2. Flugzeugabgase:
Der Dreck von oben
21-44
Über viele Jahre stießen die von Flugzeugen ausgestoßenen Abgase kaum irgendwo auf ernsthaftes Interesse. Im Laufe der 70er Jahre, als weltweit nach Jahren des ungezügelten Wirtschaftswachstums die ersten breitgefächerten Umweltbewegungen entstanden, war zeitweilig auch der Flugverkehr Ziel von Initiativen zur Luftreinhaltung.
Ursache hierfür waren sicherlich die weithin sichtbaren Rauchfahnen, die alle Düsenflugzeuge seinerzeit vor allem bei den Starts hinter sich herzogen. Diese setzten sich hauptsächlich aus Ruß (also Kohlenstoff), Kohlenwasserstoffverbindungen (CnHm) und Kohlenmonoxid (CO) zusammen - alles Folgen einer unvollständig ablaufenden Verbrennung in den Turbinen. Eine tatsächlich vollständige Verbrennung hätte nur den Ausstoß von Kohlendioxid und Wasserdampf zur Folge.
Damalige Bemühungen gingen vor allem in die Richtung, die Emission der genannten Verbindungen zu reduzieren. Es wurden Triebwerke mit einer besseren Kerosinverbrennung entwickelt, wodurch sich die spezifischen Emissionen tatsächlich deutlich minderten und somit eine bessere Kraftstoffausnutzung erreicht wurde, was auch als Energiesparmaßnahme diente. Durch den gewaltigen Anstieg des Luftverkehrs (nur während der Ölkrisen wurde der Boom ein wenig abgeschwächt) wurde die Minderung der relativen Schadstoffemission jedoch wieder wettgemacht, so daß trotz besserer Triebwerke die insgesamt ausgestoßenen Schadstoffmengen stagnierten oder sogar noch stiegen.
Zudem wirkten sich diese Bemühungen um eine Senkung der Schadstoffe Ruß, Kohlenwasserstoffe und Kohlenmonoxid fatal auf den Ausstoß eines anderen Schadstoffes aus: Eine optimierte Verbrennung mit einem geringeren Ausstoß unvollständig verbrannter Treib Stoffanteile bedeutet zugleich eine höhere Verbrennungstemperatur. Und dies ist wiederum gleichbedeutend mit einem Anstieg der Stickstoffoxidemissionen.
Die vom Standpunkt des Umweltschutzes her problematischen Stickoxide entstehen nämlich nur in sehr geringem Ausmaß als unmittelbares Verbrennungsprodukt des Treibstoffs, sondern mittelbar, indem durch die bei allen Verbrennungen entstehende Hitze normaler Luftstickstoff (N2) aufgespalten wird und sich mit ebenso aufgespaltenem Luftsauerstoff (O2) eben zu Stickoxiden, meist zunächst Stickstoffmonoxid, verbindet. Als Faustregel gilt, daß mit höheren Verbrennungstemperaturen der Ausstoß an Stickoxiden ebenso steigt.
Mit der Entwicklung von vermeintlich umweltfreundlichen Triebwerken in den 70er Jahren ist also der "Teufel mit dem Beelzebub" ausgetrieben worden, indem die Minderung des Ausstoßes des einen Schadstoffes durch die Erhöhung eines anderen ersetzt worden ist - ähnliches gab es seinerzeit beim Auto.
Ein paar Zahlen in folgender Tabelle belegen dies eindrucksvoll. Die in verschiedene Flugzeuge vom Typ Boeing und neuerdings vom Typ Airbus eingebauten Triebwerke brachten im Laufe der Jahre zwar deutlich verminderte Emissionen an Kohlenwasserstoffen und Kohlenmonoxid, jedoch ebenso eine deutliche Steigerung beim Stickoxid. Auch wenn von Seiten der Triebwerkshersteller versucht wird, durch konstruktive Maßnahmen ein Ansteigen der Stickoxidemissionen zu verhindern, so ist dies bisher kaum gelungen.
Triebwerksname
JT 3D
CF6-50
JT8D-17
CF6-80
eingebaut in
Boeing 707
Boeing747
Boeing 737
Airbus A310
seit
1961
1975
1983
1983
Emissionen pro Testzyklus
CnHm
313 g
49 g
37 g
8g
CO
282 g
97 g
113 g
33 g
NOx
34 g
60 g
60 g
54 g
Während also der spezifische Ausstoß eines Flugzeugmotors bei Kohlenwasserstoffverbindungen und Kohlenmonoxid in rund zwanzig Jahren auf Bruchteile des früher Üblichen absank, hat sich die Stickoxidemission bei den modernen Triebwerken allen Bemühungen zum Trotz fast verdoppelt.
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Wieviel Schadstoffe werden von Flugzeugen insgesamt ausgestoßen?
So aufschlußreich die Zahlen auch sein mögen: sie sagen letztendlich noch nichts darüber aus, wie groß die von Flugzeugen tatsächlich ausgestoßenen Schadstoffmengen insgesamt sind. Denn es ist ja schön, wenn der spezifische Schadstoffausstoß in zwanzig Jahren zum Teil um 90 Prozent gesenkt werden konnte. Dies ist für die Umwelt jedoch kaum eine Verbesserung, wenn sich das Luftverkehrsaufkommen in diesem Zeitraum vervielfacht. Denn auch schadstoffärmere Flugzeugmotoren brauchen viele Jahre, ehe sie sich auf dem Markt durchsetzen. So fliegen auch heute noch etliche Exemplare der alten Boeing 707 mit den antiquierten Triebwerken über unseren Köpfen.
Auch ist es so, daß die bei den großen und modernen Fluggesellschaften ausgemusterten älteren Flugzeuge nicht etwa verschrottet werden, sondern sehr oft an die nicht so finanzkräftigen Fluggesellschaften der sogenannten "Dritten Welt" preiswert verkauft werden. Auf diese Weise fliegen diese alten und zumeist auch sehr lauten Dreckspatzen weiterhin umher. Wenn vornehmlich auch nur noch seltener direkt über unseren Köpfen...
Um nun genauer in Erfahrung zu bringen, wie groß die von Flugzeugen ausgestoßenen Mengen der Schadstoffe sind, hat die Bundesregierung den TÜV Rheinland beauftragt, die Abgasemissionen über dem Gebiet der Bundesrepublik zu ermitteln. Die Abschlußstudie des TÜV wurde im Sommer 1989 veröffentlicht. Ermittelt wurden in diffiziler Kleinarbeit die verschiedenen Schadstoffemissionen von zivilen und militärischen Flugzeugen für verschiedene Höhenbereiche für ein auf das bisherige Gebiet der Bundesrepublik projeziertes Raster. Auf einige wichtige Ergebnisse dieser Studie soll hier näher eingegangen werden.
Alles zusammengerechnet ermittelte der TÜV folgenden Energieverbrauch sowie Schadstoffemissionen durch Flugzeugverkehr über dem Gebiet der Bundesrepublik (die Werte in Klammern geben an, wieviel Prozent hiervon vom zivilen / militärischen Flugverkehr emittiert wurden):
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gesamt
% zivil / militärisch
Kraftstoffverbrauch
2.802.439 t
(57,0 % / 43,0 °/o)
Kohlendioxid CO2
8.800.000 t
(57,0 % / 43,0 %)
Kohlenmonoxid CO
47.823 t
(48,4 % / 51,6%)
Stickstoffoxide NOx
28.892 t
(64,8 % / 35,2 %)
Kohlenwasserstoffe CnHm
9.156 t
(44,6 % / 55,4 %)
Schwefeldioxid SO2
2.746 t
(58,0 % / 42,0 %)
Hinzu kommt allein im zivilen Bereich 656.944 Tonnen Wasserdampf in Flughöhen über 30.000 Fuß (= 9.140 m), die sich zunehmend als klimarelevant erweisen (s. Kapitel zu den Klimafolgen; Angaben über Wasserdampfemissionen militärischer Flüge, die teilweise in noch wesentlich größere Höhen gehen, fehlen völlig).
TÜV-Studie mit alten, längst überholten Daten
Bei diesen beeindruckend hohen Zahlen muß berücksichtigt werden, daß in der 1989 veröffentlichten Studie die Berechnungen des TÜV auf dem für 1984 ermittelten Luftverkehrsaufkommen basieren. Seit 1984 hat jedoch vor allen Dingen der zivile Flugverkehr weiterhin drastisch zugenommen, bis 1989 an den größten bundesdeutschen Flughäfen zwischen rund 50 bis 100 Prozent. Die Schadstoffemissionen des zivilen Flugverkehrs stiegen natürlich in ähnlicher Größenordnung. Es ist verwunderlich, daß der TÜV in seiner Studie auf solch altes Datenmaterial zurückgreift, denn es wäre für den TÜV kein unüberwindliches Problem gewesen, von den Flughäfen und den zuständigen Institutionen (z.B. Bundesanstalt für Flugsicherung) aktuellere Zahlen zu erhalten.
Es ist nicht auszuschließen, daß die niedrigeren Zahlen auch so beabsichtigt sind, um die Zahlen ein wenig schöner erscheinen zu lassen als die aktuellen. Es läßt sich aufgrund der Zunahme des Flugverkehrs also grob abschätzen, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik die Stickstoffoxidemissionen im Flugverkehr 1990 bei ca. 45.000 bis 50.000 Tonnen gelegen haben müssen, wenn man die TÜV- Berechnungen als Basis nimmt. Für die anderen Schadstoffe ist eine solche Abschätzung schwieri-
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Abbildung 3: Schematische Darstellung der durch den Luftverkehr verursachten Stickoxidemissionen über dem Gebiet der bisherigen Bundesrepublik. Die Stickoxide werden angegeben als Stickstoffdioxid sowohl für den zivilen wie auch den militärischen Luftverkehr für alle Flughöhen. Erkennbar sind Emissionsschwerpunkte im Rhein-Main-Gebiet sowie um München (Quelle: TÜV Rheinland).
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ger vorzunehmen, da die Emissionsverhältnisse mit den zunehmend verwendeten neuen Düsen sich stärker ändern, als dies bei den Stickoxiden der Fall ist. Eine Zunahme ist jedoch auch bei den anderen Schadstoffen absolut sicher.
Trotzdem sollen die Daten des TUV hier noch weiterhin verwendet werden, da sie das derzeit einzige Material in dieser Ausführlichkeit darstellen.
Nun liegt es zunächst nahe - und dies wird auch oft gemacht -die aus dem Luftverkehr stammenden Schadstoffmengen zu vergleichen mit den Schadstoffemissionen des gesamten Verkehrssektors. Dies führt zu folgenden Verhältnissen (auch hier für das Jahr 1984, Angaben in Tonnen):
CO
CnHm
NOx
so2
Gesamtverkehr
6.745.600
1.214.250
1.680.200
97.350
Ziviler Flugverkehr
23.150
4.100
18.750
1.600
Militärflugverkehr
24.650
5.050
10.150
1.150
Flugverkehr gesamt
47.800
9.150
28.900
2.750
Straßenverkehr
6.463.900
1.146.400
1.450.100
64.600
Übriger Verkehr
233.900
58.700
201.200
30.000
Gegenüberstellung der pro Jahr emittierten Schadstoffe von verschiedenen Verkehrsträgern für die Bundesrepublik 1984, alle Angaben in Tonnen pro Jahr - das Gebiet der DDR ist jeweils nicht mitberücksichtigt.
Der Anteil des Flugverkehrs am Verkehrssektor mag zunächst nur als unbedeutend gering erscheinen, er beträgt für die einzelnen Schadstoffe:
Kohlenmonoxid 0,7 %
Kohlenwasserstoffe 0,8 %
Stickoxide 1,7 %
Schwefeldioxid 2,8 %Hierbei sollte wieder bedacht werden, daß diese Zahlen von 1984 sind. Einer überschlägigen Rechnung zufolge muß der Anteil bei den Stickoxiden für 1990 jedoch bereits bei rund drei Prozent liegen und auch weiterhin so schnell ansteigen, da einerseits die Emissionen im Autoverkehr langsam aber stetig zurückgehen oder zumindest stagnieren werden, andererseits jedoch die Emissionen im Flugverkehr weiter rasant steigen werden.
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Sind Flugabgase für die Umwelt uninteressant?
Diese einigermaßen geringen Zahlen veranlassen die Politiker und Flugwirtschafter noch immer zu der Aussage, der Flugverkehr würde nur einen sehr geringen Anteil an den gesamten Schadstoffemissionen haben und somit vernachlässigbar sein. So hieß es noch im Bundestag 1988 in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen: "Die vom Luftverkehr ausgehenden Schadstoffemissionen liegen nach gegenwärtigem Erkenntnisstand in der Größenordnung von 1 % der gesamten Schadstoffemission. Die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der vom Flugverkehr in der Troposphäre ausgehenden Emissionen können daher nicht gravierend sein." Zu den in der Tropopause emittierten Schadstoffen heißt es im gleichen Papier lapidar: "Es werden aber auch hier keine gravierenden Auswirkungen erwartet."
Hierbei wird jedoch nicht seriös argumentiert, denn die am Erdboden ausgestoßenen Schadstoffe sind mit den in der höheren Atmosphärenschicht durch Flugzeuge verursachten Emissionen in ihrer Wirkung in keiner Weise vergleichbar. Ein gutes Beispiel für die sehr unterschiedlichen Wirkungen von Emissionen ist der Wasserdampf: Der in Bodennähe ausgestoßene Wasserdampf hat nach bisherigen Erkenntnissen keinerlei umweltrelevanten Folgen (Ausnahme vielleicht lokale Belästigungen durch die massiven Emissionen von Kühltürmen). Der in großen Höhen emittierte Wasserdampf erweist sich jedoch zunehmend als eine eminente Gefahr für das Weltklima (s. Kapitel über Klimagefährdungen durch das Flugzeug). Hier zeigt sich, daß die Schadstoffemissionen am Boden und in der Höhe nicht vergleichbar sind: was hier unten harmlos ist, kann dort oben höchst bedenklich sein.
Werden dennoch reine Schadstoffmengen miteinander verglichen, was immer wieder vorkommt, dann stellt man zwei völlig unterschiedliche Dinge nebeneinander. Auf diese Art und Weise
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ist es bisher Politik und Wirtschaft gelungen, das Flugzeug gesund bzw. sauber zu beten. Solche Aussagen, ob vorsätzlich oder fahrlässig, verdrehen Tatsachen in unzulässiger Weise.
Auch muß bei einer solchen Aussage berücksichtigt werden, daß ein Industrieland wie die gerade vergrößerte Bundesrepublik insgesamt gigantisch große Schadstoffemissionen hat, an denen viele umliegende Staaten hart zu schlucken haben. Dies heißt, daß ein oder zwei Prozent dieses Schadstoffausstoßes auch schon erhebliche Mengen sind, die schon gar nicht zu vernachlässigen sind. Eine für 1990 angenommene Menge von 50.0001 Stickoxiden (berechnet als NO2) allein durch den Luftverkehr ist z.B.schon fast die Hälfte der Menge, die ein Staat wie Norwegen (von der Fläche her wesentlich größer und von tieferen Wintertemperaturen gebeutelt) mit Gesamtverkehr, Hausbrand, Industrie und Kraftwerken insgesamt ausstößt. In Norwegen gibt man sich große Mühe, die eigenen Emissionen zu senken - bei uns, einem kleineren und wesentlich dichter besiedelten Staat, sollen solche Schadstoffmengen "vernachlässigbar" sein?
TÜV-Studie mit noch mehr Schwächen
Doch noch einmal zurück zu der Studie des TÜV. Neben der erheblichen Panne der Verwendung von viel zu alten Daten hat die TÜV-Studie noch ein paar weitere Schwächen aufzuweisen. So wurde die Erhebung der Schadstoffemissionen lediglich für die Stickoxide, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, der Summe der Kohlenwasserstoffverbindungen sowie des Wasserdampfes (letzterer nur für den zivilen Flugverkehr in Höhen größer als 30.000 Fuß) durchgeführt. Für diese Schadstoffe sind dann Karten der Bundesrepublik für verschiedene Höhen angefertigt worden, die einen Eindruck gewinnen lassen, wie groß die jeweiligen Emissionen in den rasterförmig aufgegliederten Regionen sind. Immerhin wurden in dieser Untersuchung erstmalig auch Daten des militärischen Flugverkehrs eingebracht, was nicht einfach ist, da im allgemeinen die Militärs fest auf den Daten der Anzahl der durchgeführten Flüge sowie der Emissionsmengen der einzelnen Jets sitzen.
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Schließlich dürfe hierüber "aus militärischen Sicherheitsgründen" keine Auskunft erteilt werden. Dadurch ist die Abschätzung des TÜVs auf diesem Gebiet natürlich mit einigen Unsicherheiten behaftet, die nicht der TÜV selber zu verantworten hat.
Wesentlich gewichtiger sind da jedoch schon die erheblichen Lücken bei den erfaßten bzw. berechneten Schadstoffen: Auf genauere Angaben über Schadstoffemissionen wie Kohlendioxid, Staub, Ruß, Schmieröl oder Schwermetalle wurde verzichtet. Die Kohlenwasserstoffe wurden nur als Summenangabe für die diversen, sich in den Auswirkungen stark unterscheidenden Verbindungen angegeben. Differenziertere Angaben wurden nicht gemacht. Auch wurden die Kohlenwasserstoffemissionen beim Betanken ebensowenig berücksichtigt, wie das bekannte Ablassen von Treibstoff (der ja aus Kohlenwasserstoffverbindungen besteht) durch Flugzeuge in besonderen Situationen.
Es kann in keiner Weise die Rede davon sein, daß in dieser Studie die Emissionen erfaßt sind, die durch den Flugverkehr verursacht werden. Denn der Flugverkehr in seiner Gesamtheit verursacht noch weitere Emissionen, die durchaus spezifisch für die Abwicklung sind und somit in einer solchen Erhebung auch berücksichtigt werden müssen. Die Rede ist hier zum Beispiel von Maschinentests der Triebwerke, die bei Wartung und Reparatur in gesonderten Testständen durchgeführt werden. Oder aber der Betrieb der Autos auf dem Flughafen (Schleppfahrzeuge, Busse, Schneeräumfahrzeuge, Lieferwagen - ein großer Fuhrpark ist für den Betrieb eines Flughafens vonnöten). Oder auch z.B. Dinge wie eine Ölbeheizung der diversen Flughafengebäude. Genau genommen sollte bei einer solchen Gesamterhebung sogar auch der zusätzliche Autoverkehr berücksichtigt werden, der durch die langen Anfahrtswege verursacht wird.
Ganz besonders zu kritisieren ist jedoch noch ein weiterer Punkt in der TUV-Erhebung, der durch die Systematik der Erhebung zustande kommt und zu einer starken Verzerrung führt. Die Methode, nur die Schadstoffemission über dem Gebiet der Bundesrepublik zu erfassen, beinhaltet nämlich Lücken. Würden alle Staaten der Welt eine Berechnung der über ihrem Staatsgebiet ausgestoßenen Schadstoffe durchführen, so hätte man noch längst nicht die Gesamtmenge der durch Flugzeuge verursachten Emissionen. Diejenigen Schadstoffe, die über den Ozeanflächen ausgestoßen werden, fallen hierbei gänzlich un-
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ter den Tisch und werden überhaupt nicht berücksichtigt. Da es jedoch bekanntermaßen keineswegs so ist, daß für diese Emissionen niemand verantwortlich ist, müssen auch diese in solchen Schadstofferhebungen berücksichtigt werden. Es wäre ein richtiges Vorgehen, z.B. die Schadstoffmengen aller derjenigen Flüge aufzusummieren, deren Startort in der Bundesrepublik liegt. Zu Erhebungen dieser Art gehört einfach eine breitere Perspektive, als es in der TUV-Studie praktiziert wurde.
Abschließend soll der Hinweis nicht fehlen, daß der TÜV bei seinen Berechnungen von ganz erheblich geringeren spezifischen Schadstoffausstößen ausgeht, als sie beispielsweise bisher von der Bundesregierung angegeben wurden. Während die Angaben der Bundesregierung sich auf internationale Literaturangaben beziehen, kommt der TÜV zu eigenen Ergebnissen. Als Beispiel werden hier die Emissionsangaben eines "Jumbo-Jets" Boeing 747 verglichen. Hier gibt die Bundesregierung im Jahre 1984 für einen "typischen Start-Lande- Zyklus" folgende Emissionsmengen an: Kohlenmonoxid (CO) 85,6 kg, Kohlenwasserstoffverbindungen (CnHm) 25,6 kg, Stickoxide (NOx) 51,6 kg. Der TÜV kommt beim Jumbo für eine Flugbewegung im Jahre 1987 zu folgenden Zahlen: Kohlenmonoxid (CO) 8,0 kg, Kohlenwasserstoffverbindungen (CnHm) 4,7 kg, Stickoxide (NOx) 6,6 kg. Bei anderen Flugzeugtypen sind die Unterschiede in ähnlicher Größenordnung. Die Zahlenangaben der Bundesregierung, die sicherlich auch nicht völlig aus der Luft gegriffen waren, liegen für eine normale Flugbewegung also um das fünf- bis elffache höher als die Rechnungen des TÜV. Diese riesige Diskrepanz ist durch technische Maßnahmen in den dazwischen liegenden Jahren nicht zu erklären, ebensowenig durch unterschiedliche Betrachtungsweisen.
Es kann und soll an dieser Stelle keine nähere Bewertung dieser Unterschiede durchgeführt werden, allerdings zeigt sich ein weiter Unsicherheitsbereich solcher Berechnungen. Es stellt sich daher die grundsätzliche Frage, inwieweit solchen Angaben überhaupt Vertrauen geschenkt werden kann.
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IFEU liefert bessere Hochrechnung
Das Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Heidelberg hat eine ähnliche Hochrechnung der Ergebnisse des TÜV gemacht. Dies geschah in Abweichung der Vorgehensweise des TÜV unter der Berücksichtigung folgender Flugstrecken:
der innerdeutschen
derjenigen grenzüberschreitenden Flugstrecken aus der Bundesrepublik bis zum ersten ausländischen Landepunkt
derjenigen grenzüberschreitenden Flugstrecken aus dem Ausland ab dem letzten ausländischen Startpunkt
die Flüge im Jahre 1987 wurden berücksichtigt.
Es wird also nicht nur der Schadstoffausstoß über dem Gebiet der Bundesrepublik berechnet, sondern derjenige der vollständigen Flüge, die aus oder in die Bundesrepublik führen. Es handelt sich also um die Schadstoffmenge, für die die Bundesrepublik sozusagen "verantwortlich" ist — auf jeden Fall ein korrekteres Vorgehen.
Bei dieser Vorgehensweise erhöhen sich die Zahlen für Transportleistung, Energieverbrauch und Schadstoffemission drastisch. Die Verkehrsleistung für den Personenverkehr im Jahre 1987 betrug hiernach im Inland 5,1 Mrd. Personenkilometer (Pkm), beim grenzüberschreitenden Verkehr 92,8 Mrd. Pkm. Analog wurden im Güterverkehr 4,71 Mrd. Tonnenkilometer (tkm) geleistet.
Eine Gesamtbilanz für den Kraftstoffverbrauch ergibt für den zivilen Flugverkehr der Bundesrepublik einen Energiebedarf von 6,05 Mio. Tonnen Kraftstoff, hiervon entfallen 4,46 Mio. t auf den Personenverkehr und 1,59 Mio. t auf den Gütertransport. Zusätzlich errechnete das IFEU einen Kraftstoffverbrauch von 1,3 Mio. t des militärischen Flugs, so daß davon auszugehen ist, daß die Bundesrepublik im Jahre 1987 für einen Kraftstoffverbrauch von 7,35 Mio. t Flugkraftstoff verantwortlich ist. Zudem werden bei Überflügen über die Bundesrepublik ohne Zwischenlandung 0,85 Mio. t Treibstoff verbraucht.
Für den zivilen Flugverkehr errechnet das IFEU folgende Schadstoffemissionen, die insbesondere für die Stickoxide wesentlich höher sind, als das Umweltbundesamt errechnet hat:
Passagier-flugverkehr
Güter-flugverkehr
Gesamt-flugverkehr
(in Tonnen)
(in Tonnen)
(in Tonnen)
Kohlendioxid CO2
15.000.000
5.700.000
20.700.000
Kohlenwasserstoffe CnH
30.000 '
15.000
45.000
Stickstoffoxide NOx
69.000
26.000
95.000
Kohlenmonoxid CO
27.000
7.000
34.000
Zu diesen Zahlen hinzurechnen sind noch die Emissionen vom Militärflugverkehr und von Überflügen.
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Die Luftverschmutzung durch den zivilen Instrumentenflug
Trotz der oben genannten Schwächen sollen hier in Ermangelung besserer oder neuerer Daten einige weitere Ergebnisse der TÜV-Rheinland-Studie vorgestellt werden. Bei dem zivilen Instrumentenflug handelt es sich um den kommerziellen Passagierflug mit den mehr oder minder großen Jets.
Bei folgenden Situationen eines Fluges ist mit unterschiedlicher Emission von Schadstoffen zu rechnen:
Beim Warmlaufen der Triebwerke.
Beim Rollen von der Abstellposition bis zum Startpunkt mit sieben Prozent Triebwerksleistung (im Fachjargon "Taxi-out" genannt).
Beim Beschleunigen des Flugzeugs mit vollem Schub auf der Startbahn bis zum Abheben ("Take-off).
Beim Aufsteigen bis zu einer Höhe von 1.500 Fuß (ft, 1 Fuß entspricht 0,31 Metern) mit voller Triebwerksleistung, danach mit verringerter Leistung von 85% bis zur Reisehöhe ("Climb-out").
Beim Reiseflug in gleichbleibender Höhe ("Cruise", 70 % Triebwerksleistung) und dem Sinkflug bis zum Landeanflug ("Descent") mit rund 30 °/o der möglichen Leistung.
Beim Landeanflug ("Approach"), der ab 2.500 ft mit konstanter Fluggeschwindigkeit erfolgt, sowie der anschließenden Landung ("Landing"), verbunden mit Ausrollen auf der Landebahn und Schubumkehr zum Abbremsen. Die Landung wird vom TÜV in den Anflug miteingerechnet.
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Beim Rollen vom Ende der Landebahn zur Abstellposition ("Taxi-in"), wieder mit ca. sieben Prozent Triebwerksleistung.
Bei der Verwendung von Hilfstriebwerken (APU-Triebwerken) während des Stehens am Boden zur Aufrechterhaltung der Stromversorgung, während die Haupttriebwerke abgeschaltet sind.
Soweit es aus den Angaben des TUV hervorgeht, wurden das Warmlaufen der Triebwerke sowie der Betrieb der Hilfstriebwerke für die Schadstofferhebungen nicht berücksichtigt. Für die verbleibenden und sicherlich auch bedeutendsten Flugzustände errechnete der TÜV für die verschiedenen Flughöhen folgende Emissionen pro Jahr für die gesamte Fläche der Bundesrepublik (Höhenangaben jeweils in Fuß):
Flughöhe (ft)
CO(t)
CnHm (t)
NOx (t)
S02 (t)
Boden bis 5.000
7.028
2.672
4.280
357
5.000-10.000
2.171
283
3.024
231
10.000-15.000
1.501
194
2.006
156
15.000-20.000
833
117
901
80
20.000-25.000
414
57
821
52
25.000-30.000
952
174
1.963
184
höher als 30.000
2.646
406
5.700
526
Bedacht werden muß hierbei wieder, daß die Angaben für das Flugaufkommen von 1984 errechnet sind. In den darauffolgenden fünf Jahren ist die Zahl der Flugbewegungen in dieser Branche um rund 60 Prozent gestiegen, wobei wiederum zum Teil neuere Jets zum Einsatz kommen, deren spezifischen Emissionen ein wenig gesunken sind. Es ist jedoch sicherlich keine übertriebene Annahme, daß die obigen Zahlen für 1990 um rund 40 bis 50 Prozent nach oben verbessert werden müssen.
Es fällt auf, daß der größte Teil der besonders gefährlichen Stickoxide in sehr großen Höhen ausgestoßen wird, außerdem beim Startvorgang bei der vollen Triebwerksleistung. Die Schadstoffe Kohlenmonoxid und die Kohlenwasserstoffverbin-
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düngen kommen weitaus am meisten am Boden sowie beim Landen vor. Eine Übersicht über den qualitativen Verlauf der Schadstoffemission eines Düsenflugzeuges in den verschiedenen Betriebszuständen bietet die folgende Abbildung.
Abb. 4: Grafische Darstellung der relativen Emissionen eines Düsenflugzeuges in Abhängigkeit von der relativen Triebwerksleistung, die unten eingezeichnet ist. Im oberen Teil der Grafik sind die einzelnen Flugzustände eingezeichnet. Hieraus geht hervor: Je höher der Triebwerksschub ist, desto stärker steigt der Stickoxidausstoß (NOx) an. Dagegen fallen gleichzeitig die Kohlenmonoxid- (CO) und Kohlenwasserstoffemissionen (HC) kraß ab (Quelle: TÜV Rheinland).
Auch für das Gebiet der Schweiz wurden Hochrechnungen für die Schadstoffemissionen durch den Flugverkehr veröffentlicht. Auffallig ist zunächst, daß das "Bundesamt für Zivilluftfahrt" nicht wie der TUV Rheinland vier Jahre für die Berechnungen benötigte, sondern knapp ein Jahr. Für das Jahr 1987 wurden wenige Monate später folgende Angaben veröffentlicht (in Tonnen):
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Anzumerken ist, daß die militärische Fliegerei nicht hierin enthalten ist. Der Anteil der NOx-Emissionen lag 1987 bei 3 % der gesamten Stickoxidemissionen der Schweiz. Auch dies wiederum allein im Bereich der zivilen Luftfahrt. Der Anteil des Flugverkehrs an der Luftbelastung durch Stickoxide wird in der Schweiz also bereits deutlich höher eingeschätzt.
Militärflug sorgt für Dreck in allen Ebenen
Der militärische Flugverkehr verfügt über eine grundsätzlich andere Charakteristik als der zivile Luftverkehr. Er spielt sich zum einen in wesentlich geringeren Höhen ab, zum anderen aber auch in noch größeren Höhen. Vor allem der militärische Tiefflug trägt erhebliche Mengen an Luftschadstoffen in Regionen, die durch Industrie und Autoverkehr noch nicht gar so stark gebeutelt sind wie die Großstädte. Gerade durch die Tiefflieger wird also aller Wahrscheinlichkeit nach ein durchaus für die Luftqualität bedeutendes Maß an Schadstoffen in die Umwelt der recht dünn besiedelten Zonen getragen.
Nur: Untersuchungen hierüber liegen im Moment noch nicht vor. Eine von vielen offenen Fragen über die Umweltauswirkungen des Flugverkehrs.
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Die im militärischen Flugverkehr in der TUV-Studie festgestellten Schadstoffemissionen für verschiedene Flugarten und -zustände sind in der folgenden Tabelle zusammengefaßt (Angaben jeweils in Tonnen für 1984):
Besonders Kohlenmonoxid (CO) und die noch giftigeren Stickstoffoxide (NOx) werden also vor allem im Tiefflug ausgestoßen. Außerdem verteilen die zumeist auch nicht in allzugroße Höhen führenden Hubschrauberflüge erstaunlich große Mengen Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffverbindungen (CnHm) in die unteren Luftschichten, beides Schadstoffe, die vor allem bei schlechten Verbrennungen auftauchen. Folglich treten in der Umgebung der Flugplätze relativ große Schadstoffmengen auf.
Der Sichtflug fällt kaum noch ins Gewicht
Bei den riesigen Schadstoffmengen, die durch den zivilen Instrumentenflug sowie beim Militärflug entstehen, fällt der Sichtflugbetrieb nur noch wenig ins Gewicht. Hierzu wird vor allem der private Flugverkehr gezählt, der zumeist auf den regionalen Verkehrsflugplätzen und den sogenannten Verkehrslandeplätzen abgewickelt wird.
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Unter diesen Flugzeugbewegungen finden rund drei Vierte mit kleinen einmotorigen Flugzeugen statt, die ein maximale Abfluggewicht von 2,0 Tonnen haben. Gut sieben Prozent sine mehrmotorige Flugzeuge mit über 2,0 Tonnen Startgewichi Rund fünfzehn Prozent der Sichtflugbewegungen sind vor al lern auf Motorsegler und privat betriebene Hubschrauber zu rückzuführen - diese beiden Kategorien berücksichtigte de TUV in seiner Untersuchung nicht weiter.
Insgesamt kommt der TÜV zu folgenden Ergebnissen für der Sichtflug, der 1984 über der Bundesrepublik stattfand:
Kraftstoffverbrauch 9.540 t
Kohlenmonoxid 7.620 t
Kohlenwasserstoffe 180 t
Stickoxide 30 t
Schwefeldioxid 4 t
Auffallend sind die sehr hohen Kohlenmonoxidemissionen, die auf die relativ schlechte Verbrennung in den Kolbenmotoren zurückzuführen sind. Immerhin entspricht diese Menge de: Hälfte der im Linienflug ausgestoßenen CO-Masse. Die anderer Schadstoffmengen sind gering und für die lufthygienischen Verhältnisse tatsächlich auch relativ unbedeutend, zumal sie mit diesen kleinen Maschinen nicht in die oberen Atmosphären schichten getragen werden, wo sie äußerst schädlich wirken.
Schadstoffreduzierung durch technische Lösungen?
Durch technische Neuentwicklungen konnten die Emissionei von Kohlenwasserstoffverbindungen, Kohlenmonoxid unc Ruß also teilweise schon reduziert werden, wenn man die spezi fische Emission pro gebrachter Leistung betrachtet. Ander sieht es jedoch bekanntlich bei den Stickoxiden aus. Die Emis sion dieser Verbindungen nimmt mit verbesserter Verbren nung, wie sie für obige Maßnahmen nötig ist, deutlich zu. Diese; Zunahme steht man bisher bei den Triebwerkskonstrukteurei recht hilflos gegenüber. Mit aufwendigen Neuerungen hat mai bisher erst minimale Verbesserungen geschafft.
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Trotzdem baut gerade die Luftfahrtindustrie, vor allem die Fluggesellschaften, auf solche technischen Neuerungen zur Stickoxidverminderung. Durch konstruktive Änderungen der Flugzeugturbinen läßt sich beispielsweise erreichen, daß die Aufenthaltszeit des Treibstoffs in der Turbine kürzer wird und trotzdem relativ vollständig verläuft. Diese kürzere Aufenthaltszeit bewirkt, daß weniger Zeit für die Bildung des durch die hohen Temperaturen gebildeten "thermischen" Stickoxides bleibt. Eine, wenn auch geringfügige Minderung der Stickoxidemissionen ist das Resultat.
Eine andere technische Möglichkeit wäre, das Mischungsverhältnis von Treibstoff und Luft zu ändern. So gibt es auch bereits erste Entwicklungsarbeiten, eine "magere" Treibstoffver-brennung in Triebwerken zu erreichen. Dies bedeutet, daß weniger Treibstoff als bisher mit der gleichen Menge Luft vermischt und dann verbrannt wird. Hierdurch würden niedrigere Verbrennungstemperaturen erreicht werden, womit auch weniger Stickoxid erzeugt würde. Man hofft, später einmal eine NOx-Reduktion um 70 bis 80 Prozent erreichen zu können - allerdings ist man hiervon noch weit, sprich etliche Jahre entfernt. Auch hat man mit erheblichen Nachteilen zu kämpfen: größere, schwerere, aufwendigere und vor allem weniger betriebssichere Turbinen wären die Folge.
Eine einfachere und schneller durchzuführende Maßnahme wäre das Einspritzen von Wasser in die Brennkammer. Die Verbrennungstemperatur würde hierdurch gesenkt werden, es entsteht weniger "thermisches" Stickoxid. Je nach eingespritzter Wassermenge würde sich das Stickoxid um bis auf 15 Prozent des Normalwertes verringern. Trotzdem wehrt man sich bei der Flugzeugindustrie gegen diese relativ einfache Maßnahme: Die Flugzeuge würden durch den Wassertransport erheblich schwerer, der Energieverbrauch hierdurch würde steigen und es stünde weniger nutzbare Transportkapazität zur Verfügung. Auch Sicherheitsnachteile werden aufgeführt. Ein weiterer Nachteil: Die Wasserdampf-Emissionen würden erheblich steigen, was wieder andere Umweltprobleme bringt.
Wenig Hoffnung besteht dagegen, einen Katalysator einzuführen, der ähnlich effektiv wie beim Auto wäre. Bisher ist kein Werkstoff bekannt, der den hohen Temperaturen des Abgas-
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strahls sowie den gewaltigen mechanischen Belastungen auf Dauer gewachsen wäre. Auch würde solch ein Katalysator mit einem großen Zuwachs an Fluggewicht erkauft werden. Die zuweilen sogar von Fluggesellschaften geäußerten Hoffnungen auf solch ein Gerät entbehren derzeit jeder Grundlage und sind in diesem Jahrtausend mit Sicherheit nicht mehr zu erwarten.
Der von einigen Politikern und Fluggesellschaften dringlich geforderte Wasserstoffantrieb kann ebenfalls keine Lösung bedeuten: Besonders die in hohem Maße steigenden Wasserdampfemissionen würden zu erheblichen Problemen mit den in größeren Flughöhen hieraus entstehenden Eiswolken führen (s. Kapitel über Klimagefährdungen).
Technische Lösungen zur Reduzierung oder gar Vermeidung der hochgradig klimagefährdenden Wasserdampf- oder auch der Kohlendioxidemissionen zeichnen sich derzeit überhaupt nicht ab. Auch für die Stickoxide kommt beispielsweise die Lufthansa nicht daran vorbei zuzugeben, daß die Stickoxidemissionen der eigenen Luftflotte bis zum Jahr 2000 weiter ansteigen werden, wenn auch "unterproportional" - also nicht ganz so stark wie die erwartete Erhöhung der Verkehrsleistung. Im Klartext: wir werden in den kommenden Jahren mit deutlich höheren Stickoxidemissionen aus Flugzeugen zu rechnen haben.
Insgesamt wird hieraus deutlich, daß (ähnlich wie beim Auto) das Herumdoktoren an den Umweltproblemen mit vermeintlichen technischen "Lösungen" kaum ernsthafte Verbesserungen bringt. Für einige Bereiche der Abgas-Probleme ist diese "Ingenieurs-Lösung" gar keine. Der Verweis auf solche Ansätze mag eher dazu dienen, aufbegehrenden Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl einzuflößen, daß hieran gearbeitet wird. Das noch verbreitete Grundvertrauen in die Technik soll bestärkt werden: "Das bekommen wir schon hin, bisher haben wir noch alle Probleme gelöst." Zweifel hieran sind nicht nur angebracht, sondern nötig!
Dies soll jedoch nicht heißen, daß nicht alle bekannten Möglichkeiten von technischen Schadstoffreduzierungen konsequent genutzt werden müssen, um den tatsächlich durchgeführten Luftverkehr so wenig umweltfeindlich wie nur irgend möglich zu gestalten - wenn er sich denn schon nicht vollends vermeiden läßt. Die Durchsetzung solcher Ziele geschieht am besten mit der Festlegung von rigiden Grenzwerten. Doch dies ist schon ein weiteres düsteres Kapitel der Luftfahrt.
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Grenzwerte, die kaum welche sind
Uns allen sind sicherlich die langanhaltenden Streitigkeiten um die Grenzwert-Gesetzgebung der Autos in Erinnerung. Ähnliche Grenzwerte gibt es auch für Flugzeuge - nur sind diese Schadstoffvorschriften bisher weltweit stiefmütterlich behandelt worden. Einen ersten Schritt hatte hierzu im Jahre 1982 die US-amerikanische Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) getan: Für einen genormten Test-Zyklus wurden für die in den USA zuzulassenden Flugzeuge Schadstoffhöchstmengen für Kohlenmonoxid, unverbrannte Kohlenwasserstoffverbindungen, Stickoxide und Rauch gesetzlich vorgeschrieben. Der vorgeschriebene Test-Zyklus beinhaltet lediglich Messungen bei der Simulation von Start und Landung, der Reiseflug wird nicht berücksichtigt. Bedauerlich auch, daß versäumt wurde, für die gefährlichsten Einzelkohlenwasserstoffe (z.B. Benzol) getrennte Vorschriften zu erlassen, sowie Kohlendioxid, Schwermetalle und Wasserdampf keine Berücksichtigung fanden.
Diese Regelungen wurden von der International Civil Aviation Organization (ICAO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, übernommen. Damit haben sie für den Bereich des zivilen Linienflugverkehrs einen Richtliniencharakter -mehr nicht. Richtlinien haben nun einmal keinen gesetzlichen Charakter, sind also nicht einklagbar.
Bezeichnenderweise ist das auch gar nicht notwendig. Denn die Vorschriften sind dermaßen lasch, daß jedes halbwegs moderne und wirtschaftliche Triebwerk sie leicht einhält. Angaben in der Fachliteratur zufolge erreichen moderne Triebwerke die ICAO-Richtwerte bei Stickoxiden und Rauch zu etwa 50 Prozent, bei Kohlenmonoxid zu 20 bis 30 Prozent und bei Kohlenwasserstoffen zu etwa 15 Prozent. Dies zeigt deutlich, daß sich die vorgegebenen Richtwerte keinesfalls am aktuellen Stand der Technik orientieren, was bei solch einer Handhabung von Grenz- und Richtwerten unumgänglich wäre.
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Bei einem Vergleich mit einigen Vorschriften der rechtsgültigen bundesdeutschen Grenzwerte der Verwaltungsvorschrift TA-Luft wird deutlich, daß im Leerlaufbetrieb die Kohlenmo-noxidemissionen zu hoch sind, während bei Start und erstem Anstieg die Stickoxid- und Rauchemissionen deutlich zu hoch lägen. Der Haken an dieser Sache: Die TA-Luft ist eine Vorschrift, die bei Verwaltungs- und rechtlichen Vorgängen für stationäre (also ortsfeste) Industrie- und Gewerbebetriebe Gültigkeit besitzt - keinesfalls für Flugzeuge oder Flughäfen...
Für diese Emissionen gibt es in ganz Europa derzeit keinerlei rechtsverbindliche Vorschriften, ein Armutszeugnis. Es verwundert da sicherlich niemanden mehr, daß für Militärflugzeuge weder Grenz- noch Richtwerte gültig sind. Nicht einmal vorgeschriebene Tests gibt es, von einem festen Test-Zyklus ganz zu schweigen. Es besteht bei den Militärs ein Trend dahin, zum Schutz vor Identifizierung eine möglichst rauch- und rußfreie Verbrennung zu erzielen, so daß ähnliche Bestrebungen wie im zivilen Flugverkehr bestehen. Alles andere fällt unter die dümmliche Klausel "militärische Geheimhaltung".
Es wird höchste Zeit, daß weltweit endlich eine verbindliche Grenzwertregelung eingeführt wird, die den Triebwerksentwicklern zwingend und ständig Aktivitäten zur Schadstoffreduzierung auferlegt. Dies ist zu erreichen durch scharfe Grenzwerte, die in relativ kurzen Zeitabständen immer wieder nach unten gedrückt werden. Solche Regelungen müssen für alle Felder des Luftverkehrs gültig sein, also sowohl den militärischen als auch den zivilen Sektor abdecken. Allerdings steht zu vermuten, daß solche Maßnahmen auch nur der Versuch wären, an Symptomen zu kurieren. Grundlegende Verbesserungen kann und darf man hiervon nicht erwarten.
Fuel Dumping - nur eine von vielen Luftbelastungen?
"Fuel Dumping" - das Abpumpen von Treibstoff im Flug - wird oftmals als ein bedeutendes Umweltproblem des Flugverkehrs angesehen. Konkrete Daten und Untersuchungen hierzu sind bisher Mangelware, so daß eher grundsätzliche Betrachtungen angestellt werden können.
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Aus den vorliegenden Angaben scheint sich jedoch herauszukristallisieren, daß dieser Vorgang keineswegs so häufig vorkommt, wie es zuweilen befürchtet wird. In Unterlagen für eine Anhörung der Bundestags-Enquete-Kommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" gab die Lufthansa erstmalig öffentlich Auskunft über das Vorkommen dieser "Fuel Dumps" in "Ausnahmefällen". Nach den Angaben kam es bei Lufthansaflügen zwischen 1984 und 1989 über dem Gebiet der Bundesrepublik zu jeweils drei Fällen von Fuel Dumps pro Jahr (weltweit waren es 1986 5 Fälle, 1987 8,1988 6). Dies bedeutet laut Lufthansa ein Ereignis pro 40.000 Flüge.
Hierbei sollen jährlich höchstens 250 Tonnen Treibstoff abgelassen worden sein. Da die Lufthansa ja nicht die einzige über der Bundesrepublik verkehrende Fluggesellschaft ist, hat das IFEU in einer Abschätzung berechnet, daß die gesamte über der Bundesrepublik abgepumpte Treibstoffmenge etwa beim Fünffachen der Menge liegt, die die Lufthansa abpumpt. Es dürften also im Jahr höchstens 1.250 Tonnen Treibstoff über der Bundesrepublik abgelassen worden sein - eine für sich genommen recht große Menge.
Nach Angaben der Lufthansa wird dieses Verfahren nur in echten Notfällen wie Triebwerksausfällen angewendet. Da für alle Flugzeuge festgelegte Höchstgewichte für die Landung bestehen, kann es nötig sein, dieses Landegewicht durch das Ablassen des Treibstoffs zu erreichen. Dies gilt insbesondere, wenn direkt nach dem Start aufgrund von technischen Pannen sofort wieder gelandet werden muß. Sehr beliebt ist dieses Verfahren natürlich auch bei der Lufthansa nicht gerade, schließlich wird mit dem Treibstoff bares Geld abgepumpt. Zwar ist aufgrund der steuerlichen Förderung Kerosin im Vergleich zu Autobenzin spottbillig (eine Tonne, also rund 1270 Liter kosten rund 500 DM!), jedoch verursacht solch ein Abpumpen trotzdem überflüssige Kosten.
Die jüngsten Angaben zu diesem Komplex wurden im Januar 1991 in einer Antwort der hessischen Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen bekannt. Die Aussagen bestätigen, daß es allein auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt im Schnitt zu 120 Notlandungen jährlich kommt. Diese Notlandungen sind normalerweise mit einem Ablassen des Treibstoffs verbunden, so daß sehr große Mengen zu erwarten sind.
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So wurden allein bei 18 dieser Notlandungen in der Zeit von Mitte 1987 bis Mitte 1990 insgesamt mindestens 300 Tonnen Kerosin über Hessen und den angrenzenden Regionen abgepumpt. Komplette Zahlen für alle Notlandungen liegen jedoch nicht vor. Am schwersten sind nach Angaben der hessischen Landesregierung der Spessart, der nördliche Odenwald, der Taunus sowie Mittel- und Nordhessen betroffen. Im schlimmsten Fall wurden auf einmal 92.000 Liter Kerosin abgepumpt.
Durch diese Angaben scheinen sich die obigen Angaben des IFEU durchaus zu bestätigen. Allerdings ist die vom IFEU angegebene Menge von 1.250 Tonnen pro Jahr möglicherweise noch zu klein, wenn alle Notfälle sowie die Untaten der Bundeswehr Berücksichtigung finden.
In diesem Zusammenhang vermag die Bundesregierung, auf insgesamt 53 "bekanntgewordene" Fälle von Fuel Dumping im Flugbetrieb der Bundeswehr zwischen 1983 und 1986 zu verweisen. Die hierbei abgepumpte Treibstoffmenge ist nicht bekannt. Hinzu kommen die Fälle der sonstigen Luftstreitkräfte in der Bundesrepublik.
Für ein Ablassen des Treibstoffs sollte normalerweise eine Mindestflughöhe bestehen, was sicherlich längst nicht in allen Fällen erreichbar ist. Ist dies der Fall, verdampft und zersetzt sich der Treibstoff, der mittels Hochleistungspumpen in einer Menge von rund 2 Tonnen pro Minute abgeleitet wird, normalerweise schnell. Allerdings nicht ohne chemisch zu reagieren und zum Teil sehr aggressive Substanzen wie Ozon zu bilden.
Von der Lufthansa werden Untersuchungen aus Zürich sowie eine englische Studie vorgebracht, nach denen Treibstoffspuren in Pflanzen- und Bodenproben in Flughafenumgebung nicht nachzuweisen ist. Ob dies schon die letzte Erkenntnis in diesem Bereich ist, bleibt dahingestellt.
Unzweifelhaft ist jedoch, daß, wenn ein solches Ablassen erfolgt, die Atmosphäre lokal heftig durcheinandergebracht wird. Aus Kohlenwasserstoffverbindungen entsteht im Zusammenspiel mit Stickoxiden, das die Flugzeuge gleich mitliefern, bei Sonnenlicht Ozon. Es steht zu erwarten, daß gerade bei solch massivem Auftreten von dem reaktiven Ausgangsmaterial kurzzeitige Episoden mit äußerst hohen Konzentrationen auftreten. Je tiefer die Flughöhe beim Abpumpen, desto gefährlicher wird dies dann für Mensch und Natur.
Aber auch das Kerosin selber "ist nicht ohne", sofern es nicht in der oberen Atmosphärenschicht schon vom Sonnenlicht zersetzt ist und die Atemluft erreicht. Es enthält bis zu 22 Prozent aromatische Kohlenwasserstoffverbindungen, von denen einige als krebserregend gelten. Auch von der Umweltwirkung der zahlreichen chemisch kompliziert aufgebauten Zusätze ist bisher nichts bekannt. Insgesamt lassen sich über die Umweltauswirkungen des Fuel Dumping bisher nur grobe Vermutungen anstellen. Freilich handelt es sich hierbei nicht um eines der vorherrschendsten Umweltprobleme des Luftverkehrs.
Trotzdem mutet es nahezu absurd an, daß die Fälle von Fuel Dumping in der Bundesrepublik nicht einmal erfaßt werden, beispielweise von der Bundesanstalt für Flugsicherung (Sitz in Frankfurt mit Außenstellen auf allen Verkehrsflughäfen der Bundesrepublik). Um überhaupt einmal einen Überblick über die Fälle des Abpumpens von Flugzeugtreibstoff zu bekommen, ist es höchste Zeit, daß Vorschriften erlassen werden, wonach Fuel Dumping - wenn es in einigen Fällen schon nicht zu vermeiden ist - zu melden und mit Zeit, Ort, Fluggesellschaft, Menge und Anlaß zu registrieren ist.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden einen Eimer voll Benzin in den Wald kippen. Wenn Sie hierbei erwischt werden würden (was hoffentlich der Fall wäre...), hätten Sie mit empfindlichen Strafen zu rechnen. Wenn jedoch im Bereich des Frankfurter Flughafens binnen drei Jahren die Füllmenge von fast 2.000 Badewannen an Kerosin in die Luft gekippt wird, dann bleibt dies ohne jede Folge und Registrierung.
Es ist schlicht ein Unding, daß nicht einmal die Bundesregierung imstande sein soll, herauszufinden, was für Mengen hierbei insgesamt in der Bundesrepublik zusammenkommen und welche Gebiete besonders belastet sind. Sinnvoll und vernünftig zum Vermeiden von unnötigen Fällen von Fuel Dumping wäre zudem, das Ablassen von Treibstoff mit Buß- bzw. Strafgeldern zu belegen, ähnlich dem Ölabpumpen von Schiffen auf See.
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