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Szenario 2500 
Löbsack-1989

 

9-11

Gäbe es einen Weisen, der - sagen wir - im Jahre 2500 als einziger den Untergang des Menschengeschlechts überlebt hätte und zurück­blicken könnte auf das, was in den vergangenen fünf Jahrhunderten auf der Erde geschehen ist — was würde er zu berichten haben?

Bestimmt wäre es wenig Schmeichelhaftes für den Homosapiens. Zwar würde unser Chronist sicher nicht so sentimental sein zu behaupten, der Menschheits-Holocaust sei die Strafe Gottes gewesen für die Maßlosigkeiten dieser Spezies, für ihre Ausschweifungen, den Mißbrauch und die Zerstörung der Natur, für zweifelhafte Fortschritte in Technik und Medizin, für Umweltvergiftung und zügellose Massen­vermehrung. 

Statt dessen wird er wahrscheinlich auf das Zwangsläufige dieses Geschehens verweisen. Nicht Bevölkerungsexplosion, nicht atomare Verseuchung oder verheerende Krankheiten wird er beklagen, sondern das menschliche Großhirn. Denn das selbstmörderische Verhalten der Menschheit ist das unmittelbare und zwangsläufige Produkt dieses Organs gewesen.

Würde sich unser fiktiver Überlebender des Jahres 2500 auf der Erde umsehen, so würde er vermutlich feststellen, daß der blaue Planet trotz des für ihn segensreichen Verschwindens seiner bisher größten Plage noch immer nicht aufatmen konnte. Überall wird er noch Spuren jener Verwüstung erblicken, die der Mensch hinterlassen hat. 

Es wird radioaktiv verseuchte Gebiete geben und Kernkraftwerksruinen, wenn nicht gar zerbombte Landschaften, die von der gefährlichsten, vom menschlichen Gehirn je ersonnenen Energieform zeugen, zu deren Bändigung es nicht imstande war. Sand- und Felswüsten werden zu sehen sein, wo einst fruchtbarer Boden reiche Ernten hervorbrachte und blühende Wälder wuchsen: Folgen der Erosion, des allzu profitbedachten und kurzsichtigen Umgangs mit der Ackerkrume.

Umgeben von einer aufgeheizten Atmosphäre wird unser letzter Mensch überschwemmte Küstenregionen gewahren, an deren Gestaden die hoch­schlagenden Meeresfluten nagen. Vergeblich würde er nach seinesgleichen suchen, doch wird die Erde nicht leblos sein. Robuste Pflanzen und Tiere werden überlebt haben und die Erde bewohnen. 

Es werden Lebewesen sein, die den anthropogenen Killerfaktoren trotzen konnten, die Radioaktivität und Viruskrankheiten, chemische Gifte und Vernichtung von Lebensräumen überstanden haben, die sich mit einer ungeheuren Anpassungsleistung hinüberretten konnten in eine menschenleere Welt.

Betrachtete unser weiser Mann diese Kreaturen, so dürfte ihm auffallen, daß es hauptsächlich Insekten sind, die als Nachfolger des Menschen alle anderen Lebewesen beherrschen. Die größeren Tierarten und zahlreiche Pflanzen werden ausgestorben sein und selbst viele Ozeanbewohner wird dies Schicksal ereilt haben. Aber die Insekten werden sich stark vermehrt haben. Ein Heer von vielfältig an die noch vorhandenen ökologischen Nischen angepaßten Arten wird ihn umwimmeln. Die sechsbeinigen Tiere werden sich zwar hier und da von den zur Menschenzeit lebenden Arten unterscheiden, doch werden es keine spektakulären Neulinge sein, keine Monstertypen aus den Gruselstreifen einstiger Filmemacher. 

Dafür werden sie über Eigenschaften verfügen, die sie vor dem Ausgerottetwerden bewahrt haben. Sie werden imstande sein, Pestiziden und hohen radioaktiven Belastungen zu widerstehen und sich an rasch wechselnde Umwelt­verhältnisse anzupassen. Dazu waren sie ja nicht zuletzt deshalb befähigt, weil sie mit der Technik des Überlebens auf der Erde eine sehr viel längere Erfahrung hatten als der Mensch.

Unser letzter Überlebender wird sich erinnern, daß es Insekten schon vor rund 350 Millionen Jahren zur Zeit der großen Steinkohlenwälder gab, daß damals bereits Urinsekten und geflügelte Arten lebten, und daß vor rund 225 Millionen Jahren schon nahezu alle »Insektenordnungen«, wie die Zoologen sagen, zumindest als Prototypen auf der Erde vertreten gewesen sind. Zu dieser frühen Zeit gab es noch keine Säugetiere, geschweige denn Menschen. Als höchstentwickelte Arten krochen Lurche* umher, während bei den Pflanzen gerade die Riesenschachtelhalme, die Schuppenbäume und Farne das Licht der Welt erblickt hatten.

Weit geschickter als andere Tiere hatten es die Insekten verstanden, sich die unterschiedlichsten Lebensräume zu erobern. Rasch entwickelten sie die erstaun­lichsten Körperformen, Sinnesorgane und Verhaltensweisen. Sie protzten nicht mit Größe und Gewicht wie die Saurier oder Mammute, und wo sie es doch einmal riskierten, kamen sie bald wieder davon ab, wie die Riesenlibellen zur Karbonzeit mit ihren Flügelspannweiten bis zu 70 Zentimetern.

* (d-2014:)   wikipedia  Amphibien  

Die Insekten konnten als erste Tiere fliegen und hielten dieses Monopol über lange Zeit. Rund 50 Millionen Jahre sollten seit ihrem Auftauchen vergehen, bis die ersten fliegenden Reptilien und Vögel auftraten. Ihrem Flugvermögen verdankten es die Sechsbeiner, daß sie sich rasch über große Gebiete ausbreiten konnten, um sich entlegene Nahrungsquellen und Lebensräume zu erschließen, wenn die vorhandenen erschöpft oder übervölkert waren.

Zugute kam ihnen schließlich ihr schlechthin idealer Körperbau. 

Die Dreiteilung in Kopf, Brust und Hinterleib brachte viele Vorteile. Am Kopf entstanden vielseitige Mundwerkzeuge, mit denen sie die verschiedenartigste Nahrung aufnehmen konnten. Ein Bewegungszentrum im Brustbereich mit speziellen Muskeln vollbrachte Spring- und Flugleistungen, die jede menschliche Technik weit in den Schatten stellen. Die Insekten entwickelten ein hervorragend Schutz bietendes Außenskelett, und zur Fortbewegung am Erdboden haben sich bei ihnen nicht zwei, vier oder acht, sondern sechs Beine bewährt, eine Zahl, an der sie über viele Jahrmillionen unbeirrt festgehalten haben.

Ein »Fortpflanzungszentrum« im Hinterleib sicherte ihnen höchst wirkungsvoll die Nachkommenschaft. Mit dem Trick, sich über Zwischenstadien zu entwickeln, also zunächst Larven zu bilden, konnten sie als ein und dieselbe Art Luft, Land und Wasser bewohnen. Ihre rasche Vermehrung, die schnelle Aufeinanderfolge der Generationen und die meist große Nachkommenzahl ließen sie gegenüber anderen Tieren viel öfter neue Merkmale und Eigenschaften als Spielmaterial hervorbringen, um es der auslesenden Umwelt zur Tauglichkeitsprüfung vorzuweisen. So konnten sie nahezu alle verfügbaren ökologischen Nischen dauerhaft besetzen, und wo sich ihre Umwelt plötzlich änderte, hatten sie bessere Chancen, ihr Überleben in kurzer Zeit mit neuen Anpassungen zu sichern.

Mit allen diesen Vorzügen trotzte diese bemerkenswerte Tiergruppe selbst jenen tödlichen Gefahren, denen sie sich in der letzten Phase der Menschheit gegenübersah, insbesondere den Insektengiften. Sie haben diese Herausforderung bestanden, und es ist anzunehmen, daß sie mit dem Planeten Erde auch weiterhin in einer erfolgreichen Gemeinschaft leben werden — auf eine Art und Weise, die im Gegensatz zum menschlichen Verhalten ihre Lebensgrundlagen schont und nicht zerstört.

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Theo Löbsack - Insekten