten lebenden Landtiere. Majestätisch in Körperbau und Bewegungen, mit komplexem, geradezu übernatürlich sensiblem Verhalten, waren sie der Anlaß zu vielfacher mythologischer Verklärung.
In der indischen Hindureligion gibt es Ganesha, einen Gott mit Elefantengesicht, der mit seiner Allmacht alle Hindernisse überwinden kann. Ganesha, der auch der Schutzheilige der Literatur und Gelehrsamkeit ist, wird zu Beginn der Gebete sowie vor gefährlichen oder unsicheren Unternehmungen angerufen. Der hinduistischen Legende zufolge konnten die Elefanten früher fliegen, aber sie verloren diese Fähigkeit, als einer von ihnen auf einem Banyanbaum landete und auf das Haus eines Einsiedlers fiel, das dabei zerstört wurde. Der Fluch des Einsiedlers band sie an den Erdboden, und dem Fliegen mußten sie für immer entsagen.
Für die Römer waren die Elefanten unerforschliche Geschöpfe, die Sonne, Mond und Sterne anbeteten. Aristoteles beschrieb sie als »dem Menschen so nahe, wie Materie dem Geist nahekommen kann«.
Der gleichen Meinung war auch der große römische Historiker Plinius der Ältere: Er meinte, die gewaltigen Dickhäuter seien im gesamten Tierreich »dem Menschen am nächsten«. Man nahm an, daß Elefanten die Sprache der Menschen verstehen, ein Gefühl für Moral und Ethik haben und eine Kultur besitzen, die zwar anders als die der Menschen, aber hochentwickelt und vom Geist geprägt sei.
Heute sind Elefanten der Inbegriff des »wilden Tiers«: machtvoll und frei, intelligent und — ja — immer noch rätselhaft. Sie sind die glänzende Hervorbringung der Natur, eine greifbare Verbindung zu einer weit zurückliegenden, verborgenen Vergangenheit, und die unangefochtenen Herren der Steppe. Wer in Afrika die Wildnis in Reinkultur sehen will, der will Elefanten sehen.
In meinen ersten fünf Jahren als Leiter des kenianischen Naturschutzdienstes belegten mich die Elefanten völlig mit Beschlag — nicht aus ästhetischen oder wissenschaftlichen Gründen, sondern wegen der entsetzlich überzeugenden Realität, daß sie dem Aussterben entgegengingen. Nachdem sie durch das unausweichliche Wachstum der menschlichen Siedlungen ihres früher fast endlosen Verbreitungsgebietes beraubt waren und nachdem man sie wegen des Elfenbeins kaltblütig abgeschlachtet hatte, ging die Elefantenpopulation in den ersten fünf Jahren nach meiner Berufung zum Behördenleiter im April 1989 um die Hälfte zurück. Ohne Gegenmaßnahmen wären die Elefanten zur Jahrhundertwende durch die doppelten Kräfte der Zerstörung ins Vergessen der Evolution gesunken. Das neue Jahrtausend mit dem Blut einer so glorreichen Art an den Händen zu beginnen wäre ein ekelhaftes Zeugnis für die Unverantwortlichkeit und Habgier der Menschen gewesen. Manchen Leuten schien das nichts auszumachen; aber es machte mir etwas aus.
Glücklicherweise konnte das Aussterben abgewendet werden, und ich bin stolz, daß ich dabei mitgeholfen habe. Aber für Selbstzufriedenheit ist kein Platz. Das Schlachten zu beenden war nur ein erster Schritt auf einem langen Weg voller Unsicherheiten. Ob es noch wilde Elefanten geben wird, die bei unseren Kindeskindern Ehrfurcht wecken wie heute bei uns, hängt davon ab, wie dieser Weg verläuft. Ich möchte einige Umstände beschreiben, durch welche die Elefanten in Richtung des Aussterbens gedrängt wurden, und dann werde ich berichten, wie sich diese Umstände änderten. Ich werde aber bei dieser Episode aus jüngster Zeit, in der sich Naturschutz, Politik und Wirtschaft vermischten, nicht in die Einzelheiten gehen.
Wer sich für die ganze Geschichte interessiert, findet keine bessere Lektüre als das kürzlich erschienene Buch Wir kämpfen für die Elefanten von Iain und Oria Douglas-Hamilton, zwei engagierten, umtriebigen Menschen, die ich in einem gemeinsamen Kampf zu meinen Freunden und Verbündeten zählen durfte. Hier möchte ich mich mehr auf die Frage konzentrieren, was wir von den Elefanten lernen können — aus ihrer Geschichte, ihrer derzeitigen mißlichen Lage und ihrer ungewissen Zukunft.
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Die Elefanten und ihre Stellung in der Welt verkörpern in vielerlei Hinsicht die zentralen Themen dieses Buches: Im Laufe der Zeit beobachten wir Veränderungen; und durch die Veränderungen entsteht in der Natur neue Vielfalt. Da Elefanten die größten Landtiere sind, ist es kein Wunder, daß sie, was das Zusammenleben mit den Menschen angeht, gewaltigen Herausforderungen gegenüberstehen. Der Weg zu einem langfristigen Miteinander ist, wie ich schon sagte, höchst unsicher, und wenn wir ihn beschreiten, können wir durchaus Ganesha um Beistand anflehen.
Zunächst einmal möchte ich die Elefanten in einen größeren biologischen Zusammenhang stellen; sie sind eine heute lebende Art mit einer langen entwicklungsgeschichtlichen Vergangenheit. Dann werde ich über ihre jüngere Geschichte berichten, die im wesentlichen die Geschichte ihrer Beziehung zu den Menschen ist — oder besser gesagt, die Geschichte ihrer Ausbeutung durch uns. Dies führt uns in die Gegenwart mit der sehr realen Gefahr, daß sie durch Menschenhand aussterben. Und schließlich möchte ich verständlich machen, welche Fragen der Ökologie und biologischen Vielfalt mit der Rettung der Elefanten verbunden sind; zu diesem Zweck werde ich beschreiben, welchen Herausforderungen eine Population dieser herrlichen Geschöpfe im Amboseli-Nationalpark im Süden Kenias am Fuße des Kilimandscharo ausgesetzt ist. Die Geschichte der Elefanten ist, räumlich und zeitlich betrachtet, in vielerlei Hinsicht die Geschichte der biologischen Vielfalt auf der Erde.
Es gibt heute zwei Elefantenarten: den afrikanischen Elefanten, biologisch Loxodonta africana, und den asiatischen Elefanten, der irreführenderweise Elephas maximus heißt, obwohl er der kleinere von beiden ist. Beim afrikanischen Elefanten kann man nochmals zwei Varianten oder Unterarten unterscheiden: Die meisten Besucher des Schwarzen Kontinents sehen Loxodonta africana africana, den Bewohner der Waldsavannen in Ostafrika; der zweite, Loxodonta africana cyclotis, ist kleiner und lebt in den Wäldern Zentral- und Westafrikas.
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Dieses kleine Häuflein moderner Giganten ist nur das Überbleibsel einer Gruppe oder Ordnung großer Säugetiere, der Proboscoidea (Rüsseltiere), die vor 50 Millionen Jahren eine beherrschende Stellung innehatten. Die Bezeichnung für die Ordnung, der sich von proboscis, dem lateinischen Wort für Nase, ableitet, ist zutreffend gewählt, denn der zum Greifen geeignete Rüssel der Elefanten ist unter den Säugetieren einzigartig. Wenn man in die Nähe eines Elefanten kommt — ich schlage vor, ein zahmes Exemplar auszusuchen —, bemerkt man sehr schnell, was der Rüssel für ein vielseitiges Organ ist. Er dient nicht nur als geschickte zusätzliche Extremität zur Nahrungssuche und zum Beiseiteräumen von Hindernissen, sondern er ist auch das Mittel, mit dem das Tier sich genaue Kenntnisse über seine Umwelt verschafft und Düfte wahrnimmt, die mit der Luft herangeweht werden oder in den Falten seines Körpers versteckt sind.
Wenn das Gespräch auf die nächsten lebenden Verwandten der Elefanten kommt, schütteln Nichtbiologen in der Regel ungläubig den Kopf: Es sind die Seekühe (Gabelschwanz-Seekühe und Rundschwanz-Seekühe oder Manatis). Daß diese Tiere, die als einzige meeresbewohnende Säuger echte Pflanzenfresser sind, für sich die engste entwicklungsgeschichtliche Verwandtschaft mit den heutigen Elefanten reklamieren können, hat nicht nur mit ihrer gewaltigen Größe zu tun, sondern vor allem mit der Anatomie ihrer Knochen und Zähne. Außerdem liegen ihre Brustdrüsen wie bei den Elefanten auf dem Brustkorb und nicht auf dem Bauch wie bei den meisten anderen Säugetieren. In Anerkennung dieser Ähnlichkeiten faßt man Seekühe und Proboscoidea biologisch zu einer Großgruppe oder Überordnung namens Subungulata zusammen.
Die Entstehung der Proboscoidea ist in geheimnisvolles Dunkel gehüllt, aber wir wissen, daß sie zu der Welle der Evolutionstätigkeit am Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren gehört, also in jene Zeit, als die Vorherrschaft der Dinosaurier durch die Kollision der Erde mit einem riesigen Kometen oder Asteroiden zu Ende ging. Bei diesem Massenaussterben, dem letzten der Großen Fünf, verminderte sich die biologische Vielfalt auf der Erde drastisch. Die Evolution der Proboscoidea war Teil der unvermeidlichen Reaktion der Überlebenden, aus denen schnell eine neue Vielfalt hervorging; aber wie immer erschienen dabei viele neue Mitwirkende auf der Bildfläche.
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Den ältesten bekannten Vertreter der Rüsseltiere fand man im Norden Algeriens. Es handelt sich um den fossilen Schädel eines Sumpfbewohners aus dem frühen Miozän vor etwa 55 Millionen Jahren. Das Tier war offenbar noch nicht einmal einen Meter groß, aber die Anatomie seines Schädels zeigt eindeutige Anzeichen für einen zum Greifen geeigneten Rüssel, das charakteristische Merkmal der Proboscoidea. Die Biologen spekulieren gern darüber, wie der Rüssel entstanden sein könnte. Unter welchen Umständen bietet dieses Gebilde einen Vorteil? Das ökologische Umfeld einiger etwas jüngerer Fossilfunde läßt daraufschließen, daß die Rüsseltiere wie die algerische Spezies ganz oder teilweise im Wasser lebten.
Vielleicht ist das der entscheidende Hinweis. Vielleicht, so die Spekulation, begünstigte die natürliche Selektion die Evolution eines Organs, mit dem das Tier im seichten Wasser die Pflanzen abernten konnte. Für diese Aufgabe eignet sich auch ein Rüsselansatz, der sich aus Lippen, Gaumen und Nasenöffnungen bildet. Ob das nun stimmt oder nicht, in jedem Fall wurde der Rüssel für die Proboscoidea zu einem wichtigen Organ, und seine Evolution war schließlich mit der Entwicklung von Stoßzähnen verbunden. Wer schon einmal gesehen hat, wie ein Elefant einen Baum ausreißt, der weiß, wie nützlich die Kombination aus Rüssel und Stoßzähnen dabei ist. Außerdem sind die Stoßzähne für das Konkurrenzverhalten der Männchen von Bedeutung. (Die Stoßzähne sind bei den männlichen Elefanten wesentlich größer als bei den Weibchen, was angesichts der unterschiedlichen Körpergröße auch nicht verwunderlich ist.)
Die Geschichte der Rüsseltiere spielte sich zur Hälfte in Afrika ab, und in dieser Zeit tauchten mehrere wichtige Untergruppen auf. Vor etwa 20 Millionen Jahren fingen die Nachkommen dieser Gruppen an, sich über alle großen Landmassen der Erde mit Ausnahme Australiens und der Antarktis auszubreiten. Ihre Artenzahl zu jener vorgeschichtlichen Zeit schätzt man heute auf fast 200. Es war eine weitverstreute, höchst erfolgreiche Tiergruppe, die das Zeitalter der Säugetiere beherrschte.
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Die Tatsache, daß heute nur zwei Arten übriggeblieben sind, erinnert wieder einmal daran, daß Vorherrschaft nichts Ewiges ist: Das war sie in der Geschichte des Lebens noch nie, und das wird sie auch nie sein. Wir sollten es uns merken.
Viele Tiere, die zu den großen Gruppen der Rüsseltiere gehörten, sind uns nur allzu vertraut, weil sie in dramatischen Bildern aus der Eiszeit oft gemalt wurden: Das gilt vor allem für Mammut und Mastodon, die auffälligsten Rüsseltiere Nordamerikas und Eurasiens. Ihre Bilder kennt man auch aus europäischen Höhlenmalereien, die 25.000 Jahre alt sind. Andere sind weniger bekannt, so die Gomphotheren, schwerfällige Giganten mit zu Stoßzähnen umgebildeten breiten unteren Schneidezähnen — diese Tiere gelangten bis nach Südamerika. Sie hatten auch im Oberkiefer Stoßzähne.
Bei einer weiteren Gruppe, der Gattung Deinotherium, standen die Stoßzähne ebenfalls im Unterkiefer, aber anders als bei den Gomphotheren waren sie nach unten gebogen, und die oberen Stoßzähne fehlten. Einige hervorragende Exemplare von Deinotherium entdeckten wir in den Ablagerungen rund um den Turkanasee, die auch menschliche Fossilien enthielten. Die unmittelbaren Vorläufer der heutigen Elefantenarten entstanden vor dem Beginn des Pleistozän vor etwa zwei Millionen Jahren.
Elephas, der asiatische Elefant, entwickelte sich vermutlich zuerst in Afrika und verbreitete sich dann über weite Teile der übrigen Alten Welt. Der afrikanische Elefant, Loxodonta, lebte anfangs irgendwann während des Pliozän vor fünf bis zehn Millionen Jahren in den dichten Wäldern des Kontinents. Es ist eine Ironie des Schicksals: Die unmittelbaren Vorfahren der heutigen Elefanten entstanden ungefähr zur gleichen Zeit wie die ersten Vertreter der Gattung Homo, deren einzige Nachfahren die heutigen Menschen sind.
Im Pleistozän starben in Afrika — verursacht möglicherweise durch Umweltveränderungen — mehrere Rüsseltierarten aus. Das Ende der Epoche vor etwa 10000 Jahren bedeutete weltweit das Aus für Mammut und Mastodon, und wie wir in einem der vorigen Kapitel gesehen haben, hatte dabei vielleicht der Mensch seine Hand im Spiel. Damit blieben Loxodonta und Elephas als einzige Vertreter der Proboscoidea übrig. Menschen und Elefanten, die ungefähr zur gleichen Zeit aus dem Schmelztiegel der Evolution hervorgingen, sollten eine — zumindest aus der Sicht der Elefanten — alles andere als gleichberechtigte Beziehung führen.
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Wenn wir an das heutige Verbreitungsgebiet der Elefanten denken, wissen wir, daß sie in Indien und Teilen Südostasiens leben, und wir kennen ihre Reviere in Afrika südlich der Sahara. Und wenn wir darüber nachdenken, in welch mißliche Lage diese Geschöpfe geraten, weil die Menschen immer stärker in ihre Gebiete eindringen, halten wir das meist für ein Problem der modernen Welt. Aber wie man bei einem kurzen Blick auf die jüngere Geschichte erkennt, stimmt das nicht. Vor ein paar tausend Jahren erfreute sich Elephas in großen Teilen Asiens, von China bis zum Nahen Osten, einer beherrschenden Rolle in den Ökosystemen, und Loxodonta besiedelte den gesamten afrikanischen Kontinent, nicht nur Teile Ost-, Zentral- und Westafrikas sowie mit kleinen Populationen den Süden. Wie heute war der doppelte Einfluß der unausweichlichen Verbreitung menschlicher Siedlungen und der Gier nach Elfenbein eine tödliche Kombination.
Schon seit langem sind die Menschen fasziniert von der Schönheit des Elfenbeins und seinen angeblichen magischen Kräften. Die älteste bekannte Schnitzfigur aus der menschlichen Vorgeschichte, eine winzige Pferdedarstellung aus der Vogelherdhöhle in Baden-Württemberg, wurde aus Elfenbein gefertigt, in diesem Fall aus dem Stoßzahn eines Mammuts. Es war der Beginn einer offenbar unwiderstehlichen Ausdrucksform, die sich in allen frühen Hochkulturen des Nahen Ostens und von Ägypten über Kreta bis nach Griechenland findet. Aber erst die Römer entwickelten diese Gewohnheit zu einer hohen Kunst, um nicht zu sagen bis zum Übermaß. Sie stellten aus Elfenbein kleine Figuren mit symbolischer Bedeutung her, verzierten Kämme und andere Gebrauchsgegenstände damit und benutzten es als Einlegematerial für große Statuen und Möbel; Zimmer wurden mit Elfenbein vertäfelt, und es diente sogar als Zahlungsmittel.
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So entstand ein gewaltiger Bedarf an Elfenbein, und das hatte zwangsläufig zur Folge, daß die Elefantenpopulationen schrumpften. Im zweiten Jahrhundert vor Christus erlegte man in Nordafrika und im westlichen Teil ihres asiatischen Verbreitungsgebietes die letzten Exemplare. Die Römer erkannten offenbar keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen ihrer Gier nach Elfenbein und dem immer selteneren Vorkommen der Tiere, die es lieferten. »Im Vergleich zu heute wußten die Römer kaum etwas über die Tierwelt ferner Länder«, stellt Douglas Chadwick in seinem ausgezeichneten Buch The Fate of the Elephant fest. »Während die Elefanten durch die Elfenbeingewinnung verschwanden, schrieb Plinius, ihre wichtigsten natürlichen Feinde seien die Drachen.«1) In Wirklichkeit waren Drachen einer anderen Art unterwegs, die ihr tödliches Feuer in Richtung der gewaltigen Dickhäuter spien.
Wie in den anderen Hochkulturen jener Zeit, so beutete man die Elefanten auch im römischen Reich noch auf andere Weise aus. Ihre Körperkraft war von Vorteil zum Bauen und Transportieren, und im Krieg waren sie eine machtvolle Waffe. Diese Verwendung wirkte sich aber, verglichen mit der Jagd nach Elfenbein, kaum auf die Elefantenpopulationen aus. Und sie war auch geringfügig im Verhältnis zu den Auswirkungen, die sich aus der Zerstörung der Lebensräume ergaben. Das ökologische Gesicht Eurasiens änderte sich drastisch, als der Bedarf an Bauholz, auf das die aufsteigenden Kulturen angewiesen waren, zur Zerstückelung und Rodung der ausgedehnten Wälder führte. Heute ist die Landschaft in großen Teilen Eurasiens und in neuerer Zeit auch Amerikas künstlich, das Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung, aus der die moderne Industriegesellschaft hervorgegangen ist. Daran sollte man denken, wenn man Vorschläge für die Erhaltung natürlicher Lebensräume in Afrika macht.
Am frühen Nachmittag des 18. Juli 1989 hielt Daniel arap Moi, das Staatsoberhaupt Kenias, eine brennende Fackel an 2500 benzingetränkte Elefantenstoßzähne und sorgte so für die feurige Vernichtung von Elfenbein im Wert von drei Millionen Dollar. Etwa 850 Millionen Menschen auf der ganzen Welt wurden Zeuge dieser kostspieligen Verbrennung, entweder unmittelbar am Fernsehschirm oder innerhalb weniger Tage durch Zeitungs- und Illustriertenberichte.
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Noch bevor die Asche verglüht war, gab ich in der Morgensendung »Good Morning, America« des Fernsehsenders ABC ein Live-Interview. Ich hatte etwas Einfaches zu sagen: Kauft kein Elfenbein, sonst sind die Elefanten bald ausgestorben.
Das Ganze inszenierte ich knapp vier Monate, nachdem Präsident Moi mich zum Leiter der Naturschutzbehörde ernannt hatte. Mein unmittelbares Ziel war die Rettung der Elefanten, denn zu jener Zeit standen sie durch die Elfenbeinwilderei am Rande der Ausrottung. Kurz nachdem ich die Stelle übernommen hatte, stand ich vor der Entscheidung, was mit einem großen Elfenbeinvorrat zu tun war, den man in den vorangegangenen vier Jahren bei Wilderern beschlagnahmt hatte. Angesichts der verzweifelten Finanzlage unserer Behörde war es sehr verlockend, das Elfenbein auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Mit drei Millionen Dollar hätte ich eine Menge anfangen können, das wußte ich. Wir verfügten nur über spärliche, dringend reparaturbedürftige Ausrüstung; die Treibstoffversorgung war ungenügend und an manchen Stellen überhaupt nicht vorhanden; die Wilderer waren ihren Verfolgern an Feuerkraft einfach überlegen. Ja, drei Millionen Dollar hätten die Bemühungen der Behörde ein großes Stück vorangebracht.
Ich hatte zu jener Zeit schon die Leichen von unzähligen Opfern der Wilderer gesehen: große, graue Körper, die aufgedunsen in der Sonnenhitze lagen, auf dem Rücken die weißen Exkremente der Geier, welche die Geschichte ihres Todes erzählten. Bald darauf würden die geschundenen Kadaver explodieren, weil die Verwesung aus ihren einstmals lebenden Därmen ein faulig riechendes Gemisch aus Schleim und Gasen gemacht hatte. Am schlimmsten aber waren ihre Gesichter: Aus dem majestätischen Antlitz hatten die Wilderer innerhalb weniger Sekunden einen blutigen Brei gemacht, als sie mit Äxten oder Kettensägen die Stoßzähne herausbrachen. Es war ein wirklich ekelerregender Anblick, der die Gefühle aufwallen ließ.
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Nimmt man dann noch, wie es häufig geschah, ein abgezehrtes, verwirrtes Elefantenbaby hinzu, das voller Mitgefühl versucht, seine getötete Mutter zum Aufstehen zu bewegen, dann wird der vernünftige Drang, dem Schlachten ein Ende zu machen, zu einer emotionalen Besessenheit. Ich mußte etwas tun, und zwar schnell, und dazu würden die drei Millionen Dollar eine Menge beitragen.
Aber dann erkannte ich, daß ich genau das nicht brauchen konnte. »Nein, wir werden die Stoßzähne nicht verkaufen«, dachte ich eines Abends beim Duschen. »Wir werden sie in einem Fanal der weltweiten Berichterstattung verbrennen.« Wirksamer konnte man nach meiner Überzeugung die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit nicht auf das Schicksal der Elefanten lenken. Mit den drei Millionen Dollar würden wir weltweites Interesse von unermeßlichem Wert einkaufen. Die Diskussion darüber, was man in der Frage der Wilderei und des Elfenbeinhandels unternehmen sollte, war damals an einem kritischen Punkt angelangt, und ich hoffte, das Schauspiel würde sie in die Richtung lenken, die ich für die produktivste hielt.
Iain und Oria Douglas-Hamilton unterstützten meinen Plan, und an einem Wochenende auf der Ranch eines Freundes in Naivasha machten wir ein einfaches Experiment: Wir legten ein Stück Stoßzahn ins Herdfeuer. Am Ende des Abends war es schwarz, aber nicht verbrannt. Wir erkannten, daß eine viel heißere Flamme notwendig war, um einen Berg aus Stoßzähnen in Brand zu setzen. Ein Freund übernahm die Aufgabe herauszufinden, wieviel Benzin man über die Zähne gießen mußte, damit das Feuer nicht ausging und damit der Präsident und seine Minister andererseits nicht in einem Feuerball umkamen. Ich war zutiefst erleichtert, als an jenem Julinachmittag keine dieser beiden Katastrophen eintrat. Ob sich das erfolgreiche Feuer in erfolgreiche Politik ummünzen ließ und ob daraus wiederum Erfolge im Kampf auf den Ebenen Afrikas werden würden, blieb abzuwarten.
Iain war schon seit vielen Jahren ein »Elefantenmann«: Er hatte das Verhalten der großen Tiere zunächst im Manyara-Nationalpark in Tansania studiert und seine Untersuchungen dann auf ganz Afrika ausgedehnt. Dabei dokumentierte er auch die Auswirkungen der Wilderei, mit der er erstmals 1969 im Tsavo-Nationalpark in Kenia in Kontakt kam.
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Dort wollte er aus der Luft die Elefantenpopulationen zählen. Er schrieb: »In der dürren Wildnis wimmelte es von mit rotem Staub bedeckten Elefanten. Wir flogen stundenlang umher und sichteten immer neue Tiere. Am folgenden Tag flog ich zur Ostgrenze und entdeckte dort eine Herde von mehr als tausend Tieren, die sich über den Busch verteilten ... Das Elefantenland erstreckte sich von hier über den Kilifi-Bezirk bis fast zum Indischen Ozean.«2
Die rote Färbung, von der Iain sprach, rührte von dem fruchtbaren Vulkanboden der Gegend her; die Tiere sind davon bedeckt, wenn sie durch das klassische Elefantenrevier streifen, eine Mischlandschaft aus Wäldern, Ebenen und vereinzelten Wasserstellen. Nach Iains Berechnungen gab es in dem Park und seiner Umgebung mindestens 40.000 Elefanten, und damit beherbergte er eine der wichtigsten Populationen des Kontinents. Seine herausragende Stellung als Elefantengebiet verdankte der Tsavo-Nationalpark unter anderem seinem Leiter David Sheldrick. Dieser engagierte Mann der Wildnis hatte Leute aus der Gegend als Wildhüter eingestellt, und sie bildeten eine Bande harter, hingebungsvoller Verteidiger der gewaltigen Tiere.
Aber Tsavo war kein Paradies, das in der ausgeglichenen Ruhe natürlicher Harmonie lebte. »Die riesigen Affenbrotbäume, die wie gestauchte, dicke Betonsäulen in der Landschaft standen, dienten den Elefanten während der Trockenperioden als Nahrungs- und Wasserquelle«, berichtet Iain. »Als nun die ständig wachsenden Herden den Busch eroberten, stießen die Tiere ihre Stoßzähne wie Schwerter in die Affenbrotbäume und schälten die Rinde ab, um an die feuchte Masse im Innern des Stammes zu gelangen. Viele dieser herrlichen Bäume hatten ein Alter von über tausend Jahren. Innerhalb eines Jahrzehnts waren die meisten von ihnen verschwunden.«3 Und nicht nur die Affenbrotbäume gingen zugrunde; viele andere Bäume wurden ebenfalls zerstört, so daß manche Teile des Parks aussahen, »als sei gerade eine Panzereinheit darübergerollt«.4
In dieser Situation stand Seidrick vor der gleichen Entscheidung wie alle Naturschützer: Wie schützt man die Natur? In dieser Formulierung wirkt die Frage banal, aber wie ich bereits angedeutet habe, ist sie nicht ohne weiteres zu beantworten, denn wir haben nur einen vorübergehenden Einblick in die Ökosysteme und wissen nicht allzuviel darüber, wie sie funktionieren.
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Sheldrick bemühte sich, Ausmaß und Wesen des Problems zu erfassen. Eine Lösung, die er nicht wollte, war das Ausdünnen der Bestände; das hätte bedeutet, daß man Jäger beauftragt hätte, einen bedeutenden Teil der Tiere abzuschießen und so die Populationsgröße zu vermindern. Die Befürworter dieser Methode argumentieren, die Tiere könnten auf diese Weise weiterhin im Gleichgewicht mit der Pflanzenwelt leben, auf die sie angewiesen sind. In einigen Regionen Afrikas wurde das Ausdünnen bereits praktiziert. Sheldrick mußte entgegen seinen eigenen Bestrebungen miterleben, wie man auf Anordnung seiner Vorgesetzten im Ministerium versuchsweise Elefanten im Tsavo-Nationalpark schoß. Insgesamt wurden 300 Tiere getötet. Sheldrick war entsetzt von dem, was er sah, und setzte durch, daß das Gemetzel aufhörte. Er entschloß sich, lieber der Natur ihren Lauf zu lassen, auch wenn es bedeutete, daß von Zeit zu Zeit viele Tiere verhungern würden. Jedenfalls, so bemerkte er, wurden die Gehölze durch die Tätigkeit der Elefanten geöffnet, so daß in den neu entstandenen Lebensräumen auch andere Tiere wie Zebras und Antilopen gedeihen konnten. Möglichst wenige Eingriffe waren nach seiner Erkenntnis das beste Mittel, um die Natur zu »schützen«, eine Einstellung, die ich mittlerweile nachdrücklich unterstütze.
Die gespenstischen Ereignisse im Tsavo-Park verstärkten die Debatten über Sinn und Unsinn des Ausdünnens von Populationen. Seine Fürsprecher, die darin eine wissenschaftlich begründete Methode zum Umgang mit der Tierwelt und zur Erhaltung ihrer Lebensräume sahen, bezeichneten die Gegner als emotionsgeladene Amateure. Die Gegner argumentierten, man solle den Kreisläufen der Natur ihren Lauf lassen. Schon bald wurde die Diskussion jedoch durch natürliche und von Menschen verursachte Ereignisse überschattet: Das erste war eine Dürre, das zweite die immer mehr zunehmende Wilderei.
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Ein knappes Jahr nach Iains Übersichtsuntersuchung wurden Teile Ostafrikas von einer entsetzlichen Trockenheit heimgesucht. Steppen und Wälder dörrten aus, und die hungernden Elefanten, die keine Blätter mehr fanden, mußten die Bäume selbst verspeisen. Die Wälder wurden verwüstet und glichen schon bald einem »Elefantenschlachtfeld«,5) wie Iain es formulierte. Ausgemergelte Tiere streiften auf ihrer vergeblichen Suche nach Nahrung und Wasser über die Steppen, und bald darauf starben sie in alarmierender Zahl. Allein im Tsavo-Park gingen mindestens 10.000 Elefanten zugrunde. Die Befürworter des Ausdünnens sahen in den Auswirkungen der Dürre eine Rechtfertigung für die künstliche Verminderung der Elefantenbestände. »Sie hätten weniger gelitten und den Lebensraum nicht verwüstet«, so hieß es. Die Gegner erwiderten: »Die Trockenheit ist ein natürliches Mittel der Populationskontrolle, und der Lebensraum wird sich erholen, wie er es in natürlichen Kreisläufen immer tut.«
Die Gegner des Ausdünnens hatten recht, zumindest in einer Beziehung: Innerhalb weniger Jahre wucherte überall im Tsavo-Park und anderswo neue Vegetation, genährt vom wieder einsetzenden Regen. Dennoch waren die Waldlandschaften des Parks weiterhin unter Druck, denn der Elefantenbestand war ebenfalls wieder gewachsen, allerdings nicht von sich aus, sondern aus unnatürlichen Gründen: Die Tiere flüchteten vor der zunehmenden Wilderei und suchten Schutz in dem vergleichsweise sicheren Nationalpark.
Ungefähr zur gleichen Zeit fand in Nairobi ein entscheidendes Treffen der Elefantenfachleute statt, organisiert von Peter Jarman, einem wissenschaftlichen Beamten der kenianischen Wildschutzbehörde. Die Zusammenkunft war aus mehreren Gründen wichtig. Erstens einigte man sich dort auf eine Zahl für die Elefantenpopulation Kenias und unternahm damit den ersten Versuch, in Afrika eine nationale Zählung der Elefanten durchzuführen. Die Zahl betrug 167.000. (Die Population des gesamten Kontinents bezifferte man innerhalb der folgenden sechs Jahre auf eineinhalb Millionen.) Das zweite wichtige Ergebnis des Treffens war die Erkenntnis, welches Ausmaß die Elfenbeinwilderei in Kenia und vermutlich auch in anderen Ländern angenommen hatte.
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Der gesamte Elfenbeinexport Afrikas wurde für das Jahr 1973 auf 160 Millionen Dollar geschätzt, das entsprach etwa 200.000 toten Elefanten. Es war eine bestürzende Zahl, die für die Zukunft der Spezies Entsetzliches befürchten ließ. Im Sumpf eines komplizierten politischen Zusammenhanges traf diese Erkenntnis einen äußerst empfindlichen Nerv meines eigenen Landes, und anderen afrikanischen Nationen sollte es bald genauso gehen.
Unter dem Strich zeigte das Treffen jedoch, daß es widersprüchliche Probleme gab. Einerseits wurden immer mehr Elefanten wegen des Elfenbeins umgebracht, und das hieß, daß man sie schützen mußte. Andererseits waren die Populationen in vielen Gegenden so groß, daß Schwierigkeiten auftraten, entweder weil sie wie im Tsavo-Nationalpark die Lebensräume zerstörten oder weil sie in landwirtschaftlich genutzte Gebiete eindrangen und die Ernte vernichteten. Deshalb, so wurde argumentiert, müsse man ihre Zahl unter Kontrolle halten. Eineinhalb Jahrzehnte lang lenkten diese gegensätzlichen Standpunkte von dem eigentlichen Problem ab: Solange Elfenbein auf dem Markt erhältlich war, hatte es wirtschaftlichen Wert, und diesen wirtschaftlichen Wert würde man ohne Rücksicht auf das Schicksal der Spezies ausbeuten. Wenn das Elfenbein in eine Preisspirale geriet, war klar, was die Zukunft bringen würde, oder wenigstens hätte es klar sein sollen.
Von 1973 bis 1989 diskutierten die Elefantenexperten hin und her, wie man das Überleben der Art am besten sichern könne. Es war auf der Ebene des Naturschutzes das gleiche, als wenn man Geige spielt, während Rom brennt. Und die erste Geige spielte ironischerweise die internationale Organisation, die eigentlich für das Wohlbefinden der Spezies verantwortlich war: die CITES (Commission on International Trade in Endangered Species). Ein Streitpunkt war, wie stark sich die Wilderei auf die Elefantenpopulation des Kontinents auswirkte. Ein zweiter war die Frage, ob man einen legalen Elfenbeinhandel aufrechterhalten und gleichzeitig den illegalen Verkauf gewilderten Elfenbeins verhindern konnte. Die ganze Debatte wurde hochpolitisch, und das vernebelte eine Zeitlang die sehr reale Naturschutzpraxis, für die diese moderne Elefantengeschichte ein Musterbeispiel darstellt.
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Der Elfenbeinhandel spielte sich im Zwielicht von Geheimnistuerei und Täuschung ab: Die gehortete Beute von den abgeschlachteten Tieren ging oft klammheimlich von Afrika in den Fernen Osten und von dort weiter nach Europa und Amerika. Ob Andenken oder Schmuck, Figürchen oder persönliches Siegel — Elfenbein übte auf die menschliche Psyche eine Anziehungskraft aus, die schon vor Jahrtausenden begann. Die Drehscheibe des Handels war Hongkong; dort schnitzte man aus rohem Elfenbein wertvolle Gegenstände. Zwischen 1979 und 1989 gelangten per Luftfracht über 4000 Tonnen Elfenbein in das fernöstliche Wirtschaftszentrum, eine Ausbeute, die ungefähr einer halben Million toter Elefanten entspricht. Nachdem der Preis irgendwann auf 120 Dollar je englisches Pfund gestiegen war, warf der Handel viele Millionen Dollar ab; ein paar Leute wurden auf diese Weise sehr reich. Und da soviel Geld im Spiel war, ist es nicht verwunderlich, daß sich immer wieder Wege fanden, um die Bestimmungen, mit denen der Handel kontrolliert werden sollte, zu umgehen. Ich möchte hier nicht in die Einzelheiten gehen; das haben andere bereits getan. Nur eines sollte ich noch einmal wiederholen: Es war nicht gerade hilfreich, daß die wichtigste Kontrollbehörde, die Abteilung für Elfenbeinhandel bei der CITES, im wesentlichen durch Spenden der Elfenbeinhändler finanziert wurde.
Als ich die Leitung der Naturschutzbehörde übernahm, gab es gerade eine hitzige Debatte über die Zukunft des Handels. Einige afrikanische Staaten — Südafrika, Simbabwe und Botswana — waren dafür, ihn beizubehalten, wenn auch in geringem Maßstab und mit Elfenbein von Tieren, die ohnehin abgeschossen werden mußten. Diese Haltung wurde von der CITES eifrig unterstützt. Auf der Gegenseite stand eine wachsende Zahl von Naturschützern, die immer entsetzter darüber waren, welches Blutbad die schwerbewaffneten Wilderer tatsächlich anrichteten. Über die Handelswege ging mehr Elfenbein, als nach den Bestimmungen möglich war, ein sicheres Zeichen, daß die Kontrollen für eine derart lukrative Branche nicht ausreichten.
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Notwendig waren handfeste Zahlen über die Auswirkungen des sogenannten kontrollierten Handels auf die Elefantenpopulationen. Sie kamen in Form einer Zählung, die den ganzen Kontinent einschloß und bei der Iain Douglas-Hamilton eine wichtige Rolle spielte. Iains Daten flössen in einen Bericht der Ivory Trade Review Group ein, eines unabhängigen Gremiums, das von einem halben Dutzend Naturschutzorganisationen finanziert wurde und die Lage der Elefanten im Juni 1989 ganz und gar ins Licht der Weltöffentlichkeit rückte. Die Ergebnisse waren höchst interessant. Ich möchte nur ein paar Zahlen nennen. Sie sprechen für sich selbst.
In den zehn Jahren vor 1989 halbierte sich der Bestand der afrikanischen Elefanten von etwa 1,3 Millionen auf 625.000. Und das, wie gesagt, zu einer Zeit, als der Elfenbeinhandel angeblich kontrolliert wurde. Die Zählung widerlegte auch eine Vorstellung, die oft von den Befürwortern des Handels vertreten wurde: Danach sollte es in den Wäldern Zentralafrikas noch große, unbeeinträchtigte Populationen geben. Aber diese Zahl war nur ein kleiner Teil der Geschichte.
Immerhin hört sich 625.000 immer noch nach einem großen Bestand an, der nicht gerade kurz vor dem Aussterben steht. Aber die wahren Auswirkungen des Schlachtens gehen über die reinen Zahlen hinaus. Die größten Stoßzähne liefern ausgewachsene Männchen, die deshalb das Lieblingsziel der Wilderer waren. Schon bald wurden Elefantenbullen selten. In Kenia waren 22 Prozent der Tiere männlich, in Teilen Tansanias nur noch knapp ein Prozent. Von Natur aus sollte die Zahl bei 50 Prozent liegen. Auf die Möglichkeit zur Paarung wirkte sich das verheerend aus, denn die Weibchen sind während ihres drei Monate dauernden Zyklus nur zwei Tage lang empfängnisbereit. Und bei einem derart geringen Bestand an Männchen — der in Tansania schon praktisch bei Null lag — verminderten sich die Chancen der Weibchen, zur richtigen Zeit einen Paarungspartner zu finden. Hinter der Zahl von 625.000, die noch recht gesund erscheinen mag, lauerte also die Katastrophe in Form der zerstörten Paarungsmöglichkeiten. Und das ist noch nicht alles.
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Nachdem die großen Männchen längst verschwunden waren, wandten die Wilderer sich den ausgewachsenen Weibchen zu. Im Jahr 1979 wurden von etwa 45.000 Tieren 900 Tonnen Elfenbein erbeutet; acht Jahre später starben 35.000 Tiere für nur noch 300 Tonnen, also ein Drittel der Menge. Hinter der kalten Statistik des sinkenden Durchschnittsgewichts je Stoßzahn — von etwa zwölf auf sechs Kilogramm — stand die grausame Realität, daß es immer weniger überlebende ausgewachsene Weibchen gab.
Die Elefantengesellschaft ist matriarchalisch organisiert — die ausgewachsenen Weibchen sind der Dreh- und Angelpunkt der Gruppenbeziehungen und bewahren Erfahrungen und Wissen; deshalb war ihr Verlust eine Katastrophe. In einer Population in Tansania hatten beispielsweise nur 15 Prozent der Gruppen eine Matriarchin — in ungestörten Beständen liegt dieser Anteil bei mindestens 75 Prozent. Solche führerlosen Herden sind besonders anfällig für die Unwägbarkeiten der Umwelt.
Die Zahl von 625.000 verschleiert also nicht nur die verminderten Paarungsmöglichkeiten, sondern auch das zerstörte Sozialgefüge. Der Mord an einem erwachsenen Weibchen gefährdet auf lange Sicht die Sozialstruktur ihrer Gruppe; außerdem bedeutet es oft auch, daß ihre unausgereiften Nachkommen sterben, die darauf angewiesen sind, daß die Mutter sie ernährt und beschützt. Das alles waren beste Voraussetzungen für einen Zusammenbruch der Bestände.
Natürlich hatten manche Länder mehr und andere weniger unter der Wilderei zu leiden. In Kenia war der Bestand von 167 000 Tieren im Jahr 1973 auf noch nicht einmal 20000 im Jahr 1989 zurückgegangen. Im Tsavo-Nationalpark waren nur knapp 5000 Elefanten übriggeblieben. Noch schlimmer sah es in Uganda aus: Dort war der Bestand während der barbarischen Diktatur Idi Amins fast völlig vernichtet worden. Tansania hatte zwischen 1979 und 1989 drei Viertel seiner Population verloren. In der gleichen Zeit nahmen die Bestände in Ländern wie Südafrika, Botswana und Simbabwe zu, ein Gegensatz, der die Bemühungen zum völligen Verbot des Elfenbeinhandels stark belastete. In diesen Ländern umfaßte die strikte Verwaltung der Tierbestände oft auch das Ausdünnen; das, so argumentierte man, trage nicht nur zum Gleichgewicht zwischen
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Tierbeständen und gesunden Lebensräumen bei, sondern es verschaffe auch der lokalen Bevölkerung durch den Verkauf von Elfenbein, Leder und Fleisch ein gewisses Einkommen. Außerhalb der Nationalparks übernahmen in einigen Fällen einzelne Personen die Tierwelt als Eigentum, das heißt, sie durften die Natur in begrenztem Umfang ausbeuten. Mit »ausbeuten« ist dabei häufig das Töten aus sportlichen Gründen gemeint.
In Südafrika, wo man im Krüger-Nationalpark einen Bestand von etwa 7500 Elefanten jährlich um ungefähr 600 Tiere ausdünnte, lag der Erlös aus Fleisch, Häuten und Elfenbein bei drei Millionen Dollar. Die Wildschutzbehörde Simbabwes nahm auf dem gleichen Weg jährlich 4,5 Millionen Dollar ein. Ein Teil des Geldes floß in die Nationalparks, ein weiterer an die lokale Bevölkerung. Die Befürworter dieses Systems argumentierten in allen Fällen, die örtliche Bevölkerung setze sich für den Naturschutz ein, weil sie finanziell davon profitiere. Diese Vorgehensweise ist ein Beispiel für die sogenannte nachhaltige Nutzung, über die unter Naturschützern immer hitzigere Diskussionen geführt werden. Ich bin ein begeisterter Fürsprecher der Idee, die Tierwelt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Wir sollten die Elefanten und Antilopen nutzen, um Geld für Schulen, Krankenhäuser und landwirtschaftliche Einrichtungen zu beschaffen. Die Frage ist nur: Wie geht man dabei am besten vor?
Schon seit langem ist mir jede Art von Jagd zuwider, und die Vorstellung, aus sportlichen Gründen Trophäen zu sammeln, kann ich nicht akzeptieren. Im Fall der Elefanten gilt das auch für das Ausdünnen, dessen Erträge dann auf den Märkten umgesetzt werden. Man kann unmöglich auch nur für kurze Zeit mit Elefanten Zusammensein, ohne ihre Sensibilität als Einzelwesen und ihre komplexen Gruppenzusammenhänge zu bemerken. Sie sind intelligente, soziale Wesen. Ihre Kommunikation und ihr gegenseitiges Verstehen spielen sich auf einer hochentwickelten Ebene ab, die einen bei so großen Tieren vielleicht überrascht. Elefanten sind keine unbeholfenen, schwerfälligen Bestien; ihr körperliches Geschick und ihre Empfindlichkeit entsprechen ihrem raffinierten Verhalten.
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Deshalb halte ich es für angebracht, gegen das Ausdünnen der Elefanten ein ethisches Argument vorzubringen und zu sagen: Wenn man sie nicht dezimiert, erkennt man das Recht dieser Spezies an, in unserer Welt mit uns zusammenzuleben.
Aber dieses Zusammenleben ist natürlich eine verwickelte Angelegenheit. Wenn man Bauer ist und gerade die Ernte eines ganzen Jahres durch eine herumstreifende Elefantenherde verloren hat — was durchaus manchmal vorkommt —, hat man eine klare Vorstellung. »Die haben auf meinem Acker nichts zu suchen. Punktum.« Da etwa 40 Prozent der kenianischen Elefanten nicht in Nationalparks, sondern auf Privatgelände leben, ist das keine nebensächliche Frage. Als Bewohner eines Industrielandes sollte man das verstehen: Auch in den USA würde wohl kaum ein Farmer es zulassen, daß Bisons sich an seinen Maisfeldern gütlich tun oder Wölfe über seine Rinderherde herfallen.
Wie wir aus einer von mir in Auftrag gegebenen Studie wissen, verdankt Kenia von den 420 Millionen Dollar, die der Tourismus jedes Jahr ins Land bringt, etwa 30 Millionen den Elefanten. Damit hat jedes einzelne Tier einen in Dollar zu beziffernden Wert, der sich nachhaltig Jahr für Jahr wiederholt, im Gegensatz zu dem einmaligen Erlös beim Verkauf seiner Einzelteile. Naturschützer und Regierungen stehen nun vor der Aufgabe, diesen Ertrag sowohl der menschlichen Gemeinschaft als Ganzem zugute kommen zu lassen als auch für ein friedliches Miteinander von Elefanten und Landbevölkerung zu sorgen. Da Elefanten nun einmal große landlebende Pflanzenfresser sind, ist das eine gewaltige Herausforderung, denn sie brauchen ausgedehnte Reviere, in denen sie jeden Tag eine Riesenmenge an Vegetation abgrasen können. Und je kleiner ein Naturschutzgebiet ist, desto weniger Arten können darin überleben, das wissen die Biologen genau. Elefanten brauchen unter allen landlebenden Wirbeltieren die größten Flächen; wenn ein Nationalpark also alle ihre Bedürfnisse befriedigen soll, so daß sie nicht auf Privatgrund ausweichen, muß er sehr geräumig sein. Wildnisgebiete zu finden und zu schützen, die sich zu diesem Zweck eignen, ist äußerst schwierig. Aber wenn man es schafft, schützt man zugleich auch viele andere Arten mit kleineren Revieren — eine Art naturschützerischer Huckepackeffekt.
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Ihren Höhepunkt erreichte die Debatte über die Zukunft des Elfenbeinhandels im Oktober 1989 mit einer Konferenz der CITES-Staaten im schweizerischen Lausanne. Die Delegierten aus Ostafrika drängten auf ein Ende des Handels; juristisch bedeutete das, daß die Elefanten in den Anhang I des Washingtoner Artenschutzabkommens aufgenommen werden sollten; bei Arten, die in dieser Liste stehen, ist anerkannt, daß der Handel ihre Existenz gefährdet. Das Argument lautete: Der kontrollierte Handel hatte sich als Fehlschlag erwiesen, weil es zu große Anreize für die Wilderei und zu viele Schlupflöcher in den Bestimmungen gab. Südafrika, Botswana und Simbabwe sprachen sich für einen begrenzten Handel auf der Grundlage der Erträge des Ausdünnens aus. Sie behaupteten, die örtliche Bevölkerung werde den Anreiz zum Naturschutz verlieren, wenn sie nicht mehr von den Tieren profitieren könne, und dann werde der Elefant aussterben. Im Vorfeld der Konferenz hatte es Spannungen gegeben, denn das Thema hatte gewaltige Dimensionen angenommen. Der Elefant war nicht nur eine Art, deren Überleben bedroht war; er war zum Symbol für den Willen der menschlichen Gesellschaft geworden, die Natur zu schützen. Oder, wie der Biologe David Western es formulierte: Er war das Flaggschiff des Naturschutzes. Wenn es uns nicht gelang, das größte Landsäugetier vor dem Aussterben zu bewahren, welche Aussichten gab es dann noch, andere Arten zu schützen?
Ich räume ein, daß es klug ist, die finanziellen Erlöse der Tierwelt in die örtlichen Gemeinwesen fließen zu lassen, aber ich habe keinen Zweifel, daß die Genehmigung eines begrenzten Handels der weiteren katastrophalen Wilderei Tür und Tor geöffnet hätte, und dann hätte man den Elefanten bald nicht mehr bei den bedrohten, sondern bei den ausgestorbenen Arten aufführen müssen. Viele andere waren der gleichen Ansicht, aber als die Konferenz begann, war keineswegs sicher, wie die Abstimmung ausgehen würde. Als es soweit war, stimmten die Anwesenden mehrheitlich für die Aufnahme in den Anhang I, und im Januar 1990 trat ein weltweites Verbot des Elfenbeinhandels in Kraft.
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Der Weltmarktpreis für das Material sackte von 120 auf vier Dollar je englisches Pfund. Ich möchte glauben, daß das feurige Signal vom Juli 1989 die Delegierten bei der entscheidenden Abstimmung im darauffolgenden Oktober beeinflußt hat.
Es ist noch gar nicht so lange her, daß viele Menschen die Versklavung anderer Menschen als ethisch vertretbar betrachteten. Heute gilt das nicht mehr. Noch kürzer liegt die Zeit zurück, als man es für ethisch vertretbar hielt, aus sportlichen Gründen Schimpansen und Gorillas zu töten, unsere nächsten entwicklungsgeschichtlichen Verwandten. Heute gilt das nicht mehr. In der gleichen Weise verdient nach meiner Überzeugung auch der Elefant unseren Respekt und unseren Schutz.
Meine ethischen Einwände gegen das Ausdünnen der Elefantenbestände habe ich bereits dargelegt, und ich bin davon zutiefst überzeugt. Aber es gibt auch andere Gegenargumente. Die Befürworter des Ausdünnens bezeichnen die Methode oft leichthin als »wissenschaftliche« Art des Tierschutzes, die angeblich einen vernünftigen Weg zur Aufrechterhaltung der Harmonie in den Lebensgemeinschaften bietet. In Wirklichkeit sind diese wissenschaftlichen Befunde überholt; sie entstammen der alten Vorstellung vom Gleichgewicht der Natur, wonach Ökosysteme etwas Statisches sind. Ich habe in diesem Buch eine andere Aussage entwickelt: Das charakteristische Kennzeichen der Natur in kurzen wie in langen Zeiträumen ist nicht die Unveränderlichkeit, sondern der dynamische Wandel. Wenn wir mit unseren Bemühungen um den Artenschutz und die Erhaltung der biologischen Vielfalt Erfolg haben wollen, müssen wir diese Tatsache in Rechnung stellen und ausnutzen. Als letzte Unterstreichung dieser Aussage mag ein Besuch im Amboseli-Nationalpark im Süden Kenias dienen.
Amboseli ist mit etwa 400 Quadratkilometern nach allen Maßstäben ein kleiner Nationalpark; sein Anblick wird beherrscht vom nahe gelegenen Kilimandscharo, dem höchsten Berg Afrikas, dessen schneebedeckter Gipfel 5895 Meter hoch aufragt.
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Als die ersten europäischen Entdecker zu Hause von ihren Beobachtungen berichteten, mochte man ihnen kaum glauben: »Wie kann es so nahe am Äquator einen schneebedeckten Berg geben?« fragte man. Noch vor wenigen Jahren waren Besucher, die zuvor eine Landkarte studiert hatten, überrascht: Wo die Karte einen »Amboselisee« zeigte, erstreckte sich im wesentlichen eine trockene Ebene, die hier und da von kleinen Hügeln unterbrochen wurde. Enttäuscht waren sie dennoch nicht, denn der Amboseli-Park bietet ein Mosaik von Lebensräumen, die den Inbegriff afrikanischer Tierwelt beherbergten. Ein Flickenteppich aus Gehölzen, Graslandschaft, Sümpfen und jahreszeitlichen Wasserläufen ist die Heimat unzähliger Tierarten.
Cynthia Moss, die sich dort seit 1973 mit der Elefantenpopulation beschäftigt hat, berichtet, was für Arten dazugehörten: »Elefanten, Nashörner, Flußpferde, Giraffen, Büffel, Zebras, 13 Antilopenarten von den winzigen Dikdiks bis zu den 500 Kilo schweren Elenantilopen, vier Primaten- und drei Großkatzenarten, wilde Hunde, zwei Arten von Hyänen, drei Arten von Schakalen, mehrere kleinere Katzenarten sowie Ichneumons, Ginsterkatzen, Eichhörnchen, Hasen und seltsame Arten wie Erdwolf, Ameisenbär, Klippschliefer, Honigdachs und Schweine. Außerdem wurden im Amboseli-Park über 400 Vogelarten gezählt.«6 Zahllose Touristen haben diese Tiere mit dem Kilimandscharo als malerischem Hintergrund fotografiert.
Die Erwähnung des Amboselisees war 1991 mehr eine historische Anmerkung, als daß sie mit der Realität zu tun hatte. Der Kilimandscharo beherrscht den Amboseli-Nationalpark nicht nur optisch, sondern auch physisch, und das schließt auch den rätselhaften See ein. Vor fünf Millionen Jahren sah die Region geologisch ganz anders aus, nicht zuletzt weil es den Berg noch nicht gab. Statt dessen schlängelte sich ein großer Fluß in südöstlicher Richtung durch die Ebene, die heute den Amboseli-Park bildet, und mündete schließlich in den Indischen Ozean. Irgendwann vor zwei bis vier Millionenjahren hoben vulkanische Kräfte die flache Ebene in die Höhe, bis schließlich der heutige Berg entstanden war.
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Dadurch wurde der Fluß gestaut, und es entstand ein großer See von fast 1000 Quadratkilometern, der mehrere Millionen Jahre lang unzählige Tonnen Sedimente und Vulkanasche aufnahm. Schließlich füllten die Ablagerungen den See auf, und der Fluß suchte sich einen anderen Weg. Damit begann für die Gegend von Amboseli eine erheblich trockenere Periode: Zunächst ließ der Wechsel von Austrocknung und Überflutung in dem Becken abwechselnd unterschiedliche Lebensräume entstehen, aber vor etwa 10.000 Jahren beschränkte die Trockenheit die immer wiederkehrenden Überschwemmungen auf den Westteil des Sees. Dieser Bereich beherbergt den heutigen Lebensraum.
Wäre der Amboseli-Park für die Erhaltung seiner Vegetation ausschließlich auf das Regenwasser angewiesen, wäre er praktisch eine Wüste. Durch den Einfluß des Kilimandscharo auf das örtliche Klima beschränkt sich die jährliche Niederschlagsmenge auf etwa 300 Millimeter im Jahr; an den Flanken des Berges dagegen regnet es wesentlich mehr. Aber was der Kilimandscharo mit der einen Hand nimmt, gibt er mit der anderen wieder zurück: Unterirdische Wasseradern transportieren vom Berg Regen- und Schmelzwasser heran, das etwa 40 Kilometer durch poröses Lavagestein sickert und dann im Amboseli-Becken kalt und klar als lebenspendende Quellen ans Tageslicht kommt.
Sümpfe, Teiche und Kanäle lassen eine üppige Vegetation entstehen, deren Artenspektrum von Riedgras und Papyruspflanzen über Akazien bis zu den großen Fieberbäumen reicht. Die heutige Vegetation des Amboseli-Beckens und damit auch die Tierwelt, die hier leben kann, ist stark von der geologischen Vergangenheit des Gebietes beeinflußt. Die Sedimente, die sich über so lange Zeit ablagerten, brachten auch hohe Salzkonzentrationen mit. Nachdem der See ausgetrocknet war, konnten deshalb zunächst nur salzliebende Pflanzen in dem Becken überleben. Später spülte der Regen das Salz in tiefere Bodenschichten, so daß auch weniger salztolerante Arten zu einem Teil des Ökosystems werden konnten. Aber das Salz lauert auch heute noch und wartet nur darauf, mit dem Grundwasserspiegel zu sinken oder hochzusteigen; auf diese Weise beeinflußt es als Widerhall der entfernten Vergangenheit die heutige Vegetation.
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Den heutigen Amboseli-Nationalpark, wie ich ihn hier beschreibe, würde ein Besucher mit dem kraftvollen Eindruck einer üppigen Tierwelt in Ebenen und Buschlandschaften vor dem Hintergrund des höchsten Berges Afrikas verlassen. Vor fünf Millionen Jahren sah alles ganz anders aus: Ein von Bäumen gesäumter Fluß schlängelte sich durch eine Überflutungsebene, die Tierwelt war eine andere, und es gab keinen Berg. Auch vor 10.000 Jahren wäre es noch eine völlig andere Landschaft gewesen, mit einem glitzernden See am Fuße des Berges. Pflanzen- und Tierwelt waren reichhaltig, aber die Vegetation beschränkte sich auf salztolerante Pflanzen, und damit war auch der Speisezettel der Tiere eingeschränkt. Auf die großen Veränderungen während langer Zeiträume hinzuweisen mag banal erscheinen, aber ich betone es, weil man vor den heutigen geologischen Verhältnissen so leicht in Ehrfurcht versinkt und dabei vergißt, daß sie wie wir in den Zeiträumen der Evolution nur etwas Vorübergehendes sind. Vom Kilimandscharo werden in ein paar Millionen Jahren nur noch Reste vorhanden sein, die Erosion, Zeit und Wandel übriggelassen haben.
Ich möchte noch auf zwei weitere Besonderheiten des Amboseli-Nationalparks hinweisen, an denen allgemeine Gesetzmäßigkeiten von Naturschutz und biologischer Vielfalt deutlich werden. Erstens können sich in einem Lebensraum auch in kurzer Zeit dramatische Veränderungen abspielen. Damit meine ich nicht die Entstehung eines Berges oder das Verschwinden eines Sees, sondern viel bescheidenere Dinge, die oft mit der Regenmenge zu tun haben. Solche geringfügigen Veränderungen können auf das überlebende Ökosystem tiefgreifende Auswirkungen haben. Und zweitens ist das zuvor beschriebene reichhaltige Mosaik von Lebensräumen, die damals wie heute von höchst vielfältigen Tierarten besiedelt sind, nicht einfach das Produkt der Wechselbeziehungen zwischen Geländeform und Wasserversorgung. Noch etwas anderes hat den Lebensraum entscheidend mitgeformt und die hohe Artenvielfalt entstehen lassen: Loxodonta africana.
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In meiner anfänglichen Beschreibung des Amboseli-National-parks habe ich gesagt, Besucher seien wegen der Diskrepanz zwischen den Versprechungen der Landkarte und der Realität überrascht gewesen. In den vorangegangenen zehn Jahren hatte sich die Gegend drastisch verändert: Sie war viel trockener geworden und trug nur noch einen Bruchteil des früheren Pflanzenwuchses. Die Sümpfe waren kleiner, die Papyruspflanzen wuchsen spärlicher, und vor allem waren die Buschlandschaften zerstört. Im mittleren Teil des Parks war die Hälfte aller Pflanzenarten, die früher dort gediehen waren, verschwunden. Staubwirbel fegten zwischen skelettartigen Baumresten umher.
Auch mehrere Vogelarten, einige kleine Säugetiere und zahlreiche große Pflanzenfresser gab es nicht mehr. Gazellen, Weißschwanzgnus und Zebras — alles Tiere, die auf Gras angewiesen sind — waren noch reichlich vorhanden, aber Blätterfresser wie Giraffe, Schwarzfersenantilope und Kudu wurden selten. Die früher verbreiteten Meerkatzen sah man kaum noch, und der Bestand an Pavianen war auf weniger als die Hälfte geschrumpft. Amboseli war kein afrikanischer Garten Eden mehr. Zu den verheerenden Veränderungen trugen mit ziemlicher Sicherheit mehrere Ursachen bei, aber in der Frage, was das für Ursachen waren, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Häufig schob man die Schuld auf die Elefanten, die zwischen dem Druck durch die Wilderei außerhalb des Parks und die schwindende Vegetation innerhalb seiner Grenzen in einer Zwangslage waren. Da war es kein Wunder, daß die alte Diskussion um das Ausdünnen der Bestände wieder aufflammte.
Daß es in dem Park einen großen Elefantenbestand gab, stimmte. Die Populationsdichte war dort vielleicht höher als irgendwo sonst in Afrika: Auf 400 Quadratkilometern lebten etwa 750 Tiere. Und es stimmt auch, daß das Populationswachstum vor allem durch Elefanten zustande kam, die vor der Wilderei in den Park geflüchtet waren. Dort waren sie in Sicherheit, und das wußten sie. Bei einer derart hohen Bevölkerungsdichte der Elefanten geriet die Pflanzenwelt unter Druck: Immerhin braucht ein einziges Tier über 150 Kilogramm Nahrung am Tag, um gesund zu bleiben. Verstärkt wurde dieser Druck noch durch den offenbar immer mehr zunehmenden Wassermangel.
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Dennoch machte man es sich nach meiner Vermutung zu einfach, wenn man die großen Elefantenbestände allein für die Verwüstungen im Amboseli-Park verantwortlich machte. Es gab gute Gründe für die Annahme, daß wir hier einen natürlichen Zyklus miterlebten. Als beispielsweise der Entdecker Joseph Thomson vor 100 Jahren die Gegend bereiste, sah Amboseli eher wie 1991 und nicht wie 1981 aus. In seinem 1887 erschienenen Buch Through Masailand bezeichnete er die Gegend als verwüstet und öde. Er schreibt, sie sei flach, staubig und ohne Bäume gewesen, eine Beschreibung, die vor ein paar Jahren ebenfalls zugetroffen hätte. Wild war reichlich vorhanden, allerdings mit ziemlicher Sicherheit in geringerer Zahl als in den Zeiten üppigen Pflanzenwuchses.
Selbst wenn wir über den Amboseli-Park nicht mehr wüßten als das, was in diesen Beschreibungen aus der Zeit um 1880, 1980 und 1990 steht, müßten wir zu dem Schluß gelangen, daß sich hier eine Art natürlicher Kreislauf abspielt: von der Staubwüste zur üppigen, mosaikartigen Vegetation und wieder zur Staubwüste. In Wirklichkeit wissen wir aber aufgrund umfangreicher historischer Befunde, daß die Pflanzenwelt in dem Park während der letzten 100 Jahre immer wieder dramatischen Veränderungen unterworfen war und sich wie in anderen Gegenden Ostafrikas von dichter Waldlandschaft zu kahlen Ebenen wandelte. Die Ursache solcher Schwankungen sind meist Veränderungen der Niederschlagsmenge. Im Amboseli-Nationalpark gelangte aber das alte Salz durch das Steigen und Fallen des Grundwasserspiegels wieder bis dicht unter die Oberfläche, so daß es die Wurzeln schädigte und die Bäume langsam absterben ließ. Nach meiner Vermutung trug eine solche veränderte Verteilung des Salzes unter der Erde zu dem bei, was wir in letzter Zeit über der Erde beobachteten.
Ich leugne nicht die Auswirkungen der großen Elefantenpopulation und der damit verbundenen Belastung durch Hunderttausende von Touristen auf die Lebensräume, aber ich glaube, daß dies nur ein zusätzlicher Faktor und nicht die alleinige Ursache ist. Wenn das stimmt, sind alle Versuche, die Situation kurzfristig zum Beispiel durch das Ausdünnen der Elefantenbestände zu entschärfen, vermutlich zum Scheitern verurteilt. Zurückhaltung — und viel Geduld — ist ein viel klügeres Mittel des Naturschutzes, sowohl in Zeiten der Belastung als auch in ruhigeren Phasen.
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Diese Überlegungen entwickelte ich in der ersten Zeit meiner Tätigkeit als Leiter der kenianischen Wildschutzbehörde. Am Amboseli-Park und seiner Geschichte zeigte sich nach meiner Überzeugung eindeutig das sich ständig wandelnde Antlitz der Natur, und es war eine Warnung an alle, die der Natur ihren Willen aufzwingen wollen. Seit etwa drei Jahren steigt der Grundwasserspiegel wieder, die Sümpfe werden größer, Seen blinken, wo Staubwolken über die ausgedörrte Erde zogen, und überall sprießen Bäume und Büsche. Auch der Druck durch die Elefanten hat nachgelassen, denn nachdem man der Wilderei ein Ende gemacht hatte, konnten die Tiere wieder gefahrlos die Grenzen des Parks überschreiten. Und manche Tierarten, die aus dem Park verschwunden waren, kehren zurück. Das Land am Fuß des Kilimandscharo erteilt uns eine Lektion, die wir beherzigen müssen, wenn wir den Strom des Lebens, zu dem auch wir gehören, verstehen wollen.
Wenn man zusieht, wie ein Elefant einen Baum zerlegt oder einen Schößling ausreißt, ist man leicht von seiner zerstörerischen Kraft beeindruckt. Das beschriebene Bild des Amboseli-Nationalparks, wie er vor einigen Jahren aussah, spricht sicher für massenhafte Zerstörung. Aber die Biologen sehen die Zerstörungsfähigkeit der Elefanten mittlerweile unter einem anderen Gesichtspunkt: als kreative Kraft. Die Idee ist so einfach wie stichhaltig: Wenn die Bäume in einer offenen Waldlandschaft zerstört werden, entsteht eine Umwelt, in der die Büsche überleben können. Die Zerstörung der Büsche in einer Buschsavanne eröffnet dem Gras neuen Lebensraum. Wer jemals in einem dichten Wald war, ist zwangsläufig beeindruckt von den majestätisch hohen Bäumen, die den Menschen weit überragen und von denen vielleicht andere Pflanzen herabhängen. Aber nach einiger Zeit dringt die seltsame Stille ins Bewußtsein. Wo sind die großen Tiere? Es gibt sie nicht, oder zumindest nicht viele Arten; die Gras- und Blätterfresser, die man in offenen Graslandschaften beobachtet, fehlen.
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Wie die Biologen mittlerweile erkannt haben, sind Elefanten eine entscheidende Kraft für die Schaffung neuer mosaikartiger Lebensräume, in denen andere Arten gedeihen können: Blattfresser in neu entstandenen Buschlandschaften, Grasfresser in neuen Wiesengebieten. Eine solche Tierart ist wie der Schlußstein in einem Gewölbe. Und wie das Gewölbe, dessen Schlußstein man herauszieht, so bricht auch das Ökosystem zusammen, wenn diese entscheidende Art verschwindet. Nach Ansicht des Biologen Norman Owen-Smith von der University of the Witwatersrand in Johannesburg kann man dies in nicht allzu ferner Vergangenheit in großem Maßstab beobachten. Er räumt ein, daß die Jagd durch Menschen am Ende des Pleistozän mit ziemlicher Sicherheit in Amerika zum Aussterben der großen Pflanzenfresser führte.
Aber, so sein Hinweis, daneben starben auch viele kleinere Säugetiere und Vögel aus, Arten, die wahrscheinlich nicht zum Opfer der auf Mastodons und Gomphotheren fixierten Jäger wurden. Als die großen Pflanzenfresser ausgelöscht wurden, schlossen sich die offenen Waldlichtungen, Buschlandschaften wurden wieder zu dichten Gehölzen, und das Mosaik aus Gras und Bäumen verwandelte sich in einheitlich offene Wiesen. Diese Veränderungen der Pflanzenwelt, die sich an fossilen Pollenkörnern nachweisen lassen, schränkten die Lebensräume der kleineren Säuger immer weiter ein, und das führte zu der Welle des Aussterbens, die man anhand der Fossilien nachweisen kann.
Etwas Ähnliches beobachtet man heute in manchen Gegenden Afrikas, in denen die Elefanten ausgerottet wurden. Nachdem es sie nicht mehr gibt, werden aus den vielseitigen Lebensräumen der Gras- und Blätterfresser einheitliche Busch- oder Waldlandschaften, in denen weit weniger Arten überleben können. Dieser Effekt wird zum Beispiel nördlich des Amboseli-Parks deutlich, wo das Gelände mit einheitlichem, dichtem Buschwerk bedeckt ist.
Die Folgerungen sind eindeutig. Wenn der Elefant wegen eines entsetzlichen Mangels an Weitblick oder aufgrund fehlenden politischen Willens ausstirbt, werden ihm viele weitere Arten auf dem Weg in die entwicklungsgeschichtliche Vergessenheit folgen.
Die entscheidende Bedeutung der Elefanten für die Vielfalt der Lebensräume wurde in der lautstarken Debatte um die Zukunft des Elfenbeinhandels, das Ausdünnen und so weiter schlicht übersehen, obwohl sie ein wichtiger Faktor in der Gesamtrechnung ist. Der Elefant ist nicht nur eine einzelne, vom Aussterben bedrohte Art. Und er ist noch nicht einmal nur das Flaggschiff der Naturschützer, der Prüfstein für unseren Willen, die Natur zu achten und zu erhalten.
Auf seinem Überleben beruht das Überleben zahlreicher anderer Arten in der großartigen Vielfalt der afrikanischen Tierwelt, die unser Erbe aus den Jahrmillionen der Evolution darstellt.
Nicht mehr und nicht weniger.
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