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1  Der Mordanschlag auf Ronald Reagan 

 

"Der König muß sterben" 

 

9-31

Vom ersten Tag an schien etwas "außer Kontrolle" geraten zu sein in Reagans Amerika. Die Atmosphäre, in der Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt wurde, kann nur als krisenhaft beschrieben werden, bestimmt von Medien, die zu jeder Gelegenheit voll waren mit Vorhersagen eines drohenden wirtschaft­lichen Zusammenbruchs. 

Als Jimmy Carter Präsident wurde,zeigten ihn Karikaturisten als  den Mann, der auf dem Wasser wandeln kann.  

Beim Amtsantritt sprach unser neuer Präsident aus, was wir alle fühlten: daß wir beileibe nicht stark seien, sondern "schwach und im Begriff, uns aufzulösen". Er sagte, er fühle sich wie der Kapitän eines Schiffes, das "drauf und dran ist, die Wasserfälle runterzugehen" — (to go over the falls) — und: "wir sind in größerer Gefahr heute als am Tag nach Pearl Harbor"

Als Ronald Reagan Präsident wurde,zeigten ihn die Karikaturisten als den, der das sinkende Schiff übernimmt.

Wenn es aber je einen Zeitabschnitt in der Geschichte gab, in dem Amerika sich seinen äußeren Umständen nach hätte stark und glücklich fühlen können, dann waren es womöglich die frühen achtziger Jahre.

Wir waren nicht im Krieg. Die iranischen Geiseln waren gerade sicher nach Hause gebracht worden. Im Innern herrschte weder besondere Gewalt, noch gab es größere Streiks — ein Zustand relativen sozialen Friedens. Wirtschaftlich und auch militärisch war Amerika das stärkste Land auf der Welt, gesegnet mit dem höchsten Bruttosozialprodukt, der relativ geringsten Zahl von Armen und dem höchsten Pro-Kopfeinkommen, das es je in der Geschichte gab.

Was mehr ist: Amerika hatte im Jahrzehnt zuvor 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen und grundlegende Verbesserungen in der Ernährung und medizinischen Versorgung der ärmsten Bevölkerungsteile begonnen. All das ohne zunehmende öffentliche Unterdrückungsmaßnahmen, ohne große innere Auseinandersetzungen und ohne Krieg. Grund genug, stolz zu sein auf das, was in den siebziger Jahren erreicht worden war und uns zu freuen auf die ungelösten Aufgaben der Achtziger im sicheren Wissen unserer Fähigkeit, den wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Fortschritt zu vergrößern.

Aus irgendeinem merkwürdigen Grund aber machte der zurückliegende Aufschwung uns einfach krank — wir fühlten uns fürchterlich. Wahrscheinlich hat sich nie zuvor in der Geschichte eine so starke und reiche Nation derart schwach und verärmlicht gefühlt. Wir seien in der Tat so schwach, sagte Reagan, daß wir Gefahr liefen, impotent zu werden "angesichts einer Macht des Bösen, die das Licht auslöschen wolle, das wir seit nun 6000 Jahren am Brennen halten."

Der Hauptgrund für dies Gefühl — "den Wasserfall runterzugehen" — sei "die prekäre Wirtschaftslage". Auf drei Gebieten sollten wir besonders kläglich versagt haben: bei der steigenden Staatsverschuldung, durch zu geringe private Investitionen und durch eine außer Kontrolle geratene Inflation. 

Dabei zeigten sogar offizielle Regierungsdaten, daß das vermeintliche "Versagen" eher Teil einer fantasierten Realität war. Die Staatsverschuldung prozentual zum Bruttosozialprodukt stieg gerade nicht an, sondern war die niedrigste in 50 Jahren,1) die privaten Investitionen waren überhaupt nicht niedrig, sondern die höchsten seit dem 2. Weltkrieg,2) und sogar die 12prozentige Inflationsrate am Ende des Jahres 1980 begann in den ersten Monaten von 1981 zu sinken — die Ursachen für den zeitweiligen Anstieg lagen dabei hauptsächlich im Sprung der Ölpreise und in steigenden Kosten für Lebensmittel, die die Folge von Schlechtwetter-Mißernten waren.3)

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Jedoch hatten unsere funktionierende Wirtschaft und unsere enorme militärische Macht wenig Einfluß auf die allgegenwärtigen Phantasien wachsender nationaler Impotenz und drohender Gefahr der Auflösung. Meinungsumfragen machten deutlich, wie weitverbreitet unsere Ängste waren: "die United States wären vom rechten Weg abgewichen" (75 %); wir könnten einen Führer gebrauchen, "der es mit den Regeln nicht so genau nähme" (60 %); und 50 % hatten das Gefühl, es könnte jetzt der Zeitpunkt gekommen sein, den "American Way of Life" mit Gewalt zu restaurieren.4)

Drastische Maßnahmen aller Sorten zur Wiederherstellung unserer verschwundenen Stärke — sonst eher eine Begleiterscheinung der laufenden politischen Diskussion — wurden von vielen Politikern <ernsthaft> in Erwägung gezogen. Das Ergebnis war die Wahl Reagans zum Präsidenten, mit seinem durchgreifenden neuen Programm zur wirtschaftlichen Gesundung und mit Plänen von mehr als 3 Billionen Dollar an zusätzlichen Militärausgaben, gedacht, unsere nationale Potenz wieder herzustellen.

Der Bildgebrauch von Medien — die Bilder, die so oft unsere verbreitetsten Gefühle, unsere nationalen <group fantasies> verkörpern und zu steuern versuchen — zeigten uns befallen von Gruppenphantasien der Impotenz und wachsender Wut. Im Gegensatz zum üblichen Muster der honey moon-Periode für den neuen Präsidenten, wo der Bildgebrauch um Gefühle der Stärke und Hoffnung5) kreist, wurde Ronald Reagan dargestellt als ganz und gar von gefährlichen Bestien umzingelt, die er, wild mit einem Schwert um sich schlagend, nur mit Mühe auf Distanz halten kann. In Titelgeschichten gegen Ende 1980 erschienen wir als 

"Amerika, die belagerte Nation. Es war ein Jahr, in dem die Natur eine sich verdunkelnde nationale Stimmung wiederzuspiegeln schien, mit der Explosion aufgestauter Wut und einer Verödung des Geistes und des Landes." 6)
(N. Y.-Times-Magazine, Hervorhebung durch den Autor). 

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Die Weltungeheuer 
schienen unter unserer 
Kontrolle in Carter's erstem Jahr 


Sie schienen außer Kontrolle 
bei Reagans Übernahme.

  

 

Auch Ronald Reagan's erste Reden spiegelten unsere "sich verdunkelnde nationale Stimmung", unsere "aufgestaute Wut" und die " Verödung des Geistes".  Als er nominiert wurde, sagte er uns, daß unser Land "auseinanderfalle", "geschwächt" und "aufgefressen" sei. Als er die Wahl gewann, war "verängstigt" (frightened) das häufigste Wort in seiner Rede der Annahme. In seiner Antrittsrede betonte er Wörter wie <Terror> (der davonlaufenden Lebenshaltungskosten), <verdammt> (doomed), (was wir nicht zu sein brauchten) und <Opfer> (sacrifice), (die wir bringen müßten). Sein erster <Bericht zur Lage der Nation> bestand fast ausschließlich aus solch apokalyptischer Rede. 

 

Gibt man nur die Sätze wieder, die emotionale Wendungen enthalten, liest sich die ganze Rede so:

President's State of the Nation Address   5. Februar 1981

Wir stecken im schlimmsten ökonomischen Chaos seit der Großen Depression... der Bundeshaushalt ist außer Kontrolle und wir sehen uns vor davonlaufenden Schulden ... 
die Inflation nahm zu wie Radioaktivität und könnte, einmal in Bewegung, ebenfalls außer Kontrolle geraten ... Kriege sind gewöhnlich von Inflation begleitet... 
wir können unsere Kinder über Verschwendung belehren, bis uns die Luft ausgeht und die Stimme wegbleibt... ich habe schon die Einstellungen eingefroren ... 
noch nicht verabschiedete Gesetze gestoppt (freeze)... ich werde Haushaltskürzungen (cuts) vorschlagen, Ausgaben beschneiden ... die Preise sind explodiert... wir werden der Tatkraft freien Lauf lassen... wir haben die negativen wirtschaftlichen Kräfte außer Kontrolle geraten lassen ... wir haben den Jüngsten Tag hinausgeschoben ... eine zerrüttete Wirtschaft...

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Reagans Sprachgebrauch war völlig gegensätzlich zu dem seiner Vorgänger in Ansprachen an die Nation. Er benutzte nicht die für die honey-moon-Periode üblichen Wendungen der Stärke und Hoffnungsfreude. Statt dessen bestätigte er unsere eigenen Gefühle, daß das Land "außer Kontrolle sei ... wie Radioaktivität" und erzählte uns, wir müßten etwas oder jemanden "beschneiden", um ein apokalyptisches "Jüngstes Gericht" noch einmal abzuwenden. Geht man einen Schritt weiter und liest nur die Phantasiewörter (oben kursiv), lautet die ganze Ansprache:

 

Phantasie-Wörter

Chaos ... außer Kontrolle ... davongelaufen ... wie Radioaktivität... außer Kontrolle... Kriege... Luft ausgehen ... Stimme wegbleiben ... Stop ... Einfrieren ... Schnitte (cuts ... cuts ... cuts) ... explodiert... freien Lauf lassen ... außer Kontrolle ... aufgeschoben ... Jüngstes Gericht ... zerschmettert... 

Phantasie-Botschaft

Wir fühlen uns chaotisch, außer Kontrolle geraten, ausgebrochen wie Radioaktivität. Wir sind so außer Kontrolle; daß wir atemlos sind und frieren wie in einem Krieg. Wir müssen jemanden beschneiden, sonst werden wir explodieren und unsere unkontrollierte Wut freisetzen, die, wenn sie nicht bald zu einem Halt kommt, ein Jüngstes Gericht hervorrufen wird, das uns zerschmettert zurückläßt.

 

Diese Gefühle der Auflösung und wachsender Wut, die Amerika mit Reagan am Anfang seiner Präsidentschaft teilte, hatten nichts Rationales hinsichtlich der objektiven wirtschaftlichen Situation, auf die der Präsident sie gerade bezog. Der zitierte Bericht zur "Lage der Nation" behauptete, Bundesausgaben, Bundesverschuldung und Inflation seien "außer Kontrolle geraten" — Anfang 1981

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Ein Blick auf die Zahlen zeigt dies als unwahr. Die Bundesausgaben (von denen wir glaubten, sie seien so außer Kontrolle geraten) waren in Wirklichkeit während der Amtszeit Jimmy Carters geschrumpft, und zwar in Relation zum Bruttosozialprodukt7, wobei Carters Erfolg vor allem darin bestanden hatte, die Militärausgaben unter Kontrolle zu halten. (Der sinnvollste Index für eine fiskalische Analyse ist die Angabe des Bruttosozialproduktes in Prozenten und nicht in absoluten Dollarzahlen; nur so wird deutlich, wie hoch der Anteil der Jahreseinnahmen ist, den die Regierung ausgibt.)

Zum zweiten war auch die außer Kontrolle geratene Verschuldung des Bundes gesunken, und zwar in den letzten drei Jahrzehnten sogar um die Hälfte des früheren Prozentsatzes am Bruttosozialprodukt. Die Regierung schuldete jetzt nur noch 30 % eines Jahreseinkommens, verglichen 60 % im Jahre 1950 (110 % im Jahre 1945). Die Bundesverschuldung war also nicht außer Kontrolle geraten, sie war im Gegenteil dabei, mehr und mehr unter Kontrolle gebracht zu werden.

Drittens: Obwohl die Inflationsrate — 12 % Ende 1980 — tatsächlich höher war als in den vorangegangenen Jahren, so war es doch auch wahr, daß Reagan zwei Tage vor seiner Ansprache an die Nation die Zahlen für die Inflation im Januar 1981 erhalten hatte, und die zeigten an, daß die Inflation gerade auf 9 % gesunken war. Wenn die Inflationsrate bei Reagans Amtsantritt also sank — und wenn Wirtschaftsexperten mehrheitlich sinkende Öl-und Nahrungsmittelpreise sowie sinkende Zinskosten voraussagten, die die Inflationsrate in den kommenden Monaten noch weiter senken würden, unabhängig davon, wer der Präsident war, dann war es glatte Phantasie zu behaupten, die Inflation sei zu jenem Zeitpunkt "außer Kontrolle geraten wie Radioaktivität".

Dennoch, etwas schien in Amerika außer Kontrolle geraten zu sein "wie Radioaktivität". Wenn es nicht die Bundesausgaben, die Staatsverschuldung und die Inflation waren, dann hatte das Gefühl vielleicht mehr mit uns selbst zu tun. Vielleicht waren wir es, die aus irgendeinem Grund "voll von angestauter Wut" waren, wir selbst fühlten uns "außer Kontrolle" geraten. Die politischen Kommentatoren spürten — wie immer die Nase im Wind — die Macht dieses wachsenden nationalen Gefühls, als sie am Anfang von Reagans Amtszeit die Stimmung der Nation zusammenfaßten. 

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Vor seiner Wahl galt 
Reagan als jemand, 
der die Messer
wohl zu wetzen weiß. 

Das Podest seiner Antrittsrede
wurde als mit einer Guillotine 
ausgerüstet empfunden.

  

 

Flora Lewis in ihrer N.Y.-Times-Kolumne empfand, wie "trotz der leichten Scherze des Präsidenten bei Pressekonferenzen ... ein häßliches Zischen im Lande zu hören sei, vernehmlich daran, auf wie absichtsvoll häßliche Weise Leute miteinander umzugehen sich gewöhnt haben, nicht aus momentaner Provokation heraus, sondern aus ihrer eigenen Verzweiflung." 8)

Der Präsident selbst nahm die wütende Stimmung auf seine Weise auf, wenn er z.B. seine Budget­beschneider (budgetcutters) aufforderte, "bösartiger zu sein als die Müllkippenhunde". Statt mit den für die honey-moon-Schonzeit üblichen Symbolen von Stärke und Vertrauen zeigten viele Cartoonisten unseren Führer umgeben von brutalen Symbolen, wie der Axt, dem Messer, Henkerseil und Schafott — die Zeitungen begleiteten ihn mit der mörderischen Wortverbindung "Cut! Slash! Chop!", drei Spielarten des Abhackens/Beschneidens, endlos wiederholt, bis die emotionale Botschaft nicht mehr überhört werden konnte (saß). 

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Das Hängen und Zerschneiden
von Menschen wurden 
als Reagans Hauptaufgaben angesehen. 

Bei seinem Amtsantritt war "Reagans Axt" in jeder Schlagzeile. Politiker, die Medien, die Öffentlichkeit schienen wie entzückt von der drohenden Gefahr, die aus tausenden von Schlagzeilen und den Covers der Nachrichtenmagazine lauthals sich ankündigte: "Reagan macht die Axt fertig" (REAGAN READIES THE AX)9), oder THE AX FALLS 10) oder "Reagans 50 Milliarden Dollaraxt! Die Kürzungen werden alle Amerikaner treffen".11) 

Obwohl die sogenannten 50 Milliarden Dollar Kürzungen lediglich ein weiterer Schritt auf dem begonnenen Weg der Reduzierung der öffentlichen Ausgaben waren, (und durch einen enormen Anstieg der Militärausgaben völlig zunichte gemacht wurden), so daß die Ausgaben in Reagans endgültigem Haushalt in Wirklichkeit anstiegen*, waren wir, die Mehrzahl der amerikanischen Menschen, dominiert von der group fantasy, daß er dabei war, den Gesamthaushalt drastisch zu kürzen mit seiner angsterregenden Axt.

Politische Kommentatoren konnten ihre Freude kaum verbergen, wenn sie an die Auswirkungen dachten, die das Schwingen des Opferbeils haben würde. Reagan selbst kündigte an, man werde "das Schmerzensgeheul hören können von Küste zu Küste", als seine, wie NEWSWEEK sie nannte, "Cut-Slash-Chop-Männer ihre Kavallerieangriffe starteten."12)

 

* So wie der Gesamthaushalt der "Kürzer" - Kohl / Stoltenberg / Genscher - in Wirklichkeit anstieg. (A.d.Ü.)

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Umfragen zeigten, daß Amerikaner aller Parteien seine Forderung nach dem Schmerz, den man jetzt zufügen müsse, mit einer überwältigenden Mehrheit unterstützten. Wie NEWSWEEK formulierte: "Leute sagen: Laß die Axt niedergehen": (Polls: Let the ax fall.)13)

 

   

Reagans Präsidentschaftsabzeichen: 
das Opferbeil.

Während der ersten Wochen von Reagans Präsidentschaft schienen die Bilder des blutigen Metzelns von Menschen und ihre kommenden Schmerzensschreie genau das zu sein, was wir brauchten, um unsere eigene wachsende Wut verkörpert zu sehen. Nur gelegentlich konnten wir Schuldgefühle darüber öffentlich zulassen, daß wir unsere gewalttätigen Gefühle an Sündenböcken auszulassen im Begriff waren. "Einiges von dem was Reagan tut, ist großartig. Anderes wiederum ängstigt mich halb zu Tode", sagte jemand in einem Interview im TV, als er jetzt darüber nachdachte, wie er sich dabei fühlte, für Reagan gestimmt zu haben und über die Aussicht, "daß wir in einem Jahr Leute haben werden, die erfrieren oder vor Hunger sterben."14) 

Aber häufiger haben wir unser Gewissen durch ökonomisch fundierte Rationalisierungen beruhigt. Und meistens waren wir eher des Lobes voll für das, was Reagans Team in unserem Namen tat. "Ich glaube, Sie haben Großartiges geleistet" ("...you've been brilliant"), sagte Senator Metzenbaum zu David Stockman bei einer der ersten Anhörungen des Unterausschusses für Haushaltsfragen. "Aber ich glaube, sie waren auch grausam, unmenschlich und unfair."15) Es wurde nicht gefragt in dem Zusammenhang, warum jemand, der zugleich "großartig" wie "grausam" sei, dafür gelobt werden sollte. 

Letztlich war es nicht David Stockman, den wir bewunderten für seine brillante Grausamkeit, es war Reagan. Ebenso war es Reagan, wenn wir andere Mitglieder seines Kabinetts wegen ihrer Härte mit Lob bedachten.

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Reagan füttert das Militär 
als einen Container 
unserer gewalttätigen Phantasien. 

 

Als Georg Will, der Kolumnist, Alexander Haig feierte für dessen "Herrlich strahlende Stahlfaust" in der Außenpolitik, bewunderte er natürlich auch Reagans herrlich strahlende Härte. Nur ein derart harter Führer, ein Präsident mit strahlender Stahlfaust, vermochte die ganze Wut zu verkörpern, die wir ihn baten, für uns aufzunehmen ("... we asked him, to contain* for us.").

Die wichtigste Art und Weise, in der Reagan unsere Gewaltbereitschaft verkörpern sollte, lag in der Aufforderung, eine Militärstreitmacht aufzurichten, dreimal so groß wie die zur Zeit des Vietnamkrieges.16) Obwohl es auf der Erde ungewöhnlich friedlich zuging bei Reagans Amtsantritt Anfang 1981, zeigten Polls die Amerikaner in der auswärtigen Politik außerordentlich kriegerisch. U.S. NEWS & WORLD REPORT ließ im Februar 1981 den New Yorker Bürgermeister Ed Koch die nationalen Gefühle zusammenfassen: "Reagan spiegelt die Stimmung in diesem Lande wider. Er steht für die Tatsache, daß die Amerikaner sich nicht herumstoßen lassen."17)

Die Presse sprach offen über die Stimmung hinter der neuen militärischen Aufrüstung. "Wir haben wieder einmal das Kriegsfieber", schrieb Harper's. "Es wütet noch nicht offen, aber unter der Oberfläche der jüngsten Entwicklung in Amerika spürt man die wachsende Macht von Attitüden und Gefühlen, die es erlauben, über Krieg in einer Weise nachzudenken, die noch vor einem Jahr unmöglich war. Wir hören fast täglich die militanten Äußerungen unserer Kandidaten und die Nachrichten von steigenden Rüstungsausgaben. Wir scheinen Zeugen der Remilitarisierung Amerikas zu werden..."18)

 

*  für deMause dienen die Politiker (überhaupt Figuren des öffentlichen Lebens) den Leuten als Container, in die sie ihren Gefühlsabfall laden können. (A.d.Ü.)

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Andere Zeitschriften wiederholten die Botschaft in unterschiedlichen Graden von Faszination und Entsetzen. Im N.Y. Times Magazin gab es einen Artikel "Das erneute Überdenken des Undenkbaren" (RETHINKING THE UNTHINKABLE), dessen 2. Headline las: 

"Nach mehr als einem Jahrzehnt, während dessen dieser Gedanke fast ganz außer Betracht gelassen wurde, denken viele Leute wieder über die Möglichkeit eines Atomkrieges nach. Einige Strategen wollen nicht ausschließen, daß ein solcher Krieg in der Tat gewonnen werden kann. Andere dagegen fürchten, die ganze Welt würde verlieren."19) 

Keiner der Artikel versuchte zu zeigen, daß das neuerliche Interesse daran, einen Atomkrieg zu gewinnen, auf wirkliche politische Veränderungen in der Welt zurückging. Wie die TIMES stellten sie lediglich fest, daß auf unerklärliche Weise "viele Menschen wieder an einen Atomkrieg denken". THE NEW REPUBLIC erfaßte die neue Stimmung perfekt in einem Artikel über "Die neue Kriegslüsternheit".*

"Zum ersten Mal seit den 50er Jahren scheinen Schlüsselfiguren innerhalb und außerhalb der Regierung ernsthaft von der Möglichkeit eines Atomkrieges mit der Sowjetunion auszugehen. Was lange als undenkbarer Gedanke galt, wird jetzt von einflußreichen Männern und Frauen in Washington offen ins Spiel gebracht... Ein im Weißen Haus grau gewordener außenpolitischer Spezialist kommentiert: In 30 Jahren hier habe ich nie geglaubt, ein solcher Krieg wäre wirklich möglich. Jetzt glaube ich, er ist möglich..."20)

Es blieb einmal mehr dem Frauenteil der N.Y.TIMES vorbehalten, unsere wahrsten Gefühle zu "Thinking The Unthinkable" offen auszusprechen. In einer Sammelrezension von Literatur zur "immer bedrohlicher werdenden Wirklichkeit" der Beteiligung an einem Atomkrieg kam Maggie Scarf zu dem einfachen Satz: "Ich bekomme wieder Angst".21)

Ronald Reagans eigene Gefühle darüber, unsere explosive Wut verkörpern zu müssen, waren dabei ambivalent. In den meisten Fällen ließ er erkennen, daß er in seiner Eigenschaft als Präsident die Rolle als Container unserer giftigen Wut ganz und gar akzeptiere. 

 

* amerik.: brinkmanship, von brink = Rand, Spitze, Ecke; 
brinkman ist jemand, der bis zur äußersten Möglichkeit eine Sache ausreizt, ohne sie wirklich anzufangen. Das Wort ist in Gebrauch seit 1956 und geht auf eine Äußerung von John Foster Dulles zurück, der sagte, die USA-Diplomatie wäre dreimal "to the brink of war", an den Rand eines Krieges gegangen. (Chambers Twentieth Century Dictionary); d. Übers.

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TIME berichtet in ihrer ersten Story über Reagans Präsidentschaft, wie er in einer der ersten Sitzungen mit einem Weingummi spielte und witzelte: "Die purpurfarbenen sind giftig, hat man mir gesagt", dann schnipste er es nonchalant in seinen Mund.22) Seine Sprache und seine Gesten zeigten ihn gewöhnlich stets bereit, unsere Wut und unseren Groll zu inszenieren, und zwar enthusiastisch. Nur gelegentlich zeigte er Anzeichen der Schuld und auch Angst, für die willige Ausführung seiner Rolle bestraft zu werden. "Ich versichere Ihnen, morgen schon werde ich dafür hängen, als Puppe zumindest", sah er nach einer der ersten Haushaltssitzungen voraus, in der er vorgeschlagen hatte, die Unterstützung für die Armen und Behinderten zu kürzen. Seine Angst vor Strafe war allerdings nicht sehr begründet, denn unsere Reaktion auf Haushaltskürzungen war nicht, Reaganpuppen an Galgen zu hängen, sondern ihn öffentlich für seine Fähigkeit zu loben, "Schmerzen zuzufügen mit Mut und Tatkraft", (...with nerve and verve).23)

Das war sein erster Monat. Als er aufs Ende zuging, zentrierten sich mehr und mehr fantasy messages in den Medien auf die Frage, ob er denn wirklich stark genug wäre, als Container unserer wachsenden Wut zu dienen. Es war, als hätten wir das Gefühl gehabt, nur ein wirklicher Superman, ein lebendiger Mann aus Stahl könne unseren explosiven Zorn in sich aufnehmen und für uns ausagieren. War Reagan wirklich stark genug, die herrlich strahlende Stahlfaust zu sein, die wir an ihm brauchten?

Es gab Zeiten und Völker, bei denen nach der Krönung von neuen Königen der Beweis dafür verlangt wurde, daß sie stark genug wären, die Gewalt ihres Volkes zu verkörpern. Oft mußte der König in einem rituellen Kampf mit einem jüngeren Krieger seine überlegene Kraft unter Beweis stellen.24)* Ebenso würde wohl Reagan — da er ja eine solch außerordentliche Wut zu verkörpern hatte — kaum drum herum kommen, zu Beginn seiner Amtszeit einen derartigen Tüchtigkeitsbeweis zu liefern, wollte er der Mann sein, uns in den kommenden Jahren der "nationalen Erneuerung" zu führen.

 

* Wie auch fast jeder gang-leader in fast jedem Western oder sonstwo. Vermutlich hat Reagan nie in einem Film gespielt oder in Gruppenzusammenhängen gestanden, in denen Nachfolge und Herrschaftsprobleme anders gelöst worden wären. (Anm. d.U.)

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Wer die linke Scheibe
durchschießt,  
würde Reagan treffen 

 

Die Phantasie, Reagan könnte als Präsident im Amt sterben, ging untergründig im Land herum noch vor seiner Amtseinführung. Sie tauchte verschiedentlich auf in einer Reihe von Witzen und veröffentlichten Spekulationen, die sich alle um sein Alter drehten und um den nahen Tod im Amt. Viele basierten auf der doch wohl zufälligen Tatsache, daß seit 1840 kein Präsident, der in einem Jahr mit einer Null am Ende gewählt wurde, glücklich genug war, das Ende seiner Amtszeit zu erleben. 

"Für eine Wiederwahl von Bush 1984" (Re-elect Bush in 1984) hieß eine Version, die auf Tausenden von Aufklebern im ganzen Land zu lesen war; und eine Menge weiterer "Todeswitze" und Artikel über das "Pech mit dem Tod", die während seines ersten Monats im Amt die Runde machten.

Die Testmethode sollte allerdings nicht ein Hängen sein, wie Reagan in dem oben zitierten Ausspruch selber nahegelegt hatte; es wurde ein shooting. Es ist nicht so leicht, Todeswünsche für einen neuen Führer direkt in den Medien darstellen zu lassen; aber auffällig häufig zeigten Cartoons Reagan im Zusammenhang mit Schußwaffen. Einige Zeichner brachten es sogar fertig, ihn in die Nähe von Zielscheiben zu rücken mit Einschußlöchern drum herum (siehe Abbildung) und Dutzenden von Schußwaffen auf dem Boden unter dem Bett.

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Wie die Medien üblicherweise verfahren, wenn sie unakzeptable fantasy messages unter die Leute bringen müssen, so auch hier: die message wird offen ausgesprochen, nicht aber mit dem Objekt (hier Reagan) offen verbunden.* Oder als Anthony Lewis beispielsweise Anfang 1981 seine N.Y. TIMES Kolumne mit dem Titel versah "Der König muß sterben". Das war offiziell auf Jimmy Carter gemünzt, den abdankenden.25 Dennoch kann seine erstaunlich direkte Schlagzeile wie auch seine Rezension von Mary Renaults Roman über Leute, die zum König gekrönt und dann getötet werden, ohne weiteres zumindest als unbewußte Botschaft verstanden werden, daß auch der antretende König — Reagan — sterben müsse. Das Erscheinen eines exponierten Artikels mit der Überschrift "The King Must Die" kurz vor der Amtseinführung des Präsidenten kann kaum Zufall genannt werden.

Die group fantasy, "der König muß sterben", erreichte ihren Höhepunkt in der letzten Märzwoche. Ohne ersichtlichen Grund waren im Verlauf des März eine wachsende Anzahl von Zeitungsartikeln erschienen, die sich mit einer "Verbrechenswelle" herumschlugen, von der Amerika zu diesem Zeitpunkt angeblich heimgesucht wurde. Als wirklicher Gipfel dieser Artikelwelle, erschienen beide, TIME wie NEWSWEEK in der Woche vor dem Attentat auf Reagan mit beinah identischen Titelseiten und Titelgeschichten über den Horror von Gewaltverbrechen. Diese Übereinstimmung ist um so bedeutender, als beide Blätter ihre Titelstories immer voreinander geheim halten, um den Konkurrenten zu übertrumpfen und ein gleichzeitiges Erscheinen ähnlicher Stories, wenn immer möglich, zu vermeiden.

Diese Stories, die unsere eigene wachsende Gewaltbereitschaft verkörperten/programmierten, enthielten wohl die prozentual höchste Zahl von Bildern mit Gewaltdarstellungen, die je in einer wöchentlichen Titelstory veröffentlicht wurden. Die Phantasie-Wörter in den Artikeln ergeben im Grunde nichts als eine lange Kette von Gewaltbildern, wie etwa die Einleitung des TIME-Artikels, in der vorkommen:"... Verbrechen... Mord... vergewaltigt... Gewalt... Verbrechen... Mord, Raub, Vergewaltigung und Raubüberfall..." und sehen weise furchterregende Bilder, die sich hauptsächlich auf Handfeuerwaffen konzentrierten.

 

* Offenes Thema der Zeichnung ist Reagans eigene Vorliebe für Waffen und seine Weigerung, die Waffengesetze zu verschärfen. Auf diese Weise kann durchgehen, daß der Präsident selbst mit dem Target verbunden ist. (d.Ü.)

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Daß diese Schreckensgeschichten von einer wild "außer Kontrolle" geratenen Verbrechenswelle aufzählen basieren, die ebenso erfunden waren wie die über unsere "außer Kontrolle" geratene Ökonomie, ist schwieriger zu glauben. (So erfolgreich haben die Medien in den zurückliegenden Jahren einen dramatischen Anstieg von Kapitalverbrechen in Amerika immer wieder behauptet).

 

    

TIME: Der Fluch von Gewaltverwaltverbrechens 
Newsweek: Die Epidemie des Gebrechen 

... gleiche Titelgeschichten in der Woche vor den Schüssen auf Reagan 

Jedoch zeigen die sorgfältigen Untersuchungen des Nationalen Rates für Verbrechen und Vergehen (National Council on Crime and Delinquency), daß sowohl die Anzahl größerer Verbrechen wie auch die Verhaftungen für solche leicht zurückgegangen sind, mit der Schlußfolgerung, daß "das kriminelle Verhalten über die Jahre hinweg im Großen und Ganzen konstant geblieben ist, und daß <Verbrechenswellen> in der menschlichen Einbildung erzeugt werden".26 Um es noch einmal zu sagen, die "out of control feelings" gaben kollektive Phantasien wider, nicht die Wirklichkeit.

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Die Titelseiten der beiden anderen bedeutenden Wochenmagazine enthielten eine Woche vor dem Mordanschlag ebenfalls versteckte Mordbotschaften. 

Die Titelseite von THE NEW REPUBLIC zeigte einfach Grabsteine vor dem Capitol und dem Washington Monument, eine nicht einmal besonders sublime Verbindung von Präsidentschaft und Tod. 

 

    

 

U.S. NEWS & WORLD REPORT, die den Präsidenten mehr unterstützte als THE NEW REPUBLIC, war nicht so offen mit dem Todeswunsch. Ihr Titelbild zeigte wütende Mittelstandsamerikaner, frustriert und dabei, den Boden unter den Füßen zu verlieren, während eine lieblose, reiche Vaterfigur über ihnen steht und zuschaut, wie sie in einen Abgrund stürzen. 

Dies allein war noch nicht deutlich genug, um klarzumachen, was von den "wütenden Amerikanern" getan werden müßte gegen eine derart sympathielos auf sie herabblickende Vaterfigur. So versahen die Herausgeber das Cover mit einer weiteren Schlagzeile über der Hauptschlagzeile, die die fantasy message als sublime Suggestion, nicht dem Sinn nach aber dem Klang nach dazu gab. Sie erscheint auf den ersten Blick ganz harmlos: "$ 60 Billion Of Federal Waste — Reagan's Next Target" und sagt, daß der Abbau der 60 Milliarden Dollarverschwendung durch den Staat das nächste Ziel Reagans sei. 

Aber wie so oft bei Phantasien, die man weit von sich weist (und dennoch ausspricht), sind versteckte Les-/ Hörarten im Spiel, hier gleich zwei. Liest man die beiden durch den Strich verbundenen Mittelwörter der Schlagzeile allein, hat man Waste Reagan. "Waste" heißt nicht nur "verschwenden", es heißt auch "zerstören, verwüsten". Waste Reagan = Tötet Reagan. 

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Und fast schon wieder überdeutlich spricht die zweite Hälfte der Schlagzeile: Reagan's Next Target. Das heißt auch "Reagan is next target", wenn man das Apostroph als Auslassungszeichen für das "i" von "is" liest. Phonetisch besteht zwischen beiden Lesarten kein Unterschied, sie klingen identisch. Reagan's next target = Reagans nächstes Ziel, oder Reagan ist das nächste Ziel. "Aim" oder "goal" hätte man übrigens ebenso sagen können, aber gerade target steht da, das Wort aus dem Zusammenhang des Treffens der Zielscheibe.

 

Zusätzlich zu diesen Mordbotschaften auf den Titelseiten und in den Titelstories unserer großen Wochenmagazine gab es, wenige Tage vor dem Mordanschlag, Schlagzeilen in vielen Tageszeitungen mit gewalttätiger Sprache, Todesbezügen und Bilder von Schußwaffenopfern.27 So beispiellos war die Zahl der mehr oder weniger verborgenen Botschaften, auf den Präsidenten zu schießen, daß auf einer Sitzung im Institute for Psychohistory, wo Hunderte von Zeitschriften und Tageszeitungen auf ihre fantasy messages hin gelesen wurden, in der Woche vor dem Anschlag die Vermutung laut ausgesprochen wurde, ein verstörter Typ könnte in einer solchen Flut halb offener / halb versteckter Suggestionen den Entschluß fassen, sie in die Tat umzusetzen.28)

 

Gleichzeitig mit dem Schützen griff eine weitere Person die Mordbotschaften auf, Alexander Haig. Ohne ersichtlichen Grund brach Haig in der Woche vor dem Attentat einen kräftigen Streit mit anderen Mitgliedern der Reagan Administration vom Zaun, "wer in einem Notfall die Führung übernimmt", sollte der Präsident zur Amtsübung nicht in der Lage sein. Zwei Tage vor dem Attentat sprach Haig seinen Führungsanspruch auf die Nachfolge in der Präsidentschaft sogar im Kabinett an, als ob die "Nachfolge" aus irgendeinem Grund ein Thema gewesen wäre. 

Die Nachfolgediskussion verschmolz so eng mit den eigentlichen Ereignissen am Attentatstag, daß Haigs Statement im Gedächtnis der meisten Leute sich mit seiner Verkündigung gleich nach dem Attentat vermischt zu haben scheint: "Von jetzt an habe ich die Führung," sagte er. ("As of now, I am in control") Niemand hat bis jetzt danach gefragt, warum Alexander Haig direkt vor dem Attentat über die "Nachfolge" zu reden begann. Der Grund dafür wird sein, daß dieselben unbewußten Mordwünsche, aus denen heraus er agierte, tatsächlich der nationalen Phantasie der Amerikaner zu diesem Zeitpunkt entsprachen.

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Und noch jemand griff — wie bekannt — die Mordbotschaften auf, die in jener letzten Märzwoche millionenfach auf den Titelseiten der Zeitschriften und in den Tageszeitungen durchgespielt wurden: John W. Hinckley Jr., der Schütze. 

Jeder weiß, es gibt zu jeder Zeit jede Menge potentiell gewalttätiger Leute, die mit Waffen in ihren Taschen und Mord im Herzen durch Amerika ziehen, phantasierend, sie müßten den Präsidenten töten, der sich in ihrer Vorstellung längst mit einer der Autoritätspersonen ihres Familiendramas vermengt hat. Aber im allgemeinen warten sie, bis andere ihnen die Erlaubnis geben, ja, sie in der Tat delegieren, bevor sie wirklich schießen, wie Oswald es tat, als er wartete, bis er ähnliche unterschwellige Mordbotschaften in den Dallas Tageszeitungen fand, bevor er John F. Kennedy erschoß. Sogar Kennedy selber hatte sie aufgenommen, als er zwei Monate vor seiner tatsächlichen Ermordung einen Film mit Freunden zu Hause, ein home movie machte — just for fun —, in dem er Opfer eines Attentats wird. 

Hinckley hatte sechs Monate lang Carter, dann Reagan umschlichen mit Waffen dabei,29) aber er kam "irgendwie nicht in die richtige Verfassung, die Tat wirklich auszuführen", wie er später sagte. Erst am 30. März, als er, wie er es nannte, "ein Signal" von einer Zeitung bekam30) und sich selbst sagte, "Das ist es. Das ist für mich bestimmt", ging er hin und schoß auf Reagan.

 

Amerika war natürlich hell empört, als es erfuhr, daß jemand es gewagt hatte, die allgegenwärtige Mordphantasie in die Tat umzusetzen; aber innerlich waren die Menschen eher erleichtert. Da waren zunächst einmal die zahlreichen Zeitungsberichte über Schulkinder, die jubelten, als ihnen gesagt wurde, der Präsident sei erschossen worden. Die ersten kamen aus Texas, breiteten sich aus nach Oklahoma, Missouri und Minnesota, Zeitungsberichte, die vermeldeten:

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Siebtklässler bejubeln die Nachricht vom Attentat auf den Präsidenten

Eine Gruppe Siebtklässler war bei der Schulinformation über den Anschlag in Jubel ausgebrochen. "Ich war sprachlos. Ich wußte nicht, was ich tun sollte," sagte John Zannini, Lehrer an der Tulsa Central Academy. "Da saßen die Kinder und freuten sich, daß auf den Präsidenten geschossen worden war. Ich war völlig platt." 10 der 16 Schüler seiner Englischklasse hatten so reagiert, als der Direktor die Nachricht durch den Schullautsprecher gab. Bei einigen Schülern der 8. Klasse war es ebenso, sagt Zannini. Und: "Ein paar Schüler lachten über die Angelegenheit. Sie fragten mich, ob er denn tot wäre. Ich sagte nein, es geht ihm gut. Sie schnipsten mit den Fingern und sagten <Mist> (shucks)."31)

Andere Lokalblätter kamen mit ähnlichen Artikeln über begeisterte Schulkinder heraus. Die Kinder hatten die nationale Stimmung aufgenommen wie ihre Eltern, sie aber nicht ebenso erfolgreich unterdrückt.

Die meisten Erwachsenen jubelten natürlich nicht, als sie vom Attentat hörten, aber sogar sie konnten zugeben — wenn man sie direkt genug fragte — im ersten Moment einige überraschend eindeutige Gefühle verspürt zu haben. Der einzige Poll, der wirklich präzise nach dem ersten Gedanken fragte, bekam heraus, es sei einer der Erleichterung gewesen.32 Sie hätten gedacht "Gut!" oder "Ich lachte" oder "Ich fühlte mich erleichtert" oder "Ich wünschte, er hätte besser gezielt" oder irgendeine andere Art der Identifikation mit dem Anschlag.

Die andere Hälfte der Befragten hatte sofort an Verschwörung gedacht: "Haig war es", "Bush hat es getan", "Irgendwer hat sich rächen wollen für die Kürzungen, die er gemacht hat" oder "das waren die Russen". Im Klartext: der Anschlag war — das zeigten alle Antworten — gleichermaßen gewünscht worden, nur daß die Hälfte der Befragten den Wunsch jemand anderem zuschrieb als sich selbst. Niemand antwortete, er sei vom Attentat überrascht gewesen.

Abwesenheit jeglicher Überraschung — das war auch die Reaktion der Medien. Etliche Artikel erinnerten sogleich an die früheren Erwartungen, er würde im Amt getötet werden (wiederholten also die Mordbotschaft direkt nach dem Attentat). "Präsident um eine Handbreit 8. Opfer des Null-Jahr-Verhängnisses" schrieb die N.Y. Post* — (PRESIDENT ONE INCH AWAY FROM BEING 8TH VICTIM OF ZERO YEAR JINX), als ob magische Kräfte ihre Hand mit im Spiel gehabt hätten. 

 

* New York's Bildzeitung (d.Ü.)

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Andere gaben schlicht zu, das Attentat selbst habe sie nicht überrascht, nur den Zeitpunkt fanden sie merkwürdig. So etwa Mary McGrory in ihrer wöchentlichen Kolumne. Ihr erster Gedanke sei gewesen: "Reagan war doch erst 70 Tage im Amt. Gewiß, seine Politik hatte viele aufgeschreckt und nervös gemacht. Aber er war ein netter Mann, und nichts, was nicht wieder rückgängig zu machen wäre, war eigentlich schon geschehen. Es war zu früh."33)

"Zu früh", vielleicht, aber doch nicht unerwartet und irgendwie auch eine merkwürdige Erleichterung. Die Leitartikel in der Woche nach dem Attentat schienen ganz durcheinander von der Art unserer Gefühle, von unserer fehlenden Reue und vor allem dadurch, daß nichts für die Waffenkontrolle getan wurde. Mit James Gannon, Herausgeber der DES MOINES REGISTER, fragte sich die Nation:

Warum ist Reagan nicht wütend? 
Warum sind wir alle nicht wütend?
Ein Verrückter, der auf den Präsidenten schießt, verwundet die ganze Nation schwer. Aber die Reaktion war nur Schock, nicht Überraschung. So ist die Frage: Wann wird es wieder geschehen? Nächsten Monat? Nächstes Jahr? Beim nächsten Präsidenten? 34)

Wir waren weder überrascht noch wütend, eben weil so viele von uns das Attentat unbewußt gewünscht hatten. Der Präsident hatte geprüft werden müssen, ob er stark genug war, unsere Wut aufzunehmen und zu bändigen. Er war es in der Tat, und er war durchgekommen mit fliegenden Fahnen. Er war wirklich hart wie Stahl. Man konnte ihm fast ins Herz schießen und er spuckte die Kugeln wieder aus, nebenbei mit den Ärzten scherzend. Was konnte ihn aufhalten? Eisenmann Reagan hatte den Test großartig bestanden und würde alles tun können, was wir von ihm verlangten. 

Mehr noch, wie ein König früherer Zeiten war er zu Beginn seiner Regierung durch ein Todes- und Wiedergeburtsritual gegangen, aus dem er, auferstanden, stärker als je zuvor herauskam. Er konnte unsere nationale Wut aufnehmen in seiner <strahlenden Stahlfaust>.

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Text der New York Post: Eisenmann Reagan 

1) Er geht allein ins Hospital mit der Kugel des Gunman im linken Lungenflügel. 
2) Er scherzt mit den wartenden Ärzten: "Sind Sie auch alle Republikaner?" 
3) Witze nach der Operation: "Alles in Allem wäre ich jetzt lieber in Philadelphia"

Reagan überlebte unseren Test seiner Stärke und erschien nun aus Eisen gemacht.

 

 

Die Medien nahmen den Auferstandenen dankbar an: in den Wochen nach dem Attentat waren Bilder/Sprache der Gewalt wie weggeblasen. Sie wurden durch Bilder ersetzt, die dem neuen, starken Präsidenten eher entsprachen. Jetzt erst begann Reagans honey-moon-Periode mit Berichten über seine erstaunliche persönliche Stärke, aber auch wie stark sich die Nation jetzt fühlte. Die Verbindung der neuen Stimmung mit starken, phallischen Objekten wurde gesucht, wie etwa dem Raumgleiter, von dem es in TIMEs Titelgeschichte hieß, "er gebe den Staaten ein mächtiges Leben... Hochrufe ertönten... hoch über den fernen Bergen... kraftvoll... Entzücken... schwärmend... freudige Erregung..." und ähnliches mehr.35)

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Ähnlich <mächtiges Leben> strömte in Reagans Beliebtheitsskala, die vor dem Attentat auf 59 Prozent gesunken war (Carter lag bei 73 % zum gleichen Zeitpunkt seiner Regierungszeit) und die N.Y. Times verkündete, Reagan genieße nun einen "Second honeymoon" beim Kongress und der Öffentlichkeit.36)

 

Reagans verständlicherweise unsichere erste Rede vor dem Kongress nach dem Attentat wurde vom ganzen Land und vom Kongress in Tönen reiner Heldenverehrung aufgenommen.

Rede bringt das Haus zum Toben

Präsident Reagan ließ das Dach des Capitols erzittern gestern abend, als Republikaner und Demokraten seine triumphale Rückkehr stehend bejubelten. "Es war aufregend — absolut aufregend", erklärte Senator Alphonse D'Amato der POST. "Präsident Reagans Rede war eines der dramatischsten Ereignisse, das ich in 14 Jahren Kongressarbeit erlebt habe" ... "Es war sensationell ... Er war besser als John Wayne (He out - Wayned John Wayne)."37)

Iron-Man Ron, der leibhaftige John Wayne, im Kampf gehärtet, hatte nun das Vertrauen, stark genug zu sein zur Verkörperung der nationalen Wut und uns, das Opferbeil schwingend, bei der vor uns liegenden Aufgabe zu führen — zur Reinigung und Erneuerung unseres sterbenden Landes.

 

       

Nach dem Attentat: 
Bilder der Gewalt werden ersetzt durch Bilder der Stärke.

"Weiter so! Auf Schwingen in eine neue Ära" 

 

Bislang habe ich nur wenig getan, die Eigenart der Gefühle zu erklären, die wir am Anfang von Reagans Amerika empfanden. Wo kam denn überhaupt diese Wut her? Warum begann Ronald Reagan seine Präsidentschaft mit einem solchen Aufbauschen von Gefühlen der Potenz, der Auflösung  und der Wut; — Gefühle, die so stark waren, daß wir einen Mordversuch brauchten, ehe wir uns im normalen Stärkegefühl der Honeymoon-Schonzeit sonnen konnten? Wenn unsere Wirtschaft sowie die Verbrechensrate wirklich nicht so "außer Kontrolle" geraten waren Anfang 1981, was war es dann?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir uns den Grund ansehen, aus dem diese Wut ihre Intensität bezog und zu verstehen versuchen, warum wir während der Präsidentschaft Jimmy Carters von der group fantasy dominiert waren, "in die Impotenz abzugleiten".

30-31

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